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in 2016
https://archive.org/details/b28106714
BEITRÄGE
ZUR,
C H 1 R ü K (I l E.
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•■I
1867.
Hsliogravure J.Lowy, '/Äen.
1892
■\
V
lleliogravuTe J.Löwy .Wien.
FESTSCHRIFT
GEWIDMET
THEODOR BILLROTH
VON
SEINEM I)A^KBAREN SCHÜLERN
ZUR FEIER DES
VOLLENDETEN EINEZIOSTEN SEMESTERS
SEINES AKADEMISCHEN WIRKENS IN WIEN.
-MIT 2 I'OllTRAITS, !) I.ITHOOI’.APH. TAl'KLN UNI) 51 IIOUZ.SCIINITTEN.
STUTTCtART
VERLAG VON FERDINAND ENKE
1892.
WEaCOME INSTITUTE
UBRARY
Coli.
welMOmec
Call
No.
Druck der Iloffmannschen Buchdruckerei in Stuttgart.
Hochgeehrter Meister!
h tiufundzwanzig Jahre sind verflossen, seit Sie das Lehramt
für Chirurgie an der Wiener Universität übernommen. — In jugend-
lichem Drängen nach Vorwärts, in stürmischem Ringen nach der
liöchsten Vollendung führten Sie es damals und heute führen Sie
es noch, in reifster Kraft, in reichstem Wissen und Können, trotz
allen grossen Erfolgen immer nach Vorwärts schreitend, um den
Kreis unseres Wissens zu erweitern.
Sie widmeten uns jenen Abschnitt Ihres Leloens, in welchem
die Persönlichkeit zur vollsten Entfaltung gelangt; an allen wichtigen
Fragen der ärztlichen, insbesondere der chirurgischen Wissenschaft
und Kunst haben Sie in diesem Zeiträume mitgearbeitet , immer
fördernd, oft entscheidend.
Sie haben der Forschung neue Wege gezeigt, neue Wege
gebahnt.
Als ein bleibendes Denkmal Ihrer Menschenliebe haben Sie
unserer Stadt im Rudolfinerhause eine Heilstätte geschaffen, die
weniire ilires2leichen hat.
Noch Vieles möge Ilinen in Zukunft zu scliaffen vergönnt
sein, vor allem der Neubau einer chirurgischen Klinik in Wien,
wofür Sie ja seit Jahren eintreten, damit — der Wissenschaft und
Humanität zum Frommen — auch die Einrichtung der Anstalt
jenem Geiste des Fortschrittes entspreche, der den Leiter der
Klinik beseelt.
In den fünfzig Semestern Ihres akademischen Wirkens in Wien
schaarten sich zahlreiche Schüler um Ihre Lehrkanzel. — Wie
viel verdanken wir Ihnen an Rat und Lehre, an Anregung
und Förderung! Allein das Beste lehrten Sie Ihre Schüler stets
durch Ihr eigenes Beispiel, in liebevoller Hilfsbereitschaft für die
Leidenden, in rastloser Arl)eit für Fortschritt und Wissenschaft,
in voller Hingebung für das als recht Erkannte, mit Hintansetzung
aller persönlichen Interessen, in rücksichtsloser Wahrheitsliebe. —
Jeder Ihrer Schüler, der von Ihnen geht, nimmt es als bleibenden
Gewinn mit sich, die Verschmelzung solcher Eigenschaften mit den
reichsten Gaben der Natur zu harmonischer Einheit verkörj)ert
gesehen zu haben.
Und so bringen denn Schüler von Einst und Jetzt Beiträge
zu diesem Buche in der Empfindung, als pflückte Jeder eine Blume
aus seinem Garten zu einem Kranze, den wir Ihnen heute dar-
bieten, als Zeichen unserer aufrichtigen Freude, dass wir vor
Allen Sie den Unseren nennen dürfen, als einen Beweis unserer
unwandelbaren Verehrung, Dankbarkeit und Liebe.
Wien, im Oktober 1892.
Inhalts- Verzeichnis.
Seite
Ueber Hernia ventralis lateralis coiiyenita und ihre Bezielinngen zu Ileruia
luuibalis von Dr. Oscar Wyss, Professor in Zürich. Mitteilung aus
dem Züricher Kindersjtitale Eleonorenstiftung. Mit Tafel I u. II . . 1
Ein Beitrag zur Uterus-Chirurgie von I)r. Bichard Lumpe, Docent für
Cfehurtshilfe und Gynäkologie, an der MTener luiiversität .... 22
Zur chirurgischen Behandlung tuberkulöser Ellhogenerkrankungen im Kindes-
alter. Vom einer. Primarärzte des Erzherzogin i\Iaria-Theresia-8ee-
hospizes in 8. Pelagio hei Bovigno: Dr. iMax Scheimpflug . . . 3h
Die Zimgencarcinomoperationen der Klinik Prof. IMllroth’s von ISSl — 1892
von Dr. K. Büdinger, Assistent der Klinik 54
Weitere Erfahrungen und neue Versuche über die Narkose mit messbaren
Chloroformluftmischungen von Dr. Otto Kapiieler in Münsterlingen (17
Zur Frage der Schädeloperationen hei Epilepsie von Dr. Alexander F r än kel,
Privatdocent für Chirurgie in Wien 103
Zur Statistik und l’rognose der Verätzungen des Oesophagus und der im
Gefolge derselben entstehenden Strikturen von Doc. Dr. V. Kitter
von Hacker, Abteilungsvorstand des Erzh. Sophienspitals und der
allgem. Poliklinik in 'Wien 123
Colica processus vermiformis (Breuer'' von Dr. Arth. F. v. Hochstetter
(4Vr. NeustadD 138
Feber primäre Tuberkulose der Thränendrüse von Dr. Leopold IMüller,
Assistenten an Prof. Fuchs’s Augenklinik. iMit zwei Holzschnitten . 144
Beitrag zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des Larynx. Expe-
rimentelle Untersuchungen, von Dr. Michael Grossmann, Docent
an der "Wiener Universität. Mit (5 Holzschnitten 150
Laryngotomia transvei'sa von Primararzt Dr. Bohert Gersuny in AVien.
Mit 4 Holzschnitten 168
Die gesundheitliche Bedeutung der Zündholzfahrikation von Dr. F. Bis aus
Kloten hei Zürich 174
Ueber Erysipel der Harnblase von Dr. Anton B. v. Frisch, a. ö. Prf)fessor
<ler Chirurgie an der Universität zu M’ien 194
Ein Fall von Oesojihagus-Tracbealfistel und Stenose des Oi'sopbagus von
Dr. A. Brenner, Primararzt des allg. Krankenhauses in hinz a. d.
Donau. 3Iit 1 Abbildung im Text 206
■) Die Reihenfolge der Arbeiten ergab sieh ans der Zeit der Ablieferung derselben zum Drucke.
Seite
Vni Inhalts- Verzeiflinis.
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billroth in Wien im Laufe der
letzten 25 Jahre ans^efnhrten Laparotomien von Dr. Franz llansy
und I)r. Emil Knauer, Operateure der Klinik 212
lieber die Komplikation von Sclnvangerschaft, Gehurt und AVochenhett mit
Ovarialtumoren von Dr. Otto von AVeiss, Assistent an Hofrat Prof.
J)r. Gustav Braun’s Klinik in AMen 235
Ein Beitrag zur Kenntnis der hranchiogenen Geschvülste von Dr. Carl
Gussenhaner , Professor der Chirurgie in Prag. Mit Tafel III — AH 250
Beiträge zur Lehre vom Schilddrüsenkrehs von Dr. Hermann Hinter-
stoisser, Primararzt in Teschen, Schlesien 287
Heber die eigentlichen Sehnerventumoren und ihre chirurgische Behandlung
von Prof. H. Sattler in Leipzig. Alit Tafel ATI 314
Die Therapie der Coxitis tuberculosa an der Klinik des Herrn Hofrates
Billroth von Dr. Heinrich Thausing, Operateur der Klijiik Billroth.
Alit 3 Holzschnitten im Texte 352
Heber den Verschluss des Schenkelkanales hei Operationen von Schenkel-
hernien. Eine Studie. A"on Dr. Josef Fahr ic ins, Opei’ateur der
Klinik Billroth. Mit 4 Holzschnitten 3G0
Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropfoperationen
von Docent Dr. Anton Freiherr von Eiselsherg, Assistent der
Klinik Billroth 371
Beiträge zur Kenntnis der Tuho-Ovarial-Cysten von Prof. Dr. Alfons von
Eosthorn in Prag. Alit Tafel AHII und 15 Holzschnitten .... 394
Heber die an der Heidelberger chirurgischen Klinik ausgeführten Operationen
am Alagen und Darm von Prof. Dr. A". Czerny und Dr, AValter
Kindfleisch 422
Zur Chirurgie der Gallenwege von Dr. A. von AViniwartei^ Professor der
Chirurgie an der Universität Lüttich (Belgien) 479
Heber Darmausschaltung von Dr. Fritz A. Salzer, Professor der Chirurgie
in LHrecht 530
Das neue Billroth’sche Verfahren zur Behandlung intraperitonealer Echino-
coccen von Dr. Ferdinand Schüssler, ehemaligen Assistenten der
Klinik Billroth 542
Zur Radikaloj^eration des freien Leistejihruches von Prof. Dr. A. AVölfler
in Graz. Alit 11 Holzschnitten 552
Bericht über die an der Klinik Billroth seit dem Jahre 1884 operierten
Hydrocelen von Dr. Alfred Gleich, Operateiir der Klinik . . . (504
Heber eine eigenartige symmetrische Erkrankung der Thränen- und Mund-
speicheldrüsen von Prof. Dr. Johann Alikulicz in Breslau. Alit
Tafel IX und 5 Holzschnitten (510
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 1807 — 1892. Zusammen-
gestellt von Dr. G uido von Török (531
Erklärung der Abbildungen (509
Druckfehler (570
Ueber Hernia ventralis lateralis congenita
und ihre Beziehungen zur Hernia Innibalis
von I)r. Oscar >Vyss, Professor in Zürich.
Mitteilung aus dem Züricher Kinderspitale Eleonorenstiftung,
Tafel I u. II.
Am 5. Oktober 1891 wurde ein zehn Monate alter Knabe
in das Zürcher Kinderspital aufgenominen, der ausser einer Reihe
anderer Missbildungen, resp, Defekten, wie Hemiatropliia facialis,
Mikrophthalmie, Mikrotie, Mikrognathie auf der rechten Seite,
ferner Atresia ani mit anus praeternaturahs , sowie einer Heimia
scrotalis dextra auch noch eine Hernie in der rechten seitlichen
Bauchgegend, zwischen den Rippen und dem Darmbeinkamm,
hatte, wie ich eine solche an dieser Stelle bis dahin noch nie
gesehen habe. Da solche Fälle auch nach den Aufzeichnungen
in der Litteratur in der That selten sind, und mir in der Folge
eine genaue anatomische Untersuchung dieses Falles möglich
wurde, so scheint es mir nicht nur von Wichtigkeit für die Lehre
von den Defekten vom Standpunkte der Entwicklungsgeschichte,
sondern auch von Wert für den praktischen Arzt, insbesondere
für den Chirurgen zu sein, wenn die dabei konstatierten That-
sachen zu allgemeiner Kenntnis gelangen.
Der kleine Patient war das Kind eines 67 jährigen Weinberg-
besitzers und einer 27jährigen Mutter. Drei vor ihm geborene
Geschwister waren normal gebildet; ein Brüderchen ist im Alter
von 2 7a Jahren an Enteritis gestorben. Erbliche Belastung irgend
welcher Art liess sich nicht konstatieren; Potatorium des \’’aters
wurde zwar in Abrede gestellt, war aber doch wahrscheinlich
vorhanden. Schwangerschaft und Gel)urt verliefen vollkommen
normal und es wurde der Kleine bis gegen Ende September 1891
von der Mutter gestillt. Nachher bekam er Kuhmilch und erst
1
2
Oscar Wyss.
von da an musste wegen Verstopfung der Stuhl durch Medi-
kamente befördert werden. Krankheiten hat Pat. gar keine durch-
gemacht; die bestehenden Anomalien wurden alle schon bei der
Geburt wahrgenommen. Der Ernährungszustand des Kleinen war
ein sehr guter; sein Körpergewicht betrug 7500 Gramm.
Am 28. Oktober stellte ich, nachdem am 6. Oktober von
Herrn Dr. W. von Muralt bei dem Patienten die Operation der
Atresia ani und des anus praeternaturalis vorgenommen worden
und diese völlig geheilt waren, den Kleinen in der Zürcher pädia-
trischen Klinik vor, und nachdem die oben erwähnten Missbildungen
im Gesichte und am Kopfe besprochen worden waren, beschäftigte
uns begreiflicherweise die oben erwähnte Hernie in der rechten
Seitengegend sehr lebhaft. Dieselbe stellte einen in der rechten
seitlichen Bauchgegend zwischen Darmbeinkamm und unterer
Brustapertur sitzenden Tumor von der Grösse einer Mispel dar.
Unmittelbar unter dem Rande der untersten Rippe, genau zwischen
der vordem und hintern Axillarlinie wölbte er sich beim Schreien,
beim Sitzen, besonders stark und deutlich beim Anfassen des
Kindes unter beiden Armen und Emporheben des Körpers hervor:
vgl. Fig. I. In der Rückenlage dagegen verschwand er vollständig,
sofern die Atmung ruhig war und die Bauchpresse nicht in Aktion
trat. Der Tumor fühlte sich weich, elastisch an; er verschwand
unter dem Fingerdruck, wobei man sehr deutlich die Empfindung
hatte, dass ein lufthaltiges Organ (Darm) in die Bauchhöhle hinein-
ging. Ueber dem Tumor war beim Perkutieren heller tympani-
tischer Schall vorhanden. Der tastende Finger konnte unter der
untersten Rippe, genau seitlich, zwischen vorderer und hinterer
Axillarlinie durch die etwas schlaffe Haut in den Bauchwandungen
eine Lücke, ein rundes Loch, konstatieren, in welches man etwa
mit der äusseren Hälfte des Nagelgliedes eindringen konnte. Nach
oben wurde dasselbe durch den Rand der untersten Rippe und
unter dieser liegende weiche nachgiebige Teile begrenzt; nach
hinten durch einen straffen, dicken, kräftigen Muskelbauch, der
senkrecht von oben nach unten verlief und sich nach hinten
direkt bis an die Wirbelsäule als eine ununterbrochene derbe Muskel-
masse verfolgen liess. Nach unten konnte man den Darmbein-
kamm nicht durchtasten, sondern es bildeten hier, und in ganz
gleicher Weise nach vorne, schlaffe weiche Teile den Abschluss
der Lücke. In der Tiefe konnte man kein Organ durchfühlen.
Entfernte man den tastenden Finger, so trat sofort wieder deut-
lich der Darm durch die Oeffnung heraus. —
Dass es sich um eine Hernia handle, darüber konnte gar
Ueber Hernia ventralis lateralis congenita.
kein Zweifel sein, da sich die Geschwulst und di
Bauch Wandungen genau so verhielten, wie etwa eine entsprechend
grosse Nabelhernie und ihr Bruchring oder wie eine Hernia lineae
albae; nur mit dem Unterschied, dass die Ränder des Bruchringes
nicht überall so gleichmässig, derb und fest anzufühlen waren
wie bei jenen Hernien, sondern nach vorn und unten weich, nach
hinten und nach oben derb. Im übrigen zeigte das Abdomen,
abgesehen von einer stark apfelgrossen Skrotalhernie, sowie sein
Inhalt nichts Abnormes. Seine Grösse war eher unter dem Mittel.
In der linken seitlichen Bauchgegend liess sich nichts Aehnliches,
überhaupt nichts Abnormes auffinden. — Die Leber und die
Milz waren normal gelagert, normal gross und ebenso ergab die
Perkussion und Auskultation der Brusteingeweide durchaus nor-
malen Befund.
Bei der klinischen Besprechung stellte ich die Diagnose
auf Hernia lumbalis congenita, betonte die sehr grosse
Seltenheit dieser Affektion: Prof. PI. Braun hat bis zum Jahre 1879
bloss 29 Fälle dieser Art gesammelt, während Dr. E. Graser^)
anno 1891 schreibt p. 127: es seien bisher im ganzen etwa 40 Fälle
beschrieben. Ich besprach an Hand der Darstellung von Dr.
Graser, die sich auf Prof. H. Brauns und Lesshaft s^) All-
heiten stützt, die anatomischen Verhältnisse dieser Hernien. Dass
in unserem Falle die Hernie nicht, wie die typische Hernia lum-
balis, durch das trigonum Petiti herausgetreten sei, war ganz un-
zweifelhaft; denn da das trigonum Petiti gebildet wird : nach innen
durch den Muse, latissimus dorsi, nach aussen durch den Muse,
obliquus abdomin. externus, nach unten durch den Darmbein-
kamm, man aber bei unserem Patienten entschieden den Darm-
beinkamm als Begrenzung des Bruchringes nach unten nicht
fühlen konnte, wohl aber nach oben deutlich die unterste Rippe,
so supponierte ich als Durchtrittsstelle für die Hernie das »obere
Lendendreieck«, auf das Lesshaft im Jahre 1870 als auf eine
»dünne Stelle in der Wand der Lendengegend« aufmerksam ge-
macht hat. Dieses Trigonum lumbale superius s. Rombus lum-
balis liegt gerade nach oben vom Trigonum lumbale inferius sive
Trigonum I’etiti und stellt einen dreieckigen oder unregelmässig
viereckigen Raum dar, der nach Lesshaft begrenzt wird durch
9 Die Hernia lumbalis von Dr. H. Braun, Professor in Heidelberg. Archiv
für klinisch. Chirurgie von Langenbeck, Billroth und Gurlt. Bd. XXIV. 201.
9 Die Unterleibsbrüche von Dr. E. Graser. Wiesbaden bei Bergmann 1891.
9 Die Lumbalgegend in anatomisch-chirurgischer Hinsicht von Dr. Lesshaft.
Reichert und Du Bois Raymond Archiv. 1870, p. 264.
4
Oscar Wyss.
folgende Muskeln und Teile : nach hinten durch den untern Rand
des musc. serratus posticus inferior und die Spitze der 12. Rippe
oder den vorderen Rand des liganientum-luinbo-costale; nach
unten durch den Musc. ohliquus internus; nach vorn durch den
hintern Rand des Musc. ohliquus externus und die SjDitze der
12. Rippe und nach innen durch den äusseren Rand der Scheide
des Musc. Extensor dorsi s. erector trunci. Graser beschreibt dieses
Dreieck p. 126 folgendermassen : Seine Basis wird nach oben be-
grenzt durch die 12. Rippe; sein innerer (hinterer) Rand durch
den Musc. sacrolumbalis , resp. den darunter liegenden Musc.
quadratus lumborum; der äussere Rand von der hinteren Grenze
des Musc. ohliquus abdominis internus; die Spitze des Dreiecks
liegt am Darmbeinkamme. »Nach hinten wird diese muskelfreie
Stelle zum grössten Teile vom Musc. latissimus dorsi bedeckt.«
Da man bei unserem Patientchen nach oben ausserordentlich
deutlich die unterste Rippe, nach hinten einen festen, derben in
senkrechter Richtung verlaufenden Muskelbauch fühlte, den jeder
andere Untersucher gleich mir als Musc. erector trunci (s. sacro-
spinalis) mit Musc. quadratus lumborum diagnosticierte, so schien
mir die Annahme, es sei die Hernie durch das trigonum lumbale
superius Lesshafts herausgetreten, die wahrscheinlichste und ich
stellte die Diagnose auf Hernialumbalis superior. — Aller-
dings habe ich mir und meinen Schülern nicht verhehlt, dass
diese Diagnose mich nicht ganz befriedige. Namentlich machte
ich mir den Einwand, und hob denselben auch in der Klinik
hervor, dass eine durch die »schwache Stelle Lesshafts« hindurch
tretende Hernie weiter nach hinten, mehr gegen den Rücken hin
sitzen sollte. Aber da die Hernie dicht vor der nun einmal nicht
anders denn als Muscul. erector trunci cum musc. quadrat.
abdom. diagnosticierten Muskelmasse hervortrat, fand ich keine
andere Erklärung dieser Sjunptome und deshalb blieb ich bei
jener Diagnose stehen.
In der Folge machte Herr Dr. W. von Muralt (am 3. Nov.)
bei dem Patienten die Radikaloperation der Hernia scrotalis und
zwar mit bestem Erfolg. Sie heilte per primam. Leider bekam
aber Pat. dann in der Folge eine Pneumonie mit Herpes labialis und
zweifelsohne von letzterem ausgehend noch ein Erysipelas faciei
und starb am 18. November 1891.
Bei der am 18. November 8 Stdn. p. m. vorgenommenen
Sektion konstatierte ich:
Assymmetrie des S chäd eis ; die rechte Hälfte kleiner als die linke.
Die rechte Hälfte des Gehirns kleiner als die linke ; das linke
Ueber Heniia ventralis lateralis congenita.
5
Cerebellum kleiner als das rechte; Pons und medulla oblongata
etwas assymmetrisch ; der rechte Nerv, opticus kleiner als der linke.
An der Lunge fiel die abnorme Kleinheit des rechten Lungen-
lappens auf; es fehlte der ganze Mittellappen. Links waren die
obern zwei Drittel des Unterlappens pneumonisch infiltiert. Die
Leber zeigte im rechten Lappen eine senkrecht verlaufende Rippen-
furche. Unterleibsorgane sonst unverändert ; die Hernia ing. dext.
operata geheilt; keine Spur von peritonitischen Veränderungen. In
der rechten Bauchgegend dicht unter dem Rippenbogen fühlte
man auch von innen her deutlich die Bruchpforte in ganz analoger
Weise wie von aussen: eine rundliche Lücke in der Muskulatur
der seitlichen Bauchwand nach oben. Ihre Breite (von rechts nach
links) betrug 17 mm; ihre Höhe 30 mm. Entsprechend dieser
Lücke zeigte das Peritoneum eine schlaffe, flache Ausstülpung
ohne sonstige Veränderung. Hinter dieser Stelle lag und hatte
unzweifelhaft den, Inhalt der Hernie intra vitam gebildet ein luft-
haltiges nach vorn umgebogenes Stück des Colon ascendens ; sonstige
Veränderungen waren am Darm nicht nachweisbar, namentlich
keine Erweiterung und keine Veränderung des peritonealen Ueber-
zuges. Weiter nach unten lagen Dünndarmschlingen. Die Lagerung
der Baucheingeweide war durchaus normal.
Nachdem die Rückenhaut abpräpariert, und die Muskeln
blossgelegt worden cf. Fig. II, fällt eine intra vitam nicht konstatierte,
winklige Scoliose der Wirbelsäule resp. Abweichen einiger processus
spinosi nach rechts von der Medianlinie auf. Während sowohl
die processus spinosi der Lendenwirbel als auch diejenigen der
obern Hälfte der Rückenwirbelsäule normal und gerade über-
einanderstehen, weichen die proc. spinosi der 3 untern Brustwirbel
stark nach rechts ab und am obersten Lendenwirbeldornfortsatz
findet sich ein nach links oben aussen gerichteter Anhängsel fast
wie ein anderer damit verwachsener processus spinosus. Die rechte
Hälfte des Thorax erscheint bei der Betrachtung von hinten
bedeutend kleiner als die linke, namentlich kürzer, doch auch
etwas schmaler. Während links 13 Rippen gezählt werden, zähle
ich rechts deren nur 12. Allem Anschein nach aber fehlt rechts
die unterste Rippe; denn die letzte Rippe links ist kürzer als die
letzte rechts, welch letztere sich überhaupt sonst wie die zweit-
letzte Rippe linkerseits, in Berücksichtigung ihrer Lage, Länge,
Dicke und in ihrer ganzen übrigen Beschaffenheit verhält. Die
oberflächliche Fascie über dem rechten Musculus erector trunci
(s. Opisthotenar s. sacrospinalis) ist dicker und nach oben breiter
als über dem linken Muskel gleichen Namens. Sie geht nach
6
Oscar Wyss.
oben in eine in der Höhe des proc. spinös, des ersten Lenden-
wirbels liegende, sichelförmige nach oben concave, nach unten
convexe, den Raum zwischen obersten Lendenwirbel und rechter
unterer Apertur des Thorax überbrückende derbe weisse Sehne über
(Fig. II s.). L etztere entspricht in ihrer Lage der letzten Rippe
der linken Seite. Diese Sehne ist nach oben weniger, nach unten
stärker ausgezackt und es setzen sich an dieselbe an: nach oben
und innen die Fascie, die von den process. spinös, der untersten
Brustwirbel und dem Muse, cucullaris herkommt ; nach unten und
innen die bereits erwähnte Fascie des Muse, erector trunci resp.
letzterer selbst; nach aussen und oben der Muscul. latissimus dorsi;
nach aussen und unten der Muscul. obliquus abdominis externus.
Der Muse, erector trunci ist rechterseits etwas schmaler als links ;
unmittelbar an ihn schliesst sich, wie in der Norm der Muse,
quadratus lumborum an. Nach aussen von letzterem ist rechts
ein deutliches trigonum Petiti von 5 mm Breite, 18 mm Höhe
vorhanden. Dasselbe ist aber dadurch abnorm, dass seine hintere
Begrenzung nicht durch den Muse, latissismus dorsi, sondern durch
den Muse, quadratus lumborum gebildet wird. Die normaler Weise
von der crista ossis ilei entspringende Portion des Muse, latissimus
dorsi dext. fehlt vollständig; ebenso wenig gehen Muskelfasern
vom untern Teile der fascia lumbodorsalis zum Muse, latissimus
dors. hinauf; nur von der erwähnten sichelförmigen Fascie oder
Sehne (s) , sowie von den Rippen entspringende Muskelbündel
stellen den rechtsseitigen Muse, latissimus dorsi dar. Links ist kein
Trigonum Petiti vorhanden, indem der Müsc. obliquus abdom. ext.
bis an den Muse, latissimus dorsi sin. heranrückt, ja sogar die
vom Darmbeinkamm entspringende Portion ein klein wenig über-
deckt. Dagegen ist die Verbindung des M. latissim. dorsi sin. mit
dem Muse, erector trunci resp. der fascia superfic. sacrospinalis
nicht so intim, wie unter normalen Verhältnissen; durch die
schmale Lücke sieht man den Muse, quadrat. lumbor sin. durch
(Fig. 2. q. 1. s.). Die Portion des Muse, latissim. dorsi sin., die vom
Darmbeinkamm entspringt, ist ziemlich dünn, 15 mm breit (von
r. nach li.). — Der Muse, obliquus abdomin. extern, sinist.
beginnt 18 mm nach aussen vom Rande des linken erector trunci
am Darmbeinkamm und geht als 8 cm breiter, in normaler Weise
die Bauchwand abschliessend nach aussen und vorn und nach
oben, Darmbeinkanmi und untere Thoraxapertur resp. Brustkorb
verbindend. Sein innerer Rand ist an der Insertionsstelle an der
untersten Rippe 5,5 cm von den proc. spinös, lumb. entfernt. Rechts
entspringt der Muse, obliquus abdomin. ext. am Darmbeinkamm
lieber Hernia ventralis lateralis congenita. ^
in einer Entfernung von 15 mm vom mu-scul. erector trunci; sein
weiterer Ursprung vom genannten Knochen erstreckt sich in gewohnter
Weise nach vorn. Aber sein Muskelbauch ist durch die irii Bereiche
dieses Muskels hervortretende Hernie resj). Vorstülpung des Perito-
neum parietale förmlich in zwei Portionen, nämlich eine hintere und
eine vordere, getrennt, deren Grenzen anfänglich schwer bemerkbar
waren, weil eine reichliche Menge Fettgewebes in der Muskellücke
angehäuft war, resp. die Lücke verdeckte. Nach Wegpräparation
des letzteren ergiebt es sich, dass die hintere Portion des Muse,
abdom. obliq. extern, einen 25 mm breiten Muskelbauch darstellt,
der in der Richtung von unten und vorn vom Darmbeinkamm
schräg nach hinten und oben nach der früher beschriebenen
sichelförmigen Sehne (s) ansteigt, um dort 2,5 cm von der Mittel-
linie der proc. spinös, entfernt sich zu inserieren. Die vordere
Portion des Muse, obliq. ext. dagegen geht in der Richtung von
unten nach oben nahezu parallel der Körperaxe und setzt sich an
eine Verlängerung jener Sehne Fig. II. s. nach vorne an, welche
nach aussen als derbe Fascie die Mitte der untersten Rippe
kreuzend nach oben und vorne sich hinzieht, sowie auch an die
vordem Partien der untern Rippen. Die Breite dieser vordem
Portion des Muse, obliq. abdom. ext. beträgt 17 mm und sie er-
scheint dünner und schwächer als die hintere. Die grosse schlitz-
förmige Lücke zwischen diesen beiden Muskelportionen wird
nach unten durch eine dreieckige Muskelmasse im Grunde der
Lücke abgeschlossen, nämlich durch den Muscul. trans versus
abdom., der hier in einer Ausdehnung von 20 mm Breite und
22 mm Höhe sichtbar ist. (Vor der Beseitigung des Fettgewebes
war er durch dieses verdeckt.) Oberhalb dieses Dreiecks findet
sich ein von jeder Muskelschicht freies Loch, das in der Richtung
von vorn nach hinten 35 mm, in vertikaler Richtung 25 mm
misst. Die Begrenzung dieses Loches, der Bruchpforte, findet
somit statt: nach hinten durch die portio posterior des musc.
obliq. abd. ext.; nach unten direkt durch den musc. transversus
abdominis, nach vorn durch die portio anterior des musc. obliq.
abd. ext. ; nach oben direkt durch den sich umbiegenden eben
genannten Muskel, indirekt durch die unterste Rippe. Der Musc.
transversus abdom. begrenzt unten die Lücke durch eine nach oben
concave Linie ; er verdünnt sich allmählich gegen seinen obern Rand
hin so, dass da und dort infolge Auseinanderweichens von Muskel-
bündeln mehrere Lücken bemerkbar sind (vgl. Fig. HI). Weiter
nach vorn ist die etwas weiter nach unten liegende fächerförmio-e
Ausbreitung des Musc. abdomin. internus zwischen vorderem Rande
8
Oscar Wyss.
des Muse, abdom. extern, und äusserem Kande des Muse, rectus
abdominis deutlicli wahrnehmbar und es wurde selbstverständlich
dm-ch genauere Präparation das Verhalten dieses Muskels gegen
den Muse. abd. intern, untersucht. Letzterer Muskel ist im Ver-
hältnis zum Muse, abdom. ext. dünn und schwach entwickelt.
Die obere und hintere Partie, die von der fascia lumbodorsalis
entspringt und gegen die Spitze der 12., sowie den untern Rand
der 11. Rippe hingehen sollte, und die auf der linken Seite gut
entwickelt ist, fehlt rechterseits vollständig. Eine kleine dreieckige
Inscriptio tendinea trennt nach vorn den Musculus abd. internus
vom musc. transversus ; während weiter nach hinten unter der vordem
Portion des Musc. abdomin. extern, die beiden Muskeln einander
seitlich direkt berühren.
Alle Zweifel über das Verhalten des Muscul. abdomin. trans-
versus dext. werden gehoben durch die Betrachtung der Muskulatur
von innen, d. h. von der Bauchhöhle aus. Fig. IV giebt hievon
eine Skizze. Hier sieht man deutlich nach unten von der Lücke
in der Bauchwand den Musculus transversus abdominis mit der
verdünnten und rareficierten Muskelschicht. Nach oben von der
Hernie sowohl dünne rareficierte Muskulatur als auch eine etwas
dickere resistentere Partie, die dem M. transversus angehört. Die
Insertionsstelle des Musc. transv. abdom. dext. reicht nach hinten
bis hart an den Muscul. quadratus lumborum heran, während
links ein 1,5 cm breites Interstitium vorhanden ist, in dem, wie
unter normalen Verhältnissen, der Musculus latissimus dorsi
bemerkbar ist. Dass der Faserverlauf des Musc. transv. abdomin.
rechts nicht ein so gerader ist wie links, sondern durch die Hernie
nach unten (resp. nach oben) gebogen erscheint, ist begreiflich.
Dass auch von innen her am Präparate der Musc. abdom. intern,
besonders bei durchfallendem Lichte wahrnehmbar ist (in der
Zeichnung aber nicht skizziert wurde), sei ausdrücklich erwähnt
und ausserdem ist nach vorn und oben eine Muskelplatte sichtbar,
die zweifelsohne dem Musc. abdom. ext. zukommt. Der Muscul.
quadratus lumborum erscheint rechts etwas schmaler, aber dicker
als links ; während er links seine beiden Insertionsstellen an der
Wirbelsäule und an der letzten Rippe deutlich zeigt, fehlt rechter-
seits die portio costalis und ist nur die an den Seitenflächen
der Wirbel und dem processus transv. sich inserierende Portion
vorhanden.
An dieser Zeichnung Fig. IV ist ferner, wie übrigens auch in
Fig. HI und II der Durchtritt von Blutgefässen durch die Hernie
wahrzunehmen : es sind die unterste Art. und V. intercostalis ; ebenso
Ueber Hernia ventraliH lateralis congentia.
9
die früher erwähnte Anomalie des Brustkorbes und eine Difiormität
der Wirbelsäule, die darin besteht, dass ein abnorm gebildeter
Wirbel auf der rechten Seite eine, auf der linken Seite zwei Rippen
trägt. — Ferner sieht man auch von der Innenseite der Bauch-
wandungen her die nach hinten und etwas nach oben von der
Bruchpforte befindliche Sehne, über der auch hier keine Muskel -
Schicht hegt (Fig. IV S.).
Obwohl in keiner Beziehung zu der Hernie stehend, ist doch das
Verhalten des Muse, serratus posticus infer. noch erwähnenswert.
Links ist derselbe in normaler Weise vorhanden; er entspringt von
der fascia lumbodorsahs und inseriert sich in Form zweier breiter
Zacken an die beiden untersten Rippen. Die Breite der letztem
beträgt, senkrecht zum Faserveiiauf gemessen, für die äussere
Portion 18 mm, für die innere Portion 26 mm, in Summa also
43 mm. Rechts ist der Muse, serratus postic. infer. nur einzackig,
und diese Zacke entspringt zum Teil von der Fascie über dem
musc. erector trunci z. T. von der sichelförmigen sehnigen Fascie
und geht nach aussen und oben schräg ansteigend zur untersten
Rippe. Die Breite dieses Muskels beträgt bloss 13 mm, die Länge
entsprechend der innern, sich an die zweitunterste Rippe inserierende
Zacke dieses Muskels auf der andern Seite. Nach aussen und
unten von diesem defekten Muskel der rechten Seite liegt der
Fascie eine sehr dünne, blasse, schwache unzusammenhängende
Schicht Muskulatur auf : ohne Zweifel ein ganz schwaches Rudiment
der äussern untern Zacke.
Aus dem Mitgeteilten geht klar hervor, dass in unserem Falle
die Hernie zwischen Brustkorb und 'Darmbeinkamm dadurch zu-
stande gekommen ist, dass Defekte in verschiedenen Bauch-
muskeln vorhanden sind, welche zusammenwirkend eine
Lücke in der Bauchwand bedingen und so die Genese der
Hernie begreiflich machen. Es beteiligen sich an dieser Lücken-
bildung folgende drei Muskeln :
1. der Muscul. obliquus abdominis externus s. descendens.
2. der Muscul. obliquus abdominis internus s. ascendens.
3. der Muscul. transversus abdominis.
Der Musc. obliquus ab domin. ext. entspringt normaler
Weise, wie Lesshaft 1. c. angiebt: a) vom untern Rand der 11. bis
5. Rippe; b) von der Spitze oder zuweilen von der fibrösen Ver-
längerung der 12. Rippe, gewöhnlich mit einer kleinen Sehne;
c) einige schräge Fasern von der fascia lumbodorsahs. Er inseriert
sich an die äussere Fläche der crista ossis ilei. In unserem Falle
sind die Ursprünge sub a. normal; die sub b. genannten offenbar
10
Oscar Wyss.
vorhanden, aber anstatt »von der 12. Rippe oder deren fibrösen
Verlängerung« auszugehen, entspringen sie nur von einer fibrösen
Haut von sehniger Beschaffenheit, sichelförmiger Gestalt etc., wie
oben beschrieben Fig. II, s. Fig. III, s. Fig. IV S. Der Zusammen-
hang dieser Portion des Muse. obl. abd. ext. mit dem vorderen
Teil ist nach oben diskontinuierlich, nur unten an der crista ossis
ilei kontinuierlich. Ein Ursprung, der vom untern Teil der fascia
lumbodorsal. superfic. ausgeht, ist nicht nachweisbar; es könnte
aber der eben erwähnte Teil auch als solcher betrachtet werden,
da wie früher erwähnt worden (p. 6) die sichelförmige Sehne (Fig.
II. s.) direkt in die fase, lumbodors. übergeht, resp. eine seitliche
Verlängerung der letztem darstellt. Aber diese Portion kann wie
aus Lesshafts Schilderung hervorgeht, nur eine schmale und un-
bedeutende sein, da andere Autoren wie Ilyrtl, Gegenbauer
ihrer gar nicht gedenken, und Henle p. 55 Handbuch der Muskel-
lehre, davon sagt: »zu welchen sich nicht selten noch eine schmälste
Zacke . . . unten von dem lig. lumbodorsale in der Verlängerung
des Querfortsatzes des ersten Bauchwirbels gesellt« und als solches
p. 56 Fig. 23 abbildet. Es muss aber wohl angenommen werden,
dass vom Muse, obliquus abdomin. ext. jene Partie fehlt, welche
normalerweise sich an die sehnige Verlängerung der zwölften Rippe
inseriert; dass aber die Partie vorhanden ist, welche sich an die
fascia lumbodorsahs und an die zwölfte Rippe inseriert. Weil
aber diese letzte Rippe fehlt, und an ihrer Stelle nur eine
Sehnenplatte, die sichelförmige Fascie, s. Fig. II, vorhanden ist,
welche gegen die Wirbelsäule hin mehr retrahiert blieb , weil
das Längenwachstum der Rippe die daselbst fixierten Weichteile
nicht nach aussen fortbewegte, wurde die Insertionsstelle des ge-
dachten hintern Abschnittes des Muse, obliq. abd. ext. in abnormer
Weise näher gegen die Wirbelsäule hin fixiert, während die vordere
Portion des Muskels normal gelagert blieb: und so kam die Lücke
in dem Muskel zu Stande.
Der Muscul. obliquus abdominis internus entspringt
normaler Weise a. von der crista ossis ilei; b. vom oberflächlichen
und tiefen Blatt der fascia lumbodorsahs und geht hinten steil
aufsteigend zum knorpeligen Ende der letzten Rippe, dann zum
Knorpel der 11. Rippe oder auch der 10. Rippe und so fort bis
zum lig. Poupartii. Nur die hintern Partien interessieren uns. Bei
unserem Patientchen ist auf der linken, normalen Seite der Muse,
obl. abd. int. ganz normal, und er erstreckt sich in seinem Ur-
sprung von der Crista ossi silei so weit nach hinten als nur möglich;
vide Fig. V. Seine hintern Faserbündel inserieren sich etwa
lieber llernia veutralis lateralis congenita.
11
senkrecht aufsteigend in der Mitte der letzten Rippe. Ganz anders
recht erseits. Hier sind die hintersten Ursprungsfasern des Muse,
obliquus abdominis int. unter der hintern Portion des M. obliq.
abd. ext. etwa in der Mitte des Darmbeinkammes vorhanden ; sie
gehen nach vorne; keine Spur der von der hintern Hälfte der
crista ossis ilei sowie der von der fascia lumbodorsalis entspringenden
und der an die Rippen sich inserierenden Partie des Muskels ist
vorhanden. Man kann sagen, dass etwa die hintere Hälfte
dieses Muskels gänzlich fehlt.
Der dritte in Betracht kommende Muskel ist der Muse,
trans versus abdominis. Derselbe entspringt normaler Weise
a. von der 7. bis 10. Rippe; sehnig vom untern Rande der 11. und
der Spitze der 12. Rippe; b. von der facia lumbodorsalis und
zwar von deren oberflächlichem, mittlern und tiefen Blatt und
c. vom Innenrande der crista ossis ilei. Die Betrachtung der
Fig. IV, die möghehst genau das ausgebreitete Präparat reproduciert,
giebt Aufschluss über das Verhalten des in Rede stehenden Muskels.
Links ist er als continuierliche Schicht sichtbar; da nach aussen
vom Muse, quadratus lumbor. die tiefe Schicht der Fascie weg-
präpariert ist, sieht man hier den Muse, abdoin. obliq. int. in
seinem hintersten Abschnitte, der rechterseits vollständig fehlt.
Der Muse, transversus abd. erscheint daher hier dem Muse, qua-
dratus lumborum bedeutend genähert. Nach unten am Darmbein-
kamm sird normale Verhältnisse. Nach oben sieht man von der
Inscriptio tendinea aus sowohl nach unten als auch nach oben
von der Bruchpforte Fasern des Muse, transversus abd. nach vorn
sich hinziehen, so dass wohl auch in diesem Muskel, direkt
nach vorn an der sehnigen Platte ein Defekt anzunehmen
ist; doch ist derselbe verhältnismässig viel unbedeutender, als an
den zwei vorher geschilderten Muskeln.
Die Lücke in der Bauchwand, welche den Durch-
schnitt der Hernie gestattet, ist demnach bedingt durch
einen Defekt im Muscul. obliq. abd. ext. in dessen äussern
(lateralen) Partie; durch Defekt der hintern Hälfte des
M. obliq. abd. int. und einen kleinen Defekt im Muse-
«
transvers. abd.
Dass diese Defekte das primäre, die Bruchbildung das se-
kundäre ist, und nicht etwa umgekehrt, darf mit Bestimmtheit aus
der Anwesenheit anderer Muskeldefekte erschlossen werden, die
wir in dem beschriebenen Präparate nachgewiesen lialien und die
an der Bildung der Hernie keinen Anteil genommen haben. Diese
Defekte sind:
12
Oscar Wyss.
a. der Mangel der Portion des Muse, latissimus dorsi, die von
der äussern Fläche der crista ossis ilei entspringt und wohl auch
eines Teiles der Fasern, die ihren Ursprung von der fascia lumbo-
dorsalis nehmen, sowie der Bündel, die von der Spitze der letzten
Rippe und ihrem fibrösen Fortsatz ausgehen.
b. der Mangel der untersten Zacke des Muse, serratus posticus
inferior.
c. der Mangel der (normal) an den innersten Teil des untern
Randes der 12. Rippe sich inserierenden Muskelbündel des Muscul.
quadratus lumborum.
Endlich könnten noch die Mm. intercostales zwischen den
untersten Rippen angeführt werden; so dass also als mehr oder
weniger defekt zu bezeichnen sind 8 Muskeln ; und zwar der Muse,
latissim. dorsi; der M. serratus postic. infer., der Muse, quadratus
lumbor., der Muse, obliq. abdom. ext., der Muse, abdom. int., der
Muse, transversus abdom., der Muse, intereost. intern, und Muse,
intercost. extern.
Somit sind sämtliche Muskeln, welche sich normaler
Weise an die unterste Rippe inserieren, mehr oder we-
niger defekt; so dass gewiss der Schluss erlaubt ist, es sei
dieser Defekt der Muskeln abhängig von dem Defekt der
untersten Rippe. An der Stelle der untersten Rippe ist nur eine
fibröse Haut, an der sich ein Teil der Muskelbündel inseriert, die
sich sonst an die letzte Rippe ansetzen , während die übrigen
Muskelbündel fehlen. Da, wie früher bereits angegeben, rechts
die unterste Rippe in jeder Beziehung sich ganz analog wie die
zweitunterste Rippe auf der linken Seite verhält, diese aber trotz-
dem sie als die 12. gezählt wurde, sich in jeder Hinsicht genau
so wie die normale 11. Rippe verhält, so wird man annehmen
müssen, dass rechterseits die unterste (12.) Rippe fehle und, trotz-
dem sie der Zahl nach die 12. ist, doch ein Defekt der untersten
Rippe vorliegen müsse. Dieser Defekt ist offenbar abhängig von
einer Anomalie der Wirbelsäule, die wir, wenn sie genauer unter-
sucht sein wird, beschreiben werden.
Epicrise.
Die Sektion und die genauere anatomische Untersuchung
haben im vorliegenden Falle also ergeben, dass in der That eine
Hernie in der rechten Seitengegend des Körpers vorliegt, und dass
diese Hernie durch eine Lücke dicht unterhalb der untersten Rippe
herausgetreten ist. Die auffallende Erscheinung, dass die Hernie
lieber Hernia ventralis lateralis congenita.
13
so weit nach aussen ihren Sitz hatte, erklärt sich vollkommen da-
durch, dass die Bruchpforte nicht wie ich angenommen hatte, am
trigonum (s. rhombus) lumbale superius Lesshafts, sondern weiter
nach aussen sitzt. Dass wir von der Bruchpforte aus nach oben
die letzte Bippe fühlen konnten, wär richtig; dagegen war die
Annahme, der nach hinten abtastbare, straff gespannte, dicke
Muskelbauch sei Muse, erector trunci s. Opisthotenar mit Quadratus
lumborum nicht richtig. Es war die hintere Portion des Muse,
obliquus abdoniin. ext., die sich direkt an die eben genannte Mus-
kelmasse anschloss und mit ihr ein Ganzes bildete. Die Lücke
befand sich weiter nach vorn als die »vorschriftsgemässen« Lumbal-
hernien. Die in neuerer Zeit beschriebenen Fälle von Braun und
J. Wolff* waren wenig geeignet unsern Fall aufzuklären, weil der
von ersterem beschriebene Fall in eine Kategorie gehört, zu der
unser Fall nicht hingehörte, indem in beiden Fällen die Bruch-
pforte dicht über dem Darmbeinkamm lag, in unserem Falle da-
gegen dicht unter der untersten Rippe. So viel ist unzweifel-
haft, dass unser Fall, wie er sich klinisch als eigenartig
repräsentierte, dies in ebenso hohem Grade in anato-
mischer Hinsicht thut.
Es hat Braun in seiner oben citierten Ai'beit pag. 223 die
Ansicht ausgesprochen, dass bei den congenitalen Fällen von Hernia
lumbalis Defektbildungen der Bauch wand Vorgelegen haben; eine
Ansicht, die in J. Wolff einen Widersacher gefunden hat, der 1. c. sagt:
»für die congenitalen Hernien andere anatomische \^erhältnisse an-
zunehmen, als füi- später erworbene . . . liegt keine Veranlassung
vor. Braun’s Vermutung, es liegen Defekte der Bauchwand vor,
entbehrt der thatsächlichen Basis.« Dass Braun richtig vermutet
hat, beweist unsere Beobachtung, die allerdings, wie wir gleich
erörtern werden, nicht wirklich eine Lumbalhernie darstellt, aber
allenfalls doch noch zu der Gruppe von Hernien, die Braun als
solche zusammengestellt hat, gezählt werden dürfte. Unter diesen
Fällen finden sich auch solche, die unter der Bezeichnung Hernie
inter costo-ihaque (Larrey) unter Hernie sus-iliaque (Hugnier) pu-
bliciert worden sind und von denen wenigstens erstere wahrschein-
lich nicht zu den Lendenhernien zu zählen sind.
Als Lendenhernien dürften nur solche Brüche bezeichnet
werden, die in der Lendengegend hervortreten. Nun liat sich in
den letzten 20 Jahren der Begriff der »Lendengegend« wie uns
scheint bei den Anatomen etwas geändert oder, wenn es gestattet
ist zu sagen, verfeinert; diese Gegend wird heute schärfer begrenzt
als früher.
14
Oscar Wyss.
Lesshaft 1. c. p. 267 schreibt anno 1870: Die Lmnbal-
gegenden sind nach innen durch die Dornfortsätze (»Darm«fort-
sätze ist offenbar ein Druckfehler) des 2.-5. Lumbalwirbels begrenzt.
Nach oben werden sie durch eine vom Dornfortsatze des 2. Lenden-
wirbels, nach aussen über däs äussere Ende der 12. Rippe bis zur
11. Rippe gehende Linie begrenzt; diese Linie kreuzt sich mit der
letztgenannten Rippe auf der Stelle, wo das äussere Dritteil dieser
Rippe sich mit dem nach innen und oben gewandten mittlern
Drittel verbindet. Nach aussen reichen diese Regionen bis zu
einer Linie, die man vom Ende der 11. Rippe vertikal nach unten
zur Crista ossis ilei führt. Die untere Grenze endlich wird von
dieser crista gebildet, von dem Punkte angefangen, wo sie sich
mit der eben genannten Linie verbindet, nach hinten bis zur spina
posterior superior ilei. Jede dieser Regionen kann man noch in
eine äussere und innere Hälfte teilen (Regio lumbalis lateralis et
medialis) und die Grenze zwischen diesen beiden Teilen wird vom
äussern Rande des Muse, extensor dorsi trunci communis gebildet.
Diese Teile unterscheiden sich dadurch , dass sich bei magern
Subjekten in der äussern Hälfte dieser Region (Regio lumbalis
laterahs) eine Vertiefung oder sogar längliche Grube vorfindet,
während deren innere Hälfte (Reg. lumb. mediahs) von aussen nach
innen convex hervorsteht.
Neuerdings aber bezeichnen die Anatomen z. B. Stöhr^), Rü-
dinger^), Heitzmann^) nur die Gegend, welche zwischen der
12. Rippe und Darmbeinkamm und zwischen den proc. spin. der
Lendenwirbel und einer senkrechten , die von der Spitze der
12. Rippe vertikal nach dem Darmbeinkamm hingezogen wird, als
regio lumbalis ; was nach aussen davon ist und früher regio lum-
balis lateralis hiess, wird als regio iliaca oder als regio hypochon-
driaca (Heitzmann) bezeichnet. Diese erstreckt sich nach vorn bis
zur verlängerten Mamillarlinie oder etwas nach aussen von dieser.
Acceptieren wir diese jetzt von den Anatomen allgemein ange-
nommene Begrenzung der Regio lumbalis, so können wir unsere
oben beschriebene Hernie unmöglich dem Begriff der Hernia lum-
balis subsumieren, sondern wir werden sie als Hernie der Regio
iliaca s. hypochondriaca bezeichnen; oder was uns behufs Ver-
meidung von Irrtümern zweckmässiger erscheint, als Hernia
ventralis lateralis; und da es sich um einen angebornen
Bruch handelt, als Hernia ventralis lateralis congenita.
*) Mündl. Mitteilung.
2) Cursus der topogr. Anatomie. München. 1891. Tab. I.
”) Descriptive u. topogr. Anat. Atlas. VI. Aiifl. Tab. 20 u. S. 148.
lieber Hernia ventralis lateralis congenita.
15
Auch der Name Hernia liypochondriaca congenita wäre nach der
angedeuteten Topographie denkbar. Aber er scheint uns deshalb
weniger passend, weil die regio hypochondriaca sowohl früher
allgemein als auch in neuester Zeit von einigen weiter nach vorn
verlegt wurde, nämlich nur in die Gegend dicht unter dem Rippeiu
bogen oder auch über denselben, so neuestens von Rüdinger
1. c. und hier durchaus nicht identificiert wird mit der regio iliaca,
wie das von Heitzmann geschieht. Wie viele von den bisher pu-
blicierten Hernien der Lendengegend nun von dei' »Hernia lum-
balis im engem Sinne« abzutrennen wären, scheint mir eine Frage,
die bei der meistenteils zu wenig genauen Beschreibung des
Sitzes etc. der Geschwulst nicht entschieden werden kann. Nur so
viel scheint mir wahrscheinlich, dass der von Braun sub Nr. 8 in
seine Casuistik auf genommene Fall, und der von A. Coli es im Mai
1829 beobachtet worden ist, sehr ähnlich unserem Falle, ja mög-
licherweise identisch mit dem unsrigen sein dürfte.
»Colles beobachtete ein 3 Jahre altes Mädchen, welches in
der linken Seite eine Lendenhernie von der Grösse einer Taschen-
uhr hatte, die leicht reponiert werden konnte. Die Geschwulst
war gleich bei der Geburt des Kindes beobachtet worden, aber
seit damals gewachsen. In der letzten Zeit hatte sich eine Diffor-
niität ausgebildet, indem die rechte Seite an Völle zunahm, die
linke in der Höhe des Tumors concav wurde. Der Gebrauch der
Beine war ein vollkommener.«
Es ist in diesem Falle zwar der Sitz der Geschwulst auch
nicht genau angegeben; nur der Umstand, dass in einem Alter
(3 Jahre) in dem gewöhnlich Scoliose in auffallenderem Grade noch
nicht beobachtet wird, hier anscheinend konstatiert wurde; die
Concavität auf der Seite der Hernie lag und vielleicht auch die
rechte Seite des Thorax grösser war, als die linke: ganz analog
wie in unserm Falle, wo nur umgekehrt die Hernie auf der rechten
Seite sass, da die Concavität aber auch nach derselben Seite hin
gerichtet war und die linke Thoraxhälfte voller, umfangreicher,
die rechte dagegen kleiner, weil defekt war : legt uns die Annahme
nahe, es möchten die beiden Pdille gleichartig in der Art und
Weise der Entstehung der Hernie sein.
Wir finden beim Durchlesen der schönen Kasuistik, die
Braun gesammelt hat, noch einige Fälle, die möglicherweise ana-
loger Natur waren. Braun selbst sagt p. 223: es dürfte ausser in
dem eben angeführten Colles’schen PMlle auch in demjenigen
von Monro Defektbildung in der Bauch wandung Vorgelegen haben.
Das ist in der That auch wahrscheinlich. Aber dieser Fall bot
16
Oscar AVyss.
einmal beiderseits Hernien: weite Oeff nungen in den Lendenmuskeln,
durch welche beide Nieren hindurchgegangen waren ; jene wurden
nur durch die gemeinschaftlichen Bedeckungen überzogen und waren
so weit, dass die Nieren mit Leichtigkeit rej)oniert, aber schwer in
dem Unterleib zurückgehalten werden konnten. Wo aber in diesem
Falle die Lücken sassen, ob in der regio lumbaris im engeren Sinne
des Wortes, oder weiter nach aussen, ist nicht angegeben.
Dagegen interessiert uns in hohem Grade die Notiz Brauns
p. 202, dass Reneaulme de Lagarenne, essai d’un traite des
hernies nomees descentes 1726, angebe: ,,Dolee (Dolaeus) spricht
von einem Bruche, den er Lumbalbruch nennt, der zwischen den
falschen Hippen und der crista ilei liegt, entstanden durch Tren-
nung der Fasern der Musculi obliqui und des musc. transversus.
Er erscheint so sonderbar, dass man zweifeln kann, ob er ohne
vorhergehende Wunde entstehen kann.“ Fast möchte man glauben,
Dolaeus hätte unser Präparat in seinen groben Umrissen vor Augen
gehabt; aber es fehlt leider nicht nur jede genauere klinische,
sondern jede anatomische Beschreibung als Begründung der ge-
äusserten Vermutung. Dass es aber auch früher schon Aerzte
gab, die den Begriff der Hernia lumbalis mehr einschränkten, als
wie Braun, J. Wolff und andere gethan, beweist die Notiz bei
Braun p. 211 Anmerkung, dass Huguier gelegentlich der Mit-
teilung des Falles von Lumbalhernie von Hardy bei der Diskus-
sion erklärte : er halte diesen Bruch nicht für eine hernia lum-
balis, sondern »pom’ une hernie, qui s’est faite par une echancrure
congenitale ou acquise du bord superieur de l’os iliaque«. Huguier
würde also wohl auch den Fall von J. Wolff nicht als hernia
lumbahs aufgefasst haben, indem auch hier ein Defekt am Becken-
knochen vorlag, der mit zur Bildung der Hernie beigetragen hatte.
Wir hoffen also nach all dem Mitgeteilten, wir werden nicht
eines zu weit gehenden Dogmatismus bezichtigt werden, wenn wir
Vorschlägen, die Hernien, die analog, wie die von uns beschriebene,
zwischen crista ossis ilei und unterer Apertur des Brustkorbes gerade
nach aussen sitzen, in Zukunft nicht zu den Lendenhernien zu
rechnen, sondern als seitliche Ventralhernien aufzufassen. Wir
sind nicht der Ansicht, dass man die Diagnose der Hernia lumbalis
einfach so fixieren könne, dass man sagt : die in der regio lumbalis
im engeren Sinne, vide pag. 14, sitzenden Hernien sind als Lumbal-
hernien, die weiter nach vorn befindlichen als seitliche Ventral-
hernien aufzufassen. Wir haben vielmehr die Ueberzeugung, dass
die meisten Lumbalhernien gegen die äussere Grenze der regio
lumbalis der neuern Autoren hin ihren Sitz haben werden; ja wahr-
Ueber Hernia ventralis lateralis congenita.
17
scheinlich das Maximum ihrer Vorwölbung nach aussen von einer
senkrechten Linie, welche von der Spitze der 12. Rippe nach der
crista ossis ilei gezogen wird, zeigen, und zwar um so mehr, je
grösser sie werden. Auch die verlängerte Skapularlinie, eine senk-
recht vom angulus inferior scap. nach unten gezogene Linie wird
nicht dem gedachten Zwecke einer Grenze zwischen Lumbal- und
seitlicher Ventralhernie dienen können. Wohl aber dürfte die
hintere Axillarlinie bis auf die crista ossis ilei verlängert, von der
hintern Begrenzung der Achselgrube aus parallel der Medianebene
des Körpers nach unten gezogen, diesem Zwecke dienen und in
ganz analoger Weise möchten wir die Begrenzung nach vorn Vor-
schlägen, so dass wir also sagen möchten : die Hernien, die zwischen
Rippenbogen und Darmbeinkamm sitzen und rückwärts von der
verlängerten vorderen Axillarlinie liegen (sowie also vor der linea
axillar, post.) würden einzig als typische laterale Ventralhernien
aufzufassen sein. Weiter nach vorn gelegene wären als Hernia
hypochondriaca, wenn sie unterm Rippenbogen sitzen, oder als H.
ventralis lateralis anterior, wenn sie an der vorderen innern Grenze*
der regio iliaca sitzen etc., zu bezeichnen. Die Zukunft muss lehren,
inwieweit man aus der ganz genauen Fixierung des Sitzes und
der Art und Weise der Entstehung auch Schlüsse wird ziehen
dürfen auf die Durchtrittsstelle. Wir möchten hier nur betonen,
dass eine sehr genaue Beschreibung der in Zukunft beobachteten
Fälle von Hernien in diesen Gegenden, womöglich mit Abbildung,
das fernere Studium am meisten fördern wird.
Eine durch einen spondylitischen Kongestionsabscess entstandene
Lücke in der Lendenmuskulatur haben wir momentan in Beobach-
tung. Pat. ist ein am 18. /3. 1892 ins Kinderspital aufgenommenes
Mädchen von 4 Jahren. Es ist mangelhaft entwickelt, leidet
an Kyphosis der Lendenwirbelsäule infolge Spondylitis und bot
zwischen proc. spinös, und verlängerter hinterer Axillarlinie einen
bis in die Gegend der Höhe der Mitte des os sacrum hinab reichen-
den, bis etwa zur 9. Rippe hinaufreichenden grossen Kongestions-
Abscess, mit durchschimmernden Wnen und verdünnter Haut. Nach
der Punktion desselben und Entleerung des Eiters konnte man
zwischen letzter Rippe und crista oss. ilei, dicht unter der Rippe
einen Schlitz fühlen, der nach unten langsamer sich verengt, nach
oben rundlich sich begi’enzt, nach hinten und vorn Muskelränder zu
tasten gestattet und der etwas nach vorn von der spina post. siip.
liegt. Denkt man sich den direkten Abstand der spina ant. sup.
von der spina post. sup. in vier gleiche Teile geteilt, so würde die
Lücke etwas nach hinten von einer Linie liegen, die senkrecht
2
18
Oscar AVyss.
durch den Greiizpiiiikt zwischen hinterstem und zweithinterstem
Viertel gezogen würde. Diese Lücke scheint mir somit weiter
hinten zu liegen als diejenige, die Braun (s. o.) bei seinem Patien-
ten mit Hernia lunib. fühlte und post mortem im Muse, latiss. dorsi
fand. Ich würde sie am liebsten in das trigonum lumbale suj)erius
verlegen. Da der Eiter sich rasch wieder ansammelte, wm’de der
Kongestionsabcess drainiert, ein Drainrohr in jene Lücke eingelegt,
und da dieses s, Z. noch liegt, so kam es in diesem Falle bis
dato, nicht zur Bildung einer Hernie ^). Lesshafts weiche Stelle scheint
somit Kongestionsabscessen den Durchtritt zu gestatten.
Als für die Diagnose der Hernia ventralis lateralis
congenita bedeutsame Momente heben wir hervor:
1. den Sitz der Hernie zwischen crista ossis ilei und Rippen-
bogen einerseits ; der hintern und vordem Axillarlinie andererseits ;
2. die feste derbe Muskelmasse nach hinten (Partie des musc.
obliq. abd. ext.), die kontinuierlich in die Rückenmuskeln, quadrat.
lumborum und erector trunci übergeht;
3. die Möglichkeit, die unterste (resp. zweitunterste) Rippe
von der Bruchpforte aus fühlen zu können. Begreiflicherweise
können diese Symptome auch variieren; vielleicht giebt es auch
Fälle, welche ähnlich wie bei gewissen Lumbalhernien den Darm-
beinkamm von der Bruchpforte aus abzutasten gestatten. Von
grosser Bedeutung für die Diagnose congenitaler durch Defekt-
bildung entstandener Hernien scheinen uns ferner folgende Punkte
zu sein:
4. angeborene Anomalien der Wirbelsäule, z. B. Scoliose und
Lordose, wie in unserem Falle;
5. angeborene Difiormitäten des Brustkorbes : Stärkere Ent-
wicklung der Thoraxhälfte, auf der, der Hernie entgegengesetzten
Körperseite , Kleinerbleiben der Hälfte auf der Seite der Hernie ;
6. Defekt einer Rippe, mangelhafte Entwicklung von Muskeln
auf der Seite, auf der die Hernie sich befindet;
7. anderweitige Missbildungen bezw. Defekte auf demselben
Individuum. —
Ob es andere Modi der Genese der Hernia ventr. lateral.
CO Tg- giebt, als Defekte der beschriebenen Art, wird die Zukunft
lehren. Dass durch Traumen Hern, ventr. lat. entstehen kann,
ist unzweifelhaft; schon die Analogie mit Hern. lumb. traumatic.
spricht dafür.
t
’) Ist auch noch am 17. 7. 1892 so.
Ueber Hernia ventralis lateralis congenita.
19
Inwiefern hieran Kongestionsabscesse von der Wirbelsäule
her oder vom Becken ausgehend participieren , müssen wir der
Zukunft überlassen; aber die Wahrscheinlichkeit, dass auch diese
eine ätiologische Rolle spielen können, ist zuzugeben. —
Noch weniger lässt sich über eine Therapie der seitlichen
congenitalen Bauchbrüche sagen. Dass in einem Falle, wie der
von uns beschriebene, in erster Linie die Behandlung durch einen
Verschluss durch eine geeignete Pelotte in Betracht gekommen
wäre, vorausgesetzt Patient hätte länger gelebt, erscheint wohl
sehr nahe liegend. Mit dem Wachstum des Kindes wäre freihch
auch der Defekt gewachsen und es würde über kurz oder lang
dieser gewiss so gross geworden sein, dass ein Zurückhalten der
Eingeweide durch die Pelotte nicht mehr möglich gewesen wäre.
Betrug doch jetzt schon der senkrechte Durchmesser der Bruch-
pforte mehr als ja fast Vs der Distanz der Rippen vom Darm-
beinkamm und es nahm die Hernie nahezu den ganzen Zwischen-
raum ein. Gewiss würde in solchen Fällen ein möglichst frühzeitig
versuchter operativer Verschluss der Bruchpforte nicht nur zu
entschuldigen, sondern geradezu indiciert sein; und das um so
mehr, als ja bei den nahe verwandten Lumbalhernien Einklem-
mungen keine Seltenheit gewesen sind. Schon bei der berühmten
Pe titschen Hernie (conf. Braun p. 208) handelte es sich um eine
Einklemmung des Bruches, und auch von anderen wissen wir,
dass die Taxis nötig wurde, und mit Erfolg ausgeführt wurde
z. B. von Triponel (cf. Braun p. 212; ferner p. 227) und Schraube
(p. 218). Einmal musste die Herniotomie ausgeführt werden von
Ravaton (cf. Braun p. 207). Derartige Vorkommnisse können selbst-
verständlich auch bei der von uns geschilderten Form von Hernie
sich ereignen, und um sie zu verhüten, dürfte unter geeigneten
Verhältnissen der operative Verschluss der Bruchpforte gewiss
versucht werden. Immerhin dürften diese operativen Verschlüsse
derartiger Hernien zu beschränken sein auf wohlgenährte Kinder,
contraindiciert sein bei solchen mit chronischen Verdauungsstörungen,
zumal bei Atrophie, bei starkem Meteorismus des Bauches, bei
hereditär belasteten Kindern, zumal solchen, die von tuberkulösen
Eltern abstammen. Jedenfalls wären derartige Eingriffe auch in
den ersten Lebensmonaten zu vermeiden, wo man die Besorgnis,
es möchten nachträglich schwere Ernährungsstörungen nach-
konimen, nicht unterdrücken kann, namentlich bei ungünstigen
Familienverhältnissen.
20
Oscar Wyss.
Nachtrag.
Beschreibung der Wirbelsäule. — Die Untersuchung der
präparirten. leicht macerirten Wirbelsäule ergab Folgendes. Der
oberste Wirbel des Präparates, der 7, Rückenwirbel, bietet leicht
assymmetrische Wirbelbügen; der linke steht etwas höher, der
rechte etwas tiefer. Am 8. Rückenwirbel ist die linke Hälfte des
Wirbelbogens schmäler, kürzer, die rechte etwas länger und breiter.
Der processus spinosus steht etwas nach links. Am 9. u. 10. un-
bedeutende Differenzen; der 11. dagegen verhält sich ziemlich
wie Wirbel 8. Zwischen dem 11. und 12. Wirbelkörper liegt ein
von der linken Seite her eingeschobener, gegen die Mitte keilförmig
sich verjüngender, rudimentärer Wirbelkörper, der links eine normale
Rippe und einen gut entwickelten Wirbelbogen trägt. Der Wirbel-
körper des 12. Rückenwirbels liegt in seiner rechten Hälfte höher,
in seiner linken Hälfte tiefer, geht also schräg von rechts oben
nach links unten. Er trägt sowohl rechts als auch links eine
Rippe von normaler Beschaffenheit. Die linke Hälfte des Wirbel-
bogens steht fast wagrecht; die rechte Hälfte nahezu senkrecht.
Der proc. transversus sin. steht mehr nach hinten und unten.
Der processus spinosus schaut nach rechts.
Zwischen den 12. Rücken- und 1. Lendenwirbel ist ein keil-
förmiges Rudiment eines Wirbelkörpers von der rechten Seite her
eingeschoben. Dasselbe ist nur unvollständig durch eine partielle
Intervertebralscheibe mit dem Körper des 12. Wirbels verbunden
(der weiter oben eingeschobene Wirbelteil ist ganz durch Inter-
vertebralplatten abgeschlossen und gegen die Nachbarwirbel be-
weglich), teilweise knöchern damit verwachsen und daher gegen
den Wirbel unbeweglich. Dieser Schaltwirbel trägt keine Rippe;
der zu ihm gehörige halbe Wirbelbogen ist kurz, sehr breit (hoch).
Der weiter nach unten folgende Wirbel ist evident der 1. Lenden-
wirbel. Die rechte Hälfte des Wirbelkörpers steht tiefer, die
linke höher; er trägt beiderseits eine etwa 1 cm lange, 1 mm
dicke, rudimentäre Rippe. Die Wirbelbögen sind assymmetrisch,
die rechte Hälfte ist oben breit, unten schmal; die linke umgekehrt.
Der processus transversus ist links gut entwickelt, rechts rudimentär.
Der 2. Lendenwirbel ist nur insofern abnorm, als die linke Hälfte
Ueber Hernia ventralis lateralis congenita.
21
des Wirbelbogens höher und grösser ist, als die rechte. Der proc.
transv. ist links stärker entwickelt als rechts; rechts ist er nur
etwa halb so gross wie links. — Die folgenden Wirbel normal.
Es hat sonach unsere Annahme, es fehle rechterseits
eine Rippe, ohne Zweifel ihre Berechtigung, da zwar alle
Rückenwirbel ihre zugehörigen Rippen haben, das über dem
letzten Rückenwirbel links eingeschaltete Wirbelrudiment
eine Rippe trägt, das unter dem untersten Rückenwirbel
rechts eingefügte aber keine solche hat.
Ein Beitrag zur Uterus-Chirurgie
von Dr. Richard Jjiiiiipe
Docent für Geburtshilfe u. Gynäkologie an der Wiener Universität.
Die Pathologie des Uterus wird von zwei Krankheitsforinen
oder Krankheitsgruppen geradezu beherrscht und das sind einer-
seits die entzündlichen Ernährungsstörungen, andererseits
die Neoplasinen. In beiden Formen haben wh' einen Syinptomen-
komplex von, ich möchte sagen, beinahe ermüdender Monotonie.
Immer derselbe Wechsel und dieselbe Aufeinanderfolge von: Blu-
tungen, Ausfluss, Schmerzen, der Einfluss dieser und der lokalen
Störung auf Blutbildung und Ernährung (Anämie — Kachexie) und
der weitere direkte oder indirekte Einfluss auf das Nervensystem.
Selbstverständhch kann in jedem einzelnen Falle das eine oder das
andere mehr hervortreten und im Krankheitsbilde dominieren, im
grossen und ganzen aber wird das Krankheitsbild dasselbe sein.
Die Aetiologie der Neoplasmen ist bis heute noch völlig dunkel.
Was die Aetiologie der Entzündungen betrifft, so stellt die Patho-
logie heute die pathogenen Keime (Coccen und Bakterien) ver-
schiedener Art als die eigenthchen Entzündungserreger hin. Ther-
mische, chemische, mechanische Reize (Trauma) spielen dabei die
Rolle des veranlassenden prädisponierenden Momentes. Was die
weibhchen Geschlechtsorgane betrifft, so nimmt man allgemein an,
dass die Entzündung erregenden Keime direkte von aussen her
übertragen und eingeimpft oder doch von der Vagina und vom
Cer\dx her weiter und tiefer nach innen gebracht werden. (Exogene
und endogene Infektion.)
Der veranlassenden Ursachen sind genug. Die tägliche Er-
fahrung lehrt, wie leicht der Genitalkanal zu infizieren, wie schwer
derselbe zu desinfizieren ist. Der Fortschritt in der Medizin be-
Ein Beitrag zur Uterus-Chirurgie.
23
ruht zum grossen Teile in der Sicherheit, mit welcher \\dr In-
fektion verhüten, stattgefundene Infektion unschädlich machen
können; andererseits in der weiteren Ausbildung der chirurgischen
Technik, wo es sich wieder grösstenteils um die Sicherheit in der
Antisepsis und Asepsis und Blutstillung handelt. Die Ausbildung
und Erweiterung der Untersuchungsmethoden und Mittel setzen
uns gegenwärtig zwar auch nicht in jedem Falle in den Stand,
eine thatsächlich richtige Diagnose zu stellen und die Krankheit
zu ermitteln, denn errare humanum est, aber man ist doch gegen-
wärtig mehr in der Lage die Empirie und Schablone durch eine
rationelle Therapie zu ersetzen, als das früher der Fall war. Falsche
Diagnosen bringen jede an sich richtige Therapie (Operation) in
Misskredit. Das unbedingte Vertrauen in die Antisepis und chirur-
gische Technik soll aber keinesfalls dazu führen, es mit der Diagnose
leicht zu nehmen. Der Erfolg der Therapie setzt die richtige
Diagnose voraus. Ist die Diagnose richtig gestellt, so erfordert
oft noch die Stellung der Indication für eine bestimmte Therai)ie
(Operation) \äel Wissen und Erfahrung, welche jeder Einzelne nur
allmählich und mühsam sich aneignet. Ich werde zum Schlüsse
noch Gelegenheit haben, über dieses Thema zu sj^rechen. Es
sollen diese einleitenden Worte dazu dienen, meinen Standpunkt
klar zu machen und nun zum eigentlichen Thema meiner Arbeit.
I. Das Evidement oder Curettement der Uterus-mucosa.
Die Mucosa uteri, ihre funktionelle Bedeutung und ihre
pathologischen Veränderungen sind gerade in der jüngsten Zeit
ein Liebhngsthema gynäkologischer Studien geworden. Als fest-
stehend gilt nun, dass die Mucosa corporis uteri unter ova-
riellem Einfluss fortwährenden Veränderungen unterlegen ist
(Evolution— Involution. Bildung der Decidua menstrualis.) Mit
dem Ausfälle der Funktion der Ovarien (Klimax, Atrophie, De-
generation) oder dieser Organe selbst (Castration) hören diese Ver-
änderungen auf. Andererseits kann es durch pathologische Vor-
gänge an den Ovarien (Entzündung — Neoplasmen) zur dauernden
Hypertrophie der Schleimhaut mit den consecutiven Funktions-
störungen kommen. (Chronisch hyperplasierende Endometritis,
Endometritis fungosa — Olshausen.) Die Schleimhaut des Uterus
ist aber auch selbstverständlich vor allem al)hängig von den Er-
nährungsverhältnissen des ganzen Organes selbst und so wird es
verständlich, dass der Uteruskatarrh oder die Endrometritis wesent-
lich den Wert eines Symptomes hat. Die Anatomie des weiblichen
24
Kichard Lumpe.
Beckens, speziell der weiblichen Sexualorgane lehrt uns, in welcher
innigen Verbindung der Uterus, namentlich was die ernährenden
Gefässe anbelangt, mit seiner Umgebung steht. Diese Dinge müssen
in Lehrbüchern über Gynäkologie immer wieder von neuem betont
werden, denn sonst versteht man die ganze Pathologie nicht.
Man wird den Katarrh beinahe niemals bei der Metritis, beim
Fibrom, beim Carcinom vermissen. Es soll damit dm’chaus nicht
behauptet sein, dass die Utrusschleimhaut nicht primär und selbst-
ständig erkranken kann (Blennorrhoe). Wird die Schleimhaut in
toto ausgeschieden (Endometritis exfoliativa) oder instrumenteil
entfernt (Evidement), so wird sie von den Drüsenfundis aus voll-
kommen regeneriert, so dass die Möglichkeit späterer Conception
und Gravidität erhalten bleibt. Tiefgreifende Aetzmittel sind in
dieser Beziehung viel gefährlicher. Diese Regenerationsfähigkeit
der Mucosa ist besonders zu betonen. Der Uterus ist ein Muskel,
ein plastisches Organ, welches auf jeden wie immer gearteten
Reiz mit Kontraktion antwortet, reagiert. Diese Dinge werden am
meisten bemerkbar bei der Massage. Das sogenannte Cavum
des normalen, nicht puerperalen Uterus, ist ein Spalt in diesem
Muskel. In frontaler Ebene von umgekehrter Flaschenform, in
sagittaler Ebene von der Form einer gegen die Symphyse zu,
also nach vorne zu gebrochenen Linie, mit zwei Anschwellungen,
von welchen die obere dem Corpus, die untere dem Collum oder
Cervix uteri entspricht.
Diese normale, physiologische Grundform wird selbstver-
ständlich physiologisch (Gravidität) und pathologisch (Fibrom,
Hämatom u. s. f.) mannigfaltig abgeändert. Mit Rücksicht auf
diese anatomischen und physiologischen Thatsachen, mit Rück-
sicht auf die pathologische Dignität und Pathogenese des Katarrhes,
mit Rücksicht darauf, dass wir die chirurgischen Grundsätze und
Regeln ohne alle Einschränkung auf die Behandlung des Uterus
übertragen müssen (Antisepsis!), kann man die Behandlung der
Uterusmucosa (Endometritis) mit Aetzmittelträgern, Crayons, Pinseln,
Uteruspistolen, Intrauterinspritzen u. s. f. , besonders soferne
starke Aetzmittel damit in Anwendung kommen sollen, durch-
aus nicht mehr empfehlen. Die Anwendung caustisch
wirkender Arzneimittel bei starken Metrorrhagien darf nie-
mals ohne Antisepsis und Dilatation geschehen. — Alle die
Nachteile, welche mit diesem Verfahren verbunden sind, sprechen
sich schon am besten darin aus, dass sich die menschliche Er-
findungsgabe in der Modifikation dieser Instrumente gewisser-
massen aufgerieben und erschöpft hat. Die Resultate dieser Be-
Ein Beitrag zur Uterus-Chirurgie.
25
handlungsweise sind thatsächlich recht unbefriedigend und traurig.
Entzündungserscheinungen am Uterus selbst oder an den Tuben,
Ovarien, dem parametranen Bindegewebe bilden bekanntermassen eine
Contraindikation für jede intrauterine Therapie. Die primären, iso-
lierten Endometritiden sind gegenüber den consecutiven, symptoma-
tischen ganz entschieden seltener, und so erklärt sich die relative
Häufigkeit des Misserfolges. Dass man seiner Zeit, ja auch
heute noch, diesen Misserfolg durch die Permeabilität der Tuben
gegenüber flüssigen Aetzmitteln erklären zu können meinte, kann
ich nicht begreifen, denn die Wegsamkeit der Eileiter in diesem
Sinne ist denn doch eme pathologische Rarität. Zur Erklärung
dieser Fälle genügt jedoch Trauma und Infektion, eben so gut
wie bei der puerperalen Sepsis. Wh stehen eben auch, was die
Intrauterintherapie anbelangt, heute auf ganz anderem Stand-
punkte.
Das Irrigieren oder Ausspülen des Uterus mittelst der Boze-
mannschen Canule, das Evidement, das Ausstopfen des Uterus
mit imprägniertem Verbandzeug (Mull oder Docht, mit Aether,
Aristol, Dermatol, Ichthiol, Jodoform, Tannin, Jodtinktur u. s. f.
imprägniert), welche Dinge jetzt so häufig kombiniert werden,
entsprechen den chirurgischen Regeln der antiseptischen Behand-
lung und dem besseren Verständnis der Uteruspathologie weit mehr
als die früheren Behandlungsweisen. Es stehen natürlich noch
andere unterstützende und stets anzuwendende therapeutische
Prozeduren zu Gebote, so die verschiedenen Resorptions- und
Stoffwechselkuren (Klimatotherapie, Hydrotherapie, Balneotherapie,
Weir- & Mitchell-, Playfair-Kur, die Vaginalirrigationen, die trockene
Tampon-Behandlung, Dry treatment der Amerikaner, die allgemeine
Massage oder schwedische Heilgymnastik, die gynäkologische Mas-
sage nach Thure Brandt, die Anwendung des konstanten Stromes
nach Apostoli.
Hierher gehört auch die Amputation des Scheidenteiles. Selbst-
verständlich kann man nicht jeden Fall heilen. Scanzoni hat
die chronische Metritis für unheilbar erklärt. Die Beschwerden
der an Metritis leidenden Frauen lassen sich mit den uns heute
zu Gebote stehenden Mitteln bessern, lindern und beseitigen, dazu
gehört aber viel Geduld und guter Wille und oft machen die
Kranken jede Behandlung vollkommen unmöglich. Nicht die
Krankheit ist es, an welcher die Heilkunst und alles ärztliche
Bemühen scheitert, nein, — die Kranken sind es. Der ent-
schieden und nachhaltig schädliche Einfluss lange Zeit, d. h.
Monate und Jahre lang fortgesetzter lokaler gynäkologischer Mani-
26
Kichard Lumpe.
pulationen und Prozeduren auf das Nervensystem ist längst be-
kannt und wiederholt besprochen worden, man muss sich also in
dieser Beziehung stets daran erinnern und die Behandlung nicht
zu lange ausdehnen.
Was nun die eigentliche Technik des Curettements betrifft,
ist man vollkommen mit Recht von der präparatorischen
Dilatation mit Quellmitteln mehr abgekommen. Die Hand-
habung der Antisepsis ist dabei im hohen Grade erschwert. Das
ATiffahren ist sehr zeitraubend und mühsam, für die Patienten
schmerzhaft und aufregend und dabei sehr oft durchaus unnötig.
Man erreicht, falls es sich nicht um einen abnorm starren Cervix
Uteri handelt, die zur Passage einer mittelgrossen Curette nötige
Dilatation mit der konisch geformten Bozemann- Canule. Sie
wirkt ebensogut dilatierend wie die zahlreich angegebenen gra-
duirten Sonden von Hegar, Fritsch, Peasle und vielen anderen;
mit dem grossen Vorteile, dass die bei der Dilatation so häufig
unvermeidlichen Läsionen des Collum sofort durch die Irrigation
vor Infektion geschützt werden. Die Erweiterung des Collum und
die Desinfektion des Uterus ist jedem Curettement stets voraus-
zuschicken. Für das Curettement eignen sich am besten die von
M. Sims angegebenen biegsamen Curetten. Diese sind trotz
ihrer Biegsamkeit stark genug, um ganz energisch schaben zu
können. Die Excavateurs und Schablöffel von Simon sind zwar
sonst, z. B. für die Auslöffelung von carcinomatösen Massen am
Uterus sehr brauchbar, für das Endometrium aber eignen sie sich
für gewöhnliche Fälle nicht, da sie vollkommen starre Griffe haben,
um ihre Festigkeit zu vermehren, und man damit recht unnötige
und unerwünschte Läsionen machen kann. Die vor mehreren
Jahren angegebenen Spüllöffel, welche die Irrigation gleichzeitig
effektuiren sollen , sind aus dem Grunde nicht empfehlenswert,
weil sie das feine Tastgefühl behindern, welches hier schon aus
diagnostischen Gründen besonders wichtig ist. Wenn man mit der
einen (vorderen oder hinteren) Fläche fertig zu sein glaubt, ent-
fernt man das Instrument und schiebt es mit entsjDrechender
Krümmung von neuem ein, um die andere Fläche abzuschaben.
Niemals soll die Curette in Utero umgedreht werden. Nach der
Curettage wird selbstverständhch von neuem irrigiert und nun
teilt sich der Weg. Das weitere Verfahren ist natürlich ein vollkommen
von dem speziellen Fall abhängiges, verschiedenes. Ich habe mir zum
Auswischen des Uterus nach dem Curettement, ganz aus Alu-
minium gearbeitete biegsame Stäbchen anfertigen lassen, welche gut
zu desinfizieren sind und ihrem Zwecke vollkommen entsprechen.
Ein Beitrag zur Uterus-Chirurgie.
27
Salpingotomie und Oophorectomie.
Die operative Entfernung der Tuben und Ovarien im nor-
malen, physiologischen Zustande bietet in technischer Beziehung
keine Schwierigkeiten. Die Tube wird nahe der pars keratina
am Uterus unterbunden und durchgeschnitten, dasselbe geschieht
mit dem Ligamentum proprium des Ovariums. Nunmehr werden
die Vasa spermatica (Arterie und zwei Venen) en masse im Liga-
mentum infundilmlo - pelvicum unterhunden und durchtrennt.
Kleinere Gefässreiser, welche zwischen diesen beiden Gefässgebieten
ab und zu anzutrelfen sind und die Ala vespertilionis durchziehen,
M’erden am besten isoliert mit feiner Seide umstochen, ligiert und
abgetrennt. Es ist dies viel besser als die Ketten- oder en masse-
Ligatur im Ligamentum latum. Die Peritonealduplikatur ist hier
ausserordentlich zart und fein. Bei den Kettenligaturen werden
die Stichöffnungen in den Serösen oft weit durchgerissen. Die Indi-
kation zur Entfernung normaler Ovarien und Tuben dürfte wohl
sehr selten vorhanden sein. Und schon hier können Schwierigkeiten
auftreten, welche bedingt sind durch die ausserordentlich wechselnde
Form und Anheftungsweise des Ovariums (z. B. bei den Myo-
men). Bleiben Teile des Ovarial-Stromas zurück, so kann der
eigentliche Zweck der Operation (künstlicher Klimax) vollkommen
vereitelt werden. Schon die Indikationsstellung kann dann sehr
schwierig werden, wenn Beschwerden vorhanden sind, welche
sich nicht mit voller Bestimmtheit auf Tuben und Ova-
rien allein beziehen lassen. Die Diagnose ist schon in solchen
komplizierten Fällen äusserst schwierig. Die Misserfolge sind
hier sehr häufig, die individuelle Verantwortung ist eine sehr
grosse. Die Indikation zur operativen Entfernung erkrankter Tuben
und Ovarien kann nicht im mindesten bestritten werden, jedoch
muss man sich in jedem Falle auf gro.sse technische Schwierig-
keiten gefasst machen, muss sich der grossen Verantwortung
bewusst sein und muss sich auch in schweren komplizierten Fällen
auf vollständigen Misserfolg vorbereiten. Der Grund bierfüi'
ist leicht einzusehen. Die pathologischen Veränderungen, wie sie
ja so häufig zu Beschwerden und damit zur operativen Entfernung
die Veranlassung abgeben, sind gewöhnlich entzündlicher Art. Die
klinische Differenzierung der hier in Betracht kommenden Er-
krankungen ist überaus schwer und nur in jedem einzelnen Falle
durch die peinlichste Erhebung der Anamnese, lange Beobachtung
und genaueste Untersuchung und zwar wiederholte Lhitersuchung
kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit über die Aetiologie
28
Richard Lumpe.
und den eigentlichen Krankheitszustand ein Urteil fassen. Die
pathologischen Veränderungen der Tuben und Ovarien
der Beckenserosa und des alle Organe des Beckens umhüllenden
und umgebenden subserösen Beckenbindegewebes ist schon
so oft und ausführlich geschildert, dass ich nicht im stände wäre,
dem etwas Neues hinzuzufügen.
Es handelt sich hier um die parenchymatösen Verände-
rungen von Tuben und Ovarien, die Schwellung und Grössen-
zunalime derselben (die grossen mit Blut, Eiter und Serum gefüllten
Tuben Säcke und Ovarialcysten); ferner die entweder beglei-
tenden oder consecutiven Verklebungen der Beckenserosa, (Ad-
häsionen von Darm, Netz, Blase, vorderer Bauchwand, Adhäsio-
nen in der Tiefe des Douglas u. A.). Die Verziehungen , Verzer-
rungen, Verlagerungen der Bauchfellfalten und Duplikaturen. Cir-
kulationsstörungen und Neuralgien bedingt durch Druck und
Kompression der Gefässe und Nerven im Becken und diese wieder
bedingt durch Entzündung und Exsudation im umgebenden sub-
serösen Bindegewebe sind ausserordentlich häufig. Wenn man
einigermassen mit der Anatomie des Beckens vertraut ist, so wird
man sich nicht darüber wundern, dass eben alle diese Dinge
miteinander kombiniert sind, man wird sich nicht darüber
wundern, dass in solchen komplizierten Fällen der Erfolg i. e.
definitive Heilung so häufig ausbleibt. Man schneidet und unter-
bindet da fortwährend im entzündeten, infiltrirten Gewebe, es
wird nur ein Teil des ,, krankhaften“ entfernt, wie soll man da
Erfolg haben? Man sucht diese technischen Schvfierigkeiten durch
verschiedene Mittel zu überwinden. So wird, was sehr zu empfeh-
len ist, durch die Beckenhochlagerung nach Trendelenburg
die Evacuation des kleinen Beckens einfach nach dem Gesetze
der Schwere bewerkstelligt, indem der Dünndarm gegen die
Thoraxbasis und das Zwerchfell zurück sinkt. Durch diese Eva-
cuation wird nicht nur im Becken Raum geschaffen, sondern es
werden so erst die Verklebungen und Adhäsionen sichtbar. Kommt
man damit nicht aus, so hat man den Bauchschnitt verlängert, den
Darm aus dem Abdomen herausgehoben (in feuchte, erwärmte, asep-
tische Mullkompressen gehalten !). P. Zweifel sagt in seinen klinischen
Vorträgen, davon niemals einen Schaden gehabt zu haben. Andere
vermeiden die Eventration wegen der Gefahr später eintretender
Darmparese (Ileus!). Selbstverständlich wird es die technischen
Schwierigkeiten einigermassen erleichtern, wenn während der
ganzen Operation der Uterus per vaginam in das Becken hinein-
gehoben wird. Trotz alledem sind die, die Operation so ausser-
Pan Beitrag zur Uterus-Chirurgie.
29
ordentlich erschwerenden Umstände nur bis zu einem gewissen
Grade zu umgehen und gerade solche Operationen erfordern eine
sichere, kräftige, aber doch zarte leichte Hand, alles Reissen und
Zerren mit roher Gewalt ist verderblich und kann sich überhaupt
bei allen Laparotomien bitter rächen.
Es gehört zwar strenge genommen nicht zur »Uterus- Chirurgie«,
aber ich kann an dieser Stelle, an welcher ich das Gebiet der
Laparotomie berühre, es nicht unterlassen, einige allgemeine
Bemerkungen betreffend die Physiologie und Pathologie des
Peritoneums einzuflechten. Ist es ja doch ein Gegenstand, der,
weit davon entfernt erschöpft zu sein, von eminenter Bedeu-
tung für Geburtshilfe und Gynäkologie ist. Das Peritoneum
hat in therapeutischer Beziehung manche Wandlungen durchzu-
machen gehabt. Erst war es lange Zeit hindurch ein Noli me
tangere. Die Verletzung des Bauchfelles galt als absolut lebens-
gefährlich. Es hat dieser Umstand namentlich lange dazu bei-
getragen, die Chirurgie des Abdomens aufzuhalten. Nun kam die
Zeit des entgegengesetzten Extremes, das war die beginnende
Aera der Laparotomie. Das war eine schlechte Zeit für das
Peritoneum. Was man damals dem Peritoneum zumutete, ist
geradezu unglaublich. Man kann solche Dinge heute gar nicht
mehr begreifen. Der iVusdruck »Shok«, war lange Zeit ein
Sammelbegriff für unerklärbare Todesfälle nach Laparotomien
geworden. Man stellte sich darunter eine Art reflektorischer
Herzlähmung vor. Heute ist dieser Sammelbegriff längst in
seine einzelnen wahren Ursachen aufgelöst. Unter dem Ausdruck
Shok waren eine Menge Fälle von Chloroformasphyxie bei Herz-
und Nierenkrankheiten, septische Peritonitis und ganz gewiss eine
grosse Reihe von ganz akuten Vergiftungen durch Antiseptica.
Hat ja doch die Antisepsis im allgemeinen grosse LTmwälzungen
durchgemacht, das Peritoneum hat bei Laparotomien seinen guten
Teil davon abbekommen. Heute sind wir von der Antisepsis zur
Asepsis übergegangen und gerade die Unterleibschirurgie
hat dazu den Anstoss gegeben. Man lernt eben niemals aus.
Die Aera der Laparotomie hat uns die Physiologie und Patho-
logie des Peritoneums eigentlich erst recht erschlossen. Wir kennen
jetzt die ungeheure Resorptionskraft dieses grossen Lymphraumes,
des Peritoneums. Wir wissen heute, dass hier fortwährend ein
Lymphstrom cirkuliert. Wir wissen heute, dass die Fähigkeit des
Peritoneums auf jeden Reiz bin mit Adhäsion zu reagieren eine
grosse therapeutische Bedeutung hat und dass diese physiolo-
gische Funktion niemals zerstört, ganz im Gegenteil mit allen
30
Kichard Lumpe.
Mitteln erhalten werden muss. Die anatomische Anordnung des
Peritoneums ist eine ungeheuer komplizierte. Die Flächenaus-
dehnung des Peritoneums ist enorm. An jeder Stelle ist das
Peritoneum physiologischer Weise mit einer dünnen Flüssigkeits-
schichte überzogen und bedeckt. (Lymphe.) Das sogenannte
Cavuin peritoneale ist ein chirurgisches Artefact und ent-
stellt erst in dem Momente, in welchem bei Eröffnung des Bauch-
felles Luft in die Bauchhöhle dringt, die Därme zurücksinken.
Sonst ist im Abdomen nicht ein Kubikmillimeter intra-
peritonealer Raum. Die Organe berühren sich innig, unmittel-
bar, und werden durch die Resj^irationsbewegung, und Darm-
peristaltik aneinander verschoben. Lange Zeit schon habe ich
die ausgiebige Anwendung der xintiseptica auf das Peritoneum,
lange Zeit schon die überaus plumpe Art und Weise der Peri-
toneal-Drainage mit Misstrauen betrachtet. Glücklicherweise hat
sich das jetzt geändert.
Die Exstirpation des Uterus.
(Hysterectomie.)
Man kann sagen, es giebt ebensoviele Methoden der Hyster-
ectomie als Operateure, die sie ausgeführt haben. Abgesehen von
unwesentlichen Modifikationen, die sich teils auf die Art der Blut-
stillung (französische und amerikanische Klemmenbehandlung), teils
auf Abweichungen im Gange der Operation beziehen, kann man
eigentlich nur zwei wesentliche Haupttypen unterscheiden: Die
im .Jahre 1878 von W. A. Freund vorgeschlagene abdominale
und die das .Jahr darauf von V. Czerny wieder eingeführte
vaginale Methode. Die vaginale ist die ältere, da nach ihr Langen-
beck 1813 und später Sauter 1822, Blimdell 1828, Recamier 1829,
Delpeche 1830 operierten. Seitdem im .Jahre 1878 Freund zuerst
nach der abdominalen Methode operierte, wurde die Totalexstir-
pation bald nach der einen, bald nacli der anderen, bald nach
kombinierter Methode von allen geübt. Rydigier, Kockes und
Schröder haben später die alidominale Methode modifiziert, um
die Resultate zu bessern. Was die Indikation zur Hysterectomie
betrifft, so sind diese weitaus in der Mehrzahl der Fälle von
Carcinom und Sarcoin l)estimmt worden. Einem solchen Leiden
gegenüber bedarf es wold nicht der Rechtfertigung, die Technik
der Operation immer weiter und weiter auszubilden und zu be-
sprechen. Es scheint denn doch, dass bis jetzt wenigstens das
Messer und die Glühhitze die einzige Aussicht auf Erfolg bieten.
Ein Beitrag zur üteriis-Chirurgie.
31
(Die Injektionsmethoden mit Methylviolett (Mosetig) sind noch zu
wenig beobachtet und studiert, obwohl davon von allen Seiten günstige
Berichte einlaufen.) Thatsache ist, dass bisher so wohl mit Total -
Exstirpation als mit Partial-Operationen definitive Heilungen erreicht
wurden. Es sind daher beide Operationen berechtigt und
indiziert. Viel hängt hier, wie unter anderen besonders Karl
Schröder immer wieder betont hat, von der Form und Art von
dem Typus des Carcinomes ab. Das Carcinom scheint thatsäch-
lich im Beginne ein rein lokales Leiden zu sein und macht
wie jedermann weiss (leider muss man sagen) so wenig Beschwerden,
dass die beginnenden Carcinome nur höchst selten und da
oft zufällig entdeckt werden. Ist ja doch hier auch schon die
Diagnose recht schwer. Aber nicht bloss im Beginne, auch später,
wenn die Veränderungen schon weit vorgeschritten sind, können
die lokalen Beschwerden höchst unbedeutend, das Allgemein-
befinden noch vollkommen intakt sein und der Kontrast
zwischen der äusseren Erscheinung des Patienten und dem lokalen
Befunde ist oft verblüffend. Es wird jetzt allgemein nicht bloss
eine wiederholte genaue bimanuelle Exploration verlangt, sondern
es wird mit Recht betont, dass der Uterus stets mittels der
Hakenzange auf seine normale Beweglichkeit zu prüfen ist. Ein
normal beweglicher Uterus lässt sich stets mit der Portio
vaginalis bis in die Ebene des Introitus vagin ae herab-
ziehen. Die Beweghchkeit des Uterus wird bekanntermassen
einerseits aufgehoben oder wenigstens beschränkt durch das Ueber-
greifen der Neoplasmen selbst auf das Beckenbindegewebe, auf Blase,
Rectum u. s. f., andererseits durch recentere oder ältere Infiltra-
tionen im Beckenbindegewebe mit nachfolgender Schrumpfung.
Beides kann die Operation erschweren oder unmöglich machen.
Es hat keinen Sinn mehr, da zu operieren, wo die Recidive
sicher ist und man mit anderer Behandlung dasselbe leisten kann.
A. Gusserow (Berliner Klinische Wochenschrift XXVIII) hat
jüngst wieder der Ueberzeugung Ausdruck gegeben, dass bei jeder
malignen Erkrankung des Uterus (Sarcom und Carcinom) überhaupt
in Anbetracht der absolut schlechten Prognose die Total-Exstir-
pation indiciert sei, und dass bloss in jedem einzelnen Falle die
Frage zu beantworten sein wird, ob die Operation überhaupt noch
rationell sei.
Krukenberg (Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie
Band XXIII 1. Heft 1892) spricht sich am Schlüsse einer, be-
sonders was die prognostische Bedeutung der Carcinomformen an-
belangt, sehr interessanten statistischen Arbeit (aus dem Materiale
32
Richard Lumpe.
der Berliner Klinik) folgendermassen aus: »Ueberblicken wir am
Schlüsse das Resultat elfjähriger operativer Bemühung, aufge-
wendet im Kampfe mit der gefürchtetsten Krankheit, welche die
Frauen heimsucht, so erscheint zwar die Zahl der dauernd
geheilten noch verschwindend klein im Vergleiche zu der
richtigen Ziffer der an Gebärmutterkrebs leidenden überhaupt.
Dass nur auf dem Wege frühen Erkennens eine Besserung zu
erhoffen ist und dass zur Erreichung dieses Zieles die Frauen
selbst, Aerzte und Hebammen helfend wirken müssen, darin sind
alle Gynäkologen einig.« Das wird gewiss jeder unterschreiben,
allein gerade dies frühe Erkennen ist aus den schon erwähnten
Gründen sehr erschwert, und selbst wenn es möglich wäre, dass
Frauen namentlich aus hereditär belasteten Familien regelmässig
von Zeit zu Zeit durch ihre Aerzte untersucht würden, so würden
immer noch manche Anfangsstadien von Carcinomen übersehen
oder diagnostisch falsch gedeutet werden. Lässt ja doch sogar
die h i s 1 0 1 0 g i s c h e U n t e r s u c h u n g oft verschiedene Deutungen
zu. Die technische Schwierigkeit bei der Hysterectomie liegt in
der Isolierung des Collum uteri, der sicheren Versorgung und
Abbindung des Plexus utero-vaginalis mit sicherer Vermeidung
einer Abbindung, Verletzung oder Verzerrung und Abknickung
des Beckenteiles der Uretheren.
Paul Zweifel (Vorlesungen über klinische Gynäkologie.
Berhn 1892) sagt pag. 309: »Die Verletzungen der Uretheren ist
ein Kapitel, an dem sehr viele Veröffentlichungen über Uterus-
exstirpationen vorbeihuschen wie der Schatten an der Wand. Kein
Sachkundiger lässt sich durch die zarte Behandlung dieses Themas
täuschen u. s. w.« Mit sehr anerkennenswerter Offenheit, welche
immer sehr lehrreich ist, berichtet der Verfasser von den Ver-
letzungen der Uretheren, welche ihm selbst passierten. Beim
Durchsehen der mich besonders interessierenden Kapitel des
hier citierten Buches erfuhr ich, dass Zweifel schon wiederholt
mit Erfolg nach der kombinierten Methode operiert hat. Ich be-
tone dies hier ausdrückhch, da es mir nicht im entferntesten ein-
fällt, diese nun zu beschreibende Methode als neu und von mir
erfundene hinzustellen.
Was nun die Lage des Beckenanteiles der Uretheren anlangt
und ihre topographische Beziehung zum Uterus, so haben sich
wie bekannt mit diesem Thema schon viele Anatomen, Chirurgen
und Gynäkologen eingehend beschäftigt.
Nach Spiegelberg liegen die Uretheren »bis zur Ebene der
Vaginalportion seitlich vom Mutterhalse in dem Scheidengrunde, in
Ein Beitrag zur Uterus-Chirurgie.
33
der Höhe des inneren Muttermundes durchschnittlich 19 mm, in
der Nähe des supra vaginalen Teiles des Collum nur 8 mm vom
Uterus, in der Gegend des Scheidengewölbes nur noch 6 mm von
diesem entfernt«. Mit solchen anatomischen Durchschnittsziffern
ist für den Chirurgen nicht viel anzufangen. Wenn man nur weiss,
an welchen Stellen man die Uretheren und wie man sie zu
vermeiden hat.
Die neueste anatomisch-topographische Arbeit von W. Wal-
deyer (Beiträge zur Kenntnis der Lage der weiblichen Beckenorgane
nebst Beschreibung eines frontalen Gefrierschnittes des Uterus
gravidus in situ, Bonn 1892) bringt, wie der Autor selbst bekennt,
in Beziehung der Uretheren im Becken nichts Neues, sondern be-
stätigt die Angaben von W. A. Freund, Luschka, L. Joseph und Holl.
Er schreibt Seite 22 unter 9. :
»Die Lage der Uretheren finde ich im wesentlichen so wie .sie
von W. A. Freund, Luschka und Holl beschrieben ist. Ich betone,
• dass dieselben bei typischer Lage des Eierstockes den unteren
Band der fossa ovarii umkreisen, so dass also der konvexe Rand
des Eierstockes den Urether berührt. Bei dieser Lage des Eier-
stockes berührt auch die Wandfläche des letzteren den Harnleiter,
der dann also lateral vom Ovarium liegt und von diesem bedeckt
wird. Der Urether zieht weiterhin am Knickungswinkel der Gebär-
mutter vorbei, deckt hier von aussen (lateral) her die Arteria
uterina und liegt zwischen zwei Venengeflechten, den Wurzeln
der Venae plexus vesicalis, lateral von diesem gedeckt und dem
Plexus venosus utero-vaginalis , den er an seiner medialen Seite
hat. Hier beginnt das an der vorderen Vaginalwand gelagerte
Endstück des Harnleiters, welches bis zur Einmündung in die
Blase hin von einer starken besonderen Scheide (Uretherscheide)
umgeben ist.
Die Uretheren liegen an der Stelle, an welcher sie unter-
bunden oder verletzt werden können und welche uns daher am
meisten interessiert, in ein sehr lockeres, laxes, verschiebbares
Bindegewebe, das subseröse Bindegewebe eingebettet, welches auch
die Verbindung zwischen Blasenhals, Blasengrund, Collum uteri,
Peritoneum und Scheidengewölbe vermittelt und die leichte \"er-
schiebbarkeit dieser Gebilde aneinander wesentlich bedingt. Die
Peritonealfalten (Plicae vesicales der Anatomen) sind ja mit dem
darunter gelegenen Bindegewebe gewissermassen Reserve Vorrich-
tungen, um die Füllung der Blase und somit die Verschiebbar-
keit derselben am Uterushalse zu ermöglichen. Bei den verschie-
denen Füllungszuständen der Harnblase rückt die Furche zwischen
8
34 Kichard Lumpe.
Blase und Uterus (Excavatio vesico-uterina) höher hinauf, bis zu
einer Stelle, wo das Peritoneum am Uterus fest ist. Diese Stelle
ist individuell variabel.
Bei vollkommen kontrahierter, leerer Blase kann in manchen
Fällen das Peritoneum direkt dem vorderen Scheidengrund auf-
liegen , eine grössere oder kleinere Schichte lockeres subseröses
Bindegewebe dazwischen. In anderen Fällen liegt stets auch bei
leerer und kontrahierter Blase ein Teil der Blasenwand, durch sub-
serösen Zellstoff vom Uterus getrennt, diesem an. Es ist also die
Ausdehnung dieses Bindegewebslagers und das Verhältnis zwischen
Uterus und Blase, Peritoneum und Scheidengrund ein individuell
wechselndes, wovon ich mich viele hunderte von Malen in meinen
Operationskursen überzeugt habe. Es handelt sich nun für die
Hysterectomie wesentlich um das Stück des Urethers zwischen der
Stelle, wo derselbe gerade die beiden Venenplexus passiert (Wal-
deyer), gerade seitlich vom Collum uteri und gerade über dem
Scheidengrunde und der Stelle, wo er in die Blase einmündet.
Die Länge dieses Stückes und seine Entfernung vom Uterusrand
ist individuell so verschieden und ausserdem durch Infiltrationen
und Schrumpfungen im Beckenbindegewebe so leicht und oft ab-
geändert, dass die Angabe von Durchschnittszahlen wie gesagt
für den Chirurgen völlig wertlos ist. Der einzige Weg, die Ure-
theren sicher zu vermeiden, ist der, dass man die Trennung der
Blase vom Collum in ganzer Ausdehnung vornimmt, bevor man
die sämtlichen parametranen Ligaturen macht, dass man dadurch
die Blaseninsertion der Uretheren samt dem Plexus venosus vesi-
calis aus dem Bereiche der Unterbindungsstelle bringt und dass
man die Uretheren während der Anlegung der seithchen Ligaturen
sieht. Dies lässt sich nur erreichen durch die Kombination
des vaginalen und hypogastrischen Verfahrens. Nach Hegar und
Kaltenbach hat schon Delpech 1830 diese Kombination vorge-
schlagen, W. A. Freund hat dieses kombinierte Verfahren später
vollkommen angenommen. Bardenheuer soll es zuerst methodisch
ausgeführt haben. Meiner Ansicht nach kommt es wesentlich
darauf an, dass man bei dieser Methode das ganze Ligamentum
latuni vom freien Rande her (Ligament, infundibulo pelvicum und
Tube) bis zur Basis hin im entfalteten Zustande leicht übersehen
und partienweise abbinden, die Uretheren dabei, eben auch,
weil man sie sieht, sicher vermeiden kann, während diese Abbin-
dungen bei sämtlichen vaginalen Methoden, bei gestrecktem, tor-
quiertem Ligament, ohne dass man die Uretheren sieht, ge-
schehen.
Ein Beitrajr zur Uterus-Chirurgie.
35
Die Frage, ob man vorher weichere Carcinommassen vom
Cervix entfernen und mit dem Thermocauter verschorfen, oder
ob man dies unterlassen soll, ist kontrovers. Ich denke, dass
dies wesentlich davon abhängen wird, ob man technische Schwierig-
keiten beim Anfassen und Herabziehen des Collum hat oder nicht
(Ausreissen der Hakenzangen und Blutungen). Manche Chirurgen
raten dazu in jedem Falle aus Gründen der Antisepsis.
Die Tuben und Ovarien werden natürlich beim kombi-
nierten Verfahren immer mitentfernt (K. Schröder). Die Liga-
turen werden durch das Ligament, infundibulo-pehdcum gelegt,
durch das Ligament, rotundum und um die Basis des Ligamentum
latum (Plexus utero- vaginalis).
Ich kann nicht begreifen, warum man gerade bei der Hyster-
ectomie des Peritoneum nicht vollständig schliessen will. Der
völlige Abschluss des Peritoneum muss ja für den Chirurgen
schliesshch doch noch immer das Ideal sein. Warum hier nicht?
Ich würde die Operation folgendermassen machen : Bei stark
herabgezogenem Collum uteri wird die invertierte Vaginalwand im
Scheidengrunde (natürhch im gesunden Gewebe) ungefähr finger-
breit von der Insertion entfernt cirkulär eingeschnitten. Der Schnitt
geht vorne und rückwärts sofort tiefer bis ins lockere Binde-
gewebe, vorne zwischen Blase und Collum, hinten zwischen Uterus,
Peritoneum und Scheidengrund. Seitlich darf das Messer wegen der
Gefässe bloss die Vaginalwand durchtrennen. Man löst nun rasch die
durchschnittene Vaginalwand auf allen Seiten vom Collum und vom
perivaginalen Bindegewebe los und dringt sofort, die Blase vom
Collum trennend, vorne bis ans Peritoneum vor. Ebenso rück-
wärts. Stärkere Blutung wird durch Umstechungen gestillt. Die
Scheide und namentlich der Scheidengrund wird fest mit Jodoform-
mull ausgestopft. Dadurch wird der durch die Umschneidung im
Scheidengewölbe sehr mobil gemachte Uterus weit ins Becken
hineingedrängt und gegen die vordere Bauchwand zu gedrängt,
welche nun eröffnet wird. Laparotomie. Der Darm wird aus dem
kleinen Becken herausgehoben. Uterus (wie von Freund angegeben)
mittels Faden oder Llakenzange emporgehoben. Nun werden die
seithchen oberen Ligaturen (Plexus spermaticus internus) durch
das Ligament, infundibulo pelvicum, um das Ligamentum teres
gelegt, bis das Ligament dicht vor dem Plexus utero-vaginalis
unterbunden ist. Nun wird vom Becken her das Peritoneum
vorne und rückwärts breit getrennt. (Man sieht den Jodoformmull
durch das Peritoneum sehr genau durch und hat so genaue Kon-
trolle über die Ausdehnung des Schnittes.)
36
Richard Lumpe.
Der Uterus hängt nunmehr beiderseits bloss mittels des
eigentlichen Parametriums mit der Umgebung zusammen.
Da dieser Teil der Operation d. h. die Trennung des Uterus von
seiner Umgebung an dieser Stelle der schwierigste, zugleich aber
auch der wichtigste Akt der Totalexstirpation ist, so ist es selbst-
verständlich, dass sich alle Vereinfachungen und Verbesserungen
in der Technik auf diesen Punkt richten werden. Gerade
hier aber gewährt die kombinierte Methode ganz ausserordentliche
entschiedene Erleichterung. Das Operationsterrain ist in diesem
Momente der Operation vollständig gut und leicht zu übei blicken.
Die Uretheren können direkte gesehen und daher mit Sicherheit
vor Verletzung und Abbindung bewahrt werden. (Sie liegen
übrigens bei richtiger Ablösung der Blase vom Collum weit vom
Uterus entfernt.) Da die beiden Platten des Ligamentum latum
ungefähr der Höhe des Isthmus uteri entsprechend auseinander-
weichen und zwischen sich und der Beckenfascie (Scheidendach)
sich ein massiges Bindegewebe einschaltet, in welches die Uterinal-
arterien und Venen eingebettet sind, so kann es sich betreffs der
Hämostase hier nur um en masse- Unterbindung handeln, welche
allerdings die Gefahr des Abgleitens mit sich bringt, oder man
unterbindet nach provisorischer Abklemmung die einzelnen
Gefässe im Stumpfe nach der Abtragung des Uterus, oder man
lässt die (Pean - Richelot) Klemmen definitiv so lange liegen, bis
man sichere Thrombosierung der Gefässe erwarten kann (nach
Pean 36 Stunden). Die Kritik dieser Methoden inus er.st geschrieben
werden. Ich denke mir rein der anatomischen Anordnung nach
als das einfachste folgendes: die Ligaturen des oberen Gefäss-
gebietes (Plexus spermaticus) können aus technischen Gründen
nur über das Peritoneum gelegt werden und werden einfach kurz
abgeschnitten. Das untere Gefässgebiet aber (plexus utero vagi-
nalis) ist infolge seiner Anordnung vom Peritoneum vollkommen zu
isolieren. Man kann Gefässe und Bindegewebe ganz leicht soweit
vom Peritoneum ablösen, dass die Ligaturen bloss die ersteren
fassen. Die hintere Lamelle des Peritoneum, der Ligamenta lata,
ist ja bedeutend länger als die vordere und hier an dieser Lamelle
muss stets ein Teil der Ligaturen subperitoneal liegen. Man
isoliert also das Bindegewebe samt den Gefässen eine Strecke
weit. Fasst das parametrane Gewebe provisorisch in Klemmen,
trägt den Uterus ab, unterbindet die einzelnen Gefässlumina
partienweise ; nimmt die Klemmen wieder ab, verschliesst nun das
Peiitoneum über den Ligatm’en vollständig und verschliesst
nun wenigstens in der Mitte auch die Bindegewebswunde und die
Ein Beitrag zur Uterus-Chirurgie.
37
Vagina mit fortlaufender Catgutetagennaht. Die Ligaturen können
seitlich in die Vagina herausgeleitet und hier später entfernt
werden.
Die Amputation des infravaginalen Teiles des Collum uteri.
Die Abtragung und Entfernung der portio vaginalis
(bei Neoplasmen, Hypertrophie und Stenose des Cx.) bekanntlich
erst mittels Ecraseur und Glühschlinge, später mit dem Messer
ohne Naht, dann von Sims und Hegar mit verbesserten Methoden
(Umsäumung und Bedeckung des Amputationsstumpfes mit Schleim-
haut) ausgeführt, wird gegenwärtig mit Recht am häufigsten nach
einer Methode ausgeführt, welche von Simon (Heidelberg) geübt,
zuerst von seinem Assistenten Max Markwald unter dem Namen
»kegelmantelförmige Amputation« beschrieben worden ist. Die
Nachteile des Hegarschen Verfahrens liegen nicht allein in der
Schwierigkeit, den starren CerHx zu falten und die Schleimhaut-
ränder ohne Zerrung zusammenzubringen (vorzeitiges Durchschneiden
der Nähte), sondern es ist eben technisch unmöglich, zwei im
Umfange ganz ungleiche Kreise (wie es der Wundrand der durch-
schnittenen Vagina und der Wundrand der durchschnittenen
Cervix mucosa darstellen) ohne Fältelung aneinander zu bringen
und zu adaptieren und deshalb müssen hier stets wunde Flächen
nach der Operation übrig bleiben. Diese schwachen Seiten der
Hegarschen Operation haben auch schliesslich zur Simonschen
Keilexcision oder Lappenamputation geführt, um deren weitere
technische Vervollkommung sich besonders Schröder und Martin
(Berlin) angenommen haben. Die Schnittführung am Cervix ist
durch die bilaterale Discission wesentlich erleichtert, und Varia-
tionen in der Art dieser Schnittführung gestatten ein Individuali-
sieren innerhalb weiter Grenzen. Es wäre sicherlich zu wünschen,
dass die bilaterale Discission des Cervix nur mehr als technischer
Vorakt für andere Operationen (Keil-Excision, Entfernung von
submucösen Myomen u. dergl.) ausgeführt würde. Die Discission
als solche allein angewendet, wie das gewöhnlich heute noch bei
Stenosis orificii (Sekretstauung, Dysmenorrhoe und Sterilität) geschieht,
hat einen sehr geringen vorübergehenden therapeutischen Nutzen.
(Am ehesten noch nach der Methode von Kehrer und Fritsch
das Ostium radiär zu spalten und die Ecken abzutragen). Es
kommt bei der Keilexcision wie schon erwähnt auf die Indikation
und auf den Zweck an, den man zu erreichen strebt. Im all-
gemeinen ist es ratsam, mit den Incisionen nicht über den
38
Kichard Ivumpe.
Scheidenansatz hinauszugelien und den inneren Schnitt bogen-
förmig über die Cervicalmucosa zu führen. Mit 2 — 3 Nähten
wird die Cervicalmucosa an die Vaginahnucosa geheftet und eben-
soviel Nähte genügen links und rechts (wie bei Emmet.) für die
Discissionsflächen.
Schluss.
Es war mir in der vorliegenden kleinen Arbeit, welche bloss
einen Beitrag zur Uterus-Chirurgie bilden soll, nur um die rein
technische Seite der Operationen zu thun, die Indikationen sind
deshalb kaum berührt. Die Indikationen sind ja bereits für die
meisten derartigen Operationen an sich präcisiert und geklärt;
in jedem einzelnen Falle aber hängt doch die Indikationsstellung
immer wieder von dem individuellen Urteile ab. So ist die
Indikation für den einen vorhanden, für den anderen nicht. Bei
tüchtiger naturwissenschaftlicher Bildung und gereifter Erfahrung
wird das Urteil begreiflicherweise anders geleitet als dort, wo
Operationslust, das Bestreben sich auszuzeichnen und oft noch ganz
andere Dinge mit Mangel an Erfahrung und Unkenntnis sich
kombinieren.
Ich kann, was die Indikationen betrifft, nichts Besseres thun,
als auf einen Vortrag hin weisen, den Sir Thomas Spencer
Wells September 1890 am Royal College of Surgeons in London
hielt, in welchem er in geradezu klassischer Weise dem Missbrauche,
welcher seiner Zeit namentlich mit der Oophorectomie und Salpin-
gotomie getrieben worden ist, entgegentrat.
Zur chirurgischen Behaudluug
tuberkulöser Ellbogenerkrankungen
im Kindesalter.
Vom einer. Primarärzte des Erzherzogin Maria-Theresia-Seehospizes
in S. Pelagio liei Kovigno
Dr. Max Sehe impflug.
Während meiner fast vierjährigen Thätigkeit als Leiter des
Erzherzogin Maria-Theresia-Seehospizes hatte ich Gelegenheit, eine
grosse Anzahl von tuberkulösen Lokal-Affektionen der verschie-
denen Körperregionen zu beobachten. Ich greife hier nur die Er-
ki’ankungen des Ellbogens heraus, indem das Gesamt-Material den
Gegenstand einer grösseren Abhandlung bildet, in welcher auch
die allgemeinen, hygienisch diätetischen Vorzüge des maritimen
Aufenthaltes und der Hospizbehandlung Berücksichtigung finden
sollen.
In dem genannten Zeiträume gelangten im Erzherzogin IVIaria-
Theresia-Seehospiz 44 Fälle von tuberkulöser Ellbogengelenks-
Erkrankung zur Behandlung. Von diesen waren ca. die Hälfte als
Ausgangsformen der Gelenkaffektion anzusehen in Ankylose, zu-
weilen mit restierenden Fisteln, zum Teil nach andernorts vollführten
operativen Eingriffen, zum Teil nach spontaner Involution ; einige
derselben waren noch mit mehr weniger floriden skrofulösen Er-
scheinungen und mit Lokaltuberkulose anderer Körperregionen
vergesellschaftet. In anderen Fällen handelte es sich um schwere
multiple Erkrankungsformen, bei denen das Ellbogengelenksleiden
nur eine von den zahlreichen Manifestationen tuberkulöser All-
gemeinerkrankung darbot und in welchen bereits vorgeschrittene
degenerative Veränderungen innerer Organe Platz gegriffen hatten.
40
Max Sdieiinpflug.
Neben der günstigen Beeinflussung des Allgemeinzustandes
sowohl, als auch der mehr weniger stationären Lokalprozesse durch
die klimatischen und hygienischen Vorteile des Seeaufenthaltes
nahmen jene Kranken nur insoferne chirurgische Hilfe in Anspruch,
als es sich um die Korrektur unbrauchbarer Strecksteilung oder
um die raschere Mobilisation der Ankylosen durch gewaltsame
oder allmähliche Krafteinwirkung handelte. Seltener musste durch
Evidements hartnäckiger Fistelgänge oder durch Reresection nach-
geholfen werden , wenn die lokale Recidive nicht rückgängig
werden wollte.
Für die vorliegende Besprechung kommen hauptsächlich die-
jenigen Ellbogenerkrankungen in Betracht, deren florider und
progressiver Charakter einer abwartenden Behandlung keine gün-
stigen Chancen bot, oder solche stationäre Leiden, bei welchen der
die Involution fördernde Einfluss der Thalassotherapie erschöpft
zu sein schien. In diesen Fällen wurde in der Hoffnung, den
Krankheitsherd rasch zu beseitigen und das erkrankte Glied wieder
brauchbar zu machen, die Eröffnung der Gelenkskapsel und die
Entfernung der erkrankten Partien vorgenommen.
Bevor ich auf die Besprechung der einzelnen Fälle eingehe^
möchte ich vorausschicken, dass die Dignität der genannten Lo-
kalisation verschieden erschien, je nachdem wir es mit einer
isolierten Erkrankung zu thun hatten , oder Komplikation mit
anderweitigen Knochen- und Gelenkstuberkulosen vorlag; ferner
je nach dem Grade, in welchem der Gelenksprozess von all-
gemeinen Ernährungsstörungen , von floriden rhachitischen oder
skrofulösen Erscheinungen oder von sekundären phthisischen oder
amyloiden Veränderungen innerer Organe begleitet war; endlich
musste auch das Alter des Prozesses, sein anatomischer Charakter
und seine Tendenz zur Involution oder Progression die Indikation
zur operativen Behandlung beeinflussen.
Eine scharfe Trennung aller dieser Formen in einzelne
Gruppen ist nicht wohl durchführbar, da die Einteilungsprinzipien
zu sehr durcheinander greifen, auch konnten nicht alle Fälle durch
Autopsie des Gelenksinneren auf ihre anatomische Beschaffenheit
geprüft werden; häufig bleiben tuberkulöse Herde der Diagnose
verborgen und auch der Verlauf unterliegt verschiedenen Intensitäts-
schwankungen. Doch mögen einige Zahlen das annähernde Ver-
hältnis charakterisieren. Es gelangten folgende Fälle zur Be-
ll andlun 2' ;
Tuberkulöse Ellbogenerkrankungen.
41
A. Isolierte Lokalisation im Ellbogen.
a. floride Erkrankung:
rein synovialer Fungus mit Fistelbildung . . 1
abscedierend 1
epiphysäre Caries mit Kapselfungus 5
b. Totalnecrose der Gelenke mit Verknöcherung der
Kapsel (Amyloidosis) 1
o. Caries sicca mit Streckankylose 1
d. Ankylose nach Arthrektomie :
ohne Fistel 1
mit Fistel 4
mit ausgedehnter tuberkulöser Kecidive ... 1
Summe : 15
B. Komplikation der Ellbogenerkrankung mit
multiplen tuberkulösen Prozessen.
I. Leichte Fälle.
a. floride Erkrankung:
Epiphysäre Herde mit Kapsel-Fungus .... 3
dto. mit periarticul -Fungus 1
Apophysäre Nekrose des Humerus mit sekundärer
Gelenkschwellung 2
b. Caries sicca mit Ankylose 1
c. Ankylose mit Fisteln u. Narben:
nach Evidement (?) 3
Nach spontaner Involution 4
Summe : 14
II. Schwere inveterierte Fälle mit sekundärer Degeneration der
inneren Organe.
a. Kein synovialer Fungus 1
b. Ausgedehnte, in die Diaphysen reichende Nekrose 2
c. Infiltrierende progressive Tuberkulose der Knochen 2
d. Floride epiphysäre Herde 3
e. Ankylose (spontan entstanden) mit renitenten Fisteln
und periodischer Abscedierung 6
f. Ankylose ohne Fistel nach Arthrektomie .... 1
Summe : 15
42
Max Scheimpflug.
Von 44 Ellbogenerkraiikungen waren somit 15, d. i. 34°/o
isolierte Prozesse und 3, d. i. 0,8 ^/o, durch Gelenksautopsie nach-
gewiesen, rein synoviale Fungi.
Eine analoge Zusammenstellung der im Hospize behandelten
tuberkulösen Kniegelenkserkrankungen ergab hingegen 55”/o iso-
lierte Prozesse und 10,5 °/o rein synoviale Fungi. Das Vorwiegen
rein synovialer Formen beim Kniegelenk mag damit Zusammen-
hängen, dass auf die Kniegelenksflächen doch ungleich schwerere
physiologische Traumen einwirken ; andererseits macht sich für die
Häufigkeitsdifferenz der isolierten Prozesse der Grössenunterschied
der Gelenksflächen als ätiologisches Moment geltend, denn je
kleiner ein Gelenk ist, desto seltener erscheint es isoliert erkrankt,
desto häufiger finden wir Komplikation mit skrofulösem Habitus,
Drüsentuberkulose und Lokaltuberkulose in anderweitigen Knochen
und Gelenken. Auch die oben angeführten »isolierten« Ellbogen-
Prozesse waren zum Teil mit Lymphdrüsenschwellungen und skro-
fulösem Habitus gepaart, dessen Erscheinungen zuweilen noch nach
operativer Säuberung des Ellbogens zu Tage traten.
Indem ich nun zur Besprechung des operativ behandelten Mate-
riales übergehe, muss ich meine Uebereinstimmung mit Königs
Ausspruch betonen, ,,dass die konservative Behandlung der tuber-
,,kulösen Ellbogengelenke durchaus zweifelhafte Resultate schafft,
,,und dass man, wenn das Gelenk bereits erhebhch erkrankt ist,
,,sei es, dass es sich um ein fistulöses oder um ein abscedierendes
„Gelenk ohne Fisteln, sei es, dass es sich um einen blossen Fungus
,, handelt, mit der Resektion nicht zu lange zögern soll.“ Selbst-
verständlich ist dabei die schonende atypsiche Resektion gemeint,
und sind jene Prozesse unberührt zu lassen, welche auf dem Boden
eines sehr erethischen Organismus besonders bei sehr jungen
Kindern mit labilem Gefässsystem und äusserst reizbarem Gewebe
erwachsen sind und sich durch mangelhafte ilbgrenzung und
Neigung zur entzündlichen Reaktion und Ausbreitung der Infektion
charakterisieren.
Von achtzehn im Seehospize arthrotomierten Ellbogengelenken
waren nur drei frei von kariösen Knochenherden, wenn wir von
kleinen, ca. linsengrossen lakunären Arrosionen an den Rändern
der Fossa sigmoidea, resp. in der Fossa intercondyloidea absehen.
Der erste dieser Fälle von rein synovialem Fungus betraf ein Her-
jähriges Kind von leicht skrofulösem Habitus (kleine Halslymphome
und einzelne Hautulcera) und hatte zur Fisteleiterung geführt.
b r>ie Tiiljerkulose der Knochen-Gelenke. Berlin 1884 S. 168.
Tu])erkulö8e Ellbogenerkrankungen.
43
Fixation in 110*^ und Schmerzhaftigkeit, starke pastöse Auftreibung.
Nach Kapsel-Exstirpation erfolgte reaktionslose Heilung. — Es
wurde 30 aktive und 50^ passive Beweglichkeit erzielt. Sechs
Monate nach der Entlassung war das Heilungsresultat ohne Re-
cidive gebheben. Die skrofulösen Symptome schwanden während
des protrahierten Hospizaufenthaltes und recidi vierten später nicht.
Der zweite Fall war über das Kindesalter hinaus, ein löjähriger
Bursche. Bei ihm fehlten skrofulöse Erscheinungen ebenso wie
anderweitige Knochenprozesse, und durfte die rechtsseitige Ellbogen-
gelenkserkrankung, da Patient als Buchbinder und Meerschaum-
drechsler beschäftigt war, möghcherweise auf eine traumatische
\"eranlassung bezogen werden. Das Leiden hatte einen akut-ent-
zündlichen Charakter, der Fungus war in Eiterung begriffen und
dem Aufbrechen nahe. Patient sah äusserst herabgekommen und
phthisisch aus, litt an eitriger Bronchitis und profusen Diarrhöen,
die aber nach Entfernung des Lokalleidens im Ellbogen bald
sistierten. Nach der Kapsel-Exstirpation erholte sich Patient präch-
tig, der Arm heilte mit ca. 30° Beweglichkeit in rechtwinkliger
Stellung und Patient konnte bald nach seiner Entlassung wieder
sein Gewerbe aufnehmen.
Der dritte Fall hingegen betraf einen durch mehrere hinter-
einander aufgetretene cariös-fungöse Prozesse schwer heimgesuchten
Knaben von acht Jahren. Eine längst überstandene Coxitis war
spontan (?) mit Luxation und Beweglichkeit ausgeheilt. Die Ellbogen-
Erkrankung aber schien die Folge eines ascendierenden Prozesses
zu sein, wie solche häufiger an den unteren Extremitäten lieobachtet
werden. Beginn des Leidens mit Caries im Metacarpus, dann Ent-
stehung periartikulärer Fungi am Handgelenke, dasselbe partiell
in Mitleidenschaft ziehend, schliesslich trotz, oder vielleicht infolge
der Exstirpation letzterer, unter gleichzeitiger Recidive am Hand-
gelenke, Uebergreifen des fungösen Prozesses auf das Ellbogengelenk,
wie es scheint durch ^’^ermittlung von periartikulärem Weichteil-
fungus. Jedenfalls geschah das Weiterschreiten nach dem Centrum
unter gleichzeitigem Abklingen der periferen Herderkrankungen,
was immerhin den Fall für die endliche Ausheilung prädisponierte.
Nach der Kapselexstirpation im Ellbogen recidi vierte der Fungus
zwar nicht, auch blieb im Ellbogen Beweglichkeit zwischen 60 und
150° erhalten, aber es trat eine als ,, Klauenhand“ zu bezeichnende
Kontraktur auf, die, obwohl der N. ulnaris nicht verletzt worden,
auf einen wahrscheinlich durch Verbanddruck, oder durch narbige
Kompression bedingten neuritischen Prozess bezogen werden muss.
In allen übrigen im Hospize arthrotomierten Fällen fanden
44
Max Scheimpflug.
sich in den knöchernen Gelenksbestandteilen wahrscheinlich primäre
kariöse Herde ; diese beschränkten sich entweder auf die Ej^iphysen,
u. z. der Ulna (Olekranon, Proc. coronoideus) allein dreimal, des
Humerus (Epicond, ulnaris, Epicond, radialis) allein viermal, beider
Knochen dreimal; oder sie reichten als nekrotisierende Prozesse
weit über das Gelenksgebiet hinaus in die Apo- und Diaphysen,
u. z. des Humerus und der Ulna dreimal, aller drei Knochen des
Gelenkes zweimal.
Von diesen primär ossalen Ellbogengelenkserkrankungen
mussten die rein epiphysären Formen (Nr. 4 — 12) als weniger
schwerwiegend oder als noch in den Anfangsstadien befindlich
angesehen werden, und, wenn auch einzelne skrofulöse Symptome,
wie Drüsenschwellungen, Hautgeschwüre und Schleimhautaffektio-
nen, namentlich bei jüngeren Kindern, oder begleitende kariöse
Prozesse leichteren Grades (zweimal am Unterkiefer, einmal am
Metatarsus) Vorlagen, so waren es doch im ganzen kräftige und
ziemlich gutgenährte Kinder, so dass wir hoffen durften, durch
Elimination des Lokalprozesses auch die Hauptquelle der Allgemein-
erkrankung zu verstopfen und an Ort und Stelle befriedigende
Resultate quoad functionem zu erlangen. In der That war auch
der Verlauf im allgemeinen ein sehr günstiger, die Heilung eine
rasche und erzielten wir in einigen Fällen ausser brauchbarer
Stellung ziemlich ausgiebige Beweglichkeit. In 2 Fällen (Nr. 5, 12)
hatten wir allerdings nach anfänghch gutem Wundverlaufe mit
chronischer Eiterung und tuberkulöser Recidive zu schaffen; in
einem weiteren (Nr. 8) fand trotz rascher Primaheilung nachträg-
lich unter gleichzeitiger pneumonischer Erkrankung und lokalem
Erysipel Abscessbildung und Aufbruch der bereits geheilten Wunde
statt. In einem Falle (Nr. 9) musste die Kapselexstirpation der
Ausräumung eines periartikulären Infiltrates folgen, nachdem das-
selbe recidiviert war und bei der Nachoperation als einem kariösen
Gelenksherde entstammend, und mit synovialem Fungus zusammen-
liängend erkannt wurde.
Auch in diesem Falle beobachteten wir eine Beuge-Kontraktur
der ulnawärts gelegenen Finger (IV und V), welche aber schon
vor der Operation bestanden hatte, und nach derselben ebenso
wie die Neigung des Ellbogens zu spitzwinkeliger Kontraktur etwas
intensiver wurde. Die Ausheilung der Operationswunde erfolgte
prompt, die vorher bestandene Beweglichkeit verminderte sich in
geringem Grade.
In einem anderen Falle (Nr. 10) von periartikulärem Abscess
im sulc. bicip. int. wurde ein primärer Herd im epicond. uln. hum.
Tuberkulöse Ellbogenerkrankungen.
45
gefunden und ausgeräumt, dabei auch das Gelenk eröffnet, jedoch
die nicht erkrankte Synovialis intakt gelassen. In den beiden
letzten Fällen handelt es sich offenbar um primäre Knochenherde,
welche entweder mit Umgehung der Gelenkskapsel nach aussen
perforieren, oder in’s Gelenk durchbrechend, dortselbst bloss
eine circumscripte Infektion bedingen. Geringe Schwellung und
Beweglichkeitsbeschränkung , auch Abscess- und Fistelbildung
ohne heftige entzündliche Erscheinungen begleiten in solchen
Fällen den trägen Verlauf bis zur Ankylosenbildung, wenn nicht
durch irgend ein Trauma oder eine ähnliche Gelegenheitsursache
aus der chcumscripten eine Panarthritis wird.
In einer anderen Reihe von ossalen Erkrankungen des Ell-
bogengelenkes hatten wir es nun mit weit ausgedehnteren und
offenbar auch älteren Prozessen zu thun, welche über das Bereich
des Gelenkes hinaus auf die Diaphysen übergegriffen und zu aus-
gedehnter Nekrotisierung geführt hatten. Diese Kranken waren
durchgehends schwerleidend, einerseits durch erschöi^fende Eiterung
heruntergebracht, andererseits durch die putride Beschaffenheit
des Sekretes in chronisch septischem Zustande. Ueberdies litten
sie an vorgeschrittener amyloider Degeneration, phthisischen
Lungenaffektionen und x4.1buminurie oder waren mit multiplen
kariösen Prozessen schwerster Art behaftet. Ein Fall (Nr. 13) er-
schien dadurch merkwürdig, dass das ganze Ellbogengelenk in
eine starre neugebildete Knochenkapsel umgewandelt war, in der
die drei konstituierenden Knochen bis hoch in die Diaphysen
hinein nekrotisiert eingesargt lagen. Nach Entfernung der Sequester,
die ziemlich lose waren, musste die knöcherne Kapsel mit dem
Meissei quer durchschlagen werden, um eine neue artikulierende
Verbindung herzustellen, was auch unter sehr günstigem Wund-
verlaufe gelang. Es wurde ein widerstandsfähiges und ausgiebig
bewegliches Gelenk erzielt, zu dessen vollem Gebrauch nur die
aufs äusserste atrophierte Oberarnimuskulatur der Regeneration
bedurfte. — Ein Fall (Nr. 14) von beiderseitiger Streckankylose,
auf der linken Seite mit Totalnekrose der Ulna verbunden, bot
das Bild grösster Hilflosigkeit, da Patientin ihre Arme zu gar
nichts gebrauchen konnte. Die ganze linke Ulna bis auf die car-
pale Apophyse wurde aus dem durch tuberkulöse Granulationen
bekleideten schwieligen Perioste ausgelöst. Eine Knochenlade
blieb nicht zurück, da auch sie in den nekrotisierenden Prozess
einbezogen war, so dass der Radius die Kontinuität aufrecht er-
halten musste. Das Resultat war allerdings ein Schlottergelenk,
welches zur Gebrauchsfähigkeit eines Stützapparates bedarf; auf
46
Max Scheimpflug.
der rechten Seite hingegen wurde ein vollkommen kräftiges und
bewegliches Gelenk in brauchbarer Beugestellung erzielt, trotzdem
alle drei Knochenenden nekrotische Zerstörungen aufgewiesen hatten.
Die Heilung ging überraschend schnell von statten und erholte sich
die herabgekommene phthisische Kranke sehr gut. Leber- und
Milzschwellung gingen zurück, die Albuminurie verminderte sich
erheblich, Patientin hatte in 3 Monaten um 3 Kilo an Gewicht
zugenommen. — Ein anderer Fall (Nr. 15) von Total-Nekrose der
Ulna, ein 12 jähriger Knabe, der überdies an multiplen nekroti-
sierenden Ostitiden litt, ergab nach Resektion der Ulna ein aus-
gezeichnetes funktionelles Resultat, weil die Knochenlade ein sehr
brauchbares Surrogat des resecierten Knochens bildete, und auch
das Olekranon zum Teil erhalten bleiben konnte. Der jetzt
14jährige Bursche arbeitet gegenwärtig wie ein Gesunder an der
Drehbank. — Endlich habe ich in mehreren Fällen von multipler
Knochen- und Gelenkscaries schwerster Art, teils um die Zahl
eitriger Prozesse zu vermindern, teils um unbrauchbare Streck-
ankylosen mit Beweglichkeit zur Ausheilung zu bringen, die resectio
cubiti partialis gemacht, in anderen bin ich davon abgestanden,
weil sie zu aussichtslos erschienen und ich die Gefahren der Nar-
kose etc. bei ihrem elenden Zustande scheute. Die Resultate am
Ellbogen wären ja auch in diesen Fällen sehr schön und erstrebens-
wert, wenn nicht das Gesamtbefinden dieser armen Wesen so
häufig zum Niedergange neigte.
Doch giebt es ausnahmsweise solche Kranke, deren Lokal-
prozesse nach jahrelanger abundanter Eiterung und nach voll-
endeter Verkrüppelung durch Kontraktur und Ankylose in ein
Stadium der Defervescenz treten. Die Eiterquellen versiegen und
die früheren pastösen Schwellungen schrumpfen zusammen. In
solchen Stadien, denen auch die Bäderbehandlung und die hygie-
nisch-diätetischen Massnahmen in eminenter Weise zu Hilfe kommen,
bringt die Arthrotomie und Resektion ein steifgestrecktes Ellbogen-
gelenk mit Fisteln und Narben rasch zur Heilung und Gebrauchs-
fähigkeit (Nr. 16). Leider ist zuweilen die Freude kurz, wenn
solche Fälle rekrudescieren und durch neue akute Eruptionen
ihrem Untergange entgegeneilen (Nr. 17). Unter solchen Um-
ständen und wenn überhaupt die tuberkulösen Lokalprozesse noch
in üppiger Entfaltung sich befinden, namentlich bei jenen Formen
von nicht abgrenzbarer, progressiv sich ausbreitender käsiger In-
filtration der Knochen ist der operative Eingriff ein zweischnei-
diges Mittel: sehr leicht tritt tuberkulöse Lokalrecidive oder cen-
trales Fortschreiten der Prozesse z. B. vom Ellbogen- auf das
Tuberkulöse Ellbogenerkrankungen.
47
Schultergelenk auf, wie ich in einem Falle (Nr. 18) beobachtete.
— Im Seehospize kam auch eine Reihe von Ellbogenerkrankungen
zur Behandlung, bei denen die Multiplizität anderweitiger Knochen-
und Gelenksleiden, ihr destruktiver Charakter (besonders akut
verlaufende Spondylitis) die unter unseren Augen sich abspielende
progressive Degeneration der inneren Organe, chronisch urämische
Zustände etc. so unüberwindliche Kontraindikationen für jedes
operative Vorgehen darboten, dass mr von vorneherein darauf
verzichteten; jeder Versuch, hier mit dem Messer der Natur zu
Hilfe zu eilen, hätte sicli durch Schwächung der Kranken gerächt
und ihr Ende beschleunigt, während zuweilen selbst in den ver-
zweifeltsten Fällen noch eine Erhaltungs- und Regenerations-
kraft verborgen liegt, die unsere trübe Prognose zu Schanden
machen und die gezählten Tage in ungezählte verwandeln kann.
Andererseits müssen wir gestehen, dass keine chirurgische Lokal-
tuberkulose grösserer Gelenke so günstige Chancen zur operativen
Behandlung (Arthrektomie, resp. atypische partielle Resektion) dar-
bietet, wie die Ellbogengelenkscaries. Handelt es sich um frische
unkomplizierte Fälle, bei denen der skrofulöse Habitus nicht zu
sehr vorwaltet, so wird die Heilung des Lokalleidens durch die
Operation rasch herbeigeführt; das Allgemeinbefinden leidet da-
durch gar nicht; der Kranke ist nur wenige Tage ans Bett ge-
fesselt, er verliert nur wenig oder gar kein Blut; unter fleissiger
Anwendung von Massage und passiven Bewegungen gestalten sicli
die funktionellen Resultate im allgemeinen sehr befriedigend. Bei
schonendem Vorgehen und Festhalten an dem Prinzipe, nie mehr
als das Kranke zu entfernen, ist die operative Läsion gewiss
nicht verstümmelnder wie das Fortschreiten des kariösen Prozesses.
Bei den veralteten, meist in Streckankylose ausgegangenen Formen
von Caries necrotica des Ellbogengelenkes ist die Resektion das
einzige und unumgängliche Mittel, um einen brauchbaren Arm zu
gewinnen, und wird die Anzeige durch den chronisch-septischen
Zustand erhöht, der, wenn nicht bereits deletäre Veränderungen
der inneren Organe vorliegen, durch Elimination des putriden
Herdes nur gewinnen kann.
Die Operationsmethode anlangend, wurde mit Berücksichtigung
der bestehenden Fisteln und narbigen Adhäsionen vorzugsweise
der dorsale Längsschnitt nach Langenbeck, seltener Olli er ’s
Bajonettschnitt angewendet, der Streckapparat geschont, wobei
Längsspaltung desselben, subpereostale Loslösung vom Olekranon
oder temporäre Resektion des letzteren nicht ausgeschlossen war,
die fungöse Kapsel soweit möglich von aussen exstirpiert und nm^
48
^lax Scheiini)fliig.
jene Knochenteile entfernt, welche in das Bereich kariöser Erweichung,
eitriger oder käsiger Infiltration und Neki’ose einbezogen erschienen.
Hierauf sorgfältige Desinfektion, Etagennaht, Drainage und Tampo-
nade der entstandenen Höhlen mit in ätherischer Perubalsam-
lösung getränkter Jodoformgaze. — Kompressionsverband und
Eingipsung in leicht spitzwinkeliger Beugestellung mit Einbeziehung
des Schultergürtels. Nur bei sehr starker Spannung der Nähte
wurde das Gelenk in Dreiviertelstreckstellung fixiert, um es beim
ersten oder zweiten Verbandwechsel in Beugung überzuführen. Nach
8 — 10 Tagen Entfernung der Tampons und Nähte, Kürzung der
Drains. — War der Wundverlauf ein glatter, so begannen die
passiven Bewegungen 3 — 4 Wochen nach der Operation. Bei der
Nachbehandlung wurde die Neigung zur Strecksteilung mittels
elastisch wirkender Vorderarm-, Hand- und Schultergürtel um-
fassender Halfter aus Lederzeug bekämpft.
Es fragt sich nun, welche Vorteile von der zuwartenden
Behandlung am Meeresstrande gezogen wurden. Eine spontane
Ausheilung von Fungus des Ellbogens mit restitutio ad integrum
haben wir nicht gesehen. Dazu hätte es jahrelanger Geduld
bedm’ft, die uns meistens durch das Fortschreiten der Prozesse
geraubt wurde. Wohl aber kamen einzelne Fälle von Kontraktur
und partieller oder totaler Ankylose in Beuge- und (häufiger)
Streekstellung als Endstadien einer ohne Eiterung oder heftige
entzündliche Vorgänge verlaufenen Caries cubiti sicca zur Be-
obachtung. Desgleichen sehen wir alte, aus Tumor albus des
Ellbogens mit Nekrose, ausgedehnter Ulceration und Fisteleiterung
hervorgegangene Ankylosen, bei denen die chronische Eiterung
unter Bädergebrauch, Lapistouchierung und Jodoformverbänden
sich verminderte, selbst sistierte und die Beweglichkeit, allerdings
in geringem Grade, wiederkehrte. In ähnlich günstiger Weise
wurden mehrere anderwärts am Ellbogen arthrotomierte Fälle
beeinflusst, welche mit festen oder nur wenige Grade beweglichen
Ankylosen und ohne Gelenksschwellung fortbestehenden mässig
secernierenden Fisteln zur Aufnahme gelangten. Die Fisteln
schlossen sich unter Mitwirkung der üblichen Wundbehandlung
und Lapistouchierung spontan, zuweilen nur auf kurze Zeit, um
wieder aufzubrechen, aber doch nach und nach solid, unter tiefer
Einziehung zu vernarben. In einigen Fällen musste mit dem
Löffel nachgeholfen werden. Streckankylosen Hessen sich in Nar- j
kose redressieren und allerdings in geringem Grade mobilisieren.
In zwei auswärts operierten Fällen jedoch bestand starke tuber-
kulöse Recidive mit Schwellung und ulcerösem Zerfall der Narben.
T über k ulöse Ellbogeiierkiankungeii .
49
In einem derselben versuchten wir durch Nach-Resection die
Ausheilung herbeizuführen, in dem anderen verhielten wir uns
vollkommen passiv. Beide Fälle sind trotz jahrelanger Pflege noch
immer nicht zur Ausheilung gelangt, wogegen ihr Allgemein-
befinden unter zeitweisen Schwankungen zum Bessern in allmäh-
hchem Niedergange begriffen ist. — Im Anhänge an die Cubital-
Gelenks - Erkrankungen habe ich noch zweier Fälle zu erwähnen,
bei welchen ziemhch ausgedehnte nekrotisierende ostitische Herde
in der angrenzenden Apohpyse des Humerus Vorlagen, ohne dass
das Ellbogengelenk , abgesehen von beträchtlicher sympathisch
entzündlicher Schwellung und Beweglichkeitsbeschränkung fungös
erkrankt war. Diese Fälle imponierten von vornherein als schwere
Gelenkaffektionen; die extraartikulären Herde konnten aber ohne
Blosslegung des Gelenksinnern ausgeräumt werden, und blieb auch
im weiteren Verlauf das Gelenk intakt. In einem dieser Fälle,
ein sehr zartes anämisches, überdies an putrider Otorrhöe leidendes
Mädchen von 7 Jahren betreffend, war der Humerusschaft ün
untersten Drittel in toto zerstört, sodass bei der Ausräumung eine
Diskontinuität entstand, deren Konsolidation lange Zeit beanspruchte.
In dem anderen Falle musste wegen hartnäckiger Recidive das
E\idement öfters wiederholt werden, ehe Verheilung ein trat. Die
Funktion des Ellbogens war in beiden Fällen schliesslich fast
vollständig hergestellt.
Tabellarische Zusammenstellung der arthrotomierten Fälle von
tuberkulöser Ellbogenerkrankung siehe S. 50 u. ff.
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Die Zungencarcinomoperationen der
Klinik Prof. Billroth’s
von 1881 — 1892.
von Dr. K. Büdiiiger, Assistent der Klinik.
Es sind zehn Jahre verstrichen, seit zum letzten Male aus der
Klinik Billroth über die Resultate bei den OjDerationen des Zungen- und
Mundbodenkrebses berichtet worden ist. Damals veröff enthchte W ölf-
1er die ersten 17 Fälle, bei welchen die Jodoformbehandlung an-
gewendet worden war und welche die neue Aera der Wundbehand-
lung im Munde einleiteten. Endlich war der Beweis erbracht, dass
auch im Munde weder komplizierte Operationsmethoden, noch
die Anwendung ätzender Substanzen nötig sei, um einen asepti-
schen Verlauf zu sichern, sondern dass auch hier die allgemein
gültigen Prinzipien der modernen Wundbehandlung zu gelten haben.
Endlich war die antiseptische Methode in der Mundhöhle auf
annähernd gleichen Fuss mit dem V erfahren bei den Hautwunden
gekommen, welchem sie bis dahin immer ein beträchtliches Stück
nachgehinkt war. Denn während dieselbe Methode bei den
Operationen mit Hautdurchtrennung mit einem Schlage eine
radikale Umwälzung bewirkte, während mancher neue Eingriff erst
durch sie ermöglicht oder berechtigt wurde, hat es lange gedauert,
bis die Chirurgie der offenen Körperhöhlen dazu gelangte,, sich diese
Errungenschaft vollkommen dienstbar zu machen. Erst geraume
Zeit, nachdem die Diphtherie und fortschreitende Phlegmone des
Zellgewebes aus der Zahl der Krankheiten der Hautwunden aus-
geschieden waren, ist es gelungen, diese Gefahren auch von den
Wunden der Mundhöhle fern zu halten. Der Grund davon
ist wahrscheinlich in der theoretischen Anschauung zu suchen.
1) Zur Wundbehandlung im Munde. Archiv für klinische Chirurgie Bd. XXVII.
Die Zungencarcinomoperationen.
00
mit welcher die Verhältnisse in früherer Zeit betrachtet wurden.
Der Entdeckung der Streptococcen und Staphylococcen als Erreger
der Eiterung folgte die Suche nach diesen Bakterien in und ausser-
halb des menschlichen Körpers; bald hatte man gefunden, dass
die mit der Aussenwelt frei kommunizierenden Körperhöhlen von
pathogenen und nicht pathogenen Keimen wimmeln. Daran
musste sich bei der noch mangelnden Kenntnis der Unterschiede
in der Virulenz der pathogenen Keime die Ueberzeugung schhessen,
dass es nötig sei, die Wunden in den Körperhöhlen und speziell
im Munde ganz besonders zu schützen, wenn sie vor Infektion
bewahrt werden sollten. Auf dieser Ansicht beruht auch die früher
an der Klinik Billroth angewendete Methode der Verätzung der
Wunde mit Kah hypermanganicum, und die noch jetzt von White-
head “) geübte Methode, bei welcher die Wundflächen mit einem
Jodoformfirnis überzogen werden. Hatte schon die Einführung der
Verätzung, wie sie von Wölf 1er®) in dem Berichte von den Jahren
1876—1881 geschildert ist, einen bedeutenden Fortschritt gegen
früher bedeutet, so schien der Erfolg der Eingriffe im Munde in
Bezug auf den unmittelbaren Ausgang gesichert, seitdem das Jodo-
form in Gestalt von Pulver und in Gaze imprägniert zur Bedeckung
der Wunde angewendet wurde. Unterdessen wurde die neue Be-
handlungsart in mancher Beziehung weiter ausgebildet und das
Resultat ist, dass die Exstirpation der Mundboden- und Zungen-
carcinome kaum mehr schlechtere Erfolge in Bezug auf die Wund-
heilung darbietet, als ein Eingriff an anderen Körperstellen. Zu-
dem ist auch die Heilungsdauer eine bedeutend kürzere geworden,
was umsomehr in Betracht zu ziehen ist, als leider die Resultate
in Bezug auf gänzliche Heilung immer gleich ungünstig sind und
sich nicht so bald bessern zu wollen scheinen.
Die Aufgabe des Nachfolgenden soll es nun sein, im Anschluss
an die Berichte der Züricher und Wiener Klinik *) und die daran
anknüpfenden Arbeiten Wölflers in kurzem einen weiteren Beitrag
zur Gescliichte der Operation des Zungenkrebses zu liefern und die
Weiterentwicklung dieses Eingriffes zu beleuchten.
Wh sehen in dem letzten Vierteljahrhundert drei Perioden
mit vollständig verschiedenen Gesichtspunkten. Die erste bildet
den Abschluss jener langen Epoche, welche sich damit beschäftigte,
die Operationstechnik durch komplizierte Methoden zu bereichern,
Report of 104 cases of entire excision of the tongue for cancer. I.anzet 1891 .
Zur Geschichte der operativen Behandlung des Zungenkrebses. Archiv
für klinische Chirurgie 1881, Bd. XXVI.
b Chirurgische Klinik; Zürich und Wien.
56
K. Büdinger.
respektive unter diesen die geeignete zu finden ; die zweite Periode
steht bereits unter dem Zeichen der eingebürgerten Antiseptik
und legt das Hauptgewicht auf die Verhinderung der Infektion
durch Bedeckung der Wunde; die dritte, deren Resultate besprochen
werden sollen, sucht die Gleichstellung der Operationen im Munde
mit anderen blutigen Eingriffen durch vereinfachtes Verfahren
und Anwendung der allgemein gültigen Wundbehandlungsmethoden
zu erreichen.
Die von Wölfler veröfientlichten 17 Fälle von Jodoform-
behandlung müssen bereits in diesen letzten Abschnitt mit ein-
bezogen werden. Was damals über das neue Verfahren gesagt
wurde, gilt noch heute in vielen Beziehungen unverändert. Aller-
dings sah man sich im Laufe der Zeit genötigt, die grossartigen
Hoffnungen, welche auf die Anwendung des Jodoforms gegrün-
det worden waren, etwas zu reduzieren. Das Mittel war gerade
neu in die Chirurgie eingeführt worden und man schrieb ihm
eine fast wunderthätige Kraft gegenüber den pathogenen Mikro-
organismen zu. Neuerhch haben aber vielfache Untersuchungen
von Baumgarten u. a. erwiesen, dass das Jodoform überhaupt
nicht im Stande ist, die bakteriellen Keime zu töten, sondern
nur die Fähigkeit zu haben scheint, den Geweben eine erhöhte
Widerstandskraft gegen die Invasion der Bakterien zu verleihen.
Es ist daher erklärlich, dass diese Kraft das eine oder andere
Mal nicht ausreichen konnte, um die Wundinfektion in der Mund-
höhle ganz hintanzuhalten, sei es, dass der Infektionsstofi bei der
Operation selbst von aussen hinzugetragen wurde, oder dass sich
zufällig besonders virulente Keime in der Mundhöhle befanden.
Immerhin hat das Jodoform auch auf diesem Gebiete der Chirurgie
seine Triumphe gefeiert und wh’d es weiter thun, bis es einmal,
was hoffentlich in nicht zu ferner Zeit geschehen wird, wenigstens
in den klinischen Operationsinstituten verdrängt sein wird und
die aseptische Methode allein herrscht.
Indikation und Operation.
Was die Indikation zur Ausführung der Eingriffe bei den
Mundcarcinomen betrifft, ein Punkt, der unter anderem auch bei
dem Vergleich der Resultate verschiedener Operateure besonders
wichtig ist, so wird etwa die Mitte zwischen den Prinzipien ge-
halten, welche Whitehead befolgt und denen, welche nach Krause^)
bis zum Jahre 1889 an der v. Volkmann’schen Klinik galten.
“) lieber die Operation und Prognose des Zungenkrebses. Deutsche med.
Wochenschrift 1889, Nr. 22.
Die Zungencarcinoinoperationen.
57
Während der erstere unter allen Umständen und bei jedem Car-
cinom im Munde einen Eingriff vorzunehmen rät, wenn nur einige
Erleichterung für den Patienten davon zu hoffen ist, also gelegent-
lich schon a priori von einer radikalen Entfernung des Erkrankten
absieht, bestand bei v. Volkmann die Vorschrift, die Operation
zu unterlassen, sobald die Zunge nahe am Kehldeckel hätte ent-
fernt werden müssen. Wie aus den Krankengeschichten ersicht-
lich, war bei allen derartigen Operationen, welche in der letzten
Periode an der Klinik Billroth ausgeführt wurden, der Plan dar-
auf gerichtet, eine radikale Heilung zu erzielen, und es wurden
selbst sehr ausgedehnte Eingriffe nicht gescheut, so lange noch
die Hoffnung bestand, alles Krankhafte zu entfernen.
Die Operation selbst wird in folgender Weise ausgeführt: Der
Patient wird in sitzender Stellung mit gestreckten Beinen am
Operationstisch festgehalten, bei starker Excitation mit dem
V. Dittel’schen Gurt festgeschnallt, der besonders bei mangelhafter
Assistenz vorzügliche Dienste leistet. Die Narkose beginnt in der
gewöhnlichen Weise mit der an der Klinik üblichen Chloroform-
mischung und dem Esmarch’schen Korbe. Erst, wenn der Patient
ganz anästhetisch ist, respektive nach Vollendung der Arterien-
unterbindung und Drüsenausräumung, wird das Junker’sche Gebläse
in Thätigkeit gesetzt ®). Derselbe ist mit einem gewöhnlichen weib-
lichen Metallkatheter armiert, welcher in das cavum pharyngonasale
eingeführt wird, und nun bläst man unter Benützung der Inspi-
ration die Dämpfe des reinen Chloroforms ein. In früherer Zeit
war regelmässig zu Beginn eine Morphin ininjektion gemacht worden,
doch wurde in den letzten Jahren hievon abgesehen, damit nicht
die protrahierte Zeit getrübten Bewusstseins das Aushusten der
etwa aspirierten Blutmassen unnötig verzögert. Auf diese Weise
pflegt die Narkose nicht lange vollständig tief zu bleiben, da durch
den geöffneten Mund zu viel frische Luft zugeführt wüxl. Sie
wird in den vorgeschrittenen Stadien der Operation auf einer
solchen Stufe gehalten, dass zwar keine Schmerzempfindung zum
Bewusstsein gelangt, andererseits aber der Reiz des Blutes, welches
in die Luftröhre eindringt, genügt, um eine reichliche Expektoration
hervorzurufen.
Der Eingriff beginnt in der Regel mit der Unterbindung einer
oder, wenn die Erkrankung die Mittellinie überschreitet, beider
®) Die Anwendung dieses Apparates wurde von Salzer (Prof. Billroths iVIodi-
fikation der v. Langenbeck’schen Uranostaphyloplastik, Centralblatt f. Chirurgie
1890) beschrieben.
58
K. Büdinger.
arteriae linguales. Nur in Fällen von Exstirpation kleinerer Carcinome
oder bei bestimmten Sitzen der Infiltrate wurde von diesem Vor-
akte abgesehen. Die Unterbindung wird nach wie vor in typischer
Weise nach Pirogoff ausgeführt, also in dem Dreieck, das von nerv,
hypoglossus, hinterer Biventersehne und dem Rande des m. mylo-
hyoideus gebildet wird. Dass man bei der Aufsuchung dieses Gefässes
selten auf ernstere Schwierigkeiten stösst,. beweist der Umstand, dass
nach den früheren Berichten niemals, im letzten Dezennium nm’ ein-
mal eine Anomalie gefunden wurde, nämlich eine doppelte Arterie.
Einige Male musste von der typischen Vollendung der Operation
Abstand genommen werden, weil sich die Arterie in Carcinom-
massen fest eingebettet fand. Von der gesetzten Hautwunde aus
wird nun mit der Ausräumung der Unterkiefergrube begonnen, die
erkrankten Lymphdrüsen, häufig auch die Unterkieferspeicheldrüse
und andere infiltrierte Teile entfernt, wobei nicht selten grössere
Gefäss- und Nervenstämme, wie der n. hypoglossus und die v. jugu-
laris hgiert oder reseciert werden mussten. Nach V ollendung dieses
Voraktes wird der Mund mit dem Speculum von Heister ad ma-
xinium geöffnet und die Zunge mittels einer Zungenzange oder
eines starken Fadens, der durch die Spitze geführt wird, stark
hervorgezogen. Nun folgt die Exstirpation des Tumors mit Messer
und Schere. Gewöhnhch werden nach jedem ausgiebigen Scheren-
schlage die Wundränder sofort durch Naht vereinigt.
Die Naht wurde erst in neuerer Zeit wieder in ihre vollen
Rechte eingeführt und hiedurch die Heilung der Zungen- und Mund-
bodenwunden durch prima intentio ermöglicht, während dieselben
früher im besten Falle durch Granulation heilen konnten, wie es
auch jetzt in jenen Fällen geschieht, bei denen die vollständige
Vereinigung der Wundränder nicht möghch ist. Herr Hofrat
Billroth hatte die Naht im Munde im Anfang der 70 er Jahre auf-
gegeben, weil ohne dieselbe »die Wunde weniger schwillt und die
Speichelsekretion weniger lange andauert«. Seit nun aber durch
die neue Behandlungsmethode die Anschwellung der Zunge, wie
überhaupt alle entzündlichen Erscheinungen auf ein Minimum
reduziert sind, oder ganz fehlen, konnte auch dieser alte Operations-
akt wieder zu Recht erwachsen und leistet nicht nur zur Vereinigung
der Wundränder, sondern auch zur Blutstillung vorzügliche Dienste.
So ist auch die Heilungsdauer um ein Beträchtliches reduziert
worden, indem die Patienten mit völlig verwachsener Wunde das
b Besonders bewahrt hat sich hiezu die Zungenzange von Roux mit scharfen
Haken, da dieselbe das Gewebe am wenigsten quetscht.
Die Zungencarcinomoperationen .
59
Spital verlassen, wälirend sie früher mit granulierenden Wunden
schieden, welche noch eine Zeit lang Beschwerden und gewisse
Gefahren mit sich brachten.
Nicht uninteressant ist es, zu betrachten, in welcher Weise
man erst ganz allmählich dazu kam, hier wie an anderen Orten
die Naht in der gewöhnlichen Weise anzuwenden, ohne besondere
Vorsichtsmassregeln zu treffen. Nachdem in einem Falle nach der
Exstirpation eines ganz kleinen Knotens die blutige Vereinigung ge-
lungen war, wurde dieselbe bald darauf bei der Entfernung eines
grösseren Tumors versucht. Es wurde die Vorsicht gebraucht, die
Nähte zuerst im Gesunden durchzuziehen und dann nach der Ex-
cision schnell zu knüpfen. Etwas später sehen wir die Naht in
mehreren Fällen zu einer Art Plastik angewendet, indem die Zungen-
spitze nach der Seite umgeschlagen und deren Ränder an die der
Zungenwunde angenäht wurden. Dann wurden unter die Schlingen
der Seidenfäden Streifen von Jodoformgaze gebracht, noch später
erst wurden diese Streifen oberhalb von den Knöpfen der Nähte
verlegt und hier festgebunden. In der letzten Zeit wird auch dies
öfters unterlassen und alles vernäht, was sich vereinigen lässt,
die übrigen Wundränder so weit wie möglich aneinander gezogen.
Die Fäden werden nun zum Munde herausgeleitet, damit eine Hand-
habe zum schnelleren Vorziehen der Zunge vorhanden ist, falls noch
nachträglich Asphyxie auftreten sollte. • Bleibt nur ein kleinerer
Stumpf von der Zunge übrig, so wird dieser durch eine starke
Naht an der Lippe, den Zähnen oder der Wange fixiert und hie-
durch vor dem Zurücksinken geschützt. Ein ungelochtes Drain
wird durch die Wunde geleitet, welche zur Arterienunterbindung
angelegt worden war, oder falls diese Voroperation nicht statt-
gefunden hatte, wird meist der Mundboden vorne durchgestossen
und durch diese Oeffnung drainiert. Zum Schlüsse werden die
Wundflächen, welche nicht durch die Naht vereinigt werden konnten,
mit Jodoformgaze tamponiert. In der letzten Zeit wurde diese zu-
weilen durch sterilisierte, weisse Gaze ersetzt, während mit Kolo-
phonium oder Tannin imprägnierte Jodoformgaze, die früher
regelmässig in Verwendung kam, nur noch bei stärkeren paren-
chymatösen Blutungen aufgelegt wird.
Eine besondere Berücksichtigung verlangt die Behandlung
der Zungenspitze, da sie nach Unterbindung der arteria linguahs
am schwersten in ihrer Cirkulation gestört ist. Wenn nur ein
schmales Stück von der Zungenspitze zurückbleibt und dieses
noch durch Nähte, welche die Wundränder vereinigen sollen,
stark zusammengeschnürt wird, so kann es leicht geschehen, dass
60
K. Büdiuger.
sich bald Cyanose einstellt, welche in kurzer Zeit in wirkliche
Gangrän übergeht. Besonders häufig kommt dies den reaktionslosen
Verlauf störende Ereignis nach Auslösung von Krebsknoten vor,
welche am unteren Rande der Zungenspitze oder den benachbarten
Teilen des Mundbodens sitzen. Daher wird in solchen Fällen die
gesunde Zungenspitze amputiert, soweit sie eben bedroht erscheint,
und dann erst die Vereinigung mittels Naht vorgenommen.
Die älteren typischen Methoden wurden in der letzten Zeit
gar nicht mehr angewendet. So wurde z. B. die äussere Haut-
wunde 4 mal zur Exstirpation der Tumoren verwendet, ohne dass
die Schnittführung nach Kocher notwendig geworden wäre. Ein-
mal wurde die Zunge durch die äussere Wunde herausgezogen
und amputiert, 3 mal weit hinten in der Tonsillengegend sitzende
Carcinome von hier aus entfernt und ferner einige mit den Drüsen
verwachsene Knoten von aussen losgelöst und dann vom Munde aus
exstirpiert. Bei den Operationen am Unterkiefer wurde ebenfalls
nach Bedarf verfahren und nur 2 mal die temporäre Resektion vor-
genommen.
Im ganzen wurden während der letzten 10 Jahre 116 Männer
und 6 Weiber wegen Zungen- und Mundbodencarcinomen operiert.
Ausserdem befanden sich 11 Männer und 2 Weiber in klinischer
Behandlung, welche zum Teil wegen zu weit vorgeschrittener Er-
krankung sich nicht mehr zur Vornahme eines Eingriffs eigneten,
zum anderen Teil sich nicht zur Operation entschliessen konnten.
Diesen wurden ebenso wie den Patienten mit ausgedehnter Drüsen-
erkrankung kleine Morphiumdosen, erweichende Umschläge und bei
Vorhandensein von Kiefersperre das Einlegen von Mundkeilen
verordnet, um die Bewegungen des Mundes wenigstens zeitweise zu
ermöglichen. Schliesslich wird ihnen eingeschärft, den Mund regel-
mässig mit Kali chloricum auszuspülen.
Das Verhältnis der Erkrankung bei Weibern stellt sich auf
6,2 °/o der bei Männern, erlaubt aber natürlich bei der geringen
Zahl weiblicher Kranken keine weiteren Schlüsse.
An den 122 operierten Patienten wurden 132 Eingriffe vor-
genommen, 68mal die Unterbindung einer, 19mal beider linguales
mit oder ohne Drüsenausräumung. 6mal wurde die Tracheotomie
gemacht, davon 2mal präventiv nach Trendelenburg bei einem
hinten am Zungengrund sitzenden nussgrossen Carcinom und dem
folgenden lokalen Recidiv.
Im Munde wurden folgende Operationen ausgeführt:
Partielle Entfernung der Zunge 40mal
Halbseitige Zungenamputation 23 »
Die Zungencarcinomoperationen.
61
Totale Zungenamputation
9mal
Partielle Resektion des Mundbodens mit oder
ohne Ein-
griff an der Zunge
29
»
Temporäre Unterkieferresektion . .
2
»
Unterkieferresektion
8
»
Ausmeisselung erkrankter Teile des Unterkiefers
ohne Kon-
tinuitätsstörung
16
»
Enucleation einer Unterkieferhälfte ....
1
»
Exstirpation von aussen
4
»
Hiezu kommen die erwähnten Fälle von Wölfler:
Halbseitige!
Totale Zungenamputation
Imal
2
»
Partielle j
1
»
Operation mit Eingriff am Mundboden . . .
• • • »
11
»
» » » » Kiefer
1
»
Zum Vergleiche sollen hier die Tabellen über die früher von
Herrn Hofrat Billroth ausgeführten Operationen zugezogen werden.
Von 1870—1881.
Von 1870—1881.
Durchsägung des Unterkiefers Omal
Exstirpation von aussen 5 »
Exstirpation vom Munde aus 40 »
Von 1860—1876.
Exstirpation vom Munde aus 45mal
davon mittels Galvanokauter 8mal
mittels Ecraseur 4 »
Kieferdurchsägung und Resektion 6 »
Osteoplastische Methode . . 3 »
Methode von Regnoli-Billroth 15 »
Wie hieraus ersichtlich, hat sich die Methode der Operation
bedeutend vereinfacht, indem der grösste Anteil der einfachen
Exstirpation vom Munde aus zukommt und die den Mund um-
gebenden Weichteile nur insofern in die Operation einbezogen
wurden, als sie sich erkrankt zeigten.
Die Resultate der verschiedenen Perioden direkt miteinander
zu vergleichen, erscheint mir nicht zulässig, da die Hauptursache
der jetzigen besseren Erfolge gewiss weniger in der Methode
selbst als in der Anwendung der vervollkommneten antiseptischen
Methode liegt. Wurde doch z. B. von v. Langenbeck in seinen
Vorlesungen über Akiurgie®) die Operation nach Regnoli-Billroth
mit folgenden Worten verurteilt: »Der Mylohyoideus muss seiner
VorIesun<;en über Akiurgie. Berlin 1848.
62
K. Büdiiiger.
ganzen Länge nach durchschnitten werden und alle Operationen,
welche die Muskeln trennen, durch die der Kehlkopf an den
Kiefer befestigt wird, sind an sich nicht ohne Bedenken.« Herr
Hofrat Billroth hat allerdings die nach ihm benannte Methode
seit längerer Zeit verlassen, wie Wölfler meint, wegen der relativ
hohen Sterblichkeit und des unveränderten Auftretens der Recidive.
Heutzutage würde wahrscheinhch die Sterbhchkeit sich ebenso
verringert haben, wie bei den wegen übergreifenden Carcinoms
ausgeführten Unterkieferresektionen. Während aber Herr Hofrat
Billroth im Jahre 1874 in der betreffenden Publikation^) die Zahl
der nicht vom Munde aus exstirpierbaren Zungenkrebse auf über
die Hälfte aller Fälle schätzte, haben sich in dieser Beziehung die
Verhältnisse gänzlich geändert.
Damals waren »alle Fälle, welche auch nur einseitig bis zu
den papillae circumvallatae reichen, auf diesem Wege nicht zu ent-
fernen«, während unter den neuerhch Operierten sich viele befinden,
bei denen die Abtrennung bis nahe an die Epiglottis vom Munde aus
vorgenommen wurde. Es ist also die Indikation zu dieser, wie zu
den meisten anderen komplizierten Methoden fast vollständig ver-
schwunden.
Verlauf und unmittelbarer Ausgang.
Auch die Nachbehandlung ist eine sehr einfache geworden.
In den ersten Tagen wird die Wunde mehrmals mit Jodoformpulver
bestäubt, im Anfang oder Verlauf der zweiten Woche werden Tam-
pons, Nähte und Drain entfernt und, wenn es gut geht, ist die
Mundbodenfistel in kurzer Zeit geschlossen. Mehrmals allerdings
wurde dieselbe eine Quelle schwerer Belästigung für den Patienten,
indem ihre Heilung sich lange verzögerte, gelegentlich sogar ganz
ausblieb und so das Verzehren besonders flüssiger Speisen wesent-
lich erschwerte.
Bisher wurden die Operierten in der ersten Zeit mit der Schlund-
sonde ernährt, die sie entweder bald selbst einzuführen lernten, oder
welche in kurzer Zeit durch ein »Schiffchen« mit angebundenem
Rohr ersetzt wurde. Nun bewies aber einer der letzten Fälle wieder
einmal die Gefährlichkeit dieses Verfahrens, das schon früher (vgl.
Wiener Klinik) zweimal zur Perforation des Oesophagus resp. Magens
geführt hatte. Während die Operationswunde tadellos heilte, trat
am 3. Tage ohne nachweisbaren Grund eine eitrige Mediastinitis,
Pleuritis und Endocarditis auf, welche nach 6 Tagen zum Tode
führte. Die Sektion ergab eine Perforation des Oesophagus durch
lieber die Exstirpation ausgedehnter Zungencarcinome von der regio
siiprahyoidea aus. Archiv f. klin. Chirurgie XVI, 2. Heft.
i
Die Zungencarcinomoperationen.
65
das Schlundrohr, welche sich dadurch entstanden zeigte, dass die
dünne Wand eines von 3 Traktionsdivertikeln der Speiseröhre
durchgestossen war. Wie und wann diese Verletzung zugefügt
worden war, konnte nicht aufgeklärt werden, da die klassischen
Symptome ganz fehlten, welche sonst die Perforation begleiten.
Dies Ereignis ist die Veranlassung, warum in den letzten Fällen
von der künstlichen Ernährung abgesehen wurde, wenn nicht
besondere Schwäche die direkte Einführung stärkender Nahrungs-
mittel dringend indizierte.
Die lokale Heilung im Munde war fast durchwegs eine
günstige. Hier und da kam geringe Eiterung der Zungenwunde
vor, die aber selten auf die Umgebung des Operationsgebietes
Übergriff, sondern meist lokal blieb. Eine eigentliche Phlegmone
des Halses, von der Wunde im Munde ausgehend, ist aber in der
ganzen letzten Periode nicht beobachtet worden. Diese gehört
glücklicherweise nicht mehr zu den Gefahren, denen die Kranken
mit Zungen- und Mundbodencarcinomen ausgesetzt sind. Während
die Wunddiphtherie schon von Wölfler in das Gebiet der Ver-
gangenheit verwiesen werden konnte, blieb es erst der neuen Be-
handlungsmethode Vorbehalten, den meist tödlichen Hals-
Phlegmonen wirksam entgegenzutreten. So ist von den gefürchteten
Folgekrankheiten nur noch die lobuläre Pneumonie zurückgeblieben,
die wir noch nicht sicher bekämpfen können.
Nachblutungen kamen 8mal vor, davon Imal am 4., Imal am
2., 6mal am Tage der Operation, doch gelang es immer durch Tam-
ponade mit gewöhnlicher oder Tanninjodoformgaze, durch Anlegung
einzelner Ligaturen oder Umstechung leicht, ihrer Herr zu werden.
5mal war die Unterbindung der Zungenarterie vorangegangen.
Was die Mortalität als direkte Folge der Operation betrifft,
so sind unter 139 Patienten (die 17 von Wölfler eingerechnet)
18 gestorben. 9 Kranke waren zu verschiedenen Zeiten 2mal,
einer 3mal operiert worden, so dass 149 selbständige Emgriffe
in Betracht zu ziehen sind. Von den Todesfällen gehen 3 für
die Berechnung verloren. Ein Patient war wegen starker Blutung
aus einem lokalen Recidiv zum zweitenmal aufgenommen worden. Die
Blutung konnte zwar gestillt werden, der Kranke erlag aber nach
wenigen Tagen der Anämie. Der 2. Fall betrifft ebenfalls einen
wegen Recidivs aufgenommenen Patienten. Er hatte die erste
Operation gut überstanden, starb aber vor Beginn der zweiten im
Chloroformcollaps, nachdem er eine ganz geringe Menge der üb-
lichen Mischung von Chloroform, Aether und Alkohol eingeatmet
hatte. Eine Morphiuminjektion war nicht gemacht worden. Der
64
}
'•1
K. Büdinger.
3. Fall endlich ist der eben erwähnte von Perforation des Oeso-
phagus bei glatter Wundheilung.
Es kommen also auf 148 zeitlich getrennte Operationen
15 Todesfälle = 10,1 % Mortalität. Von 1867 — 1876 kamen auf
68 Operationen 17 Todesfälle = 25 7» Mortalität, von 1876 — 1881
auf 51 Operationen 9 Todesfälle ^ 17,6 ®/o Mortalität. Demnach
hat die Sterblichkeit direkt in Folge der Operation um 15 °/o
abgenommen.
Allerdings hatte man sich von der Einführung der neuen
Methode noch bessere, ja beinahe ideale Resultate versprochen
und der Erfolg der öfters erwähnten 17 Fälle schien diese Hoff-
nungen zu bestätigen. Aber schon einer der nächsten Operierten
starb an den nunmehr für ausgeschlossen gehaltenen Kompli-
kationen: lobuläre Pneumonie, eitrige Bronchitis, Eiterung der
Zungenwunde. Ebenso wie dieser Fall gingen noch 11 andere
zu Grunde, bei denen in einer oder beiden Lungen pneumonische
Herde gefunden wurden. Bei vielen von den übrigen Patienten hatte
eine Zeitlang mehr oder weniger starker Bronchial-Katarrh bestanden,
öfters konnte sogar das Vorhandensein pneumonischer Herde durch
Auskultation und Perkussion festgestellt werden.
Bei 8 Operierten, welche der lobulären Pneumonie erlagen,
wurde fettige Degeneration des Herzens, bei einem chronische
Tuberkulose der inneren Organe nachgewiesen, einer endhch zeigte
die Symptome hochgradiger Kachexie. Es stellt sich also die
gewiss auffallende Thatsache heraus, dass 8 von den 12 an
Lungenentzündung Gestorbenen anatomisch nachweisbare Degene-
rationserscheinungen des Gesamtorganismus zeigten. Demzufolge
kann man eine solche Erkrankung als prädisponierendes Moment
für die Entstehung lobulärer Entzündungsherde in der Lunge und
als Contraindikation gegen die Operation grösserer Carcinome des
Mundes ansehen, und zwar nicht nur, wie bei jedem ausgedehnteren
Eingriff wegen der überhaupt schlechteren Chancen, sondern speziell
wegen der grösseren Gefahr der Entwicklung einer Pneumonie.
Von den anderen Todesfällen war einer dm'ch Verblutung
verursacht, welche infolge der durch Gele Komplikationen er-
schwerten Operation eintrat; ein Patient ging durch Aspiration
von Blut und dadurch bedingtem akuten Emphysem zu Grunde;
der letzte endlich starb zwölf Tage nach der Operation an Lungen-
ödem, ebenfalls bei Anwesenheit von Fettherz.
Recidive.
Zum Schlüsse bleibt die Besprechung desjenigen Momentes,
welches in jeder Beziehung das traurigste ist, der Recidive. Ich
Die Zungencarcinomoperationen.
65
konnte über 64 »geheilt« Entlassene weitere Auskunft erhalten.
Von diesen sind recidivfrei 10, von denen einer drei Jahre nach
der Operation laut Angabe der Aerzte des Olmützer Krankenhauses
ohne eine carcinomatöse Erkrankung an croupöser Pneumonie ge-
storben ist. Von einem Manne konnte ich ferner nur erfahren,
dass er im Jahre 1886 völlig gesund war, nachdem 27^ Jahre
vorher eine ausgedehnte Drüsen- und Zungenexstirpation vorgenom-
men worden war.* Ein Patient, der vor b'j-i Monaten operiert
wurde, kann wegen der kurzen Zeitdauer für die Statistik nicht
berücksichtigt werden.
Die seit der Operation verstrichene Zeit beträgt 8, 3, 3, 272
Jahre, 25, 23, 22, 21, 16, 14, (572) Monate^®)-. Ausserdem leben
5 Kranke mit neuerlich aufgetretenen Recidiven, bei denen seit
der Operation 37, 17, 7, 6, 4 Monate verstrichen sind. Bei den
Gestorbenen betrug die Zeit von der Operation bis zum Tode 3 mal
über 2 Jahre, 13nial über 1 Jahr, oder wenn man die jetzt mit Reci-
diven behafteten hinzurechnet, 1 mal über 3, 3 mal über 2, 14 mal
über 1 Jahr. Die Recidive wurden Imal nach 35, Imal nach 25, 1 mal
nach 21, 4 mal nach über 12 Monaten entdeckt. Daraus ist deutlich
ersichtlich, dass es zu niedrig gegriffen ist, wenn man dem Her-
kommen nach eine Radikalheilung annimmt, sobald nach einem
Jahre keine neuerliche Erkrankung aufgetreten ist. Meistens ist
ja auch die Zeit des Auftretens der Recidive weitaus schwerer zu
erfahren, als der Todestag, und zwar kommt dies Moment oft
gerade dann in Betracht, wenn der Tod erst längere Zeit nach
der Operation erfolgte. Die Durchschnittszeit vom Tage der Ope-
ration bis zum Tode betrug bei den übrigen Patienten ziemlich
genau ein Jahr. Diese Zahl resultierte mit staunenswerter Gleichheit
auch aus den früheren Erfahrungen der Klinik, ebenso wie aus den
Zusammenstellungen von Steiner ^ 7 der Heidelberger und von
Krause aus der v. Volkmann’schen Khnik.
Der Prozentsatz stellt sich also bei den 64 Patienten, über
welche Nachrichten vorliegen, folgendermassen :
recidivfrei 10 = 16,6 ®/o
Mehr als 1 Jahr überlebend 18 = 28,0 ®/o
Die Operationen, die in diesen relativ günstigen Fällen aus-
geführt wurden, gruppieren sich in folgender Weise:
Ohne Recidiv:
Exstirpation kleinerer Tumoren 6mal
Davon mit Lingualisunterbindung 2 «
In 2 Fällen (3 Jahre, 22 Monate) fehlt der mikroskopische Befund.
") Die Zungenoarcinome der Heidelberger chirurgischen Klinik (Beiträge
zur klin. Chirurgie Bd. VH). 5
66
K. Büdinger.
Halbseitige 1„ Imal
Totale 1 Z™genamputat.on ^ ^
Exstirpation von aussen 1 «
Resektion des Mundbodens und Abmeisselung mehrerer
Alveolarfortsätze 1 «
Mehr als ein Jahr überlebend:
Exstirpation kleinerer Tumoren 8 «
Davon mit Lingualisunterbindung 4 &
Halbseitige 1 „ ^ 1 «
Totale 1 3 ,
Exstirpation von aussen 1 <c
Kieferresektion . 2 «
Resektionen am Mundboden und Unterkiefer 3 «
Drüsenexstirpation hierunter 7 «
Im ganzen besteht hienach im Gegensatz zu den Ergebnissen
der früheren Periode ein entschiedenes Vorherrschen der günstigen
Resultate bei denjenigen Fällen, bei welchen weniger eingreifende
Operationen vorgenommen wurden. Die einfachen Exstirpationen
und partiellen Amputationen stellen das grösste Kontingent, wäh-
rend ausgedehnten lokalen und Drüsenentfernungen nur in einer
geringen Zahl eine längere recidivfreie Periode folgte.
Nachträgliche Ausräumung der infiltrierten Drüsen, wie über-
haupt die Operationen nicht zu ausgedehnter Recidive, scheinen
keine wesenthch schlechteren Erfolge zu haben, als die primären
Eingriffe. Welchem Umstande das Vorwiegen eines günstigen
Heilungsverlaufes nach der Exstirpation kleinerer Carcinome zu-
zuschreiben ist, kann schwer entschieden werden. Vielleicht spielt
der Zufall die Hauptrolle, vielleicht aber auch die erleichterte
Technik, welche die »luxuriösere Entfernung«, wie sie Wölfler
verlangt, ermöghcht. Die Recidive traten scheinbar ziemlich gleich
oft in den Drüsen und lokal auf, doch sind die Auskünfte, welche
ich über diesen Punkt erhalten konnte, zu unsicher und gering
an Zahl, als dass ich mir ein Urteil darüber gestatten möchte.
Nehmen wir ein Resume über die letzte Periode der Zungen-
und Mundbodenoperationen, so müssen wir sagen, dass die Patien-
ten die Möglichkeit der Heilung und die Wahrscheinlichkeit einer
Verlängerung des Lebens mit nicht halb so \ielen Gefahren er-
kaufen, wie vor wenigen Jahren, dass die Heilungsdauer wesenthch
abgekürzt ist, dass wir aber dem Verlaufe der Krankheit kaum
anders gegenüberstehen, als es seit langem der Fall war.
Weitere Erfahrimgeu und neue Versuche
über die
Narkose mit messbaren Ohloroform-
luftmischungen
von
Dr. Ott(> Kappeier in Münsterlingen.
Es sind nun zwei Jalire her, als ich an der Hand einer klei-
nen Versuchsreihe von 200 Narkosen den Beweis zu erbringen
versuchte, dass es möglich sei, die Resultate der physiologischen For-
schung, wonach Chloroformluftmischungen, die sich innerhalb der
Grenzen bestimmter Konzentrationen halten, lange Zeit ohne Gefahr
inhaliert werden können, mit Hilfe eines einfachen und leicht
transportablen Apparates der ärztlichen Praxis nutzbar zu
machen: Zahlreiche Fachgenossen haben sich diese Art
Chloroformierung zu eigen gemacht, ein Umstand, der die Ver-
antwortlichkeit des Vorschlages erhöht und mir die Pflicht über-
bindet, mit weiteren Erfahrungen in dieser Richtung nicht hinter
dem Berge zu halten, Nachteile der Methode offen darzulegen,
Misserfolge nicht zu verschweigen und vor allem eine grössere Ver-
suchsreihe, in Bezug auf alle wichtigeren Symptome der Narkose
gesichtet, der öffentlichen Prüfung vorzulegen.
Es ist ja ohne weiteres klar, dass für uns xlerzte einzig und
allein die Erfahrungen am Krankenbette und am Operationslager
ausschlaggebend sind.
Zu den oben erwähnten 200 Apparatnarkosen gesellten sich
weitere 800, die unter meiner Leitung im hiesigen Spital ausgeführt
wurden, und es stehen mir über jede einzelne dieser Narkosen
genaue Aufzeichnungen zur Verfügung.
68
Otto Kappeier.
Vorerst aber sollte noch einer Aenderung, respektive Vervollkommnung
des Apparates gedacht werden. Es stellte sich nämlich bei weiteren Erfahrungen
heraus, dass bei kräftigen Männern und namentlich bei Alkoholikern die höchste
Konzentration der Mischung, die Anfangsdosis von 15,7 Gramm auf 100 Liter
Luft, zu klein bemessen sei und es wurde für diese Fälle ein grösseres Gebläse,
97 ccm fassend, mit dem Chloroformgefäss verbunden, für welches die unten-
stehende Skala in früher genannter Weise genau berechnet ist. ^
23,8
50 ccm
23,8
19,4
45 „
15,7
1G,7
40 „
14,1
14,2
35 „
11,2
11,0
30 „
8,3
8,6
25 „
6,3
6,3
20 „
5,(i
4,9
15 „
4,4
4,1
10 „
3,7
Mit dieser Vervollständigung des Apparates gelang es denn
auch bei kräftigen Männern, bei Potatoren und anderen für Chloro-
form renitenten Individuen, eine hinreichend rasche und tiefe Nar-
kose herzustellen.
Im grossen und ganzen — einzelne Ausnahmen sind dem
individuellen Ermessen und diagnostischen Scharfblick über-
antwortet — wurde nun folgendermassen vorgegangen: Wenn
immer möglich, wird der Kranke vormittags narkotisiert, nachdem
Tags vorher, unter Umständen bei Bauchoperationen etc. einige
Tage vorher, der Darm gründlich entleert worden war. Zwei
Stunden vor der Chloroformierung bekommt der Kranke zwei
Tassen Milch, Milchkaffee oder Thee mit Milch ohne Zulage. Die
Narkose wird in ausgestreckter Rückenlage mit leicht erhöhtem
Kopf und freier Brust begonnen und der Kranke, wenn die Ope-
ration es gestattet, die ganze Zeit in dieser Lage gehalten. Wich-
tig ist absolute Ruhe im Zimmer und die Beruhigung ängstlicher
Kranken durch Zureden, Zählenlassen etc. Die Operation darf
nicht begonnen werden, bevor der Kranke anästhetisch ist. Im
übrigen gelten alle übrigen, bei jeder Narkose zu beobachtenden
und hinlänglich gekannten, Vorsichtsmassregeln. Ausdrücklich aber
soll noch erwähnt werden, dass die Chloroformierung mit dem
Apparat im Gegensatz zur Tropfmethode eine unterbrochene
ist und sein soll. Sobald der Cornealreflex erloschen ist und die
Pupillen eng sind, wird die Maske entfernt und der Kranke atmet
solange reine Luft, bis das Erwachen der Reflexe neues Vorhalten
benötigt. Die Gesichtsmaske wird in den ersten 2 — 3 IMinuten
niemals fest ans Gesicht gedrückt, sodass sich die Kranken an
*) Die Apparate werden unter Kontrolle eines Chemikers von Optiker Falken-
stein in Konstanz angefertigt.
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen. 69
dieselbe gewöhnen, erst nach dieser Zeit, also beim beginnenden
Schwinden des Bewusstseins, wird die Maske dicht gehalten. Es
ist damit auch gesagt, dass die Anfangskonzentration des Chloro-
formgemisches in Wirklichkeit eine geringere ist, als die Skala
anzeigt, sodass bei Benützung des grossen Gebläses kaum eine
Anfangsdosis von 17 Gramm auf 100 Liter Luft jemals erreicht
wird. Bei kräftigen Männern wurde dann stets das grosse Gebläse
benützt, d. h. die Narkose mit einer Mischung von 23,8 (oder
besser 17 Gramm) auf 100 Liter Luft laut Skala (d. h. Füllung
des Apparates auf 50 ccm) begonnen, bei Frauen dagegen wurde
ausnahmslos das kleine Gebläse in Anwendung gezogen und die
Narkose mit einer Füllung auf 50 ccm (d. h. mit einer Konzen-
tration von 15,7 Gramm auf 100 Liter laut Skala) begonnen, bei
Kindern von 4 — 15 Jahren wurde der Apparat mit kleinem Ge-
bläse auf 45 ccm aufgefüllt, sodass die Anfangsdosis bei diesen
nur 10,7 Gramm auf 100 Liter Luft betrug, und bei schwächlichen
Kindern des gleichen Alters oder bei Kindern unter 4 Jahren wurde der
Apparat mit kleinem Gebläse auf 40 ccm gefüllt, d. h. die Narkose mit
einer Anfangsdosis von 10,0 Gramm auf 100 Liter Luft begonnen.
Bei dieser Anordnung genügte unter 800 Narkosen die erst-
malige Auffüllung des Apparates, sei es auf 50, 45, 40 ccm, je
nach dem Alter und der Konstitution der Kranken in 579 Fällen,
es war also bei 72,3 '^/o aller Narkosen eine Nachfüllung des Appa-
rates nicht notwendig, um eine hinreichend tiefe Narkose zu erreichen.
Bei 159 von 800 Chloroformierungen, also bei 19,8%, war
eine einmalige Nachfüllung des Apparates notwendig, bei 53,
also bei 6,6%, eine zweimalige, bei 8 Narkosen respektive 1%
eine dreimalige und nur ein einziges Mal eine viermalige.
Mit der Nachfüllung wurde es folgendermassen gehalten. Auf die
Anfangsfüllung z. B. — Füllung auf 50 ccm und grosser Ballon
— griff man nur dann zurück, wenn nach Verbrauch von 10 ccm
Chloroform noch alle Reflexe erhalten waren. War dagegen schon
ein mässiger Grad von Anästhesie erreicht, aber der Corneal-
reflex noch nicht erloschen, so wurde bei der Nachfüllung eine
kleinere Dosis gewählt, z. B. Nachfüllung von 45 ccm statt auf
50 ccm etc. Handelte es .sich nur um Festhaltung der einmal
erreichten completten Anästhesie, so wurde niemals wieder auf
die Anfangsdosis zurückgegangen und auch bei kräftigen Männern
die Konzentration von 10 — 12 Gramm auf 100 Liter Luft unter
keinen Umständen mehr überschritten.
Es hat sich auf Grund dieser grössern Versuchsreihe heraus-
gestellt, dass im grossen und ganzen beim Menschen Verdünnungen
70
Otto Kappeier.
des Chloroformluftgemisches, die unter 6 Gramm auf 100 Liter
Luft heruntergehen, wirkungslos sind, sodass also der Apparat,
wenn das Chloroform bis auf einen Stand der Flüssigheitssäule
bei 20 ccm abgedunstet ist, auch zur Erhaltung der bereits vor-
handenen Anaesthesie wieder nachgefüllt werden muss.
Die Chloroformersparnis ist bei Anwendung des Apparates
gegenüber der freien Verwendung desselben mit Tuch und Es-
marchscher Maske eine so erhebliche und fällt so sehr ins Gewicht,
dass genau geprüft werden musste, ob das schon einmal ange-
brauchte und teilweise durchblasene Chloroform zur Weiterverwen-
dung tauglich sei und den nötigen Grad der Reinheit besitze, denn
nur, wenn dies wirklich der Fall ist und das einmal im Apparat
befindliche, nicht verbrauchte, Chloroform neuerdings verwendet
werden darf, kann von Chloroformersparnis die Rede sein.
Die diesbezügliche Untersuchung, die Herr Viktor Herose in
seinem Laboratorium vorzunehmen die Güte hatte, wurde folgen-
dermassen gemacht:
Eine grössere Flasche Chloroform wurde genau auf Siedepunkt,
spezifisches Gewicht, und, nach den bekannten Methoden, auf
Verunreinigungen geprüft. Dann wurde dieses geprüfte Chloro-
form mit Hilfe des Apparates verwendet und die bei den verschie-
denen Narkosen übrig bleibenden Reste wurden solange zusammen-
geschüttet, bis eine, zu einer neuen Untersuchung, hinreichende
Menge angebrauchten Chloroforms beisammen war. Dieses Chloro-
form wurde dann zweimal untersucht, einmal unmittelbar nach
der Ablieferung ans Laboratorium, ein zweites Mal nach 6 bis 8
Wochen, in welcher Zeit das Chloroform in einer gelbbraunen
Flasche ohne Umhüllung auf dem Laboratoriumstisch gestanden
hatte. Diese Untersuchungen wurden in ganz gleicher Weise vor-
genommen, wie die Untersuchung des frischen Chloroforms. Der
einzige bemerkenswerte Unterschied zwischen dem angebrauchten
und nicht gebrauchten Chloroform war, dass das angebrauchte eine
Zunahme des spezifischen Gewichtes um 0,007 erfahren hatte.
Alle hier nicht näher zu erwähnenden Reaktionen fielen gleich
aus, ausgenommen eine: Konzentrierte Schwefelsäure, dem an-
gebrauchten Chloroform beigemischt, bräunte dasselbe leicht. Die
Ursache dieser Bräunung lag in Verkohlung und Schwärzung von
Staubteilchen, die trotz sorgfältiger Reinhaltung des Operations-
lokales infolge Durchblasens der Luft durch das Chloroform dem-
selben zugeführt wurden. Es war also nur eine mechanische,
keine chemische Veränderung des Chloroforms infolge Durchblasens
nachzuweisen und sie bestand lediglich in Beimischung von Staub-
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen.
71
teilchen. Der Siedepunkt war derselbe vor wie nach dem Gebrauch,
nämlich 62 C., und alle übrigen Proben, auch die für den Er-
fahrenen sehr wichtige Geruchprobe, ergaben für das angebrauchte
Chloroform keine Aenderung.
Von den 800 Chloroformierten gehören 420 dem männlichen,
380 dem weiblichen Geschlechte an.
Die Altersgrenzen erstrecken sich von 14 Tagen Ins zu 82
Jahren und zwar wurden chloroformiert:
Männer
Weiber
Summa
unter 5 Jahren ....
84
65
149
von 5 — 10 Jahren . . .
46
23
69
„ 11-20 „ ...
83
61
144
„ 21-30 „ ...
43
64
107
„ 31-40 „ ...
37
32
69
„ 41—50 „ ...
40
51
91
„ 51—60 „ ...
47
50
97
„ 61-70 „ ...
30
25
55
„ 71-80 „ ...
8
8
16
über 80 Jahre
2
1
3
420
380
800
Für die 800 Narkosen wurden verbraucht 9881 Kubikcentimeter
Chloroform, sodass durchschnittlich auf die Narkose kommen
12,3 ccm. Das Verhältnis ist somit ein günstigeres, als bei der
Berechnung auf eine kleinere Anzahl Narkosen, denn während der
Verbrauch nach dem Durchschnitt von 150 Narkosen noch
13,49 ccm oder bei einem spezifischen Gewicht von 1,466 — 19,79
Gramm betrug, ist er nach dem Durchschnitt von 800 Narkosen
auf 12,3 ccm oder 18,03 Gramm gefallen.
Diese 9881 Kubikcentimeter Chloroform verteilen sich auf
eine Gesamtnarkosendauer von 29088 Minuten. Es kommen also
auf die Minute Narkosendauer im Durchschnitt 0,33 ccm ge-
brauchtes Chloroform. Auf 800 Narkosen kommen 6525 Minuten,
bis die Kranken operationsbereit sind, bei einem Durchschnitt von
800 Narkosen ist somit der Kranke in 8 Minuten operationsbereit,
sodass also die Methode der Tropfmethode nach Baudouin gegen-
über den Vorteil wesentlicher Zeitersparnis hat.
Mit einem Verbrauch von 6631 ccm Chloroform können 800
Kranke operationsbereit gestellt werden. Im Durchschnitt bedurfte
es also eines Verbrauchs von 5,7 ccm, bis der Kranke operations-
bereit war.
Von den 800 Chloroformierten haben 698 nicht gebrochen,
also 87,2 ®/o, 20, d. h. 2,5 ®/o zeigten Nausea und Brechbewegungen
72
Otto Kappeier.
ohne Brechen, 82 Kranke, 10,2 °/o, brachen und zwar 21, also
2,8 ®/o, erst nach vollendeter Operation. Darunter fanden sich 13,
meist Schwerverletzte, die nicht zur Operation vorbereitet werden
konnten und kurze Zeit vor der Operation gegessen oder grössere
Mengen Wein getrunken hatten. Lässt man diese 13 unvorberei-
teten Kranken ausser Berechnung, so reduziert sich die Prozent-
zahl derer, die brachen, auf 8,7 ®/o.
Was nun den Gesamtcharakter der Narkosen betrifft, so ver-
dienen von den 800 Chloroformierungen 667, d. h. 83,37«, ^^s
Prädikat gut, 81, d. h. 10,1 7«, das Prädikat ziemlich gut, es
machten sich mit andern Worten ausser etwas stärkerer Auf-
regung und längerem Nichteintreten der Anästhesie und Muskel-
erschlaffung keine unangenehmen Erscheinungen bemerkbar.
Schlechte Narkosen, d. h. solche mit ungewöhnlicher und lange
anhaltender Aufregung, starker Muskelspannung, Kiefersperre,
Cyanose durch Unterbrechung der Respiration, beobachteten wir im
ganzen 52, d. h. 6,5 °/o aller Narkosen. Als hauptsächlichste Ur-
sache dieser unangenehmen und störenden Erscheinungen ist Pota-
torium verzeichnet, in einigen Fällen auch hochgradige H}'’sterie
und Angst vor der Operation, dann gehören hierher einige Fälle
von Gesichts- und Rachenoperationen, die eine tiefe Chlorofor-
mierung nicht gestatteten.
Unter diesen 800 Narkosen finden sich solche von 1 bis
l72stündiger Dauer 123, und zwar beträgt die durchschnittliche
Dauer dieser 123 Narkosen 69,3 Minuten. Der Chloroform verbrauch
bei denselben belief sich auf 2480 ccm, sodass im Durchschnitt
auf die Narkose fallen 20,1 ccm Chloroform. Von diesen 123
Chloroformierungen verdienen nur drei das Prädikat schlecht, eine
derselben war eine ausgesprochene Säufernarkose mit sehr heftigem
und stürmischem Excitationsstadium und die zwei übrigen — die
einzigen unter 800 — boten eigentlich gefahrdrohende Erschei-
nungen. Sie betrafen
1. ein Mädchen von 12 Jahren, bei dem die Enucleation
mehrerer Strumaknoten vorgenommen werden musste und das,
überdies sehr ängstlich und debil, im Excitationsstadium unter
ausgesprochener Cyanose und Erweiterung der Pupillen zu atmen
aufhörte. Erst nach Entfernung des im Larynx angesammelten
Schleims und nach Anwendung künstlicher Atmung fing sie wie-
der spontan zu respirieren an. Diese aufregende Scene wiederholte
sich mehrmals, und
2. einen 53jährigen, durch mehrmonatlichen Icterus sehr
herabgekommenen Mann, bei dem die Cholecystotomie gemacht
73
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen.
wurde und der zweimal unter asphyctisclien Erscheinungen ohne
Erblassen und ohne Verschwinden des Pulses beunruhigenden
Respirationsstillstand zeigte, der jeweils durch sofort eingeleitete
künstliche Respiration prompt gehoben wurde.
Unter diesen 123 Kranken, die 1 — U/s Stunden chloroformiert
werden mussten, fand sich auch eine 57jährige Frau (Operation:
Totalexstirpation des Uterus wegen Carcinom), die alle Erschei-
nungen einer Insuffizienz der Mitralklappe zeigte und bei der die
75 Minuten dauernde Narkose ohne alle Störung seitens der Respi-
ration und der Herzthätigkeit ausserordentlich ruhig und gut ver-
lief. —
Narkosen von 172 — 2 Stunden, von 90 — 115 Minuten Dauer,
sind 14 verzeichnet. Ihre durchschnittliche Dauer beträgt 103,2
Minuten. Verbraucht wurden zur Herstellung dieser 14 Narkosen
340 ccm — grösster Konsum 43, geringster 14 — , sodass auf die
Narkose im Durchschnitt 24,2 ccm Chloroform fallen. Alle diese
Narkosen waren mit Ausnahme von einer, die vorübergehend durch
Brechen und Brechreiz gestört war, gute, zum Teil sehr gute, ohne
alle und jede üble Erscheinung seitens der Respiration und Cirku-
lation. Einer dieser 14 Kranken, dem der linke Lappen der Schild-
drüse ganz entfernt werden musste, litt an Mitralstenose und auch
in diesem Fall war die 100 Minuten dauernde Narkose eine in
jeder Beziehung vortreffliche und mustergültige.
Narkosen von 2 Stunden und längerer Dauer, von 120 bis
200 Minuten, finden sich unter den 800 Narkoseii 13. Die durch-
schnittliche Dauer derselben beträgt 138,0 Minuten. Verbraucht
wurden zur Herstellung dieser 13 Narkosen 453 ccm. Grösster
Verbrauch 46, geringster 24 ccm. Im Durchschnitt wurden ver-
braucht 34,8 ccm per Narkose. Unter diesen 13 findet sich keine
einzige schlechte Narkose und speziell die 5 Narkosen wegen
Pylorusresektion von zweimal 120, je einmal von 140, 150 und
160 Minuten Dauer waren ausnahmslos trotz des zum Teil sehr
gesunkenen Kräftezustandes der betreffenden Patienten alle gut,
ruhig und tief und von keinen nennenswerten Nachleiden gefolgt.
Speziell mag noch Erwähnung gethan werden eines älteren Mannes
mit Darmresektion wegen gangränöser Hernie, der, trotz hoch-
gradigsten Atheroms aller oberflächlichen Arterien und der Aorta,
in tiefer Narkose immer einen regelmässigen, guten Puls und eine
ruhige Respiration zeigte. Bemerkenswerte N a c h 1 e i d e n , wie
tagelanges Brechen, vollständiger Appetitmangel, heftige Kopf-
schmerzen, grosse Schwäche und Collapszustände sind nicht beob-
achtet worden.
74
(Jtto Kappeier.
Bei einem psychopathischen Kranken, der schon vor der
Operation in einem Zustand unheimlicher Aufregung war und der
nach 20 Minuten dauernder Apparatchloroformierung eine Art
Tobsuchtsanfall bekam, griffen wir — das einzige Mal bei 1000
Apparatnarkosen — zur Esmarchschen Maske, konnten aber auch
damit und mit grossen Dosen Chloroform keine zufriedenstellende
Narkose erzielen.
Im ganzen sind die Apparatnarkosen von Jahr zu Jahr besser
geworden, es gilt auch hier der Satz, der für jede chirurgische
Handlung gilt, Uebung macht den Meister. —
Kronecker’), dem wir so ausserordentlich wichtige Arbeiten
über die Chloroformwirkung verdanken, sagt von den bisher ver-
wendeten Apparaten und verschiedenartig konstruierten Masken,
dass weder diese, noch die genauen Messungen der aufgegossenen
Betäubungsmittel auch nur entfernt auf die Menge der in die
Lunge gelangenden Dämpfe schliessen lasse. Man müsste hierzu
die Richtungen und Geschwindigkeiten der in Mund und Nase
dringenden Luft- und Dampf ströme kennen, die wechseln mit den
Widerständen, welche der Inspirations- und Exspirationsstrom an
dem Maskenstofie oder an der Aether- respektive Chloroformschicht
erfährt. In unkontrollierbarer Weise ändern sich die eingeatmeten
Dampfmengen mit der Tiefe und Geschwindigkeit der Atemzüge,
endlich mit der Verdünnung, welche die narkotisierenden Flüssig-
keiten durch die Wasserdämpfe der Ausatmungsluft erfahren, ab-
gesehen von andern Verunreinigungen durch SjDeichel etc., und
auch meinem Apparat macht er den Vorwurf, dass die aufgenom-
menen Dampfmischungen von der Tiefe und Frequenz der Atmungs-
züge abhängig ist, ohne jedoch näher darauf einzugehen, in welcher
Weise das geschieht. Untersucht man aber nun genauer, wie sich
unser Apparat zu den Aenderungen in Tiefe und Frequenz der
Atmung verhält, so ergiebt sich das zufriedenstellende Resultat,
dass gerade bei diesem Apparat, im Gegensatz zu vielen andern,
niemals eine Ueberdosierung durch V eränderungen in Schnellig-
keit und Ausgiebigkeit der Atemzüge möglich ist.
Atmet der Kranke ruhig und regelmässig, wie in der vollen
Narkose, so atmet der Kranke genau die Hälfte des Chloroforni-
dampfes ein, die der continuierliche Strom des Apparates fördert,
da, wie schon in einer frühem Publikation erwähnt worden, die
Hälfte des vom Apparat gelieferten Chloroformdampfes durch den
Exspirationsstrom weggeblasen wird und der Kranke atmet diesen
b CoiTesi3ondenzl)latt für Schweizer Aerzte 1890, Nr. 22.
Narkose mit messbaren Chloroformluftmisclmngen.
75
Chloroformdampf ein genau in der Verdünnung, die die Skala
des Apparates anzeigt.
Macht der Kranke ungewöhnlich tiefe Atemzüge, so strömt
deshalb auch nicht 1 ccm mehr Chloroformdampf in seine Lungen,
denn er ist nicht im stände mehr Chloroform einzusaugen , als
der Apparat in einer bestimmten Zeit giebt oder, mit andern
Worten, als in die Maske geblasen wird. Das Mehr an ein-
geatmeter Mischung von Chloroformdampf und atmosphärischer
Luft bei ungewöhnlich tiefen Atemzügen fällt einzig und allein
auf die atmosphärische Luft, die der Kranke durch das grosse
Luftloch der Maske oder neben der Maske einsaugt. Er atmet
also bei tiefem Atemzügen stärker verdünnte Chloro-
form dämpfe ein.
Nimmt die Frequenz der Atemzüge zu und atmet der Kranke
ungewöhnlich rasch, so wird er ebensowenig mehr CUiloroform
in seine Lungen einpumpen, als bei tieferer Atmung, denn ob er
in der Minute 16 oder 32 mal atmet, er kann nicht mehr als die
Hälfte der in einer gegebenen Zeit vom Apparat gelieferten kon-
stanten, respektive konstant abnehmenden, Chloroformmenge auf-
saugen. Die Menge Chloroform, die der Lunge zugeführt wird,
kann weder durch erhöhte Frequenz, noch durch ungewöhnliche
Tiefe der Atmung erhöht werden.
Im Gegensatz zu der Mehrzahl der übrigen Chloroformierungs-
methoden besitzt also die Methode der Chloroformierung mit
messbaren Chloroformluftmischungen den grossen Vorteil , dass
in Perioden stürmischer und tiefer Atmung, z. B. in
den kritischen Momenten nach vollständigem Atmungs-
stillstand, ohne irgend welche Vorsichtsmassregeln,
ohne die geringste A e n d e im n g in Anwendung des Appa-
rates, die Konzentration des Chloroformluftgemisches
herabgesetzt wird.
Eine Verdünnung und Verunreinigung des Chloroformluft-
gemisches durch die Exspirationsluft ist ebenfalls so ziemlich aus-
geschlossen, da bei der Chloroformierung mit meinem Apparat
nur ein sehr kleiner Teil der Exspirationsluft, derjenige, der dem
geringen Kubikinhalt der Maske entspricht, zur Verunreinigung
beitragen kann. Dieser geringe Grad spielt aber keine Rolle. Und
im weiteren ist noch folgendes wohl zu berücksichtigen: Es findet
allerdings auf den Tuchmasken, auf denen die Verdunstung des
Chloroforms direkt stattfindet, eine Verdünnung und Verunreini-
gung desselben statt und zwar deshalb, weil der Flanell der Maske
sich durch die rasche Verdunstung rasch abkühlt und sich der
76
Otto Kajjpeler.
Wasserdampf der Ausatmungsluft daran condensiert, bei den
folgenden Inspirationen wieder teilweise verdunstet und einge-
atmet wird. Die Maske dagegen erleidet keine Abkühlung durch
das dem i^pparat entströmende, mit warmer Zimmerluft gemischte,
Chloroform. Sie erwärmt sich im Gegenteil nach wenigen Atem-
zügen und behält diese Temperatur bei.
In einer Publikation von L a n z wird die Behauptung auf-
gestellt, dass die sogenannte Tropfmethode, die auch in der Kocher-
schen Klinik geübt wird, ungleich besser, als dies mit Apparaten
(Junker, Kappeier) geschieht, ermögliche, zu individualisieren und
bei jedem Patienten die ihm zukommende Maximaldose genau ein-
zuhalten. Ich bin durchaus nicht dieser Ansicht, ich möchte im
Gegenteil für die Behauptung, dass die Tropfmethode in Bezug
auf die Dosierung, in Bezug auf die Konzentration der eingeatmeten
Chloroformdämpfe sehr unzuverlässig ist, den Beweis antreten.
Bei meinem Apparat ist eine Konzentration, die über ein
bestimmtes gegebenes Mass hinausgeht, nicht möglich und der Chloro-
formierende hat es in der Hand, für jeden einzelnen Kranken eine
bestimmte Konzentration zu wählen oder eine gegebene Konzen-
tration jeden Augenblick herabzusetzen.
Bei der gebräuchlichsten Chloroformierung, der mit Esmarch-
scher Maske, bei der die Maske bekanntlich nicht fortwährend
dicht vor das Gesicht gehalten wird, strömt nur ein Teil der Luft
durch das mit Chloroform getränkte Flanell, es wird sogar wegen
des geringeren Widerstandes der Hauptluftstrom neben der Maske
eintreten und das durch die Maske eindringende Chloroformluft-
gemisch noch weiter verdünnen. Allein es ist bei dieser Art Chloro-
formierung ganz unmöglich, den Grad der Verdünnung der
Chloroformdämpfe zu regulieren oder auch nur annähernd zu
bestimmen, es hängt dies von der Entfernung der Maske vom
Gesicht, von der Art des Aufgiessens und andern Umständen ab.
Die Konzentration der Dämpfe ist somit bei dieser Art Chlorofor-
mierung eine sehr variable, es kommen sehr hohe Konzentrationen
vor, wie sie bei meinem Apparat niemals Vorkommen und nicht
einmal beim ursprünglichen Junkerschen Apparat Vorkommen
konnten.
Bei der Tropf m e t h o d e ■), wo die Mund und Nase bedeckende
Maske während der ganzen Narkose nicht entfernt wird, muss
Centralblatt für Chirurgie 1891 Nr. 50.
2) Brandt: Centralblatt für Chirurgie 1891 Nr. 47. — Baudouin: Gaz. des
böp. 1890 Nr. ()5 u. 68.
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen.
77
alle eingeatinete Luft durch das mit Chloroform imprägnierte Zeug
(Flanell, Gaze etc.) durchgesogen werden.
Nun ist wohl zu berücksichtigen, dass das Chloroform leicht
flüssig ist und sehr wenig Kohäsion besitzt. Es dehnt sich daher
mit ausserordentlicher Schnelligkeit über den Zeugüberzug der
Maske aus, auch ist sehr zu berücksichtigen, dass bei dieser Aus-
dehnung nicht allein der Quadratinhalt des aufgespannten Flanells
in Betracht kommt, sondern auch seine Dicke, selbst wenn sie
makroskopisch nicht erheblich ist. Das Chloroform wird sich
nämlich nicht allein in der Fläche, es wird sich auch längs der
einzelnen Fäden des Gewebes ausdehnen und es muss gerade
deshalb die Verdunstung eine ausserordentlich rasche sein. Werden
nun z. B. vor Beginn eines Atemzugs, 2, 4, 6, 10 Tropfen auf-
gegossen, so können sie ganz leicht in einem Atemzug bis auf
einen kleinen Rest aufgebraucht werden. Nun wiegt der Tropfen
Chloroform 0,027 gr. Berechnet man die Respirationsluft auf
500 ccm, so erhält der zu Chloroformierende beim Aufgiessen und
Verbrauch eines Tropfens ein Chloroformluftgemisch von 5,4 gr
Chloroform auf 100 Liter Luft, bei 4 Tropfen von 21,6 gr auf
100, bei 10 Tropfen von 54,0 auf 100, und bei 15 Tropfen von
81 gr auf 100 Liter Luft.
Da auch bei dieser Art des Chloroformierens kürzere oder
längere Respirationspausen auftreten können und auftreten, die
dann wiederum von ungewöhnlich langen und tiefen Inspirationen
gefolgt sind, so ergiebt sich ohne weiteres, dass auch diese Chloro-
formierungsmethode die Einatmung von Chloroformluftmischungen
hoher und unter Umständen gefährlicher Konzentration nicht ver-
hindert. Es mag zugegeben werden , dass sie gegenüber der
gewöhnlichen Chloroformierung einen kleinen Fortschritt nach der
Richtung geringerer Gefahr bedeutet, dann namentlich, wenn das
Auftropfen mit grosser Vorsicht und Berücksichtigung der Art und
Weise des Atmens geschieht, aber auch diese Methode schützt
nicht vor Ueberdosierung und sie verlangt bei geringerer Sicher-
heit weit mehr Aufmerksamkeit und Geschick seitens des Chloro-
formierers, als die Apparatchloroformierung.
Die grosse Sicherheit der Chloroformierung bei Tieren mit
titrierten Chloroformluftmischungen und künstlicher Atmung kann
nach den Versuchen von P. Bert und Kronecker als bewiesen
gelten, für die Chloroformierung mit meinem Aj)parat und ohne
künstliche Atmung war dieser Beweis erst noch zu erbringen.
Deshalb und weil aus den 1000 Narkosen an Menschen eine geringere
Gefahr dieser Art Chloroformierung noch keineswegs hervor geht,
78
Otto Kappeier.
sah ich mich veranlasst, in Gemeinschaft mit den Herrn Dr, Sulzer
und Dr. Tschudy, denen ich für die Sorgfalt und Ausdauer, mit der
sie mich unterstützten, zu bestem Dank verpflichtet bin, eine Reihe
von Versuchen anzustellen, um die Apparatchloroformierung und die
gebräuchlicheren Chloroformierungsmethoden überhaupt auf ihre
Leistungen und Gefahren an einem für Chloroform sehr empfind-
lichen Tiere, dem Kaninchen, vorurteilslos zu prüfen.
Alle Beobachter stimmen darin überein, dass Kaninchen den
inhalierten Chloroformdämpfen sehr leicht und rasch erliegen.
Nach Kronecker vertragen die Hunde viel länger die Chloroform-
narkose, als Kaninchen. Ungar’) sagt: Hierbei (bei den Versuchen)
mussten wir freilich die Erfahrung machen, dass es ausserordent-
lich schwierig sei, Kaninchen nach eingetretener Narkose noch
einige Zeit Chlorofornidämj^fe einatmen zu lassen. Ehe wir daher
grössere Erfahrung gesammelt hatten, gingen uns die Tiere kurze
Zeit nach eingetretener Narkose zu Grunde. Erst, als wir dazu
übergingen, die Chloroforminhalationen nach erreichter Narkose
zu unterbrechen und erst nach einiger Zeit, meist erst, als die
Tiere aus der Narkose erwachten, wieder aufzunehmen, gelang es,
bei einigen Tieren die Chloroforminhalationen über einen längern
Zeitraum auszudehnen. Aber auch jetzt noch verendeten viele
Tiere während der Chloroformierung vor dem beabsichtigten Ende
des Experimentes, und weiter bemerkt er : »Bei Hunden giebt sich
eine drohende Lebensgefahr meist noch rechtzeitig zu erkennen
und tritt der Exitus lethalis nicht so plötzlich ein, wie bei
Kaninchen. «
Es wurden nun bei Kaninchen verschiedenen Alters und
Gewichtes, verschiedenen Ernährungszustandes und verschiedener
Grösse drei Versuchsreihen gemacht.
Einmal wurden die Tiere mit meinem Apparat chloroformiert
und zwar wurde an demselben nur die Aenderung vorgenommen,
dass die beim Kranken verwendete Maske durch eine kleine
Kupfermaske, ein Miniaturabklatsch der grossen, ersetzt wurde,
die, wie die grosse, an ihrer Kuppe neben dem Ansatz für das,
das Chloroform zuleitende, Kautschukrohr, ein grösseres Ventilations-
loch besitzt und an ihrer Basis durch ein Kautschukdiaphragma
abgeschlossen ist, das luftdicht über die Schnauze des Tieres
gestülpt werden kann.
In einer zweiten Versuchsweise wurden die Tiere mit einer
kleinen, zu diesem Zweck aus Draht hergestellten und mit dünnem
Flanell überzogenen, Esmarchschen Maske chloroformiert. Die Form
*) Vievteljahrssehnft f. gericlitl. Med. Nr. XL VII 1.
Narkose mit messbaren Chloroformliiftmischimgen.
79
derselben war so beschaffen, dass sie Maul und Nase des Tieres
in gleicher Weise bedeckte, wie die Esmarchsche Maske Mund
und Nase des zu chloroformierenden Menschen. Das Chloroform
wurde aus einem Tropfglas (s. deutsche Chirurgie Lieferung 20,
S. 145) absichtlich ohne bestimmtes Mass aufgeschüttet, doch
immer so, dass nur ein sehr kleiner Teil des Flanellüberzugs davon
befeuchtet wurde. Das Aufschütten wurde gerade wie bei der
Chloroformierung des Kranken nur wiederholt, wenn der Flanell
ganz trocken war und die Festhaltung der Anästhesie frisches
Chloroform benötigte.
Bei der dritten Versuchsweise wurde mit Benutzung eben
dieser modifizierten Esmarchschen Maske die Tropfmethode ange-
wendet und zwar in der Weise, dass zuerst jede Minute 2 Tropfen
aufgegossen wurden, bis complete Anästhesie erreicht war, dann
wurde nur noch jede Minute 1 Tropfen aufgegossen. Die Maske
wurde während der ganzen Zeit der Narkose nie von der Schnauze
des Tieres entfernt.
Im übrigen wurde genau so chloroformiert, wie der Chirurg
seine Kranken chloroformiert. Das Tier wurde nur so lange an
den Beinen gehalten, bis es auf die Seite fiel, sodass es frei atmen
und seine Extremitäten frei bewegen konnte. Bei den ersten zwei Ver-
suchsreihen wurde die Maske jeweils nur so lange vor die Schnauze
gehalten, bis das Tier anästhetisch war, dann entfernt und erst
wieder vorgehalten, wenn leise Zuckungen der Lider bei Berührung
der Cornea das Wiedererwachen der Reflexe anzeigten oder das
Tier auf Kneifen der Ohren und des Schwanzes mit einer llaken-
pinzette auch nur leise zuckte. Wir machten nämlich wiederholt
die Beobachtung, dass Kaninchen mit völlig erloschenem Corneal-
reflex auf starkes Kneifen der Ohren noch zuckten. Es wurde
also mit einem Wort, in jedem Fall, ein Erwachen aus der Narkose
mit peinlichster Sorgfalt vermieden und Sorge getragen, dass das
Tier die ganze Zeit vollkommen anästhetisch und operationsbereit
war. Ausser den mitgeteilten ^^ersuchen verfügen wir noch über
eine grössere Zahl Kontrollversuche, l)ei denen die Herzaktion
mittelst einer ins Herz gestochenen Nadel mit Federfahne, die
Respiration nach der Methode Snellen, sichtbar gemacht wurden.
Doch sind diese Versuche der komplizierenden Verletzungen wegen
nicht mitgezählt.
Ins Bereich einer unausgesetzten Beobachtung fielen haupt-
sächlich Pupillen, Respiration und Flerzaktion, letztere wurde mit
dem Stetoskop kontrolliert.
Die \"ersuche wurden in einem Raum mit Zimmertemperatur
80
Otto Kappeier.
gemacht, 14 — 16 R, und zur Verwendung kam ausschliesslich
Pictetsches Chloroform.
I. 40 Narkosen mit Kappelers Apparat
und zwar 10 einstündige, 6 einundeinhalbstündige, 18 zweistündige,
2 dreistündige, 1 vierstündige, 1 siebenstündige und 2 zehnstündige
Narkosen. Nur ein Tier erlag vor dem beabsichtigten Ende des
Versuchs und ging, wie weiter unten auseinander gesetzt werden
soll, an Erstickung zu Grunde.
Zuerst musste durch V orversuche die Dosis gefunden werden,
die eine hinreichende und hinreichend rasche Narkose bewirkte.
Sie wurde gefunden in einer Anfangsdosis von 2,8 Gramm auf
100 Liter Luft, d. h. einer Füllung des Chloroformgefässes auf
3 ccm. Waren diese 3 ccm ganz oder grösstenteils ausgepumpt, so
wurde das Gefäss wieder auf 2 ccm angefüllt, so dass bei einmal
erreichter Anästhesie der Chloroformgehalt des inhalierten Gemisches
nicht mehr über 2,4 Gramm auf 100 Liter Luft hinausging, bei
ganz jungen schwächlichen Tieren von 4 — 5 Wochen wurde mit
2 ccm Füllung begonnen (2,4 gr auf 100) und wieder auf das
gleiche Niveau nach Verbrauch dieser 2 ccm aufgefüllt.
Das Alter der Tiere schwankte zwischen 1 — 18 Monaten.
Der Chloroformverbrauch bei den stündigen Narkosen betrug durch-
schnittlich 7,5 ccm, bei den zweistündigen 9 ccm; die 2 dreistündigen
Chloroformierungen (beide Tiere 10 Wochen alt) benötigten 8 und
9 ccm, die vierstündige Narkose beanspruchte (ein jähriges Tier)
17 ccm, die siebenstündige (72 jähriges Tier) 20 ccm und die 2 zehn-
stündigen Chloroformierungen (beides I72 jährige Tiere) 41 und
59 ccm Chloroform.
Vollständig anästhetisch und operationsbereit waren die
40 Tiere in durchschnittlich 4,4 Minuten. Die kürzeste Zeit, bis
Anästhesie eintrat, betrug 1 Minute (6 Fälle), die längste Zeit
10 Minuten (4 Fälle).
Die Reihenfolge der Erscheinungen war im allgemeinen
folgende :
Beim ersten Vorhalten des Chloroforms Abwehrbewegungen und
Respirationsstillstand, der von 15 Sekunden bis 1 Minute und etwas
länger andauert, zu gleicher Zeit sinkt die Frequenz der Herzschläge
von 240 — 300 in der Minute auf 90, 69, 54, 48, ja auf 12 Schläge,
einmal hörten wir 10 Sekunden lang keine Herztöne mehr ; mit dem
Wiedererwachen der Respiration schnellt auch der Puls sofort
auf die frühere Frequenz von 2 — 300 Schlägen in der Minute
zurück. Kurzdauernde Verlangsamung der Atmung beim frischen
Einblasen von Chloroform beobachtet man auch bei vollständig
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen.
81
erloschenem Cornealreflex, manchmal bis V2 Stunde nach Beginn
der Narkose. Später wird die Respiration durch frisches Vorhalten
von Chloroform nicht weiter beeinflusst und sie wird nun regel-
mässig, und bei langer Dauer der Narkose nach und nach, langsamer,
oberflächlicher, die Bewegungen des Thorax werden wellenförmig,
auch die Pulsfrequenz nimmt bei längerem Chloroformieren allmählich
ab, um 20, 40, 60 Schläge, der Puls wird allmählich etwas
schwächer, die Herztöne werden leiser, selten zeigen sich kleine
Unregelmässigkeiten. Das Verhalten der Pupillen zeigt lange nicht
die Konstanz, wie wir sie beim chloroformierten Menschen beobachten.
Das gewöhnliche Verhalten ist das, dass die schon vor der Nar-
kose etwas über mittel weiten Pupillen im Verlauf der Narkose
allmählich weiter und reaktionslos werden, mitunter erweitern sie
sich auch ohne besondere Erscheinungen von Seiten des Herzens
und der Lungen maximal. Zuweilen werden die Pupillen im
Beginn der Narkose enger, erweitern sich aber ausnahmslos in den
vorgerückten Stadien derselben. Nur einmal sahen wir bei den
Apparatchloroformierungen Nystagmus. Schon im Beginn und fast
immer im weitern Verlauf der Narkose treten weitere Erscheinungen
in grossem Wechsel und ohne irgend welche Regelmässigkeit auf.
Viele der Tiere speicheln und die Speichelabsonderung ist manch-
mal eine excessive. Nicht selten fangen die Tiere plötzlich einige
Minuten zu quieksen an. Kaubewegungen sieht man häufig,
Krämpfe der Extremitäten beobachtet man fast in jeder Narkose
und von verschiedenster Art: Reibebewegungen der Vorderbeine,
rhythmische Krämpfe der Vorder- und Hinterpfoten, Lauf, Galopp-
bewegungen aller vier Beine, Nackenkrämpfe, Streckkrämpfe der
Hinter- und Vorderpfoten, tetanische Streckung des Rückens, ja
förmlicher Tetanus mit tonischen Krämpfen aller willkürlichen
Muskeln. Den eklatante.sten Fall dieser Art beobachteten wir bei
und nach Schluss der zweistündigen Chloroformierung bei einem
vierwöchentlichen Kaninchen, bei dem durch blosse Berührung
der Haut jeweils ein förmlicher Anfall von Tetanus ausgelöst
werden konnte.
Spontane Urin- und Stuhlentleerung nahmen wir nur bei
längeren Narkosen wahr.
Bei den am längsten dauernden Chloroformierungen, der
siebenstündigen und den zwei 10 ständigen, sind als weitere und neue
Symptome noch bemerkenswert: ein eigentümliches Zittern der
Schultern und Vorderläufe und ein deutliches Schwächerwerden
des Pulses und der Herztöne. Die Pulsfrequenz fiel bei einem
IV2 jährigen, 3500 Gramm schweren, Kaninchen von 300, nach
6
82
Otto Kappeier.
1 Stunde, auf 240, nach 9 Stunden auf 192, nach 972 Stunden
auf 168 ab und die im Anus gemessene Temperatur war:
Zu Beginn der Chloroformierung .
. 38,1
oc
nach 1 Stunde
. 36,9
V
nach 2 Stunden
. 35,5
3
. 33,8
V
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. 30,1
77
„10 „
. 29,4
77
Was das weitere Schicksal der chloroformierten Tiere betrifft, so ist das-
selbe in Bezug auf die eiustündigen Narkosen bei 9 verfolgt. Sehen wir ab von
dem einzigen Tiere, das während der Narkose starb, so leben 5 noch 3 Wochen
nach der Chloroformierung und sind gesund. Ein 7 Wochen altes Tier stirbt
3 Tage nach der Chloroformierung und zeigt starke Verfettung des Herzmuskels
und der Leber, ein zweites, 7 Wochen altes, Kaninchen stirbt 7 Stunden nach
Schluss der Chloroformierung, zeigt Ascites, Fettstauungsleber, einen massigen
Grad von Herzverfettung und starke Trübung der Nierenepithelien nebst Harn-
cylindern. Ein 4 Wochen altes Kaninchen endlich stirbt 4 Tage nach der Chloro-
formierung und zeigt nur geringe Körnung der Herzmuskelfibrillen , keine
Fettleber.
^'’on den 6 Kaninchen, die IV2 Stunden den Cliloroforminhalationen aus-
gesetzt waren, lebt eines noch 3 Wochen nach der Chloroformierung, ein 4 Wochen
altes Tier stirbt 6 Stunden nach Schluss der Narkose und zeigt nur geringe
Herzverfettung, keinen besonderen Fettreichtum der Leberzellen, ein öVa Wochen
altes Kaninchen stirbt 10 Tage später, die Leber steckt voll Knoten mit Coccydium
oviforme, aber die mikroskopische Untersuchung ergiebt ausser geringer Körnung
der Herzfibrillen sonst nichts Abnormes, ein weiteres, 5 Wochen altes, Tier stirbt
in der darauffolgenden Nacht und zwar an Erstickung. Auf der Teilungsstelle
der Trachea reitet ein dicker Holzspan, dabei Tracheitis, Atelectase des grössten
Teiles der 1. Lunge, geringe Herzverfettung und Fettinfiltration der Leberzellen,
ein anderes Tier, 5 Wochen alt, stirbt in der darauffolgenden Nacht und zeigt
nur geringe Herzmuskelverfettung, keine Fettleber, ebenso ein 3 Monate altes
Tier, das einige Stunden nach der Narkose stirht.
Von 18, zwei Stunden lang, chloi’oformierten Tieren leben 9 noch 14 Tage
nach der Chloroformierung, die übrigen gingen nach 1 — 4 Tagen zu Grunde,
allein die Obduktion konnte nicht gemacht werden. Das eine, 3 Stunden lang
chloroformierte, Tier stirbt zweimal 24 Stunden nach der Narkose und zeigt starke
Körnung der Herzfibrillen ohne Fettleber und starke Trübung der Nieren-
epithelien, das zweite, 3 Stunden lang chlorofoimierte, Tier stirbt dreimal 24 Stunden
nach der Chloroformierung, zeigt starke Verfettung des Herzmuskels und hoch-
gradige Fettstauungsleber. Das 4 Stunden lang chloroformierte Tier lebt noch
3 Tage und geht dann zu Grunde. Die Obduktion konnte nicht gemacht werden.
Das 7 Stunden chloroformierte, V2 jährige, weibliche Kaninchen stirbt 40 Stunden
nach der Chloroformierung, nachdem es mit hängenden Ohren, oberflächlicher.
Narkose mit messbaren Cliloroformluftmischungen.
83
seichter Respiration und schwachen Herztönen, ohne zu fressen, immer an der
gleichen Stelle gesessen. Obduktion 12 Stunden p. m. Trachea leer, Hypostase
der hintern Partien des 1. untern Lungenlappens, linker Herzventrikel kontrahiert,
beide Vorhöfe und beide Ventrikel mit locker geronnenem Blut gefüllt, in der
AV’'andung der 1. Ventrikels, der von matscher Konsistenz ist, sind gelbe Streifen
auf Schnitt- und Oberfläche bemerkbar. Die Querstreifung der Fibrillen ist voll-
ständig verschwunden und die Körnung ist eine so starke, dass die Fibrillen
das Aussehen von, mit zahlreichen kleinen Fetttröpfchen gefüllten, Schläuchen
haben. Die Leber ist von sehr mürber Konsistenz, auf der Oberfläche stellen-
weise graugelblich, stellenweise mit deutlich acinöser Zeichnung, die Peripherie
der Acini graugelb, im Zentrum ein l)lutroter l'leck. Die Leberzellen sind
strotzend angefüllt mit ausschliesslich grössern Fetttröpfchen. Rinde der Nieren
grau und graugelblich, starke Trübung der Epithelien der gewundenen Harn-
kanälchen. Im Urin massenhaft körnige Cylinder. Fettige Degeneration des
Zwerchfells und Quadriceps. In den Zellen der Milzpulpa keine grösseren Fett-
tröpfchen. Dagegen die Epithelien der Lungenalveolen stellenweise stark körnig.
Ein l'/2 jähriges , 4000 Gramm wiegendes, weibliches Kaninchen, das
10 Stunden lang chloroformiert worden war, stirbt 36 Stunden nach Schluss der
Narkose. Obduktion 10 Stunden später. Starke Todenstarre, Trachea leer,
beginnende Hypostase der hintern Partien der Unterlappen beider Lungen, die,
sonst überall lufthaltig, von fiüsch zinnoberroter Färbung sind. Der 1. Herz-
ventrikel kontrahiert, beide Vorhöfe und rechter Ventrikel prall gefüllt mit
schwarzem, locker geronnenem Blut. Die Fibrillen des 1. Ventrikels und der
Papillarmuskeln sind dicht besetzt mit feinen Fettmolekülen und von Quer-
streifung ist keine Spur mehr zu finden. Leber graugelb, mürbe, die Schnitt-
fläche fast durchwegs von schön acinöser Zeichnung, die Leberzellen ganz mit
grössern Fetttropfen angefüllt. Trübe Schwellung der Nierenepithelien und im
Urin zahlreiche, meist körnige, Cylinder. Die im Uterus des Tieres gefundenen
Fötus zeigen hochgradige Fettstauungslebern.
Das zweite, 10 Stunden lang chloroformierte, IV2 jährige, 35CM) Gramm
wiegende männliche Kaninchen stirbt 27 Stunden nach Schluss der Chlorofor-
mierung.
Das Herz hat eine schmutzig gi-augelbe Färbung und den Fibrillen fehlt
jede Andeutung einer Querstreifung bei sehr starker Körnung. Leber von
mürber Konsistenz und schmutzig graugelber Färbung, nur die Centra der Leber-
läppchen hellrot, die Leberzellen mit mittelgrossen Fetttröpfchen prall gefüllt
Die Nieren etw'as vergrössert, blutarm, die Rindensubstanz mattgraugelb, inr
Urin vereinzelte Cylinder.
Zum Schlüsse sei noch ausführlicher erwähnt der einzige
Todesfall, der bei der Chloroformierung mit dem Apparat vor dem
Abschluss des Versuches erfolgte:
Er betrifft ein V2 jähriges, 2750 Gramm wiegendes, Kaninchen,
das mit einer Anfangsfüllung von 3 ccm chloroformiert wurde
und in Vj-z Minuten operationsbereit war. Ungefähr 10 Minuten
nach Beginn der Narkose trat lautes Larynx- und Trachealrasseln
auf, verbunden mit inspiratorischen Einziehungen der Zwerchfell-
gegend, das Rasseln wurde immer stärker und stärker und die
Respiration mit 20 Minuten Narkosendauer äusserst mühsam und
84
Otto Kappeier.
geräuschvoll; immer langsamer werdend, hörte sie mit 23 Minuten
ganz auf, während die Herztöne noch fast 2 Minuten nach Auf-
hören der Atmung hörbar waren. Die sofort angeschlossene Ob-
duktion lässt nach Eröffnung des Herzbeutels noch schwache,
rhythmische Zuckungen der Ventrikel und Herzohren erkennen.
Sämtliche 4 Herzhöhlen sind prall mit schwarzem, flüssigem Blut
gefüllt. Die Nase voll zähen Schleims, Kehlkopf, Trachea und
Bronchien ganz angefüllt mit äusserst zähem , fadenziehendem
Schleim, der sich mit der Pincette in langen, zusammenhängenden,
dicken Fäden herausheben lässt. Lungen livid, mit Striemen- und
fleckenförmigen Atelektasen in beiden Lungen. Keine stärkere
Herzverfettung. Wir werden auf diesen Fall und die eigentüm-
liche Todesart später noch zurückkommen.
II. Dreissig Narkosen mit Esmarchs Maske.
Von den 30, mit Esmarchs Maske chloroformierten Tieren
sind 22 vor dem beabsichtigten Ende des Versuchs verendet, 8
konnten am Leben erhalten bleiben und zwar wurden von diesen
8 zwei, eine Stunde lang, eines 1 V2, eines 2, zwei je 3 und eines 4 Stun-
den lang chloroformiert. Das Alter der Tiere schwankte zwischen
1 — 18 Monaten, das Gewicht betrug 500 — 3000 Gramm. Stets
wurden bei den Parallelversuchen (es wurde gewöhnlich zu gleicher
Zeit ein Tier mit dem Apparat und ein anderes mit Esmarchs
Maske chloroformiert) das schwerere und kräftigere Tier mit Es-
marchs Marke chloroformiert. Zu halbstündigen Narkosen
wurden 20 ccm, zu stündigen 30 ccm, zu zweistündigen 40 — 50 ccm,
zu dreistündigen 50 — 60 ccm, zu vierstündigen 90 ccm und zu der
siebenstündigen, später zu erwähnenden Narkose, 1 10 ccm Chloroform
verbraucht. Operationsbereit, d h. vollkommen anästhetisch waren
die 26 Tiere durchschnittlich in 2,3 Minuten, die kürzeste Zeit,
bis Anästhesie eintrat, betrug 1 — 1 V2 Minuten (6 Fälle), die längste
6 Minuten (1 Fall). Die Erscheinungen waren im grossen und
ganzen dieselben, wie bei der Apparatchloroformierung. Auch hier
beobachteten wir einige Male Nystagmus und eine allmähliche Er-
weiterung der Pupillen im Verlauf der Narkose. (Ueber ein eigen-
tümliches Verhalten der Pupillen bei den mit Tod abgegangenen
werden wir weiter unten berichten.) Beim ersten V erhalten der
Maske stellte sich regelmässig Respirationsstillstand ein, der bald
nur 10 — 20 Sekunden, bald 1 Minute und länger dauerte und da-
mit verlangsamte sich der Puls, der zuweilen bis auf Vi Minute
ganz verschwand. Im ganzen zeigte sich bezüglich der Respi-
ration noch mehr Unregelmässigkeit, als bei der Apparatchloro-
formierung, und im allgemeinen atmeten die Tiere bei der freien
Narkose mit messbaren Cliloroformluftmischungen.
85
Verwendung des Chloroforms schneller. Bei ganz langen Narkosen
sanken auch hier Respirations- und Pulsfrequenz. Auch hier
stellte sich häufig Quieksen ein, es kamen fast regelmässig die
rhythmischen Krämpfe der Extremitäten, der Nackenmuskeln, der
Ohren, nicht selten Streckkrämpfe der Beine und Opisthotonus,
zur Erscheinung.
Bei den während der Narkose gestorbenen Tieren trat der
Tod bald früher, bald später, aber immer ganz unerwartet, ein.
Er erfolgte einmal 3 Minuten, dreimal 4 Min., einmal 5 Min.,
einmal 8 Min., einmal 10 Min., viermal 18 — 20 Min., dreimal 25
bis 26 Min., einmal 30 Min., einmal 38 Min., einmal 47 Min.,
zweimal 54 — 56 Min., einmal 70 Min., einmal 114 Min. und ein-
mal 7 Stunden nach Beginn der Chloroformierung. Es sei noch-
mals betont, der Eintritt des Todes kommt bei Kaninchen ganz
unerwartet und hat in dieser Beziehung grosse Aehnlichkeit mit
dem Chloroformtod des Menschen. Gewöhnlich — und es ist dies
das einzige ominöse Symptom — wird kurze Zeit nach dem
frischen Aufschütten des Chloroforms die Atmung etwas rascher,
oberflächlicher und steht dann plötzlich still, zuweilen werden
auch die Pupillen etwas enger, um sich dann beim Tode wieder
zu erweitern, regelmässig — und es ist das das sicherste Zeichen des
nahenden Todes — stellt sich starker Exophthalmus ein, die Herz-
töne verschwanden nur zweimal mit der Respiration oder un-
mittelbar darauf und waren sonst immer 7^ — 4 Minuten — wenn
auch immer langsamer und schwächer, zuweilen unregelmässig
werdend — deutlich zu hören. Die unmittelbar angeschlossene
Obduktion zeigte regelmässig keine Veränderung in den Lungen
und Bronchien, pralle Füllung sämtlicher Herzhöhlen mit schwar-
zem, flüssigem Blut, regelmässige Zuckungen der Ventrikel und
Vorhöfe bis 5 Stunden p. m., zuletzt zuckten immer die Herz-
ohren. Mit Ausnahme des 7 Stunden chloroformierten Tieres
sahen wir keine nennenswerte Erkrankung des Herzens, der Leber
und der Nieren.
'S^on den 8 der Chloroformierung nicht erlegenen Kaninchen leben 4 noch
3 Wochen später und zeigen keine Krankheitserscheinungen, das Schicksal des
3 Stunden chloroformierten Tieres ist nicht bekannt, da es nicht mit einem
Kennzeichen versehen wurde. Die 3 übrigen sind der tödlichen Nachwirkung
des Chloroforms erlegen.
Ein 4 Stunden lang chloroformiertes, Vi jähriges, 1750 Gramm wiegendes,
Kaninchen richtet sich 2 Stunden nach der Chloroformierung wieder auf, bleibt
aber, ohne zu fressen, an derselben Stelle. Auch andern Tags bewegt es sich, hei
einem Puls von 160 und 64 Respirationen in der Minute, nicht von der Stelle,
sieht matt aus, frisst nicht und stirbt 3(5 Stunden nach beendigter Narkose.
Neben Herzverfettung finden wir eine ausgesprochene Fettstauungsleher, starke
86
Otto Kappeier.
Trübung der Nierenepitbelien und neben zahlreichen körnigen, einige hyaline
Cylinder iiu Urin.
Ein 18 Monate altes, braunes, männliches, 3250 Gramm wiegendes, Kanin-
chen, das ebenfalls 4 Stunden chloroformiert war, erholt sich nicht mehr vollstän-
dig, liegt mit hängenden Ohren immer an einer Stelle, frisst nicht und wird zu-
sehends schwächer und matter. Tod nach 24 Stunden. Obduktion 24 Stunden später:
Totenstarre, Trachea leer und trocken, Lungen zinnoberrot, überall lufthaltig.
Sämtliche 4 Herzhöhlen mit schwarzem, lockergeronnenem Blut gefüllt. Wan-
dung des linken Ventrikel stellenweise gelb. Die Fibrillen ohne eine Andeutung
von Querstreifung, stark gekörnt. Die Körnung wird bei Zusatz von Essigsäure
noch deutlicher, die Leber zeigt fast durchwegs bei sehr mürber Konsistenz
acinöse Zeichnung, in Mitte der gelbgrauen Acini dunkelrote Punkte. Die Leber-
zellen prall gefüllt mit grösseren Fetttropfen. Die Nieren blutarm, blass, weich
sich anfühlend, Rinden- und Marksubstanz auffallend blassgelb, die geraden und
gewundenen Harnkanälchen zeigen eine ungewöhnlich starke Körnung mit feinem
und gröbern Fetttröpfchen. Dem Zwerchfell entnommene Muskelstücke lassen
starke, fettige Degeneration erkennen, während die Fibrillen der Quadriceps nur
vereinzelte Fetttröpfchen enthalten.
Ein zwei Stunden lang chloroformiertes, 7 Wochen altes, männliches, KHX)
Gramm wiegendes, Kaninchen verendet 84 Stunden nach Schluss der Narkose
und auch hier fanden wir, durch reichlichste Einlagerung von Fetttröpfchen, die
Querstreifung der Herzmuskelfibrillen grösstenteils verwischt, dabei ausgesprochene
Fettstauungsleber, die Leber vollgepropft mit meist grössern Fetttropfen, die
Schnittflächen der Nieren von graugelber, matter Färbung und feinkörnige Trü-
bung des Zwerchfells bei noch erhaltener Querstreifung.
Zwanzig Narkosen mit der Tropf in et ho de.
Nach der Tropfmethode, und zwar in oben näher ausgeführter
Weise, wurden 20 Tiere chloroformiert und von diesen gingen
während der Chloroformierung, vor dem beabsichtigten Ende des
Versuchs, 14 zu Grunde, 6 kamen durch und von diesen wurde
eines 1 Stunde, ein zweites 1 Stunde 20 Minuten und vier je 2
Stunden chloroformiert.
5 — 7 wöchentliche Tiere wurden 5 chloroformiert, die alle zu
Grund gingen, bei den übrigen schwankt das Alter von 3 bis zu
15 Monaten, das Gewicht von 1000 — 2500 Gramm. Der Chloro-
formverbrauch war ein sehr geringer, bei den 4 zweistündigen
Narkosen wurden jeweils ziemlich genau 5 — 6 ccm Chloroform
verbraucht, allein es bedurfte immer einer verhältnismässig langen
Zeit, im Durchschnitt der 20 Narkosen, 12,4 Minuten, bis die Tiere
operationsbereit waren. Die kürzeste Zeit, in der Anästhesie ein-
trat, betrug 4 Minuten, die längste 22 Minuten, Auch war die
Narkose nie eine so tiefe, wie bei den mit Apparat und Esmarch-
scher Maske chloroformierten Tieren. Nur bei dieser Art Ghloro-
formierung beobachteten wir einige Male während der Narkose
unerwartetes und vollständiges Aufwachen und Aufrichten der
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen.
87
Tiere und es musste in diesen Fällen für einige Minuten auf die
stärkere Anfangsdosis zurückgegriffen werden.
Die Erscheinungen waren bis auf ein Symptom von seiten
der Atmung, das dieser Art Chloroformierung ein besonderes Ge-
präge gab und sie ganz beherrschte, ungefähr dieselben, wie bei
den Chloroformierungen mit Apparat und Esmarchschei’ Maske.
Auch hier beobachteten wir im Beginn der Narkose Respi-
rationsstillstand mit Verlangsamung des Pulses, einmal verschwin-
den auch die Herztöne für 20 Sekunden, auch hier beobachteten
wir alle möglichen Formen von Krämpfen bis zum förmlichen
Tetanus, Erweiterung der Pupillen, einige Male ad maximum, und
regelmässig Exophthalmus beim Eintritt des Todes.
Mit Ausnahme eines einzigen Falles, eines Kanincliens von
6 Jahren, das nach kurzer Zeit (21 Min.) wahrscheinlich einer
Ueberdosis erlag, fielen bei dieser Art des Chloroformierens, bald
früher bald später, die Symptome einei- heftigen Tracheitis und
Bronchitis mit den Folgen des gehinderten Luftdurchtritts durch
die Luftwege auf. Es stellte sich, schon auf Distanz hörbares,
Rasseln im Kehlkopf und in der Trachea ein, beim Auskultieren
der Trachea und den Lungen waren ausnahmslos klingende, knackende
Rasselgeräusche zu hören, zu denen sich später inspiratorische Ein-
ziehungen der Zwerchfellgegend gesellten. Diese Symptome nahmen
nun entweder bis zu dem Tode stetig zu, und die Respiration
wurde im Gegensatz zum reinen Chloroformtod unmittelbar vor
dem Ende immer mühsamer und langsamer, und waren, wie aus
dem Obduktionsbefund zur Evidenz hervorging, Mitursache des-
selben, oder sie nahmen nach längerer Zeit an Intensität wieder
ab und verloren sich, nach Ablauf einer Stunde, und mehr, auch
wohl ganz.
Bei den Apparatnarkosen sahen wir diese Komplikation, den
Tod bedingend oder mitbedingend, nur einmal, bei den Chloro-
formierungen mit Esmarchscher Maske dagegen nie. Diese
Komplikation erklärt auch die grosse Mortalität bei dieser Methode
der Chloroformierung von Kaninchen. Bei den während der Nar-
kose gestorbenen Tieren waren die Herztöne ausnahmslos nocli
1— 372 Minuten nach Sistieren der Atmung hörbar, zuerst noch
in früherer Frequenz, dann langsamer und immer langsamer, dann
folgen noch vereinzelte Doppeltöne, dann sind sie nicht mehr
hörbar.
In zwei Fällen wurde unmittelbar nach dem Aufhören der
Atmung die Tracheotomie gemacht, allein der hi der Trachea und
den grossen Bronchien befindliche Schleim war so zähe, dass er
88
Otto Kappeler.
Sich nicht mit dem Katheter ansaugen und, nur mit Mühe und
unvollständig, mit einem feinen Schwämmchen auswischen liess.
Trotz sofort angeschlossener künstlicher Respiration konnte die
Atmung nicht mehr in Gang gebracht werden.
Was nun den Obduktionsbefund dieser 14, während der
Chloroformierung gestorbenen, Tiere betrifft, so waren nur bei
dreien, die nach 21 Minuten, nach 1 Stunde und 50 Minuten und
nach 1 Stunde und 55 Minuten erlagen, Trachea und Bronchien
frei von Schleim und die Lungen frei von Atelektasen, obwohl
die zwei letztem in der ersten Stunde der Chloroformierung starkes
Trachealrasseln und ab und zu inspiratorische Einziehungen der
untern Thoraxgegend gezeigt hatten, welche Erscheinungen sich dann
allerdings im weitern Verlauf der Narkose wieder verloren, bei
den übrigen 11 war folgender Befund konstant: Meist schon Mund
und Nase, sicher aber Larynx, Trachea und grosse Bronchien mit
zähem Schleim gefüllt, der schwer sprengbare Luftblasen einschloss
und sich mit der Pincette in langen und dicken Fäden und
Strängen herausziehen liess, in den feinem Bronchien teils zäher,
teils eitriger Schleim. Ausnahmslos in den Lungen, die bezüglich
der Farbe durch einen Stich ins Bläuliche auffielen, makroskopisch
und mikroskopisch nachgewiesene atelektatische Herde in mehr
oder minder grosser Ausdehnung, bald auf vereinzelte, disseminierte,
kleine Stellen beschränkt, an den Lungenrändern, der Lungenober-
fläche, mit Vorliebe dem Zungenfortsatz des linken Oberlappens,
bald sich auf ganze Lappen und, in wenigen Fällen, auf die ganze
eine Lunge ausdehnend. Daneben häufig punktförmige Ecchymosen.
Die Halsvenen prall mit schwarzem Blut angefüllt, ebenso alle
vier Herzkammern, ausnahmslos stärkere Füllung des rechten
Herzens. Es handelt sich somit in allen diesen Fällen um eine
Kombination von Erstickungstod, durch exsudative Tracheitis und
Bronchitis, mit Chloroformwirkung.
A'on den Kaninchen, die mit dem Leben davonkamen, leben 4 noch einige
Wochen nach der Narkose, ein fünftes, das 2 Stunden chloroformiert Avurde,
starb 36 Stunden nach Schluss der Narkose und wir fanden starke Körnung der
Herzmuskelfibrillen und schon makroskopisch ausgesprochene Fettstauungsleber,
das sechste der Tiere, ebenfalls 2 Stunden chloroformiert, starb 40 Stunden
später. Auch hier starke fettige Degeneration des Herzmuskels, massige Fett-
inliltration der Leberzellen.
Es geht aus diesen 90 Versuchen hervor, dass man Kanin-
chen nach den verschiedensten Chloroformierungsmethoden stunden-
lang in anästhetischem Zustand halten kann, allein während man
bei einer Methode, die Chloroformluftmischungen von bestimmter,
nicht überschreitbarer, Konzentration giebt und inhalieren lässt.
89
Narkose mit messbaren Chloroformluftmisehiiiigeii.
ganze Serien von einstündigen, 172stündigen und zweistündigen
Chloroforinierungen ohne Todesfall zu stände bringt, und während
diese Methode unter 40 Narkosen nur einen Todesfall zählt, der über-
dies, weil ein mechanischer Erstickungstod, nur indirekt dem Chloro-
form zur Last fällt, weist die freie Verwendung des Chloroforms mit
Esmarchscher Maske eine ganze Reihe unerwarteter Todesfälle auf.
Aber auch die eigentliche Chloroformvergiftung, die Sättigung des
Organismus mit Chloroform, die apnee toxique der französischen
Physiologen, kommt bei der freien Anwendung des Mittels viel
früher zur Erscheinung, denn während von zwei, 7 Stunden lang
chloroformierten, Tieren das schwerere und kräftigere, mit Es-
marchs Maske chloroformierte, nach Ablauf der siebenten Stunde
unter der Maske verendet, erliegt das mit Apparat narkotisierte,
schwächere Tier, erst 40 Stunden nach Abschluss der Narkose, der
tödlichen Nachwirkung des Chloroforms, und zwei weitere, mit
dem Apparat chloroformierte, Tiere, volle 10 Stunden der Ein-
wirkung der Chloroformdämpfe ausgesetzt, erholen sich wieder
vorübergehend und fallen erst später, nach 27 und 36 Stunden,
der tödlichen Nachwirkung des Mittels, der Fettdegeneration und
Fettinfiltration innerer Organe zum Opfer.
Das alles spricht doch sehr für die ungleich grössere Sicher-
heit der Chloroformierung mit messbar verdünnten Chloroform-
dämpfen gegenüber der freien Anwendung mit Tuch und Es-
marchscher Maske.
Die Versuche mit der Tropfmethode können zu einer ver-
gleichenden Gegenüberstellung nicht herbeigezogen werden, denn
während nur 3 den eigentlichen Chloroformtod gestorben sind,
erstickten 11 durch Obliteration der Luftwege mit zähem Schleim.
Diese Verstopfung der Trachea und Bronchien mit Schleim ist
ohne Zweifel Wirkung der inhalierten Chloroformdämpfe und sie
ist wahrscheinlich nur deshalb tödlich verlaufen, weil die Atmung
durch Chloroform Wirkung schwer beeinflusst und geschwächt war,
aber trotz alledem können wir diese Todesart mit dem eigent-
lichen Chloroformtod nicht zusammen werfen, da sie weder bei
anderen Tieren, noch beim Menschen, in dieser Weise zur Beobach-
tung kam.
Es scheint, dass bei Kaninchen die continuierliche
Ueberschwemmung der Schleimhaut der Respirationsorgane mit
stark verdünnten Chloroformdämpfen dieselbe mehr affiziert, als
die unterbrochene, mit konzentrierten Dämpfen. Dagegen findet
man weder in den Mitteilungen von Zuckerkandl und Brandt,
noch in denen von Lanz und Baudouin Andeutungen darüber,
90
Otto Kappeier.
dass die Tropfmethode die Schleimhaut der Trachea und Bronchien
mehr angreife, als jede andere Art von Chloroformierung.
Sehen wir von diesem, indirekt durch das Chloroform be-
wirkten Erstickungstod ab und beschäftigen wir uns nur mit dem
eigentlichen Chloroformtod der Versuchstiere, so muss in erster
Linie hervorgehoben werden, dass derselbe niemals bei den ersten
Chloroforminhalationen erfolgte. Der primäre Herzstillstand, der
zuweilen ganz im Beginn der Narkose hervorgebracht wird durch
Reizung der sensiblen Trigeminusfasern und der Ausbreitungen
der Endäste des Laryngeus superior, mit Uebertragung dieses Reizes
auf die herzhemmenden Vagusfasern, ist niemals ein bleibender,
ebensowenig war der primäre Respirationsstillstand jemals ein
dauernder.
Es giebt also bei den Versuchstieren keine tödliche primäre
Respirations- oder Herzsynkope. Der Tod erfolgte allerdings oft
kurze Zeit nach Beginn der Inhalationen, aber niemals im un-
mittelbaren Anschluss an die primäre Respirations- oder Herz-
synkope. Stels folgte dem Respirationsstillstand wenigstens eine
kurze Periode rascher, angestrengter Atmung und die stillstehende
oder veilangsamte Herzaktion fiel ohne Ausnahme auf das frühere,
oder ein rascheres, Tempo zurück. Erst später, allerdings oft sehr
bald, erfolgte der bleibende Respirationsstillstand und, gewöhnlich
wenige Minuten später, das Erlöschen der Herzaktion.
In voller Uebereinstimmung mit allen früheren Experimen-
tatoren ging nie der Herztod dem Respirationstod voraus, einige
wenige Male erlosch die Herzaktion fast zu gleicher Zeit mit der
Respiration, gewöhnlich aber waren die Herztöne noch einige
Minuten nach dem Aufhören der Respirationsbewegungen deutlich
zu hören.
Der Tod erfolgte meist in der ersten Stunde der Chlorofor-
mierung. Nach 1 '/s Stunden Chloroformierungsdauer nahm die
Gefahr des plötzlichen Todes entschieden ab und wir konnten
ziemlich sicher darauf rechnen, ein 2 Stunden lang chloroformiertes
Tier auch 3 und 4 Stunden in guter und ruhiger Narkose erhalten
zu können. Besondere Symptome gingen dem Respirationsstill-
stand entweder nicht voraus oder es wurde die Atmung kurze
Zeit vorher rascher und seichter, auch stellten sich zuweilen kurz
vor dem Tode heftigere, allgemeine Krämpfe ein. Der Tod selbst
hatte, wie schon oben erwälmt, den Charakter des Unerwarteten,
Plötzlichen. Aber auch der späte Chloroformtod, dem eine deut-
liche Abnahme aller Funktionen, Erkalten des Körpers, Verlang-
samung der Herzaktion und Respiration vorausgeht, erfolgte schliess-
Narkose mit messbaren Chloroformluftmiscliungen.
91
lieh immer durch rasch auftretenden Respirationsstillstand, dem
der Herzstillstand in kurzer Zeit naclifolgte.
Kaninchen, die mehrere Stunden chloroformiert wurden, er-
lagen sehr oft, kürzere oder längere Zeit nach der Chloroformierung,
der tödlichen Nachwirkung des Chloroforms mit den bekannten, von
Ungar^), Ostertag-) und Strassmann näher studierten, Verände-
rungen innerer Organe. Am hochgradigsten fanden wir sie bei
den 7 und lOstündigen Chloroformierungen.
Da bei Kaninchen ein geringer und mässiger Grad von Kör-
nung der Herzmuskelfibrillen auch ohne Chloroformierung keine
Seltenheit. ist, so sind die postnarkotischen, pathologisch-anatomi-
schen Veränderungen mit grosser Vorsicht aufzufassen und zu
deuten. Fettige Degeneration des Herzmuskels nahmen wir nur
dann an, wenn die Körnung der Fribrillen eine ungewöhnlich
starke war und die Querstreifung ganz oder fast ganz verdeckte,
Fettleber nur dann, wenn neben den makroskopisch sichtbaren
Veränderungen wie Brüchigkeit, gelbe Färbung, acinöse Zeichnung,
die Leberzellen mit meist grösseren Fetttropfen strotzend gefüllt
waren. Bezüglich der Nierenerkrankung erschien uns von be-
sonderer Bedeutung und Wichtigkeit das Vorkommen vonCylindern
im Urin.
Eine 4. Versuchsreihe
beschäftigte sich damit, die Symptome der Chlorofomierimg bei
anfänglich grossen tödlichen Dosen festzustellen.
Es wurden je nach dem Gewicht und Alter der Kaninchen
2 — 5 ccm Chloroform auf die Esmarchsche Kaninchenmaske geleert
und dieselbe dicht vor Mund und Nase gehalten.
Bei den 11 diesbezüglichen Versuchen erfolgte das töd-
liche Ende
nach 1 Min. 30 Sekunden Imal
» 1 » 45 » 2 »
» 2 — 3 » 7 »
» 472 » 1 »
Die Erscheinungen waren folgende: Im Gegensatz zur Chloro-
formierung mit schwachen Dosen zeigen die Pupillen bei dieser
Art Chloroformierung insofern ein konstantes Verhalten, als sie
kurze Zeit nach dem Vorhalten des Chloroforms enger werden,
kürzere Zeit eng bleiben, beim Tode oder ganz kurz vor demselben
’) Vierteljahrsschi’ift f. gerichtl. !Med. XLVU p. f)8 1887.
0 Virchows Archiv, YVni 2. Heft 1890.
®) Virchows Archiv, XV p. 1 1889.
92
Otto Kappeier.
sich wieder, oft bis ad maximuni, erweitern und dann gemeinig-
lich p. m. wieder etwas enger werden.
Der Atem wird regelmässig unmittelbar, nachdem die Maske
aufs Gesicht gestülpt ist, angehalten und der absolute Respirations-
stillstand dauert Minuten, dann folgen vereinzelte Re-
spirationsbewegungen, kurze Zeit nachher wird das Atmen wieder
regelmässig, dann immer rascher, so dass die Respirationszahl oft
das Doppelte der früheren erreicht, immer oberflächlicher und
steht dann plötzlich still.
Mit dem Anhalten des Atems verschwinden auch die Herz-
töne für einen Moment ganz, oder man hört nur seltene, unregel-
mässig wiederkelirende Töne, die Zahl der Herzkontraktionen
sinkt auf 90, 60, 54, 48, 32 in der Minute. Mit der Wiederkehr
der Respirationsbewegungen fällt auch die Herzaktion in das
frühere, rasche Tempo zurück, wird immer rascher und jagender
und geht mitunter in ein förmliches delirium cordis über. Mit
dem endgültigen Respirationsstillstand nimmt auch die Zahl der
Herzkontraktionen wieder ab, die Töne werden schwächer und
schwächer und verschwinden gewöhnlich 30 — 50 Sekunden nach
dem Aufhören der Atmung, zuweilen sind sie noch 4 — 5 Minuten,
allerdings sehr schwach, zu hören. Zweimal verschwanden die Herz-
töne zu gleicher Zeit mit der Respiration. Rhythmische Bewe-
gungen der Federfahne der Herznadel aber überdauern die Herz-
töne um 3 — 6 Minuten und auch in den Fällen, wo die Herztöne mit
der Respiration verschwanden, waren noch einige Minuten zählbare
Ausschläge der Herznadel wahrzunehmen. Die Zuckungen des
freigelegten Herzens aber dauerten noch 20 Sekunden bis 2 7s Stun-
den p. m., zuletzt zuckten immer die Herzohren.
Ein ziemlich regelmässiges Symptom bei dieser Art Chloro-
formierung sind Krämpfe aller 4 Extremitäten und des Rumpfes.
Eine 5. Versuchsreihe
suchte die Wirkung der Ueberdosen in den verschiedenen Stadien
der Chloroformierung festzustellen.
Als nämlich zufällig bei einem nach der Tropfmethode
H/a Stunden chloroformierten Tiere eine grössere Menge Chloro-
form auf die Maske geschüttet worden war, zeigten sich weder
erhebliche Aenderungen der Respiration, noch des Pulses, ja der
erstere, vorher ziemlich oberflächlich, schien an Tiefe und Regel-
mässigkeit zuzunehmen.
Es sollte daher festgestellt werden, ob dies Regel oder Zu-
fall sei, und es wurden nun im ganzen 12 Versuche angestellt
und fünfmal die Wirkung einer grösseren Dosis Chloroform unter-
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen.
93
sucht, nachdem die Tiere längere Zeit, mindestens IV2 Stunden,
unter der Wirkung des Chloroforms gestanden, siebenmal dagegen,
nachdem die Chloroformierung nur kurze Zeit gedauert hatte und
die Tiere eben ins Stadium der vollständigen Anästhesie einge-
treten waren.
Bei den länger dauernden Narkosen waren die Tiere zweimal
IV2 Stunden und zweimal Stunden mit meinem Apparat auf
früher beschriebene Weise, und einmal 2 Stunden nach der Tropf-
methode, chloroformiert worden, als dann zunächst eine Dosis von
10 Tropfen auf die Esmarchsche Kaninchenmaske aufgetropft und
dicht vor Mund und Nase gehalten wurde, nach weiteren 5 Mi-
nuten wurde nochmals eine Dosis von 20 — 30 Tropfen aufgegossen
und vorgehalten.
Folgende Erscheinungen stellten sich ein:
Die Pupillen blieben viermal unverändert, einmal wurden sie
kurze Zeit etwas enger.
Die Respirationszahl, die vorher genau bestimmt und nach
dem Aufgiessen der grossen Dosen von Minute zu Minute gezählt
wurde, blieb nach einer Dosis von 10 — 15 Tropfen zweimal sich
ganz gleich, dreimal wurde sie vorübergehend, für 2 Minuten, etwas
schneller, stieg von 70 auf 96, von 70 auf 112, von 70 auf 80
und fiel dann wieder auf das frühere Tempo. Die Ilerzaktion
zeigte keine nennenswerte Veränderung.
Nach einer zweiten grösseren Dosis von 20 — 30 Tropfen blieb
in einem Fall, bei einem IV2 Stunden mit dem Apparat chloro-
formierten, einjährigen, 2000 Gramm wiegenden, Kaninchen die Re-
spirationszahl ganz gleich, in den übrigen Fällen stieg sie vorüber-
gehend um 16, 24, 30, 50 Resphationen in der Minute, die Herz-
aktion zeigte weder in Bezug auf Stärke, noch Frequenz, eine
nachweisbare Aenderung.
Keines der Tiere erlag der Ueberdosis.
Bei den 7 Tieren, die sämtlich mit Tropfmethode, einmal 8 Mi-
nuten, viermal 12 Minuten, einmal 17 Minuten, und einmal 27 Minuten,
chloroformiert worden waren, zeigten sich folgende Erscheinungen:
Bei dem 10 Wochen alten, 1500 Gramm wiegenden, Kanin-
chen, das 8 Minuten chloroformiert war, zeigt sich nach einer
Dosis von 10 Tropfen zuerst kurzes Anhalten der Respiration,
dann steigt die Respirationszahl, von 80 vor der Dosis, auf 104,
nach 20 Tropfen, 5 Minuten später, wird die Respiration wieder
km’z angehalten und steigt dann auf 120, und bei einer Dosis von
30 Tropfen wird nochmals die Respiration angehalten, um dann
schnell auf 152 und 160 hinaufzuschnellen und langsam wieder
94
Otto Kappeier.
ZU fallen. Der Puls wird bei 20 Tropfen vorübergehend lang-
samer, behält aber sonst seine frühere Frequenz bei. Das Tier
bleibt am Leben.
Ein achtwöchiges, 2000 Gram wiegendes, Tier wird 1 1 Minuten
mit Tropfmethode chloroformiert und erhält dann zuerst eine
Dosis von 10, dann von 20, und schliesslich von 30 Tropfen, jedes<r
mal folgt kurzer Respirationsstillstand, dann schnellt die Respira-
tionszahl, die vorher 104 war, bei 10 Tropfen auf 124, und bei
20 und 30 Tropfen auf 140 hinauf, um dann langsam wieder zu
fallen und auch der Puls wird vorübergehend etwas rascher. Das
Tier bleibt am Leben.
Bei den übrigen Tieren zeigen sich übereinstimmend folgende
Symptome :
Sowohl nach der Dosis von 10 Tropfen, als nach der stärkeren
Dosis von 20 und 30 Tropfen, nimmt die Respirationsfrequenz
sofort und erheblich zu (von 60 auf 100 oder 116, von 132 auf
160 und 172, von 100 auf 156 und 176, von 112 auf 160 und 200,
von 100 auf 120 und 160), und kurze Zeit nach der zweiten, stärkeren
Dosis steht die Respiration plötzlich und bleibend still. Die Puls-
zahl bleibt sich gleich oder nimmt ebenfalls an Frequenz etwas zu
und die Herznadel zuckt noch 2 — 5 Minuten nach Erlöschen der
Respiration.
Von den 7, in einem frühen Stadium der Narkose einer Ueber-
dosis ausgesetzten, Tieren sind nur zwei mit dem Leben davon
gekommen und zwar die zwei, die beim Vorhalten der grossen
Dosis Respirationsstillstand zeigten, bei denen also der Trigeniinus-
vagusreflex erhalten war, durch welchen ein Teil des Chloroforms
ausser Wirkung gesetzt wurde, alle übrigen sind unter raschem
Hinaufschnellen der Respirationsfrequenz mit folgendem Stillstand
den Ueberdosen erlegen.
In den spätem Stadien der Narkose dagegen bedingte die Ueber-
dosis teils keine Aenderung der Respiration, teils nur eine vorüber-
gehende und lange nicht so erhebliche Frequenzzunahme derselben.
Es scheint aus diesen Versuchen mit grosser Wahrschein-
lichkeit hervorzugehen , dass bei den lange dauernden Chloro-
formierungen eine Art Angewöhnung an die Giftwirkung, speziell
eine Abstumpfung der Reizempfänglichkeit des Respirationscentrums,
zu stände kommt. Dafür spricht auch die relative Seltenheit
schlimmer Zufälle gerade bei langedauernden, mehrstündigen
Chloroformierungen, dafür spricht der Umstand, dass auch mit
Esmarchscher Maske, wo Ueberdosen nur bei peinlicher Sorgfalt
zu vermeiden sind, lange dauernde Narkosen möglich sind, wenn
Narkose mit messbaren Chloroformluftmiscliungen.
95
in der ersten Zeit der Narkose sehr vorsichtig chloroformiert wird,
später nach der Angewöhnung sind grosse Dosen lange nicht so
verhängnisvoll.
Auch geht aus diesen Versuchen deutlich hervor, in
welcher Periode die Ueberdosierung besonders gefährlich
ist. Im Beginn der Chloroformierung, so lange der Trigeminus-
vagusreflex noch wirksam ist, bietet er einen Schutz gegen Ueber-
dosierung durch Respirationsstillstand und Verdunsten eines Teils
Chloroform in die Luft, in den spätem Stadien der Narkose durch
Abstumpfung der Reizempfindlichkeit der nervösen Centren.
Zwischen diesen zwei Perioden aber ist eine dritte, gefährliche Zeit,
in der auch die häufigsten Todesfälle Vorkommen, die nicht zum
kleinsten Teil auf Ueberdosierung zurückzuführen sind.
Es sei mir gestattet, diesen Versuchsresultaten noch einige
fragmentarische Bemerkungen über den Chloroformtod beim Men-
schen anzufügen. Eine erschöpfende Behandlung dieses Themas
würde hier viel zu weit führen und ein Bedürfnis hierzu liegt bei
dem Ueberreichtum der gerade diesen Gegenstand behandelnden
Publikationen nicht vor.
Noch immer nicht genügend aufgeklärt sind jene seltenen
Fälle von primärer Synkope, wo bei den ersten Inhalationen
Chloroform — kaum ist die Maske dem Gesicht genähert — der
Kranke tot zusammenbricht.
Es lag immer und es liegt heute noch nahe, diese Synkope
in Verbindung zu bringen mit jenem primären Stillstand der Re-
spiration und dem Stillstand oder der Verlangsamung der Herz-
aktion, der wir sozusagen bei jeder Chloroformierung des \"ersuchs-
tieres begegnen und deren Mechanismus hinlänglich l^ekannt ist.
Die reizende Wirkung der Chloroformdämpfe auf die Endaus-
breitungen des Trigeminus in der Nasenschleimhaut und der Ver-
ästelungen des Laryng. sup. im Kehlkopf pflanzen sich centripetal
fort und lösen Reflexe aus, deren motorische Bahn für die At-
mung in den die Atemmuskeln versorgenden Nerven, und für das
Herz im Vagus liegen. Nun ist aber zweierlei wohl zu berück-
sichtigen. Einmal ist dieser reflektorische Stillstand der Atmung,
der Herzbewegung, oder beider zugleich, keine spezifische Wirkung
der Chloroformdämpfe, sie tritt auch ein bei Reizung der Nasen-
schleimhaut mit Ammoniak, Alkohol, Essigsäure, auch durch
mechanische Reize, wie schon Kratschmer dargethan hat, sie hat
also mit der eigentlichen Chloroformwirkung nichts zu thun. So-
dann geht sowohl aus frühem, als aus unseren. Versuchen hervor.
96
Otto Kajjpeler.
dass, weder bei der Anwendung verdünnter, noch bei Einatmung'
konzentrierter, Chloroforindämpfe, der Respirations- oder Herzstill-
stand ein bleibender, tödlicher ist. Immer folgt der Respirations-
pause oder dem Aussetzen der Herzbewegung eine kurze Periode
rascher, forcierter Atmung und schneller Herzschläge, die eine rasche
Aufnahme des Chloroforms ins Blut vermittelt und erst nachher
folgt der definitive Respirations- und Herzstillstand. Es giebt also
mit einem Wort beim gesunden Tier keine primäre tötliche Chloro-
formsynkope. Beim chloroformierten Kranken kommt sie aller-
dings vor. Der Tod bei oder nach den ersten Inhalationen ist
sicher beobachtet, wenn auch selten. Bei einer Zusammenstellung
von 101 Chloroformtodesfällen, die ich seiner Zeit machte '), finden
sich nur 2 Fälle (Nr. 4 und Nr. 7), wo der Tod bei den ersten
Atemzügen erfolgte. So lieisst es in Fall 4: »Kaum hatte die
Kranke einige Male eingeatmet, als sie plötzlich an Herzlähmung
starb«, und in Fall 7: »Nach wenigen Inhalationen von reinem
Chloroform machte Patient Abwehrbewegungen, gleichzeitig wurde
der Puls unfühlbar und Respiration, wie Herzbewegung, hörten
auf.« Da wir nun aber bei der Chloroformierung unserer Kranken
— die nötige Erfahrung und die allergewöhnlichste Vorsicht vor-
ausgesetzt — stets nur verdünnte Dämpfe anwenden und da wir
beim chirurgischen Chloroformieren ziemlich häufig vorübergehen-
den Respirationsstillstand, aber niemals erhebliche Pulsverlang-
samung oder vorübergehenden Herzstillstand, beobachten, so ist
doch wohl ohne weiteres klar, dass beim gesunden Menschen
ein bleibender Respirations- oder Herzstillstand, eine primäre töd-
liche Reflexsynkope kaum denkbar ist. Es muss zum Zustande-
kommen einer solchen ein zweites Moment hinzukommen, sei es,
ein zweites reflexhemmendes Agens, wie z. B. ein traumatischer
Shock, eine Hypererethesie der Nervencentren, eine Erkrankung
des Herzens und seiner Ganglien. Das Chloroform spielt also bei
diesen plötzlichen Todesfällen entweder gar keine oder nur eine
nebensächliche Rolle und wir haben kaum die Berechtigung, hier
von Chloroformtod zu sprechen. Jedenfalls nähert sich diese Todes-
art weit eher dem Tode durch Schreck, durch Furcht, durch Shock,
als dem wirklichen Chloroformtod. Diese Auffassung wird nament-
lich sehr plausibel durch Vergleich dieser Fälle mit jenen plötz-
lichen und gänzlich unerwarteten Todesfällen, die zuweilen auf
unbedeutende chirurgische Eingriffe, ohne Anwendung von Chloro-
form oder eines andern Anästheticum, erfolgen. Fast jeder Chirurg
b Kappeier; Anaesthetica p. 68.
Narkose mit mess])aven Chlorot'onnluftinischungeii.
97
von grösserer Erfahrung ist ihnen schon begegnet und ich bin
selbst im Fall, die diesbezügliche Casuistik um eine solch’ unheim-
liche Beobachtung zu bereichern;
Ein 44 jähriger Mahlknecht hatte Januar 1890 eine schwere
Influenza durchgemacht mit einer Pleuropneumonie, die langsam
ablief und ein pleuritisches Exsudat zurückliess. Später sollen
sich dann Erscheinungen von Perforation des Exsudates in die Bron-
chien eingestellt haben, es wurden wiederholt massenhaft eitrige
Sputa expektoriert , doch ohne wesentliche Erleichterung. Das
Fieber dauerte an und Patient kam immer mehr von Kräften.
Beim Spitaleintritt fanden wir ein, die rechte, untere Thoraxhälfte
einnehmendes, hinten bis zum Prozess, spinös, des 5. Brustwirbels
reichendes, Exsudat ohne nachweisbare Erkrankung der Lungen-
spitzen und des Herzens bei dem durch das lange Krankenlager
sehr geschwächten, abgemagerten und anämischen Kranken. In
dem spärlich expektorierten, eitrigen Schleim fanden sich keine
Tuberkelbazillen. Der Kranke litt sehr durch fortwährenden,
äusserst quälenden Hustenreiz, Dyspnoe, absolute Schlaflosigkeit,
und die Entleerung des Exsudates schien eine indicatio vitalis.
Nachdem der Kranke sich durch einige Nächte künstlichen
Schlafes einigermassen erholt hatte, wurde er am vierten Tage ins
Operationszimmer gebracht. Wir beabsichtigten zunächst durch
eine Probepunktion ohne Chloroform die Diagnose des Empyems
festzustellen und, an dieselbe anschliessend, in Chloroformnarkose
die Operation durch Schnitt mit Rippenresektion zu machen.
Kaum jedoch ist der Probetroikart eingeführt, kaum fliessen
einige Tropfen Eiter, so wird der Kranke eigentümlich rigid, streckt
Arme und Beine, dreht den Kopf langsam nach der rechten Seite,
das blassbläuliche Gesicht bedeckt sich mit kaltem Schweiss, die
Pupillen sind maximal erweitert, der Radialpuls ist nicht mehr zu
fühlen, Herztöne sind nicht mehr zu hören, noch einige schnappende
Atemzüge, und der Kranke ist eine Leiche.
Alle Wiederbelebungsversuche, die 7-* Stunden fortgesetzt
werden, sind umsonst, der Kranke ist und bleibt tot. Die Obduk-
tion lässt neben einem grössern eitrigen Exsudat keine anderweitige
Erkrankung erkennen. In den Fibrillen des linken Ventrikels und
der Papillarmuskeln nur spärliche Fetttröpfchen.
Bei der Seltenheit der primären Synkope unter Einwirkung
der Chloroformdämpfe kann man sich von den Wrsuchen der Ab-
schwächung und Beseitigung der respiratorischen und zirkulato-
rischen Reflexhemmung für die Prophylaxis des Chloroformtodes
nicht viel versprechen und man wird niemals vergessen düi'fen,
98
Otto Kappeier.
dass man mit Beseitigung dieser Reflexe ein natürliciies Sicher-
heitsventil gegen Ueberdosierung ausser Funktion setzt. Denn es
steht ja ausser Zweifel, dass gerade in der ersten Periode der
Narkose durch die reflektorischen Atempausen ein Teil des vor-
gehaltenen Chloroforms von der Aufnahme in die Lungen und von
der Resorption ausgeschlossen wird. Man hat schon alle Faktoren
des hier in Betracht kommenden Reflexbogens in Angriff ge-
nommen.
1. Die zentripetalleitende Faser durch Herabsetzung der Reiz-
enipfindlichkeit der Nasenschleimliaut mittels Bepinselung der-
selben mit 2 ^/o Cocainlösung, der Larynxschleimhaut durch Be-
stäubung des Pharynx und Larynx mit eben dieser Lösung. Bei
allzu grosser Reizbarkeit der Schleimhäute mag dieses Verfahren
vielleicht einigen Nutzen bringen.
2. Die zentrifugalleitende Faser, insofern man den Vagus
durch Atropin zu paralysieren suchte, doch ist dieser Versuch
daran gescheitert, dass beim Menschen die Dosen Atropin, die er
ohne toxische Wirkung verträgt, vollständig ungenügend sind zur
Beseitigung der herzhemmenden Wirkung des ^’’agus.
3. Das Zentrum, durch Herabsetzung seiner Erregbarkeit mit
Morphiuminjektionen. Damit hat man neben dem gefürchteten
Reflex auch die ganze Periode der Excitation abzuschwächen oder
ganz zu beseitigen versucht. Leider besitzen auch die Morphium-
injektionen eine nachteilige Wirkung. Sie sollen nach den Unter-
suchungen von Fran9ois Franck^) die respiratorische Synkope der
spätem Stadien der Narkose begünstigen. Mir selbst ist auf-
gefallen, dass bei der Morphiumchloroformnarkose, auch im spätem
Verlauf derselben, unerklärliche und beunruhigende Respirations-
pausen aufgetreten sind. Die Narkosen, denen Morphiuminjektionen
vorausgeschickt wurden, um über die Schwierigkeiten des ersten
Studiums der Chloroformierung bei ängstlichen und nervösen
Kranken hinüber zu kommen und über die excessive Aufregung
bei Potatoren , verlangen also eine ganz besonders sorgfältige
Ueb erwachung .
Die meisten Anhaltspunkte füi’ ein wirksames Einschreiten
bieten wohl die üblen Zufälle der Excitationsperiode, da ein
grosser Teil derselben nicht sowohl von der toxischen Wirkung des
Chloroforms, als von mechanischen, bei ruhigen Narkosen aus-
bleibenden, Störungen der Respiration ausgeht. Man denke nur
an jene nicht seltenen Fälle, wo bei brettartig gespannten Bauch-
Bulletin de rAead^inie de Med. 1890 p. 654.
Narkose mit messbaren Chloroformluftmiscliungen.
99
decken, bei schwer lösbarem Trismus, Retraktion der Zunge, und
vielleicht auch krampfhaftem Schluss der Glottis, unter tief cyano-
tischer Färbung des Gesichts und der Schleimhäute, Respirations-
stillstand eingetreten ist. Solche Zufälle können, nicht richtig
behandelt, im Verein mit der schon durch Chloroform Wirkung
gesunkenen Reizempfindlichkeit des Atmungszentrums, oder ver-
bunden mit andern die Atmung hemmenden Momenten, wie
unrichtige Lage, Schleimabsonderung etc., zum Tode führen
(s. den Fall 77 meiner Tabelle), aber sie sind sehr dankbar füi‘
eine energische Behandlung und deshalb vom Chirurgen von
Fach nicht allzu sehr gefürchtet. Es kann hier nicht der Ort
sein, auf diese Behandlung näher einzutreten, ich möchte nur
bei dieser Gelegenheit nochmals auf das von mir früher em-
pfohlene, rasche und kräftige Vorziehen des mit einem scharfen
Haken angehakten Zungenbeins aufmerksam machen , das
mir schon wiederholt ausgezeichnete Dienste leistete, und durch
Freilegung des Kehlkopf eingangs und Wiederingangsetzung der
stockenden Respiration mit einem Schlag alle gefahrdrohenden
Erscheinungen beseitigte.
Am meisten gefürchtet und am wenigsten zugänglich einer
wirksamen Behandlung und Restitution sind und bleiben für alle
Zeiten die üblen und meist mit dem Tod endenden Zufälle, die
eintreten, nachdem der chloroformierte Kranke kürzere oder längere
Zeit unter der Wirkung des Mittels stand und die sich nicht an
ein bestimmtes Stadium der Narkose halten. Sie fallen ausschliesslich
oder fast ausschliesslich der Chloroformaufnahme ins Blut, der
Chloroformintoxikation, zur Last und bestehen in plötzlichem, nicht
selten irreparablem Stillstand der Respiration und Herzaktion.
Wir beobachten diese sogenannte Syncope automatique
Dastre’s bei unseren Versuchstieren sowohl, als bei cliloroformierten
Kranken und zwar hat sie bei beiden den Charakter des Uner-
warteten und Plötzlichen. Nur in einem Punkte besteht ein we-
sentlicher Unterschied. Während bei den Versuchstieren der Re-
spirationsstillstand fast immer , nach den Untersuchungen der
Hyderabadkommission immer, das primäre, der Herzstillstand das
sekundäre ist, beobachten wir beim Menschen eben so oft, wenn
nicht öfter , den Herzstillstand dem Resphationsstillstand vor-
ausgehen. Es hat sich bekanntlich an diesen Widerspruch
zwischen Tierexperiment und Beobachtung am chloroformierten
b Nicht der Zunge, wie es in Ilankels Handbuch der Inhalationsanaestetica
S. 31 heisst.
100
Otto Kappeier.
Menschen der Streit angeknüpft , ob der Chloroformtod beim
Menschen ein Herztod oder ein sogenannter asphyktischer Tod sei.
Nachdem aber einerseits die direkte Wirkung der Chloroform-
dämpfe auf das Atmungszentrum physiologischerseits dargethan
ist und andrerseits eine direkte Wirkung des Chloroforms auf
das Herz ausser Zweifel steht, hat dieser Streit alles Interesse
und alle Bedeutung verloren. Dagegen kann nicht genug betont
werden, dass weder beim Menschen, noch beim Tier, derjenige
Chloroformtod, der seinen Ausgang von der Respiration nimmt,
ein wirklicher asphyktischer Tod ist. Sehr geschickt umgehen die
französischen Physiologen diese Klippe, indem sie nicht von As-
phyxie, sondern von Syncope respiratoire und Syncope cardiale
sprechen und damit sagen , dass der Respirationsstillstand ein
plötzlicher ist, dass demselben keine Respirationsstörungen vor-
ausgehen, dass mit andern Worten diese respiratorische Synkope
mit der eigentlichen Asphyxie im Sinne Bichats (Ueberladung
des Blutes mit Kohlensäure) nichts zu thun hat , sondern zu-
sammenfällt mit der durch das Chloroform bewirkten Lähmung, oder
Ueberreizung mit konsekutiver Lähmung, des Respirationszentrums.
Bei der immer grösseren Erfahrung über den Chloroformtod
beim Menschen stellte sich auch immer mehr und mehr heraus,
dass hier der gleichzeitige Herz- und Respirationsstillstand, oder
der primäre Herzstillstand mit bald früher, bald später folgendem
Respirationsstillstand, den primären Respirationsstillstand bei weitem
überwiegt. Und warum sollte dies nicht der Fall sein!
Die Lähmung des vasomotorischen Zentrums in der Chloro-
formnarkose ist klar erwiesen, das Herz wird schon dadurch zu
ungewöhnlichen Leistungen und endlicher Ermüdung angetrieben,
eine lähmende Wirkung des Chloroforms auf das im Herzen
liegende Koordinationssystem für die Herzkammerbewegungen ist
durch die Untersuchungen Kroneckers und Schmeys festgestellt,
eine toxische Wirkung des Chloroforms auf den Herzmuskel selbst
ist durch Fr an CO is Franck einwandsfrei bewiesen und neuerdings
ist beim Cliloroformtod eine Erkrankung der Herzganglien durch
Winogradoff (s. Koch, Deutsche med. Wochenschrift 1890 Nr. 14)
gefunden worden. Die erstaunlichen Wirkungen der Herzmassage
in der Chloroformsynkope, über die Maas berichtet, scheinen auch
dafür zu sprechen, dass beim Menschen die Hauptgefahr vom
Herzen ausgeht. Wir brauchen uns daher nicht darüber zu wundern,
dass auch ein gesundes Herz der Wirkung der Chloroformdämpfe
erliegt, ein schon vorher krankes Herz wird aber noch Hel sicherer
den erwähnten, durch die Chloroformnarkose gegebenen, über-
Narkose mit messbaren Chloroformluftmischungen.
101
anstrengenden und schwächenden Faktoren erliegen und bei einem
solchen wird schon eine geringe Dosis des Mittels genügen, den
meist irreparablen Herzstillstand herbeizuführen. Ob der letzte
tödliche Streich vom Herzen selbst ausgeht oder ob noch eine
Reizung des bulbären Kerns des Vagus durch das im Blute zir
kulierende Chloroform als letztes hinzukommt, das mögen die
Physiologen entscheiden. Uns genügt die Thatsache eines primären
Herztodes,
Dieser ohne Vorboten auftretenden und fast immer tödlichen
Herz- und Respirationssynkope standen wir bis vor kurzem fast
hilflos gegenüber und alle die Mittel und Wege, die angegeben
wurden und ihr begegnen sollten ; die sorgfältigste Beobachtung
des Chloroformierten, all die vielen Vorsichtsmassregeln vor und
während der Chloroformierung, Hessen uns mehr weniger im Stiche.
Selbst die neuesten Regeln, die die verdiente Hyderabadkommission
für die Chloroformierung aufstellt, enthalten ausser der bemerkens-
werten Warnung, dass man bei den nach Anhalten der Respiration
folgenden, tiefen Atemzügen in der Verabreichung des Mittels be-
sonders vorsichtig sein müsse, nichts wesentlich Neues.
Es ist nach diesen Regeln schon seit langen Jahren nicht nur
in England, auch in Deutschland und anderswo in Kliniken und
Spitälern, auch in der Privatpraxis, chloroformiert worden und die
Zahl der Chloroformtodesfälle hat trotzdem nicht abgenommen,
sie hat zugenommen. Die Behauptung, dass alle Gefahren der
Chloroformierung von der Respiration und nur von dieser aus-
gehen, ist offenbar einseitig und durch die physiologische Forschung
und die Erfahrung am Operationstisch schon längst widerlegt.
Damit fällt auch die präsumierte, absolute Sicherheit der mo-
difizierten, freien Anwendung des Chloroforms dahin.
Es war daher sehr zu begrüssen, dass uns die Physiologen
Bert und Krön ecke r neuerdings einen Weg zeigten, der uns die
Gefahren des Chloroforms auf ein Minimum beschränken lehrte,
der uns lehrte, dass Chloroformdämpfe von verschiedenen Tieren
lange und ohne gefährhche Zufälle vertragen werden, wenn sie
eine gewisse Konzentration nicht überschreiten. Die von mir ausge-
führten Versuche sind eine Bestätigung dieses Axioms und sie be-
weisen zu gleicher Zeit, dass man in einer bestimmten Periode
der Chloroformierung mit einer Ueberdosis die tödliche Respirations-
synkope herbeiführen kann. Diese Ueberdosierung des mächtigen
Mittels zu verhindern ist in erster Linie die Aufgabe aller derer,
die Chloroform anwenden. Das vielleicht beste Mittel hiezu, die
abgestufte Chloroformierung mit künstlicher Respiration, ist leider
102
Otto Kappeier.
für die Anwendung am Krankenbette zu kompliziert und es wird ihr
wohl das Schicksal der Apparate A. Martins und Raphael Dubois’
zu teil werden. Die bis heutigentags gebräuchlichste Anwendung des
Chloroforms mit Tuch undEsmarchs Maske schützt in keiner Weise
vor der Inhalation sehr konzentrierter Dämpfe. Die Tropfmethode
bildet eine erste Etappe auf dem Wege zur möglichst ungefähr-
lichen Anwendung des Mittels, inwiefern sie aber noch in sehr
vielen Beziehungen der Chloroformierung mit meinem sehr einfachen
Apparate nachsteht, ist weiter oben ausführlich erörtert worden.
Und so kann und muss ich denn auch heute noch, gestützt
auf eine experimentelle Prüfung des Apparates und eine grössere
Erfahrung am Operationstisch, der Apparatchloroformierung das
Wort reden.
] Zur Frage der Schädeloperationen bei
Epilepsie
von
l)r. Alexander Fraenkel,
Privatdocent für Cliirurgie in Wien.
Vor nunmehr zwei Jahren habe ich zum ersten Male über
Versuche berichtet, die sich auf die Heilung von Schädeldefekten
auf heteroplastischem Wege bezogen. Es gelang in diesen Ver-
suchen, die durch Trepanation mittels des gewöhnlichen Trepans
an Hundeschädeln erzeugten Lücken im Schädel durch Ausfüllung
mit einer Celluloidplatte dauernd und fest zu verschliessen. Einer
meiner damaligen Versuchshunde wurde 9 Monate nach dem er-
suche getötet und die Celluloidplatte zeigte sich ebenso sicher und
fest eingelagert wie unmittelbar nach der Operation und, was be-
sonders bemerkenswert schien, ohne jedwede von ihr gegen die
Umgebung hin ausgegangene nennenswerte Reaktion, weder gegen
den benachbarten Knochen noch, worauf namentlich Gewicht zu
legen war, gegen die dura mater hin, welche keinerlei adhäsive
Verbindung mit der eingelagerten Platte zeigte.
Ich konnte denn auch bald nach Veröffentlichung dieses be-
scheidenen therapeuthischen Vorschlages die Genugthuung erfahren,
eine Reihe von Erfolg begleiteter Versuche auch am Menschen
durchgeführt zu sehen, die es erwarten lassen, dass diese hetero-
plastische Methode in ihrem begrenzten Indikationsgebiete auch
fernerhin Anw^endung finden wird.
Schon gelegentlich meiner ersten Mitteilung über diesen
Gegenstand glaubte ich aber diese engen Grenzen, die dem Ver-
I
r
104
Alexander Fraenkel.
fahren für die chirurgische Praxis gezogen sind, besonders hervor-
heben zu müssen, namentlich aber, dass es sich bei dieser Art von
Heteroplastik keineswegs um eine Einheilung im physiologischen
Sinne handle, sondern lediglich um eine mechanische Ausfüllung
einer Lücke im Knochen durch Fixation des eingelagerten Fremd-
körpers durch eine starre Umgehung, um eine Fixation, welche
etwa jener gleicht, durch welche ein Uhrglas im metallischen Keifen
festgehalten wird.
Eine unbewegliche, feste Umgebung, die eine solche dauernde
Einklemmung leisten konnte, war somit eine der Grundbedingungen
für das Gelingen des Verfahrens, eine weitere: der Mangel jedweder
Sekretion unterhalb und oberhalb der Platte. Zunächst also eine
absolut sichere Asepsis bei möglichst vollkommener Blutstillung;
weiterhin aber anatomische Verhältnisse, welche für das Aus-
bleiben einer derartigen Sekretion von vorne herein Gewähr leisten.
Es ist nun im Anschluss an meine Exi^erimente über Ver-
suche berichtet worden, das Implantationsverfahren auch über die
Grenzen der ursprünglichen Indikationen hinaus in Anwendung
zu ziehen und ausser den Schädellücken auch anderweitige Lücken,
sei es durch operative Eingriffe geschaffene, sei es durch patho-
logische Prozesse entstandene, durch Celluloideinlagerung zur Hei-
lung zu bringen: Weichteillücken der verschiedensten Art, Ab-
schluss von Höhlen im Röhrenknochen — wie vorauszusehen,
ohne Erfolg.
Es dürfte vielleicht nicht ganz ohne Interesse sein, über einen
dieser misslungenen Versuche kurz zu berichten. Es handelte sich
darum, einen Trepanationsdefekt der Stirnhöhle, die wegen Em-
pyem eröffnet worden, auf diese Weise zum dauernden Verschluss
zu bringen. Nach Ablauf der ersten drei Wochen schien ein voll-
kommener Erfolg erreicht zu sein. In der vierten Woche eiterte
die Platte aus. Wie bei den Weichteillücken durch die nach-
giebige und bewegliche Umgebung, so wurde bei der Empyem-
höhle, wie bei jeder Knochenhöhle, durch das von dem granu-
lierenden Grund der Höhle gelieferte Sekret, das nach und nach
bis zum Niveau der Platte anstieg, der zur dauernden Einverleibung
unerlässliche innige mechanische Kontakt der Platte mit der Um-
gebung gelockert und diese musste schliesslich ausfallen.
Ausser den unmittelbaren Zwecken einen gegebenen Schädel-
defekt auszufüllen, schien die heteroplastische Methode noch für
jene Fälle von Schädellücken von spezieller Bedeutung, die nach
Trepanation wegen Rindenepilepsie zurückblieben. Man durfte
hoffen durch Ausfüllung des durch die Operation geschaffenen
Zur Frage der Sehädeloperationeu bei Epilejisie.
105
Schädeldefektes mit einem so glatten und dichten Materiale, wie
es das Celluloid ist, möglicherweise jene eine Quelle der Recidiven
nach diesen Operationen auszuschalten, welche durch die adhäsiven
Prozesse gegeben ist, die sich nachträglich von der Hirnrinde, be-
ziehungsweise der dura mater gegen die Operations wunde ausbilden.
Dass dies thatsächlich zu erreichen ist, bewiesen ja die Tier-
versuche, deren Ergebnisse in dieser Beziehung wohl ohne weiteres
auf ähnliche Verhältnisse beim Menschen zu übertragen sind.
Wenn nun nach hirnchirurgischen Eingriffen, welche wegen
traumatischer Epilepsie ausgeführt wurden, trotz gelungenen Ver-
schlusses der Knochenlücke durch die Celluloidplatte dennoch
Recidiven eingetreten sind, so kann wohl damit nicht gesagt sein,
dass in diesen Fällen die Methode ihre Schuldigkeit nicht gethan,
es muss vielmehr angenommen werden, dass trotz Eliminierung
dieser einen Quelle der Recidiven nach derartigen Eingriffen noch
andere Ursachen fortwirkten, welche das AViederauf treten der
Krämpfe verschuldeten.
Seitdem wir durch unser heutiges Wundbehandlungs verfahren
in die Lage gesetzt sind, ohne unmittelbare Lebensgefahr chirur-
gisch auch bis zu jenen Organen vorzudringen, die vordem durch
die tödlichen Folgen einer eventuellen Infektion für uns unzugäng-
lich waren, hat für manche Eingriffe das ehedem gebotene so
genaue Abwägen ihrer strengen Indikation an unbedingter Geltung
verloren und schon die Erwägung, möglicherweise nützen zu können,
bietet in unseren Tagen häufig genug den Anlass, zum Messer zu
greifen. So lassen wir uns denn auch durch die so zahlreichen
Misserfolge, die bei genauer und vorurteilsloser Prüfung der ein-
schlägigen Statistik die hirnchirurgischen Operationen darbieten,
immer wieder nicht abschrecken, es neuerdings zu versuchen, im
gegebenen Falle durch einen Eingriff zu nützen.
Allerdings darf nicht geleugnet werden, dass auch auf diesem
Gebiete eine Reaktion sich geltend macht, welche daran erinnert,
dass es schon wiederholt in der Chirurgie Zeiten gegeben hat, wo
die Indikationen für die Trepanation sehr weitgehende waren. Es
ist ja bekannt, mit welchem Eifer Dieffenbach und Stromeyer sich
gegen die namentlich seit Percival Pott so überhäufig angewandte
Trepanation zumal bei Schädelverletzungen wandten. Bezeichnete
doch Dieffenbach die Trepanation als ein sicheres Mittel, um die
Kranken umzubringen, und Stromeyer that den drastischen Aus-
spruch: »Wer heutzutage noch trepaniert, ist selbst auf den Kopf
gefallen.«
Für unsere Tage scheint übrigens auch in der Trepanations-
4
106
Alexander Fraenkel.
frage eine nüchternere Erwägung jetzt schon Eingang gefunden, und
die Ueberzeugung allmählich sich eingelebt zu haben, dass nament-
lich jene weitgehenden Indikationen, wie sie von dem hochver-
dienten Führer und Pfadfinder in der Gehirnchirurgie, Horsley,
noch auf dem internationalen medizinischen Kongress in Berlin
aufgestellt wurden und die schliesslich jeden hartnäckigen Kopf-
schmerz, der anderen Mitteln nicht weicht, der Trepanation zu-
führen sollen, nicht annehmbar sind. Nicht zu gedenken der von
Burkhardt (Prefargier) ausgehenden Bestrebungen auch bei ge-
wissen Geisteskrankheiten zu trepanieren, Bestrebungen die schon
in ihren wissenschaftlichen Voraussetzungen von Sahli als höchst
anfechtbar hingestellt werden.
Was sich aber als sicherer Bestand der Chirurgie erwiesen
hat und auch für die Zukunft stets erhalten wird, das sind die
operativen Eingriffe bei komplizierten Schädelfrakturen, resp.
Schusswunden des Schädels. Seitdem man gelernt hat, die hier-
bei notwendigen Encheiresen zunächst als Hilfsmittel zur Ermög-
lichung einer aseptischen Wundbehandlung in Anwendung zu
ziehen, haben sich auch dementsj3rechend die Erfolge der Be-
handlung dieser Verletzungen in erfreulichster Weise gebessert.
Es ist besonders ermutigend, dass den hiebei gebotenen operativen
Eingriffen nicht nur als primären Operationen ihr bedeutender
therapeutischer Wert zukommt, sondern dass sie sich auch als
intermediäre noch in hohem Masse wirksam erweisen können.
Als Beleg hiefür möge eines hierher gehörigen F alles eigener
Erfahrung in wenigen Worten gedacht sein.
Unter den Verwundeten meines Spitales in Belgrad im ser-
bisch-bulgarischen Kriege 1885/86 fand sich auch ein Schädel-
verletzter, in vollständig komatösem Zustande, mit retardiertem
Pulse, und wie eine genauere Untersuchung ergab, aphasisch und
komplett rechtsseitig hemiplegisch. Am behaarten Kopfe fand sich
bei genauer Untersuchung wenige Centimeter nach links vom vor-
deren Diittel der Sagittalnaht eine 4 cm lange, longitudinale Narbe,
in deren Mitte sich eine von Granulationen umgebene, kleine Fistel
zeigte, aus der synchronisch mit dem Pulsschlage kleine Eitermengen
sich entleerten. Unterhalb dieser Narbe eine Einsenkung des Knochens
im Umfange eines Silberguldenstückes. Die Depression des Kno-
chens und die aus der Fistel noch nachweisbare eitrige Sekretion,
zusammengehalten mit der contralateralen Hemiplegie, der Um-
stand ferner, dass der Mann nicht unerheblich fieberte, waren
Gründe genug, zur Trepanation zu schreiten. Nachdem nun im
Bereiche der Knochendepression die Haut freipräpariert war, zeigte
Zur Frage der Schädeloperationen bei Epilepsie.
107
sich die Einschussöffnung im Knochen durch einige kleine Knochen-
splitter verlegt. Nach Entfernung derselben entleerte sich auch
mehr Eiter und war in der Tiefe der Wunde ein schwarzer Gegen-
stand sichtbar. Der Versuch, jetzt schon diesen Körper zu extra-
hieren, der sich bei der Sonderuntersuchung als Projektil heraus-
stellte, wurde bald aufgegeben und zunächst der Knochen im Be-
reiche von 3 cm cirkulär abgemeisselt, dann konnte bequem aus
der Tiefe, etwa 5 cm, das umfängliche Projektil, eine bulgarische
Scharfschützenkugel von ungewöhnlicher Grösse, entfernt werden.
Unterhalb des Projektils war ein grösserer loser Knochensplitter,
der Fremdkörper selbst war in einen granulierenden Trichter ein-
gebettet, der mitten in die Gehirnsubstanz ging und reichlich Eiter
enthielt. Das Projektil war in seinem unteren Teile gabelig ge-
spalten, zwischen der Gabel sass der früher erwähnte grössere
Knochensplitter.
Der Verlauf nach der Operation war vollständig reaktionslos;
Fieber und Kopfschmerzen schwanden, die Sekretion aus der
Kopfwunde war minimal. Die ersten Zeichen der funktionellen
Wiederherstellung zeigten sich erst am zehnten Tage nach der
Operation in Form kleinster aktiver Bewegungen der Finger der
rechten Hand. Im Verlaufe von 6 Wochen erfolgte die volle
Wiederherstellung des Verwundeten.
Die Verletzung war in diesem Falle mindestens 14 Tage
alt, trotzdem konnte noch durch den intermediären Eingriff die
vollständige Heilung erzielt werden.
Ein weiteres Gebiet für erfolgreiche hirnchirurgische Thätig-
keit giebt uns die Trepanation zum Zwecke der Unterbindung der
Ai'teria meningea inedia, wie sie durch Krönlein methodisch aus-
gebildet wurde, und endlich — jedoch nicht ohne eine gewisse
Einschränkung — die reinen Fälle Jacksonscher Epilepsie.
Die bisherigen Operationen bei akutem und chronischem
Hydrocephalus, bei Tumoren des Gehirns weisen eine so traurige
Statistik nach, aus der wohl jetzt schon hervorgeht, dass wir hier
von chirurgischen Eingriffen kaum etwas zu erwarten haben.
Sehr fraglich scheint es auch, ob die Chirurgen dem Rate Sahlis
folgen werden, die Trepanation bei Gehirntumoren lediglich zur
Herbeiführung eines Gehirnprolapses auszuführen, in der Erwägung,
hiermit einen Weg zu betreten, der in manchen Fällen von der
Natur eingeschlagen wurde, in Form von spontaner Usur des
Schädeldaches durch die wachsende Gehirngeschwulst und daran
anschliessender Prolaps, wobei erfahrungsgemäss die Erscheinungen
der intrakraniellen Drucksteigerung, namentlich aber die quälenden
108
Alexander Fraenkel.
Kopfschmerzen in ihrer Intensität nachlassen. Es wird wohl vor-
derhand für derlei Fälle bei den Morphineinspritzungen sein Be-
wenden haben.
Was nun speziell die hirnchirurgischen Eingriffe bei den
verschiedenen Formen der Epilepsie anlangt, so wird leider das
Urteil über deren Wert und Erfolg noch immer sehr erschwert
durch die Mängel der einschlägigen Statistik, vnlche v. Bergmann
mit Recht als die trügerischeste und bedeutungsloseste von allen
chirurgischen Statistiken bezeichnen konnte.
Es ist von vielen Autoren, um nicht zu sagen von den meisten,
noch nicht jener strenge Massstab an die Beurteilung ihrer Fälle
angelegt worden, der für eine nutzbringende Schlussfolgerung aus
den mitgeteilten Erfahrungen unerlässlich erscheint. Ganz ab-
gesehen von den Täuschungen über den Erfolg der hirnchirur-
gischen Eingriffe, die sich aus der zumeist viel zu frühen Publi-
kation der Fälle ergiebt, findet man in den einschlägigen Fällen
noch immer nicht mit der absolut erforderlichen Strenge die
Unterscheidung der einzelnen Formen der Epilepsie durchgeführt.
Denn das eine steht doch heute schon über jedem Zweifel: dass
die gemeine Epilepsie absolut kein Gegenstand chirurgischen Ein-
greifens ist und dass Erfolge, welche in solchen Fällen verzeichnet
werden, nur scheinbare, mithin ganz bedeutungslose sind. Es
muss mit aller Klarheit ausgesprochen und ersichtlich sein, ob es
sich in den meisten Fällen um jene einzige Form der Epilepsie
handelt, welche als in bestimmten Partien der Hirnrinde lokahsiert,
nach unseren bisherigen Erfahrungen überhaupt in operativer
Hinsicht in Betracht kommt, nämlich um die reine Form der
Jacksonschen Epilepsie. Wo dies nicht über jeden Zweifel erhaben
ist, werden wir weder die scheinbaren Erfolge anerkennen, noch
aus etwaigen Misserfolgen Schlüsse ziehen dürfen. Es muss immer
wieder an die ja genugsam benannten Beobachtungen erinnert
werden, dass Leute, die an gemeiner Epilepsie leiden, oft jahre-
lange Intermissionen ihrer Erkrankung zeigen, und es ist nicht
immer nur Zufall, wenn derartige Pausen in den Anfällen im An-
schluss an eine Operation eintreten. Wissen wir doch aus der in
dieser Frage höchst wertvollen Publikation Maclaren, dass Epi-
leptiker, an denen wegen irgend eines mit ihrer Epilepsie in gar
keinem Zusammenhang stehenden Leidens eine Operation vor-
genommen wurde, für kürzere oder längere Zeit, ja sogar dauernd
von ihren Anfällen im unmittelbaren Anschluss an die Operation
befreit blieben, ja es ist nicht minder bekannt, dass selbst zufällige
Verletzungen oft den Beginn krampffreier Zeiten darstellten. Als
Zur Frage der Schädeloperationen bei Epilepsie.
109
besonders lehrreich sei hier die alte Beobachtung Donats citiert,
derzufolge ein junger Epileptiker behufs Konsultation wegen dieses
seines Leidens eine Reise nach Italien unternahm. Unterwegs
.überfielen ihn Briganten und brachten ihm eine Schädelwunde bei.
Seitdem blieb er von seiner Epilepsie dauernd geheilt.
Einen für die Therapie der Epilep.sie brauchbaren Schluss
können wir leider aus diesen und ähnlichen Beobachtungen nicht
ziehen, höchstens den einen, dass die hirnchirurgischen Operatio-
nen, welche zum Zwecke der Heilung der Epilepsie vorgenommen
wurden, nicht als solche in Betracht kommen, sondern als eine
jener verschiedenen äusseren Einwirkungen, von denen seit alters
her bekannt ist, dass sie gelegentlich für kürzere oder längere Zeit
die Krämpfe sistieren. Eine Methode wird und kann daraus
ebenso wenig werden, wie aus einer zufälligen Beobachtung, dass
ein Epileptiker nach einer ünterschenkelfraktur sich anfallsfreier
Zeiten zu erfreuen hatte.
Die Erfolge also nicht minder wie die Misserfolge, welche
nach hirnchirurgischen Eingriffen bei gemeiner Epilepsie , be-
ziehungsweise bei jenen Krampf formen verzeichnet werden, die
nicht zweifellos als nicht in den Bereich der gemeinen Epilepsie
gehörig betrachtet werden können , sind weder praktisch noch
wissenschaftlich in irgend einer Weise zu verwerten, die einschlä-
gigen Fälle mithin aus der Statistik zu eliminieren.
Anders steht die Sachlage bei jenen Krampfformen, die das
Bild der Jacksonschen Epilepsie aufweisen und in jenen Teil der
Hirnrinde lokalisiert werden, die wir als motorische Zone kennen.
Diese Krampfformen sind bekanntlich dadurcli charakterisiert, das ^
der Anfall in einer bestimmten Rindenpartie, in einem räumlich
abgegrenzten Centrum einer Muskelgruppe, sei- es des Eacialis-
gebietes, sei es einer Extremitätenmuskelgruppe, die wir als die
primär gereizte ansehen müssen, seinen xA.nfang nimmt, und dann
nach und nach entsprechend der topischen Anordnung der be-
nachbarten motorischen Centren weitere Muskelgruppen ergreift.
Zu diesem typisch sich immer wiederholenden x-Vblauf der Krämpfe,
wie wir sie bei isolierten pathologischen Zuständen der motorischen
Centren der Hirnrinde kennen, finden wir die vollständige Ana-
logie der von Hitzig und Frisch, Luciani, Ferrier u. a. experi-
mentell festgestellten Erfahrung, dass bei elektrischer Reizung der
motorischen Zone der Hirnrinde gleichfalls die hierdurch hervor-
gerufenen Krämpfe stets von einem primär gereizten Centrum aus-
gehen, resp. der diesem zugehörigen Muskelgruppe, und dann auf
die anatomisch benachbarten Centren übergreifen. Wie also im
110
Alexander Fraenkel.
Experimente von einem bestimmten Herde aus, dem primär ge-
reizten, die Entladungen auf die Nachbarschaft erfolgen, so muss
auch bei den durch j^athologische Prozesse hervorgerufenen Rinden-
krämpfen in dem zuerst krampfenden Gebiete, resp. dem moto-
rischen Centrum, von dem diese Krämpfe ausgelöst werden, an-
genommen werden, dass es das zunächst und stärkst gereizte ist
und den nächsten Anlass zum Auftreten der weiteren Krampf-
formen bietet. Mit anderen Worten: Dasjenige Centrum, auf dessen
Ergriffensein das im Ablaufe des Anfalls zuerst ki’ampfende Muskel-
gebiet hindeutet, ist auch gleichzeitig dasjenige, welches den cor-
tical epileptischen Anfall als solchen verursacht.
Es ist bekannt, dass diese durch experimentale Forschung
und klinische, nekroskopisch wohl gestützte Erkenntnis unter der
Aegide Horsleys die neue Aera der operativen Behandlung jener
Form der Rindenepilepsie inauguriert hat, welche in jüngster Zeit
von Sahli in bezeichnender Weise als dissociierte bekannt wurde.
Vor Horsley beschränkte man sich in derlei Fällen nur in der
Art vorzugehen, dass man die augenfälligen Veränderungen, die
sich an den Schädeldecken bei traumatischer Rindenepilepsie dar-
boten, wie Depression des Knochens, und eventuell nach Ent-
fernung dieser Stelle, lose Knochensplitter, Narben an der Dura
etc. amovierte und das Gehirn selbst nur dann operativ anging,
wenn an demselben ebenfalls sichtbare pathologische Verände-
rungen, wie eine Quetschungscyste und dergleichen Residuen trau-
matischer Einwirkungen bemerkbar waren. Die Erfolge dieser
Operationen waren anerkannterweise nicht den Erwartungen ent-
^ sprechend. Es sind zwar in der einschlägigen Litteratur Fälle
genug verzeichnet, die nach derartigen Eingriffen als geheilt be-
schrieben wurden, nach und nach hat sich aber doch die Er-
kenntnis Bahn gebrochen, dass es sich hiebei nicht um wirkliche
Heilung handle, sondern vielmehr um eine nur zeitweise Inter-
mission der Krankheitserscheinungen, Der Verlauf nach derartigen
Operationen, die ja gegenwärtig unter dem Schutze der Aseptik
ganz gefahrlos sind, ist gewöhnlich derart, dass unmittelbar nach
dem Eingriffe die Anfälle durch einige Tage hindurch eine Steige-
rung an Häufigkeit und oft auch an Intensität aufweisen, um all-
mählich für kürzere oder längere Zeit ganz zu sistieren, leider aber
nicht immer. Schon einige Monate nach der Operation stellt sich
gewöhnlich der Status quo wieder ein.
Die Misserfolge dieser Eingriffe haben nun weiterhin den
therapeutischen Grundsatz gezeitigt, sich mit diesen extracerebralen
Operationen nicht zu begnügen, sondern direkt auf jene Stelle der
Zur Frage der Schädeloperationen bei Epilepsie.
111
Hirnrinde selbst einzugehen, welche nach der Natur der Krämpfe
resp. nach der Aufeinanderfolge derselben als die primär er-
krankte und den epileptischen Anfall auslösende zu betrachten ist.
Als Wegweiser für diese hirnchirurgischen Eingriffe sollten nicht
nur die Spuren des vorausgegangenen Traumas dienen, denen man
ja leicht nachgehen könnte, sondern Horsley empfahl, abgesehen
von diesen sichtbaren Veränderungen, und so whd es ja in unseren
Tagen geübt, durch faradische Reizung der Hirnrinde jene Stellen
aufzusuchen und zu bestimmen, welche als primär epileptogene
Zone zu betrachten ist, und dieselbe zu exstirpieren und zwar
auch dann zu exstirpieren, wenn sie anscheinend normal und un-
verändert ist.
Schon im Experimente hat man die Erfahrung gemacht, dass
man bei dieser Aufsuchung der Rindencentren nur mit ganz schwachen
Strömen einwirken darf, weil durch halbwegs stärkere faradische
Reizung fast von jeder Stelle der Hirnrinde aus man allgemeine
Krämpfe hervorrufen kann, aus denen die Tiere oft durch längere
Zeit nicht herauskommen können.
Mit der Exstirpation derjenigen Rindenpartie, deren zuge-
höriges Muskelgebiet in der Reilienfolge der Krampferscheinungen
das erste ist, hoffte man gleichzeitig den supponierten primären
Krankheitherd zu entfernen, diejenige Partie der Hirnrinde, welche
in irgend einer Weise krankhaft verändert, auch auf die anatomisch
benachbarte Partie des Cortex einen Reiz ausübt, der mit jenem
gleichzustellen wäre, der im Tierexperimente durch die faradische
Reizung einer motorischen Zone und der an diese sich anschlies-
senden Miterregung der anatomisch benachbarten Partien der
Hirnrinde erzeugt ward.
Fragen wir uns nun, ob die aus dieser supponierten Analogie
hervorgegangene chirurgische Therapie und die an diese geknüpften
Hoffnungen sich entsprechend erfüllt haben, so dürfen wir aller-
dings mit der Anerkennung nicht zurückhalten, dass im allgemeinen
die Resultate der hirnchirurgischen Eingriffe bei traumatischen
Epilepsien, die unter diesem neuen Gesichtspunkte durchgeführt
wurden, bessere sind als ehedem, keineswegs aber in dem Masse,
als man dies gewünscht und vorausgesetzt hat. Als sprechendster
Beweis hiefür dient die von Horsley selbst am internationalen
Kongress in Berlin vorgebrachte Statistik. Auch die Statistik des
erfahrensten französischen Gehirnchirurgen , Lucas Championieres,
weist unter 10 operierten Fällen keinen einzigen mit dauernder
Heilung nach.
Worin sind nun die Gründe für diese Misserfolge zu suchen?
112
Alexander Fraenkel.
Es sei nochmals hervorgehoben, dass aus den bereits Eingangs
erwähnten Gründen nur jene Fälle für uns bei der Aufstellung und
Beurteilung einer Statistik der Epilepsie-Operationen Wert haben,
die 1) reine Fälle traumatischer Jacksonscher Epilepsie darstellen,
2) bei denen vor Exstirpation der Hirnrinde durch schwache elektrische
Reizung es als zweifellos festgestellt werden konnte, dass die exci-
dierte Partie das primär epileptogene motorische Centrum darstellte.
Man muss sich vor allem bei der Beurteilung der einschlägigen
Fragen darüber Rechenschaft geben, was man zunächst als
unmittelbaren Effekt einer derartigen hirnchirurgischen Operation
zu erwarten hat.
Wir sind berechtigt, nach den experimentellen Untersuchungen
und nach den Sektionsergebnissen einer grossen Reihe von klinisch
genau beobachteten Fällen, die Hirnrinde als den Ausgangspunkt
verschiedener motorischer und sensibler Funktionen des Organismus
zu betrachten. Allerdings ist unsere Erkenntnis noch nicht so
weit gediehen, um mit jedem Punkte der Hirnrinde auch eine ihm
zukommende funktionelle Rolle in Verbindung zu bringen: neben
Stellen von zweifelloser Dignität, deren Läsion stets mit entsprechenden
Ausfallserscheinungen einhergeht, giebt es solche von uns bisher
unerkanntem physiologischem Werte, Stellen mit latenter Läsion,
um mich eines Ausdruckes Exners zu bedienen. Zu den funk-
tionell sichergestellten Gebieten gehören die vordere und hintere
Centralwindung mit ihren für den Hyperglossus, Facialis, den Arm
und das Bein charakteristischen Beziehungen, die je nach der Aus-
breitung einer entsprechenden Läsion in der motorischen Gegend
der Hirnrinde, je nachdem dieselbe das Gebiet der einen oder
anderen Muskelgruppe in grösserer oder geringerer Ausdehnung
trifft, auch in entsprechender Intensität in Mittleidenschaft gezogen
werden. Gerade in diesem durch die anatomische Anordnung
erklärten ungleichmässigen Befallenwerden von Reizungen und
Lähmungen von Facialis, Arm und Bein liegt, wie dies Sahli
besonders betont, der Charakter des corticalen Sitzes einer cerebralen
Läsion und gerade darin hat Sahli wieder Veranlassung gefunden,
die vom Cortex ausgehenden Krämpfe und Lähmungen mit dem
Beinamen der dissociierten zu versehen.
Die Reizung einer Zone der motorischen Region ergiebt nun
bekanntlich Kampf in dem von ihr innervierten Muskelgebieten,
eine tiefere Läsion derselben, Lähmung oder aber, wie wir dies
durch klinische Beobachtung kennen , Krampf und Lähmung,
die sogenannte postepileptische Lähmung, welch letztere ja ein
ganz besonderes Merkmal corticaler Läsionen darstellt.
Zur Frage der Schädeloperationen bei Epilepsie.
113
^'"enii wir nun aus der motorischen Region ein Stück exci-
dieren, so ist dies von funktionellen Folgen begleitet, die sich bei
verschiedenen Tieren verschieden gestalten, je nach der verschie-
denen Stellung, die dieselben in der Descendenzreihe annehmen.
Bei Tieren niedrer Ordnung kann selbst nach vollständiger Abtragung
der Hirnhemisphäre ein relativ normales Verhalten ihrer organischen
Funktionen, das statische undlocomotorische Coordinationsvermögen,
der Ausdruck der Gemütsbewegungen und das specifische reaktive
Verhalten ilmer Sinnesorgane auf Reizimpulse gewahrt bleiben.
Es ist dies durch vielfache Experimente erwiesen, von denen ja
namentlich jene von Goltz mit Recht zu besonderer Berühmtheit
gelangt sind.
Das Erhaltenbleiben dieser funktionellen Aeusserungen bei
niederen Tieren, denen beide Hemisphären abgetragen wurden,
spricht eben dafür, dass Fische, Frösche und Tauben gewisse
Centren in relativ hohem Grade im Mesencephalon und im Rücken-
mark entwickelt haben.
Noch beim Hunde kann nach vollständiger Zerstörung
wenigstens der motorischen Centren einer Hemisphäre nach einiger
Zeit ein vollständiger Rückgang allenfalls beobachteter Ausfalls-
erscheinungen konstatiert werden. Die von Horsley und Schäfer
entdeckten bilateralen Beziehungen einer jeden Hemisphäre, die
in gewisser Ausdehnung auch bei Affen und beim Menschen und
zwar bei diesen für die Rumpf bewegungen, die obere Facialis-
gegend und die Kehlkopfmuskulatur bestehen, bei Hunden aber
noch mehr ausgeprägt sind, können zur Erklärung dieses Rück-
gangs der Ausfallserscheinungen beitragen. So können also Hunde,
wenn die motorischen Centra einer Hemisphäre sogar vollständig
zerstört sind, eine gewisse Besserung der Ausfallssymptome nach-
weisen und zwar bezieht sich diese Besserung namentlich auf jene
Bewegungsart der Extremitäten, welche mehr oder weniger mit den-
jenigen der anderen Seite associiert sind, am wenigsten aber lässt
sich diese Besserung an denjenigen Bewegungsarten beobachten,
welche unabhängig und mehr willkürlich zustande kommen
Fül' den Affen und den Menschen ist es aber unzweifelhaft
festgestellt, dass , wo eine vollständige Zerstörung der motorischen
Centren vorliegt, diese auch von einer vollständigen und dauern-
den Lähmung, und im Anschluss an diese in bestimmter Zeit von
absteigender Degeneration der Pyramidenbahnen des Rückenmarkes
und sekundärer Kontraktur der gelähmten Glieder gefolgt wird.
Es ist dies durch Ferriers Versuche am Affen und die durch seinen
Schüler Ewens gesammelten einschlägigen klinischen Fälle mit
8
114
Alexander Fraenkel.
aller Klarheit festgestellt. Von 483 Fällen corticaler (einschliess-
lich subcorticaler) Affektion, die unter Ferriers Leitung von Ewens
gesammelt worden sind, wobei regelmässig Fälle von Tumoren
und jene Läsionen, die Fern Wirkungen hervorrufen, ausgeschlossen
wurden, gab es über 110 Fälle mit Hemiplegie der entgegen-
gesetzten Seite infolge allgemeiner Läsion der Rolando 'sehen Zone,
und über 90 Fälle mit Monoplegie nach umschriebener Läsion in
dieser Zone. Unter diesen Fällen sind auch eine Reihe von Be-
obachtungen nach chirurgischen Eingriffen, ferner von Atrophie
der Rinde in der Rolando 'sehen Zone im Zusammenhang mit con-
genitalen oder infantilen Hemiplegien oder als die Folge congeni-
taler Defekte oder einer vor langer Zeit vorgenommenen Amputation
einer Extremität, verzeichnet.
So müssen wir denn nach dem übereinstimmenden Ergebnisse
klinisch-nekroskopischer und experimenteller Erfahrung daran fest-
halten, dass mit der Exstirpation eines Teiles oder der gesamten
psychomotorischen Centren auch ein dem entsprechender Ausfall
in den funktionellen Beziehungen d. h. dauernde Lähmungen der
von diesen Centren innervierten Muskelgruppen entstehen. Anderer-
seits müssen wir allen Fällen gegenüber, wo nach Operationen an
der motorischen Zone dieser dauernde Ausfall nicht eintritt, an-
nehmen, dass die Operation nicht mit der erforderlichen Gründ-
lichkeit ausgeführt wurde, dass das entsprechende motorische
Centrum nicht vollständig exstirpiert wurde. Für die Möglichkeit
der Erhaltung der Funktion teilweise zerstörter Gehirnpartien be-
darf es keiner weit hergeholten hypothetischen Annahmen, da
wir ja aus den einschlägigen Versuchen von Flourens gelernt haben,
dass die entsprechenden Funktionen auch von nur ganz kleinen
Resten der Gehirnteile verrichtet werden können.
Wo aber die Exstirpationen der kranken motorischen Centren
der Hirnrinde nicht von dauerndem Ausfall der diesen entsprechen-
den Funktionen begleitet waren, wo mithin die Entfernung des
Krankheitsherdes keine vollständige war, darf es uns auch nicht
Wunder nehmen, wenn unter solchen Verhältnissen auch mit der
Wiederkehr der funktionellen Beziehungen auch die pathologischen
sich wieder einstellen.
In der unvollständigen Exstirpation des die epi-
leptischen Krämpfe erzeugenden Centrums liegt also
einer der Gründe für die Wiederkehr derartiger krank-
hafter Zustände.
Gehen wh den Verhältnissen, wie sie sich nach den wegen
dissociierter Rindenepilepsie ausgeführten hirnchirurgischen Opera-
Zur Frage der Schädelo2)erationen bei Eiiilepsie.
115
tioneii ergeben, weiter nach und nehmen wir nun die Operation
als allen Anforderungen entsprechend dm’chgeführt an.
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, an Tierversuchen die
Folge derartiger Eingriffe vom chirurgischen Standpunkte zu
studieren. Was sonst an Tierversuchen über diese Frage vorliegt,
galt meist Zwecken physiologischer Forschung, lieber jene Ver-
hältnisse aber, wie sich nach derartigen Eingriffen die anatomi-
schen Beziehungen gestalten, wie sie zwischen der Schädelwunde
und jener des Gehirnes und der harten Hirnhaut sich ergeben,
verlautet bisher so gut wie nichts. Und doch sind gerade diese
Punkte von ganz besonderer praktischer Bedeutung für die Be-
urteilung hirnchirurgischer Eingriffe.
Wenn auch meine einschlägigen Versuche nicht zahlreich sind,
so glaube ich doch schon aus diesen weniger für die uns interessieren-
den Fragen einige bescheidene Beiträge liefern zu können.
Das Raisonnement, von dem ich beim Studium der lokalen
Folgezustände hirnchirurgischer Eingriffe ausging, war namentlich
von dem Gedanken geleitet, dem ja schon häufig genug Ausdruck
gegeben wurde, und der .sich wohl schon jedem Chirurgen aufge-
drängt hat, ob nicht überhaupt beziehungsweise unter welchen
Verhältnissen unsere wegen corticaler Epilepsie ausgeführten
Operationen und die an dieselben sich am Cortex anschliessenden
anatomischen Veränderungen an und für sich zur Quelle von
gleichen oder ähnlichen pathologischen Zuständen werden könnten,
wie diejenigen waren, in denen wir den Anlass zum chirurgischen
Eingriffe gefunden haben.
Um nun auf diese Versuche wieder zurüzukommen, so be-
standen dieselben darin, dass ich an Hunden mehr weniger ausge-
dehnte Exstirpationen voff Hirnrinde vornahm, und zwar war ich be-
strebt zunächst die motorische Zone zu entfernen. In den ersten
Versuchen suchte ich die Orientierung nach rein anatomischen
Anhaltspunkten, in den übrigen erleichterte ich mir dieselben sehr
wesentlich durch Zuhilfenahme der elektrischen Reizung. Ich
trepanierte mit Meissei und Hammer und vereinigte nach erfolgter
Rindenexstirpation die Dura durch einige Seidennähte, replantierte
in allen Fällen das ausgemeisselte Knochenstück und vernähte die
Operationswunde der weichen Schädeldecke möglichst exakt. Für
strenge Asepis war gesorgt.
Von sechs derartig operierten Hunden haben zwei
nach Ablauf der Ausfallserscheinungen, die der Ex-
stirpation der entsprechenden Centre n folgten, das
ausgesprochene Bild der corticalen Epilepsie darge-
116
Alexander Fraenkel.
boten, ja eines der Versuchstiere ist an der Erschöpfung, die
sich im Gefolge der fast ununterbrochen aufgetretenen Krämpfe
einstellte, gestorben. Es sei mir gestattet, auf diese beiden Ver-
suche, deren Ergebnisse von besonderem Interesse scheinen, etwas
näher einzugehen.
Im ersten Versuche handelte es sich um einen mittelgrossen
Hund. Es wurde an ihm die Exstirpation der hinteren Central-
windung vorgenommen und ein Teil der unmittelbar an diese nach
hinten angrenzenden Hirnwindung.
In der ersten Woche bot der Hund das Bild äusserster Schwäche
und Niedergeschlagenheit, beim Versuche sich zu erheben und
umherzugehen, fällt er sehr bald auf die der Gehirnwunde ent-
gegengesetzte Körperhälfte, die Hinterpfote dieser Seite erscheint
vollständig gelähmt, zeigt krampfhafte fibrilläre Zuckungen. Nach
und nach, im Verlaufe der zweiten und dritten Woche, scheint
die gelähmte Pfote wieder kräftiger, der Hund befindet sich an-
scheinend wohl, geht umher, zeigt Fresslust. In der siebenten Woche
nach der Operation verfällt das Versuchstier in schwere epileptische
Krämpfe, die durch drei Tage hindurch fast ununterbrochen an-
dauern, das Tier aufs äusserste herunterbringen und im Gefolge
deren in einem Zustande höchsten Marasmus der Tod erfolgt.
Die Krämpfe,, die anfangs nur die contralateralen Extremitäten
befielen, werden schliesslich allgemein und sind namentlich von
einem äusserst heftigen Opistotonus begleitet.
Die Obduktion des Hundes ergab nun Folgendes: Nach Durch-
sägung des Schädeldaches und Herausnahme des Gehirnes aus
der Schädeldecke zeigte sich die Dura an der Operationsstelle
sowohl mit dem Gehirne als auch mit dem Schädeldach aufs
innigste verwachsen. Nach vorsichtiger recht mühsamer Loslösung
der Dura zeigt sich an Stelle der hinteren Centralwindung eine
tief eingezogene pigmentierte Narbe, welch letztere sich beim Durch-
schneiden als tief trichterförmig eingezogen und bis an das Dach
des Seitenventrikels reichend erweist. Die Hirnwindungen um die
Narbe herum konzentrisch gestellt, durch den Zug der Narbe sehr
stark herangezogen. Nirgend ein Tropfen Eiter oder Spuren vor-
angegangener eitriger Entzündung.
Der zweite der hier näher zu erwähnenden Versuche betraf
ebenfalls einen mittelgrossen Hund. Drei Wochen hindurch bot
das Versuchstier nach der Operation eine deutliche Parese der
contralateralen Hinterpfote, die sich allmählich zu kräftigen scheint.
In der fünften Woche verfällt der Hund in einen comatösen Zustand, l
der acht Tage andauert, und mit deutlichen Zuckungen in den i
Zur Frage der Schädeloperationen bei Epilepsie.
117
•contralateralen Pfoten einhergeht. Währenddem vollständige
Nahrungsverweigerung, sehr starkes Herabkommen. Nach Ablauf
dieser Zeit erholt sich der Hund wieder vollkommen und bleibt
im weiteren Verlaufe als einzige merkliche Störung nach der
seinerzeitigen Operation eine ausgesprochene Kontraktur der con-
tralateralen Hinterpfote.
Nach sechs Monaten wird der Hund durch Chloroform ge-
tötet und hiebei folgender Befund konstatiert: Entsprechend den
beiden Centralwindungen der 1. Hirnrinde eine eingezogene Höhle
mit bräunlich pigmentiertem körnigen Inhalt, darüber sehr ver-
dickte Dura, die auch allenthalben mit der Wunde des Schädel-
daches adhäriert. Die angrenzenden Hirnwindungen , wie im
früheren Falle konzentrisch zur Narbe herangezogen.
Bei den übrigen Versuchstieren, die ganz gleichen Eingriffen
unterzogen wurden, haben sich nach längerer oder kürzerer Zeit
die im Gefolge der Operation aufgetretenen Ausfallserscheinungen
wieder rückgebildet, die augenscheinlichen Lähmungen wenigstens.
Ob nicht weniger deutliche paretische Erscheinungen, leichtere
Grade von Kontrakturen zurückgeblieben waren, lässt sich ja bei
den wenig komplizierten Bewegungen der Hunde nur schwer
konstatieren. Lokal fand sich an der Operationsstelle immer
starke narbige Einziehung, Verdickung der Dura, in einem Falle
mit deutlicher Knocheneinlagerung, Adhäsion der Dura im ganzen
Umfange des replantierten Trepanationsstückes. Die Obduktion
fand in allen Fällen erst nach monatelanger Beobachtung statt,
nicht unter einem halben Jahre.
Soll ich das Ergebnis dieser wenigen Versuche zusammen-
fassen, so erhellt zunächst, dass infolge der, unter allen gebotenen
Kautelen der Antiseptik durchgeführten Exstirpation normaler
Rindenpartien des Gehirnes sich an der Operationsstelle anatomi-
sche Veränderungen entwickeln, welche wohl als Heilungsvorgänge
zu betrachten sind, aber als solche doch schwere Alterationen der
normalen Beschaffenheit der Hirnrinde und der Hirnhäute dar-
stellen. Die in der Hirnrinde gesetzten Wunden haben in manchen
Fällen die Tendenz zur Ausheilung mit tiefer narbiger Einziehung,
wodurch andrerseits wieder die angrenzenden Rindenpartien ge-
zerrt, herangezogen und überhaupt eine Verschiebung, Verlage-
rung und Zerrung der Windungen der Gehirnoberfläche hervor-
gerufen werden. Ein regelmässiger Folgenzustand nach Operationen
an der Gehirnoberfläche sind ferner Adhäsivprozesse zwischen
Rindenwunde und der harten Hirnhaut, welch letztere ausserdem
erhebliche Verdickung mitunter auch als osteogenes Gewebe Ver-
118
Alexander Fraenkel.
kalkung und Verknöcherung aufweist. Eine weitere regelmässige
Konsequenz dieser Eingriffe ist endlich in den Fällen, wo es sich
um Trepanation mit Rücklagerung des resecierten Schädelstückes
handelt, die im ganzen Bereiche des Operationsfeldes auftretende
Verwachsung der harten Hirnhaut mit dem Schädel.
Alle diese im Anschluss an die Exstirpation von normalen
Hirnrindenstücken auftretenden Veränderungen, wie sie sich aus
dem Befunde der einschlägigen Tierversuche ergeben, stellten aber
gerade jene Prozesse dar, die ihrerseits die gewöhnliche Anzeige
ergeben zur chirurgischen Behandlung der Jacksonschen Epilepsie,
mit anderen Worte die lokalen anatomischen Konsequenzen der
hirnschirurgischen Eingriffe an der normalen Hirnrinde sind voll-
kommen indentisch mit jenen pathologischen Veränderungen, die
zumeist der dissociierten Epilepsie zu Grunde liegen, ja noch über-
dies kann durch den Tierversuch erwiesen werden, dass auch die
funktionellen Störungen, resp. klinisch - pathologischen Erschei-
nungen, die nach derlei Eingriffen beobachtet werden, in allen
Punkten sich mit dem typischen Bilde cortical-epileptischer Er-
krankungen decken.
Die Ergebnisse dieser Versuche haben also dasjenige dargethan,
wozu eine vorurteilslose Ueberlegung von vornherein führen musste
und was schon wiederholt als Quelle und Ursache der Recidive
nach chirurgischer Behandlung der corticalen Epilepsie vermutet
wurde. Sie geben fernerhin eine Erklärung für jene Recidiven
dieser Erkrankung, bei denen man auf den supponierten Krank-
heitsstand selbst losging und durch die Entfernung des spasmo-
genen Centrums, auch dann, wenn dasselbe keine sichtbaren patho-
logischen Veränderungen darbot, eine bleibende Abhilfe des krank-
haften Zustandes erhoffte. Wir wissen nun aus dem Tierversuche,
dass die Konsequenzen, die sich an derlei Eingriffe knüpfen, entweder
in dem vollkommenen und daunernden Ausfall der dem exstirpierten
Centrum zukommenden Funktion, d. i. Lähmung oder weiterhin
Kontraktur, ihren Ausdruck finden oder aber, wenn die Narben-
bildung am Cortex mit starker konzentrischer Einziehung einher-
geht, diese wieder durch Zerrung und Verschiebung der normalen
Lagerungsverhältnisse der Windungen geradezu das ganze Symp-
tomenbild des epileptischen Krampfes hervorrufen kann.
Es wird dem wohl abwägenden Ermessen des Chhurgen
Vorbehalten bleiben, im einzelnen gegebenen Falle abzuschätzen,
ob er dem Patienten einen Dienst erweist, wenn er an Stelle den
paroxismalen Monospasmen, wegen derer dieser Hilfe sucht, ihm
durch die Horsleysche Operation eventuell eine dauernde Mono-
Zur Frage der 8chädeloperationen bei Epilepsie.
119
plegie schafft. Für manche Fälle, ich brauche beispielsweise nur
auf den berühmten ersten Fall Horsleys hinzuweisen, wird dieser
Zustand gegenüber den oft qualvollen Beschwerden der Krämpfe
gewiss der erwünschtere sein, von zwei Uebeln das geringere. Die
Intensität und Häufigkeit der Spasmen, deren Ausbreitungsgebiet,
nicht zum mindesten die soziale Stellung des Kranken, werden für
die Indikation des einzuschlagenden therapeutischen Verfahrens
von massgebendster Bedeutung sein. Die Erwägung darf uns
aber hiebei nicht verlassen, dass wir dem chirurgischen Eingriffe,
wenn er als vollkommen durchgeführt gelten soll, nicht immer nur
die entsprechenden Ausfallserscheinungen und zwar als dauernde
Konsequenz zu betrachten haben, Lähmung und, als Folge der
absteigenden sekundären Degeneration, Kontraktur. Wir dürfen
vielmehr, ehe wir uns zu derlei Eingriffen entschliessen, nicht ausser
acht lassen, dass wir derzeit wenigstens nicht in der Lage sind,
auf die Konfiguration der durch die Operation geschaffenen Narbe
einen Einfluss zu nehmen, und dass diese sich in manchen Fällen
derart gestalten kann — es wird sich dies beim Menschen kaum
anders verhalten, als man dies im Tierexperiment vorfindet ; — dass
sie durch konzentrische Schrumpfung einen Zug auf die gesamte
benachbarte Hirnrinde ausübeii kann, wodurch eine schwere Alte-
ration in den Beziehungen der Rindenpartien zu einander und
ein permanenter Reizzustand geschaffen wird, der selbst wieder
zur Quelle schwerer corticaler epileptischer Erkrankung werden
kann.
Ich kann es wenigstens nicht als Zufall betrachten, dass
gerade bei jenen Versuchstieren, die eine derartige Gestaltung
der Narbe aufwiesen, auch die epileptischen Krämpfe nicht
fehlten.
Es darf mithin diese Art von Narbenschrumpfung als
eine weitere Quelle der Recidiven mancher Fälle disso-
ciierter Epilepsie nach der Horsleysclien Operation an-
geschuldigt werden.
Es wäre eine mehr als dankbare Aufgabe, durch weitere ex-
perimentelle Forschung auf Mittel und Wege zu sinnen, um diesen
lokalen Folgezuständen nach Rindenexstirpation wirksam zu be-
gegnen. Vielleicht gelingt es einst durch ein indifferentes An-
füllungsmaterial die Verhältnisse, wie sie sich unmittelbar nach
der Operation ergeben, zu stabilisieren , vielleicht wäre auch der
Gedanke, der ja vor seiner experimentellen Prüfung recht aben-
teuerlich erscheinen mag, nicht von der Hand zu weisen, durch
Epidermistransplantation auf die frische Cortex wunde der Narben-
120
Alexander Fraenkel.
Schrumpfung vorzubeugen. Möge das Ziel, gegen die nachträg-
lichen Narbenschruinpfungen vorzukehren, auf welchem Wege
immer erreicht werden, es erscheint jedenfalls eine der Haupt-
aufgaben, die vorerst zu lösen sind, ehe wir unserer Operationen
wegen traumatischer, dissociierter Epilepsie ganz froh werden
können.
Diese angeschuldigten Zerrungen und Verlagerungen der ein-
zelnen Teile werden nicht nur durch die Narbe der Cortexwunde
als solcher bewirkt, sie werden gewiss nicht minder häufig genug durch
die Adhäsivprozesse hervorgerufen, die sich in all jenen Fällen
ergeben, wo der Trepanationsdefekt im Schädel entweder gar nicht
gedeckt und der Vernarbung überlassen wurde oder wo der Ver-
schluss der Schädellücke in einer Weise erfolgte, welche nicht von
vorne herein die Möglichkeit derartiger Vernarbungen zwischen
Schädelwunde und Dura resp. Cortex ausschliessen. Auch hiefür
scheinen mir meine Versuche nicht ganz unbrauchbare Belege
zu geben.
Wie erwähnt, wurde der Verschluss der Schädellücken in den
angeführten Tierversuchen in der Art bewirkt , dass das aus-
gemeisselte Schädelstück einfach wieder replantiert wurde. Das
schon von einer grösseren Anzahl von Experimentatoren und schon
seit geraumer Zeit festgestellte Ergebnis, dass derlei replantierte
Knochenstücke, auch wenn sie schon aus allen Verbindungen mit
dem Organismus getrennt waren , wieder einheilen können und
dass, je inniger der Kontakt mit der früheren Umgebung nach
der Replantation wieder hergestellt wird, und je mehr auch sonst
Verhältnisse bestehen, die einer prima intentio förderlich sind,
auch die Einteilung um so vollkommener wird, wurde durch meine
Versuche bestätigt. Es zeigte sich ferner, dass, wo anderer-
seits dieser Kontakt kein sehr inniger war und wo es dem-
gemäss zur Granulationsbildung kommt , sich auch in grösserer
oder geringerer Ausdehnung eine Resorption des eingelagerten
Knochens einstellt, die bis zur fast vollständigen Usur führen kann,
oder aber es bleiben noch Reste des eingelagerten Knochens er-
halten, die der Knochenproduktion aus der umgebenden Knochen-
wunde als Stütze dienen und wodurch schliesslich doch noch ein
knöcherner Verschluss der Lücke bewirkt werden kann. In allen
Fällen aber fand sich unterhalb des eingelagerten Knochenstückes
eine dichte Verwachsung im ganzen Bereiche derselben mit der
harten Hirnhaut. Aus diesem regelmässigen Befunde scheint wohl
folgerichtig der praktische Schluss erlaubt, dass die Replantation
eines vollkommenen oder temporär resecierten Knochenstückes
Zur Frage der Schädeloperationen l>ei JCpilepsie.
121
nach der Trepanation wegen corticaler Epilepsie durch die un-
vermeidlich an dieselbe sich anschliessenden Verwachsungen des
Knochens an die harte Hirnhaut und die mit dieser möglicherweise
einhergehende Zerrung der Hirnrinde mit dazu beitragen könnte,
das Entstehen von Recidiven nach der Horsleyschen Operation
zu fördern. Von diesem Standpunkte aus und in Anbetracht der
grossen Einfachheit des Verfahrens, in Berücksichtigung des Vor-
teiles, sich nachträgliche im Verlaufe der Operation notwendig
gewordene Vergrösserungen des Operationsfeldes im Knochen auf
leichtere Weise accomodieren zu können, halte ich die Deckung
der Trepanationsdefekte nach derlei Eingriffen durch Heteroplastik
mittels des glatten Celluloids, das, wie schon Eingangs erwähnt,
erwiesenermassen keinerlei adhäsive Prozesse mit der Unterlage
eingeht und bei entsprechender Aseptik auch dauernd dem
Organismus einverleibt bleiben kann, für das empfehlenswerteste
Verfahren.
Haben wir in der unvollständigen Exstirpation des primär
kranipf enden Centrums, in der Narbenschrumpfung, die mit Zerrung
des Cortex einhergeht, in den Adhäsionsprozessen, die sicli gegen
die Schädelwunde hin im Anschluss an die Operation entwickeln,
die häufigsten und wichtigsten Ursachen der Recidiven nach
Epilepsie-Operationen kennen gelernt, so dürfen wir uns nicht ver-
hehlen, dass die Quellen unserer Misserfolge hiemit noch nicht er-
schöpft sind.
Wenn auch die Spasmen der dissociierten Epilepsie ihren
legalen Ablauf aufweisen und wir alle Ursache haben, in diesem
Nacheinander einen von einem Krankheitsherde aus mitgeteilten
Reizzustand zu sehen, so ist damit durchaus nicht immer aus-
gesprochen, dass zur Zeit der Operation die Beschränkung der Er-
krankung auf das ursprüngliche spasmogene Centrum noch fort-
bestehe. Oft genug wird es uns begegnen , dass die sekundär
krampfenden benachbarten Centren zu dieser Zeit schon durch die
äusserste funktionelle Erregung, der sie wiederholt ausgesetzt w^aren,
in einen pathologischen Zustand versetzt erscheinen, der für die
Folge als selbständige Erkrankung vorhält. Wir werden es hier
mit Zuständen und Verhältnissen zu thun haben, die uns auch
manche Misserfolge der Operation wegen hysteroepileptischen Er-
krankungen erklärlich machen. Auch hier kennen wir in den
Genitalien den ursprünghchen Sitz der Erkrankung und gleichsam
die Batterie, von der aus die Entladungen in das Nervensystem
erfolgen. Eine frühe Elimination dieses Krankheitsherdes, ehe er
durch funktionelle Erschöpfung das übrige Nervensystem dauernd
122
Alexander Fraenkel.
geschädigt, kann auch hier zur Heilung führen. Einem abgenützten
Nervensystem gegenüber ist aber die Entfernung des primären
Herdes wirkungslos. So verhält es sich wohl auch bei der disso-
ciierten Epilepsie und so deuten denn auch die Verhältnisse darauf
hin, dass — wenn überhaupt — nur Frühoperationen dauernden
Erfolg versprechen können.
Zur Statistik und Prognose der Ver-
ätzungen des Oesophagus
lind der im Gefolge derselben entstehenden Strikturen.
Von Doc. Dr. Y. Ritter von Hacker,
Abteilungsvorstand des Er/di. Sophienspitales u. der allgein. Poliklinik in Wien.
Aus der klinischen Beobachtung gewinnt der Chirurg den
Eindruck, dass, was die Häufigkeit der Strikturen des Oesophagus
betrifft, obenan die durch Carcinom bedingten stehen, dass da-
nach die nächst häufigsten Verengerungen die nach Verätzungen
der Speiseröhre auftretenden sind, während alle andern dazu füh-
renden Ursachen relativ selten sind.
Ich will zunächst die im Ambulatorium der Klinik Billroth
in 10 Jahren in Wien beobachteten Erkrankungen des Oesophagus
hier kurz nach der Diagnose anführen. Obwohl die Zahlen nur
einen relativen Wert haben, da ja in vielen nur ambulatorisch
behandelten Fällen keine sichere Diagnose gestellt werden konnte,
hat doch die Zahl der eingestandenermassen durch Verätzungen
entstandenen Strikturen als Minimalzahl einige Bedeutung. (Siehe
Tabelle S. 124.)
In den 10 Jahren wurden also im ganzen 41,366 Kranke im
Ambulatorium behandelt; darunter waren 270 Oesophaguskranke.
Von diesen sind 131 Fälle und zwar 114 Männer, 17 Weiber als
Carcinom, 47 Fälle und zwar 18 Männer, 29 Weiber als Verätzungs-
strikturen (fast alle durch Lauge) eingetragen. Es handelte sich
also in etwa 48,5 ‘’/o der in Behandlung gekommenen Oesophagus-
krankheiten wahrscheinlich um Carcinom und in mindestens 17,7^ o
um Verätzungsstrikturen , so dass auf 1000 chirurgische Kranke
etwa 3 Fälle von Oesophaguscarcinom (3,1 pro mille) und 1 Fall
124
Dr. V. Ritter von Hacker.
Erkrankungen des Oesophagus im Ambulatorium der
Klinik Billroth 1877-1886.
Jahr.
Ainbulaiit
behänd.
Kranke.
Snnnne
aller
Oeso-
phagus-
Kranken.
Carci-
noin.
Yer-
ätznngs-
striktnren
fast alle
durch
Lauge.
Fremd-
körper
im
Oesoph.
Fremd-
körper
in Aetz-
striktur.
Striktur
zweifelh.
Ursache.
Dis-
phagie
oder
ohne
Dia-
gnose.
1877 1406
i
13
9
1
1
1
1 1
1
1
1878
1939
5
2
1
2
1879
2681
7
3
3
1
1880
3852
23
9
2
7
5
1881
4147
20
9
3
3
5
1882
4115
34
12
7
5
10
1883
5394
57
26
9
7
15
1884
5571
41
27
4
6
3
1885
6599
38
20
9
6
3
1886
5162
32
14
9
6
6
Summe
40866
270
131
114
Männer
17
Weiber.
47
18 Alänner
2i) Weiber.
42
1
50
1
von Aetzstriktur (1,1 pro mille) kamen. Die Verhältniszahlen dürften
noch etwas grösser sein, da ja unter den 51 Fällen mit zweifelhafter
Diagnose wohl die beiden Kategorien noch vertreten sein werden.
Auch unter den in dem Zeitraum 1877 — 1886 stationär an
der Klinik behandelten Oesophaguskranken, im ganzen 76, bildet
das Carcinom mit 42 Fällen (37 Männer, 5 Weiber) = 55,2 °/o und
die Aetzstriktur mit 21 Fällen 27,6"/o (2 durch Schwefelsäure,
19 durch Lauge) das Hauptkontingent, zusammen 82,8 ®/o aller
Oesophaguskranken.
i
Verätzungen des Oesophagus.
125
Nach dem Carcinom bildet also bei uns die Verätzungs-
striktur die häufigste chirurgische Erkrankung der Speise-
röhre. Die Häufigkeit derselben ist lokal verschieden und richtet
sich nach der Häufigkeit des Vorkommens absichtlicher oder un-
absichtlicher Vergiftungen mit ätzenden Substanzen. In Wien
kommt unter diesen Substanzen noch immer die Natronlauge (in
Form der käuflichen Laugenessenz) in erster Linie in Betracht,
demnächst die Schwefelsäure; alle andern ätzenden Substanzen,
wie Salzsäure, Salpetersäure, Ammoniak, Essigsäure, Chromsäure,
Karbolsäure, Sublimat, Kupfervitriol etc., kommen nicht nur bei
den zufälligen, sondern auch bei den absichtlichen Vergiftungen
nur ganz vereinzelt vor.
Es ist jedenfalls eine ganz lokale Erscheinung, dass in Wien
die Vergiftung mit Alkalien, speziell mit Aetzlauge, diejenigen mit
Säuren weitaus überwiegen.
Unter den in den 10 .Jahren 1876 — 1885 in den 3 grössten
Wiener Krankenhäusern behandelten zufälligen und absichtlichen
Vergiftungen mit ätzenden Substanzen (im ganzen 477) handelte
es sich in 69,81 l”/o (in 333 Fällen) um Vergiftungen durch Aetz-
lauge, demnächst am häufigsten um solche durch Schwefelsäure,
nämlich in 17,605^o (in 84 Fällen). Da diese Zahlen aus dem
Krankenmaterial geschöpft sind, eignen sie sich besonders, die
Häufigkeit der Verwendung von Aetzlauge und Schwefelsäure bei
den nicht sofort tödlich wdrkenden Verätzungen zu zeigen, die
uns im Hinblick auf danach zu stände kommende Oesophagus-
strikturen besonders interessieren.
Es fragt sich nun noch, ob nicht bei Helen Vergiftungen mit
starken Säuren, besonders mit Schwefelsäure, namentlich bei Selbst-
morden, diese Substanzen so rasch tödlich wirkten, dass solche
Individuen vor ihrem Tode gar nicht mehr in eine Krankenabtei-
lung gebracht wurden. Ich habe deshalb die in den 10 Jahren
1877 — 1886 im Institut für gerichtliche Medizin in Wien vorgekom-
menen Obduktionen bei frischen Verätzungen und bei Strikturen
durch Verätzung mit gütiger Erlaubnis des Vorstandes desselben
Herrn Hof rat E. von Hof mann zusammengestellt.
Es zeigt sich hiebei, dass unter 52 frischen Verätzungen, die
28 männliche, 24 weibliche Individuen, 21 Erwachsene, 28 Kinder
(davon 23 unter zwei Jahren) betrafen, 30 durch Aetzlauge, 15 durch
Schwefelsäure, 2 durch Salzsäure veranlasst waren. In den übrigen
Fällen war Karbolsäure, Scheidewasser, Es.sigessenz, Ammoniak je
einmal vertreten; in einem Fall war die ätzende Substanz un-
bekannt.
126
Dr. Y. Ritter von Hacker.
Unter 13 zur Sektion gekommenen Strikturen nach Verätzung,
die 10 männliche, 3 weibliche Individuen betrafen, waren 10 durch
Aetzlauge, je eine durch Salzsäure und Arnica bedingt, in einem
Fall war die Substanz unbekannt.
Auch bei den Verätzungen, welche rasch zum Tode führten,
hatten die durch Aetzlauge das Uebergewicht, wohl hauptsächhch
durch die zahlreichen zufälligen Vergiftungen mit derselben, die
bei kleinen Kindern vorkamen.
Da uns bei alleiniger Beachtung der in den Krankenhäusern
behandelten Verätzungen, welche die nicht letal endenden oder
die nicht im weitern Verlauf letal endenden Fälle betreffen, die
sehr rasch zum Tode führenden derartigen Vergiftungen zum Teil
entgehen würden , über welche die Sektionen des gerichtlichen
Institutes Aufschluss geben, habe ich hier beide Kategorien neben-
einandergestellt.
Ich glaube aus dem Vergleiche der beiden Zusammenstellungen
den Schluss ziehen zu dürfen, dass nicht nur bei den zufälligen,
sondern auch bei den absichtlichen Vergiftungen diejenigen durch
Aetzlauge weitaus überwiegen, dagegen dürften wegen der viel
energischeren Wirkung der Schwefelsäure wohl fast ebensoUele
gelungene Selbstmorde durch diese als durch Aetzlauge zur Beob-
achtung kommen.
In den später folgenden Berechnungen werden hauptsächlich
die unendlich viel grösseren Zahlen der in einem Dezennium in
den drei grössten Krankenhäusern Wiens behandelten Verätzungen
berücksichtigt werden, da die in dem Institute für gerichtliche
Medizin vorgenommenen Obduktionen sich auch auf in den Kranken-
häusern Verstorbene beziehen.
Es ist interessant, in Bezug auf das Vorkommen von Ver-
ätzungen eine andere Gressstadt, z. B. Berlin, mit Wien zu ver-
gleichen. In Berlin war früher zmschen Schwefelsäure und
Lauge fast das umgekehrte Verhältnis wie in Wien. So sind
dort nach A. Besser^) in den Jahren 1876 — 1878 etwa 432 wohl-
konstatierte Vergiftungen vorgekommen, davon sind etwa 32
(134) durch Aetzgifte veranlasst worden, und 85 % (U'i) von diesen
Letzteren durch Säuren. In 78 von diesen Fällen wurde Schwefel-
säure verwendet, nur in 8 Fällen Natronlauge.
In neuerer Zeit ist in Berlin die Schwefelsäure, die früher
als Selbstmordmittel den ersten Platz einnahm, zum Teil durch
*) Yirchows Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie u. klin.
Medicin. 83. Band, p. 193.
Verützungen des Oesophagus.
127
Cyankalium und Blausäure, anderseits durch die Oxalsäure und
das Oxalsäure Kali (Kleesalz) verdrängt worden, so dass unter den
in den Jahren 1878 — 1882 dem Institut für Staatsarzneikunde
zugeführten Intoxikationen (in Summe 431) auf 24 durch Schwefel-
säure und 3 durch Natronlauge, 74 durch Cyankalium und 39 dm’ch
Oxalsäure erzeugte kamen.
Um über die in Wien vor kommenden ^"erätzungen genauere
Daten anführen zu können, habe ich im folgenden aus den Jahres-
berichten der drei grössten Wiener Krankenhäuser (des allge-
meinen, des Krankenhauses »Wieden« und der »Rudolfsstiftung«)
die im Verlaufe von 10 Jahren behandelten absichtlichen und zu-
fälligen Vergiftungen mit ätzenden Substanzen zusammengestellt:
Vergiftungen niit ätzenden Substanzen
1876 bis 1885 incl.
Summe
Mann
M^eib
Summe
1
Mann
1
1
Weib
Allg. Krankenhaus
292
111
181
1t. I 94
35
59
Wiedner »
113
38
75
( Davon |
12
24
Rudolfstiftung
72
29
43
gestorben j
7
9
Gesamtsumme
477
178
1 299
» 146
1 54
92
Mortalität für d i e V e r g i f t u n g e n m i t ä t z e n d e n S u b-
stanzen = 30,6 °/o.
Unter diesen Vergiftungen waren entstanden durch Trinken von
Laugene
s s ei
QZ
Sc
hwefelsäu
re
Im allg. Krankenhaus :
189
davon
gest.
48
62
davon gest.
36
Wiedner » :
86
»
»
27
16
» »
7
Rudolfsstiftung ;
58
»
»
13
6
» »
3
In den 3 Krankenhäus. :
333
»
»
88
84
» »
46
Die Mortalität für die Vergiftungen mit Lauge
und Schwefelsäure zusammen berechnet betrug 31,8%,
für Lauge 26,4%, für Schwefelsäure dagegen 54,7%.
Unter diesen Vergiftungen waren Selbstmord-
versuche:
Summe
Mann
\Yeib
Summe
]\Iann
Weib
im allg. Krankenhaus 241
» Krh. Wieden 108
» » Rudolfsstiftg. 47
83
36
18
158
72
29
Davon
gestorben
86
*35
13
30
12
7
56
23
6
In den 3 Krankenh. 396 1 137
259 '
1
»
134 1 49
85
128
IJr. V. Kitter von Hacker.
Mortalität für die Selbstmordversuche im ganzen
33,8 Mortalität für die Selbstmordversuche der
Männer 35,7667o, der Weiber 32,8187o- Von den (396) Selbst-
mordversuchen mit ätzenden Substanzen wurden die
meisten (3o5, also circa 39,7 7o) Lauge oder Schwefelsäure
ausgeführt; mehr als doppelt so oft handelte es sich hiebei um
Weiber (245) als um Männer (110).
Am häufigsten (274 Fälle [73 Männer, 201 Weiber] = 69,2 7o)
wurde hiezu von beiden Geschlechtern von allen Aetzmitteln
die Lauge verwendet, danach am häufigsten die Schwefelsäure
(81 Fälle [37 Männer, 44 Weiber] = 20,45 7o)-
In den Wiener Krankenhäusern kamen danach
Selbstmordversuche mit Lauge mehr als dreimal so
häufig in Behandlung, als solche mit Schwefelsäure.
Man kann daraus aber nicht den Schluss ziehen, dass die Selbst-
mordversuche in demselben Verhältnis häufiger mit Lauge aus-
geführt werden, da hier nur die Zahlen aus der Krankenbeobach-
tung genommen wurden, nach dem Genüsse der viel rascher töd-
lichen Schwefelsäure aber viele Selbstmordversuche so schnell
zum Tode geführt haben konnten, dass diese Individuen nicht
mehr in Spitalsbehandlung kamen.
Die beiden Substanzen sind leicht zu haben, Aetzlauge wird
als Natronlauge von bestimmter Konzentration unter dem Namen
Laugenessenz auch im Kleinhandel verkauft, Schwefelsäure wird
zum Reinigen metallischer Gegenstände verwendet und auch in
verschiedenen Gewerben benützt.
Bei den absichtlichen Vergiftungen mit Aetzmitteln, welche
in den Krankenhäusern behandelt wurden, war die Lauge von
den Weibern in 77,6 7o (iii 259 Fällen 201mal), die Schwefelsäure
in 16,99 7o (in 259 Fällen 44mal) benützt worden, während die
Männer die Lauge in 53,20 7o (in 137 Fällen 73mal), die Schwefel-
säure in 27,01 7o (unter 137 Fällen 37mal, verwendeten.
Von anderen Aetzstoffen wurden zu Selbstmordzwecken ge-
nommen, nach der Häufigkeit ihrer Verwendung geordnet: Salz-
säure, Salpetersäure, Ammoniak, Scheidewasser, KupferHtriol,
Sublimat, Eisenvitriol, Karbolsäure, Höllenstein, Essigsäure.
Was die beiden Geschlechter betrifft, so kann man sagen,
dass die Selbstmordversuche, welche die Männer mit Lauge oder
Schwefelsäure unternahmen, energischer ausgeführt worden sein
dürften, da bei ihnen die Mortalität danach eine grössere war
(35,7 7o) bei den Selbstmordversuchen der Weiber (32,8 7o)-
Verätzungen des Oesophagus.
129
Unter den Vergiftungen mit Aetzmitteln waren zu-
fällige:
Summe
Mann
Weib
Summe
]\Iann
Weib
im allg. Krankenhaus 51
28
23
1
8
5
3
„ Krh. Wieden 5
2
3
[ Davon
1
0
1
„ „ Rudolf sstiftg. 25
11
14
1 gestorben
3
0
3
In den3Krankenhäus. 81
41
40
n
12
5
7
Mortalität für die zufälligen Vergiftungen = 14,8%
im ganzen, bei den Männern 12,195%, bei den Weibern 17,5%.
Auch unter den zufälligen Vergiftungen mit Aetzmitteln, die
fast gleich oft Männer wie Weiber betrafen, waren bei beiden
Geschlechtern die meisten (59 von 81 = 72,8 7o) durch Lauge
veranlasst. Bei den Weibern handelte es sich hier fast nur um Ver-
giftungen mit der zum Waschen verwendeten und aus Versehen
statt einer anderen Flüssigkeit getrunkenen Laugenessenz (in 34 von
40 Fällen = 85 %), aber auch bei Männern kam diese zufällige
Vergiftung häufig vor (in 25 von 40 Fällen = 60,9 7o)- Zufällige
Vergiftungen mit Schwefelsäure kamen nur sehr wenige vor —
wohl deshalb, da diese Säure sofort auf der Zunge und den Lippen
heftig brennt — unter 81 nur 3 (2 Männer und 1 Weib), etwa
so viele wie mit Arsen und Karbolsäure. Häufiger wurde noch
Ammoniak aus Versehen getrunken, noch seltener Scheidewasser,
Salzsäure, Sublimat, Chromsäure etc.
Dass bei den zufälligen Vergiftungen die Mortalität bei den
Weibern eine grössere war (17,5%) als bei den Männern (12,1%)5
mag zum Teil auf die grössere Vulnerabilität der ersteren zu be-
ziehen sein, zum Teil wohl auch darauf, dass bei Weibern \fielleicht
häufiger Verwechselungen mit Wasser, bei Männern mit Schnaps
Vorkommen, von den erstem daher mehr verschluckt wurde.
Was die Mortalität betrifft, so kann man nach der ge-
gebenen Zusammenstellung bezüglich der beiden Hauptkategorien,
der Vergiftungen mit Lauge und Schwefelsäure, sagen, dass
etwa ein Drittel der in die Krankenhäuser gebrachten
derartig Verletzten an den direkten Folgen der Ver-
giftung stirbt. Dass die Vergiftungen mit der viel energischer
wirkenden Schwefelsäure etwa doppelt so oft zum Tode führen
als die mit Lauge, ist leicht begreiflich, ebenso dass die Selbst-
mordversuche, bei welchen in der Regel viel grössere Mengen ge-
trunken werden, mehr als die doppelte Sterblichkeit aufweisen,
wie die zufälligen Vergiftungen.
9
130
Dr. V. Ritter von Hacker.
Bei den B^'ällen, in denen es zu Oesopliagusstrikturen kommt,
handelt es sich begreiflicherweise viel häufiger um die weniger ge-
fährliche Vergiftung mit Lauge.
Verätzungsstrikturen des Oeso])hagus in den Jahren
1876 — 1885 incl.
durch
durch
Schwefel-
säure.
durch
Lauge.
Salzsäure.
allgem. Krankenh. .
97
davon
83
13
1
Krankenh. Wieden .
18
5?
18
0
0
,, Rudolfstiftg.
33
n
27
0
1
In den3Krankenhäus. 148
davon
00
CU
13
2
Von den im obigen Dezennium beobachteten Strikturen durch
Verätzung waren demnach ca. 86,5 ®/o durch Lauge bedingt, ca.
8,78 ®/o durch Schwefelsäure. Auf den Jahresdurchschnitt von
ca. 21,337 Krankenaufnahmen kamen im allgemeinen Krankenhause
29,2 Vergiftungen mit ätzenden Substanzen, (also auf 10,000 etwa
13) und 9,7 (die Zahl schwankte zwischen 5 — 12 in den einzelnen
Jahren) Verätzungsstrikturen des Oesophagus (also auf 10,000
etwa 4,5).
Da Keller^) für die Zeit von 1857 — 1860 für eine Kranken-
zahl von ca. 10,000 jährlich zwei bis vier Verengerungen der
Speiseröhre (aus verschiedenen Ursachen) berechnete, so hätte dem-
nach die Zahl der Verätzungen und der durch dieselben erzeugten
Strikturen seitdem in Wien noch bedeutend zugenommen. Was
die Wahrscheinlichkeit betrifft, dass die Kranken, welche nicht an
der Vergiftung durch Aetzmittel zu Grunde gehen, an Strikturen
erkranken, so ist dieselbe ziemlich gross. Es zeigt sich dies in
dem Verhältnis der Zahlen der in 10 Jahren in den drei grössten
Wiener Krankenhäusern vorgekommenen Vergiftungen mit Lauge
und Schwefelsäure, als den zwei wichtigsten derartiger Substanzen
einerseits, sowie der in einem gleich grossen Zeitraum in diesen
Krankenhäusern zur Aufnahme gekommenen Strikturen nach dem
Genüsse dieser beiden Stoffe, anderseits. Wenn es gestattet ist, aus
diesen Zahlen einen Prozentsatz zu berechnen, so würde sich für
die Vergiftungen mit Lauge, wo die unmittelbare Mortalität 26,4 "/o
betrug, ergeben, dass von den Ueberlebenden etwa 52,19 °/o schwere
Oesophagusstrikturen bekommen und etwa 47,75 ^1^ leichte Strik-
turen, wegen welcher sie ambulant behandelt werden konnten oder
*) Oest. Zeitschr. f. prakt. Heilkunde 1862, Nr. 45 — 47.
Verätzungen durch Oesophagus.
131
gar keine, für die Vergiftungen mit Schwefelsäure, bei welcher die
unmittelbare Mortalität 54,7 betrug, dass von den Ueberlebenden
etwa 34,04 schwere Strikturen und etwa 65,03 leichte oder
keine Strikturen davontragen.
Es würden sich diese Verhältnisse dadurch erklären, dass bei
den Vergiftungen mit Lauge eben verhältnismässig mehr mit dem
Leben davon kommen, die grössere Mengen getrunken haben,
während bei den Schwefelsäurevergiftungen nur diejenigen über-
leben, die sehr geringe Quantitäten verschluckt haben ; aber auch
von diesen bekommt noch mehr als ein Drittel schwere Strikturen.
Diese Berechnung ist selbstverständlich nur eine ganz bei-
läufige, da ja nicht alle Jahre gleich viele Vergiftungen Vor-
kommen, Kranke, die nach Vergiftungen Strikturen davon-
trugen, auch in kleineren Spitälern Aufnahme finden oder auch
inzwischen Wien verlassen haben konnten , aucli Kranke mit
Strikturen oft im selben Jahre oder in aufeinanderfolgenden Jahren
mehrmals zu demselben oder zu andern Spitälern ihre Zuflucht
nehmen konnten etc. Da aber die Gesamtsummen der zehnjährigen
Aufnahmen der Hauptspitäler verglichen sind und auch andere
Vergleiche auf ähnliche Zahlen führen, dürften die Berechnungs-
fehler keine allzugrossen sein, auch wäre es mit den grössten
Schwierigkeiten verbunden, eine grosse Zahl von Fällen, die als
frische Verätzungen beobachtet wurden, auf so viele Jahre hin in
Evidenz zu halten, um daraus die Häufigkeit des Auftretens von
Strikturen zu berechnen. Jedenfalls dürfte der Prozentsatz der
nach Verätzungen berechneten Strikturen kein zu grosser sein. Es
handelt sich in der obigen Statistik fast durchaus um Erwachsene,
in 83 um Selbstmordversuche und in nur 17 um zufällige
Vergiftungen.
Nachdem Keller') bei Kindern nach dem unvorsichtigen Ge-
nuss von Laugenessenz in mehr als einem Drittel der Fälle Ver-
engerungen entstehen sah, so kann man bei Erwachsenen, bei denen
das Gift in den meisten Fällen mit Absicht und daher in grösserer
Menge genommen wird, trotz der grösseren Weite der Speiseröhre,
wohl mindestens auf ein gleich häufiges Auftreten von Strik-
turen rechnen. Nach den obigen Berechnungen würden bei Er-
wachsenen auch in mehr als einem Drittel (in 38,40 ”/o) nach
Laugen Verätzung schwere Strikturen auf treten. Nach Schwefel-
säurevergiftung würden nicht ganz in einem Sechstel der Fälle (in
15,4 "/„) schwere Strikturen auf treten, da hier eben nur beim Ge-
nuss ganz geringer Mengen das Leben erhalten bleibt.
0 1. c.
132
J)r. V. Ritter von Hacker.
Als Beispiel wie schwierig es ist aus einer verhältnismässig
kleinen Zahl einen Einblick in die unmittelbare Mortalität nach
Verätzungen oder über die Zahl der danach entstehenden Ver-
engerungen zu gewinnen, führe ich folgendes an.
In Ziemssens Handbuch der Intoxicationen werden 18 Fälle
von teils absichtlichen, teils unabsiclitlichen Vergiftungen durch
ätzende und kohlensaure Alkalien erwähnt, welche zehnmal von
Strikturen gefolgt waren, in deren Gefolge es zum Tode durch
Inanition kam, in fünf Fällen erfolgte der Tod gleich nach der
Vergiftung. Die unmittelbare Mortalität steht ganz in Ueberein-
stimmung mit der aus unserer Statistik abgeleiteten, der Prozent-
satz der tödlich verlaufenen Strikturen erscheint aber sehr gross,
umsomehr auch absichtliche Vergiftungen darunter sind. Es
scheint sich hier um besonders schwere Fälle gehandelt zu
haben.
Im Gegensatz dazu kenne ich eine aufeinanderfolgende Reihe
von elf frischen Vergiftungen, alle durch Lauge, welche ich der
mir gütigst gestatteten Einsicht in die diesbezüglichen Kranken-
geschichten der Klinik Nothnagel (vom Jahre 1885 und 1886)
verdanke, mit nur einem Todesfall in unmittelbarer Folge der. Ver-
giftung selbst, obwohl es sich darunter achtmal um Selbstmord-
versuche handelte.
Prognose der Verätzungsstrikturen.
Von den Kranken , welche die unmittelbaren Folgen der
Vergiftung überstanden haben, aber doch so viel von dem Aetz-
mittel getrunken haben, dass sie namhaftere Strikturen davon-
trugen, sterben noch viele an den Folgen dieses Leidens, mitunter
erst nach Jahren und meist unter qualvollen Schmerzen.
Auf die grosse Mortalität dieser Oesophagusstrikturen weist
schon die Erfahrung hin, die wohl jeder Chirurg bestätigen wird,
der durch viele Jahre die Fälle eines Ambulatoriums und der zu-
gehörigen stationären Abteilung verfolgt hat, nämlich, dass die
meisten dieser Strikturen relativ frische sind, wo seit der Verätzung
Monate oder höchstens einige Jahre vergangen sind, während nur
höchst selten Fälle nach mehrere oder viele Jahre vorausgegangenen
Vergiftungen zur Behandlung kommen. Unter den 100 Fällen,
welche ich in meiner Arbeit : über die nach Verätzungen ent-
stehenden Speis er Öhren Verengerungen^) zusammenstellte, war
in 72 die Zeit, die seit der Verätzung vergangen war, angegeben,
0 Wien bei Alfred Holder 1889.
Verätzungen des Oesophagus.
133
Darunter war 47mal weniger als ein Jahr (meist nur einige Monate)
25mal ein Jahr und mehr vergangen, und zwar
1 — 3 Jahre 12mal
4-6 3 „
7-9 „ 2 „
10-12 „ 2 „
13—15 „ 2 „
mehrere? „ 4 „
Nur in einem Falle (38jähr. Mann) heisst es, dass die ^^er-
ätzung aus der Kindheit stammt.
Auch unter den an der stationären Abteilung der Klinik Bill-
roth 1877 — 86 grösstenteils von mir selbst beobachteten 18 Fällen
handelte es sich meist um frischere, vor Monaten oder 1 — 1 72 Jahren
acquirierte Strikturen, nur in 7 Fällen war längere Zeit {272, 4, 6,
10 Jahre) seit der Verätzung vergangen.
Bei den zwei am längsten bestehenden Strikturen war die
Ursache der Aufnahme der Kranken nicht die Striktur als solche,
sondern das Steckenbleiben von Fremdkörpern in derselben. Nur
zwei Fälle sind mir bekannt, in denen Kranke durch 10 Jahre
hindurch von Zeit zu Zeit das Ambulatorium der Klinik zur Vor-
nahme einer Dilatation der Verengerung aufsuchten.
Interessant und in Uebereinstimmung mit der Thatsache, dass
die auf lange Strecken ausgedehnten Strikturen die ungünstigste
Prognose bieten, steht es, dass in den oben erwähnten 25 Fällen
der Tabelle, in denen die Erscheinungen erst nach einem Jahre
und nach mehreren den höchsten Grad erreichten, es sich fast
durchaus um solche mit kurzen ein- und mehrsitzigen Verengerungen
handelte (21 mal) und nur 4 mal um auf lange Strecken ausgedehnte.
Dasselbe gilt auch von den vier aus der Klinik Billroth angeführten
Fällen älterer Verätzung. Hochgradige auf weite Strecken aus-
gedehnte Verengerungen führen eben meist früh durch die Folgen
derselben zum Tode.
Aus dem Umstande, dass Kranke oft erst nach Jahren in
Spitalsbehandlung kommen, ersehen wir, dass auch nach verhältnis-
mässig nicht hochgradiger Verätzung Strikturen entstehen und
dass, wie wir auch an einzelnen durch Jahre hindurch beobachteten
klinischen Fällen sehen. Kranke mit Verätzungsstrikturen immer
wieder Recidive bekommen, wenn die Strikturen nicht regelmässig
durch Einführung von Bougies etc. dilatiert werden und dass in
solchen Fällen mitunter die Erscheinungen erst nach Jahren die
höchste Intensität erreichen. Diese Kranken sind zeitlebens der Gefahr
ausgesetzt an den Folgen der Striktur selbst oder an den Folgen
134
])r. V. Ritter von Hacker.
der notwendigen Behandlung derselben zu Grunde zu gehen. Die
häufigste Todesursache bei den nur mit Bougierung behandelten
ist eine Perforation des Oesophagus, welche entweder durch die
Ulceration der Speiseröhre selbst erfolgt, mitunter veranlasst
durch Steckenbleiben fremder Körper, oder die Perforation ist
unmittelbar durch die Sonde erzeugt oder mittelbar durch for-
cierte Dilatation, Bildung eines falschen Weges etc. bedingt. Der
Perforation folgt je nach der Richtung, in welcher sie erfolgt, eine
Pleuritis und Mediastinitis oder eine purulente Bronchitis, Lungen-
gangrän etc.
In meiner Tabelle von 100 Fällen mit einer Mortalität von 47
sind 25 Todesfälle bei Kranken, welche nur durch Bougierung be-
handelt wurden. In 20 Fällen davon ist die Todesursache an-
gegeben, 10 mal lautet sie auf Perforation (davon zwei durch Fremd-
körper, sechs durch Bougies), 5 mal sind solche entzündliche Pro-
zesse angeführt (Mediastinitis, Pleuritis, lobulare Pneumonie, Lungen-
gangrän), welche gleichfalls auf Perforation schliessen lassen. Auch
bei den nach operativen Eingriffen Verstorbenen ist die Perforation
des Oesophagus, namentlich nach der Oesophagotomie (interna,
externa und combinata) eine häufige Todesursache. Unter den
hieher gehörigen 22 Todesfällen meiner Tabelle sind 13 nach der
Gastrotomie, 9 nach Oesophagotomie eingetreten. Nach der Gastro-
tomie sind 7 an Peritonitis, 2 an Inanition und 4 durch Lungen-
prozesse gestorben, welche auf eine Perforation schliessen lassen
(Pleuritis, Bronchitis putrida, Pneumonie). Nach Oesophagotomien
(Oes. interna) sind 2 an Peritonitis, 1 durch V erblutung, 6 durch
auf Perforation deutende Prozesse (Perioesophagitis, Mediastinitis,
Pleuritis) gestorben.
Bei 34 im pathologisch-anatomischen Institute in Wien in
den Jahren 1877 — 1886 obducierten Fällen von Verätzungsstrikturen
war zehnmal die Todesursache Perforation durch Sondierung, sechs-
mal Mediastinitis nach Perforation durch Ulceration. In den an-
dern Fällen erfolgte der Tod entweder im Anschluss an operative
Eingriffe oder durch Marasmus, Inanition oder Lungentuberkulose.
Um eine beiläufige Mortalität für die Verätzungsstrikturen
festzustellen, möchte ich einzelne Beobachtungsreihen verscliiedener
Autoren vergleichen.
In meiner Tabelle von 100 Fällen sind 47 an den Folgen
der Striktur verstorbene enthalten. Diese Zahl dürfte wohl etwas
zu hoch sein. Da ich bei der Zusammenstellung das Hauptgewicht
auf jene Fälle legte, wo genauere Angaben über den Sitz und die
Beschaffenheit der Verengerung gemacht waren, oder genaue
Verätzungen des Oesophagus.
135
Sektionsbefiinde Vorlagen, enthält dieselbe begreiflicherweise beson-
ders viele schwere und deshalb auch operativ behandelte Strikturen.
A. Keller *) hat über 35 Fälle berichtet, wovon an den Folgen
der Striktur 4 starben (Mortalität = ll,42°/o) da diese Statistik nur
Kinder betrifft, bei denen die Verletzung durchaus eine zufälhge
war, so ist die durchschnittliche Mortalität für die Verätzungs-
strikturen ohne Auswahl von Alterskategorien und ohne Trennung
der zufällig und der nach Selbstmordversuchen entstandenen jeden-
falls eine grössere; sie dürfte also zwischen 11,42% und 47% liegen.
Billroth berichtet in dem Gesamtberichte über die chirur-
gischen Kliniken in Zürich und Wien 1860 — 76 über 15 Oeso-
phagusstrikturen durch Lauge oder Schwefelsäure, welche nur
durch Bougierung behandelt wurden, von denen 2 gestorben sind
(Mort. = 13,33%). Aus den Jahren 1877 — 1886 habe ich aus der
Klinik Billroth 18 Fälle (7 Männer, 11 Weiber) von Verätzungs-
strikturen zusammenstellen können, von denen 7 gestorben sind
(Mort. = 38,88%), 4 nach Operationen. 9 mal wurden wegen der
Striktur operative Eingriffe ausgeführt (2 mal Gastrotomie, 6mal
Oesophagotomie externa — 2 an demselben Individuum — , 1 mal
Oesoph. interna).
Bei einem oberflächlichen Vergleich dieser zwei Reihen könnte
es scheinen, dass die operative Behandlung die Mortalität der
Strikturen ungünstig beeinflussen würde. Dem ist jedoch nicht
so, es handelte sich in der ersten Reihe von 15 Fällen um ver-
hältnismässig leichtere Strikturen, bei denen man mit der Bougie-
rung allein auskam, in der zweiten Reihe, der 18 Fälle, um viele
schwere Fälle, bei denen operativ eingegriffen wurde. Ich will
zum Vergleich eine Reihe von beobachteten Fällen, welche ausser
durch Bougierung nicht operativ behandelt wurden, mit ihrer
Mortalität zusammenstellen. Es befindet sich darunter eine Reihe
von gleichfalls 18 Fällen mit 11 Todesfällen.
Billroth berichtete (s. o.) über 15 Fälle, wovon an den Folgen der
Striktur 2 starben,
Günther ■') „ „ „ 16 „ „ 6
Wolzendorf^),, „ „ 18 „ „ 11
Hacker „ „ „ 12 „ „ 9
(Fülle meiner Tabelle die in den oben
eitierten Statistiken nicht enthalten sind.')
Summe 91 ,, ,, 31 ,,
') loco. c.
Im ganzen waren in dem Zeiträume 21 in Behandlung. In 3 Fällen, von
denen einer starb, war die Verätzung noch zu frisch, so dass noch keine eigent-
liche Striktur vorlag, weshalb diese nicht mitgezählt wurden.
Lehre von den blutigen Operationen am Halse. Leipzig-Heidelberg 1864.
Deutsche militärärztl. Zeitschr. 1890, p. 477.
136
I)r. V. Ritter von Hacker.
Es würde sich daraus für die nicht operierten Fälle eine
Mortalität von 39,43 ergeben.
Vergleiche ich nun noch in meiner Tabelle von 100 Fällen,
welche, wie erwähnt, besonders viele schwere und tödlich ver-
laufene Fälle enthält, die Zahl der wegen der Striktur mittels
Oesophagotomien oder mittels Gastrotomie operierten mit den
nur durch Bougierung behandelten bezüglich der Sterblichkeit, so
zeigt sich, dass •
von 55 operierten 33 geheilt oder gebessert wurden und
22 gestorben sind. Mortalit. = 407o
und von 45 nicht operierten 20 geheilt oder gebessert
wurden und 25 gestorben sind. Mortalit. = 55,557o-
Durch operative Eingriffe kann sicher noch eine Reihe von
Fällen gerettet werden, welche ohne solche sterben würden. Aller-
dings sind bei diesem Leiden die ‘ Erfolge von Operationen mit
den Resultaten, die wir sonst bei Operationen heutzutage zu er-
reichen gewohnt sind, nicht zu vergleichen, da vor durch die
Operation die zu erweiternde Striktur zwar zugänglicher machen,
die Dilatation derselben selbst aber doch ohne Kontrolle des Auges
ausführen müssen.
Obwohl ich nicht beabsichtige, auf die operative Therapie der
Strikturen hier näher einzugehen, möchte ich doch erwähnen, dass
man meiner schon anderwärts *) ausgesprochenen Meinung nach
bei schweren Strikturen sich mit Unrecht viel leichter zur Oeso-
phagotomie und darauf folgenden forcierten Dilatation der darunter
gelegenen Strikturen entschliesst, statt zur Gastrotomie. Nach der
Gastrotomie, die kunstgerecht ausgeführt eine ungefährhche
Operation darstellt, ist man in der Regel im stände, wenn
das nicht schon während der Operation möglich war, später
vom Munde aus eine dünne Darmsaite durch die Striktur durch-
zuziehen und an dieser einen Faden aus der Magenfistelöffnung
zu leiten, der liegen bleibt. Mit Hilfe desselben kann man (durch
die von mir vorgeschlagene Sondierung ohne Ende) 7 durch
daran befestigte Bougies oder ausgezogene Drains von steigendem
Kaliber die Striktur allmählich erweitern, ohne den Kranken den
schweren Gefahren auszusetzen, die durch forcierte Dilatation von
oben bedingt werden.
Wenn wir zum Schlüsse zusammenfassen, was die hier mit-
geteilten Daten über die Prognose der Verätzungen der Speiseröhre
V. Hacker. Speiseröhrenverengerungon 1889.
'*) V. Hacker, Wr. inedic. Wochenschr. 188B, Nr. 31 u. 32. Ueber die nach
Verätzungen entstandenen Speiseröhrenverengungen 1889, p. 219.
Verätzungen des Oesophagus.
137
und der nach denselben entstehenden Strikturen ergeben, so folgt
daraus, dass den Kranken, welche ätzende Substanzen, sei es zu-
fällig, sei es in selbstmörderischer Absicht trinken, im allgemeinen
ein trauriges Los beschieden ist. An den direkten Folgen der
Vergiftung stirbt, diese beiden Arten von Vergiftung zu-
sammen betrachtet, mindestens ein Drittel; bei Laugen-
vergiftung ein Viertel, bei Schwefelsäurevergiftung mehr
als die Hälfte. Die Zahlen sind, da sie, wie oben erwähnt, dem
Krankenmateriale entnommen sind, eher noch zu gering bemessen.
Von den die Laugenvergiftung Ueberlebenden be-
kommt mehr als die Hälfte schwere Strikturen, die übrigen
leichtere oder, was gewiss nur sehr selten ist, keine Strikturen.
Nach Schwef elsäurevergiftung bekommt von den
Ueberlebenden mehr als ein Drittel schwere Verengerun-
gen, der Rest entweder leichtere oder keine. Ohne Striktur
kommen hier wohl nur solche davon, welche kaum etwas von dem
Aetzstohe verschluckt haben.
Da von den Kranken, welche Verätzungsstrikturen des
Oesophagus davontrugen, mindestens noch der dritte Teil
den Folgen derselben erliegt, so ist es klar, wie zahlreich die
Opfer sind, welche die Vergiftungen mit ätzenden Substanzen teils
in unmittelbarer, teils in späterer Folge fordern.
Es wäre sehr wünschenswert, wenn das Laienpublikum über
den Umfang der Gefahren, welche Vergiftungen mit Aetzstoö'en,
selbst mit der weniger energisch wirkenden Laugenessenz, wie sie
im Kleinhandel verkauft wird, nach sich ziehen, mehr aufgeklärt
würde, und wenn die Laugenessenz, die zu Waschzwecken ver-
kauft wird, nur in eigenen Flaschen verabreicht würde, auf denen
der Inhalt deutlich kennbar als Gift bezeichnet wäre.
Auch das ist im Volke nicht bekannt, wie ungeeignet die
Aetzstoffe und darunter ganz besonders die mit Vorliebe vor-
wendete Laugenessenz als Mittel zum Selbstmorde sind. Der Tod
tritt, selbst wenn dieselben in grosserer Menge genommen werden,
nicht sofort ein und in der Regel unter grässlichen Schmerzen.
Sehr oft töten diese Substanzen durch die Folgen der Verätzung
erst zu einer Zeit (nach Monaten und Jahren), wo die Veranlassung
zum Selbstmorde gewöhnlich längst vorüber ist, häufiger führen sie
nicht den Tod, aber ein zeitlel)ens dauerndes schweres Leiden herbei.
Oolica processus vermiformis (Breuer)
von Dr. Arth. F. v. Hochstetter (Wr. Neustadt).
(Mit einem Vorwort von R. Gersuny.)
V o r w 0 r t.
Der Titel der vorliegenden Mitteilung bezeichnet eine Affektion
welche zwar der Perityphlitis sehr nahe steht, jedoch mit Recht
gesondert betrachtet werden sollte, weil sie, ich möchte sagen,
ein abortives Vorstadium dieser Krankheit ist, das trotz häufiger
Wiederholung der Anfälle nicht zur Entstehung einer Perityphhtis
zu führen braucht. Die Kenntnis des Krankheitsbildes verdanke
ich mündlichen Mitteilungen des Herrn Dr. Josef Breuer in Wien
und ich war dadurch in den Stand gesetzt, den Fall, welcher den
Gegenstand vorliegender Arbeit bildet, richtig zu beurteilen und
durch entsprechendes Eingreifen zu heilen.
Auf meine Bitte schrieb Herr Dr. Breuer seine Anschauungen
über diesen Gegenstand nieder und versetzte mich dadurch in die
angenehme Lage, hier seine eigenen Worte anzuführen :
»Man beobachtet häufig Fälle von recidivierender Para- und
Perithyphlitis, bei denen die Entzündungserscheinungen in grösseren
oder kleineren Intervallen oft mit auffallender Periodicität sich
wiederholen. Sicher beruhen solche Recidiven häufig darauf, dass
einmal ein paratyphlitischer Abscess bestanden, in den Darm sich
entleert hatte und dann die Abscesshöhle sich wieder periodisch
füllt und entleert. In anderen Fällen aber kann man nach Be-
obachtung des ersten Anfalles sagen, dass ein paratyphlitischer
Abscess überhaupt nie bestanden hat. Die Entzündungserscheinungen
treten in jedem Anfall bald wieder zurück, die Schwellung und
Härte des Coecums schwindet bald, nach einigen Tagen, um sich
nach einiger Zeit wieder in einem Anfall einzustellen. Man sup-
poniert als Ursache für dieses Verhalten gemeiniglich Koprostasen.
Es giebt aber Kranke, bei denen auch diese Ursache völlig aus-
Colica processus vermiformis.
139
geschlossen werden kann. In solchen Fällen tritt der Anfall ein
unter den Erscheinungen einer heftigen Kolik, vor allem im Coecum
ablaufend, mit starkem Collaps , Erbrechen. Kommt man zum
Beginn der Attaque, so überzeugt man sich leicht, dass es sich
zunächst wirklich um eine Art Kolik handelt, und dass erst nach Ab-
lauf einiger Zeit die Entzündungserscheinungen hinzutreten : Druck-
empfindlichkeit, vermehrte Resistenz der Coecalgegend, Fieber, die
sich nach einiger Zeit wieder verlieren. Wohl aber kann man bei
diesen Fällen, wenn auch nicht immer, vor und im Beginn des
Anfalls in der Coecalgegend einen resistenten Strang palpieren,
den man vielleicht und mit aller Reserve für den Proc. vermiformis
halten darf.
Ich glaube es ist Prim. Gersuny und mir etlichemale gelungen,
durch Massage dieses Stranges beginnende Anfälle zu coiq)ieren
und dann durch Fortsetzung der Behandlung die Kranken dauernd
zu heilen.
Die Laparatomien haben nicht selten zur Beobachtung von
katarrhalisch afficierten, in der Wand verdickten Darmanhängen
geführt, und hierin möchte ich die Erklärung für die oben skiz-
zierten Anfälle suchen.
Chronischer Katarrh des Processus, mit oder ohne Fremd-
körper, mit oder ohne tiefgreifende Ulceration der Wand, wird
syraptomlos bestehen können, solange die Mündung des Processus-
lumens ins Coecum nicht verengt oder verlegt ist. Geschieht das,
so führt die Dehnung durch das gestaute Sekret zu krampfhaften
Anstrengungen, es durch Kontraktion zu entleeren. Diese haben
am Processus denselben Typus, wie die Entleerungsarbeit aller
Hohlorgane ihn zeigt, der Blase wie des Darms, des Uterus wie
des Nierenbeckens oder der Gallenblase: die Kolik mit ihren
Begleiterscheinungen. Bei der Gallenblase sieht man nun oft an
die Gallensteinkolik eine Periliepatitis anschliessen, wohl dadurch
hervorgebracht , dass der intensive Druck , unter den der Inhalt
gesetzt wird, etwas davon durch die nicht ganz intakte Wand
der Blase durchpresst und dieser grossenteils nicht indifferente
Inhalt der erkrankten Gallenblase das Peritoneum in Entzündung
versetzt. Manche sonst gesunde Individuen können überhaupt
keine heftige Darmkolik haben , ohne dass mässige peritonitische
Reizung folgt. Ebenso und aus denselben Gründen schliesst sich
die Perityphlitis an die krami^fhafte Entleerung des Processus-
inhaltes.
Ich möchte nun vorschlagen, für diesen nicht seltenen Vor-
gang den Namen Colica processus vermiformis einzuführen;
140
Arthur F. v. Hochstetter.
zwar a potiori fit denominatio. Die Perityplilitis muss aber in
diesen Fällen nicht nachf eigen, bleibt meist massig, während das
Wesen der Erkrankung in der Inhaltsretention des Processus und
der Kolik desselben zu bestehen scheint. J. Breuer.«
Die nachstehende Beobachtung stellt einen besonders schweren
Fall der Colica proc. vermif. dar und ist durch den anatomischen
Befund sowie durch die exakte Wirkung der Operation belehrend.
Ein zweiter Fall , den ich in diesem Jahre im Rudolfinerhause operierte,
bot die gleichen Symptome und den gleichen Befund am Proc. vermif. dar, auch
schwanden nach der Operation die vom Proc. vermif. abhängigen Symptome,
jedoch war dies keine reine Beobachtung, denn es bestand überdies noch Blasen-
tenesmus, intermittierende Pyurie und eine kleine Üvarialgeschwulst. Bei der
Operation wurde das Ovarium entfernt, eine feste Verwachsung der Blase nach
rechts mit dem schwielig verdickten Zellgewebe des Beckens gelöst und der ver-
dickte, harte Proc. vermif., in dessen unmittelbarer Umgebung keine Entzün-
dungsprodukte gefunden wurden, exstirpiert. Die Untersuchung des Proc. vermif.
ergab : Bindegewebige Verdickung mit kleinzelliger Infiltration der Wand, sehr
gewulstete Schleimhaut, Lumen überall gleich, ohne Inhalt.
Nach der Operation schwand der Schmerz in der Coecalgegend , sowie
die Druckempfindlichkeit, auch der Blasentenesmus war geheilt, die intermittierende
Pyurie blieb und es ergab sich späterhin als Ursache derselben eine rechtseitige
Pyonephrose, welche jedoch sonst keine Beschwerden machte, so dass die Patientin
sich rasch erholte und es vorzog, ihre Niereneiteruijg zu l>ehalten.
R. Gersuny.
Frau Cz., 49 Jahre alt, hatte in ihrem 15. Lebensjalire einen
Typhus ohne Komplikationen. Vom 17. bis zu ihrem 20. Lebens-
jahre war sie dreimal krank, uud zwar sollen diese Erkrankungen
Hirnhautentzündungen gewesen sein, doch fehlen darüber genauere
Angaben. Sie verheiratete sich im 23. Lebensjahre. In den fol-
genden 11 Jahren machte sie 8 normale Entbindungen und einen
Abortus im 4. Monate ohne ungewöhnliche Erscheinungen und
ohne Nachkrankheit durch.
Vor 9 Jahren (im November 1880) begann ihr jetziges Leiden
ohne bekannte Ursache mit heftigen kolikartigen Schmerzen in
der rechten Bauchhälfte, die angeblich von Fieber begleitet waren.
Wegen der anhaltenden in ihrer Intensität aber wechselnden
Schmerzen war die Frau durch U/b Jahre von dem erwähnten
Zeitpunkt an nicht im stände, das Bett zu verlassen, und war
auch späterhin nach mehrmonatlichen, schmerzfreien Intervallen
immer wieder genötigt, durch viele Monate das Bett zu hüten.
Im April 89 stellten sich die Schmerzen neuerlich und zwar mit
grösserer Intensität ein, ohne zu weichen, so dass die Frau seither
das Bett nicht mehr verlassen konnte. Der Schmerz war während
Colica processus vermiformis.
141
des ganzen Verlaufs, was seinen Charakter und Ausgangsj)unkt
anbelangt, immer derselbe, d. h. er war immer kolikartig und war ^
am intensivsten in der rechten Unterbauchgegend, Von anderen
Darmerscheinungen bestand nur Meteorismus und Stuhlverstopfung.
Eine in früherer Zeit von einem erfahrenen Gynäcologen vor-
genommene Untersuchung ergab ein sehr kleines subseröses Uterus-
myom, aber mit keinem die schweren Erscheinungen erklärenden
Befund. Als das Wahrscheinlichste wurde eine Tubenerkrankung
' vermutet.
Wegen der Heftigkeit der Krankheitserscheinungen, die jede
Thätigkeit der Patientin unmöglich machten und zum Gebrauch
grosser Chloraldosen geführt hatten, wurde die explorative Lapa-
rotomie vorgeschlagen, in der Hoffnung, man würde die Ursache
des schweren Leidens auffinden und beseitigen können. Die
Kranke ging ohne Besinnen darauf ein und liess sich (im Oktober
1889) in das Rudolfinerhaus aufnehmen.
Eine gleich nach der Aufnahme gemachte Eingiessung in den I
Darm bewirkte ausgiebige Stuhlentleerung und Abnahme des |
Meteorismus.
Die Frau bot das Bild einer Schwerkranken, sie liess nur mit
ängstlicher Miene und unter Schmerzäusserungen einen Lage-
wechsel mit sich vornehmen. Ihr Ernährungszustand war ein
mittelmässiger, das Gesicht blass, die Temperatur niclit erhöht.
Durch die Untersuchung konnte nichts anderes nachgewiesen
werden, als ein meteoristisch aufgetriebenes Abdomen von ausser-
ordentlicher Druckempfindlichkeit, wobei die aus diesem Grunde
nur unvollständig mögliche Palpation leichte Resistenzzunahme in
der rechten Bauchhälfte nachweisen konnte. i=
Das Genitale wurde normal befunden. Harn und Stuhl ^
I zeigte nichts Abnormes, ‘
Am 20. Oktober 1889 wurde zur Laparotomie geschritten. }
Nach Eröffnung der Bauchhöhle in der Linea alba wurden
I zunächst die inneren Genitalien untersucht. Am Uterus fand sich l
ein subseröses, wenig vorragendes Myom etwa von der Grösse einer
! Mandel, im übrigen war der Uterus normal; weder an den Tuben
^ noch an den Ovarien fand sich irgend eine Abnormität, namentlich
i war auch kein Rest eines vorausgegangenen Entzündungsprozesses
I auffindbar. Hierauf wurde der Darm besichtigt und abgetastet.
( Dabei ergab sich zunächst kein abnormer Befund , doch fiel
schliesslich der starr abstehende Processus vermiformis auf, der
) sich als spulrunder, sehr harter, wie solider Körper von 5 cm
Länge und 0,6 cm Dicke präsentierte; abnorme Verwachsungen
i
142
Arth. F. V. llochstetter.
desselben fanden sich nicht vor. Er wurde nach Durchtrennung
seines Mesenteriums in etwa 2 mm Distanz von der Wand des
Coecum abgetragen und sein Stumpf unter Einstülpung der Serosa
exakt vernäht. Die Bauchdecken wurden durch 3 fache Naht ge-
schlossen. Der Heilungsverlauf war ein vollständig reaktionsloser.
Am fünften Tag wurde durch Klysma mit Infus. Sennae ausgiebiger
Stuhlgang erreicht, weiterhin wurde durch kleine Gaben von Karls-
bader Salz jeden zweiten Tag für Stuhl entleerung in ausreichendem
Masse gesorgt. Sobald es die Verhältnisse der Bauch wunde er-
laubten, wurde wegen des noch bestehenden Meteorismus leichte
Bauchmassage angewandt, die nicht nur häufig unmittelbar Stuhl-
gang zur Folge hatte, sondern auch subjektiv der Patientin immer
das Gefühl von Erleichterung brachte. Etwa drei Wochen nach
der Operation stand Pat. auf, lernte bald wieder gehen und hatte
meist spontan wieder regelmässigen Stuhlgang. Die früheren Be-
schwerden waren seit der Operation nie, auch nicht andeutungs-
weise, wiedergekehrt, so dass die gewohnten Chloralgaben gänzlich
weggelassen werden konnten ; auch der Meteorismus verringerte
sich allmählich so, dass die Patientin wenige Tage, nachdem sie
das Bett verlassen hatte, nach Plause zurückkehren konnte. Aus
dem letzten Bericht der Frau (etwa ein .Jahr nach der Operation)
ist zu entnehmen, dass sie vor allem nie mehr unter den früheren
Beschwerden zu leiden hatte, dass sie nach »schwereren Speisen
Verdauungsbeschwerden« bekomme, aber zur Erzielung eines regel-
mässigen Stuhlganges nur selten des Karlsbader Salzes bedürfe.
Der beste Beweis für den Effekt der Operation ist der, dass die
Frau, welche vorher durch lange Zeit sich nicht ohne heftige
Schmerzen bewegen konnte, kurze Zeit nach ihrer Entlassung ihren
an Care, recti erkrankten Mann durch mehrere Monate pflegen
konnte.
Die nähere Untersuchung des exstirpierten Organs ergab (wie
schon der Befund bei der Operation) nicht das Mindeste, was auf
vorhergegangene Entzündung hätte bezogen werden können. Es
konnten weder abnorme Verwachsungen noch Exsudatreste, noch
Narben nachgewiesen werden.
Der exstirpierte Proc. vermiformis stellte nach der Härtung
in Alkohol einen derben, spulrunden Körper von 5 cm Länge
und 0,4 cm Dicke dar. Die Serosa war glatt, die Mucosa wie grob
granuliert und von facettiertem Aussehen. Das im Querschnitt
sternförmige Lumen war so enge, dass nur eine feine Haarsonde
eingeführt werden konnte; in dem feinen, überall gleich weiten
Kanal einige Schleimfäden Inhalt. Die mikroskopische Unter-
Colica processus vermiformis.
143
suchung ergab starke Verdickung der Submucosa und beider Mus-
culares mit Hypertrophie der i'ollikel, (die an der Oberfläche der
Schleimhaut etwas hervorragten und das facettierte Aussehen der-
selben bedingten) und kleinzellige Infiltration in der Muscularis —
also das Bild eines chronischen Katarrhs ohne Verschwärung. Wir
können uns den Fall, der eine interessante Bereicherung der Kasuistik
über die chirurgische Behandlung der chronischen Unterleibskolik
bildet, nicht anders erklären, als dass der durch die habituelle Obstir-
pation unterhaltene leichte Dickdarmkatarrh auf die Mucosa des
Proc. vermif. übergreifend durch Schwellung der letzteren die Ein-
mündung des Appendix verengerte und damit zu energischeren
peristaltischen Bewegungen Anlass gab, die einesteils die Schmerz-
anfälle, andernteils die Hypertrophie der Muskulatur zur Folge
hatten. Die Ki’aft der Muskulatur muss immer zur Ueberwindung
des Widerstandes ausgereicht haben, da es zu einer Dilatation des
Proc. vermif. nicht gekommen war; weiters war die Entzündung
nie an Intensität so weit gekommen, dass sie zu Verschwärungen
geführt hätte und war auch, was Extensität anbelangt, nie so weit
gediehen, dass die Serosa mitbeteiligt gewesen wäre. Es ist daher
der Prozess als chronische, ausserordentlich langsam verlaufende
Entzündung des Proc. vermif. zu bezeichnen und als solche der
wohlbekannten akuten und subakuten Appendicitis an die Seite
zu stellen.
Es war mir nicht möglich in der mir zugänglichen Litteratur
einen Fall beschrieben zu finden, der dem eben geschilderten nur
ähnlich wäre.
Ueber primäre Tuberkulose der
Thränendrüse
von
Dr. Leopold Müller,
Assistenten an Prof. Fuclis’s Augenklinik.
(Mit zwei Holzschnitten.)
Eine vollständige Abhandlung über die in Rede stehende
Erkrankung würde eine Berücksichtigung der Histologie und Topo-
graphie der Thränendrüse , sowie namentlich ihres Verhaltens
anderen Erkrankungen gegenüber erfordern. Doch kann dies nicht
Gegenstand dieses kurzen Aufsatzes sein; ich will \delmehr nur
einige anatomische Angaben vorausschicken, welche unsere Drüse
gegenüber den Speicheldrüsen charakterisieren, denen sie im all-
gemeinen sehr nahe steht.
Gleich der Parotis gehört die Thränendrüse zu den sogenannten
serösen Drüsen und unterscheidet sich von den anderen Speichel-
drüsen' hauptsächlich dadurch, dass sie ein granuliertes Epithel
besitzt. Nach längerer Sekretion erleidet dieses genau wie in der
Parotis gewisse Veränderungen. Es wird viel körniger und viel
trüber, die Zellgrenzen undeutlich. Während in der Thränendrüse
die Epithelzellen sehr hoch, also prismatisch sind, sind in der
Parotis mehr würfelförmige Epithelien vorhanden.
Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass die Lymphom-
bildung, welche in akuter Weise die Parotis befällt, und die wir
als Mumps bezeichnen, ziemlich häufig auch in der Thränendrüse
ihren Sitz aufschlägt. (Fälle von Berlin, Hirschberg, Fuchs etc.)
Mag die Ursache nicht in den übereinstimmenden histologischen
Verhältnissen beider Drüsen gelegen sein?
Die Membrana propria, welche die Alveolen der Thränendrüse
begrenzt, ist mit sternförmigen anastomosierenden Verdickungen
versehen, die eine Art Gerüste darstellen, dessen Maschen von den
Uebcr prinüire Tnberkub^se der Tliränendrüse.
145
dünnen Stellen der Membrana propria ausgefüllt sind (B o 1 1). Zwischen
den Acinis findet sich ein Bindegewebe, welches aus frei gespannten
Fasern besteht, die gerade beim Menschen eine ausserordentliche
Feinheit der Verästlung aufweisen. Die Spalträume zwischen den
Fasern sind als Lymphräume aufzufassen. Sie stehen wohl wie
in den Speicheldrüsen mit Lymphwegen in Zusammenhang, wenn
sie auch (wegen der Klappen in diesen) sich nicht injicieren lassen.
Die Weite dieser Lymphspalten kann als Ursache dafür an-
gesehen werden, dass die Thränendrüse so ungemein selten Sitz
einer tuberkulösen Erkrankung ist. In der Litteratur ') habe ich
nur eine Angabe darüber gefunden.
Auch diese Eigentümlichkeit teilt das in Rede stehende Organ
mit den Speicheldrüsen. Auch sie erkranken so selten an Tuber-
kulose, dass ich in den grössten Sammelwerken über Chirurgie keinen
Fall (abgesehen von Lokalisation miliarer Tuberkulose in den
Drüsen) aufgefunden habe.
Wenn ich zunächst die Beschaffenheit der Lymphspalten
heranziehe, um das seltene Auftreten der Erkrankung zu erklären,
so gehe ich von der Annahme aus, welche sich immer mehr Bahn
bricht, dass wir selbst in oberflächlich liegenden Organen, ja selbst
in der Haut die Tuberkulose nicht als Impftuberkulose aufzufassen
berechtigt sind, vielmehr fast in der Regel die Einwanderung der
Bacillen auf dem Wege der Lymphe (von tuberkulösen Lymph-
drüsen aus?) erfolgt.
Diese Annahme macht es auch überflüssig, auf die Beschaffen-
heit der Thränen (in analoger AVeise auf das Sekret der Speichel-
drüsen) zu rekurrieren, um die Seltenheit unserer Erkrankung zu
erklären. Dass die Lebensenergie der Bacillen durch die Thränen
herabgesetzt werde, ist zwar behauptet worden, scheint mir aber
mit Rücksicht auf die chemische Beschaffenheit derselben (es ist
eine fast reine Lösung von Chlornati’ium) unwahrscheinlich. Für
den Speichel mögen die Verhältnisse anders liegen und es bedürfte
erst einer Reihe von Versuchen, um namentlich die AVirkung des-
Ptyalins in dieser Richtung festzustellen.
Meine eigenen Beobachtungen erstrecken sich auf zwei Fälle,
welche, obwohl sie, wie ich nochmals betone, die einzigen bis
nun beobachteten sind, uns doch gestatten werden, mit Rück-
sicht auf ihre Uebereinstimmimg, das dem Prozesse entsprechende
’) Gonelhi stellte auf «lern Okulistencon<iresse zu ]^eapel iin September 18SS
einen Patienten niit Tuberkulose der Tliränendrüse vor. Ob die Diafrnose durch
bacillenbefund oder Impfuuir oder scdbst nur durch die histolo.irische Ibiter-
sui-huiiü: erhärtet wurde, ist mir nicht bekannt geworden.
10
146
Leopold Müller.
klinische Krankheitsbild zu entwerfen. Icli verdanke beide der
Güte des Herrn Professors Fuchs, und sage ihm an dieser Stelle
meinen besten Dank,
Fall I, Marie P., 14 Jahre alt. Vor 4 Jahren begann die
Erkrankung im rechten Auge,
Status präsens : Die Haut des rechten oberen Lides gerötet,
glatt, glänzend, die äussere Hälfte desselben geschwollen. Die
Konjunktiva aussen oben ungleichmässig höckerig, stark gerötet,
in den Falten zwischen den einzelnen Höckern mehr weisslich.
In der inneren Hälfte des Lides findet sich nur papilläre Hyper-
trophie der Schleimhaut. Die Hornhaut von einem Pannus über-
zogen. Die Lidschwellung ist durch einen harten, nach hinten
sich fortsetzenden Tumor bedingt. Es wird eine Excision der
Geschwulst von der Konjuncti valfläche her vorgenommen.
Die weitere Krankengeschichte ergibt, dass einen Monat
nach der Excision eine Recidivgeschwulst in dem zurückgelassenen
Stücke der Thränendrüse aufgetreten war, die sich recht hart an-
fühlte und deutlich lappigen Bau zeigte. Es wurde eine neuerliche
Operation vorgenommen, doch wurde das exstirpierte Stück nicht
konserviert.
Das zuerst ausgeschnittene Stück ist deutlich aus einzelnen makro-
skopisch sehr gut erkennbaren Läppchen zusammengesetzt. Diese
Läppchen gehören der Thrä-
nendrüse an. Sie zeigen mi-
kroskopisch einerseits nur
sehr geringfügige Verände-
rungen, namentlich sehr
mässig ausgebildete klein-
zellige Infiltration, anderer-
seits sind aber Drüsenläpp-
chen zum Teile oder gänz-
lich durch typisches, tuber-
kulöses Granulationsgewebe
ersetzt , welches dieselben
Inseln bildet, wie es die
x4cini selbst auf dem Quer-
schnitte thun. (Fig. 1, 0.)
Das tuberkulöse Gewebe ist
eben inselweise von einer
Fig. 1. (Reichert Obj. 4, Oc. 2.) a tul)erkulöseö,
b normales Drüsenläppcheii, c ein zum Teil
erkranktes Läppchen.
Kapsel umgeben , welche das nicht inficierte , interacinöse Binde-
gewebe ist. Typisch ist das tuberkulöse Gewebe insoferne, als es alle
Elemente dieser Bildung aufweist, neben sehr zahlreichen Rund-
Ueber primäre Tuberkulose der Thränendrüse.
147
zellen epitheloide Zellen und einzelne Riesenzellen. Letztere in
spärlicher Zahl und in relativ kleiner Ausbildung, 8 — 10 typisch
gestellte Kerne enthaltend. Tuberkelbacillen fand ich in sehr grosser
Zahl in allen Präparaten, wo ich danach suchte. Ueber die Färbung
derselben will ich beim nächsten Fall einige Worte mitteilen.
Andere Schnitte waren notwendig, um namentlich das Ver-
halten der zum Teile mit ausgeschnittenen Konjunctiva zur An-
schauung zu bringen. Es wurden zu diesem Zwecke Schnitte in
verschiedener Richtung und aus verschiedenen Teilen der Geschwulst
gemacht, welche bewiesen, dass die Tuberkulose der Drüse den
primären Prozess darstellt, während die Konjunctiva nur sekundär
und dabei mit Rücksicht auf die Dauer der Krankheit nur ge-
ringfügig verändert erschien. Namentlich zeigte sich nirgends ein
Geschwür der Konjunctiva, vielmehr war das Epithel überall in-
takt. Die Papillen waren allerdings sehr hypertrophiert , so dass
Epithelzapfen da und dort weit in das Gewebe hineinreichten.
Fall II. Anton K. , 40 Jahre alt. Anamnestisch ist nichts
zu erheben. Es ist kein Allgemeinleiden vorausgegangen.
St. pr. Im linken oberen Lid findet sich ganz am äussersten Ende
eine etwa haselnussgrosse, hart anzufühlende Geschwulst, die ziem-
lich tief hegt und deren Zusammen-
hang mit dem Tarsus nicht sicher
zu stellen ist. Die Geschwulst wird
exstirpiert. Wie im ersten Falle er-
gibt sich auch hier aus der weiteren
Krankengeschichte ein Recidiv in
dem zurückgelassenen Drüsengewebe.
Auch hach der Herausnahme erwies
sich die Geschwulst als fast knorpel-
hart.
Die mikroskopische Untersuch-
ung derselben (nach Härtung in
Müller’scher Flüssigkeit) ergibt auf
Schnitten, die durch die Mitte s'ehen,
0 7 ^ ^
folgendes (Fig. 2) : Das Schnittprä- 2. (Reicbert Obj. 5 Oc. a.)
parat stellt eine grosse Zahl von n, a Acini; e epitheloide Zellen:
Querschnitten von Läppchen dar, Nekrose des tuberkul. Gewebes;
welche zum Teile nur aus typischen Riesenzelle; k Drüsenkapsel.
miliaren Tuberkeln, zum Teile aus sogenanntem infiltriertem
tuberkulösem Gewebe bestehen, andererseits aber namentlich in
den dem Rande näher gelegenen Läppchen deutliche Reste von
y Querschnitten von Drüsenacinis darstellen; ja selbst vollständig
148
Leopold Müller.
normale Acini mit wolilerhaltenem Epithel und ebensolcher Mem-
brana propria finden sich, allerdings weit auseinander gedrängt
durch tuberkulöses Gewebe.
Am interessantesten sind wohl jene Querschnitte von Drüsen-
gängen, welche, ohne vollständig zu Grunde gegangen zu sein, von
Rundzellen durchwuchert sind. An denselben sieht man noch
ein deutliches Lumen, dagegen sind in den Epithelzellen (und
hauptsächlich in der Nähe der Kerne derselben) zahlreiche Rund-
zellen, die namentlich auch die Membrana propria vollständig
decken. Selten sind im Lumen selbst, so lange dieses überhaupt zu
erkennen ist, Lymphzellen aufzufinden.
Wie ich schon oben gesagt, finden sich neben infiltrierter
Tuberkulose, die auf weite Stellen hin bereits vollständige oder
teilweise Nekrose zeigt, typische, gefässlose, miliare Tuberkel.
Einzelne davon enthalten 3 — 4 grosse Riesenzellen von einer Schärfe
des Contours und einer Regelmässigkeit der Anordnung der Kerne,
wie ich es nie zu sehen Gelegenheit hatte ^).
Die Drüsenausführungsgänge (dies gilt auch für den früheren
Fall) zeigten fast gar keine pathologische Veränderung. |
Ich fand sowohl in den Riesenzellen als im tuberkulösen j
Gewebe, wenn auch in spärlicher Zahl, Tuberkelbacillen. Dies |
ist um so bedeutsamer, als das Präparat elf Jahre in Müller scher j
Flüssigkeit gelegen hatte. Mit Rücksicht darauf war allerdings die
Färbung eine schwierige. Ich habe Schnitte aus freier Hand
(ohne Celloidin -Einbettung) hiezu benützt und sie mit Krystall- |
violett nach der Methode von Bizzozero gefärbt. i
Um noch einmal das klinische Bild zu fixieren, möchte ich
wiederholen, dass wir in jenen Fällen, wo wir einen sehr harten |
Tumor in der äusseren Hälfte des oberen Lides finden, der in
die Tiefe greift, bei einem Individuum, das eine Disposition zu
Tuberkulose besitzt, an Thränendrüsentuberkulose denken müssen.
Die Härte erklärt sich wohl aus dem Eingeschlossensein der tuber-
kulösen Massen in den vorhandenen bindegewebigen Kapseln
der Acini.
Wenn ich die Therapie mit wenigen Worten berühren darf, ,
möchte ich hervorheben, dass in beiden Fällen ein Recidiv in i
den zurückgebliebenen Teilen der Drüsen aufgetreten ist. Da aber i
die Entfernung der Thränendrüse für die Funktion des Auges fast I
') Einzelne Bilder legen die Vermutung nahe, dass die Riesenzellen aus
Drüsengängen entstanden sind , welchem Umstande sie ^delleicht ihre auffallend
.schöne Entwickelung verdanken.
lieber primäre Tuberkulose der Thränendrüse.
149
vollständig ohne jede üble Folge ist, so scheint es mir ratsam, in
einem ähnlichen Falle gleich die ganze Drüse zu entfernen.
Anmerkung. Die Entfernung der Konjunctiva muss allerdings sehr
sparsam vorgenommen werden , da grössere Defekte in derselben zu Beweglicb-
keitseinscbränkung und anderen Störungen des Auges führen. Ich habe deshalb
in der letzten Zeit in zwei Fällen versucht , und es ist mir dies auch vollständig
gelungen, tuberkulöse Konjunktivitis durch Massage mit 107o Jodoformsalbe (das
Jodoform als Mittel gegen Tuberkulose in Anwendung gebracht zu haben, ist ein
Verdienst Billroths), die in den Konjunctivalsack eingebracht wird, teils zur
Norm zurück zu führen, teils durch dünne, zarte, ganz oberflächliche Narben-
bildung zur Ausheilung zu bringen. Eine Patientin mit Tuberkulose der Kon-
junktiva beider Lider und Uebergangsf alten Avurde in 16 AVochen geheilt, ein
Patient mit Lupus der Konjunctiva der Lider in 9 AVochen. Namentlich bei der
Patientin sieht die Konjunctiva derzeit zum grössten Teile normal, durchaus
nicht narbig aus, trotzdem aus entsprechenden Stellen herausgenommene Stück-
chen unter dem Alikroskop sich deutlich als tuberkulös erwiesen.
Zum Schlüsse sei mir gestattet, einiger Versuche zu eiwähnen,
die ich an Kaninchen angestellt habe, um Tuberkulose der Thränen-
drüse zu erzeugen und das Fortwachsen derselben innerhalb der
Lumina der Drüsengänge zu A'erfolgen. Im ganzen habe ich sechs
Kaninchen geimpft und zwar mit tuberkulösen Massen aus Perl-
knoten des Rindes. Jedesmal kam es zu ausgedehnten Geschwüren,
noch ehe in der Drüse Veränderungen auf getreten waren. Dies
liegt daran, dass die Thränendrüse der Kaninchen so klein ist,
dass eine regelrechte Impfung in sie nicht möglich ist. Bei diesen
Tieren ist eben die Hardersche Drüse mächtig entwickelt. Um
solche Versuche mit Erfolg ausführen zu können, müsste man, glaul^e
ich, Huftiere benützen, an welchen zu experimentieren ich nicht
in der Lage war.
Beitrag zur Erklärung des Herztodes
nach Exstirpation des Larynx.
Experimentelle Untersiicliuugeii,
auHgefülirt im Laboratorium des Prof. v. Basel)
von
I)r, Micliael (xrossmaim
Docent an der Wiener Universität.
Xlit 0 Holzschnitten.
Nach der Totalexstirpation, ja selbst schon nach der parti-
ellen Resektion des Kehlkopfes, hat man zuweilen einen eigen-
tümlichen Herzzustand beobachtet, der sich etwa am zweiten, in
der Regel aber erst am vierten bis fünften Tage entwickelt.
Nach einem ganz normalen fieberlosen, und nach jeder Rich-
tung befriedigenden Wundverlauf, oft nachdem die Kranken bereits
mit Appetit Nahrung zu sich genommen, einige Nächte hindurch
ruhig geschlafen hatten, ja in einzelnen Fällen, als sie bereits den
Wunsch äusserten, das Bett zu verlassen, tritt ganz unvermittelt,
ohne nachweisbare Veranlassung, entweder eine rapid zunehmende
hochgradige Pulsbeschleunigung oder in anderen Fällen eine Puls-
verlangsamung auf, welche zum letalen Ende führt.
Dieser Herzzustand bildet zweifellos eines der gefahrvollsten
Ereignisse, welche nach der Larynxexstirpation auftreten können.
In den hierher gehörigen Abhandlungen und statistischen
Berichten ist von dieser Thatsache allerdings nicht viel zu lesen,
und man müsste annehmen, dass sie entweder noch nicht allge-
mein bekannt ist, oder dass die Erscheinungen, von denen hier
die Rede ist, anders gedeutet wurden. In einer ansehnlichen
Reihe von Fällen wird als Ursache des am zweiten bis fünften
Tage nach der Operation aufgetretenen Todes Collaps oder Er-
schöpfung angegeben, und wir dürften kaum fehlgehen, wenn wir
Beitrag zur Erklilrung des Herztodes nach Exstirpation des Laryixx.
151
aimelimen, dass es sich in der Mehrzahl dieser Fälle wohl um
den erwähnten Herztod nach Exstirpation des Larynx handelte.
Der geschilderte Verlauf ist auch als Shockwirkung aufge-
fasst worden; es bedarf jedoch kaum einer eingehenderen Erörte-
rung, dass bei einem Zustande, bei dem sich der Kranke 4 bis
5 Tage relativ wohl und kräftig fühlt, und erst nach dieser ge-
raumen Zeit ganz unerwartet unter der Erscheinung von Herz-
lähmung zu Grunde geht, von Shock nicht die Rede sein kann.
Ueber den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kehl-
kopfexstirpation und dem darauffolgenden Herztode sind bisher
nur vage Vermutungen angestellt worden; eine befriedigende Auf-
klärung ist bis zur Stunde nicht geboten worden.
So hat Stork die Hypothese aufgestellt, dass in einzelnen
Fällen durch den operativen Eingriff gewisse, ganz abnorm ver-
laufende de])rt*ssorische Nerven durchschnitten werden, und dass
auf diese Weise die antagonistisch wirkenden Nn. accelerantes das
Uebergewicht erlangen.
Sein Schüler Alpiger-) hatte nun eine Reihe anatomischer
Untersuchungen über Vagus- und Sympathicusfasern im Gebiete
des Kehlkopfes unternommen, um auf diesem Wege die Berechti-
gung der Hypothese Storks zu prüfen und wenn möglich zu
schützen.
Bei diesen Untersuchungen ergab sich, dass der N. cardiacus
sup. Sympathici thatsächlich, wie dies ja schon den älteren Ana-
tomen bekannt war, einen verschiedenen Ursprung hat und seine
Wurzelfasern zuweilen auch aus dem Ramus externus des N. laryn-
geus Superior empfängt. Unter solchen Umständen kann dieser,
dem Operationsgebiete sonst, bei normalen anatomischen Verhält-
nissen, entfernter gelegene Nerv nicht leicht verschont werden,
und seine Durchschneidung soll jene Störung in der Innervation
des Herzens herbeiführen, wie sie nach der Kehlkopf exstirpation
beobachtet wird.
Für die in Rede stehende Erscheinung bietet uns aber weder
die Hypothese Störks, noch die von Alpiger gefundenen ana-
tomischen Varietäten im Ursprünge und Verlaufe des N. cardiacus
sup. Sympathici eine annehmbare Aufklärung.
Zunächst muss daran erinnert werden, dass die depressorischen
Nerven ebenso wie die pressorischen centripetal leitende Nerven
sind und das vasomotorische Centrum in dem einen oder anderen
') Stork: Zur ErkUlrunji' des Shock nach der Larynxexstirpation. Wiener
niediz. Wochenschr. 1888.
Alpiger, Langenhecks Archiv B. XL Heft 4.
152
Michael Grossmanii.
Sinne zu erregen haben. Die Funktion des Herzens wird hiebei
nur mittelbar und erst in zweiter Linie beeinflusst.
Wollten wir aber auch annehmen, dass bei der Larynxexstir-
pation ein reiner Herzhemmungsnerv durchschnitten werde, so
müsste noch der experimentelle physiologische Beweis erbracht
werden, dass schon durch die A^erletzung eines abnorm entspringen-
den und abnorm verlaufenden N. cardiacus das Gleichgewicht in
der Regulierung der Herzthätigkeit — trotz intaktem Vagus — in
so ernster Weise gestört wird, dass sich ein Zustand entwickelt,
wie wh ihn nach der Exstirpation des Larynx kennen gelernt haben.
Es müsste aber auch nachgewiesen werden, dass auch schon
die einseitige Resektion dieses Nerven, also auch dann, wenn auf
der anderen Seite derselbe Hemmungsnerv noch unversehrt er-
halten bleibt, dieselbe hochgradige Störung im Herzrhythmus zur
Folge hat.
Gelänge es aber auch diesen Beweis in unwiderleglicher Weise
zu erbringen, dann müsste man uns noch ferner das Problem
lösen, wie es denn kommt, dass die Durchschneidung dieses Herz-
hemmungsnerven zuweilen statt zu einer PulslDeschleunigung, zu
einer bedenklichen Puls Verlangsamung führt. —
Das schwerwiegendste Bedenken gegen die Störksche Hypo-
these liegt aber zweifellos in dem Umstande, dass der Effekt der
Durchschneidung nicht sofort auftritt, wie dies ja nach Unter-
brechung von einer Nervenleitung sonst geschieht, sondern immer
erst nach Verlauf von mehreren Tagen.
Dieses verspätete Auftreten der Folgezustände macht schon
an und für sich die Annahme von vorneherein nicht recht zulässig,
dass es sich in diesen Fällen um den Effekt der Durchschneidung
bestimmter Nerven handle, welche regulierend auf den Nerven-
rhythmus oder auf die Thätigkeit des Herzens im allgemeinen ein-
wirken. Die beschriebenen Erscheinungen müssten ja sonst, wie
ich nochmals wiederholen muss , schon während der Operation
auftauchen. Nachdem aber die Kranken erfahrungsgemäss un-
mittelbar nach dem operativen Eingriffe und selbst noch tagelang
sich verhältnismässig wohl fühlen, so liegt wohl der Gedanke
nahe, dass die bedingende Ursache der später ganz unverhofft
auftretenden Herzkomplikation in Prozessen zu suchen sei, welche
sich erst im Wund verlaufe entwickeln.
Da mit der Exstirpation des Larynx die den Kehlkopf inner-
vierenden Nerven durchschnitten werden, deren centrale Stümpfe
Heitruj' zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des liUrynx. 153
sodann often in der Wunde liegen, so war zunächst daran zu
denken, dass eine Reizung dieser centralen Stümpfe, sei es durch
Substanzen, die behufs der Antiseptik in die offenen Wunden ein-
geführt werden, sei es infolge anderweitiger etwa entzündlicher
Reize (Neuritis) Bedingungen geschaffen werden, durch welche
entweder mittelbar auf dem Wege des Reflexes oder auf irgend
einem anderen direkten Wege Einflüsse zum Herzen gelangen,
welche schädigend auf dasselbe einwirken.
1 An diese Erwägung anknüpfend haben wir durch Experi-
mente, die an Hunden vorgenommen wurden, geprüft: welchen
Einfluss die centrale Reizung der Nn. laryngei superiores et in-
feriores auf das Herz, resp. auf den Kreislauf ausüben.
Nachdem es sich bei diesen Untersuchungen darum handelte,
den Einfluss der centralen Reizung der Kehlkopfnerven auf das
Herz und das Gefässsystem zu prüfen, so haben wir, wie es bei
allen ähnlichen Versuchen geschieht, die Tiere curarisiert. Hie-
durch haben wir alle anderen Nebenerscheinungen, wie Reflexe
auf die willkürliche Muskulatur, namentlich aber auf das Zwerch-
fell und die übrigen Atmungsmuskeln ausgeschaltet.
I. Versuchsreihe.
Arteriendruck und Pulsfrequenz bei centraler Reizung der oberen und unteren
Kehlkopfnerven.
Bei diesen Versuchen konnten wir uns zunächst überzeugen,
dass die beiderseitige Durchschneidung der oberen und unteren
Kehlkopfnerven den Arteriendruck und die Pulsfrequenz in keiner
Weise ändert; aber auch die centrale Reizung der Nn. laryngei
inferiores ist nur von einer ganz unerheblichen Steigerung des
arteriellen Blutdruckes begleitet.
Auf Grund dieser Erfahrung, welche im allgemeinen darthat,
dass die centrale Reizung der Nn. recurrentes keinen besonderen
Eingriff in die Kreislaufsvorgänge bedeutet, haben wir uns mit
dieser minimalen und überdies durchaus nicht konstanten Wirkung
gar nicht weiter mehr beschäftigt.
Von weit grösserem Effekte ist die centrale Reizung der Nn.
laryngei superiores begleitet.
Nach Präparation und sorgfältiger Isolierung dieses Nerven
I wurde derselbe knapp vor seinem Eintritte in den Kehlkopf unter-
\ bunden oder peripher durchschnitten.
I Bei Reizung derselben steigt der arterielle Blutdruck und
i zwar ziemlich beträchtlich.
’ Eine Illustration dieses Vorganges giebt uns die Eig. 1.
154
Michael Grossiiiann.
Aus dieser Kurve ersieht man, dass während der Reizung
zugleich mit der Steigerung des Blutdruckes der Puls erheblich
vei’langsamt wird.
Wir mussten uns nun zunächst darüber klar werden, ob diese
Pulsverlangsamung eine direkte Folge der centralen Reizung des
N. laryngeus sup. sei, oder ob nicht bei der Reizung dieses Nerven
auch der in der Nachbarschaft sich befindliche N. vagus, sei es
lüg. 1.
A. carotis.
Iw
ßcizunffsdau er
zo To
“1
0
Blutdrucksteigerung und Pulsverlangsainung bei Reizung des
N. laryngeus superior. Beide Vagi erhalten.
Sämtliche Figuren sind von rechts nach links zu lesen.
auf dem Wege von Stromschleifen, sei es infolge von unipolarer
Ausstrahlung des Stromes mitgereizt wird.
Zur Entscheidung dieser Frage haben wir Kontrollversuche
in der Weise angestellt, dass wir den präparierten und peripher
vor seinem Eintritte in den Kehlkopf unterbundenen oder durch-
schnittenen N. laryngeus superior mit einem nassen Faden noch
einmal centralwärts unterbunden haben. Die darauffolgende
Reizung zeigte, dass trotz der Unterbrechung durch den nassen
Pfaden die Pulsverlangsamung nach wie vor ehitrat.
Wir haben ferner die Reizung auch mit einer Elektrode vor-
genomraen, die von Hering eigens zu dem Zwecke der isolierten
Beitrag zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des Larynx. loo
Reizung eines Nervenstückes unter Ausschaltung von Stromschleifen
und unipolaren Wirkungen konstruiert wurde ^).
Bei Anwendung dieser Elektroden ist die erwähnte Pulsver-
langsamung nicht eingetreten. Diese blieb auch dann aus, wenn
wir mit schwachen Strömen reizten, oder wenn wir grössere Tiere
verwendeten, wo das isolierte Nervenstück relativ länger und dicker
war, als bei kleineren.
Es war also zweifellos erwiesen, dass die Pulsverlangsamung
bei centraler Reizung des N. laryngeus sup. durch Mitreizung des
N. vagus bedingt ist.
Ausser dieser Pulsverlangsamung, welche sofort mit der
centralen Reizung des oberen Kehlkopfnerven beginnt, beobachtet
man selbst in jenen Fällen, wo unter Berücksichtigung der ange-
gebenen Cautelen zur Vermeidung von Stromschleifen, gereizt wird,
eine Pulsverlangsamung, welche erst längere Zeit nach der Reizung
auftritt und in das Maximum der Blutdrucksteigerung hineinfällt.
Diese Art der Pulsverlangsamung ist zweifellos eine unmittelbare
Folge der Steigerung des Blutdruckes und ist ihrer Entstehung
nach jener Pulsverlangsamung an die Seite zu stellen, welche be-
kanntlich selbst nach peripherer Reizung des N. splanchnicus ein-
tritt. Allerdings lässt sich von vorneherein nicht in Abrede stellen,
dass nicht bloss die Blutdrucksteigerung als solche, indem sie zu
einer Steigerung des Gehirndrucks und infolgedessen zu einer
Reizung des Vaguscentrums führt, die Pulsverlangsamung veran-
lasst, sondern es ist auch möglich, dass die Vaguscentren bei
Reizung der Nn. laryngei superiores direkt reflektorisch erregt
werden.
Nach der Reizung tritt in der Regel eine Pulsbeschleunigung
auf, welche auf die Minute berechnet zwischen 20 bis 45 beträgt.
Die eben erwähnten Vorgänge, soweit sie das Verhalten des
Pulses betreffen, bleiben aus, wenn man der Reizung der Nn.
laryngei superiores die Durchschneidung der beiden Vagi voraus-
schickt. Die Steigerung des Blutdrucks aber wird dadurch nicht
hintangehalten.
Nachdem durch diese Versuche festgestellt wurde, dass die
Reizung der Nn. laryngei superiores eine beträchtliche Steigerung
des arteriellen Druckes hervorruft, musste nun eingehender ge-
0 Icli verdankte die Kenntnis dieser Elektrode, die Hering bei gegebener
Gelegenlieit selbst beschreiben wird, einer mündlichen ^litteilung Dr. Sachs’
Assistenten an der pliys. Lehrkanzel in Prag, der auch die Freundlichkeit hatte,
mit der gütigen Zustimmung von Prof. Hering, mir eine solche Elektrode zu-
zuschicken.
156
Michael Grossmanu.
prüft werden, mit welchen weiteren Vorgängen im Kreisläufe diese
Blutdrucksteigerung einhergelit.
Die Steigerung des Arteriendruckes an und für sich belehrt
uns nur darüber, dass das Herz seinen Inhalt unter grösserem
Drucke in die Arterien befördert, und man kann ohne weiteres
für den vorliegenden Fall annehmen, dass infolge von Gefäss-
kontraktion der Widerstand gegen das Einströmen des Blutes in
die kleinen Arterien, in deren Gebiet ja die eigenthche Kontraktion
stattfindet, wächst, und dass zugleich hiemit Füllung und Spannung
in den grossen Arterien und in dem linken Ventrikel zunimmt.
Aus dem blossen Verhalten des Arteriendruckes allein lässt
sich aber nicht ermessen, ob mit der, durch den wachsenden
Widerstand in der Gefässbahn bedingten höheren Spannung des
linken Ventrikels die Arbeit des letzteren zunimmt, sich gleicli
bleibt oder gar abnimmt.
Mit anderen Worten, die Messung des Arteriendruckes allein
giebt uns keinen Aufschluss darüber, ob die Blutmengen, welche
der linke Ventrikel unter diesem höheren Drucke in die Arterien
befördert, die gleichen blieben, wie früher, oder sich vermehrt resp.
vermindert haben.
Da der linke Ventrikel die Blutmengen, welche er dem
Arteriensysteme zuführt, dem linken Vorhofe entnimmt, so muss,
wenn sonst keine Eingriffe vorliegen, die darauf schliessen lassen,
dass der Zufluss zum linken Vorhofe sich geändert hat, die Messung
des Druckes in demselben uns im allgemeinen darüber Aufschluss
geben, ob durch die veränderte Arbeit des linken Ventrikels aus
dem linken Vorhofe dieselben Blutquantitäten entnommen werden
oder nicht.
t
Schöpft nämhch der linke Ventrikel geringere Blutmengeu
aus dem linken Vorhofe, so muss der Druck in letzterem steigen,
bei Entnahme grösserer Mengen muss er natürlich sinken.
Auf Grund dieser Betrachtung haben wir Versuche angestellt,
in denen zugleich mit dem Arteriendrucke auch der Druck im
linken Vorhofe gemessen wurde.
II. Versuchsreihe.
Druckmessung in der A. carotis und im linken Vorhofe bei Reizung der
Nn. laryngei superiores.
Die Messung des Druckes im linken Vorhofe wurde in der
Weise vorgenommen, dass durch die, aus dem untern Lappen der
linken Lunge entspringende und in den linken Vorhof einmündende
Vene, eine mit einem Obturationsstab versehene Canüle, welche
Beitrag zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des Larynx. lo7
mit einem Seitenrohre ausgestattet ist, in den linken Vorhof ein-
geführt und befestigt wurde. Dieses seitliche Ansatzrohr wurde
mit einem Sodamanometer verbunden. Um die während der Ver-
suche entstehende Blutgerinnung rasch zu beseitigen, war zwischen
dem erwähnten Seitenrohre und dem Verbindungsschlauche, welcher
zum Manometer führte, eine mit einem Kugelansatze versehene
Durchspülcanüle (C. Ludwig) eingeschaltet. Die Verbindung
Eig. 2.
Heiz U7t^sf7aii er
TfO 30 20 W o
Blutdruck in der A. carotis u. im 1. Vorhofo bei Beizung des N. laryngeus
• Superior. Beide Vagi erhalten.
zwischen dem Manometer und dem linken Vorhofe wurde durch
das Ilerausziehen des Obturationsstabes aus der Canüle bewerk-
stelligt. Wenn sich aus der verzeichneten Kurve Anhaltspunkte
ergaben, dass eine Gerinnung eingetreten war, so wurde der
Obturationsstab wieder eingeschoben und die Durchspülung vor-
genommen.
In allen Versuchen, wo mit der Reizung jene Pulsverlang-
samung eintrat, welche wir nach unserer obigen Auseinandersetzung
auf eine Mitreizung des Vagus zu beziehen Anlass hatten, und wo
zugleich der arterielle Blutdruck sich erhob, stieg auch u. z.
ziemlich beträchtlich der Druck im linken Vorhofe.
158
Michael Grossiuann.
Dieses gegenseitige \"erlialteii beider Drücke ist durch Fig. 2
illustriert.
In jenen Fällen, wo die Isolierung der Reizung des N.
laryngeus superior vollständig gelang, sahen wir den Arteriendruck
konstant steigen; der Druck im linken Vorhofe hingegen zeigte in
verschiedenen Fällen ein verschiedenes Verhalten. Wir beobachteten
Fig. 3.
Tleiziingsdauer
J ^ r-=— r :
fS w s o
Blutdruck in der A. carotis und im 1. Voi'hofe hei Beizung des
N. laryngeus sup. Beide Vagi erhalten. Pulsverlangsainung
erst auf der Höhe des Blutdruckes.
zuweilen ein mitunter starkes Steigen des Druckes im linken Vor-
hofe, was namentlich in jenen Fällen zur Beobachtung kam, wo
erst auf der Höhe des Anstieges des Arteriendruckes eine Puls-
verlangsamung eintrat.
Diese Beobachtung wird durch Fig. 3 illustriert.
Wir sahen aber auch in manchen Fällen, dass trotz des
Steigens des Arteriendruckes der Druck im linken ^"orhofe sich
gleich blieb, ja sogar hie und da etwas abgesunken ist.
Was bisher über das gegenseitige Verhalten des Arterien-
druckes und des Druckes im linken Vorhofe gesagt wurde, bezieht
sich auf jene Versuche, bei denen die Reizung bei intakten Vagis
vorgenommen wurde.
Beitrag zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des Larynx.
159
Wenn jedoch die beiden Vagi vorher durchschnitten wurden,
so stieg, wie schon vorhin erwähnt, bei der Reizung des N.
laryngeus sup. der Arteriendruck, die Puls Verlangsamung jedoch blieb
aus. Hiebei verhielt sich der Druck im linken Vorhofe, wie in
jenen Versuchen, wo trotz der erhaltenen Vagi von einer Puls-
verlangsamung nichts zu merken war, wo wir also annehmen
mussten, dass bei der Reizung des N. laryngeus superior keine
Mitreizung des N. vagus erfolgte.
Wenn wir nun an der Hand der eben vorgeführten Er-
fahrungen die Frage aufwerfen, ob die Reizung der Nn. laryngei
sup. zu Kreislaufsänderungen führe, welche insoferne als patho-
logische aufzufassen wären, als sie Bedingungen abgeben, durch
welche die Arbeit des Herzens in der Weise verändert wird, dass
der Abfluss des Blutes an irgend einer Stelle des grossen Gefäss-
gebietes ein Hindernis erfährt : so gelangen wir zu dem Ergebnisse,
dass nur in jenen Versuchen die Bedingungen für die Entwicklung
einer solchen Kreislaufsstörung vorhanden sind, wo mit dem Steigen
des Arteriendruckes zugleich ein Ansteigen des Druckes im linken
Vorhofe eintrat. Dieses Ansteigen des Druckes im linken Vor-
hofe führt ja, namentlich wenn zugleich mit demselben ein
Ansteigen des Druckes in den Arterien und, wie nicht anders
denkbar, auch in der A. pulmonalis einhergeht, zu einer stärkeren
Füllung der Alveolarcapillaren mit Blut und giebt dem-
gemäss die Entstehungsbedingungen für die Lungen-
schwellung und Lungenstarrheit und in weiterer Folge
für das akute, allgemeine Lungeno edem ab.
Hiezu kommt noch, dass die Herzarbeit als solche in diesem
Zustande als eine von der normalen wesentlich abweichende be-
trachtet werden muss. Denn es steht der linke Ventrikel unter
höherer Spannung und seine Kontraktionen sind gleichzeitig, wie
der hohe Druck im linken ^"orhofe lehrt, insufficient. Es muss
aber auch die Spannung des rechten Herzens deshalb erhöht sein,
weil der Druck im linken Vorhofe erhöht, mithin der Widerstand
gegen das Abströinen des Blutes aus der Pulmonalarterie er-
höht ist.
Da, wo der Druck im linken Vorhofe nach Reizung des N.
laryngeus superior unter Steigerung des Arteriendruckes nur wenig
erhöht wird, sind selbstverständlich die eben auseinandergesetzten
Folgezustände, so w^eit sie die Stauung in den Lungengefässen und
die eigentliche Herzarbeit betreffen, in geringerem Grade entwickelt.
160
^Michael Grossmann.
In den Versuchen hingegen, wo der Druck im linken Vorhofe gar
nicht steigt oder gar absinkt, fehlt jeder Grund zur Annahme für
das Vorhandensein der erwähnten Störungen. Allerdings ist aber
auch bei diesen letzteren günstigen Fällen zu berücksichtigen, dass
der linke Ventrikel unter höherer Spannung zu arbeiten genötigt
ist, als sonst.
Um uns über die Lungenzustände zu informieren, welche bei
Reizung der Nn. laryngei superiores eintreten, haben wir Versuche
vorgenommen , in denen wir die Zwerchfellexkursionen, die ja
beim curarisierten Tiere ein indirektes Mass für die Ausdehnung
der Lunge abgeben, gemessen haben.
III. Versuchsreihe.
Verhalten des Ai’teriendruckes und der Zwerchfellexcursionen bei Reizung der
Nn. laryngei superiores. Beide Nn. vagi erhalten.
Die beifolgende Fig. 4, einem der vielen hieher gehörigen
Versuche entnommen, illustriert das gleichzeitige Verhalten des
Arteriendruckes und der durch einen Phrenographen registrierten
Zwerchfellexkursionen während der Reizung der Nn. laryngei
superiores.
In diesem Versuche sieht man die phrenographische Kurve
sich erheben, als Ausdruck dafür, dass das Zwerchfell durch die
sich vergrössernde Lunge gegen die Bauchhöhle erheblich ver-
schoben wurde.
Man könnte aus diesem Hinabsteigen des Zwerchfells, welches
die Drucksteigerung im Arteriensysteme begleitet, wie dies die
Kurve zeigt, im Sinne einer Lungenschwellung deuten, wenn nicht
die Pulsverlangsamung darauf hinweisen würde, dass in diesem
Falle auch der N. vagus mitgereizt wurde. Eine Reizung des N.
vagus jedoch bedingt, — wie die im Laboratorium von v. Basch
ausgeführten Versuche von Beer lehren, dass auf dem Wege des
Bronchospasmus eine eigenartige Vergrösserung der Lunge (Lu n ge ii-
blähung), welche mit der auf Blutstauung beruhenden Lungen-
schwellung nichts gemem hat, entsteht. Eine solche Lungen-
blähung könnte, wenn man die N. laryngei superiores bei erhaltenen
Vagi reizt, auch auf reflektorischem Wege zustande kommen; denn
es wäre leicht denkbar, dass durch centrale Reizung des N. vagus
ein Bronchospasmus entsteht.
Aus dieser letzteren Betrachtung folgt, dass sich aus der Ver-
grösserung des Lungenvolumens nach Reizung der Nn. laryngei sup.
Beitrag zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des Larynx.
161
nicht ohne weiteres mit Bestimmtheit folgern lässt, dass dieselbe
auf einer Lungenschwellung beruht. Dieser Schluss erscheint uns
Eig. 4.
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Zwerch felis CU rve
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A. carotis
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JO O
Arteriendnick und ZAverclifellexcursionen bei Reizung der Nn. laryngei supei’iores.
Beide Vagi erhalten.
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selbst in jenen Fällen nicht zulässig, wo auf die Reizung der Nn.
laryngei sup. keine Spur einer Pulsverlangsamung auftrat.
Dagegen lehren jene Versuche, in denen nach Durchschneidung
der beiden Vagi die Reizung der Nn. lar^uigei sup. eine aus-
gesprochene Volumensvergrösserung der Lunge bewirkte, mit Sicher-
heit, dass sich durch Reizung der Nn. laryngei sup. thatsächlich eine
Lungenschwellung entwickeln kann. Die Volumensvergrösserung,
welche in diesen Fällen entsteht, konnte ja nicht anders, als durch
vermehrte F'üllung der Lungengefässe und nicht durch Broncho-
spasmen entstehen.
n
I
I
162
Michael Grossiuarm.
IV. Versuchsreihe.
Verhalten des Arteriendruckes und der Zwerchfellexcursionen hei Reizung der
Nn. laryngei superiores. Beide Vagi durchschnitten.
Die Fig. 5 ist einem Versuche entnommen, wo der N. laryn-
geus sup. erst nach der beiderseitigen Durchschneidung der Nn. vagi
gereizt wurde. Man sieht, wie mit der Steigerung des Arterien-
druckes die Zwerchfellkurve sich beträchtlich erhebt.
Fig. 5.
2\ve?r?(f(dlscurve
I Rcizungsdc/uer j
30 20 JO o
Arteriendruck und Zwerchfellexcursionen bei Reizung der Nn. laryngei
superiores. Beide Vagi durchschnitten.
Dieser Versuch entspräche jenen Fällen, wo mit Ansteigen
des Arterien druckes auch der Druck im linken \"orhofe ansteigt.
Selbstverständlich hat man eine solche Volumenzunahme der Lunge
in jenen Fällen nicht zu erwarten, wo der Druck im hnken \"or-
hofe während der Reizung sich gleich bleibt oder gar absinkt.
Ehe wir nun zu den allgemeinen Betrachtungen übergehen,
die sich aus unseren Versuchen für die klinische Frage von den
Folgezuständen der Larynxexstirpation auf das Herz ergeben, —
müssen wir noch die Frage erörtern, ob und inwieferne sich der
Reizeffekt des N, laryngeus sup., der ja bekanntlich ausser seinen
den M. cricothyreoideus innervierenden motorischen Fasern aucli
sensible Fasern enthält, von jenem der anderen gleichfalls gemischte
Fasern führenden Nerven unterscheidet?
Diesbezüglich ist ja schon lange bekannt, dass die Reizung
sensibler Nerven den Arteriendruck erhöht und zwar dadurch, dass
auf reflektorischem Wege die Gefässnervencentren erregt werden.
Beitrag zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des Larynx.
163
Es war aber bisher nicht bekannt, ob und in welcher Weise
die Arbeit des Herzens unter diesen geänderten Blutdruckvfuäiält-
nissen beeinflusst wird.
Man wusste bloss, dass, wenn der linke Ventrikel durch die
direkte Reizung des Rückenmarkes und die hiedurch bedingte
Steigerung des Arteriendruckes in eine sehr hohe Spannung ver-
setzt wird, er auch insufficient wird, was sich durch eine hoch-
gradige Steigerung des Druckes im linken Vorhofe offenbart
’ (C. Ludwig, Waller). Hiernach wäre zu erwarten, dass jede,
wodurch immer bedingte Steigerung des Arteriendruckes eine In-
sufficienz des gespannten linken Ventrikels zur Folge hat.
Thatsächlich lehrten ja unsere bisher geschilderten V ersuche,
dass unter Umständen der höhere Arteriendruck und die dadurch
bedingte höhere Spannung im linken Ventrikel mit einer Insufficienz
der letzteren beantwortet wird.
Sie lehrten aber auch ferner, dass dieser gesteigerte arterielle
Druck nicht immer diese Insufficienz zur Folge hat. Wir haben
sogar Fälle kennen gelernt, wo diese arterielle Drucksteigerung
statt von einem Steigen, von einem Sinken des Druckes
im linken V o r h o f e , also von einer günstigeren Herz-
arbeit begleitet wurde.
Aus diesem wechselnden Verhalten des linken Ventrikels bei
Reizung des N. laryngeus sup. geht ohne weiteres hervor, dass
unter Umständen mit derselben sich Bedingungen entwickeln,
welche die an und für sich schädliche Rückwirkung der Arterien-
drucksteigerung zu beleben im stände sind, dass aber diese Be-
dingungen unter Umständen auch ausbleiben können.
Diese Bedingungen sind jedenfalls in reflektorischen Einflüssen
zu suchen, welche mit der Erregung des N. laryngeus sup. wahr-
scheinlich auf dem Wege der Herznerven dem Herzen zufliessen.
Um diese Einflüsse einigermassen näher kennen zu lernen,
schien es eben notwendig den Reizeffekt auch anderer sensiblei-
Nerven nach dieser Richtung zu prüfen.
V. Versuchsreihe.
Drnckniessim"en in der A. carotis und im linken Vorhofe liei centraler Reizung
des N. ischiadicus.
Wir haben zu diesem Zwecke Versuche ausgeführt, in denen
wir das V erhalten des Arteriendruckes und des Druckes im linken
Vorhofe bei centraler Reizung des N. ischiadicus prüften.
Den Effekt einer solchen Reizung illustriert Fig. 6.
Aus derselben ersieht man, dass mit dem Steigen des Arterien-
164
Michael Grossmann.
(Iruckes, bei Reizung des N. ischiadicus der Druck im linken Vor-
liefe absinkt.
Dieses Absinken ist, wie wir uns wiederholt überzeugt haben,
gar nicht zu vergleichen mit dem minimalen Sinken, welches wir
Fig. ti.
A. raroüs
I Tteixungsdauer ^
30 20 10 0
Druck in der A. carotis und iin linken Vorhofe bei centraler Reizung des
N. ischiadicus.
in seltenen Ausnahmsfällen auch bei der Reizung des N. laiyn-
geus sup. beobachtet haben.
Hieraus dürfen mr wohl ohne weiteres schliessen, dass bei
Reizung der Nn. laryngei sup. jene günstigen Bedingungen, welche
die Schäden des gesteigerten Arteriendruckes auszugleichen im
stände sind, in weit geringerem Grade und viel seltener zur Ent-
wickelung gelangen, als bei der Reizung des N. ischiadicus.
Die hier mitgeteilte Thatsache, dass bei Reizung des N. ischia-
dicus der Druck im linken Vorhofe bei gleichzeitiger Steigerung
des Arteriendruckes ab sinkt, ist, wie ich ausdrücklich hervor-
heben muss, nur eine Bestätigung von gleichlautenden Versuchen
Kauders’, die bisher noch nicht veröffentlicht sind.
Es muss übrigens erwähnt werden, dass wir auch Fälle be-
obachtet haben, in denen die Arteriendrucksteigerung bei Reizung
des N. ischiadicus von einer Steigerung des Druckes im linken
Vorhofe begleitet war. Es kann also selbst die Reizung eines
Beitrag zur Erklärung des Herztodes uaeh Exstirpation des Larvnx.
165
Nerven, welche in der Regel von einem entschieden günstigen
Effekte auf die Herzarbeit begleitet wird, unter Umständen von
ungünstigen Folgen begleitet sein.
Nachdem wir uns durch das Tierexperiment über die Ver-
änderungen, welche im Herzen, in dem grossen und kleinen Kreis-
läufe bei Reizung des N. laryngeus superior auftreten, informiert
' haben, wollen wir nun in Betracht ziehen, welche Schlüsse sich
aus den gewonnenen Erfahrungen vom klinischen Standpunkt aus
ergeben.
Vor allem muss konstatiert werden, dass die Durchschnei-
dung der Nn. laryngei superiores et inferiores an und für sich
wie wir bereits oben erwähnt haben, weder das Herz noch den
Kreislauf in irgend einer Weise alteriert. Eine solche Alteration
I wird erst durch ii'gend eine Reizung der Nn. laryngei superiores
' hervorgerufen. Deshalb kann auch die klinische Betrachtung,
welche sich an den Tierversuch anlehnt, nur von der Annahme
ausgehen, dass die Nervenstümpfe in gewissen Fällen und unter
bisher nicht genau bestimmten Bedingungen während des Wund-
I Verlaufes nach Exstirpation des Larynx, einer Reizung ausgesetzt
werden.
Eine solche Reizung, wenn sie einmal eintritt, muss nach den
Ergebnissen unserer Versuche die Spannung im linken Ventrikel,
wegen des vermehrten Widerstandes im Arteriensysteme erhöhen.
Diese Steigerung der Spannung wird unter gewissen Um-
ständen, bei Hinzutritt bestimmter günstiger Einflüsse, welche auf
i dem Wege des Reflexes zum Herzen gelangen, vom linken Ven-
i trikel ziemlich gut vertragen. Sie bewirkt aber sofort eine Insuf-
! ficienz des linken ^^entrikels, wenn mit der Steigerung des Arterien-
druckes sich die erwähnten günstigen Einflüsse nicht geltend machen.
Es leuchtet nun ohne weiteres ein, dass in jenen Fällen, wo
von vornherein mit der Reizung des N. laryngeus sup. nur das
schädigende Moment der Blutdrucksteigerung in den Arterien sich
in der Weise geltend macht, dass es. zu einer Insufficienz des
linken Ventrikels führt, — für das Leben eine imminente Gefahr
besteht. Von dieser Gefahr sind jedoch auch jene Herzen nicht
befreit, welche im Beginne der Reizung unter den erwähnten
schädigenden Einflüssen deshalb nicht litten, weil auf dem Wege
der Reflexe Bedingungen geschaffen wurden, durch welche das
Herz vor der Insufficienz bewahrt wurde. Man braucht sich nur
vorzustellen, dass diese begünstigenden Faktoren sei es dadurch,
166
^Michael Grossmann.
dass die hier in Betraclit kommenden Apparate durch Ermüdung'
oder in anderer Weise ihre Funktionsfähigkeit einbüssen, oder dass
das Herz selbst im weiteren Verlaufe auf diese begünstigenden Ein-
flüsse nicht mehr reagiert.
Im Ganzen und Grossen also führen diese Betrachtungen zur
Vorstellung, wie leicht sich schon durch die dauernde Reizung
der Stümpfe der Nn, laryngei superiores ein gefahrvoller Herz-
zustand entwickeln kann.
Unsere Versuche zeigen aber noch des weiteren, dass diese
Schädlichkeit sich zumal dann in hohem Grade steigern muss,
wenn der Reizungsprozess sich nicht allein auf die Stümpfe der
Nn. laryngei sup. beschränkt, sondern wenn er, ähnlich wie die
Stromschleifen in unseren Versuchen, auf den Vagusstamm sich
erstreckt. An dieses Ereignis knüpft sich ja eine hochgradige
Insufficienz des linken Ventrikels, welche sich in einer erheblichen
Steigerung des Druckes im linken Vorhofe d. i. in Erscheinungen
offenbart, welche in ihrer Fortdauer unausweichlich zum Lungen-
ödem führen.
Wir müssen demnach den Ausgangspunkt für den Eintritt
jener Kreislaufsstörung, welche das letale Ende nach der Kehl-
kopfexstirpation herbeiführt, in einem fortbestehenden Reizungs-
zustande der Nn. laryngei superiores event. in einem Uebergreifen
dieses Reizungszustandes auf die Vagi erblicken.
Diese Annahme erklärt nicht allein den Eintritt eines solchen
Herzzustandes nach Exstirpation des Larynx, sie giebt auch dar-
über Aufklärung, warum nicht jeder dieser Fälle diesen ungünstigen
Verlauf nimmt. Die Versuche, auf welche diese Annahme sich
stützt, lehren ja, dass jedenfalls nicht die Durchschneidung der
Kehlkopfnerven für sich allein, ja selbst nicht die Reizung der
durchschnittenen Nerven notwendigerweise eine Herzschädigung
zur Folge haben, sondern dass es des Zusammentreffens gewisser
ungünstiger Bedingungen bedarf, um dieselben hervorzurufen.
So plausibel diese Annahme uns auch erscheint, so wollen
wir doch die Behauptung nicht aufstellen, dass aus denselben,
resp. aus den ihr zu Grunde liegenden Versuchen alle Erscheinung
des in Rede stehenden Herzzustandes, nach ihrer Natur und Ent-
stehungsweise sich erschöpfend erklären lassen.
Ich will jedoch hoffen, dass die mitgeteilten Versuche die
Anregung zu weiteren Untersuchungen geben werden, deren Auf-
gabe, wie ich glaube, darin zu bestehen hätte, zunächst das Ver-
halten des Pulses und Blutdruckes zu prüfen. Hiebei hätte man
sein Augenmerk darauf zu richten, ob der Blutdruck steigt, ob
Beitrag zur Erklärung des Herztodes nach Exstirpation des Larynx.
167
mit dieser Steigerung eine Pulsbeschleunigung oder -Verlangsamung
einhergeht und in welchem Verhältnisse die Pulsfrequenz zum
Blutdrucke steht, Ueberdies wäre auch das Verhalten des Her-
zens und der Lunge einer eingehenden Beobachtung zu unterziehen.
Bei der Obduktion dürfte man nicht unterlassen, die Stümpfe
der Nn. laryngei sup. sowie den Vagus einer genauen, womöglich
auch histologischen Untersuchung zu unterziehen.
Laryngotomia transversa.
^^on
Primararzt I)r. Robert Crersuiiy in Wien.
Mit 4 Holzschnitten.
Wenn man den Sehildknorpel zwischen den wahren und den
falschen Stimmbändern , parallel mit der Stimmbandebene voll-
ständig spaltet (wobei auch die Schleimhaut der Sinus Morgagni
durchtrennt wird), so kann man den oberen Teil des Schild-
knorpels leicht nach oben Umschlägen, bis seine Schnittebene
mit der seines unteren Tei-
les einen stumpfen Win-
kel bildet. (Fig. 1.) Man
übersieht dann die obere
Fläche der Stimmbänder,
die untere Fläche der ’Ta-
schenbänder, die halbierten
Sinus Morgagni und die
hintere Wand des Kehl-
kopfs ; nach oben,, zwischen
den Taschenbändern, sieht
man einen kleinen Teil
der hinteren Pharynx wand ;
spaltet man dann noch die
obere Schildknorpelhälfte
in der Mittellinie zwischen
den Ansätzen der Taschen-
Fig. 1. bänder (Fig. 2), so kann
man diesen Schnitt weit klaffend machen, und erhält freien
Einblick in den Teil des Kehlkopfs oberhalb der Taschenbänder,
und kann durch Auseinanderdrängen der aryepiglottischen Falten
auch die hintere Fläche der Epiglottis in das Gesichtsfeld bringen.
Durch Einschneiden des Lig. thyreohyoid. med. parallel dem
Laryngotoinia traiiKA'ersa.
169
oberen Rande des Schildknorpels kann man die beiden oberen
Schildknorpelstücke (oder wenn man den Schnitt einseitig führt,
das eine von ihnen) vollständig seitwärts umklappen; die Epi-
glottis wird dadurch noch freier zugänglich, man sieht auch ein
Stück der Zungenwurzel und einen grösseren Teil der hinteren
^ Pharynxwand (Fig. 3. Der Schnitt ist hier nur durch die rechte
) Hälfte des Lig, thyreohyoid. med. geführt, man sieht die rechte
^ Hälfte der Epiglottis und ein Stück der Zunge). Ein Blick auf
I die Abbildungen (Fig. 1 — 3), welche nach einem nicht ganz nor-
I malen, sondern etwas ödematösen Kehlkopf gezeichnet sind, wo-
s durch die Schleimhaut gewulstet erscheint), zeigt, wie frei die
blossgelegten Teile der Untersuchung und jedem operativen Ein-
' griff zugänglich sind; er zeigt auch, dass dieser Zugang zu dem
! Innern des Kehlkopfs und zu dem unteren Teil des Pharynx so-
zusagen in der Mitte liegt zwischen der Pharyngotomia subhyoidea
und der Längsspaltung des Kehlkopfs.
Dem entsprechend wird auch die planmässig als Voi’operation
‘ ausgeführte Quer Spaltung des Kehlkopfs (wohl passend als
1 Laryngotoinia oder Thyreotomia transversa zu bezeichnen),
I in die Gebiete der beiden genannten Operationen übergreifen und
170
Kobert (Tersunv.
deren Grenzen etwas zurückdrängen, denn sie })eherrscht eine Gegend,
welclie durch die Pliaryngotoinia subhyoidea nur schwer und un-
vollkommen zugänglich wird, eine Gegend, welche allerdings auch
durch die Laryngofissur freigelegt werden kann, aber nicht ohne
Spaltung der vorderen Insertion der Stimmbänder; mag man nun
den bleibenden Nachteil, der dieser Verletzung folgen kann, höher
oder niederer anschlagen, immer bleibt diese Spaltung eine Neben-
verletzung , welche man vermeiden wird , wenn man kann , und
namentlich dann wird diese Schonung von Wert sein, wenn
die Stimmbänder selbst durch die Krankheit, wegen welcher man'
operiert, nicht krankhaft verändert sind.
Diese Erwägungen waren es auch, welche mich auf den
Gedanken Imichten, die operative Querspaltuiig des Kehlkopfs an
der Leiche zu versuchen; das Ergebnis dei’ Leichenversuche war
in Bezug auf leichte Ausführbarkeit der Operation und vollkommene
Erreichung ihres Zieles so ermutigend, dass ich die Vornahme der
Operation am Kranken für ganz gerechtfertigt halten konnte. Die
Erfahrung hat mir recht gegeben und ich lege darum die Be-
schreibung des Vei-fahrens vor.
AiisfÜliruiig der Operation.
Lagerung des (tracheotomierten) Kranken wie zur Tracheotomie,
Narkose durch die Tamponkanüle. Man durchtrennt zunächst die
Haut vom Zungenbein bis zum Ringknorpel in der Mittellinie des
Halses und legt den Schildknorpel bloss, hierauf werden nach
beiden Seiten hin die Weichteile von den Schildknorpelplatten mit
dem Elevatorium stumpf abgelöst. (Man kann statt des Längs-
schnittes auch einen Querschnitt machen, der genau an der Stelle
des beabsichtigten Kehlkopfschnittes liegt und vielleicht unter Um-
ständen — z. B. bei kurzem, dickem Hals — sogar den Vorzug
verdient; dieser Schnitt ist jedoch insofern nicht so einfach, wie
der Längsschnitt, als er öfter Hautvenen treffen wird und auch
die Verletzung der Mm. sternohyoid. und thyreohyoid. notwendig
macht.
Nun werden die Weichteile mit stumpfen Haken nach beiden
Seiten zurückgehalten und man bestimmt die vordere Insertion
der Stimmbänder, welche in der Mitte zwischen dem tiefsten Punkt
der Incisur und dem unteren Rand des Schildknorpels liegt. Einen
bis zwei Millimeter oberhalb dieses Punktes spaltet man den Schild-
knorpel parallel mit seinem oberen Rand oder richtiger mit dem
Teil dieses Randes, der zwischen der Incisur und dem oberen Horn
liegt. Man setzt die Schneide des Messers quer auf die Kante, in
Laryiigotomiii transverBa.
171
welcher die Sehildknorpelplatten ziisammentrefFen, und spaltet mit
einem Zug den Knorpel auf etwa 1 cm nach jeder Seite von der
Mittellinie ; damit ist auch die Schleimhaut oberhalb der Insertion
der Stimmbänder durchtrennt und die Höhle des Kehlkopfs er-
öffnet. Wenn der Schildknorpel bereits verknöchert ist, wie meist
bei Männern in der zweiten Hälfte des Lebens, macht man diesen
Schnitt mit der Stich- oder Bogensäge, jedoch nur so tief, dass
man den Knorpel allein durchtrennt, dann spaltet man in der Aus-
dehnung des Sägeschnittes die Kehlkopfschleimhaut mit dem Messer.
Ist die Höhle des Kehlkopfs so eröffnet, dann vollendet man
die Querspaltung mit der Schere ; (entweder mit der gewöhnlichen
geraden chirurgischen Schere oder bei Kehlkopfverknöclierung
mit einer schlanken Knochenschere) und zwar durchtrennt der
erste Scherenschlag auf jeder Seite die Schildknorpelplatte bis
nahe an ihren hinteren Rand, wobei auch die Auskleidung der
Sin. Morgagni durchschnitten wird, dann macht man den Knorpel-
spalt etwas klaffend und durchschneidet jederseits den hinteren
Rand des Schildknorpels, wobei die Schleimhaut des Kehlkopfs ge-
schont wird, indem man die Spitze des Scherenblattes, das im Innern
des Kehlkopfs zu liegen kommt, dicht auf der Innenfläche des
Knorpels vorschiebt.
Ist nun der Schildknorpel vollständig durchtrennt, so genügt
ein niässiger Zug, um seine obere Hälfte nach oben umzulegen
und den oben beschriebenen und auf Fig. 1 dargestellten Zugang
zum Kehlkopfinneren zu eröffnen. Der ganze Eingriff ist fast un-
blutig und leicht auszuführen; es empfiehlt sich, beim Emporziehen
des oberen Schildknorpelabschnittes den Haken nicht in den
Knorpel einzusetzen, um diesen nicht zu zerbrechen, sondern lieber
in der Mitte des lig. th}Teohyoid. ein spitzes Häkchen einzusetzen
oder einen Faden durchzulegen. Die untere Hälfte des Schild-
knorpels braucht man dabei nicht zu fixieren.
Wie man aus Fig. 1 ersieht, sind nach dem Aufklappen des
Schildknorpels die Stimmbänder und die Taschenbänder für jeden
Eingriff frei zugänglich.
Handelt es sich darum, in dem Raum oberhalb der Taschen-
bänder zu operieren, so genügt ein Scherenschnitt, um den oberen
Teil des Schildknorpels zwischen den Taschenbändern in der Mittel-
linie zu spalten, und man kann die beiden Knorpelstücke (samt
den Taschenbändern) auseinanderziehen, wie in Fig. 2 dargestellt
ist. Man übersieht jetzt beide aryepiglottischen Falten und kann
durch Zug an ihnen oder an der Epiglottis die hintere Fläche der
letzteren in das Operationsfeld bringen.
172
Robert Gersuny.
Auf Fig. 3, wo auch noch die rechte Hälfte des Lig. thyreo-
hyoideuin med. parallel dem Schildknorpelraiide durchschiiitteii
ist und wo das entsprechende Schildknorpelstück infolgedessen ganz
nach aussen umgeschlagen werden konnte, sieht man einen Teil
der Epiglottis in situ und ein Stück der Zungen wurzel. Was in
Fig. 3 ganz dunkel gehalten ist, entspricht der hinteren Rachen-
wand. Hat man den Zweck der Operation erreicht und lässt man
die auseinandergezogenen Teile wieder los, so legt sich alles von selbst
wieder annähernd richtig zusammen und es bedarf nur geringer Nach-
hilfe durch die Naht, um ein korrektes Zusammenheilen zu sichern. —
Die Laryngotomia transversa eignet sich nach dem Gesagten
zur Voroperation für alle chirurgischen Eingritfe im untersten Teil
des Pharynx, an der Epiglottis, im oberen und im mittleren Kelil-
kopfraum, an den Taschenbändern, an den Stimmbändern und
Aryknorpeln, möge es sich um die Exstirpation von Geschwülsten
oder um Operationen wegen anderer Prozesse (z. B. tuberkulöser
Wucherungen, Narben, fremder Körper) handeln, insofern diese
Eingriffe nicht per vias naturales ausführbar sind.
Ich habe schon erwähnt, dass der Kehlkopf querschnitt den
oberen Kehlkopfraum besser zugänglich macht, als die Pharyngo-
tomia subhyoidea, und dass er in jenen Fällen, in welchen er die
mediane Laryngofissur ersetzen kann, vor dieser den Vorzug hat,
dass die Kommissur der Stimmbänder geschont whd; ich möchte
aber noch auf einen anderen Umstand hinweisen, der nicht gleich-
gültig ist : mag man in der oberen oder in der unteren Kehlkopf-
hälfte operieren, immer wird der Querschnitt einen Teil des Me-
chanismus schonen, welcher das Eindringen fremder Körper vom
Schlund aus verhindert: in dem einen Fall werden die Stimm-
bänder, in dem anderen die Taschenbänder mit der Epiglottis
gleich nach der Operation schlussfähig sein.
Zum ersten Mal wurde diese Operation an einem Kranken im vorigen
Jahr ausgeführt und zwar diircli Herrn Hofrat Billroth, der in einem Fall von
Lymphosarcom des rechten Taschenbandes auf meine Bitte die von mir vor-
geschlagene Sc.hnittführung wählte. Der Gang der Operation rechtfertigte die
gemachten Voraussetzungen vollkommen, die Heilung erfolgte sehr rasch. (Als
erwähnenswert will ich anführen, dass durch die Substanz des nicht verknöcher-
ten iSchildknorpels mehrere Seidennähte gelegt wurden, um den durchtrennten
Kehlkopf wieder zu vereinigen.)
Im Januar dieses Jahres hatte ich selbst Gelegenheit, die Operation zu machen.
Es handelte sich iim einen IMann von Jahren, der seit vier Jahren lieiser, seit
zwei Monaten ganz stimmlos und kurzatmig war. Die rechte Hälfte des Kehlko]>f-
eingangs war von einer taubeneigrossen Geschwulst eingenommen, welche von
der Plica pharyngo-epiglottica umhüllt war uud bis zur Glottis hinunterzureichen
schien.
Laryngotoinia transversa.
175
Fig. 4 giebt den laryngoskopisehen Befund gut wieder. Iin Kudoltiner-
haus (Prot. Nr. 5, 1892) aufgenoinmen wurde der Kranke (4 Tage nach der Tracheo-
tomie) operiert. Narkose durch die Tamponkanüle (mit Winters Apparat). Längs-
schnitt durch die Haut in der Medianlinie. Kehlkopfquerschnitt wegen \ er-
knöcherung des Schildknorpels mit Stichsäge und Knochenschere. Nach medianer
Längespaltung des oberen Schildknorpcl-
stückes stellte sich die Geschwulst in die
klaffende Wunde ein und ich begann nach
llurchtrennung der bedeckenden Schleim-
haut sie auszulösen ; plötzlich entleerte sich
glasigschleimiger Inhalt und die Geschwulst
fiel zusammen, doch konnte ich den ver-
hältnismässig starkwandigen Sack voll-
ständig auslösen.
Die nach der Exstirpation der Cyste
zurückbleibende Höhle wurde mit Jodo-
formdocht ausgefüllt dessen, Ende durch die
Kehlkopfwunde nach aussen geleitet wurde. Die Schildknorpelstücke legten
sich, als man sie sich selbst überliess, ohne weitere Fixation gut aneinander, die
Hautwunde wurde vernäht.
Am zweiten Tage nach der Operation wurde der Jodoformdocht, am vierten
die Trachealkanüle entfernt. Nach 14 Tagen war alles geheilt, die Stimme des
Patienten war noch heiser, der laryngoskopische Befund zeigte normale Verhält-
nisse, nur war die Kehlkopfschleimhaut, besonders das rechte Taschenl)and noch
gerötet. Der Patient wurde aus der Anstalt entlassen. Nach vier Wochen stellte
er sich nochmals vor und brachte ein kleines nekrotisches Knorpelstückchen von
der Sägefläche des Schildknorpels mit, das sich mittlerweile durch die Hautnarbe
(die bereits wieder geschlossen war) ausgestossen hatte.
Befund des Kehlkopfs normal l)is auf die noch nicht ganz gescliwundene
Kötung der Schleimhaut. Stimme noch etwas heiser. —
Fig. 4.
Die gesundheitliche Bedeutung der
Zündholzfabrikation
von
Dr. E. Ris aus Kloten bei Zürich.
Berichte aus Fabriken chlorhaltiger Phosphorzündhölzchen.
Im Correspondenzblatt des Württembergischen ärztlichen
Vereins vöm November 1840 S. 265 berichten Obermedizinal-
assessor Dr. Giess und Dr. Giess Sohn in Stuttgart über Krank-
heitsverlauf und Leichenbefund bei einer als Fall von Bronchitis
aufgenommenen Phosphorzündholzarbeiterin, welche am 8. Tage
ihres Spitalaufenthaltes gestorben ist. Aus dem Krankheitsbericht
nehme ich die Worte heraus: »22 Jahre alt, kachektisches schmutzig-
weisses, blutleeres Aussehen, dabei aber wohlgenährt, starke Atem-
not, heftig trockener Husten, über die Lungen in ihrem ganzen
Umfange verbreitete Bronchitis.« Aus dem Leichenbefundbericht:
»Lungenluftröhren nicht erweitert, aber ihre Schleimhaut dunkel
gerötet, keine Tuberkel in den Lungen; in der Unterleibshöhle
alles ungewöhnlich blass und blutleer, im übrigen nichts besonderes
Krankhaftes dort zu bemerken ; sehr viel Fett zwischen den Blättern
der Darmnetzhäute, sowie in den allgemeinen Bedeckungen« ; aus
dem Schlusswort: »Schwindsuchtsknoten wurden wegen des lang-
jährigen Brustleidens und des krankhaften allgemeinen Aussehens
vermutet, und man war erstaunt, keine zu finden.«
In der Einleitung sagen die Dr. Dr. Giess, dass »infolge der
penetranten Schwefel- und PhosiDhorausdünstung in den Reibzünd-
holzfabriken fast alle Arbeiterinnen mehr oder weniger auf der
Brust leiden« ; und in der Vorgeschichte der gestorbenen Kranken
wird sogar gesagt, dass dieselbe vor ihrem Eintritte in das Spital,
also doch wohl während ilmer Beschäftigung in der Zündholz-
fabrik wiederholt Blut gespuckt habe.
Die fresimdheitliche Bedeutung der Zündholzfabrikation.
175
Schwefel- und Phosphordimsteinatmung hat, so viel bekannt,
noch niemals Bluthusten verursacht, wo solcher nicht auch durch
Reizung irgend welcher Art überhaupt konnte verursacht werden —
Chlordunsteinatmung hingegen macht auch bei vorher gesunden
Leuten mit gesunder Lungenschleimhaut leicht blutigen Auswurf
und ßlutspucken.
Wir müssen aber annehmen, dass meistens freies Chlor nicht
zur Entwicklung gekommen sei, denn wenn das der Fall gewesen
wäre, so hätten wir, da ja damals Selbstentzündung der chlor-
haltigen Phosphorhölzchen in der Fabrik ein häufiges Vorkomm-
nis war, hören müssen, dass danach allemal alle Eisenwaren in
den Arbeitsräumen mit Rost sich beschlagen haben in einer Weise,
dass das auffällig werden musste — es wird aber nichts der-
gleichen aus jenen Zündholzfabriken berichtet und kann also Ent-
wicklung freien Chlorgases ein häufiges Vorkommnis dort nicht
gewesen sein.
Kann die Ausdünstung der Phosphorpfanne akute Bronchitis
verursachen?
Die stärkste Phos^^hordunstentwicklung findet statt beim
Tunken mit Leimmasse und beim Betropfen von Feuerschwamm-
stücken. Man hat in den 30er Jahren niemals, später in den
40er Jahren allerdings hie und da aber immer nur so nebenher
von abgelaufenen »Brustentzündungen« berichtet, welchen Reib-
schwammtropferinnen und Tunker früher ausgesetzt gewesen sein
sollen, aus der Zeit aber, wo nur Phosphor angewendet wurde,
ist aus eigener Beobachtung überhaupt im ganzen nur einmal
von akuter Bronchitis berichtet, welche von Dr. Geist bei einem
Tunker beobachtet worden ist, und es wird im Gegenteil von
deutschen sowohl als auch besonders von französischen Bericht-
erstattern nach 1845, welche selbst untersucht haben, betont,
dass die Arbeiter in den kleinen Fabriken und in Wohnungen,
wo alle Arbeiten in einem Raum vorgenommen worden sind und
wo die Luft beständig »getrübt w^ar von Phosphordämpfen«,
höchstens etwa bei schlechtem Wetter, wo die Luft in diesen
Räumen gar trüb geworden, haben husten müssen, sonst aber
keinerlei Brustbeschwerden gezeigt haben, welche auf Einatmung
dieser Ausdünstungen zurückzuführen seien.
Danach müssen wTr es für unmöglich erklären,
dass die so heftig auftretende tödlich endende Schleim-
hautentzündung der Lungenluftröhren bei der kranken
Phosphorzündholzarbeiterin der Dr. Dr. Giess von in
Phosphorzündholzfabriken für gewöhnlich Vorkommen-
176
F. Rin.
dem Chlor dunst oder von Phospliorausdünstung lier-
gerührt habe.
Kann Einwirkung von Schwefeldunst d. h. schwefliger Säure
tödlich endende Schleimhautentzündung der Lungenluftröhren be-
wirken?
Ganz gewiss! wenn solcher Dunst verbrennenden Schwefels
in irgend erheblicher Menge zur Einatmung kommt, wie dies bei
den damals in den Fabriken häufigen Selbstentzündungen chlor-
haltiger Phosphor Schwefelhölzchen beim Tunken der Fall war.
Auch dürfen wir annehmen, dass nicht bloss die reizerregende
Wirkung der stechend schmeckenden schwefligen Säure, sondern
auch Giftwirkung von schwefliger Säure her durch Zerstörung
vieler Blutkörperchen u.s.w. zum tödlichen Ausgang mitgeholfen habe.
Dr. Th. Roussel bringt in einem Memoire von März 1846
eine klinische Vorlesung Gendrins von 1845, welche Dr. Geist in
seinem bekannten Buche S. 106 ff. auszug.sweise citiert.
Es sind in dieser Vorlesung Gendrins im ganzen nur zwei
Einzelfälle von Bronchitis bei Zündholzfabrikarbeitern geschildert.
Gendrin sj^richt sich aber in so bestimmter Weise über Häufig-
keit und über Bedeutung dieser Erkrankungen aus, dass man an-
nehmen muss, er habe auf ausgedehnte Erfahrung, aber aller-
dings aus früheren Jahren sich stützen können.
Die eigenen Worte Gendrins lauten nach Dr. Geist S. 106:
» — — — Alle diese Kranken stimmen in der Aussage überein,
seit ihrem Eintritt in die Fabrik von Husten befallen worden zu
sein. Sie suchen meist dann erst Hilfe im Hospital, wenn der
Husten habituell geworden, sich verschlimmert und mit allen
Zeichen der akuten Bronchitis kompliziert hat. Die Bronchitis
unterscheidet sich ihrem Wesen nach nicht von der gewöhnlich
vorkommenden, aber der Symptomenkomplex ist ein anderer, in-
sofern funktionelle Störungen anderer Organe gleichzeitig bestehen.
Selbst diejenigen Kranken, welche nur in leichterem Grade er-
griffen sind, befinden sich in einem auffallenden Schwächezustand,
sie klagen über Appetitlosigkeit, von der sie gleich im Beginn
der Arbeit und zugleich mit dem Husten befallen worden zu sein
angeben. Andere leiden zugleich an Durchfällen; der grösste
Teil an Fieber, auch wenn eine entzündliche Brustaffektion noch
nicht vorhanden ist. Diejenigen, welche öfters von entzündlichem
Lungenkatarrh befallen waren, und dies ist die Mehrzahl, sind
auffallend abgemagert, leiden bisweilen an Herzklopfen, ohne dass
aber das Herz oder die grossen Gefässe selbst erkrankt wären.
Dieser Symptomencyklus, welcher der gewöhnlichen Bronchitis
Die gesundheitliche Bedeutung der Zündholzfabrikation.
177
nicht eigentümlich ist, muss daher der giftigen Wirkung der von
den Lungen, oder vielleicht auch durch die Haut und die Schleim-
haut der Speiseröhre aufgenommenen Phosphordämpfe zuge-
schrieben werden.
Wir sehen also, dass bei den Kranken Gendrins, wie bei
den Kranken der Dr. Dr. Giess Bestehen eines schweren Grundleidens^
eines anhaltenden Schwächezustandes besonderer Art mit zeitweise
anscheinend ganz unvermittelt plötzlich auftretenden heftigen An-
fällen von Bronchitis hervorgehoben wird; und es wird hier das
Grundleiden sowohl, als die Anfälle auf Vergiftung ausschliesslich
durch Phosphoreinwirkung bezogen ; während wir annehmen dürfen,
dass die Dr. Dr. Giess das ständige Brustleiden der Zündholz-
arbeiter vielleicht der Phosphordunsteinwirkung, die heftigen An-
fälle der Bronchitis aber der Schwefeldunsteinatmimg zugeschrieben
haben mögen.
Wenn auch das bestehenbleibende Grundleiden der kranken
Arbeiter Gendrins der Einwirkung von Phosphordunst zugeschrieben
wird, so geht es nicht an, auch für die akuten Zufälle den Phos-
phordunst zu beschuldigen, sondern wir müssen für diese akuten
Zufälle nach einer anderen Ursache suchen.
Am nächsten liegt es wieder, für diese akuten Zufälle den
Schwefeldunst zu beschuldigen ; und da wir wissen, dass in Paris
das chlorsanre Kali vor 1842 fast überall, nach dieser Zeit aber
nur noch in kleineren Fabriken, welche ihre Zündmasse selbst
nach alter Vorschrift bereiteten, angewendet worden ist, so haben
wir in solcher Annahme nicht blos die Erklärung dafür, dass vor
1842 in Paris Anfälle akuter Bronchitis bei Phosphorzündholz-
arbeitern häufig gewesen sein können, sondern auch dafür, dass
von 1842 an, im Verhältnis, wie die früheren Arbeiter jener
frülieren Zündholzfabriken allmählich weggestorben sind, und die
neueintretenden Arbeiter nicht mehr viel von häufiger Einatmung
von schwefliger Säure und andern von der alten Zündmasse her-
rülirenden schädlichen Einflüssen zu leiden hatten, die akuten
Zufälle von Bronchitis bei Ph osp hör zündholzar-
beit er n, welche ich hier einzig bespreche, nach und nach seltener
und nach 1844 gar nicht mehr vor gekommen sind.
Die ganze Vorlesung Gendrins mag wohl den Hauptzweck
gehabt haben, denjenigen entgegen zu treten, welclie behauptet
haben, das in den ersten chemischen Zündwarenfabriken schon
häufig beobachtete Berufsleiden der Arbeiter, welches von den
Arbeitern und deren Aerzten bald »mal clnmique«, bald »Phos-
phor-Schwindsucht« genannt worden ist, sei kein besonderes Leiden,
12
178
F. ilis.
sondern eben nichts anderes, als gewöhnliche Lungenscliwind-
sucht.
Diese damals schon alte, bis dahin aber nur gelegentlich l)e-
sprochene Frage hatte nacli der Veröfi'entlichung des bekannten
Aufsatzes von I)r. Fr. W. Lorinser in der Zeitschrift der Gesell-
schaft der Aerzte zu Wien im März 1845 eine erhöhte Bedeutung
gewonnen — nur hat Gen drin als innerer Kliniker es unterlassen,
den zweiten Teil der Frage zu besprechen : ob nämlich das längst
schon bei Zündwarenarbeitern hie und da einmal zur Beobachtung
gekommene Kieferleiden, wie man bisher geglaubt hatte, auf
Skrofeln oder auf Syphilis, oder, wie Lorinser als ganz neue
Ansicht brachte, auf Phosphorvergiftung beruhe und ein Leiden sei,
welches von andern ähnlichen Kieferleiden sich unterscheiden lasse.
Von Lorinsers kieferkranken Zündholzarbeiterinnen aus den
früheren Jahren sind 3 gestorben, alle 3 an hektischem Fieber.
Das innerliche Leiden dieser 3 Kranken beschreibt Lorinser
nicht gesondert; lasse ich aber aus dem allgemeinen Krankheits-
bilde, welches Lorinser über alle seine neun von 1839 bis 1845
beobachteten kieferkranken Phosphorzündholzarbeiterinnen giebt,
diejenigen Worte und Sätze aus, welche sich bloss auf das Kiefer-
leiden und auf die innerlich gesund gebliebenen und geheilten
Kieferkranken beziehen, so bleiben folgende Worte : »Die Kranken
wurden von leichtem Fieber bef allen, die Haut des
ganzen Körp ers, namentlich des Gesichtes, bekam eine
schmutzig-gelbe Farbe, es trat verminderte Esslust mit
vermehrtem Durste und Unregelmässigkeit der Leibes-
öffnung ein; — — — waren die Kranken nicht rüstig und
— — — namentlich wenn dieselben mit skrofulösen Anlagen be-
haftet waren, so kam es zu Ausbildung von Lungentuberkulose
mit hektischem Fieber — — — .«
Es betrifft das Kranke aus füheren Jahren und es fällt uns
auf, dass das Bild dieser Kranken grösste Aehnlichkeit oder Gleich-
heit zeigt mit dem Bilde der Kranken der Dr. Dr. Giess und von
Gendrin, wenn wir nämlich bei letzteren Kranken absehen von
der akuten Bronchitis und uns vorstellen, wie das Krankheitsbild
der Stuttgarter und Pariser Arbeiterinnen in der Zeit zwischen
zwei akuten Anfällen, also das Grundleiden allein beschaffen ge-
wesen sein mag.
Lorinser hat bekanntlich ein analog der Bleikrankheit sowie
der chronischen Arsenik- und Quecksilbervergiftung auf Phosphor-
gift beruhendes Grundleiden bei allen Phosphorzündholzarbeiterii
angenommen, auch bei denen, welche ganz rüstig waren und bei
Die gesundheitliche Bedeutung der Zündholzfabrikation.
179
welchen nach Verlust eines kleinen Kieferknochenstückchens gute
Vernarbung erfolgt ist. Lorinser sagte: »Dieses Kieferleiden ist
eben der Ausdruck der Allgemeinerkrankung, und diese zeigt sich
deshalb allein nur am Kiefer, weil da auch örtliche Reizung von
selbem Giftdunst her einwirkt.«
Der dirigierende Arzt des Wiedener Spitals, Dr. Dietl, hat
Lorinser darauf aufmerksam gemacht, dass Quecksilber-, Arsen- und
Bleivergiftung niemals durch bloss örtliche Leiden allein, sondern
immer in erster Linie durch allgemeines Ergriffensein sich zeige,
dass bei Auftreten von örtlichen Leiden infolge von Allgemein-
vergiftung immer auch Siechtum vorhanden sei, und dass es also
nicht wohl angehe, ein bloss örtliches Leiden wie die Kieferbein-
hautentzündung und das Kieferknochenleiden der Phosphorzündholz-
arbeiterinnen als Zeichen einer allgemeinen Phosphorvergiftung an-
zusehen, sofern die Kranken nicht auch Zeichen allgemeinen Krank-
seins an sich haben ; und hat, um Lorinser hievon zu überzeugen,
demselben mitgeteilt, dass bei den Arbeiterinnen der alten Chlor-
zündholzfabriken Wiens eine Chlorvergiftung sich zeige, und die
Beschreibung dieser Krankheit Lorinser ebenfalls mitgeteilt.
Die eigenen Worte Dietls lauten:
»Mädchen, die sich früher eines blühenden Aus-
sehens erfreuten, bekamen nach längerer oder kürzerer
Zeit ihr er Beschäftigung in den Chlor Zündholzfabriken
einen blassen, schmutzig-gelben Teint mit Aufgedun-
senheit des Gesichtes. Bei länger fortgesetzter Arbeit
gesellt sich eine fieberhafte Aufregung hinzu, an der
Teilungsstelle der Luftröhre klagen die Kranken über
ein kratzendes Gefühl, bei leichten Opj3r essionen auf
der Brust belästigt ein beständiges Hüsteln ohne Aus-
wurf; die Magengegend wird empfindlich, beim Druck
schmerzhaft, die Esslust liegt vollkommen dar-
nieder und fast ununterbrochen ist Brechneigung vor-
handen.«
Vergleichen wir mit Dietls Beschreibung der Krankheit der
Wiener Chlorzündholzfabrikarbeiterinnen die Beschreibung Gendrins
über das Grundleiden der Pariser Phosphorzündholzarbeiterinnen
aus der gleichen Zeit, so muss die ungemeine Aehnlichkeit der
Krankheitsbeschreibung auffallen :
Da beide Krankheiten als Berufsleiden erwiesen sind, und bei
den Arbeiterinnen Gendrins Phosphor und chlorsaures Kali; bei
den Chlorzündholzfabrikarbeiterinnen Dietls dagegen kein Phosphor,
sondern nur chlorsaures Kali in Frage kommt, so müssen wir dem
180
F. Eis.
chlorsauren Kali notwendigerweise Schuld an diesen Erkrankungen
Zuteilen.
Wie ist das chlorsaure Kali der Zündmassen in den Leib der
Zündholzarbeiter Gendrins gelangt?
Dass bei den in den Zündholzfabriken vorkommenden Wärme-
graden chlorsaures Kali keine Ausdünstung giebt, und dass die
Verbrennungsgase desselben nicht die in den Arbeitsräumen be-
findlichen Eisen waren auffälliger Weise haben rosten machen,
haben wir bereits gehört. Wir haben ebenfalls gehört, dass die
Luft in den damaligen Arbeitsräumen von verbrennenden Zünd-
köpfchen her oft ganz trübe und besonders bei kühlem Wetter in
den Wohnstuben der Einzel- oder Pamilienarbeiter beinahe un-
durchsichtig gewesen sei, und dürfen annehmen, dass diese Luft-
trübungen, welche man in den betreffenden ärztlichen und che-
mischen Schriften bisher immer nur auf Phosphorsäuredünste
bezogen hat, welche aber ebenfalls nach 1846 nicht mehr be-
obachtet zu sein scheinen, zu einem guten Teil, wenn nicht aus-
schliesslich Salmiaknebel gewesen sind, entbanden aus Zusammen-
wirken von Chlorgas und von ammoniakalischen Ausdünstungen der
vielen Insassen dieser kleinen Wohn- und Arbeitsräume.
Weil aber solche AiLeiter nicht nur ausnahmsweise, sondern
regelmässig in ziemlich hohem Prozentsatz und auch in guter
Jahreszeit und auch in grossen, gut gelüfteten Arbeitsräumen er-
krankt sind, so müssen wir annehmen, dass für gewöhnlich chlor-
saures Kali nur in fester Gestalt auf die damaligen Phosphor-
zündholzarbeiter zur Wirkung gekommen ist.
Einzig nur bei Annahme der Einwirkung des Giftes in fester
Gestalt ist es erklärlich, dass zwar verhältnismässig viele, aber doch
nicht die grosse Mehrzahl oder alle der damaligen Zündholzarbeiter
erkrankt sind.
Einzig nur bei der Annahme, dass in unsauber gehaltenen
derartigen Fabrikräumen die Arbeiter durch Einatmen von Staub
mit Gehalt an chlorsaurem Kali oder andern Giftstoffen oder durch
Ablagerung solchen Staubes auf ihrer Gesichtshaut , auf ihren
Händen, auf ihren Haaren und Kleidern, und sofern sie in den
Fabrikräumen ihre Mahlzeit einnahmen, bei der Arbeit ihr Essen
neben sich stehen hatten, auch durch Ablagerung solchen Staubes
auf ihre Speisen allein und ausschliesslich, nicht aber durch Ein-
atmung der Fabrikluft überhaupt vergiftet wurden, ist es erklärhch,
dass gerade in solchen Zündholzfabriken, welche eine in Beziehung
auf Lüftung ungemein günstige Lage hatten, sonst aber in nichts
von andern ähnlich gelegenen Fabriken sich unterscheiden, häufigere
Die gesundheitliche Bedeutung der Zündholzfal)rikation.
181
Erkrankungen der Arbeiter haben Vorkommen können, als in Fa-
briken, welche bei sonst gleichen Verhältnissen in Beziehung auf
Lüftung weniger günstige Lage gehabt haben.
Einzig nur bei der Annahme, dass nicht schädliche Dünste,
sondern Staub in der Fabrikluft die Arbeiter krank macht, ist es
erklärlich, dass selbst in unsauber gehaltenen Fabriken nicht alle
Ai’beiter im gleichen Raum mit gleicher Beschäftigung in gleicher
Weise gefährdet waren.
Da unsere neuesten phosphorfreien Streichzündhölzchen ganz
ebenso wie die ersten Chlorzündhölzchen zu Dietls Zeiten in ihren
Zündköpfchen hauptsächlich chlorsaures Kali enthalten, so müssen
wir uns die Frage vorlegen:
Sind auch in gutgeh alte neu Chlorzündholzfabriken
von li e u t z u t a g e die Arbeiter gefährdet?
Die Antwort lautet: Werden die Arbeitssäle reinlich und die
Luft in denselben staubfrei gehalten, so können nur diejenigen
Arbeiter in Chlorzündholzfabriken in Gefahr kommen, infolge ihrer
Beschäftigung mit chlorsaurem Kali zu erkranken, welche un-
geschickt bei ihrer Arbeit und unsauber an ihrem Leibe, in ihren
Kleidern und in ihrer Wohnung sich halten.
Diejenigen Arbeiter, welche von Hause aus sauber
gewöhnt, gut erzogen und vorsichtig bei der Arbeit
sind, können ebensogut, als die Apotheker und die
gebildeten Fabrikherren und die Un t er suchungs Che-
miker und die Studierenden in den Laboratorien jahr-
aus und jahrein viele Jahre lang täglich mit den ge-
fährlichsten, nicht verdunstenden Giftstoffen ohne
Schaden hantieren, in der Chlorzündholzfabrik ar-
beiten so lange sie wollen, ohne in ihrer Gesundheit
gefährdet zu werden; — weil aber ja immer eine be-
deutende Zahl der Zündholzarbeiter die genann-
ten Bedingungen eben nicht erfüllen wird, so muss
man darauf gefasst sein, selbst in besteingerichteten
und gut erhaltenen C hl o r z ü n dh o 1 z f a b r i k e n aucli
heute noch der Dietls dien Krankheit zu begegnen.
Eine der hauptsächlichsten Gelegenheiten zu Verunreinigungen
der Hände und dadurch aufh des Mundes u. s. w. durch Giftstaub
I in Zündholzfabriken ist den Schachtelfüllerinnen, welche einen sehr
i grossen Teil der Arbeiterschaft einer Zündholzfabrik ausmachen,
dadurch gegeben, dass sie genötigt sind — oft mit schweissigen
Händen — die Hölzchen mit den Köpfchen nach oben in die
182
F. Kis.
Schachteln zu füllen, und durch Aufdrücken mit der flachen Hand
die Köpfchen in die Schachtel hineinzudrücken.
Berichte aus Fabriken chlorfreier Phosphorhölzchen.
Es liegt deren eine ganze Reihe aus den 40er Jahren vor
von Zürich, Nürnberg, Wien, Paris, Berlin und Waldmichelberg
in Hessen. Aus allen diesen Berichten geht einhellig hervor, dass
die reinen Phosphordämpfe und der Aufenthalt in den Phosphor-
hölzchenfabriken keinen besonderen nachteiligen Einfluss auf die
Gesundheit der Arbeiter ausüben, im Gegenteil für die Gesundheit
derselben eher vorteilhaft zu sein scheinen. Unter den viel Tausen-
den von Arbeitern, deren grösster Teil aus schwächlichen Personen
und Kindern besteht — weil eben die Arbeit eine leichte ist — ,
wurden zwar einige wenige Fälle von Kief erleiden herausgefunden,
das Vorkommen von Brustleiden wird aber im Gegensatz zu den
Berichten Gendrins und Dietls geradezu in Abrede gestellt.
Es erhellt somit, dass für die Brustleiden und die Allgemein-
erkrankung der Arbeiter in Fabriken chlorhaltiger PhosjDhor-
hölzchen gar nicht der Phosj)hor, für das Grundleiden Gendrins
einzig das chlorsaure Kali beschuldigt werden kann, und die
akute Bronchitis der Phosphorzündholzarbeiter von Gendrin durch
Einatmung von schwefliger Säure, Salmiaknebel, vielleicht auch
von Phosphorverbindungen verursacht gewesen ist. Solche husten-
reizende Dämpfe kamen eben bei Anwendung des chlorsauren
Kali infolge der häufigen Explosions- Verbrennungen trocknender
Zündhölzchen damals zur Entwicklung. Seit Einführung chlor-
freier Phosphorhölzchen kommen Brustbeschwerden, auch solche
an die sich die Arbeiter allmählich gewöhnt hätten, nicht mehr
vor, trotzdem die chlorfreien Phosphorzündmassen einen vielfach
höheren Phosphorgehalt haben als die chlorhaltigen. Es ist somit
eine unrichtige Annahme, zu behaupten, dass reiner Phosphor-
dunst Husten mache, wovon sich jeder Besucher von Arbeitssälen
heutiger Schweizer Zündholzfabriken überzeugen kann ; den Phos-
phorzündholzarbeitern selbst kommt es lächerlich vor, wenn man
dem Phosphordunst nachsagt, er könne zum Husten reizen.
Wie steht es nun mit der Häufigkeit der »Phosphornekrose«?
V. S chul t hen- Rech b erg beginnt seine Schrift über Phos-
phornekrose (Inaug.-Dissert. aus der Klinik von Rose, Zürich 1867)
mit den Worten: »Wenn wir es unternehmen, die so reiche
Literatur über diesen so ausserordentlich interessanten Gegen-
stand noch zu vermehren, mag diess darin seine Entschuldigung
finden, dass jetzt für manchen namhaften Chirurgen das Leiden
Die gesundheitliche Bedeutung der Zündholzfabrikatiou.
183
fast eine Seltenheit geworden ist.« ... In vielen Ländern ist
die Krankheit fast ganz verschwunden.
Prof. So ein in Basel, welchem ich 1887 meine Schrift »zur
Geschichte der Phosphornekrose« zugesendet habe, schrieb mir
zurück, dass er noch niemals einen Fall von Phosphornekrose zu
Gesicht bekommen habe, und alle Schriftsteller über Phosphor-
nekrose betonen, dass die Erkrankungszahlen gegen früher doch
überall abgenommen haben.
Pappenheim schreibt 1859; »Es steht unzweifelhaft fest,
dass einzelne Personen 20 .Jahre lang in den Fabriken beschäftigt
sein, dass sie während dieser ganzen Zeit hohle Zähne haben
können, dass das Arbeitslokal schlechte Ventilation habe, die der
Fabrik eigentümliche Massenmischung ein auch bei gewöhnlicher
Temperatur und Lufttrockenheit stark dampfende sein kann, dass
die Arbeiter (generis utriusque) ohne die geringste Sorgfalt mit
dem Fabrikate umgehen, ohne Kleiderwechsel, ohne Waschung
aus der Arbeit ans Essen gehen, dass sie den verschiedensten
Lebensaltern angehören können: ohne dass eine SjDur von Kiefer-
nekrose oder Pespirationskrankheiten sich zeigt.« — Er führt des
weiteren an, dass trotz der forwährend bestehenden Gelegenheit
zur Einverleibung von Phosphorsubstanz in den Organismus in
den Fabriken jahrelang kein Kieferleiden zur Beobachtung kommt,
fügt aber dann hinzu: »Plötzlich kommt dann in einer Zahl von
20 oder mehr Arbeitern einer mit Intelligenz und Humanität an-
gelegten und unterhaltenen Fabrik ein Fall von furchtbarer Nekrose
des Kiefers vor!
Oberamtsarzt Dr. Mayer berichtet 1851 aus sieben 1838 — 1840
in Ulm entstandenen Phosphorzündholzfabriken: »Trotz der ebenso
ungünstigen äusseren wie inneren Verhältnisse ist seit Bestehen
* der hiesigen Fabriken innerhalb 13 .Jahren unter dem weiblichen
Personal auch nicht eine Erkrankung an Kiefernekrose vorge-
kommen. Während der gleichen Zeit sind beim gesamten männ-
lichen Personal nur 3 am Kiefer erkrankt und mit Verlust eines
Stück Kieferknochens ohne wesentliche Entstellung davonge-
kommen und dennoch gesund geblieben.« ,
Rechnet man alle erhältliche Berichte zusammen, so kommt
man zu dem Ergebnisse, dass die Erkrankungszahl der Zünd-
holzarbeiter an Phosphornekrose, die leichteren Fälle miteinge-
rechnet, jedenfalls sehr weit zurückbleibt hinter den Erkrankungs-
zahlen der Maler — Anstreicher und der Schriftsetzer und Visiten-
kartenmacher u. s. w. an Bleikrankl leit, und wahrscheinlich nur
recht kleine Bruchteile eines Prozentes beträgt, wenn man ein
184
F. Ris.
ganzes Land berücksichtigt; dass die Erkrankungszahl für Phos-
phornekrose selbst dann noch nicht ein volles Prozent beträgt,
wenn man nur eine einzelne in Beziehung auf ungünstige Lebens-
gewohnheiten der Arbeiter und auf mangelhafte ärztliche Besor-
gung möglichst schlimme Gegend in Rechnung nimmt, und selbst
wenn man, wie ich es fürs Frutigthal gethan habe, auch die ganz
leichten Fälle, welche gewöhnlich nur für »Zahnweh« gehalten
werden, mit in Rechnung zieht, 1 *^/o wahrscheinlich nur ausnahms-
weise übersteigt.
Können Phosphordämpfe die Ursache von Kiefernekrose sein?
Prof, .lüngken in Berlin hat 1848 zu Händen eines Gut-
achtens der obersten preussischen Medizinalbehörde darauf hin-
gewiesen, dass man die angebliche Schädlichkeit der Phosphor-
dämpfe denn doch noch etwas sicherer nachweisen und begrün-
den sollte, als durch die blosse Erzählung dessen, was man in
einer Zündliolzfabrik gerochen habe.
Würden Phosphordämpfe wirklich Kiefernekrose verursachen,
dann wäre der eigenartigen Verhältnisse der Phosphorzündholz-
fabrikation wegen wirklich kein anderer Weg der Abhilfe möglich,
als gänzliches Verbot dieser Fabrikation.
Schon Lorinser hat darauf aufmerksam gemacht, dass die
Phosphormasse auf einzelne Hölzchen verteilt der grossen Ober-
flächenausdehnung wegen noch stärker aus dünstet als in der Tuiik-
pfanne. Diese Ausdünstung der Phosphorhölzchen dauert auch
nach dem Trocknen derselben in den Speichern und Verkaufs-
läden noch an.
Pappenheim schreibt S. 333;
»Ich kenne eine Fabrik, die das Unglück der Kiefernekrose
bei ihren Arbeitern schon mehrfach erlebt hat, deren Masse auch
im Verkaufsladen stark riecht und deren Verkäuferin im Laden
dennoch schon seit vielen Jahren mit schlechten Zähnen dem Ge-
schäfte unbeschädigt vorsteht. Dazu ist der Laden ein sehr
enges Gemach, in dem man sich kaum umdrehen kann, und einem
mit Zündwaren überfüllten Kasten viel ähnlicher, als einem Ge-
schäftslokale.«
Man liebt es aber, auf Tierversuche sich zu berufen. Bis 1856
hat man immer von Bibras Kaninchenversuche als beweisend an-
geführt. Seitdem Trelat 1856 hierüber gesagt hat: »Les con-
clusions de ces experiences nous paraissent nulles!« schweigt man
hievon. Seit 1872 aber beruft man sich auf G. Wegners Kaninchen-
versuche, welche noch weniger gut angestellt sind, als diejenigen
Die gesundheitliche Bedeutung der Zündholzfabrikation. 185
des Freiherrn von Bibra ; denn man darf nicht in der Kiste, in
welcher die Kaninchen und ihr Futter eingesperrt sind, so viel
Phosphor in festen Stücken frei in die warme Luft verdunsten
lassen, dass bei beschränktem Luftzutritt an die kälteren Wände
Phosphor (bezw. Phosphorsäurestaub) sublimieren oder an dem
kälteren Boden und aufs Futter sich niederschlagen kann; und
noch weniger darf man, sollen die Versuche für Wirkung der
blossen Phosphorsäuredämpfe beweisend sein, auf den Boden der
Kiste, wo ja auch das Futter liegt, »so viel oleum phosphoratum
ausgiessen, dass jederzeit ein deutlicher Phosphorgeruch vorhanden
war«, wie dies Wegner gethan hat. Man darf ferner nicht, sollen
die Versuche beweisend sein, den Kaninchen Zähne ausziehen und
dabei den Kiefer zerl'>rechen, und kann nicht in dem kleinen
Kaninchenmaule an der Innenseite des Kiefers kleine Stückchen
Schleimhaut ausschneiden, »so dass die Beinhaut freiliegt«, ohne
eben auch die Beinhaut der Zahnfächer oder diese selbst zu ver-
letzen. x4,uch dürfte man nicht die vom festen oder flüssigen
Phosphor auf steigenden Dünste so lange in der Luft lassen, dass
sie vollkommen zu Phosphorsäure verbrennen, ehe sie zur Ein-
wirkung auf den Kiefer gelangen.
Einfachere und besser beweisende Versuche, bei denen ver-
dampfter, nicht oxydierter Phosphor unmittelbar aspiriert wurde,
sind aber am Menschen, an sehr vielen Menschen, an sehr vielen
Orten, durch viele Jahre hindurch in den Phosphorfabriken ge-
macht worden und haben keine Kiefernekrose ergeben, wie man
in den Annales d’Hygiene von 1846 S. 346, bei Dr. Geist S. 221
bis 223, und ausführlicher und genauer in vielen technischen
Schriften aus den 30ger, 40ger und 50ger Jahren nachlesen kann.
Dr. Ebel hat schon 1851 den Satz aufgestellt: »dass die
P h 0 s p h o r d ä m p f e nicht die Kiefernekrose selbst bei schon vor-
handenen Krankheiten und kariösen Zähnen weder begünstigen,
noch veranlassen«.
Was sind Phosphordämpfe?
Man kann über Phosphornekrose urteilen, ohne zu wissen,
was eigentlich Phosphordämpfe sind; aber es liegt die Frage vor,
ob Genesende auch in Phosphorzündholzfabriken werden arbeiten
dürfen, und zu deren Beantwortung ist Einsicht in das Wesen der
Phosphordämpfe erforderlich.
Bei Liebig a. a. O. 1854 heisst es S. 242 : »Der Phosphor
kann sich wegen seiner grossen Verwandtschaft namentlich zu
Sauerstoff nie frei in der Natur finden.«
186
F. Eis.
S, 256: »Selbstentzündung des Phosphors an der Luft erfolgt
leicht, wenn man die Oxydation des Phosphors in der Luft be-
schleunigt durch sehr feine Verteilung und grosse Berührungsfläche.«
S. 250: »Der Phosphor ist ein sehr leicht oxydierbarer Körper,
der sich selbst bei 0® schon mit Sauerstoff direkt verbindet.«
S. 255 : »An der Luft oxydiert sich der gewöhnliche Phosphor
bei mittlerer Temperatur und selbst noch einige Grade unter Null.«
Aus diesen Sätzen folgt, dass in der Luft der Arbeitssäle der
Zündholzfabriken freier Phosphor als Phosphorgas oder in feiner
Verteilung nicht vorhanden sein kann; also auch nicht auf diesem
Wege in den Mund der Zündholzarbeiter gelangen kann, wie man
angenommen hat und viele noch annehmen, dass das geschehe.
Wäre wirklich freier Phosphor in feinster Verteilung als so-
genannter reiner Phosphordampf in der Luft der Arbeitssäle der
Zündholzfabriken vorhanden, so müsste solcher an kälteren Wänden,
an kalten Fensterscheiben, an kaltem Fussboden auch sich zeit-
weise niederschlagen, und von da aus bei Wärmerwerden wieder
verdampfen. Nun heisst es aber S. 253 : »Der Phosphor hat seinen
Namen von der Eigenschaft im Dunkeln zu leuchten erhalten.
Das Leuchten dauert fort, so lange noch Phosphor verdampfen
kann.«
S. 254: »Verschiedene Gase und Dämpfe verhindern, wenn
sie auch nur in geringer Menge der Luft beigemengt sind, das
Leuchten des Phosphors« ; als solche Gase oder Dämpfe werden
genannt z. B. Terpentinöldampf, Chlorgas, schweflige Säure u. s. w.
Wäre also freier Phosphor in der Luft der Zündholzfabrik-
säle vorhanden und keine Beimengung da, welche das Leuchten
verhindert, so würden Fensterrahmen u. s. w. in Zündholzfabriken
zeitweise des Nachts leuchtenden Beschlag gezeigt haben, selbst
leuchtend erscheinen müssen. Da von nirgendher so etwas berichtet
worden ist, so haben wir einen neuen Grund zu der Annahme,
dass für gewöhnlich freier Phosphor in der Luft der Zündholz-
fabriksäle nicht vorkommt, also auch nicht in den Mund der Ar-
beiter auf diesem Wege hineingelangen kann.
Die unterste Ox}Mationsstufe des Phosphors ist das Phosphor-
oxyd. Bildung von Phosphoroxyd aus Phosphor kommt aber nur
infolge beschränkten Luftzutrittes vor; — »an der Luft oxydiert
sich der Phosphor immer sofort zu phosphoriger Säure« ; s. L.
S. 255. »An der Luft — oxydiert sich der gewöhnliche Phosphor
— unter Verbreitung eines knoblauchartigen Geruches und Bildung
weisser Nebel von phosphoriger Säure, welche wie der Phosphor
selbst leuchten ; hiebei bildet sich gleiclizeitig Ozon, dessen Geruch
IJie gesundheitliche Bedeutung der Zündholzfabrikation.
187
aber wesentlich verschieden ist von dem knoblauchartigen der
phosphorigen Säure. Ist die Luft feucht, so ziehen die gebildeten
Dämpfe sogleich Wasserdampf an und zerfliessen ; die Oxydation
geht dann fort, so lange Sauerstoff vorhanden ist.« —
Phosphoroxyd ist ausserdem ein fester nicht flüchtiger Körper
— — also kann auch die Angabe des Dr. Geist, dass Phosphor-
oxyd als Dunst in der Zündholzfabrikluft vorkomme und neben
dem freien Phosphor das gefährlichste sei, nicht richtig sein
es ist weder reiner Phosphor noch auch Phosphoroxyd in den so-
genannten Phosphordämpfen der Zündholzfabrik enthalten.
Aber auch die phosphorige Säure kann in der Luft sich nicht
halten; denn die vorige Stelle lautet weiter: »Bei hinreichender
Menge von Sauerstoff zerfliesst aller Phosphor zu einer sauren
Flüssigkeit, der phosphatischen Säure.«
S. 241 werden wir dann belehrt, dass phosphatische Säure
dasselbe ist, was früher als acidum phosphoricum per deliquium
bezeichnet und arzneilich gebraucht wurde, wahrscheinlich ein Ge-
menge von phosphoriger und Phosphorsäure ist.
Phosphorige Säure ist früher für giftig gehalten worden, die
betreffenden Versuche stammen aber aus einer Zeit, wo häufig
noch Arsenik im Phosphor enthalten war, und bei solchen Ver-
suchen das so sehr giftige Arsenwasserstoffgas zur Entwicklung
gekommen ist, — seitdem Schrötter in Wien den Phosphor
nach vielen Richtungen hin überhaupt erst recht erforscht und
uns kennen gelehrt hat, sind die Versuclie wiederholt, und ist
daraufhin auch von Buchheim phosphorige Säure für ungiftig er-
klärt worden.
Einige erklären auch heute noch phosphorige Säure in Menge
flüssig eingegeben für giftig; doch kann uns die Losung dieser
Streitfrage gleichgültig sein, so lange wir von Phosphordämpfen
reden, weil in der Luft eben die phosphorige Säure zu Phosphor-
säure verbrennt und abfällig giftig wirkende Mengen hier niemals
Vorkommen könnten.
Können Phosphorsäm’edämpfe in der Luft sich halten? Es
könnte das nur geschehen, wenn Phosphorsäuredämpfe Nebel
bilden würden.
Nebel bilden können gasförmige Körper, wenn sie aus dem
gasförmigen Zustande in den flüssigen übergegangen sind, oder
feste, feine staubförmige Körper, wenn sie Veranlassung geben,
dass an sie anlasfernd Nebelbläschen sich bilden.
O
Wasserfreie Phosphorsäure bildet schneeähnliche Flocken,
kann aber für uns nicht in Betracht kommen, weil sie in der Luft
188
F. Kis.
sofort Wasser anzieht. Wir haben es mit dreibasischem Phosphor-
säurehydrat zu thun, welches sich nach L. S. 329 bei langsamer
Oxydation des Phosphors an der Luft bildet.
Diese Phosphorsäure, welche allein wir zu besprechen haben,
ist aber nicht flüchtig, kommt in der Fabrikluft nicht gasförmig
voi, und ist auch nicht ein fester Körper, — kann also gar nicht
Nebel bilden; so dass Phosphorsäuredunstnebel überhaupt gar
nicht Vorkommen können; obgleich zugegeben werden muss, dass
in Räumen, wo sehr viel Phosphor verbrannt wird und wo sehr
viel Wassernebel in der Luft ist, von phosphoriger Säure her,
welche zu Phosphorsäure wird, die Bläschen des Wassernebels
vielleicht ein wenig phosphorsäurehaltig werden können — und
kann für uns der Fall kaum in Betracht kommen.
Ganz gewiss ist aber, dass zerstäubte Phos23horsäure — und
andere reine Phosphorsäuredamj^fnebel kann es nicht geben — in
der Luft nicht sich halten können würden, weil eben Phosphor-
säure flüssig und schwer ist — selbst allerfeinst zerstäubte Phos-
phorsäure sinkt schnell zu Boden. Was bleibt jetzt noch übrig
für die sog. Phosphordämpfe?
Sämtliche Chemiker sind einig darüber, dass bei Verdunstung
des Phosj)hors auch Wasserstoffverbindungen entstehen, und meist
ist auch von Ozonbildung die Rede.
Durch Arsenwasserstoffgasentwicklung beim Destillieren des
Phosphors sind schon schwere Zufälle bei Werkführern und
Arbeitern aus Phosphorfabriken gemeldet worden, indem Arsen-
wasserstoffgas in geringer Menge schon äusserst giftig wirkt.
Heutzutage werden wir schwerlich in Zündholzfabrikluft hiemit zu
thun haben; indem schon zu Lorinsers Zeit Wiener Pollack’scher
Phosphor arsenfrei befunden, und zu Ebels Zeit der meiste Phosphor
arsenfrei dargestellt worden ist. Doch halte ich es für sehr wahr-
scheinlich, dass die Verschiedenheiten des Geruches von Phosphor
verschiedener Herkunft von Beimischung von unwägbaren
Mengen von Arsen, Schwefel, vielleicht auch Selen und dergl.
zum Phosphor bedingt werden resjD. von Wasserstoff Verbindungen
derselben.
Schwefelwasserstoffgas kommt in Phosphorzündholzfabrikluft
wohl auch nicht in solchen Mengen vor, dass wir ärztlich dasselbe
weiter zu besprechen haben.
Phosphorwasserstoffgasverbindungen giebt es verschiedene.
Der feste Phosphorwasserstoff kommt für uns nicht in Betracht.
Der flüssige Phosphorwasserstoff (L. S. 474) ist 1845 von Paul
Thenard entdeckt. Es giebt aber auch Phosphorwasserstoffgas.
Die geBundheitliche Bedeutung der Zündholzfabrikation.
189
Dr. Geist sagt S. 229 : Keinem Zweifel scheint es zu unterliegen,
dass das Phosphorwasserstoffgas eine reizende Einwirkung auf die
Bronchialschleimhaut nicht ausübt. Thenard (s. Roussel S. 35),
welcher mit seinen Assistenten im Laboratorium während 22 Mo-
naten in einer mit diesem Gas (gaz hydrogene protophosphore)
geschwängerten Atmosphäre beschäftigt war, beobachtete trotz des
.penetranten und unangenehmen Geruches, den derselbe verbreitete,
niemals Hustenanfälle von demselben. Im Gegenteil kam es vor,
dass ein 50 Jahre alter Arbeiter, seit langer Zeit schon mit Katarrh
behaftet, vollständig und ohne weiteres Zuthun geheilt wurde, als
sich tagtäglich die Atmosphäre des Laboratoriums mit diesem
Gase füllte. Thenard hält daher die Wirkung dieses Gases auf
den Organismus vielmehr für eine beruhigende, als eine reizende.«
Darf man Phosphorzündholzfabriken in Genesungswerkstätten
umwandeln?
Sobald bewiesen ist, dass die Phosphorzündholzfabrikluft nicht
einen schädlichen Einfluss auf die Arbeiter ausübt, so bleibt keine
andere Annahme für Entstehen des Kieferleidens, als dass die an
diesem Leiden erkrankten Arbeiter Phosphormasse in fester Gestalt
auf irgend eine Art in den Mund bekommen haben und durch
diese festen Phosphormasseteilchen geschädigt worden sind.
Um das Entstehen der Krankheit verhüten zu können, ist es
alsdann gar nicht einmal nötig, genau zu wissen, ob Phosphor als
solcher oder als Phosphorsäure oder als phosphorige Säure oder
wie sonst zur Wirkung gelangt; wir haben nur zu verhüten, dass
den Arbeitern das Gift in den Mund gelange. Mit welchen Ge-
legenheiten das geschehen kann, das haben wir im Groben schon
bei Besprechung des chlorsauren Kali erwähnt, und wissen also
auch, was dagegen zu thun ist.
In gut gehaltener, sauberer Phosphorzündholzfabrik
ist weiter gar nichts nötig, als dass die Arbeiter bei ihrer
Arbeit dieselbe Vorsicht beobachten, welche auch Maler,
Anstreicher, Schriftsetzer, Visitenkartenmacher und Leute,
welche viel mit Bleiloth zu thun haben, und andere Ar-
beiter, welche mit festen oder mit flüssigen, nicht ver-
dunstenden Giftstoffen zu thun haben, wie z. B. Chlor-
zündholzarbeiter ebenfalls anwenden müssen, um vor Be-
rufsleiden bewahrt zu bleiben.
Ist man sicher darüber, dass dies der Fall ist, so steht gar
nichts im Wege, Genesende auch in Phosphorzündholzfabriken zu
beschäftigen ; — und weniger bemittelten Kurbedürftigen Gelegen-
heit zu geben, in gutgehaltener Phosphorzündliolzfabrik in schöner
gesunder Gebirgsgegend, wie z. B. im Kanderthal bei Frutigen,
saubere, einfache gute Unterkunft zu finden und einen Teil der
Kurkosten dort selbst zu verdienen.
Die Arbeit in Zündholzfabriken ist leicht zu erlernen und
fast spielend auszuführen, geschieht im Stehen und gefährdet in
keiner Weise Brust oder Augen, wie eine Sitzarbeit. —
Für ganz erwiesen halte ich es, dass die Phosphorluft
in den Fabriksälen auf das Befinden Brustleidender,
Keuchhustenkranker, an Rachenkatarrh Leidender einen
günstigen und heilenden Einfluss ausübt; nach Lyoner Aus-
sagen (Dupasquier) auch an gewissen Hautkrankheiten, was ich
selbst in Phosphorzündholzfabriken beobachtet habe.
Stellt man den Phosphor recht rein dar, beseitigt den Schwefel
u. s. w., so wird auch der Geruch in Zündholzfabriken niemandem
mehr unangenehm Vorkommen.
Was ist Phosphornekrose.
Rose hat dieselbe gut beschrieben :
1. »Die sogenannte Phosphornekrose zeichnet sich vor andern
Nekrosen dadurch aus :
»Dass der Ausbruch des Leidens meist sehr verspätet nach
dem Beginne der Einwhkung der Phosphordämpfe stattfindet ;
ferner :
»Dass die Verbreitung von dem befallenen Orte des Knochens
auf seine Nachbarschaft und auf seine Nachbarknochen sehr lang-
sam erfolgt; endlich:
»Dass der Verlauf des ganzen Prozesses in der Regel ein sehr
schleichender ist.
»Während bei andern Nekrosen das disseminierte Auftreten
und der schleichende Verlauf selten ist, scheint das hier das ge-
wöhnliche zu sein und den einzigen Unterschied dieser Nekrose
zu bilden.«
2. »Diese Eigentümlichkeit bringt es mit sich, dass es bei
den Kranken manchmal nur zu einer einfachen Paruhs, oft zu einer
ausgedehnten Periostitis oder Osteomyelitis, fast stets mit Ausgang
in Nekrose kommt.«
3. »Alle diese Formen können sich zu einer bestimmten Zeit
des Krankheitsverlaufes gleichzeitig an den verschiedenen Knochen
des Gesichtes, ja oft an einem Knochen, z. B. dem Unterkiefer,
zusammen zeigen.
»Das eigentümliche Aussehen der Knochenpräparate von
Die gesundheitlidie Bedeutung der Zündholzfabrikation.
191
Phosphornekrose scheint sich ebenso darauf zu reduzieren, dass
an einem Knochen gleichzeitig diese verschiedenen Affektionen zu
sehen sind. Nekrosen, Sequesterkapseln, daneben dicke und dünne
Osteophytschichten, mehr oder weniger tiefe Demarkationsgruben,
Kloaken und leere Plöhlen.«
Rose hätte aber noch zufügen können, dass der Verlauf der
Kiefernekrose bei Phosphorzündholzarbeitern, wenn die Sache nicht
gar zu schauderhaft vernachlässigt oder auch beliandelt wird, für
i| gewöhnlich nicht nur ein ungemein schleichender, sondern auch
ein ungemein, ganz auffällig milder ist, und an diesem milden
' Verlaufe kann gar nichts anders schuld sein, als die Einwirkung
der Phosphorzündholzfabrikluft; indem bei den nekrosekranken
Phosphorzündholzarbeitern meistens sofort die Schmerzen sich ver-
mehren, sobald sie ihre Arbeit aufgeben, und fast alle oder viel-
j leicht wirklich alle Fälle akuter Nekrose, welche von Phosphor-
I Zündholzarbeitern gemeldet worden sind, ihre Entstehung ausser-
I halb der Fabrik, während der Arbeitsferien genommen haben!
Die kranken Arbeiter wissen das, dass sie in der Fabrikluft
am wohlsten sich befinden, und deshalb ist es allgemeine Klage
der Aerzte, dass man gerade die kranken Phosphorzündholzarbeiter
gar nicht von ihrer Beschäftigung abbringen kann!
Und was ist schuld daran, dass der Verlauf der Phosphor-
nekrose in der Fabrikluft ein so milder ist und die schon l)e-
stehenden Schmerzen den Kranken da ganz erträglich werden oder
selbst ganz auf hören?
Die mildernde, fäulnis widrige, desinfizierende Einwirkung der
geringen Mengen des Phosphorwasserstoffgases, welches in der
Fabrikluft vorhanden ist, und seiner Begleiter, vielleicht des Ozons
u. s. w. — — also gerade derjenigen Gase, um derentwillen man
die ganze schweizerische Phosphorzündholzindustrie im Namen
der Humanität jetzt totschlagen will.
Entstehung der Phosphornekrose.
Ist die eigenartige Kiefernekrose der Phosphorzündholzarbeiter
wirklich immer nur durch Einbringen von Phosphormasse in den
Mund bedingt?
Ich halte es für möglich, dass Jüngken mit seiner Behauptung,
j man brauche den Phosphor gar nicht, um die Kiefernekrose der
I Zündholzarbeiter zu erklären, für einzelne, Helleicht für manche
Fälle recht haben kann.
Weil der Phosphor es ja gewohnt ist, dass man ihm mehr Böses
nachsagt, als ihm eigentlich zukommt, will ich folgendes sagen:
Einbringen von Phosphormasse in den Mund täglich, be- j
ständig, und längere Zeit hindiirch, aber in so geringer Menge, |
dass die gewöhnliche Lebcnsthätigkeit des Körpers, wde schon
Haltenhoh gesagt hat, in unauffälliger Weise dieselbe für die all-
gemeine Gesundheit wirklich unschädlich macht, kann gleichwohl
örtlich an einem oder an mehreren Zahnhälsen Veränderung
hervorbringen — die Ablagerung von Zahnstein verursachen,
indem die phosphorige Säure oder die Phosphorsäure Kalk aus *
den Geweben oder aus den Mundflüssigkeiten anzieht.
Haftet dieser Zahnstein recht fest am Zahne, so kann ver-
möge der beständig wiederholten Stösse, welche der Zahn beim
Kauen erfährt, dieser Zahnstein den Knochenrand des Zahnfaches
wund reiben oder wund stossen; ist der Zahnstein zugleich
schwammig, — jeder Zahnstein, auch der härteste, ist in gewissem
Sinne schwammig — so kann vermöge der Flüssigkeiten, mit
welchen er durchtränkt wird, oder vermöge der sicli da ansiedeln-
den Pilze die blosse Anwesenheit des Zahnsteins auf die Nachbar-
schaft Reiz ausüben — wir haben die Riggs’sclie Krankheit,
Die Riggs’sche Krankheit, wenn sie nicht oder nicht richtig
behandelt wird, macht auch Reizung der Beinhaut, die Beinhaut
wird saftiger, der Zahn bekommt zuerst unmerklich ein wenig
Spielraum; er wirkt beim Kauen wie eine Saug- und Druckpumpe,
kann Mundflüssigkeiten in das Zahnfach hineinpressen, aus diesen
Flüssigkeiten kann Zahnstein im Innern des Zahnfaches entstehen
und Eiterung erregen — wir haben die Haynes’sche Krankheit.
Der gelockerte Zahn an sich oder noch leichter mittels an-
gelagerten Zahnsteins kann beim Kauen wie ein verletzender
Rammklotz auf die Zahnfachwandung wirken, Pilze oder Mund-
flüssigkeit können ins Gewebe dringen, wir bekommen Gewebe-
vergiftung und je nach Umständen Zahnfachreizung, Beinhaut-
entzündung, Zahnfachnekrose, Beinhautnekrose, Kiefernekrose, be-
schränkte oder vollständige, schnell verlaufende, mit Blutvergiftung
oder langsamer und milder verlaufende, letztere natürlich viel eher,
wenn für milde, nicht selbst schadende Desinficierung beständig
gewirkt wird.
Kann das nun Phosphornekrose genannt werden , da der
Phosphor doch eigentlich nur die Riggs’sche Krankheit verursacht
hat, und alles weitere Schlimme nur Folge der Riggs’schen Krank-
heit ist?
Dass aber Einbringen von Phosphormasse in den Mund,
auch wenn es täglich geschieht, nach Art mancher Zündholz-
arbeiter Entstehen Riggs’scher Krankheit verursachen müsse, das
Die gesundheitliche Bedeutung der Zündliolzfahrikation.
193
kann nicht der Fall sein, denn sonst würden wir dieses Leiden
bei Pliosphorarb eitern viel häufiger finden müssen.
Die Riggs’sche Krankheit entsteht übrigens nicht von heute
auf morgen, sondern braucht wenigstens drei Wochen zu ihrer
Entwicklung, womit bewiesen ist, dass Phosphornekrose auch bei
nachlässigen und ungeschickten Arbeitern in Phosphoi’zündholz-
fabriken leicht verhütet werden kann.
Ueber Erysipel der Harnblase
von
l)r. Anton R. v. Frisch
a. ö. Trofessor der Chirurgie a. d. Universität zu Wien.
Dass nicht nur die äussere Haut, sondern auch Schleimhäute,
unter Umständen auch eine Serosa von Erysipel befallen werden
können, ist eine seit langer Zeit bekannte Thatsache. Vollkommen
unbekannt war es aber, dass auch die Schleimhaut der Harnblase
an typischem Erysipel erkranken kann, und ich hoffe somit durch
die Publikation der nachfolgenden Mitteilung, wiewohl dieselbe
im AVesentlichen sich auf die Schilderung eines einzigen Krank-
heitsfalles beschränkt, einen in mannigfacher Beziehung interes-
santen Beitrag zu unseren Kenntnissen von den Entzündungen der
Harnblase zu geben.
Am besten gekannt von den erysipelatösen Schleimhaut-
affektionen ist der Rotlauf der Rachenschleimhaut, an welche sich
zuweilen in continuo eine Erkrankung des Larynx und der Bron-
chien anschliesst. Die bekannten grossen amerikanischen Epi-
demien von Schleimhauterysipel, von denen HirsclU in seinem
Handbuch der historisch-geographischen Pathologie eine so vor-
treffliche Beschreibung giebt, zeigten durchaus als primäres charak-
teristisches Symptom eine Affektion des Rachens, die mit er-
schwertem Schlingen, dunkel purpurfarbiger Rötung der Schleimhaut
mit nachfolgenden brandigen Belegen einherging, und im weiteren
Verlaufe sich auf die Trachea oder die Nasenhöhle, den Sinus
frontalis und die Highmorshöhle fortsetzte. Nach zwei Tagen oder
noch später erst gesellte sich zu dieser primären Erkrankung ein
typisches Hauterysipel, welches an allen Teilen des Körpers vor-
kam, vorzugsweise allerdings im Gesicht, wo es meist von den
Nasenflügeln oder dem Augenwinkel den Ausgang nahm, um dann
Heber Erysipel der Harnblase.
195
in gewöhnlicher Weise, zuweilen über den ganzen Körper, weiter
zu wandern. Hh’sch bezeichnet dieses Erysipel, welches auf der
westlichen Hemisphäre und speziell in Nordamerika in den Jahren
1822 — 1836 zuerst epidemisch auftrat, um erst im Anfänge des
sechsten Dezenniums zu erlöschen, als Erysipelas typhoides oder
malignum. Volkmann teilt über diese Form von Erysipel mit,
dass die Erkrankung der Haut in seltenen Fällen weit ab von
der primären Infektionsstelle (an den unteren Extremitäten) be-
ginnt, und dieselbe nicht selten mit Peritonitis kompliziert ge-
wesen sei.
Dass die Schleimhaut wie die äussere Haut von Erysipel er-
griffen werden könne, soll nach Wagner® schon Hippokrates be-
kannt gewesen sein, sicher beschrieben sind solche Fälle von
Sydenham, van Swieten und P. Frank. In neuerer Zeit verdanken
wir genauere Kenntnisse über diese Erkrankung den Franzosen,
vorzugsweise CorniD. Hesse® beschreibt eine Reihe von Schleim-
hauterysipelen gelegentlich einer Epidemie von Wundrose. In
den zahlreichen in der neueren Litteratur beschriebenen Fällen
von Schleimhauterysipel handelt es sich fast ausschliesslich um
das Erysipel des Pharynx. Alle Beobachter heben als charakte-
ristisch die intensive purpurartige Rötung der Schleimhaut und
den starken Glanz derselben hervor, und betonen fast einhellig,
dass die spezielle Natur der Krankheit erst dann zu konstatieren
sei, wenn sie auf die Haut vorschreite, oder wenn Albuinen oder
Milzschwellung gefunden werden (Zuelzer®).
Von Interesse erscheinen mir noch eine Mitteilung von Knee-
land (vergl. Zuelzer 1. c.) und von Estländer und Wasastjerna ‘.
Im ersteren Falle handelt es sich um ein Erysipel, welches sich
nach Abtragung von Excreszenzen von der vulva eines Mädchens
von der Operationsstelle aus entwickelte, sich über die Schleim-
haut des Uterus bis zum Peritoneum erstreckte und eine tödlich
endende Peritonitis hervorrief. Es wurden also Cutis, Mucosa und
Serosa in continuo von der Erkrankung ergriffen. Aehnliche Fälle
sind selten, in der Regel beschränkt sich der Prozess auf die
Scheide, auch die Harnröhre kann ergriffen sein, allein über eine
erysipelatöse Affektion der Blase liegt keine Mitteilung vor. Im
zweiten Falle wird über eine direkte Infektion der Rachenschleim-
haut mit Erysipel nach einer Staphylorrhaphie berichtet, also einen
richtigen Wundrotlauf auf der Schleimhaut.
Dass es sich bei verschiedenen Formen von Schleimhaut-
erysipel wirklich um Invasion des Fehleisenschen Streptococcus,
also um echtes Erysipelas migrans handelt, wurde durch mehr-
196
Anton R. v. Frisch.
fache positive Züchtungs- und Impfversuche festgestellt. So ge-
lang es Biondi® bei einem Falle von primärem Larynxerysipel
Reinkulturen von Streptococcen zu erzielen, desgleichen Israel in
einem Falle von primärer infektiöser Phlegmone des Larynx (mit-
geteilt von Landgraf^). Finkler^® züchtete Erysipelcoccen aus dem
Lungenexsudat in vier Fällen von lobulärer Pneumonie. Hart-
mann ^ ^ endlich legte Reinkulturen von Erysipelcoccen aus Schleim-
hauterysipel an, und verimpfte die Kulturen mit positivem Erfolg auf
die Schleimhaut des Mundes und des Genitalsystems von Kaninchen,
Da es mir in meinem Falle gleichfalls gelang, sowohl aus
dem Harn als auch aus dem Secrete der Prostata Erysipelcoccen
rein zu züchten und mit positivem Erfolg auf Versuchstiere zu
verimpfen, erscheint es zweckdienlich, in kurzem auf das Vor-
kommen von Streptococcen im Harn bei verschiedenen Infektions-
krankheiten und bei Affektionen des Harnapparates überhaupt
einzugehen.
Während Philipe wicz nach wies, dass bei gewissen Infek-
tionskrankheiten (Milzbrand, Rotz, Tuberkulose) die pathogenen
Organismen auch in den Harn übergehen und es Weichselbaum
gelang, bei Endocarditis ulcerosa den Streptococcus pyogenes aus
dem Harn zu züchten, liegen von Neumann^'^, der eine Reihe von
Erysipelfällen in Bezug auf das Erscheinen der Erysipelcoccen im
Harn untersuchte, nur negative Ergebnisse vor.
Lustgarten und Mannaberg haben in drei Fällen von aku-
tem Morbus Brightii lange Streptococcen im Harn gefunden.
Reinkulturen derselben gelangen nicht. Tommasoli^® wdes im
balanitischen Eiter sowie im gesunden Präputialsack das Vor-
kommen von Streptococcen nach. Lundström hat aus dem Harn
von Cystitis drei Bakterienarten, zwei Staphylococcen und einen
Streptococcus (pyogenes?) gezüchtet. Erstere (der sie enthaltende
Harn reagierte alkahsch) besassen die Fähigkeit, Harnstoff unter
Bildung von Ammoniumcarbonat zu zersetzen, der streptococcen-
haltige Harn war sauer, stark eitrig. Während bei Einspritzung
in die Harnblase von Kaninchen mit nachfolgendem temporärem
Verschluss der Urethra die Staphylococcen Blasenreizung nebst
ammoniakalischer Zersetzung des Harns zur Folge hatten, kam
nach Injektion der Streptococcen zwar Eiterung, aber keine am-
moniakalische Zersetzung des Harnes zustande. Unter die Haut
appliziert riefen die Streptococcen Eiterung hervor. Thorkild
Rovsing hat im Harn bei verschiedenen Cystitisfällen und in der
normalen Urethra des Mannes drei verschiedene Formen von
Streptococcen gefunden (Streptococc. pyogen, citr., Str. pyog. ureae
lieber Erj'sipel der Harnblase.
197
und Streptoc. ureae rugosus), von denen zwei Eiterung erregend
wirken, wenn nach der Einführung in die Blase eine 6 — 12stün-
dige Harnretention eingeleitet wird, der dritte aber gänzlich in-
different ist. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass es sich
bei all diesen Streptococcusbefunden niemals um den Erreger des
Erysipels gehandelt hat. Der Vollständigkeit halber sei noch einer
Publikation von Bumin über die Aetiologie des puerperalen
Blasenkatarrhs gedacht. Bumm konstatierte in acht Fällen von
puerperaler Cystitis das konstante Vorhandensein eines Diplococcus.
An Hunden und jungen Ziegen angestellte Infektionsversuche er-
gaben, dass dieser Organismus für die gesunde Blasenschleimhaut
schadlos ist, wohl aber eitrige Cystitis nach vorausgeschicktem
Trauma der Blase zu erregen im stände ist. Dieser Befund er-
scheint um so merkwürdiger, als es ja ganz sicher steht, dass eine
grosse Zahl der Puerperalfieberfälle auf eine Infektion mit Ery-
sipelorganismen zurückzuführen ist. Ganz zweifellos wurde der
Beweis hiefür von Winkel erbracht, der aus dem Herzblute einer
im Puerperium verstorbenen Person Reinkulturen von Erysipel-
coccen erhielt und damit typisches Erysipel bei Kaninchen er-
zeugen konnte.
Der Fall von Blaseneiysipel, welchen ich zu beobachten Ge-
legenheit hatte, betraf einen 52jährigen kräftigen Mann, welcher
mit chronischer Prostatitis seit längerer Zeit in meiner Behand-
lung stand, sonst aber vollkommen gesund war. Derselbe hatte
vor 20 Jahren nach einer gonorrhoischen Infektion eine akute Pro-
statitis mit Abscedierung und Durchbruch in die Blase durchge-
macht. Seither kam es alljährlich wenigstens einmal zu kleineren
Abscessbildungen in der Prostata, welche nach ein- bis zweitägigen
leichten Fieberbewegungen zum Durchbruch in die Blase führten.
Der Harn, der in der Regel klar war, aber stets mehr oder weniger
flockige Beimengungen enthielt, war dann ein bis zwei Tage leicht
getrübt. Die Schmerzen, der Harndrang und die anderen subjek-
tiven Beschwerden, welche mit der Entstehung eines neuen Abs-
cesses auftraten, waren jedesmal, sobald der Harn sich trübe
zeigte, ebenso wie die Temperatursteigerung verschwunden, und
der Patient, der diese kleinen Zwischenfälle genau kannte und über
ihren typischen Verlauf durch die langjährige Erfahrung informiert
war, befand sich dann wieder für längere Zeit relativ wohl. Am meisten
gequält wurde er durch einen lästigen, durch keine Mittel zu be-
kämpfenden Priapismus. Die Prostata hatte sich infolge der zahl-
reichen Entzündungsvorgänge in ihrer Configuration wesenthch
geändert. Beide Lappen erscheinen geschrumpft, an der Ober-
198
Anton R. v. Frisch.
fläche höckerig, stellenweise grubig vertieft. Zeitweilig litt der
Patient an übrigens immer rasch vorübergehender Harnverhaltung.
Am 4, Februar 1892 erkrankte der Patient unter heftigem
Schüttelfrost und Erbrechen, (Temp. 40,5) ohne dass von Seite
der Prostata oder der Blase irgendwelche abnorme Erscheinungen
nachzuweisen waren. Tags darauf war die Temperatur auf 38,7
gesunken, der Kranke klagte über Druck im Perineum, vermehrten
Harndrang und Brennen in der Blase. Die Prostata war im linken
Lappen auf Druck empfindlich und leicht geschwellt. Am 6. war
das Fieber geschwunden, die subjektiven Beschwerden hatten
wesentlich nachgelassen , im Harn, der gleichmässig getrübt erschien,
zeigte sich ein eitriger Bodensatz und es schien fast, als ob es sich
nur um einen der gewöhnlichen Zwischenfälle gehandelt hätte,
als am 8. Februar abends neuerdings ein heftiger und lange
dauernder Schüttelfrost auftrat (höchste Temp. 39,6) ; gleichzeitig
bestand heftiger Harndrang; die Untersuchung per rectum ergab
keine Schmerzhaftigkeit , keine Schwellung ; der Harn enthielt
Flocken in grosser Menge, war sonst klar und zeigte geringen
Albumingehalt. Nachdem die darauf folgenden beiden Tage wieder
vollkommen fieberfrei verlaufen waren und die Untersuchung durchaus
keine Abweichung von dem gewöhnlichen Befunde ergeben hatte, er-
reichte die Temperatur am 11. abends 40,7. Es erfolgte neuerdings
Erbrechen und bestand andauerndes Frösteln. Die Zunge war dick
belegt; die Prostata zeigte eine leichte Schwellung und geringe
Empfindlichkeit im rechten Lappen, Nachts stellte sich auch Harn-
drang und heftiges Brennen in der ganzen Blase ein. Der Harn
war leicht getrübt, eitrig.
Am 12. ist der Kranke so^Dorös ; das Fieber bleibt den ganzen
Tag über zwischen 39,7 und 40,5, acht Uhr abends halbstündiger
heftiger Schüttelfrost, es bestehen heftige Kopfschmerzen, Schmerzen
in der Milzgegend, Hüsteln (feinblasiges Rasseln in beiden Lungen),
Zucken mit den Händen ; am Herzen ist nichts nachzuweisen ; das
quälendste Symptom aber bleibt nebst dem Harndrang ein continuier-
licher, intensiv brennender Schmerz in der Blase. Harn stärker
getrübt, eiterig, dementsprechend vermehrter Eiweissgehalt. Am
13. morgens ist eine deutliche Milzschwellung zu constatieren ;
leichter Sopor und Zucken in den Extremitäten hält an, desgleichen
der heftige, brennende Schmerz in der ganzen Blase sowie der
Harndrang, welch letzterer durch beträchtliche Dosen von Opiaten
interne und per rectum kaum zu beschwichtigen ist. Die Unter-
suchung der Prostata lässt keine weitere Schwellung erkennen,
die Druckempfindlichkeit hat abgenommen; für die Vermutung,
lieber Erysiijel der Harnblase.
199
dass es sich vielleicht um einen grossem Abscess in der Prostata
handeln könnte, finden sich keine Anhaltspunkte. Die Unter-
suchung des Harnes ergiebt: dunkelgelb, getrübt, sp. G. 1023,
sauer; Eiweiss vorhanden, Chloride vermindert; Sediment: Eiter-
körperchen, Plattenepithelien, einzelne Streptococcen ; von anderen
Bakterienarten nichts zu finden. Abends ist das Sensorium frei,
Hüsteln dauert an ; Befund auf den Lungen und am Herzen negativ.
Am 14. morgens zeigt sich, nachdem Patient unter den
quälendsten brennenden Schmerzen in der Blase eine schlaflose
Nacht verbracht, an der vorderen Fläche des linken Unterschenkels
eine ungefähr mandelgrosse von scharfen zackigen Rändern be-
grenzte, gerötete, über das Niveau der normalen Haut leicht pro-
minierende, auf Druck empfindliche Stelle ; eine zweite solche erbsen-
grosse findet sich einige Zoll darüber in der Haut über der spina
tibiae. Die ganze Erscheinungsweise dieser geröteten Hautstellen
erinnerte in so prägnanter Weise an ein beginnendes typisches
Erysipel der Haut, dass ich sofort auf die Vermutung kam, dass
es sich möglicherweise um ein Schleimhauterysipel in der Hai’ii-
blase handeln könne, welches nun metastatisch auf die Haut über-
greift. Diese Vermutung wurde noch bestärkt durch den Tags
vorher festgestellten Befund von Streptococcen im Harne. Die
Infektion der Blase war offenbar von einem Prostataabscess aus-
gegangen, oder der erysipelatöse Prozess hatte in der Prostata
selbst begonnen und von dort auf die Blasenschleimhaut in con-
tinuo übergegriffen. Bis zum Abend desselben Tages war über
die Diagnose Erysipelas migrans in der Haut des Unterschenkels
kein Zweifel mehr möglich; beide gerötete Stellen hatten sich
ungefähr um das vierfache vergrössert und waren mit den charakte-
ristischen zackigen und buchtigen Rändern versehen. Es erschien
mir von Wichtigkeit, aus dem Harn, eventuell aus dem Secret der
Prostata Kulturen anzulegen. Durch Druck auf die (übrigens an
diesem Abend wieder stärker und gleichmassig geschwellte) Vor-
steherdrüse gelang es zwei Tropfen einer scldeimigeitrigen Flüssigkeit
am orificium urethrae zum Vorschein zu bringen, w^elche mit
Platinoesen aufgefangen, in verflüssigte Fleisch wasserpeptonge-
latine übertragen und zu Anlegung von Plattenculturen verwendet
wurden. Der Harn wurde centrifugiert und das Sediment gleich-
falls auf Platten ausgesäet. UeV)er den weiteren Verlauf der Züch-
tungs- und der sich daran anschliessenden Impfungsversuche wird
im weiteren berichtet werden. Die mikroskopische Untersuchung
sowohl des Prostatasecretes als auch des Harnsedimentes ergab das
Vorhandensein von Streptococcen.
200
Anton R. v. Friscli.
Am 15. Februar waren die beiden erysipelatösen Stellen am
linken Unterschenkel konHuiert. Fieber anhaltend über 39. Milz-
schwellung zugenominen. Sensorium getrübt. Die brennenden
Schmerzen in der Blase und der Harndrang haben etwas nach-
gelassen. Unter vorsichtiger Applikation von Cocain wurde in
möglichst schonender Weise, nachdem die Blase ausgespült und
mit circa 100 Gramm einer cocainhaltigen 2prozentigen warmen
Borsäurelösung gefüllt worden war, das Cystoscop eingeführt. Es
zeigte sich ein Bild, wie ich es in der That bisher bei keiner Blasen-
affektion gesehen hatte. Die ganze Blasenschleimhaut war intensiv
hochrot, an einzelnen Stellen tiefblaurot gefärbt und in so zahl-
reiche stark prominierende Falten gelegt, dass nur Wulst an Wulst
zur Ansicht kam. Die Oberfläche war überall glatt, leicht öde-
matös; von Gefässstämmchen war an keiner Stelle etwas zu er-
kennen, hingegen fanden sich stellenweise kleine Ekchymosen;
Ulcerationen und Belege fehlten. Der Patient vertrug den Eingriff
gut, behauptete, dass die Untersuchung ihm keine besonderen
Schmerzen verursacht habe. Am Abend desselben Tages zeigte
sich nach vorhergangenem kurzen Schüttelfrost eine neue erysipe-
latöse Hautstelle in der Mitte der Vorderfläche des rechten Ober-
schenkels. Der Harn immer noch gleichmässig getrübt, eitrig;
wurde centrifugiert und das Sediment zur Anlegung neuer Platten-
kulturen benützt.
Am 16. gleichmässiges Portschreiten des Erysipels an beiden
unteren Extremitäten, Zustand der Blase unverändert. Am 17. tritt
vollständige Anurie ein, mit dem Katheter ist kein Tropfen Harn
zu entleeren (Verlegung der Ureterenmündungen durch die stark
geschwellte und gewulstete Schleimhaut?), Erysipel in der Haut
schreitet typisch weiter. Am 18. vormittags ist die Blase noch
leer, nachmittags wurden mit dem Katheter 150 Cc. trüben, dunklen
Harns entleert, am folgenden Tage tritt unter Nachlass der lokalen
Schmerzen und des Fiebers Polyurie ein (Gesammtmenge des Harns
2100 Cc.). Derselbe ist sauer, leicht getrübt, sp. G. 1020, Eiweiss
in geringer Menge vorhanden. Sowohl vom Harn dieses Tages,
sowie von dem Tags vorher mittels Katheters entleerten wurde
das Sediment zur Anlegung von Kulturen verwendet.
In den folgenden Tagen (19. Februar bis 1. März) schreitet
das Erysipel über die hintere Fläche der unteren Extremitäten und
die Gesässgegend den ganzen Rücken entlang bis zum Hinter-
haupt. Gleichzeitig nehmen die Blasenbeschwerden langsam aber
stetig ab, der Eitergehalt des Harnes wird gering, der Eiweiss-
gehalt ist bis auf eine minimale Spur verschwunden. Im Harn-
Uel)C‘r Erysipel der Hanil)lase.
201
Sedimente treten neben Eiterkörperchen und Streptococcen Epitliel-
zellen in grossen Mengen auf . Dieselben nehmen in den nächsten Tagen
noch an Menge zu und noch nach Wochen, nachdem die Eiter-
zellen längst aus dem Harn wieder verschwunden waren, und
keine Spur von Eiweiss mehr nachzuweisen war, finden sich immer
noch reichliche Massen von Blasenepithelien im Sediment, so dass
man es offenbar mit einem reichlichen Abschilferungsprozesse der
Blasenschleimhaut zu thun hatte. Bei einer am 2G. Februar neuer-
dings vorgenommenen cystoscopischen Untersuchung zeigte sich
die Blasenschleimhaut noch gleichmässig intensiv gerötet, die Ober-
fläche derselben erscheint aber nicht mehr gewulstet, sondern
gleichmässig glatt. An einzelnen Stellen sind kleine Gefässver-
zweigungen sichtbar.
Die Temperatur ist bis zum 1. März nicht zur Norm zurück-
gekehrt, sondern immer über o8 geblieben; am Abend dieses
Tages Schüttelfrost; objektiv nichts zu finden, an der Prostata
keine neue Schwellung nachzuweisen, Blasenbeschwerden nicht
vermehrt. Am 2. morgens zeigt sich an der der vorderen Rumpf-
fläche, die bisher vom Erysipel frei geblieben war, und zwar rings
um die linke Mamilla herum eine frische kreuzergrosse eiysipela-
töse Stelle, der am 3. unter neuerlichem Schüttelfrost eine ganz
symmetrisch gelegene an derselben Stelle der rechten Brustgegend
folgt. Von hier aus schreitet nun das Erysipel vom 3. bis 10. März
unter erhöhtem Fieber über den Bauch nach abwärts und über
die vordere Halsfläche nach aufwärts zum Gesichte, überschreitet
noch das Gesicht und die ganze behaarte Kopfhaut und blasst
dann plötzlich unter raschem Temperaturabfall und einige Tage
andauernden subnormalen Temperaturen allenthalben ab. Die
Blasenbeschwerden haben inzwischen vollkommen, aufgehört, der
Harnbefund ist bis auf den oben erwähnten reichlichen Gehalt
an Epithelzellen normal, selbst die Flocken sind bis auf ein
Minimum geschwunden und der Patient ist im Verlaufe von weiteren
14 Tagen auch in seinem Allgemeinbefinden vollkommen zur Norm
zurückgekehrt. Von Interesse ist, dass auch der Priai^ismus ver-
schwunden ist und sich seither (es sind indes über 4 Monate ver-
strichen) nicht wieder eingestellt hat.
Dieser Krankheitsfall, welcher, wie aus dem ganzen Verlaufe
hervorgeht, wohl ohne Einwand als eine primäre erysipelatöse
Erkrankung der Harnblase aufzufassen ist, zeigt in mancher Be-
ziehung eine gewisse Aehnlichkeit mit jenem Typus des Schleim-
hauterysipels, wie er von Hirsch für die amerikanischen Rachen-
erysipele beschrieben wurde. Die Erkrankung in toto muss als
202
Anton R. v. Frisch.
eine sehr schwere bezeichnet werden und kann nach ihren Er-
scheinungen ohne Zwang in jene oben erwähnte Form von malig-
nem oder typhoidem Erysipel eingereiht werden. Wie beim epi-
demischen Pharynxerysipel folgte auch hier der primären Schleim-
hauterkrankung ein Erysipel der allgemeinen Decke, welches im
Verlaufe von 4 Wochen sich über die ganze Körperoberfläche
erstreckte. Als ein seltenes, wenn auch schon beobachtetes Vor-
kommen muss der Umstand betrachtet werden, dass das Erysipel
sich nicht in Kontinuität von der Schleimhaut auf die äussere
Haut fortsetzte, sondern in metastatischer Form an mehrfachen
Punkten entfernt von dem primären Herd auf tauchte. Diesen
metastasierenden Charakter behielt das Erysipel auch später noch
bei, indem noch in der dritten Woche, nachdem es schon die
ganze hintere Körperfläche überzogen hatte, mitten in normaler
Haut ohne irgend einen direkten Zusammenhang mit schon erkrankt
gewesenen Stellen an zwei Punkten der vorderen Thoraxfläche
isolierte Erysipelherde auf traten. Ich glaube, dass sich diese Er-
scheinungsweise wohl kaum anders erklären lässt, als durch die
Annahme, dass die Erysipelcoccen von der Blase aus zunächst in
die Blutbahn und von hier erst in die entfernt von der primären
Infektionsstelle gelegenen Partien der Haut gelangten. Hiefür
scheint mir auch das regelmässige Auftreten eines heftigen Schüttel-
frostes zu sprechen, welcher jedesmal dem Erscheinen eines solchen
isolierten Erysipelherdes vorausging. Wiewohl, seit der spezifische
Organismus des Erysipels genau bekannt ist, (Fehleisen, R. Koch)
wiederholt betont wurde , dass sich seine Vegetationen in der
erkrankten Haut nur auf die Lymphgefässe beschränken, liegen
doch aus neuester Zeit eine Reihe von Beobachtungen vor, welche
sein Auftreten in der Blutbahn immerhin im Bereich der Möglich-
keit erscheinen lassen. Ausser der oben citierten Mitteilung von
Winkel (1. c.) erwähne ich hier noch Befunde von Schönfeld
Mircoli Guarneri und v. Noorden-"*, welche sämmtlich den Ueber-
gang des Streptococcus erysipelatis in die Blutbahn konstatieren
konnten. Es erübrigt mir noch in kurzem über die Resultate der
Züchtungs- und Impfversuche, welche mit dem Harnsedimente und
dem Prostatasecrete dieses Kranken angestellt wurden, zu berichten.
I. Züchtungsversuche.
1. V e r s u c h s r e i h e.
a) llarnsedinient vom II. Februar.
I Platteiikultureu ; dieselben zeigen nach 18 Stunden fast ausschliess-
lich Streptococcenkolonien ; bei sclnvacher Vergrössernng zeigen dieselben
an der Peripherie allenthalben reichliche vorragende Ketten. Anlegung
lieber Erysipel der Harnblase.
203
von iStichkultnren , die am dritten Tage das diarakteristische Wachs-
tum zeigen, «
b) Prostatasekret.
4 Plattenkulturen mit dem gleichen Eesultat.
Ebenso die hieraus gewonnenen Stichkulturen.
2. Versuchsreihe.
i ) Harnsediment vom 15. Februar.
G Plattenkultui’en. Ausser spärlichen an der Oherfläclie gelegenen und
offenbar aus der Luft stammenden fremdartigen Kolonien ausschliess-
lich eine reichliche Aussaat der charakteristischen Streptococcen.
Anlegung von Stichkulturen.
3. V e r s u c h s r e i h e.
d) Harn vom 18. Februar.
Erste Entleerung mittels Katheters nach IV2 tägiger Anurie, 5 Platten ;
reichliche Streptococcenkolonien ; Anlegung von Stichkulturen,
4. V e r 8 u c h s r e i h e.
e) Harn vom 19. Februar (Polyurie).
4 Platten ; Eprouvetten waren mit dem durch die Centrifuge gewonnenen
Sediment beschickt. Wenige aber deutliche Kolonien der charak-
teristischen Streptococcen.
5., G. und 7. Versuchsreihe.
f) Harn vom 23. und 27. Februar und vom G. 5Iärz.
.Te 4 Platten ; durchaus negativer Befund ; spärliclie zufällige Verun-
reinigungen, aber keine Kettencoccen.
II. Infektionsversuche.
1 . C u t a n e Impfungen.
a) !Mit den Stichkulturen, welclie aus dem Harnsechment und dem Prostata-
secret vom 14. Februar gewonnen worden, wurden je 3 Kaninchen an der Spitze
eines Ohres nach oberflächlicher Scarification der Haut inficiert. Bei 4 von
(Uesen Tieren entwickelte sich nach 23 bis 52 Stunden das charakteristische fort-
schreitende Impferysipel, welches nach 5 — 7 Tagen abgelaufen war. Kein Ver-
suchstier ging zu Grunde.
b) Drei Kaninchen wurden mit Stichkulturen, welche aus dem Haimsediment
vom 15. Februar gewonnen waren, in derselben Weise inflciert.
c) Drei Kaninchen desgleichen mit Kulturen vom 18. Februar,
Bei b und c kam es bei sämmtlichen Versuchstieren zu denselben positiven
Ergebnissen wie bei a. Kein Tier starlj.
2. Injektionen in die Harnblase.
Injektionen von in sterilisierter Bouillon auf geschwemmten Kulturen vom
14. und 15. blieben wirkungslos, wenn nicht gleichzeitig durch Abbindiing der
Urethra eine künstliche Harnverhaltung eingeleitet wurde. Bei vier Versuchs-
tieren, bei welchen nach Injektion der Kultur durch G — 12 Stunden die L^rethra
ahgebunden wurde, entwickelte sich eine eitrige Cystitis. Im Sediment des
Harnes fanden sich reichliche Streptococcen. Zwei Tiere wurden am dritten Tag
der Erkrankung getötet und die Harnblase in Alkohol gehärtet. An der Schleim-
liautoberfläche der gleichmässig geröteten und geschwellten Blase waren stellen-
weise kleine Excoriationen und Ek^hymosen zu bemerken. Die Untersuchung
von Schnittpräparaten ergab namentlich an solchen Stellen reichliche Einwan-
204
Anton K. v. Friscli.
clerung von Streptococcen ins Gewebe. Die l)eiden underen Tiere blieben am
Leben. Am 7. beziehungsweise t). Tage schien der JTozess abgelaufen zu sein.
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass in dein Harn- und
Prostatasekret des Patienten ganz zweifellos der tyj^ische Strepto-
coccus des Erysipels enthalten war.
L i 1 1 e r a t u r.
‘ Hirsch, Ilandbuch der historisch-geographischen Pathologie. 2. Aufl.
II. Bd., p. 275.
“ Volkmann, Erysipel, Pitha-Billroths Handbuch. I. Bd., 2. Abt.
Wagner, Krankheiten des weichen Gaumens. Ziemssens Handbuch.
Bd. VII, 1. Hälfte.
‘ C o r n i 1 , Arch. g4nör. 18G2, XIX.
^ F. Hesse, Einige Fälle von Schleimhauterysipel. Deutsche mediz.
Wochenschr.' 187(5.
Zuelz er, Erysipelas, Ziemssens Handb. II. Bd., 2. Abt.
^ Estländer och 0. Wasastjerna, Erysipelas pä slemmhina, finska läk.
sällsk. handl. Bd. 12, 8. 263.
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logischen Urinuntersuchung bei inneren Krankheiten (Berliner klin. AAMchen-
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männlichen Urethra und des normalen Harnes mit Bemerkungen über Mikro-
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205
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med. Wochenschrift, 1887).
Ein Fall von Oesophagus-Trachealflstel
und Stenose des Oesophagus
von
Dl. A. Breimer
Primararzt des allg. Krankenhauses in Linz a. d. Donau.
]\Iit 1 Abl^ildung im Text.
Am 23. Mai 1891 kam die 24jährige Anna Förster aus Lausa
in Oberösterreich mit Erscheinungen einer Oesophagusstriktur zur
Aufnahme in das Krankenhaus. Ausser Blattern hatte sie keine
schwere Erkrankung mitgemacht. Mit 15 Jahren traten die Menses
auf und bheben regelmässig bis vor einem Jahre. Damals blieben sie
ohne rechte Veranlassung aus. Der Kranken erwuchsen hieraus
keinerlei Beschwerden.
Die Kranke war als Dienstmagd beschäftigt und hatte sich
bei der oft recht derben Kost gut genährt. Insbesondere weiss
sie sich nicht zu erinnern, dass sie in ihrer Kindheit oder später
an Schlingbeschwerden gelitten hätte, oder dass sie langsamer ge-
gessen hätte als die Anderen, oder dass sie beim Essen von Husten-
reiz überfallen worden wäre.
Erst vor einem Jahre machte sie die Wahrnehmung, dass ab
und zu ein Bissen im Speiseröhre stecken blieb und dass sie dann
nichts mehr schlucken konnte, bis sie das im Oesophagus Ange-
sammelte erbrochen hatte, oder bis von selbst der Weg frei wurde.
Die Beschwerden steigerten sich ganz allmählich. Oft dauerte es
3 — 4 Tage, dass die Kranke nichts durch die Speiseröhre durch-
brachte, dann ging es wieder leidhch gut, doch nahm die Ver-
engerung stetig zu, bis die Kranke nur mehr flüssige Nahrung
aufnehmen konnte, was sie schliesslich ins Spital brachte.
Oesophagus-Trachealästel und Stenose des Oesophagus.
207
Die Kranke erinnert sich nicht, je durch eigene oder fremde
Unvorsichtigkeit ätzende Flüssigkeit geschluckt oder sich anders-
wie verletzt zu haben. Trotz der geringen Nahrungsaufnahme sieht
die Kranke gesund und frisch aus, hat eine elastische Haut und
ein massiges Fettpolster.
Das Gesicht ist blatternnarbig, die Zähne fast alle cariös und
ohne Krone. Die Innenorgane mit Ausnahme einer kleinen Lungen-
spitzenaffektion gesund, das Genitale normal.
Es war unmöglich, eine Schlundsonde weiter als bis in die
Gegend unter dem Ringknorpel einzuführen, und aus der Unter-
suchung der Halsorgane ergab sich nicht der geringste Anhalts-
punkt für die Ursache der Stenose. Es war keine Geschwulst,
keine Schwellung in der Gegend des Oesophagus oder der Trachea
wahrnehmbar und auch die Schilddrüse zeigte keinerlei Verän-
derung.
Es wurde daher am 27. Mai 1891 der Oesoj)hagus in typischer
Weise freigelegt und nun neuerdings die Sondierung versucht.
Durch Nachhilfe von aussen gelang es jetzt, die Sonde über die
Gegend des Ringknorpels hinauszubringen, doch blieb sie in der
Gegend ober der Brustapertur neuerlich stecken. Es wurde nun
die hnke Wand der Speiseröhre durch die eingeführte Sonde vor-
gedrängt und zwischen zwei Fixationsnähten der Länge nach er-
öffnet. Der eingeführte Finger begegnete dem vom Munde ein-
geführten Finger der andern Hand. Als Hindernis für die Sondierung
musste eine starke Verwölbung des Ringknorpels und eine quere
Schleimhautfalte der rechten und hinteren Wand des Pharynx
angesehen werden.
Nach unten gelangte der Finger in einen Blindsack, über den
es kein Vordringen gab. Es wurde daher der Längsschnitt in der
Oesophaguswand nach unten erweitert, bis sich in der Tiefe des
Blindsackes eine feine , für die Knopfsonde eben durchgängige
Lücke zeigte. Dieselbe lag nicht in der Achse des oberen Stückes
des Oesophagus, sondern etwas nach links und hinten verschoben.
Die in die Lücke eingeführte Sonde liess sich nach allen Rich-
tungen hin und her bewegen. Die Umgebung der Lücke zeigte
keinerlei narbige Veränderung. Auf einer Hohlsonde wurde diese
Lücke etwas nach vorne zu eingeschnitten, worauf sofort eine
4 mm dicke Schlundsonde und nach dieser ein ebenso dickes
Drainrohr in den Magen eingeführt werden konnte. Eine Erwei-
terung der Lücke, sodass ein Finger hätte eingeführt werden
können, wurde aus Sorge, es könnten Einrisse in der Oesophagus-
wand entstehen, unterlassen und die allmähliche Erweiterung in
208
A. Brenner.
Aussicht genommen. Eine Resektion des Stückes im Oesophagus,
welches zu dieser Lücke verengt war, wäre nur unter den grössten
Schwierigkeiten ausführbar gewesen, da die Stelle, in der Höhe, des
VI. Halswirbels gelegen, nur sehr schwer zugänglich war.
Es wurde also das Drainrohr in den Magen eingeführt und
durch die Halswunde nach aussen geleitet, Hals- und Oesophagus-
wunde bis zur Drainlücke vernäht und die Kranke in der nächsten
Zeit durch das Drainrohr ernährt. In der dritten Woche jd. o.
wurde das Drain anstandslos durch ein dickeres Rohr ersetzt, in
der vierten Woche wurde das Drain entfernt, die Wunde sollte
sich durch Granulationen schliessen und gleichzeitig wurde die
Enge des Oesophagus durch Schlundsonden in aufsteigender Dicke,
vom Munde aus erweitert.
Mit kleinen Zwischenfällen trat die Heilung ein und es konnte
eine fingerdicke Sonde durch die Speiseröhre eingeführt werden.
Die Kranke konnte feste Nahrung zu sich nehmen und es wäre
alles gut gewesen, wenn nicht die Sondierung stets mit den hef-
tigsten Hustenanfällen verbunden und der Weg durch die Enge so
schwierig gewesen wäre. Ausserdem litt die Kranke unter Husten-
anfällen im Anschlüsse an den Schlingakt. Schon bei der Operation
war es aufgefallen, dass bei der Sondierung der Lücke, welche
oberen und unteren Oesophagus verband, so heftige Hustenstösse
erfolgten, dass ich glaubte, ich müsse in der Luftröhre sein. Die
Erklärung hierfür bot erst die zweite Operation.
Vorläufig verliess die Kranke, nichtsehr befriedigt, am 19. Juli
das Krankenhaus, kehrte aber bereits am 10. August wieder, da
die Beschwerden nahezu die frühere Höhe erreicht hatten.
Die neuerlich vorgenommene Sondenkur war mit den alten
Uebelständen verbunden, und obwohl eine fingerdicke Sonde durch-
ging, hatte die Kranke keine Besserung ihres Zustandes. Es wurde
daher am 7. November 1891 auf Wunsch der Kranken der Oeso-
phagus in der alten Narbe eröffnet. Schon bei Eröffnung der
Speiseröhre pfiff Luft aus derselben heraus und es war leicht zu
erweisen, dass diese aus dem unteren Abschnitte des Oesophagus
komme. Die Erweiterung der Oesophaguswunde zeigte, dass die
ursprüngliche Strictur des Oesophagus für die Sjutze des Zeige-
fingers durchgängig war, doch war die Umgebung dieser Stelle
diesmal narbig verändert. Die Spaltung des Ringes in der Ver-
längerung der Oesophaguswunde machte die Unterbindung der
Art. thyreoidea inf. , die gerade hier den Verlauf der Speiseröhre
kreuzte, notwendig und legte eine halblinsengrosse runde Oeffnung
bloss, welche die vordere Oesophagus- und die hintere Tracheal-
2U9
OcHoiiluigus-Trachealtistel und Stenose des Oesophajjus.
wand durchbohrte und von dem Saume des Ringes nach oben
zugedeckt war, wodurch sie eben bei der ersten Operation über-
sehen wurde. Die Umgebung der Fistel war von normaler Schleim-
haut bedeckt und so ausserordenthch empfindlich, dass es trotz
Narkose nicht möglich war, dieselbe
anzufassen, ohne heftige Hustenstösse
auszulösen. Erst die Einspritzung von
Cocainlösung (5*^/o) unter die Schleim-
haut in der Umgebung der Fistel machte
es möglich, die Ränder derselben an-
zufrischen, die Schleimhaut des Oeso-
phagus etw’as abzulösen und in querer
Richtung durch einige Seidennähte zu
vereinigen. Gleichzeitig wurde in der
hinteren Hälfte des Ringes ein 2 cm
langer Schnitt angelegt, hierauf der
Ring etwas gedehnt und die Längsseiten
des Schnittes in querer Richtung ver-
näht, wodurch eine Erweiterung des
Ringes vermittelt wurde. Durch die
Wunde wurde ein dickes Drainrohr
in den Magen eingeführt, der Oesophagus darüber durch mehrere
Nähte vereinigt, die Hautwunde mit Jodoformgaze leicht tam-
poniert. Verlauf der Heilung und Ernährung wie nach der ersten
Operation. Am 3. Dezember wurde das Drain für immer entfernt,
die Wunde der Schliessung überlassen und die Speiseröhre durch
Sonden noch etwas erweitert.
In den ersten Tagen merkte die Kranke ab und zu den
Abgang von Luftblasen durch die Wunde, diese Erscheinung
trat aber immer seltener auf und schliesslich ging nach Entfernung
des Drainrohres die Sondierung und auch der Schlingakt ohne
Hustenreiz vor sich. Am 13. Februar 1892 wurde sie mit einem für
eine fingerdicke Sonde durchgängigen Oesophagus geheilt entlassen.
Im Juli 1892 stellte sie sich wieder vor. Die Narbe am
Halse ist weich und unempfindlich, das Aussehen blühend, der
Schlingakt nicht ganz so gut wie vor Beginn der Stenosenerscliei-
nungen, aber zur Zufriedenheit der Kranken.
Die Deutung dieses Falles, für den ich in der Litteratur, so-
weit sie mir zu Gebote steht, keine Analogie finde, ist einiger-
massen schwierig.
Zunächst kann man wohl ausschliessen, dass die Striktur in-
folge von Verletzung entstanden ist — es fehlte bei der ersten
U
210
A. Brenner.
Operation jede Narbe und es erinnerte sich die Kranke absolut
nicht an eine Verletzung.
Wenn aber die Striktur angeboren ist, dann erscheint es noch
rätselhafter, wie es kam, dass 20 Jahre die Ernährung der Kranken
eine normale war und erst im 21. Lebensjahre die Striktur zur
Geltung kam. Es wäre möglich, dass der King, welcher die obere
und untere Hälfte des Oesophagus verband, sich plötzlich verengte,
oder aber dass die Muskulatur des Pharynx auf einmal zu schwach
wurde, um die Speisen durch den engen, aber doch dehnbaren
King hindurchzutreiben. Weder die Anamnese noch die Operation
ergab hierüber einen Aufschluss.
Ebenso wie fm die Striktur fehlt für die Fistel jede andere
Erklärung als die des angeborenen Defektes. Dass sie nämlich
bei der ersten Operation nicht entdeckt wurde, hat seinen Grund
darin, dass ich damals nicht wagte, den King so zu erweitern,
dass der Finger hätte eindringen können. Ausserdem war die
Lücke, wie die zweite Operation zeigte, gedeckt durch die Falte,
welche im Umkreise des Kinges den oberen vom unteren Oesophagus
abgrenzte, und dadurch war auch zu erklären, dass der Austritt
von Luft durch den Oesophagus nicht auffallend war. Bei der
zweiten Operation war der King schon erweitert und der erwähnte
Saum schon verschmälert, daher die V erbindung von Trachea und
oberer Hälfte des Speiserohres eine leichtere.
Auch hier drängt sich die Frage auf, wie das Individuum
das Bestehen der Fistel so lange ungestört tragen konnte. Es
dürfte aber die Lage des Verengungsringes erklärend helfen. Die
Verengung lag oberhalb der Fistel und deckte mit dem vorderen Teile
des Kandes die letztere. Ausserdem lag die Lücke zwischen oberem
und unterem Stück des Oesophagus nicht in der Achse des Speise-
rohres, sondern etwas nach links und hinten verschoben, sodass
die Speisen gegen die hintere Wand des unteren Oesophagus-Ab-
schnittes geleitet wurden und die Fistel sowie ihre empfindsame
Umgebung vermieden.
In der That hatte ja die Kranke nach der ersten Operation
sowohl beim Sondieren als beim Schlingakte Hustenreiz, weil eben
der Schutz, den die Formation des Stenosenringes bot, durch dessen
Erweiterung verloren gegangen war.
Nach König (Krankheiten des Pharynx und Oesophagus,
Deutsche Chirurgie 1880) bietet die Entwicklung des Oesophagus
eine Erklärung für unseren Fall. »Kölliker beschreibt den Bildungs-
» Vorgang l)ei den Kaninchen so , dass sich am 10. Tage diclit
»hinter dem die Kiemenspalten zeigenden Abschnitte der Vorder-
Oesophagus-Trachealfistel und Stenose des Oesophagus.
211
»darm in einen vorderen und hinteren Teil sondert. Der vordere,
)>der ventrale Teil ist die Anlage für Lunge und Luftröhre, der
»hintere, der dorsale, die für den Schlund und Oesophagus; der
»unterste Abschnitt des ventralen Teiles dehnt sich bald aus zur
»Lunge, welche in jener Zeit aus einem Halbkanal besteht, der
»aber an dem unteren Ende in zwei senkrechte Grübchen ausläuft.
»An ihrer dorsalen Seite steht die Urlunge durch einen
»linearen am unteren Ende sich erweiternden Spalt mit dem Speise-
»rohre in offener Verbindung. Indem nun aus dem oberen Ab-
» schnitt des ventralen Halbkanales die Trachea wird, welche also
»zunächst in gleichem mit dem Schlundspeiserohr kommuniziert,
»bildet sich am 11. Tage eine Abschnürung beider Gebiete. Der
»Vorderdarm zeigt jetzt einen vorderen trachealen und einen hinteren
»ösophagealen Abschnitt. Die Trennung schreitet von hinten
»nach vorn fort, wird nach und nach vollkommener bis zum
»Ostium pharyngeum laryngis. Hier bleiben oberhalb des Kehl-
»kopfes Luft- und Speiseweg ungetrennt.«
Es giebt also eine Zeit in der Entwicklung dieser Gebilde, in
welcher dieselben miteinander kommunizieren. Beim Menschen
dürfte mit Beginn des zweiten Monates diese Kommunikation nicht
mehr bestehen (König). Nichtsdestoweniger giebt es Hemmungs-
bildungen mit Bestehenbleiben einer Kommunikation zwischen
Oesophagus und Trachea (gewöhnlich gehen diese Früchte bald
nach der Geburt wegen anderweitiger Missbildungen oder durch
Schluckpneumonie zu Grunde); häufig sind aber nach König diese
Defektbildungen damit kompliziert, dass der obere Teil des Oeso-
phagus blind endet, der untere Teil aber in die Luftröhre oder
ihre Verzweigungen mündet. Dabei ist eine Verbindung zwischen
dem oberen Blindsack und dem unteren Stücke der Speiseröhre
meist nachweisbar, wenn auch nicht in Form eines Kanales.
Denken wir uns nun die Defektbilduug in der Weise,
dass die Kommunikation zwischen Trachea und Oesopha-
gus blieb, dass aber nebenbei das obere und untere Stück
des Oesophagus miteinander in Verbindung traten, wenn
auch nur durch eine kleine Lücke, so wäre unser Fall
gegeben und in Parallele zu stellen mit dem von König ange-
führten Fall Lambs, in welchem ein 7 Monate altes Kind an
Schluckpneumonie zu Grunde ging und die Sektion einen voll-
ständig entwickelten Oesophagus, aber 7^ unter dem Ring-
knorpel eine 3'" lange, V" breite, Fistel zeigte, welche von der
Luftröhre schief nach unten in die Speiseröhre führte.
Bericht über die an der Klinik des Prof.
Billroth in Wien im Laufe der letzten
25 Jahre ausgeführten Laparotomien
von
Dr. F rauz Haiisy und Dr. Emil Knauer,
Operateure der Klinik.
In den folgenden Zeilen soll über die Laparotomien der
Klinik berichtet werden in der Reihenfolge, dass zuerst die Ovario-
tomien, dann die Myomotomien und hierauf die Operationen am
Magen und Darm besprochen werden. Auf diese folgt die Anführung
der Operationen an den Nieren, der Leber, der Milz, dem Pancreas,
dann Exstirpationen retroperitonealer Tumoren, diagnostische Inci-
sionen und vereinzelte Operationen am weiblichen Genitale, die
nicht zu den Ovariotomien oder Myomotomien gerechnet werden
konnten. Wir konnten so nahe an tausend Fälle von Laparo-
tomien zusammenstellen, die von Billroth und seinen Assistenten
zum grössten Teil auf der Klinik ausgeführt wurden, während
aus Billroths Privatpraxis nur eine kleine Zahl von meist aus
Publikationen bekannten Fällen gewählt wurde. Uebergangen
wurden sämthche Eröffnungen des Peritoneums wegen Hernien
(Inguinal-, Crural- und Ventralhernien sowohl Herniotomien als
Radikaloperationen), ferner Exstirpationen von Bauchdeckentumoren,
sowie Eröffnungen des Peritoneums wegen Exstiipatio uteri per
vaginam oder wegen Operationen am Rectum und an der Blase.
Ueber die in den ersten 10 Jahren ausgeführten und in den
Bereich unserer Besprechung fallenden Operationen können wir
uns auf die Mitteilung der Zahlen beschränken, da dieselben aus-
führlich in den klassischen Berichten von Billroth erörtert sind.
Es sind dies 75 Ovariotomien mit 44 Heilungen und 31 Todes-
fällen, 6 Laparohysterotomien mit 1 Heilung und 5 Todesfällen
0 Chirurgische Klinik. Wien 1808, 1800 — 70, 1871 — 70.
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billroth ausgeführten Laparotomien. 213
(der letzte 7, Fall fällt bereits in das Jahr 1877 und wird von uns
an anderer Stelle besprochen werden), 1 Gastroraphie mit günstigem
Erfolge ^), 1 Exstirpation und 1 Incision mit Drainage der hydro-
nephrotischen Niere, beide gestorben, schhesshch 2 Exstirpationen
von carcinomatösen Tumoren des Netzes, gleichfalls beide gestorben.
Die Gesamtzahl dieser Fälle beträgt also 86 mit 46 Heilungen
und 40 Todesfällen.
Ovariotoiiiieii.
Uebergehend zu unserem Hauptthema betreffend die Laparo-
tomien vom Jahre 1877 angefangen bis Ende Juni 1892, beginnen
wir mit den 0 variotomien. In den ersten Jahren hat sich in
der Operationstechnik gegenüber dem in den erwähnten Berichten
mitgeteilten Verfahren kaum etwas geändert. Die Stielversorgung
war fast ebenso oft eine extraperitoneale als intraperitoneale,
da Billroth auf Grund seiner ersten Erfahrungen der ersteren Me-
thode den Vorzug gab. Der Stiel wurde damals entweder ligiert,
mit Paquelin oder Messer durchtrennt und versenkt, oder aber
mit den S p e n c e r - AV e 1 1 s ’ s c h e n Klammern abgeklemmt und
extraperitoneal versorgt.
Die wegen gewisser Vorzüge anderwärts schon ziemlich all-
gemein geübte Methode der intraperitonealen Stielversor-
gung verdrängte vom Jahre 1880 an auch an unserer Klinik die
extraperitoneale ziemlich vollständig und für immer, sodass die letz-
tere nur in den wenigen Fällen geübt wurde, in denen der Uterus
mitexstirpiert werden musste, oder wo Reste der Cyste nicht mit-
exsthpiert werden konnten, oder wo, wie in einem Falle, sehr starke
Blutung aus dem Stiele die extraperitoneale Versorgung desselben
erforderte. Die intraperitoneale Methode, wie sie in der Zeit von
1880 bis in die Gegenwart geübt wird, hat im grossen und ganzen
auch keine wesentlichen Aenderungen erfahren. Grosse, massige
Stiele werden mit der schon lange in Verwendung stehenden Bill-
roth’schen Klemmzange zusammengepresst, um eine Schnür-
furche zu bilden, und dann partienweise mit der spitzstumpfen
Nadel umstochen und abgebunden. Die Durchtrennung des Stieles
erfolgt mit dem Messer oder Paquehn. Bei weniger voluminösen
Stielen und bei fast allen Adhäsionen ist das an der Klinik geübte
Verfahren folgendes: Nach stumpfer Freilegung der zu durch-
trennenden Partie werden an dieselbe drei Klemmen angelegt, die
mittlere zur Bildung einer Schnürfurche, die centrale, um den
’) Wo Hier, Die Mageubauelnvandfistel und ihre operat. Heilung nach Prof.
Billroths Methode, Langenhecks Archiv XX, und Billroth, Ein Beitrag z. d. Op.
a,m Magen. Gastroraphie, Wiener medizinische Wochenschr. 1877, Nr. 88.
214
Fr. Hansy und E. Knauer.
Zufluss des Blutes während des Knüpfens abzuhalten und ein
recht festes Anziehen der Ligatur ohne Durchschneiden zu er-
möglichen, und die periphere, um eine rückläufige Blutung aus
dem Tumor zu verhindern.
Bei Berücksichtigung der Resultate finden wir, bei einer Zahl
von 48 Cysten und 5 malignen Tumoren der Ovarien mit extra-
peritonealer Stielbehandlung, unter den ersteren 35 geheilte und
13 an Peritonitis gestorbene, während von den letzteren alle fünf
starben. Die viel grössere Zahl der intraperitoneal versorgten
Cysten ergiebt 302 mit 241 günstigen Erfolgen und 61 letalen
Ausgängen, die der Ovarialtumoren fast ausschliesslich maligner
Natur, im ganzen 37, ergiebt 20 operative Erfolge neben 17 Todes-
fällen. Nehmen wir noch die 75 Ovariotoinien vom Jahre 1867 bis
1876 dazu, so bekommen wir eine Gesamtzahl von 467 Ovario-
tomien mit 340 Heilungen und 127 Todesfällen.
Um die allmählich zunehmende Besserung der Resultate be-
sonders hervorzuheben, bringen wir eine Zusammenstellung der
Ovariotoinien nach Hundert, wie sie zeitlich aufeinander folgten:
Beim ersten Hundert, vom Herbst 1867 bis. 27. Okt. 1877,
kommen auf 57 Heilungen 43 Todesfälle,
beim zweiten Hundert, bis 10. Juni 1881, auf 67 Heilungen
33 Todesfälle,
beim dritten Hundert, bis 25. Oktober 1884, auf 79 Hei-
lungen 21 Todesfälle,
beim vierten Hundert, bis 11. Mai 1889, auf 81 Heilungen
19 Todesfälle
und bei dem letzten noch unvollendeten Hundert, bis
29. Juni 1892, auf 56 Heilungen 11 Todesfälle.
Von weiteren Operationen an den Ovarien wurde nur eine
Kastration wegen Dysmenorrhoe mit ungünstigem Erfolge
ausgeführt, Patientin starb an Sepsis (1878).
Myomotoiiiieii.
So wie bei den Ovariotoinien wurde auch bei den Myomo-
tomien in der ersten Zeit bis zum Jahre 1880 die extraperito-
neale Methode prinzipiell geübt. Eine Ausnahme machen nur
vier Fälle, von denen der erste von Wölfler^) publiziert und von
Billroth noch in seinem Berichte 1871—76 erwähnt wurde. Wegen
Kürze des Stieles konnte derselbe nicht extraperitoneal versorgt
werden und wurde deshalb an den Bauchdecken fixiert. Dieser
Ein Fall v. Lap. Hysterotomie samt Exstirp. beider Ovarien — Heilung.
Langen!). Archiv für klin. Chir. Bd. XXI.
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billrotli ansgeführten Laparotomien. 215
Fall, welcher eine Mittelstellung zwischen intra- und extraperito-
nealer Stiel Versorgung emnimmt, gab X)r. H. Klotz ') Veranlassung
zu Versuchen, die er an trächtigen Hündinnen anstellte, um zu
kurze, für die extraperitoneale Versorgung ungeeignete Stiele durch
keilförmige Excision am CerHx, Vernähung des Stumpfes und Ver-
senkung desselben zu versorgen. Der zweite Fall aus dem Jahre
1879 ist dadurch bemerkenswert, dass der Stumpf keilförmig ein-
geschnitten, vernäht und versenkt wurde, während in zwei an-
deren Fällen bei dem Uterus gestielt aufsitzenden Fibromen der
dünne Stiel ligiert und versenkt wurde. Bei der ersten extra-
j)eritonealen Stielversorgung vom 14. November 1874 wurde der
Pean’sche Schlingenschnürer, bei den zwei nächsten grosse
Klammern verwendet. Bis zum Jahre 1878 wurden dann Ecra-
seur ketten um den Stiel angelegt und bis 1880 nur mehr die
Spencer-Wells’schen Cystenklammern verwendet. Die Zahl
der in diesem Zeiträume extraperitoneal behandelten Uterusmyome
beträgt 18 mit 9 Heilungen und 9 Todesfällen.
Im Jahre 1880 ging man daran, auch bei den Myomotomien
fast ausschliesslich die intraperitoneale Methode zu verwenden,
ln den ersten zwei Jahren wurde dieselbe in der Weise ausgeübt,
dass Billrotli behufs Kompression und Verkleinerung des Stieles
eigens zu diesem Zwecke angefertigte grosse Klemmen ge-
brauchte, um die Resorption des versenkten Stumpfes zu er-
leichtern. Von 18 in dieser Zeit Operierten starben 12.
In den nächsten -Jahren 1882—86 fand das Verfahren
nach Schröder Anwendung, und wurde in der Mehrzahl der
Fälle geübt. Als dessen Vorläufer an der Klinik können die oben ]
erwähnten Versuche von Dr. Klotz und der eine ebenfalls an-
I
geführte Fall mit keilförmiger Excision, Vernähung und Versen-
kung des Stumpfes vom Jahre 1879 betrachtet werden. Von 28
nach dieser Methode Operierten starben 17, fast alle an septischer
Peritonitis; darunter ganz einfache Fälle, sodass diese Operations-
methode als zu gefährlich aufgegeben wurde. !
Neben dem Schröderschen Verfahren wurde schon in den
Jahren 1884 und 1885 je ein Fall mit »interparietaler Suspen-
sion-'<^) operiert. Diese Methode war in den folgenden Jahren 1886 '
und 1887 die vorherrschende. Die Gesamtzahl der Operierten
’) Wien, medic. Woehenachr. 187ü, 12, 13, 15, IG. j
l)r. Wölf 1er. Zur Technik der supriiva<'inalen Ampiitatio uteri. W. med. (
Woch. 1885, Nr. 285. — Dr. v. Hacker. Zur Technik der aupravaginalen j
Amputatio uteri. W. med. Woch. 1885, Nr. 48. — Dr. Wölfl er. Zur Suspension i
des üterusstumpfes nach su[)ravag. Amput. W. med. Woch. 1885, Nr. 49. '
I
216
Fr. Haiiöv und E. Kiuiuer.
beträgt 15, von welchen 4 an septischer Peritonitis, und 1 an
komplizierender Cystopyelitis zu Grunde gingen, eine entschiedene
Besserung der Resultate gegenüber denen bei der intraperitonealen
Stielversorgung.
Daneben wurden im Jahre 1886 und 1887 in vier Fällen
Enukleationen von Myomen ausgeführt, von welchen drei ge-
heilt wurden und einer an Peritonitis tödlich endete.
Die auffallend ungünstigen Resultate des Schröderschen Ope-
rationsverfahrens veranlassten hauptsächlich die Rückkehr zur extra-
peritonealen Stielversorgung, die in den Jahren 1888 — 1891
wieder die herrschende wurde. Das nun eingeführte Verfahren ist
dasselbe, nach welchem auch jetzt noch bei der extraperitonealen
Stielversorgung vorgegangen wird. Es wird der Uterustumor nach
Lösung allfälliger Adhäsionen vorgewälzt, die Ligamenta lata nach
partienweiser Abbindung mittels spitzstumpfer Nadeln beiderseits
durchtrennt und um den Cervix ein gewöhnliches Drain oder in
neuerer Zeit eine solide, elastische Schnur fest angelegt, über
welcher die Abtragung des Tumor mit dem Messer erfolgt, worauf
die Schnittfläche und besonders der Cervicalkanal mit dem Pa-
quelin verschorft werden. Mehrere Male wurde der Schlauch um
den Uterus samt den Adnexen ohne vorhergehende Durchtrennung
der Ligamenta lata angelegt, was besonders bei sehr geschwächten
Kranken wegen der rascheren Vollendung der Operation von Vor-
teil war. Oberhalb der elastischen Ligatur wird meist eine Stahl-
nadel durch den Stumpf gesteckt, welche auf die Bauchdecken zu
liegen kommt und den Stumpf auf diese Weise extraperitoneal
fixiert. Erwähnenswert ist hier, dass in einem Falle der Schlauch
beim Dm’chstossen der Nadel durch den Stumpf von der scharfen
Spitze der ersteren durchtrennt wurde, wodurch es zu einer vehe-
menten Blutung aus dem Stumpfe kam, welche man jedoch durch
rasches Wiederanlegen des Schlauches noch beheben konnte und
die für die Patientin von keinem weiteren Nachteile war. Von
besonderer Wichtigkeit ist es, bei der Fixierung der Stiele an den
Bauchdecken das Peritoneum parietale innig mit dem Peritoneum
des Stumpfes u. z. unterhalb der Ligatur zu vereinigen, um die
Entstehung von Ventralhernien thunlichst zu verhindern. Die
Resultate bei diesem Verfahren haben sich wieder wesentlich ge-
bessert; von 30 in den Jahren 1888 — 91 Operierten wm’den 25 ge-
heilt, nur 5 starben.
Trotzdem die extraperitoneale JMethode immer bessere Resultate
aufzuweisen hatte, herrschte doch das Bestreben vor, zur intra-
peritonealen Stiel Versorgung zurückzukehren, weil die erstere
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billrotli ausgefübrten Laparotomien. 21 ^
mit einer Reihe von nicht zu unterschätzenden Nachteilen verbunden
ist. Solche sind : Das längere Krankenlager der Patientinnen, in-
dem es oft sechs Wochen dauert, bis sich der Stiel abstösst und
die Kranken, um der Entstehung einer Hernie vorzubeugen, die
ganze Zeit im Bette zubringen müssen; langdauernde Fisteln, be-
sonders auch Uterusfisteln, von denen eine ein ganzes Jahr dauerte ;
Schmerzen durch Einziehung der Narbe; Blasenstörungen durch
Hinaufziehung und Fixierung der Blase an die Narbe und vor
allem Disposition zu Ventralhernien. Es wurde nun seit etwa
einem Jahre zu einer neuen Methode der intraperitonealen Stiel-
versorgung übergegangen, nämlich der nach M a r t i n - C h r o b a k ^).
Die nach derselben operierten sieben Fälle ergaben fünf Heilungen,
zwei starben an Sepsis.
Neben allen diesen nach den oben genannten Methoden aus-
geführten Myomotomien wurde eine Reihe atypischer nicht unter
bestimmte Methoden einzureihender Myomexstirpationen voll-
führt, so dass die Gesamtzahl aller Laparomyomotomien in den
Jahren 1867 — 1892 148 beträgt. 83 derselben wurden geheilt,
65 starben.
Von Operationen an der Gebärmutter möchten wir hier noch
anschliessen : 2 Totalexstirpationen des carcinomatösen
Uterus nach Freund-Billroth -), beide mit letalem Ausgange
durch eiterige Peritonitis und Sepsis, ferner 1 Suspensio uteri
wegen Prolapsus durch subcutane Verknüpfung des rechten
Ligamentum rotund. mit der linken Tube über der Scheide des
Musculus rectus mit operativem Erfolge. Endlich können mr hier
noch 2 Fälle von Exstirpation eines Fibrom es der Liga-
menta lata^) anführen, von denen der erste geheilt wurde, der
andere an Peritonitis starb.
Operationen am Magen.
Nach Anführung des in Bezug auf Zahl der Fälle umfang-
]'eichsten Kapitels der Ovariotomien und Myomotomien gehen wir
nun zu dem für unsere Klinik interessantesten, weil von Billrot h
hauptsächlich zur Ausbildung gebrachten Gebiete der Operationen
am Magen über. Sämtliche bis Oktober 1889 ausgeführten
Magenresektionen sind in zusammenfassender Weise von
9 Prof. Cliro))ak. Z. Exstirp. uteri inyoinat. abdom. Centralbl. f. Gynäk. 1891.
‘^) i k u 1 i c 7.. Ueber die Totalexstirpation des Uterus , Wien. ined. Woch.
18S0 Kr. 47 und Fortsetzung^.
]M i k u 1 i c z. Casuistische Beiträge zur Exstirpation solider Geschwülste
des Uterus u. d. Lig. lata. W. med. Woch. 1879 Nr. 19 und Fortsetzung.
218
Fr. lliinsv und E. Knauer.
W ülfler ^), V. Hacker -), v. Eiseisberg und Hofrat Billroth ‘^)
ausführlich publiziert. Von der ersten im Jahre 1881 ausgeführten
typischen, zirkulären Pylorusresektion wurde bis Oktober
1889 diese Operation wegen Carcinom im ganzen 24 mal ausgeführt
und zwar mit 10 Erfolgen.
Atypische Resektionen wegen Carcinom mit Gastro-
enterostomie wurden in demselben Zeiträume zwei ausgeführt mit
einem Erfolge.
Die Zahl der wegen Narben ausgeführten zirkulären
Resektionen beider Serien beträgt sieben mit vier Erfolgen, die
der partiellen Resektionen wegen Narben vier mit einem
Erfolge.
Vom Oktober 1889 bis Juli 1892 wurden nun fünf
typische, zirkuläre Resektionen des Pylorus wegen Car-
cinom vorgenommen. Bei der letzten derartigen Operation gab ein
am Uebergange des Magenfundus in die Pars pylorica an der Cur-
vatura maior sitzendes Carcinom das erste Mal Veranlassung zu einer
zirkulären Continuitätsresektion des Magens mit vollständiger Erhal-
tung des Pylorus. Sämtliche sechs Fälle ergaben fünf Erfolge.
Eine Magenresektion mit Gastroenterostomie wurde seit
1889 nicht ausgeführt. Wegen Narben wurde nur 2 mal und zwar
die typische, zirkuläre Resektion gemacht mit einem Erfolge.
In Bezug auf Methode und Technik (provisorischen Verschluss
der Lumina, Schnittführung, occlusive und zirkuläre Nähte) hat
sich in den letzten Jahren nichts wesenthches geändert, und können
wir zur Vermeidung von Wiederholungen auf die oben erwähnten
Publikationen hinweisen.
Die Gesamtsumme der auf der Klinik überhaupt ausgeführten
Magenresektionen beträgt demnach 45, bei welchen man 22 Erfolge
erzielte, während 23 Patienten starben.
Bei den Gastroenterostomien können wir uns ebenfalls
auf die Anführung der Zahlen beschränken, da sich in der Methode
der Ausführung der Operation seit dem Erscheinen der erw^ähnten
Publikationen nichts geändert hat ^). Es wurden bis Oktober 1889
ausgeführt : 19 Gastroenterostomien mit 8 operativen Erfolgen. Zu
diesen kommen bis Juli 1892 18 Fälle mit 12 Erfolgen. In 9 Fällen
y Wölfler. lieber die Resektion des carc. Pyl. 1881.
9 V. Hacker. Die Mageuoperationen an Prof. Billroths Kl. 1886.
b V. Eiseisberg. IMagenresekt. n. Gastroent. an Prof. Billroths Klinik.
Langenbecks Archiv XXXIX 4.
Billroth. Verhandlungen am X. Internat. Congr. zu Berlin 1800.
■') Zur Ausfülu’ung der jüngst von Brenner vorgeschlag. Modilikation der
Gastroenterostomie, s. Wien. klin. Woch. 1892, 27, war bisher noch keine Gelegenheit.
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billroth ausgeführten Laparotomien.
219
wurde nach V. Hacker operiert, in 9 nach Wölfler-). Zusammen-
gefasst beträgt die Zahl der Gastroenterostomien 37 mit 20 Hei-
lungen und 17 Todesfällen.
Die ersten 4 Gastrostomien in den Jahren 1880 bis Juli
1885 wurden mittels eines Schnittes parallel dem linken Rippen-
bogen nach der Methode vonFenger ausgeführt und zwar 2mal
ein zeitig und 2mal zweizeitig mit sekundärer Eröffnung des
Magens^); 3 davon starben 24 Stunden bis 18 Tage nach der
Operation an Inanition, 1 wurde gebessert.
Nun folgt eine Reihe von Gastrostomien nach der ]\I e th o d e
von Hacker ■*) mit Sphincterbildung aus dem Musculus rectus
abdominis. Vom Juli 1885 bis 14. Oktober 1891 wurden an der
Klinik 10 Fälle nach dieser Methode operiert. Keiner derselben
erlag direkt den Folgen der Operation, sondern der Tod trat
kürzere oder längere Zeit nach derselben entweder an Inanition
oder infolge Durchbruchs des Carcinoma oesophagi in die Pleura
oder Bronchien ein.
Neben der Methode nach Hacker wurde im Jahre 1890 ein-
mal nach der Methode von Hahn operiert. Der Patient starb
an Peritonitis. Im Jahre 1891 und 92 wurde 3mal die Operation
nach WitzeH’) ausgeführt mit 1 Erfolge. Patient starb 8 Wochen
nach der Operation an Carcinomatose. Die Ernährung durch das
Drain ging bei diesem Patienten sehr gut von statten, und der
Verschluss der Fistel war ein vollkommen exakter. Auffallend bei
der Sektion war, dass der Verlauf der Fistel eine fast ganz gerade
Richtung angenommen hatte. Das gute Funktionieren derselben
lässt sich wohl nur aus dem weiteren Befunde erklären, dass durch
den Uebergang der schiefen Verlaufsrichtung zur geraden eine
Wulstung und nicht unbedeutende Verdickung der Magen wand,
respektive ihrer Muscularis, zu einem förmlichen Sphincter zustande
gekommen war. Von den übrigen nach Witzei operierten Fällen
starb einer an Peritonitis, der andere am Tage der Operation an Per-
foration des Carcinoms in die Bronchien.
*) V. Hack'er. Z. Cas. u. »Stat. d. Magenresekt. u. Gaytroent. Verhandlungen
(1. deutschen Ges. f. Chir. 1885.
Wölfler. Centralblatt f. Chir. 1881 Nr. 45 und Verhandl. d. deutsch.
Ges. f. Chir. 1888.
”) V. Hacker, 1. c.
9 V. Hacker. Ueb. d. Verwendung d. M. rect. abd. z. Verschl. d. künstl.
Magenfistel. W. ined. Woch. 1880.
— Ueb. (1. Erfolge d. Gastrost, mit Sphincterbildung aus d. M. rect. abd.
W. klin. Woch. 1800.
*) Eine neue ^Methode d. Gastrost. Centralblatt für Chir. 1800, 11.
'b Z. Technik d. blagenfistelanlegung. Centralblatt für Chir. ISOl, .82.
220
Fr. Haiisv und F. Knauer.
Von den im ganzen Zeiträume ausgeführten Gastrostomien
verliefen 11 mit operativem Erfolge, während 7 im Anschlüsse an
die Operation starben.
Von weiteren am Magen ausgeführten Operationen sind zu
erwähnen: 3 Gastro raphien, der erste Fall wegen Ruptur des
Magens nach reichlicher Mahlzeit (Tod an Collaps nach 4 Stunden);
der zweite Fall wegen Schuss durch den Magen (Tod an Collaps
und Peritonitis nach 28 Stunden)’); der dritte Fall, in letzter Zeit
ausgeführt, betrifft eine w'egen derber Schwiele in den Bauchdecken
operierte Frau. Bei der Incision wurde der mit der Schwiele
innigst verwachsene Magen eröffnet, wobei sich Mageninhalt in die
Bauchhöhle ergoss. Naht der circa 10 cm langen Magenwunde,
Ausschneidung der Schwiele, Heilung.
2 Gastro tomien; die erste im Jahre 1885 wegen eines
verschluckten Gebisses im Magen, geheilt“). Die zweite vom
8. Oktober 1889 betraf eine 39jährige Frau, die wegen wieder-
holtem, oft blutigem Erbrechen, einem seit einem Jahre im Epi-
gastrium fühlbaren Tumor und Dilatatio ventriculi zur Operation kam.
Der stark aufgetriebene Magen wurde vorerst durch Punktion mit
dem Spencer- Wells’schen Troicart seines Inhalts entleert und sorg-
fältig ausgespült. Der äusserlich fühlbare Tumor erwies sich als
das stark verdickte und geschrumpfte Netz. Da durch das eben-
falls stark verdickte und geschrumpfte Ligamentum gastrocolicum
und heiDato-duodenale der Pylorusteil des Magens abgeknickt er-
schien, so wurden dieselben gelöst. Es wurde sodann von der
Punktionsstelle aus der Magen incidiert, um sich von der Durch-
gängigkeit des Pylorus zu überzeugen, und dabei zugleich an der
kleinen Curvatur ein Substanzverlust von 3 cm Durchmesser mit
ausgedehnten, schwieligen Verdickungen in der Umgebung gefun-
den, in dessen Grund nach Entfernung einer schorfartigen Masse
mehrere offene Gefässlumina entdeckt wurden. Da die Excision
der Schwiele nicht möglich war, wurde der Magen mit Wölflerscher
Naht und die Bauchdecken in 3 Etagen verschlossen. Die sehr
herabgekommene Patientin starb nach 1 Stunden , und der
Sektionsbefund (Prof. Paltauf) ergab einen Scirrhus in der Um-
gebung eines chronischen Magengeschwürs, desgleichen Scirrhus
des Netzes und Peritoneums, hochgradige Anämie.
Im Anschlüsse an die Operationen am Magen wollen wir
noch einige Fälle von stenosierenden Narl)ensträngen am
9 V. 11 u c k e r 1. c.
-) V. 11 a f k c r 1. c.
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billroth ausgeführten Laparotomien. 221
Pylorus*) anführen, welche unter dem Bilde eines Pylorustuinors
auftretend zur Operation Veranlassung gaben.
Von diesen Fällen verdient gleich der erste am 18. Juli 1884
operierte besonders hervorgehoben zu werden, da hier von der
Resektion des vermeintlichen Pylorustuinors wegen ausgebreiteter
Infiltration der umgebenden Drüsen Abstand genommen werden
musste und man sich nur auf die Durchtrennung eines den
Pylorus nach oben ziehenden Stranges beschränkte. Der
Wundverlauf war ein ungestörter und im Juni 1886 stellte sich
Patientin in wesentlich gebessertem Zustande vor.
Im zweiten Falle, 17. November 1885, waren die Stenosen-
erscheinungen durch Adhäsion und Verziehung des Pylorus
gegen die mit Steinen gefüllte Gallenblase bedingt. Beim
Lösen der Adhäsionen Einreissen der letzteren und Resektion eines
grossen Teiles der Gallenblase, Entleerung der Steine und Ver-
nähung des Blasenrestes in sich selbst. Patient starb am Tage
nacli der Operation an Collaps.
Im dritten Falle vom 23. Juli 1887 wurden in ähnlicher Weise
Adhäsionen des Pylorus an die Leber durchtrennt, und
Patient nach ungestörtem Wundverlaufe gebessert entlassen. Weitere
Nachrichten über das Befinden desselben fehlen.
Der letzte hierher gehörende Fall vom 17. November 1889
betraf eine 45 Jahre alte Frau mit Stenosenerscheinungen und
fühlbarer Resistenz im Epigastrium. Nach Eröffnung der Bauch-
höhle zeigte sich eine breite Adhäsion zwischen Curvatura minor
und Peritoneum parietale, welche mit der Schere durchtrennt
werden musste. Man fand nun links neben der Gallenblase eine
breite Adhäsion zwischen Lohns quadr angularis und
kleiner Curvatur, bei deren Ablösung der Magen plötzlich einriss.
Nach Tamponade des Risses mit Jodoformgaze wurde der Lobus
quadrangularis nahe der Schwiele mit dem Paquelin durchtrennt.
Durch eine Incision im Magen überzeugte man sich , dass der
Pylorus vollkommen normal war, fand jedoch an der kleinen Cur-
vatur entsprechend der Schwiele ein ausgedehntes, auch die hintere
Magenwand, wie es scheint, an das Pancreas fixierendes Ulcus,
weshalb von einer Resektion Abstand genommen wurde. Verschluss
der Incisionswunde, AViedervernähung der abgelösten Schwiele mit
der Magenwand, Etagennaht der Bauchdecken. Nach 4 Tagen
erfolgte der Tod an hypostatischer Pneumonie und Anämie.
*) V. Hacker, Uel). Vereng. <L 3Iag. dnrcli Knickung infolge Zuges von
Adhäsionssträngen. Wien. med. Woch. 1S87, 37 und 38.
222
Fr. Hansy und E. Knauer.
Operationen am Darme.
Vorerst wollen wir kurz die an der Klinik geübten Methoden
der Darmnalit erwähnen. Die erst geübte Methode bis inklusive
1880 war ausschliesslich die der Lembert’ sehen Nähte. Vom
Jahre 1881 an kam die Czerny’sche doppelreihige Naht in
Anwendung und noch im selben Jahre wurde die für Pylorus-
resektionen von Wölfler^) ein geführte Naht auch als Darm-
naht verwendet. Dieselbe wurde sjDäter immer häufiger angewendet
und ist jetzt sowohl bei Magen- als Darmoperationen an der
Klinik die ausschliesslich geübte; sie besteht 1) in der die
hintere Hälfte der Darmcircumferenz vereinigenden, inneren Sero-
muscularisnaht, 2) der inneren Mucosanaht (beide gegen das Darm-
lumen zu geknüpft), sodann 3) in der die vordere Hälfte der Darm-
circumferenz vereinigenden äusseren Mucosa- und 4) der äusseren
Seromuscularisnaht mit vom Darmlumen abgewendeten Knoj^fen.
In erster Linie verzeichnen wir die Resektionen am Dünn-
darm. Solche wurden ausgeführt: 1) wegen Anus jDraeternatu-
ralis, der jedesmal nach Gangränescenz der Darmschlinge bei incar-
cerierter Hernie zu stände gekommen war. Einigemale hatte dieser
Anus praeternaturalis schon Jahre lang bestanden; meist waren
erst einige Monate seit der Incarceration verflossen. Im ganzen
wurden 13 mal Dünndarmresektionen aus diesem Grunde ausgefühi’t.
Alle 13 Patienten wurden geheilt. Die erste an der Klinik aus-
geführte Dünndarmresektion wurde am 6. November 1878 gemacht-).
2) Wegen Volvulus in 4 Fällen, welche alle bald nach der Operation
an Collaps und schon vorhandener Peritonitis zu Grunde gingen.
3) Wegen Stenosierung einer Dünndarmschlinge durch
einen Narbenstrang und Einreissen derselben bei Lösung des
Stranges in einem Falle ^), welcher geheilt wurde. 4) Wegen
Tumor in zwei Fällen (Sarcom des Dünndarms und Fibrom des
iMesenteriums) ; der erste wurde geheilt, der zweite starb an Sepsis.
Im ganzen wurden somit 20 Dünndarmresektionen mit 15 Hei-
lungen und 5 Todesfällen ausgeführt.
Aehnlich wie am Pylorus gaben auch am Dünndarm durch
Narbenstränge herbeigeführte Stenosen Veranlassung zu
Durchtrennung derselben und zwar in zwei Fällen, von denen der
eine geheilt wurde ^), der zweite an Collaps am Tage der Operation
starb.
') Wölfler, 1. c.
Billrot h. Ueber Eiiteroraphie. Wiener med. Woch. 1879 1.
V. Eiselsberg. Wiener klin. Woch. 1890. Nr. 12.
h V. Eiseisberg. Wiener klin. Woch. 1890. Nr. 12.
Bericht üljer die an der Klinik des Prof. Billroth ausgeführten Laparotomien.
223
Bei den Coecumresektionen können wir uns ganz kurz
fassen, da die meisten derselben, nämlich 18, vor ganz kurzer Zeit
von Salzer ‘) ausfühiiicli publiziert wurden. 10 haben die Operation
überstanden, 8 starben teils an Peritonitis, teils an Collaps. Hier-
zu kommen noch 4 Fälle von Coecumresektionen (wegen Lyinpho-
sarcom, tuberkulöser Schwiele, Carcinom und einfachen katarrha-
lischen Schwielen). Die beiden wegen Lymphosarcom und Carcinom
Operierten verliefen tödlich durch Peritonitis, die beiden anderen
wurden geheilt. Im ganzen haben wir somit 22 Coecumresektionen
mit 10 Heilungen, 2 ungeheilten und 10 Todesfällen.
Daran reihen sich 10 zirkuläre Resektionen des Colon,
alle wegen Tumoren, welche an den verschiedensten Stellen seines
Verlaufes ihren Sitz hatten (Colon ascendens, Flexura coli dextra,
Colon transversum, Flexm’a coli sinistra, Colon descendens und
S. romanum). 5 derselben wurden geheilt, 5 starben teils an Collajis
bald nach der Operation, teils an septischer Peritonitis.
Von Enteroanastomosen wurden nur solche zwischen
Ileum und Colon ausgeführt. Es gehören hieher im ganzen sieben
Fälle, in welchen sechsmal wegen Erkrankung des Coecum, ein-
mal wegen Erkrankung des Colon descendens operiert wurde.
Am 20. Dezember 1882 wurde wegen Kothfistel nach Perityphlitis
die erste Implantation des Ileum in das Colon ausgeführt-).
Patient starb an septischer Peritonitis. Am 6. August 1887 wurde
wegen tuberkulöser Erkrankung des Coecum von v. Hacker^) die
erste am Menschen gelungene Ileocolostomie durch seit-
liche Apposition vorgenommen. Dieser Fall ist auch dadurch noch
besonders interessant, dass wegen einer gleichzeitig bestehenden Ste-
nose des Dünndarms im selben Akte nach der Methode von
Heinecke und Mikulicz für Pylorusstenose ebenfalls zum
erstenmale die Stenose durch Längsincision und quere Vereinigung
behoben wurde. Die Patientin verliess nach vier AVochen geheilt
das Spital und konnte am 11. Dezember 1891 in vollkommenstem
Wohlbefinden in der Gesellschaft der Aerzte in Wien vorgestellt
werden. Bei den folgenden Ileocolostomien wurde stets die late-
rale Apposition ausgeführt, dreimal gab Carcinom, zweimal am
Coecum, einmal am Colon descendens , die V eranlassung zur Ope-
ration, wobei die Apposition des Ileum einmal an das Colon ascen-
') Beiträge zur Pathologie und chir. Therapie chron. Coecumerkrankungen.
Langenb. Arch. Bd. XLIII 1.
b Wölf 1er. Verhandl. d. deutfich. Ges. f Chir. 188.3.
Hauer. Darmresekt. u. Enteroanast. Zeitachr. für Heilk. V.
®) Ueher die Bedeutung der Anastomosenbildung am Darme. W. klin.
Woch. 1888 Nr. 17.
224
Fv. Ilansy und E. Knauer.
dens und eiiiiiial an das Colon transversuin stattfand, beide mit
operativem Erfolge. Im dritten Falle unternahm man die Ver-
einigung einer Dünndarmsclilinge mit dem abführenden Schenkel
des vorher ohne Erfolg angelegten Anus praeternaturalis. Patient
starb bald nach der Operation an Collaps, Bei den letzten zwei
wegen Perityphlitis und Lymphadenom des Coecum Ope-
rierten wurde im ersten Falle die Anastomose zwischen Ileum und
Colon ascendens, im zweiten zwischen Ileum und Colon transver-
sum angelegt. Beide starben, der eine an schon vorhandener, der
andere an nach der Operation aufgetretener Peritonitis. Es ergeben
sich somit bei den Enteroanastomosen im ganzen drei Heilungen
und vier Todesfälle.
Zur Ausschaltung des Coecum, wie dieselbe von Salzer'}
zum erstenmale angegeben und an Tieren experimentell studiert,
später von Ilochenegg -) in etwas modifizierter Weise zuerst beim
IMenschen mit Erfolg angewendet wurde, ergab sich bis jetzt an
der Klinik noch keine Gelegenheit.
Als Operationen am Darme wären noch anzureihen die En-
tere rap hi en. Vier derselben wurden ausgeführt wegen Coecum-
fisteln eine wegen eines Fremdkörj^ers (Malerj)insel) imColoiP),
eine wegen eines Coprolythen im Coecum, eine wegen Fisteln
am Colon transversuin und eine wegen Fistel am Dünndarm,
beide am Nabel durchgebrochen. Von allen acht wurden drei ge-
heilt, während fünf starben, drei an Peritonitis, einer an Tuber-
culosis serosarum und einer an tuberkulösem Marasmus.
Schliesslich folgt noch die Anlegung des künstlichen
Afters, weichein 17 Fällen von Ileus, mit wenigen Ausnahmen
(ein Volvulus, eine narbige Obliteration des Colon, ein Carcinoma
Uteri, eine Schwiele am Coecum) durch Carcinoma recti oder fle-
xurae sigmoideae bedingt, notwendig war und wobei immer der
Dickdarm eröffnet wurde. Nur in den ersten Jahren kam dabei die
Methode von Amussat zur Anwendung, später wurde ausschliess-
lich der Anus praeternaturalis nach Littre im linken Hypogastrium
angelegt, ausgenommen zwei Fälle, wo zuerst die diagnostische
Eröffnung der Bauchhöhle durch Medianschnitt gemacht und dann
das Colon descendens in den unteren Wundwinkel eingenäht
worden war, und ein Fall, wo wegen durch Schwielen am Coecum
Ein Vorschlag zur Modif. d. Enteroanast. durch völlige Ausschaltung des
krank. Darmth. Verhandlungen d. deutsch. Ges. f. Chir. XX. Congress 1891.
b Wien. klin. Wochenschrift, 1891 Nr. 53.
b V. Wittelshöf er. AViener med. Woch. 1881. 3. u. Fortsetzung,
b Hauer 1. c.
1 ir
Bericlit über die an der Klinik des Prof. Billrotli ausgeführten Laparotomien. 225
bedingtem Ileus der After hier angelegt wurde. Neun der 17 Ope-
ilerten wurden geheilt, acht starben und zwar einer an Collaps,
drei an konsekutiver Peritonitis, vier an bereits vor der Operation
eingetretener Peritonitis.
Operationen an der Leber.
Unter den Eingriffen an der Leber stellt das Hauptkontingent
der Echinococcus dar. Da über die Operation desselben gleich-
zeitig an anderer Stelle berichtet wird, beschränken wir uns auf
die Anführung der Zahl der Operationen und der dabei geübten
Methoden. Von diesen wurde nur ein Fall durch zweizeitige
Incision behandelt und geheilt, von elf Fällen mit einzeitiger nach
Lin de mann wurden acht geheilt und starben drei. Drehnal wurde
die Exstirpation respektive Enucleation der Blase vorgenom-
men mit einer Heilung und zwei Todesfällen. Nach der in letzter Zeit
von Billroth geübten Methode bestehend in einzeitiger Incision
und Entleerung des Sackes, Eingiessen von Jodoform-
glycerin, Vernähung und sofortiger V ersenkung desselben
wurde fünfmal operiert mit fünf Heilungen. Von sämtlichen 20
wegen Echinococcus Operierten sind 15 geheilt und 5 gestorben. Der
Sitz des Echinococcus war in fast allen diesen Fällen entweder
in der Leber allein oder neben derselben multipel in mehreren
Bauchorganen (besonders der Milz).
Von per laparotomiam ausgeführten Operationen an der Leber
haben wir noch einen Fall zu erwähnen, der auch deshalb beson-
deres Interesse verdient, weil er der erste seiner Art am Menschen
ausgeführte war. Es handelte sich um einen Schnürlappen der
Leber*), welcher durch Bäuschchennähte an der vorderen Bauch-
wand fixiert wurde, worauf die sämtlichen Beschwerden der Patientin
verschwanden, ferner ein Fall von mit der Leber zusanimen-
r hängendem Abscess, welcher nach Annähung seiner Wandung
i an die vordere Bauchwand incidiert und drainiert und durch dieses
J Verfahren zur Heilung gebracht wurde.
Operationen am Pancreas.
Die am Pancreas ausgeführten Operationen, im ganzen 5,
t betrafen ausschliesslich Cysten. Beim ersten von Salzer^) publi-
c zierten Falle wurde die Exstirpation der Cyste ausgeführt. Der-
►i selbe endete tödlich durch Peritonitis purulenta. Der 2. Fall von Ex-
N stirpation endete ebenfalls tödlich, jedoch nicht unmittelbar infolge
*) V. Hacker. Wiener med. Woch. 1880.
‘b Zur Diagnostik d. Pancreascyste, Zeitschr. f. Heilk. VII.
15
226
Fr. Hansy und E. Knauer.
des Eingriffes, sondern wegen tödlicher Blutung aus einem Ulcus
duodeni 12 Tage nach der Operation. Es handelte sich hier um
eine retroperitoneale, so innig mit Pancreas, Milz und Magen ver-
wachsene Dermoidcyste, dass Teile des Pancreas und die ganze
Milz mitexstirpiert werden mussten, der Magen eröffnet wurde und
die Cyste selbst nur partiell exstirpiert werden konnte. Bei den
weiteren 3 Cysten des Pancreas wurde keine Exstirpation unter-
nommen, sondern dieselben nach Incision und Annäh ung
ihrer Wandung an die Bauchwand drainiert. Indem ersten
dieser Fälle war noch vor der Operation Spontanruptur der Cyste ein-
getreten, derselbe ging an eiteriger Peritonitis zu Grunde. Die beiden
letzten Fälle wurden bis auf eine noch secernierende Fistel geheilt.
Operationen an der Milz.
Neben den wenigen Ecliinococcen und der oben erwähnten
Milzexstirpation sind von Operationen an der Milz noch 5 Ex-
stirpationen derselben anzuführen. An die im Jahre 1877 aus-
geführten 2 Splenectomien^) wegen Tumor leucaemicus reiht sich
ein gleicher 3. Fall im Jahre 1883; alle 3 endigten tödlich, 2 an
Collaps, 1 an Nachblutung aus den unterbundenen Milzgefässen.
Der 4. Fall vom Jahre 1884 betraf eine schon längere Zeit mit der
Diagnose »Wandermilz« mittels Bandagen behandelte Frau, bei
welcher es schliesslich wegen Wachstum der Geschwulst und heftiger
Schmerzen zur Operation kam, wobei die sarcomatös degenerierte
Milz exstirpiert wurde. Der Fall ging in Heilung aus. Die letzte
Milzexstirpation wurde wegen Ver grösser ung der Milz nach
Malaria am 6. März 1887 von Hofrat Billroth ausgeführt. Es ist
dies der grösste Milztumor, der bis jetzt exstirpiert worden ist
(Gewicht 5,5 kg). Die 25jährige Patientin war 6 Wochen nach der
Operation vollkommen geheilt. Weitere Nachrichten fehlen. —
Operationen an der Niere.
Von den Operationen an der Niere sind nur diejenigen gewählt,
bei welchen das Peritoneum eröffnet wurde. Es gehören hieher
16 Nephrectomien, welche teils per laparotomiam (9), teils mittels
lumbalen Schnittes (7) ausgeführt wurden und zu denen in 5 Fällen
Sarcom, in je 2 Carcinom, Lipom ^), Pyo- und Hy dronephrose
und in je 1 Adenom, Wanderniere und Echinococcus Ver-
anlassung gaben. 8 wurden geheilt, 8 starben (4 an septischer
9 Nedopil. Die Laparosplenotoinie. Wiener lued. Woch. 1879.
V. Eiseisberg. Eibrolip. der Nierenfettkapsel. Wiener klin. Woch.
1890 Nr. 23.
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billroth ausgeführten Lai)arotoinien. 227
Peritonitis, 1 an Verblutung aus der Hohl vene^), 1 an carcinomatösen
Metastasen, 1 an Urämie und 1 an Pneumonie). Hier wären noch
anzureihen 2 Fälle von Pyonephrose, in welchen Laparotomie
mitincision, Anheftung des Cystensackes an die Bauch-
wand und Drainage ausgeführt wurde mit 1 günstigen und
1 letalen Ausgange (an Marasmus).
Ausser den Tumoren der Nieren wurden noch in 4 Fällen
retroperitoneale Tumoren per laparotomiam exstirpiert und zwar
2 Myxolipome (darunter 1 von ganz enormer Grösse) ^), 1 Rund-
zellensarcom und 1 Fibrom. Alle 4 Fälle verliefen tödlich und
zwar 2 an Sepsis, 2 an Erschöpfung.
Iiicisioueii.
Zum Schlüsse Hessen wir uns die Incisionen der Bauch-
höhle, welche teils zu curativen, teils zu diagnostischen Zwecken
vorgenommen wurden. Zu den ersteren gehören die Incisionen
wegen tuberkulöser Peritonitis, 16 an der Zahl, von welchen
nur der erste, im Jahre 1878 ausgeführte, an Sepsis starb, alle
übrigen jedoch gebessert das Spital verliessen. Viele dieser stellten
sich später von ihrer tuberkulösen Peritonitis vollständig geheilt
vor. Ferner 2 Fälle von Perityphlitis, von welchen 1 mit
Kotfistel geheilt wurde, während der andere, bei dem schon vor
der Operation Perforationsperitonitis vorhanden war, bald nach
dem Eingriffe starb. Zur 2. Kategorie gehören die Incisionen,
welche ausgeführt wurden :
1. Wegen innerer Incarceration, 8 Fälle mit 2 Heilungen
(Invagination und Coprostase) und 6 Todesfällen an Peritonitis, die
in 4 Fällen schon bei der Operation konstatiert wurde, der 5. an
consecutiver Peritonitis, der 6. an Collaps.
2. Wegen Carcinom des Peritoneums und inope-
rablen Unterleibsgeschwülsten im ganzen 66 mit 24 Todes-
fällen (vorwiegend an Collaps und Marasmus, einigen an Peritonitis)
und 42 Ungeheilten.
3. Wegen Ascites, dessen Ursache nicht eruiert werden
konnte (möglicherweise auch Tuberkulose) 3 Fälle, sämtliche geheilt.
Nachdem wir nun die verschiedenen, in den Rahmen unserer
Arbeit fallenden chirurgischen Eingriffe gruppenweise besprochen
Dr. Brenner. Beitrag zur Cas. d. Kephrect. W. med. Woch. 1885.
Salzer. Myxoma lipomatodes caps. adip. renis. W. klin. Woch. 1888.
Kr. 8, 9, 10.
228
Fr. Hansy und E. Knauer.
haben, dürfte es noch von Wert sein, den Entwicklungsgang
der Wundbehandlung, den dieselbe in den 25 Jahren genommen,
etwas näher zu erörtern.
Die ersten 8 Jahre, von Herbst 1867 bis Ende 1875, fallen
noch in den Bereich der vor antiseptischen Zeit und zwar in
jene Periode derselben, in welcher Billroth bei allen anderen
Operationen nach langen Bemühungen mit der offenen Wund-
behandlung die günstigsten Erfolge erzielte. Hiedurch und durch
das Beispiel ausländischer Chirurgen ermutigt, führte Billroth unter
den ersten in Wien Laparotomien aus, und zwar mit relativ
günstigem Erfolge, so dass er selbst damit zufrieden war. Von 46,
fast ausschliesslich wegen Ovarialgeschwülsten Operierten, wurden
20 geheilt, freilich ein ziemlich hohes Sterblichkeitsprozent.
Erst Ende 1875 nahm Billroth Listers Methode der
antiseptischen Wundbehandlung an, vor allem durch die
Einführung des typischen Lister- Verbandes und des in Carbolöl
desinfizierten Catgut. Alsbald ging er jedoch daran, den Lister-
verband zu vereinfachen und möglichst zu verbessern ^).
Diese Zeit bis zur strengen Durchführung der Antisepsis in
jeder Hinsicht, währte bis Ende 1877 und kann gewissermassen als
Uebergangsperiode von der vorantiseptischen zur Zeit
der genauen Einhaltung aller antisej3tischen Cautelen be-
trachtet werden. Schon damals machte sich ein wesentlicher Fort-
schritt in den Heilungserfolgen geltend, indem wir unter 67 Ope-
rierten, welche nebst der überwiegenden Zahl von Ovarialtumoren
eine Zunahme auch der anderen Fälle erkennen Hessen, 39 Heilungen
verzeichnet finden, was somit eine sehr wesentliche Besserung (um
14,7 ”/q) im Vergleiche mit dem früheren Zeitraum bedeutet.
Wir kommen nun zu dem schon erwähnten Zeitabschnitt
der streng nach Lister durchgeführten antisej^tischen
Wundbehandlung, wie sie vom Ende des Jahres 1877 an der
Klinik gehandhabt wurde. Man begann wieder mit dem typischen
Lister- Verbände, gebrauchte während der ganzen Operation den
Karbolspray und führte auch sonst an der Klinik nach Beseiti-
gung zahlreicher aus früherer Zeit überkommener Uebelstände im
Sinne der neuen Lehre viele Besserungen durch. Nur das Catgut war
schon im Jahre 1876 durch die von Czerny eingeführte anti-
septische Seide verdrängt worden. Die Schwämme wurden nach
dem von Prof. v. Frisch^) angegebenen Verfahren vor dem zweiten
9 Billroth, Chirurg. Kl.
[Jeh. Desinf. v. Seide u. Schwämmen zu Chirurg. Zwecken. Langenbecks
Archiv für klin. Chir. XXIV pag. 749.
Bericht über die au der Klinik des Prof. Billroth ausgeführten Laparotomien. 229
Gebrauche zuerst mehrere Tage in fliessendem Wasser ausgeschwemmt
und erst, nachdem sie mindestens drei Tage in 5% Karbollösung
gelegen waren, wieder verwendet. Auch diesmal blieb man jedoch
bei dem streng Lister sehen Verfahren nicht lange stehen, da man
bald wieder Gelegenheit hatte, schwere und schwerste Karbolin-
toxikationen zu beobachten, und daher vor allem bestrebt war,
das Karbol loszubekommen. Hieher gehören die Versuche, die
Karbolgaze durch die Billroth’sche Wallrath-Gaze, durchBruns’-
sche Watte und verschiedene andere Verbandmaterialien zu er-
setzen, ferner die Beschränkung im Gebrauche des Spray, die
übrigens schon in der vorigen Periode angestrebt worden war,
indem derselbe nunmehr bei offenem Peritoneum unterbrochen
wurde, bis es endlich im Jahre 1880 auf Grund einer Reihe zum
Teil aus Billroths Klinik hervorgegangener wissenschaftlicher Ar-
beiten^) vollständig weggelassen wurde. Erst die Einführung des
Jodoforms (im Jahre 1881) bildete wieder eine wesenthehere Aen-
derung des Wund Verfahrens, weshalb wir diesen Zeitraum von
Ende 1877 bis Anfang 1881 als eine dritte Periode auf-
fassen. Es fallen in dieselbe 138 Laparotomien, von welchen 83
in Heilung ausgingen, während die übrigen 55 tödlich endeten;
wir sehen somit abermals einen nicht ganz unwesentlichen Fort-
schritt (um 2,1 “/o) gegenüber der früheren Periode.
Der nächste Zeitabschnitt, den wir aufstellen, be-
ginnt mit der Einführung des Jodoforms und endet An-
fangs 1886 mit einem gerade für die Laparotomien sehr wich-
tigen Momente, nämlich dem Weglassen der Schwämme.
Vom Jodoform wurde besonders anfangs sehr ausgedehnter Ge-
brauch gemacht, und dadurch eine nicht unwesentliche Aenderung
der Verbandtechnik bedingt. Alle Wundflächen des Peritoneums,
besonders die bei Lösung von Adhäsionen entstandenen, wurden
mit Jodoform bestreut, als erste Schichte des Verbandes Jodoforni-
gaze verwendet. Wichtiger ist die Anwendung der Jodoformgaze
zur Tamponade und gleichzeitigen Drainage der Höhlenwunden.
Nebst einer bedeutenden Zunahme der Zahl der Fälle im all-
gemeinen macht sich in diesem Zeiträume besonders der Auf-
schwung der Magen- und Darmchirurgie und der My omotomien geltend,
abermals unter fortdauernder Besserung der Resultate (um 1,2 ”/o).
Die Zahl der zu behandelnden Fälle betrug 277 mit 171 Heilungen.
Es folgt nun die letzte Periode, in welcher noch die
Antisepsis an der Klinik herrschend war, von Anfang
*) 31 i k u 1 i c z, Z. Sprayfrage. Langenbecks Aroh. XXV. Xr. 30.
230
Fr. liansy und E. Knauer.
1886, dem Zeitpunkte des Ersatzes der Schwämme durch
die sterilisierten und desinfizierten, hydrophile Gaze-
Kompressen bis Anfang 1891, der Einführung des asep-
tischen und trockenen Verfahrens bei den Operationen.
Wie zu erwarten, bewirkte der Gebrauch dieses absolut keim-
freien Materials, wie es die feuchten Sublimatkompressen waren’),
eine auffallende Besserung des AVundverlaufes und eine höchst
erfreuliche Zunahme der Heilungen (um8,l°/o). Es fällt dies umso-
mehr in die Wagschale, als die Zahl der an und für sich eine
ungünstigere Prognose gebenden Magen-, Darm- und Myomope-
rationen um bedeutendes zunahm, während sich die Ovariotomien
nicht unbeträchtlich verminderten. Von 335 Operierten wurden
243 geheilt, 101 starben.
Wir wären so bei der aseptischen Wundbehandlung
angelangt, welche Anfangs 1891 eingeführt wurde und seither an
der Khnik geübt whd. In dieser Zeit kamen 106 Kranke zur
Operation, 72 derselben wurden geheilt, 34 starben. Die Ver-
schlechterung der Resultate dieser letzten Periode (um fast 2 "/o)
gestattet jedoch noch keine endgültige Beurteilung des aseptischen
Verfahrens an unserer Klinik, da gerade in letzter Zeit eine Reihe
schwerer und ungünstiger, besonders mit schon vor der Operation
eingetretener Peritonitis komplizierter Fälle zur Beobachtung kam.
Von den letzteren wurde, wie wir uns bei der Durchsicht der
Krankengeschichten aller 25 Jahre überzeugen konnten, bis jetzt
noch kein einziger durch die Operation geheilt.
Der wesentliche Unterschied des jetzigen gegenüber dem
früheren Verfahren besteht darin, dass die als Tupfer gekrüllte
und in Form von viereckigen Kompressen genähte weisse Gaze
nach vorhergegangener Sterihsation im Wasserdampf und im
Trockensterilisationsapparate durch je eine Stunde trocken ver-
wendet werden, ohne mit einem Antisepticum in Berührung
gekommen zu sein. Ebenso wird auch sonst vermieden, reine
Wunden mit Antisepticis, wie z. B. durch Irrigation oder überhaupt
mit Feuchtigkeit in Kontakt zu bringen. Die Instrumente, sowie die
Seide werden nur mehr in 1^/^^ Sodalösung oder reinem Wasser
gekocht, die Seide in b^/o Karbolsäure auf bewahrt und beide aus
H/q Karbolsodalösung gereicht.
Die Vorbereitungen der Kranken und das bei den
Laparotomien geübte Verfahren sind demnach folgende: Der
b V. Eiseisberg. Ueber den Keimgehalt von Seifen und Verband-
materialien. W. med. Woch. 1887 19, 20, 21.
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billroth ansgeführten Laparotomien. 231
Kranke wird nach einem Vollbade, wenn möglich schon am Tage vor
der Operation, am ganzen Abdomen möglichst gründhch und aus-
gedehnt mit Seife und Bürste gereinigt und rasiert, bekommt so-
dann einen Umschlag mit essigsaurer Thonerde, Magen und Darm
werden durch leichte Kost, Fasten am Tage der Operation und
Laxantien gründlich entleert. Bei den Frauen wird womöglich
die mensesfreie Zeit zur Operation gewählt. Bei Operationen an
den weibhchen Genitalien, insbesondere den Myomotomien wird
noch eine besonders gründliche Reinigung und Tamponade der
Vagina mit Jodoformgaze, sowie der Cathetrismus vorausgeschickt.
Auf dem Operationstische besteht die Herrichtung des Operations-
feldes nach abermaliger Reinigung mit Bürste, Seife, Rasiermesser
und sterilisierten, in Sublimat getauchten Kompressen in Ab-
reibung der Haut mit Aether, dann mit Alkohol und endlich Su-
bhmat (U/oo)- Kabel und Schamgegend werden mit Jodoformäther
(l : 10) begossen. Um den Patienten vor zu starker Abkühlung
während der Operation zu schützen , wird der Operationsraum
immer sehr warm gehalten, und bekommen die Kranken nebst
einer Flanelljacke grosse, bis an die Hüfte heraufreichende, frisch
sterilisierte Flanellstrümpfe. Die Umgrenzung des Operationsfeldes
geschieht mittels in Dampf oder Trockenhitze sterilisierter Lein-
tücher. Von der Eröönung des Peritoneums an werden die erwähnten
genähten Kompressen als Tupfer und in entsprechender Grösse
zur Bedeckung der prolabierten Gedärme verwendet. Ist der Ver-
lauf der Operation ein vollkommen glatter, sodass die Bauchwunde
ohne Besorgnis ganz geschlossen werden kann, so wird die Naht
der Bauchhaut mit steriler gekrüllter Gaze bedeckt. Erweist sich
jedoch eine Drainage, sei es in der Bauchhöhle selbst, sei es in
den Bauchdecken, oder die Tamponade einer Höhlen wunde als
notwendig, so werden zu diesem Behufe 5 — 10 Minuten in Wasser
gekochte und in 5*^/0 Karbolsäure auf bewahrte Kautschukdrains und
Jodoformgazestreifen verwendet. Die jetzt an der Klinik übliche
Naht der Bauch decken ist die dreifache Etagennaht, bei welcher
das Peritoneum fortlaufend mit Catgut, die Fascien durch Seiden-
knopfnähte und die Haut durch fortlaufende Seidennaht vereinigt
wird, und deren Vorteil hauptsächlich darin besteht, dass sie
nahezu immer die Entstehung von Bauchdeckenhernien verhindert.
Die Technik des Verschlusses der Bauchhöhle hat bis zur eben
erwähnten, jetzt geübten Methode ebenfalls im Laufe der Jahre ver-
schiedene Wandlungen durchgemacht. Die ursprüngliche Naht
bestand in einer Reihe tiefer, das Peritoneum nicht mitfassender,
und einer Zahl oberflächlicher Hanf- oder Seidenknopf suturen.
232
Fr. Hansy und E. Knauer.
Bei den Ovariotomien war vom Anfänge an die Spencer-Wells’sche
Naht mittels Bleiplatten und Silberdraht, welcher Haut,
Muskulatur und Peritoneum fasste, und oberflächlichem Verschluss
der Haut durch Seidennähte im Gebrauch. Diese wurde vom Jahre
1878 an die fast ausschliesslich geübte Bauchnaht. Nach derselben
kamen jedoch nicht selten Ventralhernien zur Beobachtung. In
einem solchen Falle nach Uterusexstirpation ereignete es sich so-
gar, dass fast 10 Jahre nach der Operation plötzlich bei der Ar-
beit die Narbe platzte und eine 20 cm lange Dünndarmschlinge
prolabierte. Die Kranke packte den Darm in ihr Taschentuch und
fuhr rasch im Wagen zur Klinik, woselbst der prolabierte Darm
mit Sublimat gereinigt und reponiert, die Bauchdecken neuerdings
vernäht wurden. Die Patientin wurde geheilt entlassen.
Der Verband bei Laparotomien besteht demnach, wie
oben erwähnt, im Auflegen von gekrüllter Gaze, die meist mit
Heftpflasterstreifen fixiert wird, worauf ein steriles Holzwollekissen
folgt und das Ganze durch eine aus einem Handtuche hergestellte,
mit Sicherheitsnadeln zusammengehaltene Leibbinde befestigt wird.
Durch zwei sogenannte Schenkelbänder kann der Verband noch
vor dem lästigen Hinaufgleiten gehindert werden.
Nach vollendeter Operation und Anlegung des Verbandes
werden die Kranken in ein mit dem v. Hack er’s eben Bettspanner
versehenes Bett gebracht, mit warmen Leintüchern eingehüllt und
bekommen, falls sie durch die Operation sehr erschöjDft sind, sofort
ein Weinklysma, welches nötigenfalls mehrmals wiederholt wird,
per OS etwas Cognac oder Wein. Uebelkeiten und Erbrechen als
Nachwirkung der Narkose werden durch Applikation eines Eis-
beutels in den Nacken sowie durch Schlucken von Eispillen zu
erleichtern gesucht. Die Diät besteht am ersten und meist auch
noch am zweiten Tage nur in klarer Suppe, etwas kaltem Thee,
Wein oder Cognac. Hierauf wird zu weiterer, flüssiger Nahrung
übergegangen, wie Milch, Chaudeau, eingekochte Suppe. Feste
Nahrung, bestehend vorzüglich in Brat- oder Einmachhuhn, er-
halten die Kranken erst vom fünften bis sechsten Tage, worauf
dann allmählich zu anderer Nahrung übergegangen wird. Bei am
Magen Operierten wird die Diät noch strenger gehandhabt. Die-
.selben erhalten in den ersten 24 Stunden ausser Eisstückchen zur
Stillung des Durstes und etwas Cognac mit Wasser oder Sherry
gar keine Nahrung, dagegen werden zur Aufrechterhaltung der
Kräfte, in fast allen Fällen, mehrere Tage hindurch täglich 3 — 4
Wein- oder Milch-Peptonklysmen verabreicht. Der Uebergang zur
flüssigen und festen Nahrung ist ein noch vorsichtigerer, so dass
Bericht über die an der Klinik des Prof. Billroth ausgeführten Laparotomien. 233
erst am 10. bis 12. Tage nur ganz zartes Hühnerfleisch gestattet
wird. Erfolgt bis zum 3. oder 4. Tage kein Stuhl, so wird ein
Klysma mit Oleum ricini verabreicht, um zur Schonung der Bauch-
presse eine leichte Entleerung zu erzielen.
Der erste Verbandwechsel mit Entfernung der oberfläch-
lichen Nähte erfolgt bei reaktionslosem Verlaufe am 8. bis 10. Tage.
Tritt jedoch schon früher Fieber auf, so wird vor allem nach lokalen
Erscheinungen an der Wunde gesucht und, falls sich zu Mass-
nahmen am Orte derselben keine Veranlassung findet, bei Fort-
dauer septischer und peritonitischer Symptone eine möglichst
ausgiebige Ausscheidung der septischen Produkte durch energische
Anregung der Transspiration (vorwiegend mit Hilfe von Lindeii-
blütenthee) zu erreichen gesucht. In einigen wenigen Fällen bestand
die Indikation, wegen peritonitischer Erscheinungen die Bauchhöhle
nochmals zu eröffnen, und es gelang in denselben, durch Aus-
spülung mitSalicyl der beginnenden Peritonitis noch Herr zu werden.
Erst nach 3 Wochen dürfen die Patienten bei glattem Ver-
laufe zum ersten Male das Bett verlassen, damit die Bauch-
deckennarbe nicht zu bald durch die Bauchpresse belastet werde.
In früherer Zeit vor Einführung der Etagennaht gebrauchte man
die Vorsicht, die Patienten nur mit einem von Bandagisten an-
gefertigten Korsett aufstehen zu lassen, welches sie auch nach dem
\"erlassen des Spitals möglichst lange tragen mussten. Gegen-
wärtig wird dem Patienten weder beim ersten Aufstehen noch
später beim Verlassen des Spitales irgend eine Bandage gegeben.
Trotzdem kamen bisher nach der Etagennaht im ganzen nur
einige wenige Fälle von Bauchwandhernien zur Beobachtung, es
hatte dabei meist eine Bauchdeckeneiterung stattgefunden.
Die Konstatierung der Fortschritte der Resultate im allge-
meinen und der Zahl der Operationen im gegebenen Zeiträume
waren es hauptsächlich, auf welche wir uns mit Rücksicht auf
das so reichhaltige und bunte Material beschränken mussten, zu-
mal der grösste Teil des Wertvollen und Interessanten in zahl-
reichen , aus der Klinik hervorgegangenen Arbeiten eingehend
behandelt worden ist.
254
Fr. Hansy und E. Knauer.
Varia
Incisionen
Üperat. a. d.Nieren u.
d. retroperitonealen
Geschwülsten.
Operationen a.Leber,
Milz u. Pancreas.
Operationen a. Darm
Operationen am
Magen
Myomotomien
Ovariotomien
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I. Periode der
vorantisepti-
schen Zeit.
llerb.st 1867 bis
Ende 1875..
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III. Periode der
streng. Anti-
sepsis. Ende
1877 bis Anfang
1881.
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IV. Periode der
str. Antisep-
sis, Einführung
des Jodoforms.
Anf. 18811)is Anf.
1886.
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V. Periode der
str. Antisep-
sis, Weglassen
der Schwäm-
me. Anf. 1886
bis Anf. 1891.
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VI. Periode des
aseptisch en
Verfahrens.
Anf. 1891 bis
Juli 1892.
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Gesamtzahl
der
Operationen.
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U eb er siclitstab eile :
; lieber die Komplikation von Schwanger-
schaft, Geburt und Wochenbett mit
Ovarialtumoren
von
Dr. Otto von Weiss,
Assistent an Hofrat Prof. Dr. Gustav Braun’s Klinik, Wien.
j
Wie auf manchen andern Gebieten hat die Einfülirung der
i antiseptischen Wundbehandlung und ihr Uebergang zur Aseptik
' auch in der Stellungnahme zu dieser so gefahrvollen Komplikation
I einen radikalen Umschwung herbeigeführt.
An und für sich selten, Fehling berechnet 20 Ovarialtumoren
auf 17832 Geburten der Berliner Klinik, d. i. 1:891 — eine nach
meiner Erfahrung als Durchschnittszahl viel zu hoch angesetzte
Frequenz — , nimmt sie doch ziemlich viel Platz in der Fach-
litteratur in Anspruch, da eben früher jeder einzelne Fall den
Geburtshelfer vor die schwierigsten Probleme seiner Kunst stellte,
und trotzdem eine grosse Zahl der Mütter und die weitaus grössere
Zahl der Kinder ihr Leben einbüssten, während heute bei recht-
zeitigem und richtigem Eingreifen nahezu jeder einzelne Fall einen
sichern und nennenswerten Erfolg des Arztes bedeutet.
Die Thatsache, dass der Geburtshelfer früher den Gefahren
der Schwangerschaft bei Eierstocksgeschwülsten ruhig Zusehen und
‘ bei der Gebmd sich dann den gegebenen misslichen Verhältnissen
anpassen musste, macht es natürlich, dass Statistiken wie die hier
gegebenen die Durchschnittserfolge ärztlichen Könnens repräsen-
tierten -) :
’) Uel)er die Komplikation von .Schwangerschaft und Geburt mit Tumoren
der Beckenorgane. — Deutsche medic. Woclienschrift, 1888, Xr. 49.
Tabelle wiedergegeben von Lomer >Ueber Komplikation der Geburt
durch Ovarialtumoren«. — Archiv für Gynäkologie. B<1. XIX, Heft II, 1882.
236
Otto von Weiss.
Playfair
Jetter
Mütter
Kinder
Mütter
Kinder
leb.
t
leb.
t
leb.
t
leb.
t
Der Natur überlassen
7
6
5
5
Spontane Euptur
2
1
?
?
3
5
?
?
Uterus-Ruptur
2
2
3
?
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Reposition
5
3
1
20
3
13
5
Punktion
9
6
3
11
5
4
11
Perforation
8
7
15
14
10
24
Zange
1
1
1
1
7
6
6
5
Wendung
1
4
1
4
7
8
1
11
Kaiserschnitt
1
1
3
1
2
Künstliche Frühgeburt
1
1
6
2
4
2
Unentb linden f
3
Summe
33
23
16
33
68
48
29
60
Welcher Abstand gegen die heute erreichten Erfolge, die am
besten dadurch illustriert werden, dass 01s hausen^) 82 Ovario-
tomien an der Graviden (von verschiedenen Operateuren ausge-
führt) mit 74 Genesenen verzeichnet, darunter 36 von Lawson-
Tait, 01s hausen, Spencer, AVells und Schröder ausge-
führte mit nur einem Todesfall, endlich 1891 über 24-) eigene
Ovariomien in Gravida ohne Todesfall berichten konnte, wobei
in etwa 20^ aller Fälle sich an den operativen Eingriff vorzeitige
Unterbrechung der Schwangerschaft nach Tagen oder Wochen
anschloss, in 80 o/o dagegen die Frucht ausgetragen und später
spontan und lebend geboren wurde.
Die Gefahren, welche die Schwangere bedrohen, sind in der
ersten Zeit Raumbeschränkung im kleinen Becken, die zum Ab-
ortus führen kann, später bei grossen Tumoren Raumbeschränkung
in der Bauchhöhle, die hochgradige Beschwerden, Frühgeburt,
b »Krankheiten der Ovarien«. Deutsche Chirurgie, Stuttgart 1886. Kap.
XVIII. Komplikation mit Schwangerschaft und Geburt.
b Olshausen, »Die Laparotomien der Universitäts-Frauenklinik in Berlin
während der drei Jahre 1. IMai 1887 — 90«. Zeitschrift für Geburtshilfe und
Gynäkologie. Bd. XX.
Komplikation v. Schwangerschaft, Geburt u. AVochenbett m. Ovarialtumoren. 237
Ruptur der Cyste im Gefolge haben kann, bei kleinen Tumoren
vor allem die enorme Gefahr der Stieltorsion mit folgender Peri-
tonitis, Nekrose des Tumors u. s. f.
Die Behandlung besteht durchwegs in Ausführung der Ova-
riotomie, und kommt Punktion heute nur ausnahmsweise und nur
dann in Anwendung, wenn die durch die Raumbeschränkung in
der Bauchhöhle hervorgerufenen Beschwerden eine sehr bedeu-
tende Höhe erreicht haben, und äussere Umstände eine sofortige
Laparotomie ausschliessen.
Dabei gilt Peritonitis, meist dm’ch Stieltorsion bedingt, nicht
als Contraindikation, sondern im Gegenteile als höchst dringende
' Indikation, da zahlreiche, wie auch unsere, Erfahrungen lehren,
I dass mit der Entfernung des Tumors als der Ursache meist auch
[ die peritonitischen Erscheinungen rasch schwinden.
Ebensowenig gilt drohende Unterbrechung der Schwanger-
I Schaft als Hindernis der schleunigen Ausführung der Laparotomie,
seitdem es A, Martin^) gelungen, durch beiderseitige Ovariosal-
pingotomie bei Cystovarium duplex den schon in Gang befind-
lichen Abortus aufzuhalten, worauf die Gravidität ohne weitere
Störung ihr Ende erreichte.
Während für die erste Plälfte der Gravidität alle Autoren die
. Laparotomie bei Anwesenheit von Tumoren der Ovarien und Tuben
I als dringend indiciert bezeichnen, besteht eine Differenz in den
Anschauungen insofern, als bei vorgeschrittener Gravidität und
I vollkommener Euphorie, sowie Hochstand des Tumors manche
derselben den Eingriff bis in die spätere Zeit des Puerperium
verschieben, oder doch im 6. und 7. Lunarmonat einen Aufschub
der Operation bis zur Zeit der Lebensfähigkeit der Frucht ver-
langen.
Doch spricht der Umstand, dass sich an den Eingriff Unter-
brechung der Schwangerschaft nur selten anschliesst, sowie die
' stets lauernde Gefahr der Stieltorsion und Berstung der C}"ste
gegen jeglichen Aufschub.
Olshausen^) berichtete 1886 über 82 Fälle von Ovariotomie
in gravida (ausgeführt von 44 Operateuren) mit 74 Fällen von
Genesung und Unterbrechung der Schwangerschaft in etwa 20°;b
der Fälle.
In der mir zugänglichen Litteratur fand ich 50 weitere Ova-
riotomien an Graviden ausgeführt wegen Tumoren der Eierstöcke,
b Gördes, > Schwangerschaft und Neubildung«. Zeitschrift für Gel)urtshilfe
und Gynäkologie. Bd. XX, p. KM),
b loco cit.
238
Otto von Weiss.
und zwar beschreiben Schulz^) 1, Stieglitz 2, 01s hausen^)
zählt 16, Staude ‘‘) 2, Ashton^) 1, Martin*^) 3, Bantok’) 1,
Wachenheimer 1, Munde 2, Barsony^®) 1, Heil-
brunn 1, Engström^^) 7, Riedinger 2, Terrilon und
Valat^^) 3 , Polter l,Runge^®) 1, Ohage 1, Szutugin
3, Rosinsky 1^) 1 Fall, welchen sich die zwei hier mitzuteilenden
Fälle Hofrat Prof. Gustav Brauns anschliessen — somit im
ganzen 52 Fälle mit 2 Todesfällen (Wach en heim er und Szu-
»Ein Fall von gleiclizeitigem Wachsen eines graviden Uterus und einer
Parovarialcyste im kleinen Becken mit Einklemmungserscheinungen«. Inaugural-
Dissert. Marburg 1889. ref. Frommei Jahr., 1889.
»lieber Ovariotomie in der Schwangerschaft«. Inaug. Diss. Erlangen 1889.
ref. Frommei Jahr. 1890.
3) 1. cit.
‘‘) Gehurtshilfl. Gesellschaft in Hamburg, ref. Centralblatt für Gynäkologie
1888 Nr. 15.
»Ueher drei Fälle von Gravidität, kompliziert durch Ovarialkystome«.
Münchener med. Wochenschrift, XXXV, Nr. 21, 1888.
Gördes 1. cit.
’) »Uermoidcy stell bei Gravidität«. Brit. Gynäk. Journal, XXI, Mai 1890.
ref. Frommei Jahr. 1890.
®) »Ueher Ovariotomie in der Schwangerschaft«. Inaug. Diss., Strassburg
1890. ref. Frommei Jahr. 1890.
•’) Drei Fälle von Schwangerschaft, komiilizirt mit Ovarientumoren«. New-
York, med. Journal 1887. ref. Frommei Jahr. 1887.
»Ovariotomie während der Schwangerschaft«. Centralblatt für Gynäk.
1887, Nr. 9.
“) »Cystoma ovarii sin., Peritonitis, Gravid. HI. m. 1., Laparotomie-Heilung«.
Münchener med. Wochenschrift, 1887.
»Ueher Ovariotomie während der Schwangerschaft«. Finska Läkar.
Handl. XXXI, ref. Frommei Jahr. 1889.
»Ueher einige seltene Vorkommnisse in der Mähr. Landesgebäranstalt
Brünn während der Jahre 1887 bis inkl. 1891«. Prager med. Wochenschrift, 1891,
Nr. 15—17.
'b »Verhaltungsmassregeln in Fällen von Komplikation der Schwangerschaft
mit Ovarialcyste«. Ai’chive d. Tocol. Paris 1888, Nr. 4., ref. Frommei Jahr. 1890.
»Double ovariotomy during pregnancy suhsequ. delivery a term«. Trans.
Amerik. Ass. Obst, and Gynäc. Philad. 1888, I. ref. Centralblatt für Gynäkol.
1889, p. 604.
»Gravida mit congenital verlagerter Niere und Ovarialtumor, Ovariotomie
5. m. 1., k. Einleitung der Geburt im 10. IMonat, glücklicher Ausgang für Mutter
und Kind«. Archiv für Gynäk. 1. Bd. 14.
Ovariotomie während der Schwangerschaft«. Northwestern Lancet, 1890
Sept., ref. Centralhlatt für Gynäk., 1890.
»55 in Moskau ausgeführte Laparotomien«. Wratsch 1891, ref. Central-
blatt für Gynäk., 1892, Nr. 12.
»Zur Casuistik der Spontanperforation von Ovarialcysten in die Peri-
tonealhöhle«. Dissert. Breslau 1891, ref. Centralblatt für Gynäk., 1891, Nr. 39.
Komplikation v. Schwangerschaft, Geburt u. Wochenbett m.Ovarialtumoren.
239
tugin), oder im Vereine mit den 82 Fällen Olshausens, 134
Fälle mit 10 Todesfällen d. i. mit 7,4®/o Mortalität.
Diese Zusammenstellung darf ja sicher keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erheben, sicher sind manche Fälle nicht publiziert
oder in Berichten zerstreut, sicher wurden auch manche miss-
lungene Fälle nicht veröffentlicht, doch zeigt das starke Sinken
der Mortalität von 9,6 % der Olshausen’schen Zusammenstellung zu
3,8o/o dieser Nachtragsliste die mit der Verallgemeinerung der
Laparotomie verbundene Verminderung der Misserfolge, und lässt
dies für die Zukunft noch eine weitere Verbesserung erhoffen.
Die zwei von Hof rat Gustav Braun, dem ich für die gütige
Ueberlassung der Fälle zur litterarischen Verwertung hier ver-
bindlichst danke, an der Graviden ausgeführten Ovariotomien sind
folgende :
1) Ch. P., ^4 Jahre alt, früher stets gesund, seit dem 14. Lebensjahr stets
regelmässig menstruiert , letzte Periode 7. Januar 92. Seit dieser Zeit etwa
bemerkt Pat. eine kugelige Geschwulst in der linken UnteiLauchgegend , die
allmählich an Grösse zunahm. Zu den Zeiten, die den IMenstruationen im Februar,
IMärz und April entsprochen hätten, war das Wachstum der Geschwulst ein
rascheres, und traten jedesmal sehr heftige kolikartige Schmerzen auf. Besonders
heftig waren diese Schmerzen am 16. April, und es wurde angeblich beobachtet,
dass für diesen Tag der kindskopfgrosse Tumor in der rechten Unterbauchgegend
liege, am nächsten Tage hatte er jedoch wieder seine Position in der linken
Seite eingenommen.
St. präsens;
Anämisches Individuum, gracil gebaut, allgemeine Decke blass, Pannicnlus
mässig entwickelt, Brustorgane normal, Collostrum in mammis, Drüsengewebe gut
entwickelt , geringer Meteorismus , Uteruskontour einige Querlinger ober der
Symphyse undeutlich tastbar, darüber nach links und oben tympanitischer Schall
in handil)reiter Zone, darüber bis zum Rippenbogen kindskopfgrosse, etwas pro-
minente, bewegliche Geschwulst, ziemlich druckempfindlich, deutlich fiuctuierend,
darüber leerer Schall.
Bei der inneren Untersuchung alle oljjektiven Symptome einer intrauterinen
ersten Gravidität vom 5. L.M. nachweisbar , Kindesbewegungen werden nicht
gefühlt, fötale Herztöne nicht nachweisbar, Harn eiweissfrei, Temp. normal.
Puls 80—90.
24. April 92. Laparotomie.
Peritoneum stark gerötet, Gefässe deutlich injiciert, leichter Hydrops.
Ascites.
Uterus dem 5. m. 1. entsprechend gravid, Fundus den oberen Symphysen-
rand drei Querfinger breit überragend, etwas nach rechts verdrängt, darüber
Ileumschlingen , darüber nach links oben kindskopfgrosse eiförmige cystische
Geschwulst, dem linken Ovarium entsprechend, an dem ziemlich lange aus-
gezogenen von links über die Rückseite nach rechts anderthalbmal torquierten,
aus dem Ligam. latum sin. und der Tuba sin. gebildeten Stiel hängend. Keinerlei
Adhäsionen. Im rechten, scheinbar normalen Ovarium Corpus luteum verum.
Partienweise Seidenligatur des Stieles, Abtragung mit dem Thermocauter,
240
Otto von Weiss.
Uebernähung des Tube)idurchschnittes mit »Serosa, Massenligatur um den Stumpf,
Versenkung desselben, dreireihige Bauclmabt.
Die Gesch-wulst ') erweist sich am Durchschnitte als mehrkämmeriges kinds-
kopfgrosses Ovarialkystom mit ganseigrossem Hämatom im oberen Pole.
Verlauf afebril, 15. Mai wurde Patientin mit per priniam geheilter, voll-
kommen benarbter Wunde entlassen, nachdem keinerlei Wehenthätigkeit beob-
achtet worden war.
Pat. kehrte bald darauf in ihre Heimat nach Schlesien zurück. Fast un-
mittelbar nach dieser Reise traten, 1. Juni, Wehen auf und erfolgte ohne grössere
Beschwerden spontan die Geburt einer männlichen lebenden Frucht von 28 cm
J dinge , Placentarperiode normal , Wochenbett normal , Laparotomienarbe fest,
unnachgiebig.
Patientin befindet sich brieflichen Nachrichten entsprechend derzeit voll-
kommen wohl.
Die so spät nach dem operativen Eingriff, unmittelbar nach
der langen Eisenbahnreise erfolgte Unterbrechung der Schwanger-
schaft dürfte zum Teil wenigstens in dieser letztem ihre Ursache
haben, da während des Aufenthaltes der Patientin an der Klinik
und bei ihrer Entlassung keine Spur von Wehenthätigkeit nach-
zuweisen war und später die Frucht zwar nicht lebensfähig aber
gut entwickelt und lebend ausgestossen wurde.
2) E. L., SOjähr. Förstersfrau 1. p., früher stets gesund, 1. Menses Ende
November 1891.
Im Beginne der Gravidität vollkommenes Wohlbefinden, erst seit IMonats-
frist zunehmende continuierliche Bauchschmerzen, verbunden mit stets steigender
Druckempfindlichkeit, die Beschwerden steigerten sich in den letzten zwei AVochen
ausserordentlich, so dass Pat. die Klinik aufsuchte und dann in einer Heilanstalt
Aufnahme fand.
Status p r ä s e n s :
Kräftige, gut genährte Person mit gesunden Brustorganen, Abdomen stark
meteoristisch aufgetrieben, enorm und zwar besonders rechts in der Nabelhöhe druck-
empfindlich, Stand des gut tastbaren Uterus die Nabelhöhe einige Querfinger
überragend, darin die Frucht in Schädellage nachweisbar, fötale Herztöne im
Hypogastrium hörbar.
Der Stelle der grössten Druckempfindlichkeit entsprechend ist durch die
Bauchdecken, dieselben etwas vorwölbend, eine über faustgrosse, sehr deutlich
fluctuierende , etwas verschiebbare Geschwulst zu tasten. Bei Druck auf dieselbe
und A^erschiebung derselben excessive Schmerzen.
Innerer Untersuchungsbefund einer ersten Gravidität bei Schädellage ent-
sprechend.
Diagnose: Graviditas mensis 1. A"H., Cystischer Tumor (des
rehten Ovariums?), Peritonitis vermutlich in Folge von Stieltorsion.
10. Juni 1892 Laparotomie:
Schon bei Durchtrennung der Bauchdecken reichliche Blutung selbst aus
den kleinsten Gefässen. Serosa hochgradig injiciert, im ganzen Umfange leicht
b Das Präparat Avurde in der Sitzung der geburtshilfi. gynäkologischen
Gesellschaft zu AATen am 10. Mai 1892 a'ou Hofr. Giistav Braun demonstriert.
Komplikation v. Schwangerschaft, Gehurt u. Wochenbett m. Ovarialtumoren.
241
verkleht mit dem Netze und den Intestinis, l)ei manueller Trennung dieser Ver-
klehungen, Abfliessen von sanguinolenter Ascitesflüssigkeit; es j)räsentiert sieb
der hochrote gravide Uterus, bedeckt von Netz und Darmschlingen, die Intestinal-
serosa mattglänzend, aufgetilzt, tiefrot, teilweise von flhrinösen Auflagerungen
bedeckt. Es gelingt nur mit Mübe unter dem rechten .Schnittrande den über apfel-
grossem, plattgedrückten, dickwandigen Tumor von blassroter Farbe mit stelle]i-
weise tiefblauer bis scliwarzer Verfärbung \on seiner fläcbenhaften \'erlötung
7iiit der vordei’en Bauchwand zu lösen, nach doppelter l'nterbindung und Ah-
tragung einiger Netzadhäsionen ihn endlich frei zu machen und den kurzen um
mehr als 360® von rechts nach links scharf ton]uierten aus dem Idgamentum
latum d. scheinbar auch aus der Tuhe l)estehenden .Stiel aufzurollen , ])artien-
w(‘ise zu unterbinden und mit dem Thermocauter zu durchtrennen.
Wegen allseitiger Verlötung der Serosaflächen wird von jeder weiteren
Durchforschung der Bauchhöhle abgestanden, nach vorsichtiger Toilette der .Stiel
versenkt und die Bauchdeckenwände durch drei Reihen von Seidenkmj{)fnähten
geschlossen.
Ueber dem Jodoformgazeverband wird ein Küblapparat appliziert,
e r 1 a u f vollkommen glatt, .Schmerzen und Druckempflndlichkeit schwinden
rasch und vollkommen, Heilung der Bauchwunde ]>er primam intentionem,
Wehenthätigkeit tritt nicht ein, 1. Juli 1892 wird Pat. gc'sund in gravidem Zu-
stande mit Bauchbinde entlassen. Der entfernte Tumor') i.st eine Dermoidcyste
des rechten Ovarium, reichlich Büschel verfilzter langer Plaare und fettigen Brei
als Inhalt aufweisend. Die mikroskopischen Präparate zeigön eine dicke dermoide
Wandschichte mit Hautdrüsen, glatten Muskelfasern und Ovarialstroma. Weder
bei nach Gram noch nach iJitfler gefärbten Präparaten gelingt es , ^likro-
organismen in denselben nachzuweisen.
Es erscheint hier besonders bemerkenswert, dass die deutliclie
und oberflächliche Fluktuation bei der äusseren Untersuchung
nicht einen dermoiden dickwandigen Tumor, sondern eher eine
dünnwandige Cyste erwarten liess, ferner dass die plastische, nicht
infektiöse, Peritonitis so rasch zurückging, nach Entfernung des
infolge der Stieltorsion nekrosierenden Tumors.
Der dritte hierhergehörige Fall repräsentiert, obschon aus-
gesprochene Wehenthätigkeit nicht nachzuweisen war, doch voll-
ständig den Typus der Geburtsstörung durch im Cavum Douglasii
incarcerierte Cysten, er ist folgender :
M. P., 21 Jahre, 1. p. his dahin stets gesund, 11. 4. 92 als im 10. L.M.
schwanger auf der Klinik aufgenommen, zeigt bei der äusseren Untersuchung den
Befund einer normalen .Schädellage 1. .Stellung, fundus uteri steht knajtp unter
dem Schwertfortsatz, Frucht lehend auf 28fX) gr. geschätzt, Schädel im Eingang,
stehend.
Bei der inneren Untersuchung zeigt sich das hintere Scheidengew<>lbe
durch eine prall gespannte, undeutlich fluktuierende etwa gänseeigrosse Geschwulst
tief herabgedrängt, darüber stellt fest im Eingang, <ler kindliche Schädel, die
Vaginalportion ist ziemlich hoch und stark nach vorne verschohen , für den
') Demonstriert in der Sitzung der geburtshilflich-gynäkologischen Gesell-
schaft zu Wien am 14. Juni 1892.
k;
242
Dr. Otto von Weiss.
Finger bequem (lurcligängig , der durch den kurzen nacli oben weiter werdenden
Cervicalkanal auf die Eihäute und den knapp dahinter stehenden Schädel stösst.
18. 4. Nach ausgiebiger durcli hochgehende Dannirrigation erzielter Darm-
entleerung Repositionsversuch in Seitenlage, dann Knieellhogenlage , zuerst von
der Scheide, dann vom Mastdarm aus, ohne Erfolg, hei der Untersuchung vom
Rectum aus imponiert der Tumor als etwa kindskopfgross, seine oberen Grenzen
sind nicht genau ahzugrenzen , Fluctuation ist , offenbar infolge der grossen
Spannung, kaum nachzuweisen.
Diagnose: Graviditas 10. m. 1. , Partus unmittelbar bevorstehend,
cystischer oder solider Tumor, wahrscheinlich einem Ovarium an-
gehörig, im D ouglas’schen Raum eingeklemmt.
19. 4. In Narkose wiederholter erfolgloser Re2msitionsversuch , von dem
endlich abgestanden wird , da eine Forcierung des Versuches den Tumor an
dem feststehenden Schädel vorheizuschiehen eventuell zur Berstung desselben
geführt hätte.
Da Pat. auf den Vorschlag des Kaiserschnittes eingeht, wird mit Beiseite-
setzung eines Punktions- oder Incisionsvei’suches zur Laparotomie geschritten.
Da auch nach Ilervorwälzimg des Uterus aus der Bauchwunde der Tmuor
nicht zugänglich ist, wird der konservative Kaiserschnitt in typischer Weise aus-
geführt, ein frischer lebender Knabe von 2750 gr. Gewicht und 48 cm Länge
entwickelt und nach vollkommenem Verschluss der Uteruswunde der Uterus in
warme Komjjressen eingehüllt nach vorne über die »Symjdayse geschlagen, und
nun lässt sich unschwer aus demCavum Douglasii ein etwa kindskoiifgrosses ziemlich
dünnwandiges Kystom dem linken Ovarium entsprechend entwickeln. Partien-
weise Ligatur des Stieles (Ligam. latum u. Tube), Abtragung mit dem Thermo-
cauter , Versenkung des Stieles , Coiqnis luteum verum im rechten normal aus-
sehenden Ovarium. Schluss der Bauchwunde.
Verlauf: 2. Tag 2^. o. abends dS**, weiterhin vollkommen afehril, Heilung
der Bauchwunde per 23rimam. Pat. wird 11. Mai 92 geheilt entlassen.
Die Gefahren des Geburtsaktes hei Ovarialtumoren sind eben
bei grossen über dem Uterus liegenden Geschwülsten geringer und
beschränken sich hier auf die Steigerung der Beschwerden durch
den Hochstand des Zwerchfelles und auf die allerdings sehr ernste
Gefahr der Berstung des Tumors.
Die Behandlung besteht in möglichst rascher Erledigung der
Geburt, durch Extraktion der Frucht nach Verstreichen des Mutter-
mundes , eventuell könnte eine Punktion des Tumors von den
Bauchdecken aus die hochgradigsten Beschwerden beseitigen, und
wird der Tumor im Puerperium durch Laparotomie entfernt. Er-
scheinungen, die auf eine Berstung der Cyste schhessen liessen,
würden allerdings sofortige Laparotomie erfordern.
Viel grösser sind aber die Gefahren, die kleinere im Cavum
Douglasii adhärente oder eingeklemmte Tumoren verursachen, sie
geben oft genug ein unüberwindliches Geburtshindernis ab. Die
Therapie besteht in Repositionsversuchen in Narkose, ausgeführt
besonders in Knieellbogenlage von der Scheide namentlich abt'r
vom Mastdarme aus. Der Verlauf bei Gelingen der Reposition ist
Komplikation v. Schwangerschaft, Geburt u. Wochenbett m. Ovarialtumoren.
243
meist sehr glatt. Wenn aber die Ref)osition misslingt, so bleibt,
da der Versuch, mit der Zange oder durch forcierte Extraktion
nach Wendung das Hindernis zu überwinden, mit Recht verpönt
ist, nur die Punktion resp. Incision der Geschwulst bei flüssigem
Inhalte, der Kaiserschnitt bei solider Konsistenz des Tumors übrig.
Die Entscheidung in der ersten Richtung wird dadurch sehr er-
schwert, dass die grosse Spannung der Geschwulst oft die richtige
Beurteilung der Konsistenz derselben unmöglich macht. Sehr oft
schon wurde die Punktion erfolglos ausgeführt; versagt sie, so
bleibt immer noch die breite Incision der Geschwulst und eventuelle
digitale Ausräumung. Durch den Vorschlag von Fritsch') wird
dieses Verfahren in sehr rationeller Weise zur Methode erhoben,
indem er unter Freilegung des hintern Scheidengewölbes mit
Spekulis in der Medianlinie präparatorisch einschneidet, nach Er-
öffnung der Cyste sofort Umsäumungsnähte anlegt, stets unter
kontinuierlicher Bespülung so ein Loch in die Cystenwand schneidet
und mit dem Finger den Inhalt ausräumt. Die Naht hat das
Vordringen von Cysteninhalt in die Bauchhöhle zu verhindern
und stillt die Blutung; es folgt operative Erledigung der Gel)urt,
dann neuerliche Untersuchung und Jodoformgazetampoiiade des
Cystenraumes, handelt es sich um ein proliferierendes Cystom, so
folgt nach etwa drei Wochen, nach Umschneidung der Fistel von
der Scheide aus dessen Entfernung durch Laparotomie.
Dieses V erfahren , das auch von L o m e r -) , 0 1 s h a u s e n ^) ,
Fehling'* *) warm empfohlen wird, dürfte in der poliklinischen
Behandlung meist gewählt werden, doch haften ihm noch manche
Mängel an:
Eine Verunreinigung des Bauchfelles mit Cysteninhalt wird
auch bei geschickter Operationsführung nicht immer zu vermeiden
sein, zum Teil schon deshalb, weil der unter dem Wehendruck
nachrückende Schädel der Vollendung der Naht zuvorkommen
kann. Weiter dürfte eine Mortifikation des Geschwulstgewebes
nach digitaler Ausräumung des Inhaltes, eine eventuelle Vereiterung
oder Verjauchung desselben unter Einfluss der Verunreinigung mit
Lochialsekret nicht immer hintanzuhalten sein. Endlich hat das
[
') »Klinik der geburtshilflichen Operationen«. Halle 188b. Pag. 219.
‘0 »lieber die Komplikation der Geburt durch Ovarialtumoren«. Archiv für
Gynäkol. Bd. XIX, Heft HI, 1882, und »Geburtsbehinderung durch im kleinen
Becken eingekeilte Ovarientumoren«. Deutsche med. Wochenschrift, 1890, Xr. 2-1.
'■') loc. cit.
*) »Ueber die Komplikation von Schwangerschaft und Geburt mit Tumoren
der Beckenorgane«. Deutsche med. Wochenschrift, 1888, Xr. 49.
244
I)r. Otto von Weiss.
Verfahren durchaus nicht in allen Fällen genügt, das Geburts-
hindernis zu beseitigen, schon Litzmann^) berichtete, dass viermal
unter neun Fällen von Punktion oder Incision des Tumor noch
Embryotomie derselben folgen musste, auch Top orsky''^) führte nach
Inzision, Umsäumung und Zangenversuch die Craniotomie aus,
in einem zweiten Falle wurde die Frucht mit der Zange extrahiert,
und trat im Verlaufe des fieberhaften Puerperium embolische
Hemiplegie auf.
In einer wohlausgerüsteten Anstalt oder Klinik verdient,
glaube ich, bei Misslingen des Repositionsversuches der Kaiser-
schnitt den Vorzug vor der Punktion und Inzision der Ge-
schwulst, der doch später meist die Laparotomie folgen muss. Die
zunehmend günstigen Resultate des Kaiserschnittes, die damit stets
steigende Zahl neuerlicher Gravidität nach Sectio caesarea, die
ja hier bei Fehlen des Geburtshindernisses auch ihre Schrecken
verliert, berechtigen sicher dazu.
Natürlich sind die Chancen des konservativen Kaiserschnittes
nur günstig bei Anwendung desselben im Beginne der Geburt,
bevor es durch heftigen Druck zu stärkerer Quetschung der Weich-
teile gekommen, bevor andere Entbindungsversuche, den Rej30-
sitionsversuch ausgeschlossen, ausgeführt wurden.
Allerdings wurde der Kaiserschnitt noch selten wegen die
Geburt komplizierender Ovarialtumoren ausgeführt. Ausser den
schon von Olshausen^) citierten Fällen von Hillas, Lambert,
Byford und Wells, bei welchen der gravide Uterus irrtümlich
für eine zweite Ovarialcyste gehalten und punktiert wurde (es
wurde dann die Oeffnung durch Schnitt erweitert), der Uterus
entleert, die Mütter genasen, und dem Falle von Lahs^), der lethal
endete, berichtet Fleisch mann^) über einen gleichfalls lethal ver-
laufenen Fall Breisky’s (es handelte sich um eine rechtsseitige
vereiterte und von einem Abscess teilweise umgebene adhärente
einkämmerige Ovarialcyste), und beschreibt Staude®) einen eigenen
Fall (irreponibler undeutlich fluktuierender Tumor, Schädellage,
»Klinische Mitteilungen, II. Kierstocksgeschwülste als Ursachen von
(Tebnrtsstörungen«. Deutsche Klinik, 1852, p. 473.
-) »Beiträge zur Casnistik der Beckengeschwülste«. Dissert. Breslau 1884.
ref. Centralblatt für Gynäkol. 1885, Nr. 27.
loc. cit.
•') »Linksseitiger Ovarialtumor, kompliziert mit Gravidität im Anfänge des
7. Monats, aclittägige Geburtsai’heit , Kaiserschnitt.« Deutsche med. 'Wochen-
schrift, 1878, Nr. 5.
*’) »Vier Kaiserschnitte«. Zeitschrift für Heilkunde VH., 5 n. G.
') Deutsche med. Wochensclu-ift, 1891, Nr. 41.
Komplikation v. Sclnvangerschaft, Geburt u. Wochenbett m. Ovarialtumoren. 24o
Sectio caesarea conservativa, Entfernung einer linksseitigen intra-
ligamentären Cyste und des reclitsseitigen apfelgrossen Ovariums,
wegen atonisclier Blutung endlich Abtragung des Uterus nach
Borro, glatte Heilung).
Auf die Gefahr der Berstung der Ovarialcysten intra partum
zurückkommend, sei es mir gestattet, folgenden Fall kurz zu Ite-
richten :
B. B., 19 Jahre, l. p. 4. 12. 91, gebärend auf die Klinik überbracht. An-
geblich letzte ]\Ienses 15. März, Webentliätigkeit .seit 3. 12., 10 Uhr abends.
Aeusserer Befund Beekenendlage 1. St., innerer Untersuchungsbefund Oriticium
nahe dem Verstreichen, Kiblase tief vorgebaucht, dahinter beide Küsse tastbai',
nach einigen kräftigen W'ehen wird die Kil)lase in der Vulva sichtbar, l)ei)ii
Blasensprung rücken beide Küsse vor die Schamspalte. I*at. wird rasch auf den
Operationstisch gehoben, und unter leichter Expression die ganz unschwierige
Extraktion der Krucht ausgefülirt, dal)ei Ruptura perinei superficialis, intrauterine
Irrigation mit Kal. permangan., Schluss der Dammwunde durch 3 Suturen, Knal)e
lebend 2840 gr., 48 cm.
Schon während der Extraktion ilusserte Pat. heftige Sclnnerzen in ab-
domine, unmittelbar darauf ohne nachweisbaren pathologischen Befund hoch-
gradige Druckempfindlichkeit des Abdomens l>ei leichter Cyanose, Collaps, dabei
heftiges Erbrechen, welches die Nacht hindurch anhält.
morgens : abends ;
5. 12. 3G,u*^ 37,4® 120
Puls klein und frequent. INIeteorismus.
0. 12. 37,1 ® 120 37,4® 124
7. 12. 3(5,4 80 36,4 88
8. 12. 37,3 110 36,5.
. Extremitäten kühl, Resiiiration sehr frequent. 9. 12. Exitus.
Die Obduktion, ausgefülirt von Prof. Richard Paltauf, er-
gab folgenden Befund:
Körper gut mittelgross, kräftig gebaut, gut genährt. Allgemeine Decke
leicht ikterisch , ausgebreitete Totenfiecke auf der Rückseite, Thorax breit, gut
gewölbt, Brustdrüsen gross, collostrumhaltig, Abdomen ausgedehnt und gespannt,
die Haut etwas gerunzelt.
ln der Bauchhöhle eine trübe, von Kettaugen untermengte, reichlichen
Eiter haltende Klüssigkeit, die Serosa bedeckend. Die Därme sind untereinander
verklebt, von eigellien fibrinösen, ziemlich derben Exsudatmembranen und mit
Haaren untermengten Kettmassen bedeckt, die ganze Bröckel, auch Klumpen bilden,
namentlich das grosse Netz von solchen ganz beschlagen, und finden sich unter
<ler Lebei’ am Klagen reichliche etwas starre Kettbreimassen. Die !serosa allent-
halben gerötet, die Därme mässig ausgedehnt. Der Uterus überragt drei (iuer-
tinger l>reit die 8ymphy.se, erscheint ziemlich starr, rechterseits am Beckenein-
gang findet sich ein apfelgrosser, schlaffer, <lickwandiger 8ack, der eine klein-
fingergrosse Lücke zeigt, die einen braungell)en , nekrotischen dünnen unregel-
mässig fetzigen Rand hat.
Der Sack, dem rechten Ovarium entsprechend, von weissem perlnudter-
glänzendem dickem Epithel ausgekleidet, hat an sich eine dünne Wand, die durch
die Reste des Ovariums an einem grossen Teile seiner Peripherie verdickt wird.
1
246 I)r. Otto von Weiss.
an der Lücke ist der Cystensack frei von einer Hülle. Die Fimbrien beider
Tuben intensiv gerötet und geschwellt.
Das Zwerchfell hochgestellt, Brustorgane bis auf Atelectasen der hinteren
unteren Lungenahschnitte normal. Das Herz schlaff, Leber leicht geschwellt,
hraungelh, Zeichnung etwas verwischt. Milz kaum vergrössert, schlaff, ihre
Pulpa weicher, dunkel braunrot. Beide Nieren ziemlich gross, von glatter Ober-
fläche, das Gewebe gelhrötlich, die Kinde etwas undeutlich gezeichnet, verquollen.
Der Uterus 18 cm lang, posti)uerperal, ziemlich starr, seine Serosa grössten-
teils blass, an der hinteren Fläche gerötet, aber nicht mehr als andere Abschnitte
der Serosa mit etwas fester haftenden Fihrinlamellen bedeckt. Die Schamlippen
dunkel livid, mit graulichem Sekrete bedeckt, 2 cm langer durch Knopfnähte A'er-
einigter oberflächlicher Dammriss, in dessen Tiefe etwas Eiter. Die Scheide Aveit,
dunkelgraurot, glatt, Oriflcium etAva 2 cm Aveit, die Vaginal-Portion kurz, schlaft',
dunkelrot, in der Uterushöhle dunkelschwarzrote Blutgerinnsel, die im Fundus
fest anhaften. Die Uterushöhle IG cm lang, AVOAmn 5,8 cm auf den Aveiten auf-
gelockerten, blutig suffimdierten Cervikalkanal entfallen. Das ziemlich deutlich
ausgesprochene untere Uterinsegment A'on gelhlicher, dünner Decidua bedeckt
misst circa 1,7 cm. Unter den Coagulis im Fundus und zAvischen denselben eine
leicht grünliche Verfärbung. Die UterussAihstanz ziemlich derb, Aveiss und blass-
rötlich. Die Venen leer, am Ansatz des rechten Ligam. latum leichtes Oedem.
Peritonitis purulenta diffusa ex ruptura cystidis dermoides
dextrae, Uterus post partum (a. dies IV).
Die mikroskopische Untersuchung des Präparates ergab, dass
es sich um eine echte Dermoidcyste mit sämtlichen Gebilden der
Haut : geschichtetem Pflasterepithel, Talgdrüsen und Haaren handle.
Die Untersuchung der Rupturstelle zeigte das Gewebe an der
Rissstelle durchsetzt von Fibrinnetzen und Eiterzellen, ebenso die
ganze freie Oberfläche der Geschwulst bedeckt mit fibrinös-eiterigem
Exsudate. In den nach Löffler Avie nach Gram gefärbten Schnitten
fanden sich an der Rissstelle im Gewebe, sonst nur in dem fibrinös-
eitrigen, oberflächlichen Exsudate, Massen von Streptococcen.
Es handelte sich somit um eine Streptococcenperitonitis, deren
Aetiologie nicht ganz klar ist, da doch der Verlauf und der Zu-
stand der Sexualorgane die Annahme einer puerj)eralen Infektion
auszuschliessen scheinen. Der Umstand, dass die excessiven Schmerzen
während der ganz leichten Expression eintraten, und von diesem
Augenblicke an die peritonitischen Symptome eintraten, die hohe
Lage der Cyste am Beckeneingange, die hauptsächliche Verfilzung
des Netzes und der Leberpforte mit Haaren und Fettbrei lassen
annehmen, dass die Cyste versteckt und unbemerkt ziemlich hoch
im Bauchraum sich befand, und die Berstung während der leichten
Expression eintrat, wobei man eine besondere Fragilität des sonst
doch derb- und dickwandigen Cystensackes und zwar an der ne-
krotischen Rissstelle annehmen müsste.
Dabei müsste man wieder eine hämatogene Infektion der
i
Komplikation v. Schwangerschaft, Geburt u. AVochenbett m. Ovarialtumoren . 247
offenbar durcli Druck in der Ernährung tief herabgesetzten und
nekrotisierten Wandstelle und ein Verschleppen der Keime über
das ganze Peritoneum gleich einer xVussaat im Augenblicke der
Ruptur der Cyste annehmen.
Dies ist zwar sehr wahrscheinlich, doch wegen der nur sehr
circumscripten auf die freien Rissränder beschränkten Nekrose nicht
sicher zu beweisen, da diese ja auch sekundär sein könnte, und
eine Einwanderung der Streptococcen auf das schon entzündete
Peritoneum von Seite der Uterus- und Tubenschleimhaut nicht ganz
auszuschliessen ist.
Uebrigens gehört das Platzen von Dermoidcysten bei Graviden
resp. Gebärenden und Nichtgraviden zu den gefürchtetsten Er-
eignissen, so dass Olshausen^), die Berstung von Dermoiden bei
Graviden betreffend, sagt: »Ganz regelmässig erfolgt der Tod, falls
es eine Dernioidcyste war, welche in das Abdomen hinein barst.«
Auch xVronsohn") schreibt den Dermoidcj'sten in dieser Rich-
tung die schlechteste Prognose zu.
Während ein Platzen einkämmeriger Cysten mit serösem
Inhalte ja selbst vonColloidcystonien nur geringe peritoneale Reizung
verursacht, und es bald zur Resorption der Flüssigkeit kommt,
wenn dieselbe nicht Infektionskeime enthält — so konnte Schauta^)
bei einer Person die Ruptur einer Ovarialcyste in zwei aufeinander-
folgenden Geburten mit spontaner xVusstossung der Erucht und
normalem Puerperium beobachten — , scheint das Platzen von
Dermoiden im puerperalen und nicht puerperalen Zustande ver-
hängnisvoll zu sein. Die schwer eliminierbaren Haare und Fett-
breimoleküle üben einen heftigen Reiz auf die Serosa aus. Wird
diese akute Peritonitis im nicht puerperalen Zustande überstanden,
so kommt es noch häufig genug zur Ansiedlung der an der Serosa
haftenden Partikel in Form von multiplen Metastasen; in puer-
peralem Zustande dagegen scheint die Peritonitis stets zum töd-
lichen Ausgang zu führen, indem auf dem Wege der Blutbahn
oder von der Genitalschleimhaut aus unter den offenbar günstigsten
Bedingungen Infektionskeime ein wandern und der Entzündung des
Bauclifells den deletären infektiösen Charakter verleihen.
Ist aber auch die Geburt bei geschützt hoch in der Bauch-
höhle gelegenen Tumoren der Ovarien ohne Unfall verlaufen, so
droht jetzt im Wochenbett irifolge der rasch eintretenden Lage-
b Ilandbnch für Friinenkrankheitcn. Btl. II, p. 807.
b »Zur Ruptur, Vereiterung und Axeudreliung von Ovarialeyaten.« Inaug..
Diaaert. Zürieli 1888.
b Wiener ined. Blätter, 1882, Nr. 20.
248
Dr. Otto von Wciss.
Veränderung der Eingeweide die Gefalir der Stieltorsion und der
dadurch bewirkten Ernährungsstörungen der Geschwulst, sowie
der durch sie gesetzten Peritonitis.
Es ist daher bei post partum erst entdeckten Tumoren, oder falls
aus irgend welchen Ursachen die Ovariotomie in der Schwanger-
schaft nicht ausgeführt wurde, im Puerperium stets die Indikation
zur Laparotomie gegeben und zwar huldigt man dem Grund-
sätze, damit nicht lange zu zögern, da die Erfahrung beweist, wie
ausserordentlich häufig die Stieltorsionen im Wochenbette Vor-
kommen, weil sie ferner häufig ohne sehr stürmische Symptome
zu einer adhäsiven Peritonitis führen, wobei mit jedem längeren
Zuwarten die Lösung dieser Adhäsionen auf grössere Schwierig-
keiten stösst. So in folgendem Falle:
K. S., J., 1 p. -wird gel)ävend auf die Klinik überLraclit, 12. Dez. 18!)0.
Status präsens: Selnväehlieh gel)aute magere Person, beiderseits ül>er
den Lungenspitzen vermind. Scduill und l>r6ncbiales Atmen, über den unteren
Lungenpartien vesiculäres Atmen, Perc. voll, nicdit tympanitiscb, Herztöne rein.
Abdomen gross, besonders in querer Kicbtung stark ausgedelmt. Bei der Pal-
pation zeigt die stärker ausgedebnte recdite Baucbbälfte eine elastische Konsistenz,
dem ensprechend leerer Schall und deutliche Fluktuation nach rechts bis zur
Axillarlinie, nach oben bis ins Epigastrium reichend, nach links die Medianlini('
drei Quertinger breit überschreitend.
Nach links davon, durch eine deutliche Furche ahgegrenzt, der in kurzen
Pausen prall werdende Uterus, mit dem Grund bis an den Kij)penbogen reichend,
stark nach links verdrängt. Ueber beiden Lendengegenden und dem Kpigastihmi
tympanitiscber Schall. Im Uterus eine in Schädellage 1. Stellung, Schädel im
Beckeneingang stehend, befindliche kleine Frucht nachweisbar, kindliche. Herz-
töne undeutlich.
Innerer L^ntersuchungsbefund : Schädel im Eingang stehend, den Fornix
herabwölbend, Portio IV2 cm lang, Orificium für zwei Finger passierbar, Blase
etwas gespannt.
Letzte Periode angeblich 2. April, Wehen seit fi. Dezend)er, Scbmerzens-
äusserungen nur während der "W'ebe, in der Wehenpause Uterus und Tumor
stark druckempfindlich.
Angeblich bestand schon seit September ein dumpfer Schmerz in der
rechten Bauchseite. Temj). und Puls normal.
Pi-otrahierter Verlauf der Erötfnungsi^eriode, 13. Dezember, abends V2 7 Ulir.
Blasensprung bei verstrich. Orificium, 8 Uhr abends leichte spontane Gehurt eines
2300 gr. schweren, 48 cm langen, lebenden Knaben (stirbt nach drei Tagen),
Placentarperiode normal, Blutverlust intra partum und post partum geling.
Ihierperium afebril, doch klagt Pat. sehr über Schmerzen in der rechten
Bauchseite und ist das ganze Abdomen, liesonders aber die Gegend des dem
puerperalen Uterus rechts aufliegenden Tumors, der jetzt in Nierenform, die
Convexität nach rechts, der Hilus nach links gelagert, über mannskopfgross ziem-
lich gut palpabel ist.
31. 12. Laparotomie.
Netz nicht sichtbar, Cyste mannskopfgross, nierenförmig, den Hilus gegen
Komplikation v. Sdnvangerschaft, Geburt u. Wochenbett m. Ovarialtumoren.
links gerichtet, im Hilus liegen Ileumschlingen. Die ganze Vorderfläche der Cyste
durch frische, stark vascularisierte, bei der unschweren manuellen Lösung sehr stark
blutende, A<lhäsionen an die vordere Bauchwand angeheftet. Wegen der reich-
lichen parenchymatösen Blutung wird von dem Versuch der Auslösung des
Tumors vorderhand abgestanden und derselbe ])unktiert, es entleert sich durch
den Trocar nichts und erst bei der Entfernung desselben fliesst der dicke, zäh-
gelatinöse, schmutzig-gelbgrauo Inhalt aus. Verschluss der Punktionsöffnung und
unter vehementer, parenchymatöser Blutung rasche manuelle Auslösung der all-
seitig adhärenten Geschwulst, wobei ziemlich viel Cysteninhalt in die Bauch-
höhle abfliesst, Blosslegung des daumendicken, frisch tor(piierten Stieles. Partien-
Aveise Idgatur desselben, ^lassenligatur, Abtragung mit dem Thermocauter. Exakte
Toilette des Peritoneum. Uterus gut involviert. Der Tumor gehörte dem rechten
Ovarium au, der Stiel bestand aus Big. latum und Tube. Einlegen eines Jod<e
formdochtes in das Cavum Douglasii, Herausleiten desselben durch den unteren
Wundwinkel, Bauchdeckennaht in drei Etagen, Jodoformgazeverl)and, Eisbeutel.
Verlauf afebril, Pat. mit per Primam geheilter Bauclnvunde entlassen*)
Die Geschwulst ist ein mannskopfgrosses, mehrkämmeriges Kystom des
rechten Ovarium.
Nach der Entlassung Wohlbefinden, ^lenses regelmässig aber ziemlich
profus, cessieren mit lö. Juli 1!). Härz 1892 wird Patientin gebärend aut
die Klinik überbracht. Weheneiutritt 19. iNIärz, 9 Uhr vormittags, Schädellage
11. Stell., Blasenspruug 20. Älärz ’/aG Uhr abends, eine Viertelstunde darauf
leichte s])ontane Geburt eines lebenden Knaben von 3050 gr. Gewicht uml
50 cm Körperlänge, Placentarperiode normal.
Pat. befand sich angeblich Avährend der Gravidität sehr Avohl.
Nach afebrilem Puerperium wird Pat. 29. März 92 gesund entlassen.
So klein die vorliegende Reihe von Fällen ist, dürfte ihre Mil-
teihing doch nicht nur vom Standpunkte einer Casuistik, sondern
auch insoferne von Interesse sein, als sie ein ziemlich j^räzises Bild
der Gefahren der Komplikation des puerperalen Zustandes mit
Ovarialtumoren geben und auf die Laparotomie als den einzig
richtigen AVeg der Behandlung hinzuweisen scheinen. —
Die geringe Zahl der Fälle im Vergleiche zu der nahe an
Zwanzigtausend betragenden Zahl der während dieser Frist auf
der Klinik erledigten Geburten mag auch meine eingangs ge-
äusserte Ansicht, dass die von Fehling berechnete Frequenz von
1 : 891 als Durchschnittszahl viel zu hoch gegriffen sei, recht-
fertigen.
*) Pat. wurtle von Ilofr. G. Braun in der Sitzung der geburts^hiltt. gynäkol.
GeselDchaft vom 17. Februar 1891 vorgeatellt.
Ein Beitrag zur Kenntnis der branchio-
genen Geschwülste
von
Dr. Carl (xiisseiibauer, Professor der Chirurgie in Prag.
Mit Tafel III— VI.
Es giebt wenig interessantere Kapitel in der allgemeinen
Pathologie, als die abnormen Bildungen, welche wir als branchio-
gene ansehen. Schon der Umstand, dass wir zur Erklärung der-
selben auf noch unbekannte Störungen in einer frühen embryonalen
Entwickelungsperiode zurückgreifen müssen, sichert ihnen noch
für lange Zeit das Interesse der wissenschafthchen Forschung.
Wenn wir auch die Vorstellung Aschersohns ^), dass die ange-
borenen Halsfisteln nur als Residuen der embryonalen Kiemen-
spalten zu betrachten seien , als eine glückliche und zweifellos
richtige anerkennen , mit Rose r und H e u s i n g e r die Hals-
cysten als regelwidrige Bildungen der Kiemengänge, im gleichen
Sinne mit Virchow^“®) das auriculäre Dermoid und mit Schede")
die sogenannten tiefen Halsatherome erklären, so kann doch nicht
übersehen werden, dass unser positives Wissen hierüber zur Zeit
b Aschersohn, de fistiilis colli congen. Berolini. 1832.
b Kos er, Allgemeine Chirurgie 1845 und später Plandbuch der anat.
Chirurgie. 8. Aull. 1883. Siehe Kiemengang-Cysten, p. 153.
b II en sing er, Hals-Kiemen-Fisteln von noch nicht heohachteter Form.
Virchows Archiv. Bd. 29, p. 358.
■*) V i r c li o w , Ueher Misshildungen am Ohr und im Bereiche des ersten
Kiemenhogens. Virchows Archiv. Bd. 30, ]>. 221.
b Yirchow, Ein neuer Fall von Hals-Kiemenlisteln, ihidem. Bd. 32, p. 518.
b Virchow, Ein tiefes auricnläres Dermoid am Halse, ihidem Bd. 32,
pag. 208.
b Schede, Ueher die tiefen Atherome des Halses, v. Langenhecks
Archiv. Bd. 14, p. 1.
Ein Beitrag zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
251
! noch ein durchaus unzureichendes ist, um alle die mannigfaltigen
Variationen der bis jetzt bekannten Halsfisteln und Halscysten zu
erklären.
Wir kennen nicht einmal die Störungen, welche zur Bildung
der kompletten oder inkompletten äusseren oder inkompletten inneren
Halsfisteln Veranlassung geben, oder zur Bildung der Appendices
cutaneae am Halse führen, und doch liegen hier die Verhältnisse
scheinbar so einfach, dass unserer Phantasie nur eine geringe
Mühe übrig bleibt, um diese Bildungen histogenetisch zu ver-
stehen.
Etwas verwickelter schon liegen die Verhältnisse, wenn wir
die Genese der sogenannten tiefen Halscysten begreifen wollen.
Einen Teil derselben, die angeborenen, können wir wohl ohne
weiteres als Folgen einer fehlerhaften Anlage ansehen, auch die-
jenigen, welche im Verlaufe der Wachstumsperiode entstehen,
können wir zwanglos nach Analogie anderer fissuraler Cysten auf
ähnliche fehlerhafte Anlagen beziehen. Anders steht es jedoch,
wenn die Halscysten nach Ablauf der Wachstunisperiode sich bilden,
oder wenn sich in einem noch späteren Alter Carcinome entwickeln,
welche wir in Ermangelung des Nachweises eines primären Car-
cinomherdes wegen ihrer Lokalisation und nach dem Vorgänge
von R. V olkmann als branchiogene ansehen und bezeichnen.
Um auch diese Bildungen ätiologisch wie histogenetisch zu
verstehen, reicht unser in mancher Hinsicht noch rein schema-
tisches Wissen nicht aus.
In den zahlreichen Mitteilungen über die Halskiemenfisteln
und Halskiemencysten sind gewisse Variationen dieser branchio-
genen Bildungen bereits nachgewiesen und erscheint es fraglich,
ob immer Störungen einerlei Art hiefür verantwortlich gemacht
werden können.
Schon die Halskiemenfisteln, welche in der Regel mit einem
geschichteten Plattenepithel ento- oder ectodermalen Ursprungs
ausgekleidet sind, zeigen in Ausnahmsfällen interessante Ver-
schiedenheiten, wie dies die Untersuchungen von Rehn^),
Roth^*^), Ribbert“), E. Neumann und P. Baumgarten
*) Volk mann, Centralblatt für Chirurgie, 1882, p. 49.
®) R e h n , Beitrag zur Anatomie der Halakiemenüsteln. Vircbows Archiv,
B(l. 62, p. 269.
"’) ;M. Kotli, Ein PAill von HaLskiemenüstel, ibidem Bd. 72, p. 444.
^‘) Ribbert, Eine verzweigte Halakiemenfistel, ibidem Bd. 90, p. 536.
^■) L. Neumann und P. Baumgarten, Zwei Fälle von fiatula colli
congenita cystica. v. Langenbecks Archiv, Bd. 20, p. 819.
252
Carl Gussenbauer.
Cusset^®), Mobitz^^), Lannelongue J. Schnitzler **'>), W.
Sachs ^‘) und neuestens von Lejars^^) beweisen.
Die Appendices cutaneae, welche bald nur einseitig, bald
doppelseitig und symmetrisch an den typischen Ausmündungs-
stellen der Halskiemenfisteln sich vorfinden, sind entweder nur
cutane Auswüchse, welche nichts als die Gewebe der Cutis ent-
halten, oder aber in die Haut und das Unterhautgewebe einge-
lagerte Epithelzellenstränge, welche von Cutis umschlossen dadurch
ihren branchiogenen Ursprung zweifellos bekunden. Es können
sich daselbst aber auch congenitale Knorpelreste vorfinden, wie die
älteren Beobachtungen von Heusinger '^), Santesson, Duplay
und die neueren von Butt ersack^“), Zahn^^) und Grimm--) zeigen.
Von den Halskiemencysten sind ein Teil Dermoide. Sie
unterscheiden sich nicht wesentlich von den Dermoiden anderer
Regionen und besitzen einen relativ einfachen Bau, der sich histo-
genetisch mit Zugrundelegung der bekannten Schemen leicht ver-
stehen lässt.
Anders verhält es sich jedoch mit einem anderen Teile der
Halskiemencysten, welche in ihren Wandungen einen komplizierten
Bau aufweisen. Diese haben bis jetzt in Bezug auf ihre Histo-
genese eine befriedigende Aufklärung nicht gefunden, obgleich es
an hypothetischen Erklärungsversuchen nicht gefehlt hat.
Koslüwsky, Ein Fall von einer angebornen IIalsseblnndkopfti.stel,
Virchowy Archiv, Ed. 115, p. 547.
Cnsset, Etüde siir l’appareil bronchial des vertebres, Paris 1887, und
Kystes et fistules branchiales. Congres frangais de Chirurgie, 188(J, Revue de
Chirurgie, 1886, p. 926.
5Iobitz, Eine einseitige vollständige llalskieinenfistel. 8t. Petersburger
med. Wochenschrift, 1887.
Lannelongue et Achard. Traite des Kystes congenitaux. Paris 1886.
J. Schnitzler, Beiträge zur C4isuistik der branchiogenen Fisteln und
Cysten. Wien 1890.
W. Sachs, Heber angeborene Halsfisteln und Geschwülste der
Kieinenspalten in Th. Kochers Festschrift. Wiesbaden 1891.
Lejars, fistule branchiale ä parois complexe, gaine musculaire stri6e,
glandules et diverticules ; deductions therapeutiques Progres medicale. Ififevrier 1892.
‘b Heu Singer, Zu den Halskieinenbogen-Resten. Virchows Archiv,
Bd. 33, p. 178. Siehe daselbst auch den Fall von Manz.
B u 1 1 e r s a c k , Congenitale Knorpelreste am Halse , ibidem Bd. 106,
p. 206. Siehe daselbst auch die Citate von Santesson und Duplay.
“bZahn, Heber congenitale Knorpelreste am Halse, ibidem Bd. 115,
jjag. 47.
“b Grimm, Fine seltene Geschwulstbildung am Halse etc. Prager med.
Wochenscbrift, 1892.
l'jn Beitrag zur Kenntnis der branehiogenen Gescliwülste.
253
Lücke -^) hatte seiner Zeit eine von B. Langenbeck exstir-
pierte Cyste, welche der Vena jugiüaris interna dicht auf lagerte,
mikroskopisch untersucht und nachgewiesen, dass diese Atherom-
cyste innerhalb einer Lymjthdrüse sich entwickelt hatte. Lücke-^)
hatte ferner in einer zweiten Arbeit die von V olkmann erhobenen
Einwände gegen die Deutung seiner Befunde entkräftet und einen
weiteren Beitrag zu den eingebalgten Epithelialgeschwülsten geliefert
und eine Entwickelung epithelialer Cysten innerhalb einer Lymph-
drüse statuiert. Lücke ’s Angaben wurden später von Schede
(1. c.) mit Bezug auf ihre Deutung abermals in Zweifel gezogen.
Seitdem sind nun von vielen Beobachtern wie Dessauer-^),
BückeD®), Zahn'“'^), Senn-®), H. Richard-®), Samter®®), W.
Sachs (1. c.) u. A. Kiemengangcysten mit kompliziertem Baue der
Wandungen beschrieben worden, ohne dass die Histogenese dieser
Art von Cysten vollständig aufgeklärt worden wäre.
Einige an der hiesigen Klinik und von mir privatim gemachten
Beobachtungen scheinen mir für die Histogenese gewisser Kiemen-
gangcysten von besonderem Interesse zu sein. Ich will daher im
Nachfolgenden meine Erfahrungen mitteilen, welche ich im Laufe
-’h Lücke, Ueber Atheromcysten der Lymphdrüsen. Langenbecks Archiv.
Bd. I., p. 35G.
Lücke, Beiträge zur Geschwulstlehre. Virchows Archiv. Bd. 28,
pag. 378.
-^) Dessauer, Anatomische Beschreibung von fünf cystischen Ge-
schwülsten der Kiemenspalten. Inaug.-Dissert. Berlin 1879.
Böckel, Exstirpation des tnmeurs profondes du con. Bull. gen. de
therapeutiqne, 1879.
Zahn, Beiträge zur Geschwulstlehre (4 Fälle von Kiemengangcysten,
p. 399). Siehe Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 22, p. 387.
-^) Senn, On branchial Cyst. of the Neck. .Journ. of the amer. med.
Associatioii 1884.
-®) H. Richard, Ueber die Geschwülste der Kiemenspalten in Bruns
Beiträgen zur klin. Chirurgie, Bd. 3, Heft 2, pag. 1G5.
■’°) Samt er. Ein Beitrag zur Lehre von den Kiemenganggeschwülsten.
Virchows Archiv, Bd. 112, p. 70.
^ T u 1 1 a u t , Kyste dermoide de la fossete sussternale. Gazette des Höpitaux
avril 1888.
*-) Pilliet, Ky.ste dermolym2)hoide, Bulletin de la societö anatomiejue de
Baris, 1889, ji. 381. '
V. Esmarch, Zur Behandlung der tiefen Atheromeysten des Halses.
V. Langenbecks Archiv, Bd. 19. p. 224.
•*^) A. Bidder, Zur Casuistik und Behandlung der tiefen Atheromcysten
<les Halses, ibidem Bd. 20, ]i. 434.
Kostanecki und Mieleeki. Die angeborenen Kiemenlistein des
Menschen etc. Virchows Archiv Bd. 120 p. 385 und Fortsetzung Bd. 121.
254
Carl Gassenhauer.
der Jahre über Halskienienfisteln, Halskiemencysten und branchio-
gene Carcinome zu sammeln Gelegenheit hatte.
I. Halskiemeiifistelii.
Wenn ich von den Halskiemenfisteln, welche ich während
meiner Studienzeit und an der Schule Billroths zu sehen Gelegen-
heit hatte, absehe, so kann ich aus der hiesigen Klinik während
des Zeitraums von 1878 bis jetzt nur über 4 Fälle berichten. Ich
habe ausserdem hier in Prag privatim noch zwei Fälle von an-
geborenen Halsfisteln bei kleinen Kindern gesehen, die Fälle aber
nicht weiter beobachten können. Wir haben ferner an der Klinik
einen Fall von symmetrischen Hautauswüchsen gesehen und operiert.
Endlich habe ich noch einen Fall von einer Fistula auris congenita
privatim gesehen.
Von den an der Klinik behandelten Fällen ist bemerkens-
wert, dass in drei Fällen die Fisteln nicht bei der Geburt oder
bald nachher, sondern erst lange Zeit hernach zum Vorschein
kamen. Nur im vierten Falle bestand die Fistel seit Geburt.
I. Ein 10 Jahre alter sonst gesunder Knabe bekam in seinem 4. Lebens-
jahre, ohne bekannte Veranlassung, in seinem rechten oberen Halsdreiecke eine
kleine Geschwulst, welche nach einiger Zeit von selbst durchbrach und eine
geringe Menge einer eitrigen Flüssigkeit entleerte. Die nun bestehende Fistel
secernierte nach Angabe des behandelnden .Arztes eine speichelähnliche Flüssig-
keit in geringer Menge. Eine Behandlung mit Jodsalbe blieb ohne allen Einfluss.
Wir fanden bei dem Knaben im rechten oberen Halsdreiecke in der Höhe des
oberen Randes der cartilago thyreoidea und vor dem medialen Rande des
Sternomastoideus eine etwa einen halben Kreuzer grosse erhabene Stelle der
Haut, in deren Mitte sich eine feine Fistel befindet. Aus dieser Fistel entleert
sich bei Druck auf die Umgebung eine weisslicbe trübe Flüssigkeit. Die feinste
Sonde dringt nur ein kurzes Stück in der Richtung nach vorne— unten ein.
Bei der am 9. August 188ß in Narkose vorgenommenen Operation kann die
Sonde nach Umscbneidung und Incision der erhabenen Hautstelle in zwei ent-
gegengesetzten Richtungen, nach aussen — oben und vorne — unten eingeführt
werden. Nach S|)altung der Hohlgänge zeigt es sich , dass sie mit Epithel
ausgekleidet sind. Nun werden diese samt dem umgehenden Gewebe excidiert,
die Wände vereinigt und der Knabe am 14. '8. 188G geheilt entlassen. — Die
mikroskopische Untersuchung der excidierten Gewebspartien zeigt, dass die Hohl-
gänge mit einem mehrschichtigen Plattenepithel ausgekleidet sind und dass diese
Hohlgänge im Bindegewebe blind endigen.
n. Der zweite Fall betraf ein IG .Jahre altes Mädchen (aufgenommen 20. Aug.
1889), welches erst vor zwei Jahren in der Gegend des oberen 8childknor[)el-
randes ein kleines Knötchen in der Haut bemerkte. Dieses soll sich allmählich
strangförmig nach unten gesenkt haben. Vor einem Jahre incidierte ein Ai’zt,
und entleerte eine eiterähnliche Flüssigkeit. Seitdem besteht eine, geringe
eitrige Sekretion. Man fand in der Medianlinie des Halses einen von dem
unteren Rande des Ringknorpels bis zum Jugulum sterni reichenden, von der
Unterlage verschieblichen, Strang, an dessen unterem Ende eine feine, jetzt
Imu Beitrug zur Kenntnis der brunchiogenen Geschwülste.
255
nicht secernierende Fistel besteht. Am 29. August wurde der Strang exstirpiert.
Der Strang erwies sich als ein nach oben abgeschlossener, mit mehrschichtigem
riattenepithel ausgekleideter Ilohlgang. Die vereinigte Wunde heilte prima
intentione. Patientin wurde am 3. September entlassen.
III. Der dritte Fall war ein 9 Jahre alter Schüler, Avelcher am b. Sept.
1889 aufgenommen wurde. In seinem 2. Lebensjahre bemerkten die Eltern des
Kindes an seiner rechten Halsseitc zum erstenmale aus einer feinen Oeffnung
eine klare Flüssigkeit austreten. Von da an secernierte die Fistel eine geringe
^lenge derselben Flüssigkeit. In seinem 5. Lebensjahre entstand über der
feinen Fistel eine kleine Anschwellung, welche sich allmählich vergrösserte,
obAvohl fortdauernd <nn geringer Ausfluss einer blutig serösen Flüssigkeit be-
stand. Man fand bei ihm entsprechend der Mitte des rechten Kopfnickers am
medialen Bande eine stecknadelkopfgrosse Oeffnung, aus Avelcher sich in kleinen
Tropfen ein dünn-eitriges Sekret entleert. Die Oijeration bestand in Um-
schneidung der Fistel, Spaltung der Gewebsschichten am medialen Bande des
Kopfnickers bis in das trigomnn colli superius. Nun zeigte es sich, dass A'on
der Fistel ein Strang hinaufzog, Avelcher sich über der Fistel ampullenartig auf
Taubeneigrösse erAveiterte. Der Strang Avird ausgelöst, lässt sich bis gegen den
Pharynx verfolgen unter den musc. biventer und nervus hypoglossus. Dort
Avurde der GeAvebsstrang abgebunden und abgetragen. Die vernähte Wunde
vei’heilte prima intentione. Am 12. September konnte der Knabe (bei reaktions-
lüsem Verlaufe) entlassen Averden. Der GeAvebsstrang war für eine feine Sonde
durchgängig und Avar A'on einem mehrschichtigen Plattenepithel ebenso Avie die
ampullenförmige Erweiterung ausgekleidet.
IV. Herr M. B. , ein 36 Jahre alter verh. Fabriksdirektor, Avurde am
27. Mai 1889 in die Klinik aufgenommen. Seit seiner Geburt bestand auf
seiner rechten Halsseite etAvas unterhalb der iMitte des Kopfnickers eine
feine Oeffnung, aus Avelcher sich zeitAveise eine klare, manchmal eine gelb-
liche Flüssigkeit entleerte. Ausserdem bemerkte man auch schon seit der Ge
hurt A’on der Fistel nach oben gegen das seitliche Halsdreieck einen federkiel-
dicken, rundlichen und derben Strang.
Nachdem die Fistel bis zum 30. Lebensjahre beständig, Avenn auch nur
gering secerniert hatte, schloss sich dieselbe, ohne dass eine Behandlung einge-
leitet Avorden Aväre. Bald darauf bildete sich eine Oeffnung im Bachen, Avas
Patient dadurch Avahrnahm , dass er eine klare gelbliche Flüssigkeit durch
Bäuspern per os von Zeit zu Zeit entleeren musste. Sechs Wochen vor seiner
Aufnahme hörte die Sekretion im Bachen, nachdem sie A’orher mehr Aveniger über
5 Jahre angedauert hatte, auf. Es bildete sich nun ziendich rasch eine faust-
grosse Gesell Avulst im rechten oberen Halsdi'eiecke. Patient fieberte dabei leicht.
Nach zAvei Tagen öffnete sich Avieder die frühere Fistel am Halse, es entleerte
sich jedoch nur eine geringe iNIenge einer gelblichen, trüben Flüssigkeit, ohne
dass die Gesclnvulst im Halsdreieck ganz A’erschwand. Seitdem nahm die An-
schAvellung im Halsdreiecke öfters zu, um Avieder abzunehmen. In diesem Zu-
stande konsultierte mich Patient. Ich riet ihm die Exstirjiation an. In seiner
Familie (Ascendenz und Descendenz) sind ähnliche Bildungen nicht beobachtet
Avorden.
In der Klinik fanden Avir folgendes:
Im unteren Halsdrittel nahe tlem medialen Bande des rechten Kopfnickers
sieht man eine feine von normaler Epidermis eingesäumte Fistel , aus Avelcher
kein Sekret ausfliesst, noch bei Druck entleert Averden kann. Im rechten oberen
256
C.'arl Gussenbauer.
aeitlichen lialsdreiock siebt man eine jetzt nur melir über nussgrosse (Geschwulst.
Bei meiner ersten Untersuchung hatte die (Geschwulst über Hübnereigrösse.
Von der Fistel zur Geschwulst fühlt man einen federkieldicken Strang, welcher
mit der (Geschwulst zusammenhängt. Oberhalb der (Geschwulst fühlt man
wieder einen Strang, welcher sich unter dem Unterkieferwinkel verliert. Durch
die Fistelött'mmg am Halse kann man eine feine Sonde entlang dem Strange bis
tief unter den Kieferwinkel einführen, ^'om Munde aus tastet der Finger die
eingeführte Sonde hinter dem rechten arcus palatopharyngeus in der seitlichen
Kachenwand von Schleimhaut bedeckt. — Ueber dei- (Geschwulst im Flalsdreieck
lassen sich die normale Haut und das Platysma leicht verschieben. Die (Ge-
schwulst ist bei Druck nicht schmerzhaft, weich, elastisch, tluctuirend. Am
28. Mai nahm ich die Exstirpation in der Chlorofornmarkose vor. Nach Um-
schneidung und Unter])indung der äusseren Fistel legte eine schichtweise In-
cision am medialen Bande des musc. sternomastoideus das ganze Trigonum colli
superius bloss. Nun konnte der Strang mit dem Messer herauspräioariert
Averden. Dabei zeigte es sich, dass er durch bindegewebige Adhäsionen mit der
Umgebung fest verwachsen war. Die Cyste im Trigonum lag dicht auf der
Scheide der vena Jugularis interna auf. An einer Stelle Avar die Wand der
vena jugularis selbst trichterförmig angezogen, doch gelang es bei Amrsichtiger
Präparation mit dem Messer ihre Continuität zu erhalten und die Cysten-
wand abzutrennen. Der Strang oberhalb der Cyste Avar mit der Um-
gebung AA'eniger fest A'erAAachsen. Er liess sieb teihveise stumpf unter dem
musc. biventer und neiw . hyiioglossus am processus styloideus A'orbei bis zur seit-
lichen EachenAA and auslösen. Dort schnitt ich ihn nach A'orausgehender Ligatur
mit Seide ab. Die desinficierte Wunde A\ urde A'ernäht und ein typischer Com-
pressionsA'erband angelegt.
Der Verlauf nach der Operation Avar afebril, doch hatte Patient Schmerzen
beim Schlingen, Eauhigkeit der Stimme und etAvas Bronchialkatarrh. Die maximale
Abendtemperatur am Tage nach der Operation Avar 37,8 " C. Am 4. Tage nach
der Operation Avurde der Verband gewechselt, die Nähte entfernt. Die Wunde
Avar reaktionslüs verklebt. Mit einem Schutzverband A’erliess Patient am 1. Juni
die Klinik. Als er sich AA'ieder nach einer AVoche Amrstellte , Avar die AATmde
schön A'ernarbt.
Ei’AA'ähnen aaüII ich noch, dass auch in diesem Falle, so Avie bei anderen
Halscysten, nach der Exstirpation an der A^ena jugularis keine Lymphdrüsen
aufgefunden Averden konnten. Ich AA'erde auf die Bedeutung dieser Thatsache,
Avelche ich auch in anderen ähnlichen Fällen jedesmal konstatiei’en konnte, noch
weiterhin zurückkonnnen.
Auch die Befunde der nachträglich A'orgenommenen mikroskoinschen
Untersuchung AA’erde ich, um AViederholungen zu A’ermeiden, AA’eiterhin im Zu-
sammenhänge mit dem Befunde in anderen Fidlen mitteilen. Hier erAvähne
ich nur, dass der untere Fistelgang von der Hautoberfläche für eine Haarsonde
durchgängig Avar, A'on der Oystenhöhle aus jedoch nicht aufzufinden Avar. In
den oberen Fistelgang hingegen konnte die Haarsonde A’on der Cyste aus bis gegen
sein abgebundenes Ende eindringen.
Bei der mikroskopischen Untersuchung sah man an (Querschnitten der Fistel-
gänge feine, runde Kanäle, ausgekleidet von einem mehrschichtigen Plattenepithel,
dessenZellen gegen das Innere des Kanales am meisten abgeplattet ersebienen, Avährend
sie nach aussen mehr cylindrische Gestalt annahmen und gegeix das BindegeAA'ebe
sich in Form basaler, cylindrischer Zellen abgrenzten. In den aus fibrillären Binde-
l'.in Beitrag zur Kenntnis der branohiogenen Geschwülste.
257
gc'weben gebildeten Strängen der Fistelgänge erscheinen stellenweise dicht gedrängte
Zellenanhäufungen.
Ini ohliterierten Anteil des distalen Fistelganges war ein Lumen nicht zu
erkennen. ^lan sah daselbst am (Querschnitt von lihrösen Bindegeweben ein-
gesehlossen einen p]pithelzellenstrang, welcher sich gegen das Bindegewebe durch
einen Kranz l)asaler cylindrischer Zellen ahgrenzte.
D(‘r oben erwähnte Fall von symmetrischen llautauswüchsen betraf ein
lOjähriges Mädchen aus Bosnien , welches im Jahre 1871) in das Amljulatorium
der Klinik kam. ^lan sah nahe dem medialen Bande und J cm ül>er dem
Sternoclaviculargelenke jederseits einen Auswuchs der Haut von IV2 cm Länge,
drehrunder, gegen die Spitze etwas konisch zugespitzter. Gestalt, hlassrötlicher
Farbe, welche gegen die der umgehenden Haut deutlich ahsticht. Beide Aus-
wüchse liessen sich mit der Haut von der Unterlage verschieben. Diese Aus-
wüchse erinnerten mich sofort an jene, welche wir hei den Ziegen so häufig
sehen. AVir konnten von dem Alädchen nur soviel in Pirfahrung l)ringen, dass
diese Auswüchse von jeher bestanden und allmählich gewachsen seien. Ich ex-
cidierte dieselben mit zwei halbmondförmigen Stücken der umgehenden Haut
und vernähte die gesetzten Wunden, welche in vier Tagen geheilt waren.
Die gewonnenen Präparate zerlegte ich nach Konservierung und Härtung
in Alkohol, eingebettet in Celluloidin, mit dem Mikrotom in Serienschnitte und
zwar den einen Auswuchs im (Querschnitte, den anderen im Längsschnitte. Die
mikroskopische Untersuchung zeigte, dass beide Auswüchse ganz gleich zusammen-
gesetzt waren. Nach aussen waren sie innkleidet von Haut, welche gegen die
Basis der Auswüchse ein normales Aussehen hatte, gegen die Spitze derselben
aber verschmälert erschien. An der Basis waren alle Schichten der Haut
deutlich ausgebildet. In der Cutis fanden sich Haare, Talg und Schweissdrüsen,
gegen die konischen Knden waren in dem schmalen Saum des Cutisgewebes
weder Haare noch Drüsen nachzuAveisen ; ihre abgeflachten Papillen Avaren von einer
dünneren Schicht Epidermis überkleidct. Nach innen A'on der Cutis bestanden
die AusAVÜchse, von dieser durch ein lockeres BindegeAvebe abgegrenzt, zunächst
aus einer schmalen Schichte zellenreichen übrilären BindegeAA'ebes, A'on diesem
scharf abgegrenzt aus einer Schichte grosser cylindrischer Zellen, Avelche in einem
Kreise angeordnet gegen das Centrum eine mehrfache Lage A'on polyedrischen,
kubischen und abgeplatteten Epithelzellen A'on dem Charakter der Schleimhaut-
epithelien einschlossen. Das GeAvebe an der Basis der AusAvücbse, da avo es
von dem subcutanen BindegeAvebe al)})räpariert Avurde, bestand nur mehr aus
lockerem Binde- und FettgeAvebe.
KnorpelgeAvebe , Avelches in anderen P^ällen (s. Grimm 1. c.) analoger
Bildungen gefunden wurde, Avar nicht vorhanden.
II. Halskiemeiicy.steii.
Zaiilreicher sind unsere Beobachtungen über Halskiemen-
cysten, welche ohne vorher bestehende Halskiemenfisteln, entweder
schon bei der Geburt oder erst im Verlaufe der Wachstumsperiode
oder endlich nach Ablauf derselben sich entwickelt hatten. Die
betreffenden Fälle sind folgende:
I. Im November 1878 kam ein 21 Jahre alter Maurer Pb AV. in die Klinik,
Avelcher seit Ü Jahren über dem Kehlkopf in der rechten Halsseite eine anfangs
haselnussgrosse Gesclnvulst bemerkte, AA'elche immer scbmerzlos blieb, aber all-
17
258
Carl Gusseiibauer.
mählich l-»is zur gegenwärtigen Grösse heramviichs. A\'ir fanden hei seiner Auf-
nahme eine orangegrosse Geschwulst, welche im rechten oberen Halsdreiecke
ihren Sitz hatte. Die normale Haut Avar darüber überall verschiebbar, die Ge-
schwulst selbst vor der tiefen Halsfascie beweglich. Sie war Aveich elastisch, fluo-
tuierend und schmerzlos. Am 12. November Avurde die Cyste exstirpiert, sie
liess sich , unter dem oberflächlichen Blatte der tiefen Halsfascie gelegen , nach
Spaltung der Haut, des Platysma und der Fascie leicht auslösen. Ihr Inhalt war
ein dicklicher, athermatöser Brei, der sich bei der mikroskopischen Untersuchung
als aus Auwfetteten Plattenepithelien erAAues. Die Wand des bindegeAA'ebigen
Sackes Avar mit einer mehrschichtigen , der Epidermis gleichen Epithellage
von A'erhornten Zellen, einem stratum granulosum und basalen Cylinderzellen
über teils abgeplatteten, teils hoben Papillen ausgekleidet. Stellenweise fanden
sich Haare mit Haarbälgen , Talgdrüsen und ScliAveissdrüsen eingebettet. Am
22. November Avar die A'ernäbte Wunde prima intentione geheilt.
11. Am dO. März 1887 Avurde die 24 Jahre alte S. H. Avegen einer Gescluvulst
am Halse in die Klinik aufgenomnien. Dieselbe Avar sonst gesund und nie er-
heblich krank geAvesen. Sie Avar seit ihrem 1(5. Jahre normal menstruiert, ln
ihrer Familie Avaren ähnliche Geschwulstbildungen nicht beobachtet Avorden.
Vor zAvei Jahren, also nach ihrem 22. Lebensjahre, bemerkte sie ebne
bekannte Veranlassung im rechten oberen Halsdreieck eine etAAui bobnengrosse
GescliAvulst, Avelche sich langsam Amrgrösserte und in ^ 4 Jahren Taubeneigrösse
erreichte. Die Geschwulst Avar nicht schmerzhaft , hart anzufühlen und leicht
beAveglich.
Im Januar Amrigen Jahres wurde die GescliAvulst von einem Arzte punktiert.
Es entleerte sich eine teils blutige, teils klare gelblicb seröse Flüssigkeit. Die
GescliAAmlst war jedoch nicht verscliAvunden, sondern Avuchs nun in den nächsten
drei Wochen sehr rasch und erreichte Kindskopfgi'össe. Fünf AVochen nach der
Punktion Avurde sie von einem Arzte mittels eines 1 cm langen Schnittes iu-
cidiei’t. Es entleerte sich abermals eine seröse mit Adel Blut untermiscbt(^
Flüssigkeit. Die Gescluvulst Avuchs abermals rapid. Im Januar dieses Jabres
wurde durch eine in der früheren Narbe geführte Incision abermals die Gescluvulst
entleert, doch mit demselben Erfolge. Die Gescluvulst nahm Avieder zu l)is
zu ihrer gegeuAvärtigen Grösse. AAdr fanden im rechten oberen Halsdreiecko
eine Amm Unter kiefenvinkel und Rand seines horizontalen Astes l)is gegen
die Mitte des Kopfnickers herab reichende Geschwulst von über Faustgrösse,
welche bis auf die Narbe der früheren Incisionen a"Oii normaler Haut, dem Platysma
und im lateralen hinteren Anteile vom musc. sternocleidomastoideus l)edeckt A\^ar.
Diese Gebilde Hessen sich bis auf die Narbe leicht von der GescliAvulstoberfläche
verschieben, die GescliAvulst als Ganzes Avar A'on dem tiefen Blatte der Hals-
fascie nur Avenig verschiebbar.
Die Oberfläche der GeschAvulst Avar glatt, ihre Konsistenz Aveich elastiscli,
deutlich fluctuierend. Dieselbe nicht diaphan. Nach ihrem Sitze und nach ihrer
Beschaffenheit konnte ich die GescliAVulst nur für eine l)ranchiogene Cyste halten,
da sie trotz der dreimaligen Eröffnung keine entzündlichen Erscheinungen aufAA'ies.
Ich beschloss in diesem Falle die ausgiebige Eröffnung der Cyste, AusAvaschung
derselben und Drainage anzuAvenden. Am 1. April Avurde diese Operation in
der Chloroformnarkose ausgeführt. Nach Entleerung der Flüssigkeit Avurde der
Sack energisch mit 57o Karbollösung ausgeAvaschen und in den unteren AVinkel
ein bis an den oberen Pol der Cyste reichendes Drainagerohr eingenäht und ein
komprimierender ]\Iull-AA’'atteA'erband angelegt. Am nächsten Morgen l)etrug die
Ein Beitrag zur Kenntnis der brancliiogenen Geschwülste.
259
Temp. 38,0®, abends 37,8® C. Am vierten Tage wurde das Drainagerohr ent-
fernt. Am 7. April war auch das Drainageloch der Haut abgeschlossen und
konnte die Patientin an diesem Tage entlassen werden. Die Geschwulst kehrte
nun nach späteren Mitteilungen nicht wieder.
Die Untersuchung der Flüssigkeit ergab folgendes: Sie erscheint gelblich,
serös, stark getrübt durch suspendierte zellige Elemente.
Bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich zahlreiche, teils isolierte
teils in Gruppen zusammenhängende, Plattenepithelialzellen, ausserdem sehr viele
I Leukocysten und Cholestearinkrystalle.
III. Im Jahre 1884 operierte ich privatim einen Fall einer branchiogenen
I Halscyste, welchen ich bereits im Verlaufe des Jahres 1883 wiederholt zu beob-
I achten Gelegenheit hatte. Dieser Fall ist in chirurgischer Hinsicht und wie die
I nachträgliche mikroskopische Untersuchung lehrte, insbesondere in histogene-
1 tischer Hinsicht interessant. Ich werde auf die Befunde noch später zurück-
I kommen. Seine Krankengeschichte ist folgende: Der 57 Jahre alte verheiratete
i Herr bekam in seinem 27. Lebensjahr ohne bekannte Veranlassung in seiner
j linken Halsseite eine Geschwulst. Sie vergrösserte sich langsam und alhnählicb.
i Sie war nie schmerzhaft gewesen. Li seinem 31. Lebensjahre, 26 Jahre bevor
ich ihn sah, hatte er von Pitha konsultiert. Dieser incidierte die damals fast
ganseigrosse Geschwulst, entleerte dabei eine breiartige Flüssigkeit und legte,
um die Eiterung zu unterhalten, Charpiewicken ein. Die Geschwulst vei’kleinerte
sich dabei im Verlaufe von vielen Wochen. Später besorgte sich Patient das
Einfühi-en der Charpiewicken selbst. Die dadurch offen erhaltene Fistel secer-
nierte nur wenig. Noch später ersetzte er die Charpiewicken durch kleine
Stäbchen, welche er sich aus Eichenholz anfertigte. Nach etwa zwei Jahren
schloss sich die Fistel und er hatte nun zunächst keine Beschwerden mehr. Im
'N’erlaufe der Jahre aber traten wiederholt Anschwellungen in dieser Gegend auf,
welche er jedesmal durch kalte Umschläge behandelte und nach einigen Tagen
zur Rückbildung brachte. Seit 3 Jahren sollen diese Anschwellungen häutiger
aufgetreten sein und er dabei Fieber und Schlingbeschwerden bekommen halxm.
Als er mich Dezember 1882 zum erstenmale konsultierte, hatte er gerade wieder
eine solche Anschwellung. Ich fand ihn fiebernd im Bette und im linken oberen
Halsdreieck eine von geröteter Haut bedeckte schmerzhafte Geschwulst von
Hülmereigrösse, welche in der Tiefe fluctuierte. Am unteren Ende der Geschwulst
war eine kleine Narbe zu sehen. Ich dachte zunächst an einen Lymphdrüsen-
abscess. Erst als er mir seine vorhin skizzierte Krankheitsgeschichte erzählte,
dachte ich daran, dass es sich hier um eine sogenannte tiefe Atheromcyste des
Halses handeln könne. Ich empfahl ihm zunächst Ruhe und Umschläge von
Burowscher .Flüssigkeit. Nach einer Woche war die entzündliche Anschwellung
wieder geschwunden und konnte ich nun in der Tiefe des linken oberen Hals-
dreiecks eine über eigrosse Geschwulst palpieren , welche von dem umgebenden
Gewebe nur wenig verschiebbar war, an der Oberfläche ziemlich fest anzufühlen
war, in der Tiefe jedoch noch Fluctuation erkennen liess. Nach diesem Befunde
war ich in der Annahme, dass hier eine tiefe Halscyste vorliege, noch bestärkt.
Ich riet daher die Exstirpation an. Er konnte sich jedoch zunächst nicht dazu
entschliessen. Im Verlaufe des Jahres 1883 hatte er noch zweimal eine gleiche
Anschwellung durchzumachen, welche jedoch beidemale bei gleicher Behandlung
keine weiteren Folgen hatte. Erst im Januar 1884 stellte er sich mir wieder vor
und war nun zur Operation entschlossen. Am 26. Januar nahm ich dieselbe in
seiner Wohnung in Chloroformnarkose vor. Da in diesem Falle die Cyste innig mit
260
Carl Gussenbauer.
der Umgebung verwachsen war, so beschloss ich, sämtliche bedeckenden Schichten
über der Geschwulst zu entfernen, um bei der Untersuchung alle GeAvebsschichten
überblicken und so den Zusammenhang der Cyste mit den Geweben studieren
zu können. Ich Umschnitt daher zunächst die bedeckende Haut mit ZAvei elip-
tischen Schnitten, drang in diesen, sämtliche GeAvebe durchtrennend, bis auf
die CysteriAvand vor und entfernte die Geschwulst mit den darüber liegenden
GeAvebsschichten in toto, nachdem ich die Scheide der Vena jugularis mit ent-
fernt hatte. Ihr oberer Pol hing fest mit dem processus styloideus zusammen.
Die ganze Präparation konnte nirgends stumpf, sondern nur mit dem Messer
gemacht Averden.
Die Operation verlief ohne Störung, hatte aber Avegen der nur mit Vor-
sicht auszuführenden Präparation über eine Stunde in Anspruch genommen.
Die mit Sublimat sorgfältig ausgeAvascliene Wunde Avurde bis auf den
unteren offen gelassenen Winkel durch die Koi)fnaht vereinigt und ein Kompressiv-
verband angelegt. Die Heilung erfolgte reaktionslos. Nur hatte Patient die
ersten zAvei Tage SchlingbescliAverden. Der erste VerbandAvechsel erfolgte nach
einer Woche und Avurden dabei die Nähte entfernt. Am Ende der zweiten Woclie
Avar auch der offen gelassene untere Wundwinkel mit EjAithel überzogen. Patient l)e-
fand sich nun ganz Avohl und blieb geheilt. Noch sechs Jahre nach der Ope-
ration sah ich ihn gesund.
Gross war unser Erstaunen, als Avir nach der Operation die GescliAvulst
incidierten und nun mitten in der GescliAvulst eingeschlossen, in einer mit krüme-
ligen Massen und wenig getrübter Flüssigkeit erfüllten Höhle, ein 3 cm langes,
V-2 cm dickes Aderkantiges Stück Holz fanden. Am nächsten Tage erst gab mir
Patient über mein Befragen die oben angegebenen Aufklärungen über die Holz-
stäbchen an. Er Avusste sich jedoch nicht zu besinnen, dass ihm ein Stück a'OU
seinen Eichenholzstäbchen in der Fistel stecken geblieben AA'ar. Nach den oljen
angegebenen Daten musste dieses Holzstück aber sicher über 24 Jahre lang ein-
geschlossen in der Cyste gelegen sein. Wahrscheinlich sind die Aviederholten
AnscliAvellungen und entzündlichen Erscheinungen mit durch den Fremdkörper
A’^erursacht worden. Es ist aber gewiss sehr selten, dass ein Holzstück nicht
einmal Eiterungen erregt.
Ueber die Eesultate der mikroskopischen Untersuchung Averde ich Aveiter-
hin ausführlich berichten , da die Befunde in mehrfacher Hinsicht A’on dem
bereits Bekannten abweichen, und Avie ich glaube, für die Beurteilung der Histo-
genese geAvdsser branchiogenen Cysten Amn besonderem Interesse sind.
IV. Am 19. Februar 1887 wurde die 29 Jahre alte Dienstmagd F. M.
Avegen einer Geschwulst am Halse aufgenommen. Sie Avar vorher niemals krank
geAvesen. Vor einem Jahre bemerkte sie ohne bekannte Veranlassung im linken
oberen Halsdreieck eine GescliAvulst, Avelche allmählich aber fortAvährend wuchs.
Als dieselbe etwa faustgross geAvorden Avar, konsultierte sie einen Arzt. Dieser
hielt die GescliAvulst für einen Abscess und riet ihr Breiumschläge zu machen,
bis ihr die GescliAvulst Schmerz bereiten Averde. Diesem Pate leistete Patientin
zunächst Folge. Da aber die Geschwulst trotzdem nicht schmerzhaft Avurde und
im Verlaufe eines Aveiteren halben Jahres bis zum Ohrläppchen gewachsen Avar
und die Bewegungen des Kopfes etivas behinderte, so konsultierte sie einen
zweiten Arzt, Avelcher sie behufs Operation an die Klinik wies. —
Ihre Eltern und Geschwister sind gesund. Gescliwulstbildungen sind in
der Familie nicht vorgekoninien. — Wir fanden entsprechend dem linken oberen
Halsdreieck eine kleiukindskopfgrosse GeschAViilst, Avelche das Ohrläppclien stark
Ein Beitrag zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
261
emporhebt und die Form des Halsdreieckes deutlich imitiert, lieber der Ge-
gchwulst sind die Haut, das Platysma und der musc. sternomastoid., welcher in
seinem mittleren Anteile fächerförmig ausgebreitet erscheint, leicht verschiebbar,
die Geschwulst selbst von dem tiefen Blatte der Halsfascie etwas beweglich. —
Die Geschwulst ist prall elastisch, deutlich fluctuierend, diaphan. Am 28. Fel>-
ruar 1877 führte ich die Exstirpation in ruhig verlaufender Chloroformnarkose
aus. — Die Ausschälung der Geschwulst gelingt leicht, ihre hintere AVand lag
direkt auf der vena jugularis interna auf. Ich konstatierte und demonstrierte
! auch in diesem Falle, dass sämtliclie glandulae cervicales profundae über der
vena jugularis interna im Bereiche der Geschwulst fehlten, während gegen die
Insertion des Kopfnickers am Sternum meln-ere nicht vergrösserte Lymphdrüsen
zu sehen waren. Die nach gründlicher Auswaschung mit Sublimat ^/«o vollstän-
! dig vernähte AA’^unde heilte prima intentione. — Ausser Erbrechen am Tage der
1 Operation und Schmerzen beim Schlucken trat keine Reaktion auf. Am 6. Alärz
wurden die Nähte entfernt, am 11. August die Patientin entlassen. —
Die Untersuchung der Geschwulst hatte Herr Professor Chiari die Güti'
vorzunehmen. Fr äusserte sich unter dem 9. März 1877 in einem Berichte an
, die Klinik über das Resultat seiner Untersuchung wie folgt; »Alikroskopisch die
I AVand der Cyste aus faserigem Bindegewebe bestehend, in welches zahlreiclu'
I lymphoide Zellen und stellenweise deutliche Lymphfollikel eingelagert sind. —
An der Innenfläche der t’ystenwand ein geschichtetes Plattenepitliel. Im Cysten-
iiihalte Plattenepithelien, lymplioide Zellen, Fettti'öpfclien, Körnclrenkugeln und
Cholesteari nkrvstalle. t
A'. Am 22. Juli 1887 wurde der 14 Jahre alte H. F. wegen einer Ge-
schwulst der rechten Halsseite in die Klinik auf genommen. Die Eltern hatten
bei dem Knaben schon in seinein vierten Lebensjahre unter dem rechten Unter-
kieferwinkel eine kleine, weiche Geschwulst bemerkt, welche nun allmählich,
ohne dem Patientem Beschwerde zu machen, bis zur jetzigen Grösse heran-
wuchs. Die Eltern und acht Geschwister sind gesund. An dem kräftig gebauten
und gut genährten Knaben sah man auf der rechten Halsseite im oberen Dreieck
vom Unterkieferwinkel nach unten eine Geschwulst von Hühnereiergrösse, welche
von normaler Haut, dem Platysma, und nach hinten von einem Teil des Kopf-
nickers bedeckt, weich, elastisch, deutlich fluctuierend und durchscheinend ist.
AMn den Unterlagen lässt sich die Cyste etwas verschieben.
Bei der am 22. Juli vorgenommenen Operation wird die Cyste mittels
eines 10 cm langen, am vorderen Rande des Kopfnickers verlaufenden, die Haut
das Platysma und das oberflächliche Blatt der tiefen Halsfascie durchtrennenden
Schnittes blossgelegt und hierauf ausgelöst. Die Lospräparierung gelingt wegen
strafferer A'erbindungen nur mit Messer und Schere. Dabei wird der dünne
Cystensack wiederholt angeschnitten. Es entleert sich dabei eine trübe Flüssig-
keit. Ueber der vena jugularis sind keine Lymphdrüsen zu sehen. Die mit
Sublimat ausgewaschene AATmde wird in toto vereinigt und ein Komj)ressiv-
verhand angelegt. Es erfolgte reaktionslose Heilung per primam. Am 81. Juli
wurde Patient nach dem ersten A'erbandwechsel mnl Entfernung der Nähte ge-
heilt entlassen. — Die L^ntersuchimg der Cyste wurde von dem damaligen ersten
Assistenten des pathologisch-anatomischen Institutes, Herrn Dr. Richter, vor-
genommen. Er l)erichtete an die Klinik wie folgt:
»Die Cystenwand besteht in den inneren Schichten aus dicht- und fein-
faserigem, mit sj)ä.rlichen elastischen Fasern gemengten, in den äusseren Schich-
ten aus grobfaserigem, welligem, zu Bündeln geordnetem Bindegewebe mit ziem-
262
Carl Gussenbauer.
lieh reichlichen Kernen nnd Blntgefässen und trägt auf der Innenseite eine ein-
schichtige , aus platten endothelartigen Zellen bestehende Zellenauskleidiing
(Lympheyste).«
YI. Am 29. August 1887 wurde die 25 Jahre alte Taglöhnersfrau H. A,
wegen einer linksseitigen Halsgeschwulst in die Klinik auf genommen. Sie gab
an, dass sie vor 1 V2 Jahren einen bläschenförmigen Ausschlag der linken Ge-
sichtshälfte bekam und bald darauf eine kleine Geschwulst in der linken Unter-
kiefergegend bemerkte, Avelche sich allmählich vergrösserte , nicht schmerzhaft
war und seit Ostern dieses Jahres dreimal vom Arzte incidiert wurde, aber
jedesmal zu ihrer früheren Grösse rasch heranwuchs. — An der Klinik fand man an
der linken lialsseite eine zweifaustgrosse Geschwulst, welche vom Unterkiefer-
winkel nach vorne bis gegen den Kehlkopf, nach hinten bis an den Rand des
Cucullaris die Haut emporhebt. Die Haut ist etwas entzündlich geschwollen,
namentlich um zwei 1 cm lange weisse Incisionsnarben an der hinteren Seite
der Geschwulst. Der Sternocleidomastoideus scheint sich fächerförmig über der
Geschwulst zu verbreiten. Die Geschwulst ist weich, elastisch fluctuierend,
durchscheinend und lässt sich von der Unterlage verschieben. Die Schluck-
bewegungen macht sie nicht mit. —
Am 2. SejAember wird in Chloroformnarkose die Exstirpation vorgenom-
men. Ein Schnitt am vorderen Rande des Koi^fnickers vom Unterkieferwinkel
bis zur artic. stern. clavic. die Haxit, das Platysma und die Fascie durchtrennend,
legt die Oberfläche der Geschwulst bloss. Der Sternocleidomastoideus ist fächer-
förmig geteilt und mit der Cystenwand bindegewebig verwachsen. Die Cyste
wird zuerst an der Innenseite, dann von unten aus präi^arando abgelöst und der
ganze Balg exstirpiert. Dabei zeigt sich die Geschwulst an der Innenseite Ins
an die grossen Gefässo reichend und hier mit der Gefässscheide verwachsen.
Sublimatauswaschung und Naht der Wunde, Kompressivverband. — Reaktions-
loser Verlauf. Am 7. wird der erste Verband gewechselt, die Nähte entfernt.
Am 10. wird der Verband behufs Entlassung erneuert, dabei zeigte sich eine
kleine Dehiscenz an einer Stelle der Wundränder. Patientin wird daher bis zum
15. September an der Klinik behalten und an diesem Tage geheilt entlassen.
Diese Beobachtung Avurde während der Ferien gemacht. Eine Bemerkung über
die Untersuchung der Geschwulst flndet sich in dem Krankenjournal nicht vor.
Ich bin daher nicht in der Lage, darüber Aufschluss zu geben. Doch scheint
mir die Cyste nach ihrer Lokalisation, nach ihrem Wachstum und ins1)esondere
mit Rücksicht auf ihre Beziehungen zur Scheide der grossen Halsgefässe den
anderen genau untersuchten Fällen analog zu sein. —
VII. Am 21. NoA'ember 1887 wurde die drei Jahre alte H. R. wegen einer
linkseitigen Halsgeschwulst aufgenommen. Nach der Geburt schon bemerkte
man an dem sehr kräftigen , sonst normal entwickelten Kinde im linken
oberen Halsdreiecke, unterhalb des processus mastoideus eine taubeneigrosse, von
normaler Haut bedeckte Aveiche GescliAvulst. Dieselbe blieb bis zum ersten Jahre
ziemlich gleich; hierauf Avuehs der jetzt sichtbare mediale Anteil und im dritten
Jahre der vorderste und zwar im Anfänge langsam, in letzter Zeit rasch zur
gegeuAvärtigen Grösse heran. Seit drei Monaten bekommt das Kind öfters einige
Minuten dauernde Hustenanfälle, wobei Avährend der erscliAverten Inspiration
ein eigentümliches Geräusch hörbar ist. Die Eltern und fünf GeschAA’ister sind
gesund. —
Bei der Aufnahme sahen Avir an dem für sein Alter grossen, gut ent-
wickelten und genährten Kinde die ganze linke Halsseite vom vorderen Rand
r
Ein Beitrag zur Kenntnis der braneliiogenen Geschwülste.
des Cucullaris angefangen bis fast zur vorderen Mittellinie des Halses eingenom-
men von einem dreifach segmentierten, b cm im Vergleiche zur andern Seite
vorspringenden Tumor, über welchem die Haut nicht verändert erscheint. Haut
und Platysma lassen sich über den ganzen Tumor verschieben; zwischen mitt-
lerem und hinterem Segment zieht der etwas verbreiterte Sternocleidomastoideus
darüber verschieblich hinweg. Der Tumor als Ganzes ist nur zum Teile von der
Unterlage beweglich, er ist weich, elastisch fluctuierend und in geringem Grade
durchscheinend. —
Am 22. November exstirpierte ich in der Chloroformnarkose die Geschwulst
mittels eines am vorderen Rande des Kopfnickers vom processus mastoideus bis
nahe an das Sternoclaviculargelenk reichenden Schnittes durch Haut, Platysma
und das oberflächliche Blatt der tiefen Halsfascie.
Der Kopfnicker musste mit dem Messer von dem Cystensack getrennt
werden. Audi die Präparation des hinteren Anteiles der Cyste aus der grossen
Tasche zwischen Kopfnicker und Cucullaris gelingt nur mit dem ^lesser. In
(1er Höhe des Atlas lag die Cystenwand ziemlich dicht dem (^nerfortsatz des-
selben an. Auch von der Scheide der Vena jugularis musste die Abtrennung
grös.stenteils mit dem ^lesser vorgenommen werden. ^lehrmals wurde die Cysten-
wand verletzt, doch gelang es, den Austritt des Inhaltes durch sofortige Kom
pression und Naht der Oetfnungen zu vermeiden. Nach Entfernung des Tumors
konnte ich auch hier wieder konstatieren, dass über der Vena jugularis im Be-
reiche der GescliAVulst Lymphdrüsen nicht vorhanden Avaren. Wegen der sehr
grossen Wundhöhle und insbesondere Avegen der Taschenbildung hinter dem
Kopfnicker incidierte ich diese am vorderen Rande der Cucullaris, drainierte und
vernähte den vorderen Schnitt in seiner ganzen Ausdehnung. Ein ty])ischer
Kompressionsverband schloss Hals und Kopf ab. In diesem Fall bestanden nach
der Operation Teinperatursteigerungen am Abend bis 38" bei normalen ^lorgen-
temperaturen bis zum fünften Tage. An diesem Tage stieg auch die ^lorgen-
t(*mperatur bei sonstigem Wohlbeflnden auf 3t),8" C. Es Avurde der erste Ver-
band gewechselt, das Drainagerohr entfernt. Man fand die Wunde reaktionslos.
Mit der Entfernung des Gummirohrs sank die Temperatur noch am Abend des-
si'lben Tages auf 37,(5" und blieb fortan normal. Am 7. Tage Avnrden die Nähte ent-
fernt. Am 5. Dezember Avurde Patient mit ganz geschlossener Wunde entlassen.
Die Untersuchung ergab folgendes : Der Inhalt bestand aus einer Aveiss-
lichen getrübten Flüssigkeit, in Avelcher zahlreiche lymphoi'de Zellen, A’ereinzelt
und in Grtippen zusammenhängende Plattenepithelien und Cholestearinkrystalle
vorhanden sind. Das Cystencavum erscheint durch A'orspringende Leisten in der
Wand in drei untereinander communicierende Räume geteilt. Die Innenfläche
erscheint bei schräger Beleuchtung glänzend, an einzelnen Stellen sieht man
kleine Avarzige Erhabenheiten. An Serienschnitten durch die ganze Dicke der
Wand sieht man, dass die Innenfläche überkleidet ist Amn einem mehrschichtigen
Plattenepithel, Avelches stelleiiAveise das an lympluYiden Zellen reiche faserige
BindegcAvebe bedeckt, stellemveise aber Papillen überkleidet und daselbst basale
Cylinderzellen mit einem stratum granulosum und ganz abgeplatteten Epithelieir
erkennen lässt. In der bindegewebigen Kapsel finden sich zerstreut Lymph-
follikel, Gruppen von lymphoi'den Zellen und zahlreiche in den perivasculären
Spalten reichlich lymphoide Zellen führende Blutgefässe.
VIU. Am 1. Juni 1830 Avurde die 27 Jahre alte ledige Kl. A. Avegen einer
GescliAvulst der linken Halsseite in die Klinik aufgenommen. Ihr Vater starb
vor 15 Jahren an unbekannter Krankheit, ihre Mutter ist gesund. Patientin
264
Carl (Tiissenbauor.
war nie ernstlich krank gewesen. A'or zwei Jahren bemerkte sie ohne bekannte
Veranlassung das Enstehen eines etwa liaselnussgrossen , weichen und beweir-
lichen Geschwülstchens unter dem linken Unterkieferwinkel. Dasselbe wuchs
anfangs nur langsam, verursachte ihr niemals Beschwerden. Im letzten Winter
wuchs die Geschwulst schneller, weshalb sie in diesem Frühjahr einen Arzt konsul-
tierte. Dieser verordnete ihr zunächst eine Jodeinpinselung und eine Jodsalbe und
riet ihr, da diese Behandlung das raschere Wachstum der Geschwulst nicht l)eein-
flusste, die Exstirpation an unserer Klinik vornelimen zu lassen. Patientin ist
sonst gesund, seit ihrem 15. Lebensjahre regelmässig menstruiert, vierwöchent-
lich von 4— ötägiger Dauer, schmerzlos, reichlich.
An der mittelgrossen, mässig genährten Patientin von gracilem Knochen-
bau sieht man an der linken Ilalsseite vom processus mastoideus l)is an das
untere Drittel des 8ternomastoideus reichend eine ül)er gänseeigrosse Geschwulst,
über welche die gespannte Haut, das Platysma und der Kopfnicker von ihr
verschieblich hinwegziehen. \'on der tiefen Halsfascie ist sie etwas verschieblich.
Sie ist gesi>annt, elastisch, huctuierend und durchscheinend. Am 10. Juni wurde
die Geschwulst in ruhiger Chloroformnarkose in typischer Weise exstirpiert.
Die Ausschälung der Geschwulst gelang leicht. Am oljeren Pole der Geschwulst
wurde eine haselnussgrosse ijym2)hdrüse von normalem Aussehen mit ent-
fernt. Im Bereiche der Geschwulst wurden über der ^"ena jugularis andere
Lymphdrüsen nicht vorgefunden. Die Wunde wurde nach Sublimatauswaschung
in toto genäht und ein typischer Kom])ressionsverl)and angelegt. Da am nächsten
Tage die Temperatur am Abend auf 38,8“ C. anstieg und Schmerzen bestanden
so wurde der Verband gewechselt. Es zeigte sich, dass im unteren Anteile der
Wunde etwas Flüssigkeit angesammelt war. Nach Lüftung des unteren Wund-
winkels floss eine blutig tingierte Flüssigkeit aus. Nun war der Verlauf ungestört.
Am 18. Juni konnte Patientin mit ganz geschlossener Wunde entlassen werden.
Die Untersuchung der Cyste ergab: Der Inhalt der Cyste bestand aus einer
Flüssigkeit, in welcher sehr viele lymphoide Zellen, Plattenepithelien und Chole-
stearinkrystalle enthalten waren. Die innere Fläche der Cyste ist mit einem mehr-
schichtigen Plattenepithel ausgekleidet. Um den epithelialen Saum flndet sich eine
Zone lymphatischen Gewebes, welches bald in deutlich ausgebildeten Lymphfolhkeln,
bald nur in Ansammlungen lymphoider Zellen innerhalb eines feineren Reticulum
besteht. In der fibrösen, stellenweise reichlich mit lymphoiden Zellen durchsetzten
Wand finden sich ausserdem mehrere rundliche und abgeplattete Lymphdrüsen,
vom Fettgewebe und einer Kapsel umschlossen, mit i)eri])heren Lymphsinusen und
Follikeln, Trabekeln und Markschläuchen.
IX. In dem folgenden Falle handelt es sich um eine Dermoidcyste, welche
nicht in dem seitlichen Halsdreiecke ihre Entwicklung nahm, sondern in der
linken Submaxillargegend und am Boden der Mundhöhle. Ich führe den Fall
seiner Zeitfolge nach hier an.
Am 25. April 1800 kam der 24 .Jahre alte ledige Taglöhner W. Th. wegen
einer Geschwulst der linken Halsseite in die Klinik. Er war vor diesem Leiden
stets gesund gewesen. In seiner Familie sind Geschwulstbildungen nicht ))C-
obachtet worden. Im Frühjahr 1884, in seinem 18. Lebensjahr, bemerkte er
zum erstenmale links unter der Zunge ein erlisengrosses Knötchen. Dieses
wuchs bis Dezember 1889 sehr langsam bis zum vierten Teile seiner jetzigen
Grösse heran, ohne ihm irgend welche Beschwerden zu machen. Da er Soldat
war, zeigte er die Geschwulst seinem Regimentsarzte. Dieser zog von der IMund-
höhle aus einen Faden durch die Geschwulst, liess ihn 14 Tage liegen, zog ihn
Ein Beitrap: zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
265
dann heraus. Eine Aendernng in der Geschwulst war dadurch nicht bewirkt
worden. Ende Januar dieses Jahres incidierte ein zweiter Reginientsarzt von der
Mundhöhle ans entlang der linken unteren Zahnreihe in einer Länge von 3 cm.
Es entleerte sich eine ziemliche Menge Blutes. Die AVhinde heilte unter An-
wendung eines Jodoformgazetampon in wenigen Tagen. Nun wuchs aber die
Geschwulst viel rascher und wurde der Mann seiner Militärdienstpflicht deshalb
enthoben. ]\Iit dem rascheren 'Wachstum der Geschwulst stellten sich nun auch
Beschwerden beim Sprechen und Kauen ein. Das Kauen in der linken Hälfte
der ^Inndhöhle wurde ihm schliesslich nnmöglicli.
Bei der Untersuchung des schwächlich gehanten iMannes fiel zunächst eine
8 cm im (pieren und 7 cm im sagittalen Durchmesser betragende Abplattung über
dem linken Scheitelbeine auf. In der regio snbmentalis und submaxillaris sin.
sieht man eine spindelförmige Geschwulst, welche von der Medianebene bis zum
vorderen Rand des Kopfnickers und nach unten bis zu seiner Mitte reicht. Bei
der Inspektion der IMnndhöhle sieht man die ganze linke Hälfte der Mundhölile
und ül)er die Medianlinie nach rechts bis zum I. i^raemolaris reichend eine von
Schleimhaut überkleidete Geschwulst, welche die Zunge nacli rechts und hinten
verdrängt. Nach hinten reicht die Geschwulst linkerseits bis zum arcus palato-
glossns. Bei der Palpation überzeugt man sich leicht, dass die Geschwulst in
der Mundhöhle und jene unterhalb des Unterkiefers ein Ganzes bildet. Innen
ist sie bedeckt von der über der Geschwulst beweglichen iMundbodenschleimhaut,
welche in der Gegend des abgeflachten frennlnm lingnae verdünnt und weisslich
verfärbt ei’scheint. Unter dem Unterkiefer ist die Geschwulst bedeckt von der
etwas gespannten Plaut, dem Platysma, welche darüber beweglich sind, und den
ausgedehnten IMuskeln des Bodens der Mundhöhle. Auch diese scheinen etwas
über der Geschwulstoberfläche beweglich zu sein. Bei Schlnckbewegungen macht
<lie Geschwulst deutlich die Bewegungen des Zungenbeines mit. Die Geschwulst
ist weich, wenig elastisch, etwas teigig. Bei alternativer Pression kann man tlen
Inhalt der äusseren Geschwulst gegen die Mundhöhle und vice versa teilweise
verdrängen. Nach diesen Erscheinungen stellte ich die Diagnose auf eine
I)(‘rmoidcyste, welche wahrscheinlich aus einer medianen fötalen Inclusion ent-
stand und von da nach der regio snbmentalis und sul^maxillaris sich entwickelt
hatte. .\.m 28. April nahm ich die Exstirpation von einer medianen Incision,
welche vom Kinn bis gegen den Kehlkopf reichte und die Haut, das Platysma
durchtrennte und zwischen den IMnskeln auf den Cystensack eindrang.
Nun konnte ich den Cystensack, welcher nur durch lockeres Bindegewelje
mit der Umgebung in Verbindung stand, fast ganz stumpf niit Leicbtigkeit aus-
lösen und auch die Mundbodenschleimhaut ohne Verletzung ablösen. —
Die ausgewaschene grosse IMnndhöhle collabierte zum Teile. Die Muskeln
wurden bis auf den unteren Winkel mit Catgnt, Platysma und Haut zusammen
mit Seide bis auf den unteren 'Winkel vernäht. — Am Tage der Operation stieg
die Temperatur auf 38, am zAveiten Tage abends auf 38,2® C., sonst blieb sie
normal. Es erfolgte Heilung prima intentione. Am 5. i\Iai konnte Patient mit
vollkommen geschlossener Wunde und normaler Gestaltung der ^Mundhöhle ge-
heilt entlassen Averden. —
Herr Professor Chiari, welcher die Güte liatte, die Geschwulst zu unter-
suchen, gab folgenden Bericht an die Klinik ab; >Die Wand der Cyste durch-
schnittlich cirka 1 mm dick; in ihr stellenweise Haarbälge mit Haaren, Talg-
drüsen und »Schweissdrüsen. An ihrer Innenfläche eine typisch geschichtete Ejn-
dermis mit basalen Cylinderzellen und deutlichem Stratum granulosum.« Ich
i
266
Curl (TUHscn])Uuer.
bemerke noeh dazu, dass Avir an der Klinik den Cj'stensack untersuchten, in
demselben jedoch eine Narbe nicht vorfanden und deshalb annebmen mussten,
dass sowohl der eingefübrte Faden wie die Incision die Cystenwand nicht trafen.
In der entleerten breiartigen Flüssigkeit fanden Avir Haare, A’erhornte und fettig
degenerierte Plattenepithelien nebst körnigem Detritus.
X. Am 24. Juli 1891 Avurde die 23 Jahre alte ledige Magd Sch. M. Avegen
einer rechtsseitigen HalsgescliAvulst in die Klinik anfgenommen. Ihr Vater starb
an Schlaganfall, ihre Mutter an Lungenentzündung. Patientin Avar früher stets
gesund. Vor zAvei Jahren entstand ohne bekannte Veranlassung in ihrem rechten
oberen llalsdreieck eine kleine (TCschAvulst, Avelche langsam Avuchs, ohne ihr Be-
scliAverden zu A'erursachen. Patientin ist mittelgross, kräftig gebaut, gut genährt.
Im rechten oberen seitlichen llalsdreieck sieht man eine über faustgrosse Ge-
scliAvulst, Avelche \mm Ohrläp lachen, dasselbe etAvas emporhebend, längs des vor-
deren Randes des Kopfnickers bis gegen zAvei Querfinger über dem Schlüssel-
bein sich erstreckt, am hinteren Rande den Kopfnicker, das Platysma und die
Haut emporheht, nach A'orne nur v'on dem darüber heAveglichen Platysma und
der Haut bedeckt ist. Die GescliAvulst ist von der Unterlage beAveglich, AA'eich,
elastisch fiuctuierend, durchscheinend. —
In gut verlaufender Chloroformnarkose Avird am 29. Juli in typischer Weise
die Exstirpation der Gesclnvulst Amrgenommen. Die Ausschälung gelang leicht.
Die AVunde Avurde in toto A'^ermacht und ein KompressiAwerhand angelegt. Es
erfolgte reaktionslose Heilung per primam intentionem. Am 5. August konnte
1‘atientin nach Entfernung der Nälite mit Schutzverhand entlassen Averden. —
Die von Herrn Prof. Chiari Amrgenommene üntersirchung ergab den nun schon
(jft mitgeteilten Befund. Unter dem 15. NoA'emher 1891 berichtete Herr Professor
Chiari wie folgt: »Die AA^and der Cyste besteht aus faserigem BindegeAvehe,
Avelches in seinen inneren Lagen Amn reicldichem lymphatischem GeAvebe durch-
setzt ist, sodass dadurch förmliche LymjAhfollikel gebildet erscheinen. An der Innen-
fläche der Cyste geschichtetes PflastereiAithel mit basaler Cylinderzellenschichte.«
XI. Am 9. Mai 1892 wurde der 28 Jahre alte Über-Lampenanzünder
Avegen einer linksseitigen HalsgescliAvulst in die Klinik aufgenommen. Sein
\"ater starb an unbekannter Krankheit, seine Alutter an einem Brustleiden. Er
Avar früher nie krank geAvesen. A^or fünf Jahren bemerkte Patient in dem linken
oberen Halsdreieck vor dem KieferAvinkel eine kleine, Aveiche, schmerzlose Ge-
schAvulst, welche in Ader Jahren AAAlnussgrösse erreichte. Erst im letzten Jahre
Avuchs sie rascher bis zur jetzigen Grösse heran, ohne ihm BescliAA’erden zu A^er-
ursachen. IMan sah hei dem sonst gesund aussehenden jManne in der linken
seitlichen Halsgegend eine faustgrosse , Amn Haut , Platysma und dem Sterno-
mastol'deus l)edeckte Gesclnvulst, Avelche A’om Ohrläppchen bis zur Cartilago
thyreoidea, nach hinten bis an den Rand des Cucnllaris reicht. Die bedecken-
den AA'eichteile sind so Avie die GescliAvulst von der Unterlage verschieblich. Die
Geschwulst ist Aveich, elastisch, fiuctuierend, durclischeinend. Am 13. Mai Avird
die GescliAvulst in ruhiger Chloroformnarkose exstirpiert. Die Ausschälung der
Cyste geschieht ziemlich leicht, ohne dass die vena jug. int., über Avelcher <lie
Gesclnvulst auflagerte, mit einhezogen Avorden Aväre. Nach der Exstirpation
konstatiere ich, dass im Bereiche der GescliAvulst über der A^ena jugularis Lyniph-
drüsen nicht vorhanden sind. Nur am oberen Pole, dicht der Parotis anliegend
finden sich ZAvei nicht A'ergrösserte Lymphdrüschen. —
Die vollständig v^ernähte AVunde heilte prima intentione ohne Reaktion.
Am 19. Mai konnte Patient nach Entfernung der Nähte geheilt entlassen Averden-
Ein Beitrag zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
267
Der Cysteninhalt bestand aus einer weisslich gelben getrübten Flüssigkeit, in welcher
zahlreiche lymphoide Zellen, PlatteneiDithelienu. Cholesterinkrystalle enthalten waren.
Die Cystenwand erscheint an der inneren Oberfläche glänzend, stellenweise
}nit kleinen warzigen Erhabenheiten. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt:
Die Innenfläche ausgekleidet mit einem mehrschichtigen Plattenepithel, welches
bald nur gestreckt über das von lymphoiden Zellen durchsetzte fibröse Binde-
gewebe der Cystenwand dahinzieht, bald jedoch papilläre Excrescenzen desselben,
in welchen Lymphfollikel und Anhäufungen lymphatischen Gewebes eingestreut
sind, mit basalen Cylinderzellen, cubischen und abgeplatteten Zellen überkleidet.
In der V2 cm und mehr betragenden bindegewebigen Kapsel finden sich an
mehreren Stellen bis bohnengrosse Lyiuphdrüsen mit periiiheren Follikeln,
Lymphsinusen, Trabekeln und Markschläuchen.
Von den elf mitgeteilten Fällen von Halscysten sind zwei
(Fall I und IX) Derinoidcysten und die übrigen solche, welche
zwar eine epitheliale Auskleidung des Cystenrauines besitzen, in
der bindegewebigen Wand aber durch das Vorhandensein von
lymphatischem Gewebe, Lymphfollikeln oder auch Lymphdrüsen
sich auszeichnen. Unser zweiter Fall gehört wohl zu dieser letz-
teren Gruppe, da in dem Inhalte ausser Plattenepithelien noch
zahlreiche lymphoide und Leukocyten ähnhche Zellen sich vor-
fanden, ein Befund, der, was den Inhalt anlangt, für diese Art von
Cysten charakteristisch ist. Da aber in diesem Falle die Cyste
nicht exstirpiert wurde, so entzieht sich dieser Fall einer weiteren
Beurteilung in Bezug auf die Struktur der Cystenwand. Von dem
Fall VI besitze ich keine Angaben, weder in Bezug auf den In-
halt, noch in Bezug auf die Struktur der Cysten wand; ich kann
ihn daher, obwohl er klinisch nach seinen Erscheinungen gewiss
liieher zu zählen ist, nicht weiter berücksichtigen. Von den übrigen
habe ich ausser dem IV. Falle einer Halskiemenfistel, welcher
eigentlich eine fistula colli congenita cystica completa vorstellt,
noch die Fälle HI, VII, VHI und XI genau untersucht, während
mir über die Fälle IV, X nur die Ergebnisse der Untersuchung
durch Herrn Professor Chiari und im Falle V durch seinen Assi-
stenten Herrn Dr. Richter bekannt wurden.
Die weiteren Mitteilungen beziehen sich in Betreff der mi-
kroskopischen Befunde ledighch auf die von mir selbst unter-
suchten Fälle. Klinisch zeichnen sie sich gegenüber den als Der-
moiden (Lebert) oder nach HeschU) als Epidermoiden aufzufas-
senden sogenannten tiefen Atheromcysten , abgesehen von der
Konsistenz durch ihre Transparenz aus. Auch der Umstand ver-
dient besonders beachtet zu werden, dass sich ihre Entstehung
nicht an die Zeit des Körperwachstums bindet. In mehreren
BHeschl, Uel)er die Dermoid-Cysten. Prager Viertel-.Tahrssebrift für
pr. Heilkunde, 18(!0. (38. Bd. der ganzen Folge, p. .‘3(3.
268
Carl Gussenljauer.
unserer Fälle, sowie auch in solchen anderer Beobachter, sind die
Cysten erst nach Ablauf des 24. Lebensjahres entstanden. Da-
nach möchte es den Anschein haben, als wenn die Entwickelung
dieser Cysten mit dem normalen Wachstum der Gewebe nicht in
Zusammenhang zu bringen wäre. Doch könnte ein solcher Schluss
leicht voreilig sein, da es wohl möglich wäre, dass in den Geweben
auch nach scheinbar abgelaufenem Wachstum des Körpers, als
Ganzem, noch Veränderungen vor sich gehen, welche streng ge-
nommen nicht die Idee der Neubildung involvieren, sondern eine
kontinuierliche und successive Weiterentwickelung bedeuten können.
Ich habe hier ferner noch die Thatsache ganz besonders
hervorzuheben, dass nach den Exstirpationen dieser
Cysten über der Gefässscheide der vena jugularis interna
Lymphdrüsen nicht vorhanden sind. Ich habe nicht finden
können, dass irgend ein Beobachter auf diese Thatsache aufmerk-
sam gemacht hätte. Ich habe sie nun aber schon so oft kon-
statieren und demonstrieren können, dass ich überzeugt bin, ihrer
Konstanz in jedem neuen Falle zu begegnen. In Bezug auf die
mikroskopische Untersuchung dieser Art von Cysten habe ich fol-
gendes mitzuteilen. —
Den ersten Fall dieser Art habe ich noch als Assistent mei-
nes Lehrers Billroth an seiner Klinik im Jahre 1873 zu unter-
suchen Gelegenheit gehabt. Es war ein Fall einer tiefen Hals-
cyste, welche von Billroth exstirpiert worden war. Der Inhalt der
eröffneten Cyste bestand aus einer trüben weisslichen Flüssigkeit,
in welcher Plattenepithehen , viele den weissen Blutkörperchen
ähnliche Zellen (meine damalige Notiz) und Cholestearinkr}'stalle
nebst Fetttröpfchen enthalten waren. Die Wand war ungleich
dick. Stellenweise war sie nicht dicker als 3 mm. An der dick-
sten Stelle hatte sie aber fast 17? cm. Das Präparat wurde in
Müller’scher Flüssigkeit gehärtet. An Durchschnitten der AVand
von verschiedenen Stellen sah ich die innere Auskleidung der
Cyste bestehend aus einem mehrschichtigen Plattenejoithel, stellen-
weise papillare Erhabenheiten mit mehrschichtigem aus cubischen
und abgeplatteten Zellen bestehendem Epithel überzogen. In der
bindegewebigen Wand der C}'ste fand ich an den untersuchten
Stellen allenthalben lymphadenoi'des Gewebe, welches bis dicht
an das Epithellager heranreichte. An der dicksten Stelle der
Cysten fand sich Lymphdrüsengewebe, welches mit einer nach
aussen von Fettgewebe durchsetzten bindegewebigen Kapsel ab-
gegrenzt war. Von der bindegewebigen Kapsel durch Lymph-
sinuse getrennt, lagerten periphere Follikel, von denen mehrere
w
Ein Beitrai? zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
vergrössert erschienen. In diesen waren die Zellen grösser und
konzentrisch geschichtet, die Trabekel waren stellenweise von
lymphoiden Zellen durchsetzt. Uni die Markschläuche fand sich
allenthalben eine dichte Ansammlung lymphoider Zellen. Die
Zellen des Reticulum erschienen vielfach angeschwollen, ihre Kerne
vergrössert. — Durch diese Befunde wurde ich damals an die
Angaben Lücke ’s (1. c.) erinnert. Seitdem sind nun wiederholt
Cysten mit Lymphfollikeln in den Wandungen beschrieben wor-
den, am besten von Zahn (1. c.), welcher seine Beschreibung durch
instruktive Abbildungen illustriert. — Am lehrreichsten für das
Studium der Histogenese erwies sich der Fall III, weil er sich
durch die Entwickelung von multiplen Cysten auszeichnete, und
weil ich in diesem Falle, wie oben bereits erwähnt, sämtliche die
Cystenwand bedeckenden Weichteile mit excidiert hatte und dem-
nach in die Lage versetzt war, die Cysten wand in ihren Be-
ziehungen zu den umliegenden Geweben bis auf die Hautoberfläche
zu untersuchen. Mein damaliger (1884) Operationszögling, Herr
Doktor Patz eit, hatte den Tumor nach Konservierung mit dem
Mikrotom von verschiedenen Stellen in Serienschnitte zerlegt.
Diese ausgezeichneten Präparate dienen mir für die Beschreibung.
Man sieht an einem Schnitt von der Hautoberfiäche bis in
die Cystenhühle (Taf. I, Fig. 1), dass sich ausser der grossen mit
Epithel ausgekleideten Cyste im Bindegewebe mehrere kleinere und
grössere ebenfalls mit Epithel ausgekleidete Cysten befinden. Diese
letzteren sind von lymphadenoidem Gewebe umgeben. Verfolgt
man diese Cystenräume in aufeinanderfolgenden Serienschnitten,
so erkennt man, dass sie an der Peripherie überall von lympha-
tischem Gewebe umgeben sind, nirgends mit dem grossen Cysten-
raum Zusammenhängen. Daraus geht hervor, dass sich diese
Cystenräume innerhalb vom Lymphdrüsengewebe , welches an
vielen Stellen im Gewebe sich befindet, gebildet haben. Unter-
sucht man nun weiter die zerstreuten Ansammlungen von lympha-
denoidem Gewebe, die deutlichen Follikeln und wohlausgebildeten
Lymphdrüsen, so sieht man, dass wie dies die Fig. 2, 3, 4, 5,
Taf. I veranschaulichen, mitten in den Lymphfollikeln der Lymph-
drüsen sowohl, wie in dem lymphadenoiden Gewebe, welches mehr
weniger deutlich abgegrenzt im Bindegewebe zerstreut ist, eiDithel-
oide, konzentrisch geschichtete Zellen, welche sich durch Tinction
und Habitus von den umgebenden unterscheiden, aber ohne Gren-
zen in diese übergehen. — Stellenweise sind diese Zellen Epithel-
zellen ganz gleich (Fig. 3).
Es liess sich ferner nachweisen (Fig. (i), dass in Lymphdrüsen,
270
Carl Gussenbauer.
welche mit ihren wohlausgebildeten Kapseln von zellenreichem Fett-
gewebe umgeben, aneinander lagern, ganz ähnliche Veränderungen
in den peripheren Follikeln vorhanden sind, wie die erwähnten.
Dieselben Vorgänge lassen sich auch in dem lymphadenoiden
Gewebe, welches dem Epithellager der grossen Cyste dicht an-
liegt (Taf. II, Fig. 7), nachweisen. Auch in diesen entstehen
mitten in Follikeln Nester von epitheloiden und Epithelzellen,
deren Formen ineinander übergehen. Aus den isolierten und in
Lymphdrüschen vorhandenen Follikeln entstehen die Cystchen da-
durch, dass sich die aus den epitheloiden Zellen hervorgehenden
Epithelien mehr und mehr scharf von den an der Peripherie kon-
zentrisch und dichter gelagerten und vergrösserten Lymphzellen
abheben und schliesslich als ein zusammenhängendes Lager von
grossen cubischen und abgejDlatteten Epithelien entweder frei oder
noch im Zusammenhänge mit dem lymphadenoiden Gewebe den
Cystenraum erfüllen. An kleinen Cystchen besteht die Ausklei-
dung der Innenfläche entweder nur aus einer einfachen Lage ab-
geplatteter Zellen, an grösseren Cystchen ist dieses Epithellager
mehrschichtig und -finden sich an diesen schon papillenartige
Erhebungen mit einem geschichteten Plattenepithel und basalen
cylindrischen Zellen.
Am lehrreichsten sind solche Cystchen, welche entweder
durch einen schmalen zellenreichen Saum fibrillären Bindegewebes
oder durch lymphadenoides Gewebe getrennt aneinander lagern.
An diesen sieht man einen Saum lynij^hadenoiden Gewebes, in
welchem die vergrösserten Zellen nach beiden Seiten gegen die
Cystenräume allmählich in epitheloide und Epithelzellen über-
gehen (Taf. I, Fig. 15), ohne dass eine scharfe Abgrenzung vor-
handen wäre.
In dem grossen Cystenraume, sowie in den kleineren und
kleinsten finden sich zwischen den abgestossenen Plattenepithelien
und in denselben eine grosse Menge lymphoi'der Zellen. —
Endlich fanden sich in dem Falle VI in den Spalträumen
und Saftlücken des Bindegewebes der Cystenwand sowohl, als wie
im subcutanen Bindegewebe netzförmig ausgebreitete Zellenanhäu-
fungen (Taf. II, Fig. 13). Die Zellen, deren Habitus und Anord-
nung Fig. 14 veranschaulicht, sind allem Anschein nach aus Wuche-
rungen der Endothelien hervorgegangen.
Die Untersuchung der anderen Cysten ergab ganz gleiche
Befunde, nur mit dem Unterschiede, dass sich in dem Falle IV
der Halskiemenfistel und XI, von welchem mir Herr Doktor Fr.
Schwertasseck an der Klinik die Serienschnitte anfertigte, eben-
lOiii Beitrag zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
271
falls mehrere kleinere Cystclien in Lymphdrüschen und Lympli-
follikeln vorfanden, in den Fällen VII und VIII hingegen nicht.
Es mag sein, dass der Fall III, in welchem ein Fremdkörper
durch lange Zeit in der Cyste eingeschlossen lag, infolge der Rei-
zung die am weitest fortgeschrittenen Entwickelungsstadien auf-
weist. Gewiss wird man aber nicht die Reizung beschuldigen
können, die Bildung von Lymphdrüsen, Follikeln und lympha-
tischem Gewebe mit ihren weiteren Veränderungen veranlasst zu
haben. Es hat schon Zahn die Interpretationen Schedes gegen-
über Lücke als nicht zutreffend gekennzeichnet. In meinem
Falle III fehlten übrigens die Reizungserscheinungen merkwürdiger-
weise fast ganz, da sich keine diffusen Leukocytenanhäufungen
oder perivasculäre Zelleninfiltrationen nachweisen Hessen. Es
scheint, dass das mächtige Epithellager der grossen Cyste die
umgebenden Gewebe schützte, so dass nicht einmal Eiterung
eingetreten war.
Wenn ich das Resultat meiner Untersuchungen zusammen-
fasse, so kann ich aussagen, dass die mit Epithel ausgekleideten
Cysten innerhalb von lymphatischem Gewebe, und zwar in Lympli-
follikeln und in Lymphdrüsen sich entwickeln, und dass die Ent-
wickelung derselben aus dem lymphadenoiden Gewebe selbst
hervorgeht. Ich muss es dahingestellt sein lassen , ob dieses
lymphatische Gewebe den normalerweise über der vena jugu-
laris interna gelagerten Lymphdrüsen angehört oder nicht. Die
Thatsache, dass nach den Exstirpationen über der vena jug. int.
Lymphdrüsen nicht mehr vorhanden sind, sowie der Befund von
ganzen Lymphdrüsen in den Cystenwandungen möchte dafür
sprechen. —
Ich halte es aber auch für möglich, dass es sich in den vor-
liegenden Fällen um abnorme Anlagen handelt. Viele von den
Lymphfollikeln und den kleinen Lymphdrüschen gleichen embryo-
nalen Anlagen des lymphatischen Gewebes. Manche der peri-
pheren Follikel in Lymphdrüsen, in welchen die Zellen im Cen-
trum den Habitus von Epithelien haben, erinnern an die Thymus-
drüse, und man könnte sie bei isolierter Betrachtung für Teile
einer Drüse halten, wenn sie nicht Follikel wohlcharakterisierter
Lymphdrüsen wären.
Da in dem Falle IV (Fistula colli congenita cystica) seit der
Geburt eine Fistel bestand, die Geschwulst sich erst nach dem
30. Lebensjahre entwickelte, nachdem sich die Rachenmündung ge-
schlossen hatte und bei der Untersuchung der proximale Fistel -
gang von der Cyste aus bis an sein blindes Ende durchgängig war.
272
Carl Gussenbauer.
SO ist der brancliiogene Ursprung auch dieser Cysten wohl über
jeden Zweifel erhaben. Nur darf man sich nicht vorstellen, dass
es sich bei der Cystenbildung einfach um eine Erweiterung des
bestehenden Kanales nach seiner Abschliessung infolge von fort- |
dauernder Epithelproduktion handle. Ueber den Ursprung des |
grossen Cystenraumes in diesem Falle kann ich eine bestimmte j
Aussage nicht machen, sondern nur darauf hin weisen, dass j
auch in diesem Falle in der Cysten wand dicht bis an das Ej^ithel-
lager lymphadenoides Gewebe stellenweise ohne scharfe Ab- '
grenzung heranreichte, die kleineren Cystchen aber im Lymph- i
drüsengewebe ohne Zusammenhang mit der grossen entstanden I
waren, und dass in den Lymphfollikeln central epitheloide und
Plpithelzellen in Nestern sich vorfanden.
Ich weiss sehr wohl, dass ich mit meinen Angaben von der
Entwickelung des Epithels im Lymphdrüsengewebe und der Ent-
stehung der mit Epithel ausgekleideten Cystchen im Lymphdrüsen-
gewebe mit den gangbaren Anschauungen nicht übereinstimme.
Soweit ich mich in der Entwickelungsgeschichte der Kiemenspalten
und ihren Derivaten durch das Studium der einschlägigen und
mir zugänglichen Litteratur^) informieren konnte, habe ich keine
Anhaltspunkte auffinden können, welche einer Abstammung des
lymphadenoiden Gewebes vom Entoderm günstig wären. Es kann
mir nicht beifallen, auf einem Gebiete, auf welchem selbst die
erfahrensten Embryologen in Bezug auf die ersten Anlagen der
glandula Thymus, gl. thyreoidea, gland. carotica nicht einig sind,
irgend etwas aussagen zu wollen.
Aber es scheint mir nicht überflüssig, die Frage aufzuwerfen,
ob nicht das lymphadenoide Gewebe entodermalen Ursprungs
ist? Die Epithehen, welche die C3'Sten dieser Art auskleiden,
gleichen den aus dem Entoderm hervorgehenden vollständig. Die
Annahme einer multiplen und disseminierten Einlagerung von
Epithelkeimen in das Gewebe, um welche sich dann im Verlaufe
der Entwickelung^^ lymiDliadenoides Gewebe erst gebildet hätte,
scheint mir aber wegen der disseminierten Multiplicität der Epi-
thellager nicht zulässig.
L itterat ur.
' Kölliker. Entwickeliingsgeschichte. Leipzig, 187G.
^ O. llertAvig. Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte, I. Abteilung 188G,
U. Abteilung 1888. Jena.
® L. 8tieda. Untersuchungen über die EntAvickelung der gl. Thymus,
gl. thyreoidea und glandula carotica. Leii)zig, 1881.
^ W ö 1 1 1 e r. Ueher die Entwickelung und den Bau der Schilddrüse. Berlin, 1881.
Ein Beitrag zur Kenntnis der branelnogenen Geschwülste.
273
° S. Born. Heber die Derivate der enihryonalen Sclünndbögen und Scldund-
spalten bei Säugetieren. Arcb. f. inicrosc. Anatomie, F)d. 22 p. 271.
Pb. Fischelis. Beiträge zur Kenntnis nnd Entwickelungsgescliiclite
der gl. Thyreoidea und gl. Thymus, ibidem, Bd. 2ö ]>. 405.
^ N. Katsch enko. Das Schicksal der embryonalen Scblundspalten bei
Säugetieren, ibidem, Bd. 30 p. 1.
” AV. Hiss. Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig 1880 I. und
1882 n.
® W. Hiss, lieber den Sinus praecervicalis und über Tbymusanlage
Arch. f. Anatomie u. Physiologie. Separatabdruck.
W. II iss. Schlundspalten und Tbymusanlage, Arcb. f. Anat. u. Physiologie
Sepiiratabzug.
. " P. de. Menron. Recherches sur le düveloppement du Thynms et de
la glande Thyrotde. Geneve 188G.
C. Rabl. Zur Bildungsgeschichte des Huhns. Prager medic. Wochen-
schrift 188G Kr. 52 und 1887 Nr. 1.
** C. Rabl. lieber die Prinzipien der Histologie. Verhandlungen der
anatomischen Gesellschaft, 1889. Sonderabdruck.
Liessner. Ein Beitrag zur Kenntnis der Kiemenspalten und ihrer
Anlagen. Inaug.-Dissert. Dorpat 1889.
*■’' F. ]\I arch and. Beiträge zur Kenntnis der normalen und pathologi-
schen Anatomie der glandula carotica und der Nebennieren in Internationale
Beiträge zur wissenschaftlichen ^ledizin, Bd. I pag. 537. Berlin 1891.
R. Pal tauf. lieber Geschwülste der glandula carotica nebst einem
Beitrage zur Histologie und Entwickelungsgeschichte derselben. Beiträge zur
pathol. Anatomie uml allgem. Pathologie. Bd. XI. p. 2G0.
III. Braiicliiogene Carciiioiiie.
Wenn wir im oberen Halsdreieck eine Geschwulst finden,
welche von der Haut, dem Platysma und dem oberflächlichen Blatte
der tiefen Halsfascie bedeckt den grossen Halsgefässen aufliegt
und nach ihren Wachstumserscheinungen sowie den objektiven
Symptomen vom klinischen Standpunkte aus als ein Carcinom
betrachtet werden muss, so erhebt sich jedesmal die Frage, ob es
sich nicht um ein sekundäres Lymphdrüsencarcinom handelt.
Wenn dann die Untersuchung nach einem primären Carcinom in
der Haut, Schleimhaut oder einer Drüse negativ ausfällt, insbe-
sondere auch im Bereiche des Ohres, des Pharynx, Oesophagus
und des Kehlkopfes ein primäres Carcinom nicht gefunden werden
kann, dann erst ist man berechtigt, die Diagnose auf ein soge-
nanntes branchiogenes Carcinom im Sinne V o 1 k m a n n s zu
stellen.
Die Diagnose der sogenannten branchiogenen Carcinome stützt
sich also im Wesentlichen auf die Unmöglichkeit, ein primäres
Carcinom nachzuweisen.
Und selbst, wenn man trotz genauer Untersuchung nicht in
18
274
Carl Gusssenbauer.
der Lage ist, ein primäres Carcinom aufzufinden, und demnach ge-
zwungen ist, ein sog. branchiogenes Carcinom anzunehmen, so kann
man doch der Täuschung anheimfallen, wie ich selbst erst jüngst
erfahren habe und von andern schon wiederholt betont worden ist.
Es haben daher die sog. branchiogenen Carcinome für den
Kliniker ein ganz besonderes Interesse, abgesehen davon, dass
ihre Genese noch zu den dunkelsten Punkten der Pathologie
gehört. Für den Chirurgen sind sie aber noch überdies von
grosser Wichtigkeit, weil diese Carcinome schon frühzeitig sicli
mit den grossen Halsgefässen, dem Nervus vagus in Verbindung
setzen und ihre Entfernung dann zu den schwierigsten Aufgaben
des operierenden Chirurgen gehört.
Im Nachfolgenden will ich einen kleinen Beitrag zur Casuistik
der sog. branchiogenen Carcinome liefern.
I. Herr Br. J. (50 Jahre alt, ehein. Statthaltereibeainter, Hess sich am 10. Ok-
tober 1884 wegen einer Halsgescliwulst in die Klinik auf nehmen. Seine Eltern
starben im hohen Alter, ebenso sein Bruder. Er hatte im 35. Lebensjahre die
Blattern überstanden, sonst war er nie erheblich krank gewesen.
Vor ^/i Jahren bemerkte er am vorderen Rande des Sternocleidomastoideus
am Uebergange seines oberen in das mittlere Drittel eine schmerzlose, kirschen-
grosse Geschwulst. Dieses Geschwülstchen vergrösserte sich anfangs langsam,
aber stetig, erst in den letzten 3—4 Wochen wuchs die Geschwulst rascher und
erstreckte sich mehr in die Tiefe und nach hinten. Seit einem Monate nahm er
eine Erweiterung der oberflächlichen Halsvenen wahr. Seit 14 Tagen bemerkte
er über der ursprünglichen Geschwulst mehrere knotige und harte xinschwellungen.
Seit 3 Wochen leidet er an Atembeschwerden. In den letzten Wochen traten
bei ihm zeitweise gegen das Hinterhaupt ausstrahlende Schmerzen auf. Heiser-
keit oder Schlingbeschwerden oder eine Ohrerkrankung waren niemals, Husten
nur bei Katarrhen vorhanden.
Bei der Untersuchung fanden wir an dem für sein Alter robustem und
gut genährtem Manne eine mässige ^^ergrösserung der Schilddrüse und Dilatation
der Venen am Halse. Im rechten . oberen Halsdreiecke sah man am vorderen
Rande des oberen Drittels des Kopfnickers eine über taubeneigrosse Geschwulst,
über welche Haut und Platysma leicht, der musc. sternomastoideus nur Avenig
A'erschiebbar ist. Die GeschAvulst ist A’on der Unterlage A'erschiebbar. Am oberen
Pole der GescliAvulst erstreckt sich ein strangförmiger, A^er schiel )barer Fortsatz
in der Richtung gegen die Parotis. Die GescliAvulst ist hart anzufühlen. Ich
bemerke ausdrücklich, dass weder in der Haut, noch in der Schleimhaut der
Mund- und Nasenrachenhöhle, der Zunge, noch im Oesophagus, noch im Kehl-
kopf, noch in der Parotis, glandula submaxillaris, oder in der glandula thyreoidea
ein Carcinom aufzuflnden AA’ar. Die mässige SchilddrüsenA'ergrösserung war eine
gleichmässige und entsjArach einer Struma parenchymatosa mit Colloiddegeneration.
Nirgends Avar eine harte Stelle zu fühlen. Hörstörung bestand nicht, die Unter-
suchung des äusseren Gehörganges negatiA'. — GleicliAvohl AA'ar die Geschwulst
Avegen ihrer Härte, ihrem peripheren auf Nachbargewebe übergreifendem Wachs-
tum, soAvie der A^ergi-össerung mehrerer Lymphdrüsen als Carcinom zu betrach-
ten, und demnach als ein sog. bi-anchiogenes aufzufassen. Die ITntersuchung
Ein Beitrag zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
275
der Thoraxorgane ergab am Herzen nichts Abnormes. lieber beiden Lungen an
der Rückenseite des Thorax hört man etwas Schnurren. Im Harn keine ab'
normen Bestandteile.
Am 14. Oktober machte ich die Exstirpation. Mittels eines vom proc.
luastoideus beginnenden, am vorderen Rande des Kopfnickers bis zwei Quer-
finger über dem Sternoclaviculargelenk reichenden Schnitte, weicher Haut, Platysma
und das oberflächliche Blatt der fascia colli profunda durchtrennte, legte ich zu-
nächst den Tumor und nach unten die grossen Halsgefässe frei behufs Exstir-
pation der gl. lymph. cervic. profundae. Eine Schichte des über dem Tumor
aufliegenden Anteiles des Sternomastoideus musste wegen Verwachsung mit dem-
selben präparando entfernt werden. — Der Tumor selbst war mit der Scheide
der Vena jugulaiis innig verwachsen und konnte nur mit dieser entfernt werden.
Dabei wurde ein Venenast dicht an der Vena jugularis interna durchschnitten
und eine Wandligatur dieser angelegt. Der Tumor zeigte nun zwei Fortsätze,
einen nach hinten und oben, einen zweiten in der Richtung gegen das Zungen-
bein zum Grunde des oberen Elalsdreieckes unter dem musc. biventer. Beide Fort-
sätze werden exstirpiert und erweisen sich als harte Bindegewebsstränge , in
welchen vergrösserte und verhärtete Lymphdrüsen liegen. Bei der Exstirpation
waren viele Venenligaturen notwendig. Mit der Parotis hing der obere Gewebs-
strang nicht zusammen. Nachdem auch noch die unter der Kreuzung mit dem
Omohyoideus liegenden Lymphdrüschen entfernt waren, sieht man im Grunde der
■\Vunde das tiefe Blatt der Fascia colli profunda und die Vena jugularis interna in
ihrer ganzen Länge frei präpariert. — Parotis und Nervus vagus waren frei, mit
der Geschwulst nicht verwachsen. Nach gründlicher Sublimatauswaschung wird
die V'unde vernäht, am tiefsten Punkte drainiert. —
Der Verlauf war bis auf eine einmalige Temperatursteigerung am Tage
nach der Operation auf 38® C., etwas Bronchitis, Schmerzen bei Schlingbewe-
gungen und eine geringe Salivation an der Wunde reaktionslos. Am Tage nach
der Operation wurde das Drainagerohr entfernt. Die Salivation war am vierten
Tage nach der Operation bei Anwendung eines IMundwassers aus Kali chloricum
geschwunden, die Bronchitis unter Anwendung eines Infusum Ipecacuanhae ge-
bessert. Am 18. Oktober wurden die Nähte entfernt. Am 26. Oktober war aucli
die Drainageöffnung geschlossen. Am 28. Oktober verliess er mit vollständig
geheilter Wunde die Klinik.
Die Heilung dauerte indessen nur sehr kurze Zeit. Am 30. Dezember 1884
liess sich Patient wieder in die Klinik aufnehmen. Nachdem er die Klinik ver-
lassen hatte, befand er sich durch 4 Wochen wohl. Um diese Zeit trat eine
neue Anschwellung auf am oberen Ende der Oiierationsnarbe , welche sich in
wenigen Tagen nach unten verbreitete. Innerhalb 10 Tagen entstand, ohne dass
er Fieber gehabt hätte, eine weiche Geschwulst, welche dann aufbrach und eine
reichliche Menge eines breiigen Eiters entleerte. Er stand in ärztlicher Behand-
lung. Unter wiederholten Verbänden schloss sich die Perforationsöffnung. Es
entstand aber wieder eine Anschwellung, welche innei'halb von 2 Wochen sich
zur gegenwärtigen Grösse heranbildete. In den letzten Tagen, insbesondere in
der Nacht vom 29, auf den 30. Dezember bekam er grosse Atemnot, und traten
zeitweise Erstickungsanfälle auf. Schlingbeschwerden waren nicht vorhanden.
Ausserdem beobachtete Patient vor 10 Tagen in der rechten Leistengegend eine
haselnussgrosse Geschwulst, welche innerhalb dieser Zeit bis auf Hühnereigrösse
heranwuchs, ohne schmerzhaft zu sein.
Wir fanden nun den Mann sehr herabgekommen , der J*aniculus stark
27G
Carl Gussenbauer.
geschwunden, Muskulatur schlalf, blasse, graulich weisse Hautfarbe mit einem
leichten Stiche ins Gelbe. Sein Puls 120 — 130 p. M., arythmisch bei einer Körper-
temperatur zur Zeit der Aufnahme von 36,7 (am 29. Dezember abends), 36,2 am
30. Dezember morgens. Die Respiration ist mühsam, dabei frequent bis 60 p. M.
Anfallsweise kommt es, namentlich zu gewis.sen Stunden der Nacht (Patient war
am 29. abends eingetreten) zur hochgradigen Dyspnoe. An der rechten Ilalsseite
sieht man in der Mitte der Operationsnarbe einen länglichen, die ganze rechte
Halsseite stark hervorwolbenden harten Tumor, welcher mit der Operationsnarbe
verwachsen ist. lieber die Vorderfiäche und die seitlichen Partien des Halses
verlaufen bis auf Fingerdicke dilatierte Venen. Auch die glandula thyreoidea
erscheint angeschwollen. Sie reicht jetzt bis an das Sternum. Eine Dämpfungs-
zone über dem Sternum ist jedoch nicht vorhanden. Ausserdem fühlt man nun
die Halslymphdrüsen und zwar rechts die glandulae supraclaviculares, links die
gland. cerv. profondae et supraclaviculares soweit man sie durch die intumes-
cierten Weichteile nur ahtasten kann auf Erbsen-, Bohnen- und Haselnussgrösse
angeschwollen und härter. In der rechten Inguinalgegend ein kleinfaustgrosses
Lymphdrüsenpaket von harter Konsistenz, ein kleineres auch links zu tasten.
Bei der Auscultation des Thorax lässt sich ein fortgepflanztes Komi)ressions-
geräusch namentlich im Oberlappen der linken Lunge wahrnehmen (Herr Kollege
Professor Knoll, welcher den Patienten sah, stellte die Diagnose auf Compression
des linken Bronchus). Ausserdem hörte man über beiden Lungen, vorne wie
hinten, Schnurren und etwas Rasseln.
Wegen hochgradiger Dispnoe, welche sich im Verlaufe des Tages vom
30. Dezember steigerte , wird abends um 10 Uhr die Tracheotomia superior aus-
geführt. Bei der Operation mussten die beiden seitlichen stark intumescierteu
aber nicht verhärteten SchilddrüsenlapiDen auseinandergedrängt werden. Eine
erhebliche venöse Blutung erforderte mehrfache Ligaturen. Die Trachea fand
sich nach links und hinten verlagert. Nach Austamponierung der relativ grossen
Incision mit Jodoformgaze wird die Trachea eröffnet, worauf die Atmung sofort
erleichtert ist. Es wird eine dicke Canüle eingelegt, ein Infusum drgitalis 0,2
auf 200 verordnet und behufs Exspectoration kontinuierlicher Dami)fspray mit
Kochsalz in Anwendung gezogen und ein Infusum von Ipecac. verabreicht.
Am nächsten Morgen war die Respiration und Puls ruhiger und regelmässiger.
Es bestand reichliche Schleimsekretion aus der Trachea. Die Temperatur war
von 36,8 am Abend vorher auf 37,5 am Morgen, auf 38,3 am Abend gestiegen.
Es wurde deshalb der Verband gewechselt. Nnn sah man am unteren Wund-
winkel Schleim und Trachealsekret, die Haut unr die AVunde gerötet, geschwollen.
Es wird die AVunde mit Sublimatbäuschchen desinfiziert und ein feuchter A^erban«!
von Burow’scher Flüssigkeit angelegt. Trotzdem schritt die entzündliche An-
schwellung in der Nacht noch weiter, die Temperatur stieg auf 39,2 " C. AVegen
erschwerter Respiration musste am 2. Januar eine längere Canüle eingelegt werden.
Die Respiration wurde dadurch nur vorübergehend erleichtert. Alan hörte nun
über beiden Lungen starkes grosses und kleinblasiges Rasseln, die Exspectoration
nahm trotz A'erabreichung von Exspectorantien und Inhalation immer mehr al).
Um 9 Uhr abends trat Somnolenz und um 12 Uhr Nachts des 2. Januar unter
den Erscheinungen des Lungenödems der Tod ein.
Die Vornahme der Obduktion wurde von der Familie nicht gestattet.
Die mikroskopische Untersuchung des exstirpierten Tumors ergab den
Befund eines Plattenepithelialkrebses mit grossen Zellensträngen und Nestern
zmn Teil verhornter Zellen. Derselbe Befund liess sich in den Lymphdrüsen
Ein Beitrag zur Kenntnis der branohiogenen Geschwülste. ^ ^ <
nachweisen. Der Fall scheint mir, obwohl wir eine anatomische Untersuchung
post mortem vorzunehmen nicht in der Lage waren, ziemlich klar zu sein. Es
trat nach der Operation kontinuierliche Recidive in der Wunde und Umgebung,
Erweichung des Carcinoms und spontane Perforation, rasche Verbreitung des
Carcinoms in den Lymphdrüsen am Halse und des Mediastinum, ausserdem aber
IMetastasen auf dem Wege der Blutbahn wahrscheinlich von den Halsvenen des
Operationsgebietes auf. Die Tracheotomiewunde wurde durch das Trachealsekret
infiziert und dadurch entstand Entzündung der Wunde und der Umgebung,
welche das Fieber der letzten zwei Tage bewirkte.
II. Am 22. April 188G wird der 44 Jahre alte, vhr. Gerichtsdiener E. I. in
die Klinik wegen einer Geschwulst der rechten Ilalsseite aufgenommen. Der
IMann war nie erheblich krank gewesen. Im Herbste des Jahres 1885 bemerkte
er im rechten oberen Halsdreiecke eine etwa haselnussgi’osse Geschwulst, welche
er his dahin nicht wahrgenommen hatte. Beschwerden hatte er keine. Consul-
tierte Aerzte verordneten ihm Jodein})inselungen. Trotzdem wuchs die Geschwulst
stetig, zuerst langsam, seit Februar dieses Jahres rascher. Nun rieten ihm die
eonsultierten Aerzte die Excision. Wir sahen an dem sonst kräftigen gut ge-
nährten 3Iann im rechten oberen Halsdreieck zwei Ctm. vom Kieferwinkel ent-
fernt eine eigrosse, prominierende Geschwulst, welche A'on normaler beweglicher
Haut und dem ebenfalls verschiebbaren Platysma bedeckt ist. Der Sternomasto-
ideus, welcher den hinteren Abschnitt der Geschwulst bedeckt, ist mit ihr ver-
wachsen. Von dem unteren medianen Segment des Tumors lässt sich in der
Tiefe ein Strang in der Pichtung nach unten und vorne gegen den Kehlkopf
tasten. Die Geschwulst ist höckerig, hart, von der Unterlage beweglich.
Die Geschwulst konnte man ihrer Beschaffenheit nach nur für ein C’ar-
cinom halten, und da die LTntersuchung auf ein primäres Carcinorn ganz negativ
ausfiel, für ein branchiogenes. Am 23. April führte ich in Chloroformnarkose
die Exstirpation aus. Die Exstirpation verlief anfangs ruhig, wurde aber im
Verlaufe der Operation durch Vagusreizung wiederholt gestört.
Bei der Exstirpation musste der verwachsene Anteil des Kopfnickers nach
Durchschneidung mit entfernt werden. AVegen A'erwachsung der Geschwulst
mit der AVand der A"ena jugularis interna musste didse im Bereiche der Geschwulst
reseciert werden. Die vordere AVand der Scheide der Carotis musste gleichfalls
mit entfernt werden. Das Nenrilem des nervus vagus ist von der Geschwulst
angezogen und wird deshalb mit dem Alesser abpräpariert. Bei diesem Operations-
akte traten wiederholt unregelmässiger Puls mit Verlangsamung und darauf-
folgender Frequenzsteigerung ein, wobei auch die Atmung unregelmässig wurde.
Nacli A'ollendung der Operation wurde Puls und Atmung wieder regelmässig.
— Alit dem Tumor wurden mehrere Lymphdrüsen am oberen und unteren Pole
derselben und der gegen den Kehlkopf ziehende Strang entfernt. Desinfektion
der AVunde, A'ernähung. Der A’^erlauf war reaktionslos.
Das Ergebnis der von Herrn Prof. Chiari vorgenommenen mikroskopischen
Untersuchung der Geschwulst lautet: > Plattenepithelkrebs mit Perlkugeln von
dem Aussehen eines Epidermoidalkrebses.« —
HL Am 23. Aj^ril 1888 wird der 50 Jahre alte, verheiratete LThrmacher
Kr. A. wegen einer linksseitigen Halsgeschwulst aufgenommen. Seit mehreren
Jahren litt er an einem chronischen Gelenksrheumatismus. Er gebrauchte da-
gegen wiederholt die Kur in Teplitz. Seit 20 Jahren hat er Schmerzen im linken
Ohre nnd Ausfluss aus demselben. A"or 12 AA'ochen sistierte der Ausfluss und
er bekam Schmerzen im Ohre und in der Umgebung. Gleichzeitig bemerkte er
278
Carl Gussenbauer.
unter dem linken Kieferwinkel eine Geschwulst, welche sich ziemlich rasch ver-
grosserte. Es traten gegen das Hinterhaupt ausstrahlende Schmerzen hinzu, welche
ihm die Nachtruhe rauhten. — Er wurde mit Jodpräparaten erfolglos behandelt.
In der Familie des Patienten kommen Geschwulsthildungen nicht vor.
An dem grossen, kräftig gebauten Manne von gelhlichgrauer Hautfarbe
bemerkte man bei der Inspektion der Mundhöhle, dass die im Volumen etwas
kleinere linke Zungenhälfte beim Ausstrecken der Zunge zurückbleil)t , während
die rechte Hälfte hervorgestreckt wird. Dadurch krümmt sich die Zunge etwas
nach links. —
In der Mitte der linken Halsseite, von der Höhe der Cartilago cricoidea
bis zwei Querfinger ül^er dem Jugulum ist eine apfelgrosse Geschwulst sichtbar,
welche die Schlingbewegungen deutlich mitmacht. Bei der Palpation konstatiert
man eine aus mehreren, sehr harten, rundlichen Knollen zusammengesetzte, bis
gegen die Trachea nach vorne, nach oben bis in das Halsdreieck, nach hinten
bis zum Cucullarisrande , nach unten bis an die Insertion des Sternocleido-
mastoideus sich erstreckende, fast knorpelhafte Geschwulst, über welclier der
Sternomastoideus vorläuft und mit ihr verwachsen ist. An der hinteren Peri-
pherie sind einige der Geschwulst auflagernde vergrösserte Lymphdrüsen nacli-
weisbar. Die Stimme des Kranken ist etwas belegt, im KehlkojA jedoch niclits
Abnormes nachweisbar. Der Schlingakt nicht gestört. Die otoskopische Unter-
suchung konstatierte ein fast vollkommenes Fehlen des linken Trommelfells his
auf eine dem hinteren unteren Segmente entsprechende Leiste, in deren Mitte
ein Granulationspfropf aufsitzt. Fast vollkommener Defekt der Gehörknöchelchen.
In der Paukenhöhle reichliches cholestearinhaltiges Sekret.
Bei der craniotympanischen Schallleitung pi’ävaliert die Gehörsemiifindung
auf der linken Seite. Die Schilddrüse ist nicht vergrössert, ihr linker Lappen
lässt sich von der Geschwulst abgrenzen. — Die Untersuchung der Brust- und
Bauchorgane lässt nichts Abnormes nachweisen. Ln Harn Spuren von Eiweiss,
kein Zucker. —
Die Diagnose in diesem Falle schien mir besonders schwierig zu stellen.
Ich dachte zunächst an ein sekundäres Lymphdrüsencarcinom , nach einem Car-
cinom des inneren Ohres. Da aber die Untersuchung keinen Anhaltspunkt er-
gab, so musste ich diese Meinung wieder aufgeben. Ich dachte ferner an ein
Carcinom in einem aberrierten Schilddrüsengewebe und endlich an ein branchio-
genes Carcinom.
Da mir die Geschwulst, wenn auch voraussichtlich mit Schwierigkeit, als
operabel erschien, so schritt ich am 25. April zur Operation. Kuhig verlaufende
Chloroformnarkose, 240 Gramm widirend der 1V+ Stunden dauernden Operation.
Ein Schnitt längs des vorderen Randes des Kopfnickers vom proc. mastoideus
bis zur artic. stern. clavic. durch die Haut und Platysma legt zunächst die Tu-
moroberfläche bloss. Die mit deni Tumor verwachsene Partie des Kopfnickers
Avird durch eine Längsincision im Muskel am Tumor haftend Umschnitten. Hier-
auf erfolgt die Lostrennung des hinteren Tumorabschnittes bis an den Rand
des Cucullaris; dabei zeigt sich, dass auch die lamina lorofunda der tiefen Hals-
fascia mit an die Geschwulst herangezogen ist, sie wird al)präpariert, sodass die
iMuskulatur an der WirlAelsäule freiliegt. Nach Durchtrennung des sterno-hyoi'deus
et sterno-thyreoideus sin. lässt sich die Geschwulst von der glandula thyreoi'dea,
deren Kapsel nicht verändert erscheint, und von der Trachea und dem Larynx
ohne Schwierigkeit abtrennen. Der obere Al)scbnitt des Tumors kann erst nach
Durchtrennung des musculus l)iventer, Ligatur der art. et ven. thyreoi'deae super.,
lun Beitrag zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
279
der art. lingualis und Durchsehneidung des nerv, hypoglossus herauspräpariert
Averden. Nun erst begann ich die Exstii’pation von unten her. Dabei zeigt sich,
tlass die Yen. jug. int. in dem Tumor bereits aufgegangen ist. Sie wird dicht
über dem Schlüsselbein doppelt unterbunden durchschnitten. Nun zeigt sich
weiter, dass nicht nur die Scheide der Carotis communis, sondern auch ihre
Wand an einer kreuzergrossen Stelle mit der Geschwulst verwachsen war. Sie.
wird daher ebenfalls doppelt unterbunden durchschnitten. Weiterhin zeigt sich,
dass auch der nervus vagus und sympathicus der GescliAvulst adhärieren. Ich
durchtrennte nun zunächst das Neurilem des Vagus, präijarierte die Geschwulst
mm frei bis in das obere Halsdreieck über den Unterkieferwinkel hinauf, ligierte
in dieser Höhe: vena jug. int., carotis externa und interna, und konnte nun die
ganze Geschwulst entfernen. Vena jug. int. und Carotis wm-den in einer Länge
von 8 cm reseciert. — Da am nervus vagus, wie die Untersuchung zeigte, noch
Geschwulstreste haften blieben, so nahm ich nachträglich nach Entfernung der
ganzen Scheide noch eine Längsexcision im Nerven vor, ohne seine Continuität
zu durchtrennen. Weder am Puls noch in der Respiration waren irgend welche
bemerkbare Erscheinungen Avährend dieses Operationsaktes aufgetreten. Endlich
exstirpiei'te ich mittels eines am vorderen Rande des Cucullaris geführten Au-
xiliarschnittes, Avelcher die Forsa supraclavicularis blosslegte, die daselbst A'or-
handenen Lymphdrüsen samt dem Fettgewebe, sodass der plexus bracliialis frei
dalag. —
Die ausgewaschene Wunde wurde bis auf den unteren Mundwinkel ver-
näht, diese durch Jodoformgazestreifen drainiert und ein Kompressivverband an-
gelegt.
Ueber den weiteren Verlauf berichte ich in Kürze folgendes:
Nach dem Erwachen aus der Narkose ist der Kranke im stände zu sprechen,
sein Bewusstsein ist iingetrübt, keine Lälnnungen ]iac!nveisl)ar. Vier .Stunden
nach dem Envachen, etwa fünf Stunden nach Vollendung der Operation, traten
folgende Erscheinungen auf: Protrusion des rechten Bulbus, rechtseitige Abdu-
censlähmung, bedeutende Verengerung der linken Pupille gegenüber der rech-
ten, Tiefstand des rechten ^lundwinkels, leichte Benommenheit des Sensoriums,
Aphasie; der Kranke vermag nur undeutliche SprachbeAvegungen auszufübren,
ohne Artikulation, Hemiplegie der rechten Körperhälfte. Blasenlähmung. Aljends
Puls 120, Respiration 28 p. M. Temi). 36,8“ C. Entleerung des Harnes mit
Catheter. Am nächsten Tage bestanden dieselben Erscheinungen fort, nur die
Pupillendifferenz hatte sich ausgeglichen. Es trat zweimaliges Erbrechen auf, die
Expectoration ist mangelhaft. Es wird ihm dreimal im Tage mit dem Schlund-
rohr Nahrung gei'eicht und ein Infus. Ipecac. verabreicht. Am Nachmittag
frequentere Atmung. Die Temperatur, Avelche am ^lorgen noch 36,8” C. betragen
hatte, stieg auf 37,5” C. Am 27. Aj)ril Avar am ^lorgen nach einer unruhigen Nacht
ad basim der rechten Lunge-Dämpfung, bronchiales In- und Exspirium nach'
Aveisbar. Es trat bei gesteigerter AteiiAfrequenz zunehmende Dispnoe auf und
am Nachmittag um ein Uhr unter den Erscheinungen des Lungenoedems der
Tod ein. Die Temperatur hatte am Morgen 38,0” C. betragen. Aus dem am
28. April von Herrn Professor Chiari erhobenen Obduktionsbefunde teile ich die
pathologisch-anatomische Diagnose mit, da sie alles Wesentliche enthält.
»Thrombosis arteriae carotidis internae sinistrae et arteriae fossae .Sylvii
sinistrae nec non arteriae corporis callosi sinistrae subsequente emollitione
hemisphaerae cerebri sin. post ligaturam art. caroti<lis communis sin. inter exstir-
pationem carcinomatis branchiogenis colli lat. sin. Carcinoiua secundarium jnd-
280
Cmi üussenbaiier.
nionis dextr., Oedeina glottidis, Pneuiuonia lobularis bilateralis, Ol^esitas univer-
saÜ!<, iNIorb. Brightii cbron.« (Alcobolisiuus clironicus.)
lieber die Untersuchung der Geschwulst berichtete Herr Professor Chiari
an die Klinik; »Hehr derber Drüsenkrebs mit ziemlich hochgradiger Nekrose.«
Herr Professor Chiari hatte überdies noch die Güte, das linke innere Ohr zu
untersuchen und mir darüber folgendes zu berichten: »Die Präparation des linken
(fehörorganes ergab den Befund einer alten Otitis media mit Perforation des
Trommelfelles, Hineinwacbsen der Epidermis in das Carum tympani, Verdickung
der Hcbleimhaut des Mittelobres und Hclerose des Warzenteiles des Schläfen-
beines. Carcinom fand sich im Olire nirgends.«
Ich bemerke noch, dass die ATunde reaktionslos verklebt war. —
IV. Am 18. Februar 1889 wird der 47 Jahre alte, vlir. Oekonom Ku. J.
wegen eines linksseitigen Halsturmors in die Klinik aufgenommen. Sein A'ater
starb infolge einer Verletzung, seine Mutter an unbekannter Krankheit, seine
Geschwister sind gesund. Er war bisher stets gesund gewesen.
Am 1. November 1888 bemerkte er ein erbsengrosses, hartes, bewegliches
Knötchen hinter dem linken IJnterkieferwinkel. Dieses wuchs stetig, anfangs
langsam trotz Jodbehandlung, in den letzten AA'ochen ausserordentlich rasch »von
Tag zu Tag sichtbar«. Ausser einem Gefühle von Spannung, heftigen Kopf-
schmerzen besonders in der Nacht, hatte er keine Beschwerden davon. Er Avar
nie inficiert. Patient ist gross, kräftig gebaut, gut genährt. Paniculus adiposus
reichlich entwickelt. Die Untersuchung der Brust und Bauchorgane ergiebt normale
A'erhältnisse, mit Ausnahme, dass die Herzdämpfung etwas lateral vergrössert
erscheint. Der erste Ton an der puhnonalis accentuiert. Puls voll, rythmisch
72 p. M. An der linken lialsseite ein vom OhrläpjAchen und dem Cucullarisrande
bis 2 Querfinger über dem Brust-Schlüsselbeingelenke, nach A’orne bis fast zur
Kinngegend reichender kindskopfgrosser Tumor, Avelcher sich a’Ou der Parotis und
dem Unterkiefer deutlich abgrenzen lässt. Der Sternomastoideus zieht A’crbreitert
über der GeschAA’ulst und ist mit ihr straff A^envachsen. Die GeschAvulst ist als
Ganzes nur ein geringes seitlich A'on der Unterlage verschiebl)ar. Der Tumor ist
an der Oberfläche hart anzufühlen, in der Tiefe scheint am hinteren Abschnitten
desselben ein Aveicherer fast fluctuierender xinteil zu bestehen. Die Untersuchung
der Mund- und Nasen-Höhle, des Oesophagus, Larynx und des Ohres , der Parotis
submaxillaris et glandula thyreoidea negatiAV
Der Tumor konnte nach seiner Beschaffenheit nur als ein Carcinom be-
trachtet Averden und mit Bezug auf seine Entstehung im oberen Halsdreieck
und seine Beziehungen zu den umgebenden GcAveben ein branchiogener sein.
Obwohl die Geschwulst nur wenig beweglich war, so hielt
ich die Operation doch noch für möglich und führte dieselbe am
21. Februar in ruhig verlaufender Chlorofornmarkose aus.
Da in diesem Falle der obere Anteil des Sternomastoideus
entfernt werden musste, der Tumor fast bis in die Kinngegend
reichte, so legte ich die Geschwulst mit dem von mir seit 1879
oft gebrauchten Flügelschnitt ') bloss. Der erste Schnitt verläuft
*) Bei H. Kicbard: Ueber die GescliAVülste der Kiemenspalten (1. c.) finde
ich, dass auch von Bruns in dem zehnten Falle (pag. 204) einen dreieckigen
Lappen bildete. Nur verlief bei ihm der ZAA^eite Schnitt gegen die Halsmittel-
linie und nicht bis zur Kinnmitte.
Ein Beitrag zur Kenntnis der branchiogenen Geschwülste.
281
längs des vorderen Randes des Sternomastoideus seiner ganzen
Länge nach, auf diesen schräg oder im Bogen ein zweiter von
der Mitte des Kinnes bis zur Mitte des Sternomastoideus. Da-
durch wird ein Hautlappen umschrieben, dessen Basis dem ganzen
Unterkieferrande entspricht. Wird dieser Hautlappen in Verbindung
mit dem Platysma abpräpariert und hinaufgeschlagen, so legt man
damit die Submental-, Submaxillar- und Parotisgegend bloss und
kann nun übersichtlich und rein die notwendigen Exstirpationen
ausführen. Handelt es sich um sehr ausgedehnte Geschwulst-
exstirpationen und um die Entfernung sämtlicher Halslymphdrüsen
einer Seite, so ist es zweckmässig, diesen Elügelschnitt in einen
Kreuzschnitt zu verwandeln oder gleich von vornherein so anzulegen.
In diesem Falle verläuft der zweite Schnitt von der Mitte des
Kinnes geradlinig oder bogenförmig bis zum acromialen Ende
der clavicula und durchtrennt Haut, Platysma und den Sterno-
mastoideus ungefähr in seiner Mitte, wenn man ihn erhalten kann.
Dadurch werden vier Lappen gebildet, welche abpräpariert nach
oben , nach vorne , nach unten und nach hinten gelegt werden.
Auf diese Weise ist es möglich, die ganze seitliche Halsgegend mit
einem Male zu überblicken und anatomische Präparationen bei
Geschwulstexstirpationen auszuführen. Kann man den Sterno-
mastoideus erhalten, so wird er nachträglich mittels Catgutnaht
vereinigt. Ich habe diese Operationen bei sekundären Lymj)h-
drüsencarcinomen, bei Lymphdrüsensarcomen und auch bei sehr
ausgedehnten tuberkulösen Lymphdrüsen nun schon sehr oft aus-
geführt. In einigen Fällen habe ich diese Operation in einer
Sitzung auf beiden Plalsseiten ausgeführt. Ich kann sagen, dass
sich mit dieser Methode zu operieren keine andere Art der Schnitt-
führung in Bezug auf eine möglichst gründliche Exstirpation ver-
gleichen kann. Als einzigen Nachteil habe ich einige Male am
Musculus sternomastoideus ein kleines Stück nekrotisch werden
sehen , ohne weitere Folge. Ich erwähne hier dieser Operations-
methode gelegentlich, um Kollegen, welche vielleicht noch nicht
selbst darauf verfallen sind, die Operation ausgedehnter Halsge-
schwülste, insbesondere aber die Exstirpation verwachsener Hals-
lymphdrüsengeschwülste dadurch zu erleichtern.
Näht man eine solche Wunde vollständig oder mit Drainirung
der unteren Wundwinkel, so ist der grösste Teil der Narbe durch
die Kleider gedeckt, der vordere Schnitt beim Manne durch den
Bart, und es bleibt nur der obere Anteil des Schnittes am M. Ster-
nomastoideus sichtbar. In Fällen, wo der Sternomastoideus wegen
Verwachsung und Miterkrankung entweder in toto oder partiell
282
Carl Gussenljauer.
mit entfernt werden muss, habe ich störende Kontrakturen nicht
gesehen, am wenigsten bei seiner Totalexstirpation, in geringem
Grade bei partiellen Excisionen aus seiner Mitte.
In Bezug auf den vorliegenden Fall bemerke ich, dass bei
der Präparation des oberen Lappens an einer Stelle die Haut
bereits mit dem Tumor verwachsen war, ich musste ein 4 cm
langes, 3 cm breites Stück der Haut in schräger dem Unter-
kieferrand parallel verlaufender Richtung excidiren. Den Flügel-
schnitt musste ich in einen Kreuzschnitt verwandeln, da der hintere
erweichte Anteil leicht zerreisslich war und eine Präparation im
völlig gesunden Gewebe nur mit einer ganz freien Blosslegung
der Region möglich erschien. Die Vena jug. int. musste über
der Clavicula reseciert werden. Von der Carotis communis liess
sich der Tumor nur mit ihrer Scheide ablösen. Der nervus vagus
war in die Geschwulst einbezogen und musste in einer Ausdeh-
nung von 6 cm reseciert werden. Dabei traten keine Vagus-
erscheinungen auf.
Nunmehr konnte der Tumor mit sämtlichen Lymphdrüsen
und dem Fettgewebe der fossa supraclavicularis nach oben ge-
schlagen werden. Nach Unterbindung der Aeste der Carotis ex-
terna zeigt es sich, dass diese selbst an die Geschwulst eingezogen
ist. Sie whd daher über der Teilungsstelle ligiert und durch-
schnitten. Nun wird die Vena jugularis bis zum Foramen jugulare
frei präpariert und daselbst abgebunden. Nun zeigt sich noch
ein Strang nach Innen und Vorne von der Jugularis interna,
welcher neben der Carotis interna gegen die hintere Rachen-
wand zieht. Auch dieser wird bis an sein Ende an der Schädel-
basis verfolgt und dort mit der Hohlschere abgeschnitten, ohne
dass eine Blutung erfolgte. Nun wird die ganze Wunde mit
Sublimat ausgewaschen, bis auf die unteren, mit Jodoformgaze-
streifen drainierten Winkel vernäht und ein Kompressivverband
angelegt. Die ganze Operation hatte Stunden in Anspruch ge-
nommen. Bis auf Schmerzen beim Schlingen, geringe Heiserkeit
die ersten zwei Tage , vermehrte Schleimsekretion aus den
Bronchien, war der Verlauf reaktionslos. Am 27. Februar wurden
die Jodoformgazestreifen und die Nähte entfernt. Der genähte
Teil der Wunde war prima intentione geschlossen. Am 18. März
wurde Patient nach weiterem reaktionslosem Verlauf geheilt ent-
lassen. Ueber das Resultat der mikroskopischen Untersuchung
berichtete Herr Professor Chiari: »Mit reichlichem, derbem Struma
versehenes Carcinom mit polymorphen Ej)ithelzellen.«
V. Am 4. Juli 1891 -wird der 55 Jahre alte, vhr. Beamte Pf. A. wegen
Kin Beitrag zur Kenntnis der ijranchiogenen Geschwülste.
283
einer linksseitigen Halsgeschwulst aufgenommen. Sein Vater starb an Schlag-
fiuss, seine Mutter an Cholera, sein Bruder leidet an Hermiplegie, zwei Schwestern
sind gesund. Patient machte vor ungefähr 20 Jahren eine Bauchfellentzündung,
später Gelenksrheumatismus durch. Im Jahre 1849 überstand er die Cholera.
Im vorigen Jahre erkrankte er an Influenza verbunden mit Kippenfellentzündung.
Iin Winter dieses Jahi’es bemerkte Patient ein haselnussgrosses Knötchen unter
der Haut der linken Xackengegend. Bald traten heftige Schmerzen lokal und
ausstrahlend in dem linken Arm auf. Kach einiger Zeit traten in der Umge-
hung andere Knötchen auf, welche confluierten und ein rasches AV'achstum zeigten.
Es wurden dem Patienten Salben und innerlich Arsen verordnet. In der letzten
Zeit ist Patient sehr herabgekommen, er leidet an heftigen Kopfschmerzen,
welche ihm die Nachtruhe rauben.
Wir fanden au dem mittelgrossen Manne von starkem Knochenbau, gut
entwickelter iMuskulatur, schmutzig grauer Hautfarbe, welche deutlich so wie die
Conjunctiva einen Stich ins gelbe zeigt, im linken oberen Halsdreieck, vom
Processus mastoideus bis vier Querflnger über der Clavicula herabreichend, einen
Tumor, welcher von Haut, Platysma und dem Sternomastoideus bedeckt ist. Der
Muskel sowohl Avie die Haut mit dem Tumor fest verwachsen, die letztere in
der Mitte des Tumors bläulich-rötlich verfärbt. Der Tumor von der Unterlage
nicht im geringsten verschieblich. Der Tumor ist an seiner Oberfläche höckerig,
in der Haut darüber und im Kopfnicker kleine Knötchen A’on Hanf- und Erbsen-
(h-össe zu fühlen. Die supraclavicularen Lymphdrüsen etwas vergrössert und
so Avie der ganze Tumor hart anzufühlen. Dieser Tumor konnte seiner -Be-
schaffenheit nach nur für ein Carcinom gehalten Averden, und da die Unter-
suchung auf ein primäres Carcinom ganz negativ ausfiel , Avieder nur für ein
sog. V)ranchiogenes. Die Untersuchung der inneren Organe ergab nichts Abnormes.
Temperatur normal. Mit Rücksicht auf die feste VerAvachsung des Tumors an
der Wirbelsäule schien mir die Operation nicht mehr ausführbar. Ich entliess
daher den Patienten mit dem Kate, Arsen Aveiter zu nehmen.
Ich führe den Fall, obAvohl ich nicht einmal den BcAveis erbracht habe,
dass der Tumor ein Carcinom war, trotzdem hier an, Aveil ich nicht den gering-
sten ZAveifel darüber hege, dass dieser Tumor etAvas anderes sein könnte. Die
Erscheinungen für ein Carcinom Avaren zu prägnante.
VI. Am 19. Dezember 1891 wird der 65 Jahre alte A'erheiratete Fabrik
arbeiter D. W. wegen eines rechtseitigen Halstumors in die Klinik aufgenommen.
Sein Vater starb an AltersscliAväche, seine iMutter in ihrem 47. Lebensjahre an
einer Lungenentzündung. Patient hat drei gesunde Kinder und erinnert sich
nicht, jemals erheblich krank gewesen zu sein. In seiner Familie sind GescliAvulst-
bildungen nicht beobachtet Avorden. Vor einem Vierteljahr bemerkte er eines
Tages beim Waschen im rechten oberen Halsdreiecke eine etAva nussgrosse Ge-
scliAvulst, Avelche rasch bis zu ihrer jetzigen Grösse heran Avuchs. Seit 4 — 5 AVochen
hat er Schmerzen, Avelche gegen das rechte Ohr und in den Hinterkopf aus-
strahlen, häufig bei der Naht exacerbieren , so dass er nicht schlafen kann.
SchlingbescliAverden hat er nicht. In der letzteren Zeit ist er etAvas abgemagert.
Alan sieht an dem mittel grossen, kräftig gel)auten, aber mageren Alaune
von schmutziggrauer Hautfarbe im rechten oberen Halsdreiecke und insbesondere
in der Alitte des Sternomastoideus am meisten hervorspringend einen gänseeigrossen
Tumor. Die Haut ist über dem Tumor unverändert und lässt sich abheben,
der Sternomastoideus in seiner Alitte mit dem Tumor fest verAvachsen. Der
Tumor macht dii* SchluckboAvegungen nicht mit und erscheint \'on der Unterlage
284
Carl Gussenbauer.
frei versohieblieh. Die Venen der Fossa siipraelavicnlarii!* und axillaris er-
scbeinen dilatiert. In der Fossa suj^traclavicularis inelirere harte Lymi^h dräschen
zu fühlen. Der Tumor selbst ist hart, höckerig, iin medialen Anteile eine weichere
elastische »Stelle zu fühlen. Die Untersuchung nach einem primären Carcinom
fällt negativ aus. Die Untersuchung der Thorax- und Unterleibsorgane ergiebt
normale Verhältnisse.
Da in diesem Falle die Flauptmasse des Tumors hinter dem Sternomastoi'deus
in der Tasche gegen den Cucullaris gelagert war, der Sternomastoideus voraus-
sichtlich zum grössten Teil mit entfernt werden musste, so verfuhr ich bei der
am 22. Jiezember in ruhiger Chloroformnarkose vorgenommenen Oi^eration wie
folgt. Ein Schnitt vom processus mastoideus bis zum Sternum am vorderen
Kande des Kopfnickers und ein von da längs der clavicula bis zum acromion
geführter Schnitt umschreiben einen Lai^pen, Avelcher Haut, Platysma resp.
Fascie enthält und abpräpariert bis zum vorderen Kande des Cucullaris und nach hinten
umgelegt, die ganze Kegion blosslegt. Der Sternomastoideus wird an der unteren
Insertion durchtrennt und in toto mit der Geschwulst in Kontinuität his zu
seiner ol)eren Insertion reseciert. Die Vena Jugularis int. wird in einer
Länge von 10 cm reseciert, aus dem nervus vagus wird in einer Länge von
2 cm die Hälfte seiner Fasern samt der Scheide derselben recesiert, da sowohl
diese wie der Nerv in seiner Substanz von Geschwulstmasse durchsetzt ist.
Diese Nervenresektion hatte inter operationem keine Vaguserscheinungen zur
Folge. Die Scheide der Carotis ist an den Tumor herangezogen, doch nicht
durchwachsen, sie wird abpräpariert. Bei dieser Präparation über der Clavicula
kommt es zu einer arteriellen Blutung, welche durch Komi^ression mit einem
Jodoformgazetampon provisorisch gestillt wird, bis nach Vollendung der Ope-
ration.
Die ausgewaschene Wunde wird bis auf den inneren unteren und äusseren
unteren Wundwinkel vernäht. In die Wundwinkel werden Jodoform gazetamj:)ons
eingelegt und verbunden.
Der Verlauf war bis auf geringe Temperatursteigerungen auf 38° C. am
Abend des zweiten Tages und 38,2° C. am Abend des vierten Tages reaktionslos.
Am 29. Dezember wurde der Verband gewechselt, die Tampons und Nähte ent-
fernt. Die vernähte Wunde war prima intentione vereinigt. Die drainierten Wund-
winkel granulierten rein, ^"on da an sank die Temperatur zur Norm.
Am 9. Januar 1892 konnte Patient mit einem kleinen Granulationsstreifen
entsprechend dem äusseren unteren Wundwinkel in Wohlbefinden entlassen
werden. Ueber das Resultat der mikroskoiiischen Untersuchung äusserte sich
Herr Professor Chiari wie folgt: »Plattenepithelcarcinom mit Perlkugeln. Viel-
fach Nekrose der Krebsmasse.«
Ausser diesen Fällen sind an der Klinik noch zwei Fälle von Halscarci-
nom beobachtet worden, welche von den geschilderten typischen Fällen ver-
schieden waren, welche aber bei der nachträglichen Untersuchung sich als wahr-
scheinlich branchiogene erwiesen.
VH. Am 14. Juni 1891 48 Jahre alter IMann aufgenommen. In der linken Sub-
maxillargegend ein fast gänseeigrosser Tumor von Haut und Platysma bedeckt,
von <ler glandula submaxillaris zum Teile gut abgrenzbar, ihr aber dicht an-
liegend, den vorderen Rand des Sternomastoideus nicht erreichend, von glatter
Oberfläche, hart anzufülden, von der Unterlage verschiebbar. Diese Geschwulst
hatte sich bei dem sonst gesunden Manne ohne bekannte Veraidassuug seit
einem halben .Tabre entwickelt, war anfangs langsam, erst in der letzten Zeit
Ein Beitrag zur Kenntnis der Ijranehiogenen Gesehwülste.
285
rascher gewachsen , ohne ihm besondere Beschwerden zu verursachen. Ich
schwankte in der Diagnose. Zunächst daciite ich an ein sekundäres Lyniph-
drüsenearcinom nach einem Careinom der glandula submaxillaris. Da aber diese
Drüse von der Geschwulst trotz ihrer Grösse noch gut al^grenzljar war und auch
sonst nirgends ein primäres Carcinom aut'zufinden war, so musste ich diese
Meinung aufgeben. Für ein branchiogenes war die Geschwulst, nach dem was
ich gesehen hatte , viel zu weit nach vorne gelagert. Ich sprach daher die
^Meinung aus, es könnte sich um tuberkulöse submaxillare Lymphdrüsen handeln
mit fibröser Induration der Kapsel. Bei der am 16. Juni vorgenommenen Exstir-
pation zeigte es sich indessen, dass der Tumor, welcher mit einem bogenförmigen
Schnitt blossgelegt wurde, mit der glandula submaxillaris und dem musc. biventer
zusammenhing. Ich entfernte daher auch diese Gebilde im Zusammenhänge
mit der Gescliwulst bis auf das tiefe Blatt der Fascia colli profonda. Die ver-
nähte Wunde heilte prima intentione. Am 24. Juni wurde Patient geheilt
entlassen.
Herr Professor Chiari hatte die Güte, mir über das Kesultat seiner Unter-
suchung folgenden Bericht zur Verfügung zu stellen ;
»Ein fast gänseeigrosser Tumor, mit welchem die umgebenden Muskeln
und die Submaxillardrüse mit entfernt worden war. Auf dem Durchscbnitte er-
scheint derselbe wie eine Neubildung. jMikroskopisch erwies sich der Tumor
als ein Plattenepithelkrebs, der mit reichlichen Perlkugeln versehen war und in
die angi'enzenden Partien der gl. submaxillaris liineingewachsen war. Ich meine,
dass das ein branchiogenes Carcinom gewesen ist.«
VUI. Am 4. Januar 1892 wird ein 58 .fahre alter, vhr. Lokomotivführer
in die Klinik wegen rechtsseitiger Halsgeschwulst aufgenommen. Er stammt
aus gesunder Familie, überstand vor 13 Jahi’en einen acuten Gelenksrheumatismus
und war damals 6 INIonate bettlägerig. Sonst war er gesund. Im August 1891
bekam er unterhalb des rechten Unterkieferwinkels eine nussgrosse, bei Berübrung
schmerzhafte Geschwulst, welche sich langsam vergrösserte, seit dem 1. .Januar
sich aber um das doppelte ihres früheren Volumens vergrösserte trotz vieler
Salben und Medikamente, welcbe ihm verordnet worden waren. Vor 14 Tagen
hatte er durch mehrere Tage Fieber mit Fnisteln. Seitdem hatte er keinen
Appetit und will abgemagert sein.
AVir fanden an dem grossen, gut genährten, mit starkem Paniculus adiposus
verselienen jNIanne mit geröteter Hautfarbe im Gesichte die Gegend des rechten
Unterkieferwinkels und des Halses diffus angeschwollen bis zur Grösse einer
Faust. Die Haut über der Geschwulst nicht wesentlich verändert, verschiebl.)ar.
Das Ohrläppchen erscheint etwas abgehoben. Die Geschwulst als Ganzes vom
Unterkiefer wenig, von dem unteren Bande der Parotis verschiebbar. Die Ge-
schwulst ist weich, stellenweise teigig, in den unteren Partien fast fluctuierend.
Die ganze Geschwulst ist schon bei leisem Drucke schmerzhaft. Ueber den
Lungen hört man überall vesiculares Atmen. Bei der Auscultation des Herzens,
dessen Dämpfung etwas verbreitert ist, hört man im ersten Aloment ein lang-
gezogenes schabendes Geräuscb, im zweiten einen dumpfen Ton. Im Harn weder
Eiweiss noch Zucker. AVähi-end einer viertägigen Beobachtung keine Temperatur-
steigerung.
In Bezug auf die Diaginjse war ich in diesem Falle sehr zweifelhaft. Es
konnte sich nach dem Befunde um eine chronische Lymphadenitis oder um ein
erweichtes Carcinom handeln. Da die Parotis in ihrem ganzen oberen und
vorderen Abschnitte von dem Tunujr gut abgrenzbar war, keine Facialisparese
286
Carl Gusseubauer.
bestand, so schien ein Parotiscarcinona nicht wahrscheinlich. Für ein branchio-
genes schien der Sitz gleichfalls nicht zu entsprechen. Andererseits waren di(*
Schmerzen, die weiche, stellenweise teigige Konsistenz mit einer Lymphadenitis
vereinbar.
Bei der am 8. Januar zunächst in Chloroform , später wegen Unregel-
mässigkeit im Puls in Aethernarkose ausgeführten Oi^eration zeigte es sich jedoch
bald, dass ein erweichtes Carcinom vorlag. Mittels eines 6 cm langen, am
vorderen Rande des Sternomastoideus verlaufenden Schnittes wurde die Geschwulst
blossgelegt. Zuerst präsentierte sich eine angeschwollene Lymphdrüse, welche
entfernt wurde. Nach unten und gegen den Kiefer bestanden zwei mit trüber
Flüssigkeit erfüllte Höhlen mitten im erweichten Geschwulstgewebe. Ich musste
nun mittels eines zweiten auf den ersten schräg gericliteten Schnittes die ganze
Gegend frei legen, um dann die unterhalb der Parotis hegende Geschwulst ent-
fernen zu können. Der untere Winkel der WMnde blieb offen. Der Verlauf war
reaktionslos. Nach der Operation war das Ohrläppchen und die rechte Wange
unempfindlich. In der Wange kehrte die Empfindlichkeit zurück. Am 20. Fe-
bruar wird er mit geheilter Wunde entlassen.
Die mikroskopische Untersuchung durch Herrn Professor Chiari ergab:
>Fibröses Plattenepithelcarcinom. «
Die Heilung war nur eine scheinbare. Schon nach einem Monate kam er
wieder in das Ambulatorium der Klinik mit einem manifesten, ausgedehnten
Recidiv, welches sich über den Hals erstreckte, sämtliche Lymphdrüsen, den
Kopfnicker und die Haut ergriffen hatte und weil es fest am Halse aufsass, nicht
mehr operiert werden konnte. Er stellte sich noch öfters vor, wurde anämisch,
hatte ein chachectisches Aussehen und verfiel sichtlich. Ende März starb der
Mann in seiner Wohnung, nachdem er noch Schlingbeschwerden bekommen batte,
im Zustande äusserster Anämie und Schwäche.
Diese mitgeteilten Fälle von brancliiogenen Garcinoinen sind
klinisch besonders deshalb interessant, weil sie zeigen, dass diese
Carcinome verhältnismässig sehr früh mit den grossen Halsgefässen
und mit dem Nervus vagus in Verbindung treten. IMerkwürdig
ist, dass die Excision von carcinomatös erkrankten Vagusstücken
nicht notwendig Vagusersclieinungen zur Folge hat. Ich habe
diese Erfahrung auch bei der Exstirpation sekundärer Lymph-
drüsencarcinome und anderen Tumoren des Halses gemacht. Es
scheint, dass durch die Erkrankung des Nervus vagus in seiner
ganzen Dicke sowohl, wie eines Teiles desselben eine allmähliche
Gewöhnung an den Ausfall der regulierenden Funktion dieses
Nerven stattfindet.
jMeine histologischen Untersuchungen dieser Carcinome habe
ich bis jetzt nicht zum Abschlüsse bringen können, und muss ich
dermalen darauf verzichten, darüber zu berichten.
Beiträge zur Lehre vom Schild-
drüsenkrebs
von
l)r. Hermann Hinter stoisser,
Primararzt in Teschen, Schlesien.
„Nulla aiitem est alia pro certo noscendi via,
nisi qnamplnrimas et morbornm et dissectionum
historias , tum aliorum tum proprias collectas
habere, et inter se comparare.“
Morgagni: De Sed. et caus. morb.
lib. IV Prooemium.
Eine Reihe kasuistischer Mitteilungen, wie auch monograplii-
scher Arbeiten der letzten Jahre haben erwiesen, dass der Krebs
der Schilddrüse keineswegs so selten vorkomme, als man vor kaum
einem Dezennium anzunehmen pflegte. Dennoch erscheint es an-
gezeigt, neues Material zusammenzutragen, um die anatomische
Kenntnis dieser Krankheitsform der Schilddrüse zu erweitern ^). Die
bisherige Erfahrung lehrt, dass die maligne Neubildung am häu-
figsten in präexistierendem Strumagewebe, aber ebensowohl, wenn-
gleich \del seltener, in vorher unveränderten Schilddrüsen sich
entwickle. Man thut daher besser, nach Analogie mit den an-
deren Organen für alle Fälle von einem Krebs der Schilddrüse
und nicht von einem Kropf krebs zu sprechen, entgegen dem Ge-
brauche der meisten Autoren, welche mit dem Ausdrucke Struma
carcinomatosa eine besondere Kropfart bezeichnen wollen.
Auf die freundliche Anregung meines hochverehrten Lehrers
Professor Dr. Planns Kund rat unternahm ich es, sämtliche Fälle
*) Die folgende Skizze macht keineswegs den Anspruch, das Kapitel des
Schilddrüsenkrebses in umfassender kritischer Darstellung mit erschöpfender
Benützung der vorhandenen kasuistischen Litteratur zu behandeln ; ich sah mich
im Gegenteil sogar mit Rücksicht auf unbeeinflusste Einheit der Darstellung
veranlasst, von der Benutzung kasuistischen ^laterials ganz abzusehen.
288
Hennann Hinterstoisser.
von Schilcldrüsenkrebs , welche in den verflossenen 10 Jahren iin
Wiener pathologischen Institute zur Obduktion gekommen, zu-
sammenzustellen. Es sind dies im ganzen 50 Fälle, bei einer
Summe von 1869 Carcinomen unter 18147 Sektionen, während des
genannten Zeitraumes von 1882 — 1891. Eine Uebersicht des ge-
samten Carcinommaterials , welche sich bei Durchsicht der Pro-
tokolle ergab, füge ich in der folgenden Tabelle bei. (S. S. 291.)
Die primären Carcinome der einzelnen Organe sind hier nacli
ihrer ziffermässigen Frequenz aneinandergereiht. Es beansj^rucht
diese Tafel weniger ein allgemein statistisches als vielmehr ein
rein lokales Interesse, indem sie beredte Streiflichter auf die reiche
Fülle des Materiales unseres jDathologischen Institutes wirft. Der
Umstand, dass namentlich an Kliniken nur auserlesene Fälle zur
Aufnahme gelangen, und inoperable nur unter besonders berück-
sichtigungswerten Verhältnissen usque ad exituni in Behandlung
bleiben, erklärt die im Gegensatz zur klinischen Statistik unver-
hältnismässig niedrige Ziffer gewisser sehr häufiger Carcinome
z. B. der Haut, der Mamma etc. Hingegen dürften diejenigen
Carcinome, welche erfahrungsgeniäss, den Krankheitserscheinungen
und dem Verlaufe nach, den Ruf besonderer Bösartigkeit recht-
fertigen, der Ziffer und dem Perzentsatz nach sehr wohl mit den
klinischen Statistiken übereinstimmen. — Aus den jährlichen Durch-
schnitten ergiebt sich, dass unser Carcinommaterial circa ein Zehntel
sämtlicher Obduktionen ausmacht, eine Ziffer, welche in Bezug auf
die übrigen letalen Krankheitsprozesse gewiss als auffällig gross
bezeichnet werden muss. Desgleichen ist in dem zehnjährigen
Zeitraum eine stetige Zunahme der Frequenz zu verzeichnen. Es
ist vielleicht nicht zu weit gegangen, diese Zunahme mit einer
anderwärts, namentlich in England statistisch erwiesenen Zunahme
der Häufigkeit der Krebskrankheit in Einklang zu bringen.
Ich wende mich nun zur näheren Besprechung der Fälle von
Schilddrüsenkrebs. Er nimmt die zwölfte Stelle der Frequenz-
tabelle ein. Nur noch die Carcinome des Pancreas, der Leber
und der Luftwege reihen sich ihm mit niedrigeren Ziffern an. ln
Bezug auf sämtliche beobachtete Carcinome ergiebt sich für den
Schilddrüsenkrebs die Ziffer von 2,6 o/o, in Bezug auf die Gesamt-
q Es fällt mir selbstverständlich "anz und gar nicht bei, die Carcinomfreqnenz-
zablen etwa in Vergleich zu bringen mit den unter der Bevölkerung AViens herr-
scbenden Krankheiten, zumal ja der allergeringste Teil der Fälle ?a\ den P^e-
wobnern Wiens gehört. Ans demselben Grund ist auch aus der Frequenz der
Scbilddrüsencarcinome keinerlei Rückschluss erlaubt, wo doch AVien erwiesenor-
massen keine Kropfgegend ist.
Beitrüge 7Air Lehre vom Schilddrüßenkrebs.
289
Carcinome.
1882
188.3
CO
00
1885
cc
ao
T— (
1887
1888
55
X'
1890
1891
Summe
Percent.
I. Klagen.
48
27
62
53
46
45
60
61
50
51
503
26,9
II. Uterus.
25
14
27
30
23
32
28
39
32
33
283
15,1
III. Oesophagus.
12
12
16
17
9
27
16
18
19
20
166
8,8
IV. Gallen wege.
11
12
12
8
7
12
15
3
13
19
21
112
5,9
V. !Mund, Eachen,
Zunge, Kehlkopf,
Speicheldrüsen.
7
14
6
9
6
7
16
11
13
110
5,8
VI. Eectuin.
4
10
8
8
12
8
9
19
14
16
108
5,7
VII. Uebriger Darm-
tract (Dickdarm).
10
9
• 8
8
8
9
5
11
14
19
101
5,4
VIII. Urogenitaltract.
9
15
6
5
8
15
9
11
13
5
96
5,1
IX. Ovarium.
4
9
11
8
6
7
11
12
14
14
96
5,1
X. ^lamma.
5
12
10
8
10
10
7
7
12
8
89
4,7
XI. Hautdecke.
1
9
7
12
4
5
9
9
5
6
67
3jO
XII. Schilddrüse.
5
2
3
2
6
8
9
4
7
4
50
2,6
Xni. Pancreas.
4
2
6
4
4
5
2
5
3
2
37
1,9
XIV. Leber.
2
4
3
5
3
3
1
6
3
—
30
1,6
XV. Luftwege.
(Lunge, Bronchien)
1
1
—
—
3
2
2
3
3
6
21
1,1
Summe
148
152
185
177
155
195
199
219
215
224
1869
100
Summe aller
Obduktionen.
1784
1802
1768
1782
1618
1750
1920
2040
1873
1810
18147
Carcinome
jährliches Percent.
8,3
8,4
10,5
9,9
9,5
11,2
10,3
10,7
11,4
12,3
10,2
V.)
290
Hermann Hinterstoisser.
summe der Sektionen die Ziffer von 2o/oi!. Unter den 50 Fällen
befinden sich 28 Männer und 22 Weiber. Bezüglich des Alters
betreffen das
HL
Dezennium 1
Fall
. . 1
Mann \'on
29 Jahren,
IV.
V
9
Fälle
. . 6
Männer, 3
Frauen,
V.
r
13
V
. . 7
n 6
71
VI.
r
16
r
. . 9
„ 7
J7
VH.
r
8
. . 5
„ 3
r
VHI.
r
3
V
. . —
3
11
Summe :
50
Fälle
. 28 Männer 22 Frauen.
grösste
Frequenz
fällt also
auf
das V. und VI. Dezennium
(40. — 60. Lebensjahr). Als Altersgrenzen finden sich beim Manne
das 29ste und das 65ste, beim Weibe das 34ste und das 77ste
Lebensjahr.
In der grossen Mehrzahl unserer Fälle handelte es sich um
hochgradig abgemagerte Individuen , die den ausgesprochensten
Charakter der Krebskachexie trugen. Die Grösse der Schilddrüsen-
geschwülste selber aber variierte zwischen sehr verschiedenen
Grenzen. Zumeist allerdings findet sich wie bei gutartigen Kröpfen
der Hals mehr oder minder monströs verdickt; in selteneren Fällen
ist die Vergrösserung der Schilddrüse eine ganz unauffällige, sodass
die Krebserkrankung intra vitam latent geblieben ist. 14mal war
der linke, 18mal der rechte Schilddrüsenlappen hauj)tsächlichster
Sitz der Neubildung. In 17 Fällen war die Drüse mehr oder
minder gleichmässig betroffen; einmal war der Isthmus ausschliess-
lich erkrankt. Es ist schon erwähnt worden, dass es sich zumeist
um sehr umfangreiche Tumoren handelte, von Gansei- bis IManns-
kopfgrösse; ihre Oberfläche ist durch zahlreiche knotenförmige
Vorsprünge knollighöckerig, oder es finden sich solitäre Geschwülste
von glatter kugeliger Oberflächengestaltung. Der freie Lapi^en ist
relativ selten von normalem Umfang, sondern zeigt sich meist
vergrössert durch eingelagerte solitäre Adenomknoten, oder durch
diffuse Colloidkropfbildung. In einigen Fällen wurde eine kleine
Schilddrüse angetroffen, an welcher an einer ganz unbedeutenden,
leicht übersehbaren Partie die krebsige Neubildung nachzuweisen
war. Derlei unscheinbare primäre Herde stehen in gar keinem
Verhältnisse zu der Entwicklung von oft sehr beträchtlichen meta-
statischen Geschwülsten in entfernten Organen und zu den Ge-
schwülsten der regionär inficierten Lymphdrüsen am Halse oder
im Mediastinum etc. Ein derartiger Fall — primärer Herd im
Isthmus — sei im Folgenden angeführt.
Beitrüge zur Lehre vom Schilddrüsenkrebs.
291
Bahner Anna, 34 Jahre alt, verh. Die Patientin wui’de im August 1889
an die Klinik Nothnagel aufgenommen. Aus der Krankengeschichte sind folgende
Daten bemerkenswert. Seit circa fünf Monaten bestehen konstante heftige Kopf-
schmerzen und Schwindelgefühl sowohl in aufrechter Stellung als in der Ruhelage,
zunehmende Gedächtnisschwäche, Verschlechterung des Sehvermögens an beiden
Augen. St. praes. Sprache mühevoll, Silbenstolpern ; Sensorium getrübt. Links-
seitige Facialisparese, bilaterale Stauungspapille, Sehschwache bis zur totalen
Amaurose. Die motorische Kraft namentlich auf der linken Körperhälfte stark
herabgesetzt. Muskellähmungen beider Bulbi. — Unter stetiger Zunahme sämt-
licher Störungen tritt nach dreimonatlichem Krankenlager der Exitus ein. Die
klinische Diagnose wurde auf »Tumor in reg. corpor. quadrigem. et thalami
optici dext.« gestellt.
Die Sektion ergab folgenden Befund: (Obducent Prof. Kundrat) Prot. Nr.
1797 vom 28. Nov. 1889.
Anat. Diagn. : Carcinoma fibrosum glaud. thyreoideae (ad isthmum) subsequ.
carcinomate cerebri multiplice cum usura cranii.
Körper mittelgross, von gracilem Knochenbau, hochgradig abgemagert, blass,
welk, trocken, dunkel pigmentiert. Thorax breit, gewölbt, Mammae flach, schlaff ;
Unterleib kahnförmig eingezogen. In der Kreuzgegend und am rechten Trochanter
oberflächlicher Decubitus. Schädeldecken sehr blass, Schädeldach sehr geräumig,
lang, von gewöhnlicher Dicke, compakt, an der inneren Fläche allenthalben sehr
tief usuriert. Harte Hirnhaut sehr stark gespannt; die inneren Hirnhäute zart.
Hirnwindungen stark abgeplattet. Am Uebergang des 1. Schläfenlappens in den
Hinterhauptlappen eine haselnussgrosse grubige Vertiefung und ein ebensogrosser
der Dura fest ansitzender Tumor von griesig-körnigem Bau, weissröthcher Farbe.
Das Gehirn ziemlich blutreich; in demselben zerstreut mehrere erbsen- bis
haselnussgrosse Knoten einer ähnlichen Aftermasse, wie der Tumor an der Dura
sie zeigt, nur reicher an medullärem Saft und in den centralen Partien stärker
verfettet. Grössere solide Tumoren finden sich in der zweiten Stirnwindung
linkerseits und ein etwa nussgrosser in der ^Markmasse der linken vorderen
Ceutralwindung, während alle übrigen Knoten ganz oberflächlich sitzen. Aussei'-
dem findet sich im Vierhügel , dessen rechte Hälfte besonders im vorderen
Anteil stark vorgewölbt erscheint, ein nussgrosser solider Knoten, nur von einer
bis 3 mm dicken Schichte der Vierhügelmasse überdeckt, und überdies ist am
1. Plexus chorioideus eine etwa halbbohnengrosse, wurstförmige, weisslich-griesige
Masse anzutreffen. — Die Ventrikel etwas erweitert. Schädelbasis ausserordent-
lich stark usurirt.
Die Schilddrüse etwas vergi’össei’t, grobkörnig, colloid, in ihrer Commissur
an einer nicht über haselnussgrossen Stelle ohne scharfe Abgrenzung substituiert
durch eine weisse, im Ceutrum sehr dichte, von Fettreticulis gesprenkelten,
milchigen Saft gebenden Aftermasse, die auch oberflächlich fest mit der Trachea
verwachsen ist.
Histologisch: C. scirrhosum des Isthmus der Schilddrüse.
Die metast. Knoten im Hirn zeigten auffälligerweise die schönste Aus-
bildung des Cylinderzellenkrebses mit Entwicklung von sehr hohen Epithelzellen ;
Intiltration der perivasculären Lymphwege. (Die Gefässe mit wohlerhaltenen
Wandungen sind um wuchert von einem mehrschichtigen Kranz der schönsten
Cylinderzellen.)
Von ganz besonderer Wichtigkeit für die Frage der oft eigen-
tümlichen metastatisclien Ausbreitung der Neubildung erscheint
292
Hermann Hinterstoisser.
das Verhalten der Schilddrüsenkapsel zu sein. Sehr gewöhnlich,
selbst bei umfangreichen Geschwülsten, findet sich die Bindegewebs-
kapsel in ihrem ganzen Umkreise völlig intakt, nirgends von der
Neubildung durchwachsen; dieselbe kann zwar durch chronisch
entzündliche Prozesse beträchtlich verdickt sein, lässt sich aber
von dem Zellgewebe der Nachbarschaft allseits isolieren. Dieses
Verhalten wurde in nicht ganz der Hälfte unserer Fälle ange-
troffen, Dieser eigentümlichen Beschaffenheit, der Resistenz der
Kapsel gegenüber der intracapsulär wuchernden Neubildung soll
weiter unten noch gedacht werden. — In vielen anderen Fällen
allerdings hat die Kapsel der andrängenden Zellenwucherung nicht
standgehalten, findet sich von der Neubildung durchwachsen und
in untrennbarem Zusammenhang mit Nachbargebilden.
Die Durchschnittsfläehe der Krebsgeschwülste zeigt ein sehr
mannigfaches Aussehen, nicht selten einen exquisit lappigen Bau.
Bald finden sich knotenförmige, in die Drüse eingebettete Herde
aus markigen, seltener fibrösen Neubildungsmassen bestehend, bald
auch sind ganze Lappen, oder selbst die ganze Drüse mehr min-
der gleichmässig von Neubildungsgewebe infiltriert und bis auf
wenige corticale Reste substituiert. Das Stroma der Neubildung
stellt zuweilen ein mehr minder dickbalkiges Netzwerk fibrösen
Bindegewebes dar, dessen Lücken die weissröthchen, weichen Neu-
bildungsmassen erfüllen; doch ist ein feines, zartes Stroma vor-
herrschend. Oft grenzt sich die Neubildung gegen das Schilddrüsen-
parenchym durch eine breite Lage faserigen, derben Bindegewebes
ab ; zumeist fehlt wohl eine solche scharfe Grenze. Die Neubildungs-
masse selbst ist oft sehr reich vascularisiert, von Hämorrhagieii
durchsetzt, von gelbrötlicher Farbe; in centralen Partien teils ver-
fettet, teils anämisch-necrotisch ; sie birgt nicht selten grössere oder
kleinere, mit zerfiiessendem Detritus und zerbröckelndem Inhalt
erfüllte Hohlräume. In anderen Fällen zeigen die grösseren Knoten
eine deutliche, charakteristisch radiäre Streifung des markigen, grau-
weissen Gewebes. Auf die verschiedenen regressiven Veränderungen
kann hier nicht weiter eingegangen werden.
Von besonderer Wichtigkeit sind ferners die mannigfachen
Beziehungen des Schilddrüsentumors zu den Nachbarorganen. Ana-
tomisch ist zu unterscheiden das Verhältnis des eigentlichen pri-
mären Schilddrüsentumors und das der sekundären Geschwülste
zu den Nachbarorganen am Halse, Unterschiede, welche klinisch
häufig nicht auseinander zu halten sind.
Annähernd in demselben Verhältnisse wie beim gutartigen
Kropfe ist auch beim Krebs der Schilddrüse die Luftröhre zu
Beitrüge zur Lehre vom Schilddrüsenkrebs.
293
allermeist schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ganz gewöhnlich
finden sich innige Verwachsungen der Geschwulst oder ihrer Kapsel
mit der Luftröhrenwand durch derbe, fibröse, schwielige Binde-
gewebsmassen, mehr minder ausgedehnte seitliche Verdrängungen,
und die verschiedenen Formen der bald einseitigen, bald bilateralen
oder allseitigen Druckwh’kung : wie seitliche Abplattung ; bilaterale,
sagittale Kompression (Säbelscheidentrachea, Demme), frontale Ab-
plattung, welche Kocher besonders den malignen Neubildungen zu-
schreibt; auch circuläre Kompression der allseitig von der Geschwulst
umscheideten Trachea wurde mitunter angetroffen. Die krebsige
Infiltration und die Perforation der Luftröhre durch proliferieren-
des Neubildungsgewebe ist hingegen ein verhältnismässig sehr
seltener Befund beim Schilddrüsenkrebs, jedenfalls viel seltener
als beim Sarcom der Schilddrüse. Dies muss schon deshalb be-
sonders hervorgehoben werden, weil gerade die Handbücher der
pathologischen Anatomie einen häufigen Durchbruch des Schild-
drüsenkrebses in die Luftröhre anzuführen pflegen. Es sei daher
hier nochmals konstatiert, dass gerade das umgekehrte Verhältnis
besteht, indem eben die Carcinome selten, die Sarcome ganz ge-
wöhnlich die Luftröhre durchwachsen. In den wenigen Fällen
von Durchwachsung der Trachealwand handelte es sich entweder
um diffuse krebsige Infiltration der Schleimhaut von oft sehr
weiter Ausdehnung, oder um Bildung dissemierter medullärer
Knötchen. Die Bildung von grösseren, endotrachealen Tumoren
wurde in unseren Fällen nur einmal angetroffen.
Im Falle 25 (Care, cylindrocellulare) ragte von der 1. seithehen
Wand der Trachea eine etwa haselnussgrosse, zapfenförmige, in-
tensiv rote, feinhöckerige, wie facettierte Geschwulst von breiter
Basis ausgehend in das Lumen, die mit der aussen am Halse
befindlichen in direktem Zusammenhang stand. Infiltration und
Perforation der Luftröhrenwandung finden sich in sechs Fällen
verzeichnet, darunter war auch dreimal die Schleimhaut der Hinter-
wand des unteren Kehlkopfabschnittes mit betroffen. Einmal
reichte die kreb.sige Schleimhautinfiltration bis an die Stimm-
bänder hinauf, und einmal zeigte sich die Luftröhren- und Kehl-
kopfschleimhaut bis an die Epiglottis hinauf mit zahlreichen me-
dullären Knötchen bedeckt; die Knorpelringe der Luftröhre fanden
sich in unseren Fällen stets frei von der Neubildung.
An den Lageveränderungen nimmt wohl gewöhnlich auch
die Speiseröhre Anteil; fünfmal findet sich eine hochgradige Ver-
engerung der Speiseröhre angegeben; in dem einen Falle fanden
sich die Muskelwände des Pharynx und des Oesophagus auf eine
294
Hermann Hinterstoisser.
grosse Strecke hin von Neubildungsmasse durchwachsen und war
ihre Lichtung bis zur totalen Undurchgängigkeit derart verengt,
dass zur Gastrotomie geschritten werden musste.
In einem weiteren Falle war die Neubildung in Oesophagus
und Pharynx durchgebrochen und wurde anlässlich einer irrigen
Diagnose auf Carcinoma oesophagi 4 Monate ante exitum die Re-
sektion des carcinomatös erkrankten Oesophagus vorgenommen.
Regelmässig werden die grossen Hals-, Nerven- und Gefäss-
pakete aus ihrer topographischen Lage verdrängt. In eine mehr minder
starke Kompression derselben teilen sich wieder der primäre Tumor
und die sekundären Drüsengeschwülste. Bald haben wir es mit
einer einfachen Verdrängung und teilweisen Kompression des
Nervengefässpaketes zu thun, bald mit völliger Umwachsung des-
selben, wobei vorzugsweise die Lichtung der Jugularis oft bis zur
Undurchgängigkeit verschlossen werden kann. Der Effekt der
Kompression der Vene ist häufig nicht sehr in die Augen springend,
da collaterale Abflussbahnen das statische Gleichgewicht aufrecht
zu halten pflegen. Doch sind Venectasien der Haut, oft auf weite
Bezirke, auf Brust und Schädel verbreitet, nicht ungewöhnliche
Folgeerscheinungen der Druckwirkung. Ja, die Ausdehnung der
collateralen Bahnen in der Haut der Nachbarschaft sind oft so
auffällig, dass einige Beobachter diesem Befunde eine diagnostische
Bedeutung zugeschrieben haben. Jedoch sind solch ausgebreitete
Venectasien am Halse und auf der Brust auch ganz häufig bei
gutartigem Kropfe anzutreffen. Ja die Venenerweiterung steht,
wie Wölfl er bemerkt, oft in gar keinem graduellen Verhältnis zur
Grösse des Kropfes; so findet sich oft bei recht grossen Kröpfen
keinerlei beträchtliche Venenerweiterung. Nicht eben häufig führt
die durch Kompression bewirkte Absperrung der venösen Blut-
bahn zu Venenthrombosen, welche sich unter Umständen weit
hinab in die Hauptstämme erstrecken können. An dieser Stelle
soll auch schon auf das Vordringen von Geschwulstelementen in
die Venenlichtung selbst, sei es in die Aeste der Schilddrüsen venen
und durch diese in die Jugularis, sei es direkt in die letztere,
hingewiesen werden.
Direktes Eindringen von Geschwulstelementen in die Jugu-
laris fand sich in fünf Fällen.
Auf die Thrombose der Venen durch Geschwulstgewebe werde
ich weiter unten noch ausführlicher zurückkommen.
Während der Nervus vagus sehr selten durch Druckwirkung
afficiert gefunden wurde, ist der Nervus laryngeus inferior relativ
häufig in Mitleidenschaft gezogen, sei es nun, dass er in seinem
Beiträge zur Lehre vom Schilddrüsenkrebs.
295
Verlaufe gänzlich in dem Neubildungsgewebe untergeht, sei es
auch, dass er in den schwieligen Massen der nächsten Umgebung
des Tumors atrophiert und in seinem weiteren Zug nicht mehr
aufzufinden ist. Mit der fortdauernden und wachsenden Druck-
wirkung des Tumors und der chronisch entzündlichen Schwielen-
bildung steht die so häufige, ja regelmässige Stimmbandlähmung
in Zusammenhang, welches Symptom gerne zur Feststellung der
Diagnose einer malignen Struma herbeigezogen wird (Albert u. a.).
f)och ist gerade dieses Symptom für die Diagnose der bösartigen
Neubildung ganz irrelevant, da es ebenso oft beim gutartigen
Kropfe gefunden wird. Wölfler, Meyer-Hüni u. a. trafen in 10®/o
aller laryngoskopisch untersuchten Kropfkranken Paresen und
Lähmungen der Stimmbänder (meist eines Stimmbandes) und bei
23 Kropfkranken, bei welchen Mikulicz die Kropfresektion machte,
wurden sogar neunmal Stimmbandlähmungen getroffen. (39 ”/o) !
Verwachsung der Geschwulstoberfläche mit den sie decken-
den Muskeln der unteren Zungenbeingruppe, wie mit den Kopf-
nickern, sekundäre Veränderungen derselben, waren ganz gewöhn-
lich anzutreffen. Seltener wohl fand sich krebsige Infiltration des
Muskelgewebes. Dass diese der klinischen Erkenntnis unschwer
zugänglichen Momente sehr wichtige diagnostische Merkmale für
die maligne Struma abgeben, ist an sich verständlich.
Im Gegensätze zum Sarcom ist die Verwachsung der carci-
nomatösen Schilddrüse mit der Haut relativ sehr selten. Dasselbe
gilt in noch höherem Masse für die Exulceration der Geschwulst.
Mit Hecht schuldet Rose für letztere die sogenannte »diagnostische«
Punktion an, welche, namentlich von C. K auf f mann vorgeschlagen,
schon aus dem Grunde verwerflich erscheint, weil es durch sie
kaum je gelingt, ein diagnostisch verwertbares Material zu ge-
winnen. Die Fixierung und Infiltration der Haut ist allerdings,
sofern sie nicht auf Narbenbildung nach vorausgegangenen Punk-
tionen oder Spaltungen von Cysten zu beziehen ist, ein untrüg-
liches Zeichen der bösartigen Neubildung.
Bevor wir im Speziellen auf die Metastasen des Schilddrüsen-
carcinoms übergehen, müssen wir in Kürze die Art der Weiter-
verbreitung von Geschwulstkeimen näher betrachten. Während
bei den Carcinomen anderer Organe die regionäre Infektion auf
dem Wege der Lymphbahnen die Regel ist, tritt beim Schilddrüsen-
krebs neben der ersteren die vorwaltend für Sarcome konstante
metastatische Verbreitung auf dem Wege der Blutbahnen in den
Vordergrund. Ja, die Generalisierung der Geschwulstelemente, die
embolischen Metastasen können sogar für den Schilddrüsenkrebs
296
Hermann Hinterstoisser.
als besonders charakteristisch bezeichnet werden. Wie kaum ein
anderes Organ bietet gerade die Schilddrüse hiefür die günstigsten
Bedingungen. Wie der anatomische Bau, der überaus grosse
Reichtum von Blutadernetzen des Organes, so ist es nicht minder
auch die eigentümliche starke Widerstandskraft der Schilddrüsen-
kapsel, welche die Generalisierung des Carcinoms geradezu be-
günstigt. Sehr frühe, oft noch ehe es zu regionären Infektionen
der Lymphdrüsen gekommen, trifft man disseminierte Metastasen
in den Lungen und anderen entlegeneren Organen, wie nament-
lich in den Knochen. Der Gefässreichtum des Schilddrüsenparen-
chyms giebt an sich den proliferierenden Epithelzellen einen be-
stimmten Weg, den sie nun mit grosser Vorliebe einschlagen. Erst
wird eine Venenwand durchbrochen und in dem offenen Strom-
bett geht das Wachstum weiter; einzelne hervorragende Geschwulst-
partikel werden von dem Blutstrom abgerissen und mitgeführt,
bis sie in den Arteriolen oder Capillaren der Pulmonalarterien
stecken bleiben. Aus solchen Embolis entstehen wohl zumeist die
metastatischen Geschwülste der Lungen.
Es ist nun wohl auch denkbar, dass feinste Geschwulstelemente
— und lebenskräftig scheinen ja auch Fragmente der Krebszelle
zu sein — das Capillarsystem der Lunge passieren und in den
grossen Kreislauf gelangen, um in gewissen Endstationen der Kör-
perarterien abgelagert zu werden, zu neuem Wachstum. Docli
die Geschwulstelemente können unter Umständen auch einen
anderen Weg nehmen. Sie können durch ein ganz oder teilweise
offenes foramen ovale der Vorhofsscheidewand in den grossen
Kreislauf gelangen und derart an weit entfernten Stellen zu Meta-
stasen führen. Es kann aber auch — und dies ist direkt nach-
zuweisen — das proliferierende Geschwulstgewebe eines metasta-
tischen Knotens der Lunge in das Quellgebiet der Lungenvenen
durchbrechen und dermassen die Generalisierung herbeigeführt
werden.
Das Hinein wachsen und die Obturation grösserer Venen-
stämme durch Geschwulstmasse wurde in 11 Fällen bei der Ob-
duktion konstatiert und weiter verfolgt. Gleichwohl ist die Zahl
der Geschwulstthrombosen in unserer Kasuistik viel höher an-
zuschlagen, da die vielbeschäftigten Obducenten sich nicht in allen
Fällen auf feinere zeitraubende Untersuchungen des Gefässsystems
der Schilddrüsengeschwulst einlassen konnten, sondern sich auf
grob anatomische Befunde beschränken mussten. Die Thrombose
mit Geschwulstmassen betraf einmal die Vena jugularis dextra,
zweimal die V. jugularis, SubclaUa und Anonyma sinistra, einmal
Beiträge zur Lehre vom Schilddrüsenkrebs.
297
I
J
die V. anonyma dextra, einmal die Vena anonyma sinistra, ol)-
turiert von der Einmündungsstelle einer Thyreoidea ima an (zahl-
reiche grosse Aeste der Pulmonalarterie von denselben Gewebs-
thrombenmassen verschlossen), einmal die Vena transversa sca-
pulae dextra (bis in den Confluxus mit der Subclavia), einmal die
Cava Superior (Lungen frei von Metastasen), einmal die V. thyreoidea
inferior und jugularis interna sinistra (multi|)le Metastasen im
Knochensystem), einmal die V ena thyreoidea, Jugularis, Anonyma
dextra, Cava superior, mit rückläufigen Metastasen in den Venen-
plexus des Clivus und in den Sinus cavernosus, einmal die V. thy-
reoidea inferior sinistra (Tumoren der Schädelbasis).
Die krebsige Thrombose grosser Venenstämme wie der Ju-
gularis, der Cava etc. entsteht ebensowohl durch direkte Durch-
wachsung der Gefässwände seitens der sie umschliessenden Neu-
bildungsmasse, als auch namentlich fortgesetzt von den Thromben
kleinerer und kleinster Schilddrüsenvenen. Ebenso ist eine rück-
läufige V erschleppung von Krebsthromben möglich (Thrombose
der Jugularis interna, Krebsthrombus der Clivusvenen und des
Sinus cavernosus). C. K auf f mann fand z. B. in allen Fällen von
Thrombose der Jugularis interna nebstdem Thromben im Quell-
gebiete der unteren Schilddrüsenvenen.
Aus dem Gesagten folgt, dass das Schildrüsencarcinom in
Bezug auf die metastatische Verbreitung eine Ausnahmestelle gegen-
über den primären Carcinomen anderer Organe einnimmt, indem
in einer grossen Zahl der Fälle gleichwie bei den Sarcomen es
frühzeitig zur Infektion der Blutbahn kommt.
Regionäre Drüsengescliwülste.
In 35 Fällen fanden sich sekundäre Carcinome der Lymph-
drüsen; fast durchwegs werden die regionären Lymphbahnen der
Reihe nach inficiert angetrohen, die Halsdrüsen und die der
Schlüsselbeingruben (29 mal); die substernalen, mediastinalen und
bronchialen Drüsen (23 mal, darunter zweimal solitäre mediastinale
Tumoren); nur zweimal waren die retroperitonealen Lymphdrüsen
krebsig infiltriert und in umfängliche Geschwülste umgewandelt,
einmal neben Drüsenkrebs anderer Regionen, einmal solitär. Se-
kundärer Krebs der Achseldrüsen fand sich nur einmal neben
Infiltration der Halsdrüsen. Die Grösse der Drüsengeschwülste ist
sehr wechselnd; oft sind sie von derart umfangreichen Dimen-
sionen, dass die primäre Schilddrüsengeschwulst ihnen gegenüber
ganz in den Hintergrund tritt und die strumöse Halsverdickung
ganz auf ihre Kosten zu stände kommt. Auf die mannigfachen
298
Hermann Hinterstoisscr.
Beziehungen der Drüsentumoren zu den benachbarten Organen, zur
Trachea, Oesophagus, zu den Halsmuskeln und Gelassen, zu den
mediastinalen Organen etc. braucht hier nicht mehr ausführlich
hingewiesen zu werden ; es gilt dasselbe was schon für die Schild-
drüsengeschwülste selbst erwähnt worden ist. Bei den Drüsen-
tumoren finden sich alle Abstufungen der Entwicklung wie der
Entartung des Neubildungsgewebes; der markige Charakter des-
selben, die Erweichung, scheint gleichwohl am vorherrschendsten,
zumalen hier das Gewel)e unter weit ungünstigeren Ernährungs-
bedingungen steht, wie der primäre Tumor. Gar nicht selten sieht
man auch in den Lymphdrüsengesch Wülsten Nachahmungen typi-
schen Schilddrüsengewebes. Die Struktur der Lymphdrüsen selbst
ist gewöhrdich gänzlich verschwunden, das lynij^hatische Gewebe
meist gänzlich von der Neubildung substituiert; als letzten Ueber-
rest trifft man pigmentreiche Bindegewebsgerüste , wodurch die
Durchschnittsflächen namentlich mediastinaler und bronchialer
Tumoren ein schönes, schwarzgrau gesprenkeltes Aussehen erhalten.
Es mag hier noch erwähnt werden, dass sich in einigen
Fällen auch ausgedehnte krebsige Infiltrationen des Zellgewebes
am Halse und im Mediastinum vorfanden, teils in direktem Zu-
sammenhang mit infiltrierten Drüsen, teils durch die Wucherung
des Neubildungsgewebes in den Lymphgefässen und Saftkanälen
hervorgebracht.
Metastatische Geschwülste.
Im Anschlüsse an das eben Gesagte können wir uns bezüg-
lich der Metastasen kurz fassen.
Unter den 50 Fällen fanden sich 29 mal metastatische Tu-
moren in den Lungen. Es handelt sich teils um ungemein zahl-
reiche kleinere, erbsen- bis haselnussgrosse Geschwülste, welche
allenthalben im Parenchym der Lunge disseminiert sind, häufig
dicht unter der Lungenpleura sitzen oder sich in flachen beet-
artigen, gedeihen Protuberanzen über das Pleuraniveau erheben,
teils um einige wenige grössere Geschwülste von den Dimensionen
eines Taubeneies bis zu Faustgrösse, welche solitär und meist
central in einem Lappen sitzen; mehrmals fanden sich auch peri-
bronchiale krebsige Infiltration auf mehr oder minder grosse
Lungenbezirke ausgebreitet. Gelegentlich auch sah man die Neu-
bildungsmassen in die Bronchiallichtungen hinein wuch ern , und
unter Bildung von Geschwülsten dieselben obturieren.
Die makroskopische Beschaffenheit der Lungentumoren ent-
spricht häufig dem jDrimären Carcinom ; immerhin zeigten aber
Beiträge zur Lehre vom Schilddrüsenkrebs.
299
auch nicht wenige Fälle histologisch den ausgeprägten Charakter
des Schilddrüsengewebes oder mindestens des einfachen Adenoms,
während der Primärtumor selbst ein exquisit medulläres Carcinom
darstellte (Eberths bekannte »Umkehr zum Bessern«). Ein gleiches
Verhalten zeigten auch namentlich die Metastasen im Knochen,
worauf wir später noch zurückkommen wollen. Dieser Umstand,
sowie aber namentlich das Vorkommen von Metastasen bei Vor-
handensein eines scheinbar typischen Colloidkropfes gaben seiner-
zeit Anlass zur Aufstellung des sogenannten malignen oder destruie-
renden — Adenoms (Ziegler u. A.), an welcher Auffassung noch heute
einige Autoren festhalten. Von dem Augenblick aber, wo es zur
Bildung von metastatischen Geschwülsten in entfernten Organen
kommt, hat ja jede Primärgeschwulst ihren typischen Charakter
verloren; es ist daher nicht gestattet bei Priniärtumoren , welche
zu Metastasen führen, noch von typischen Gewebsneubildungen
— Adenomen — zu sprechen, wenn auch sie selbst wie ihre Tochter-
und Enkelgeschwülste noch so sehr den scheinbaren Charakter
des Typischen an sich tragen.
Die metastatischen Knoten der Lunge sind bald sehr reich
vascularisiert , von Hämorrhagien durchsetzt und schwarzrötlich
gesprenkelt, bald rein weiss von markigem Aussehen; sie bieten
alle Stadien regressiver Metamorphosen, Verfettung und nekro-
tischen Zerfall des Gewebes bis zur centralen Höhlenbildung, —
Nur einmal waren die Lungen allein Sitz metastatischer
Knoten, in allen andern Fällen fanden sich daneben teils regionäre
Drüsentumoren, teils Metastasen in anderen Organen. Es sei hier
noch hinzugefügt, dass in drei Fällen, wo Krebsthromben in der
Jugularis interna, Vena anonyma und cava superior vorgefunden
wurden, die Lungen sich frei von Metastasen erwiesen. Hin-
wiederum waren in einem Fall, wo die Vena anonyma sinistra
von einer Vena thyreoidea ima her durch Geschwulstgewebe ob-
turiert war, zahlreiche grössere Lungenarterien auf weite Strecken
hin von der gleichen Gewebsmasse ausgefüllt.
Isolierte Metastasen in den Pleuren sind selten. Hingegen
finden sich mehr mindergrosse Pleurenbezirke im Zusammenhang
mit Lungenmetastasen, mit carcinomatösen Drüsen des Lungen-
hilus, oder mediastinalen Tumoren mitbeteiligt. Es sei hier noch
hingewiesen auf das bei Lungen- und Pleurametastasen so häufige
Vorkommen serös-hämorrhagischer Transsudationen in den Pleura-
säcken.
In der Leber wurden viermal Metastasen angetroffen —
Knoten von Hanfkorn- bis Walnussgrösse — ; einmal fanden sich
1
»
300 Hermann Hinterstoisser.
neben multiplen erbsengrossen Knötchen ein faustgrosser Tumor
im Parenchym des rechten Lappens mit einer centralen, mit Col-
loid erfüllten, etwa hühnereigrossen Höhle.
Das Herz war einmal der Sitz einer metastatischen Geschwulst.
Die rechte Ventrikelwand war substituiert von einer oberflächlich
höckerigen , am Durchschnitte medullär weichen Geschwulst,
welche in den Ventrikel sich verwölbte und dessen Lumen zum
Teile auf hob.
Die Nieren bargen dreimal multipje Metastasen, meist mit
cortikalem Sitze. Einmal war eine Niere diffus vom Krebsgewebe
infiltriert, zweimal war die linke Niere allein Sitz der Metastasen.
Metastasen in der Hirnsubstanz sind viermal angetroffeii
worden (siehe Fall Bahner), während metastastische Tumoren des
Schädels oder der Hirnhäute, welche von aussen in die Hirnsub-
stanz eindringen, mit ihr verwachsen, oder sie wenigstens ver-
drängen, in mehreren Fällen angegeben werden. Einmal fanden
sich zahlreiche metastatische Tumoren verschiedener Grösse in die
Älarkmasse der Hemisphären eingebettet.
Von grossem Interesse sind aber die Metastas en im Skelett-
system. Es möchte Helleicht auffällig erscheinen, dass in zehn
Fällen sich Metastasen im Knochen vorfanden; die schon oben
erwähnten günstigen Bedingungen zur embolischen Verbreitung
des Schilddrüsencarcinoms erklären diesen Befund gewiss nicht
zur Genüge; es drängt dieses Verhalten zu der Annahme, dass
das Knochengewebe, namentlich die Spongiosa einen besonders
günstigen Boden für eingelangte Schilddrüsenkrebskeime abgebe,
wie wir für andere Geschwülste namentlich die Leber als disponiert
ansehen müssen (Melanosarcom), — welches Organ gerade bei den
Schilddrüsenkrebsen Hel seltener den Sitz sekundärer Tumoren
bildet (im Gegensatz zum Mammacarcinom). Vielleicht spielt auch
bei der Häufigkeit der Met-astasen in der Lunge eine gewisse
Disposition dieses Gewebes mit, wiewohl dieselbe hier bei den
oben auseinandergesetzten anatomischen Verhältnissen (Venen-
thromben) nicht so ersichtlich ist. Für die hervorragende Be-
teiligung des Knochengewebes erscheint aber diese Annahme einer
Disposition notwendig. — Kein anderes primäres Carcinom führt
so häufig zu metastatischem Krebs im Knochen.
In einer sehr geringen Anzahl der Fälle handelt es sich ledig-
lich nur um krebsige Infiltration der Spongiosa und der Mark-
masse; dies fand sich teils in langen Röhrenknochen, teils in den
Wirbelkörpern. In weitaus grösserer Mehrzahl haben wir es mit
der Bildung umfänglicher Tumoren zu thim, welche ihrerseits nach
Beiträge zur Lehre vom Sehilddrüsenkrebs.
301
Substitution des Knochengewebes die benachbarten Gewebe und
Organe verdrängen oder infiltrieren.
Die Zerstörungen, welche die Neubildung in dem betreffen-
den Teile des Knochensystenis anrichtet, sind oft ganz kolossale.
So fand sich in einem Falle nahezu die ganze Schädelbasis bis
auf wenige Knochenspicula substituiert. Die Epithelialwucherung
j dringt unter lacunarer Resorption der Knochensubstanz nach allen
Seiten vor, und so wird bald der ganze Knochen völlig durch
Neubildungsgewebe ersetzt. Im Gegensatz dazu fand sich bei einem
anderen Falle eine ganz ausserordentlich mächtige Osteophyt-
bildung im Bereich und in der Nachbarschaft des Tumors (Scheitel-
bein), sowohl auf der äusseren Tafel, als auch in der Vitrea; die
nadelförmigen Knochenspicula schienen völlig in den Tumor hin-
eingewachsen.
Fünfmal fanden sich solitäre Knochenmetastasen (Unterkiefer,
Keilbein, Schädelbasis, Sternum). In allen übrigen Fällen waren
multiple Metastasen in verschiedenen Knochen vorhanden.
Die multiplen Metastasen mögen hier der Reihenfolge nach
aufgezählt werden:
Multiple metastatische Carcinome:
1) Stirnbein — Hinterhauptschuppe.
2) Darmbein (links) VII. Brustwirbelkörper, II. und III. Brust-
wirbelbogen, VIII. und VII. Rippe (rechts), rechtes Schlüssel-
bein.
3) Manubrium sterni, linker V. Rippenbogen.
4) Rechte Schläfenschuppe, rechtes Orbitaldach, rechte VI.
Rippe, linker Humerus.
5) Darmbein, Kreuzbein, Körper der Lendenwirbel, rechte
XI. Rippe, Hinterhauptschuppe.
Danach waren Sitz der Metastasen achtmal Knochen des
Schädels und zwar:
Imal Stirnbein,
2 mal Hinterhauptschuppe,
Imal Schläfenbein,
Imal Scheitelbein,
Imal Keilbein und Nachbarschaft (Schädelbasis),
Imal Orbitaldach,
Imal Unterkiefer,
ferner :
3 mal das Manubrium sterni,
2 mal das Darmbein,
3 mal die Wirbelsäule,
302
Hermann Hinterstoisser.
4 mal die Rippen,
Imal der Humerus.
Sehr bemerkenswert ist immerhin, dass gerade das Schädel-
skelett relativ so häufig Sitz metastatischer Carcinome ist.
Klaboch, Ignatz, 37 Jahre alt, aus Böhmen, aufgenommen an die Klinik
Nothnagel 10. IX. 1887 ; im Juli 1883 stellte sich ziemlich plötzlich Doppelsehen
ein, das einige Wochen mit wechselnder Intensität andauerte ; gleichzeitig nahm
die Sehkraft des rechten Auges ab , und stellten sich Schmerzen im Kopfe und
in der Umgebung des rechten Auges ein ; im Herbste desselben Jahres liemerkte
er Abnahme des Gehörs rechterseits und es trat allmählich Unvermögen, das rechte
Oberlid zu heben , auf. Das Auge selbst soll damals entzündet gewesen sein.
Neben den sich steigernden Kopfschmerzen kam es zu Magenbeschwerden und
häufigem Erbrechen. Diese Zustände wiQirten in erträglichem Grade bis
Januar 1887 , wo heftiger Kopfschmerz und Schwindelgefühl ihn veranlassten,
das Spital aufzusuchen, das er nach 14 Tagen bereits wieder verliess, nach-
dem die Beschwerden sich einigermassen gebessert hatten. Im September kam
er wegen neuerlicher Steigerung der Kopfschmerzen wieder an die Klinik.
Der Hals soll seit Beginn der Beschwerden langsam an Umfang zugenommen haben.
Status praesens: Bei der Inspektion des Gesichtes fällt vorerst auf, dass das
rechte Oberlid bis zum völligen Lidschluss herabhängt; es kann nur durch Kon-
traktion des Frontalis etwas gehoben werden. Die linken Lider aktiv beweglich ;
die linke Pupille etwas enger als die rechte, reagiert sehr wenig auf Licht und
auf Accommodation. Die Bewegungen des linken Bulbus frei, geschehen jedoch
sehr träge. Die Sehkraft sehr stark herabgesetzt. Das rechte Auge steht in
IMittellage, ist stark prominent, ist nach keiner Richtung aktiv beweglich. Pupille
weit, oval mit sagittalem längeren Durchmesser. Reaktion auf Licht und Accommo-
dation gleich Null.
Okulistischer Befund : Rechts: Lähmung des Oculomotorius, Abducens
und Trochlearis. Gesichtsfeld nicht eingeschränkt. Perception feinster Farben-
nuancen unsicher. Links: leichte Parese der Augenmuskeln; starke Gesichts-
feldeinschränkung. Pat. hält alle Farben für gelb. Beiderseits Decoloratio pap.
N. optici ex neuritide descend. —
Rechterseits leichte Facialisparese ; Zunge weicht deutlich nach rechts
ab; eine Zone der rechten Gesichtshälfte zwischen Nasemllcken, Jochbein und
Mundwinkel ist unterempfindlich; Gehörsinn beiderseits herabgesetzt, rechts mehr
als links. Geruchsinn auffallend stumpf.
Neuralgie des nerv, alveol. superior l)eiderseits. — Hals breit. Schilddrüse
namentlich im linken Lappen vergrössert, hart, höckerig. LTnter dem linken
Kopfnicker eine taubeneigrosse Geschwulst tastbar. In der oberen Brustgegend
erweiterte 'N'enennetze. Ausgesi)rochene Arythmie der Herzaktion. Pat. klagt
fortwährend über andauernde heftige Kopfschmerzen, Schmerzen in der Um-
gebung des rechten Auges, Schlaflosigkeit. Nach dreimonatlichem Spitalsaufenthalte
wird Pat. am 3. Dezember 1887 wieder entlassen, nachdem sich die genannten
Beschwerden unerheblich gebessert hatten.
Im Juli 1888 wurde er neuerlich aufgenommen. Das subjektive Wohl-
befinden war von kurzer Dauer gewesen. Schon im Februar traten wie<ler
heftige Kopfschmerzen auf, sowie häufiges Erbrechen. Seit Anfang Juni ist <las
Sehvermögen auf beiden Augen nahezu ganz erloschen. Es gesellten sich zu
den ül)rigen Symptomen Atemnot , intensiver Husten und Schlingbeschwerden.
Beitrüge zur Lehre vom »Schilddrüsenkrebs.
303
Pie Kropfgeschwulst ist seit 2 Monaten rapid bis auf das doppelte des früheren
Umfangs gewachsen. Zugleich magerte Pat. Zusehens ab. In der linken reg.
retromaxill. findet sich eine apfelgrosse wenig bewegliche Geschwulst, in den
Schlüsselbeingruben sind kleine harte Lymphdrüsen tastbar. Der oben an-
gegebene Befund unverändert; hiezu gesellte sich noch Ptosis am linken Auge.
Okulistischer Befund : Beiderseits Atrophia n. opt. ; die Papille sehr blass,
sehnig glänzend, Gefässe fadenförmig kontrahiert.
Venectasien auf der vorderen Brustwand und im Gesichte; namentlich
ziehen von der Nasenwurzel nach aufwärts über Stirn und Sebläfen sich ver-
ästelnde ausgedehnte Venen. Es besteht ein unablässiger quälender Husten niit
reichlichem schleimig eitrigem Auswurf. lieber beide Lungen verbreitet kon-
sonierende, Easselgeräusche. Die Einzelnheiten der übrigen Leidensgeschichte
des Patienten übergehe ich.
Einen Monat vor dem Ende kam cs allmählig zu universellem Hydrops
und rechtsseitigen Hydrothorax. Unter fortschreitendem Verfall trat am 2. De-
zember 1888 der Tod ein.
Sektioiisbefimd.
Kl ab och, 38 Jahre, 1888 Prot. Nr. 17G9. Körper mittelgross, abgemagert,
von scbmutziggelblichem Kolorit, hydroi^isch. Linker Bulbus eingesunken, rechter
stärker vorgewölbt. Der Hals dick. Schädeldach mit der Dura etwas verwachsen,
oval, Gefässfurchen tief. Hirnsubstanz sehr weich. Bei Herausnahme des Ge-
hirns erscheinen die beiden N. optici , besondei’s der linke samt dem Chiasma
über eine in der Gegend der Hypophysis sich verwölbende Geschwulst ausge-
spannt, ungemein abgeplattet, zum Teil grau durchscheinend. Auch beide Oculo-
motorii ausgezerrt. Der rechte seiner grössten Ausdehnung nach in die
Geschwulst aufgenommen; beide Carotiden in ihren Hirnanteilen jolatt gedrückt.
Die Geschwulst nimmt die Gegend des ganzen Keilbeinkörpers ein, breitet sich
nach links bis an das mediane Drittel der mittleren »Schädelgrube aus, uinl
nimmt rechts nahezu die ganze mittlere »Schädelgrube ein, erstreckt sich nach
hinten längs des Clivus bis an die vordere Circumferenz des Foramen occip.
niagnum und umfasst zum Teil auch den rechten Rand des letzteren. »Sie ist
allerseits von der Dura überzogen. Zwischen den mittleren Schädelgruben er-
scheint sie im allgemeinen rundlich auf der Oberfläche; in der rechten, mittleren
Schädelgrube sitzt ihr ein walnussgrosser, knorpelharter Knoten auf; kleinere
rundliche weichere Knoten prominieren an der vorderen Circumferenz dieses
Anteiles der Neubildung. Ueber dem Clivus und von da weiter nach abwärts
ist der Tumor flachhöckerig; besonders unter dem Chiasma tritt wieder ein halb-
haselnussgrosser Knoten ziemlich scharf umschrieben bervor; ein über erbsen-
gi'osser Knoten steht unmittelbar daneben nach rechts und vorne hin, unter der
rechten Carotis. Die Geschwulst fühlt sich überall ziemlich weich an, fast fluc-
tnierend, am Erontalschnitte zeigt sich durchwegs das Aussehen des Colloidkrojü-
gewebes. Die Dura erscheint ziemlich stark vascularisiert und injiciert. Im
rechten Anteil der hinteren Schädelgrul)e flache Osteophytbildungen. Der rechte
»Schläfenlappen an der Basis durch die Geschwulstmassen tief eingedrückt.
Der rechte »Schilddrüsenlappen ziemlich klein, blassgelb, sebarf begrenzt.
Der linke Lappen bedeutend grösser, die Trachea rechtshin verdrängend, ober-
flächlich flachhöckerig, derb, am Durchschnitt rötlichgrau, einen trühen, dick-
lichen Brei gebend, im Zentrum eine bohnengrosse Stelle fahlgelb, trockener.
304
riennann I liiiterstoisser.
Die Drüsen der linken Halsseite bis an den proc. niastoid. bohnen- bis
hühnereigross, Aveich, ihre Gewebe Aveich, AA'eiss, einzelne fast zerfliessend, auf
dem Durchschnitt dieselbe Struktur zeigend Avie der linke Schilddrüsenlappen,
Einzelne kleinere Drüsentumoi’en eingelagert zwischen Oesophagus und Trachea;
im Bereiche der obersten Trachealringe , soAAÜe im obersten Pharynxanteile und
im retropharyngealen ZellgeAA'ebe ziemlich umfängliche bis an die Schädelbasis
sich erstreckende GeschAvülste.
In beiden Pleurahöhlen je IV2 — 2 liter einer blutig serösen Flüssigkeit.
Der Unterlappen der rechten Lunge A^ollständig comprimiert, klein, luftleer, der
Oberlappen A^oluminöser, dichter. Im Parenchym um die rechtsseitigen Bronchien
und Gefässe einige graupigmentierte, Aveisslich rötliche GeschAvülste, zum Teil
in das Bronchiallumen hineinragend und die Gefässwandungen durchbrechend.
Die mediastinalen und bronchialen Lymphdrüsen Avallnussgross , ebenfalls A’on
der Textur des Schilddrüsentumors.
Histologischer Befund : Carcinoma adenomatosum.
Der Knochentumor zeigt fast durchAvegs das Bild der einfachen Colloid-
schilddrüse. Die Schilddrüsengeschwulst selbst hingegen zeigte neben rein ade-
nomatösen GeAvebspartien noch das Bild des medularen Carcinoms,
* iit
0
Enengl , Johann, 56 Jahre alt. (Klinik Albert.) (Klinische Diagnose: Sarcoma
durae matris.) Klin. Prot. XII A’^om 5. Febi'uar 1886.
Neben dem rechten Scheitelbeinhöcker, nach A'orn bis an die rechte Kranz-
naht reichend, eine 9 cm lange und 4 cm klaffende SchnittAvunde (Exstirpation
des Schädeltumors), durch Avelche man auf einen unregelmässig grubig A^ertieften,
von A^ereiterndem Granulationsgewebe überkleideten SubstanzA^erlust iles Schädel-
daches gelangt; der Knochen von einer gelbrötlichen Neubildungsmasse substi-
tuiert, die A'on feinen, radiär zur Oberfläche gestellten Blättern und Spangen
durchsetzt, und mit der Dura innig A^envachsen ist, beim Ablösen an dieser
teilweise haften bleibt. In der Umgebung des Knotens die vitrea geAvulstet,
verdichtet, zu einem Avarzig blätterigen Osteophyt ausgeAvachsen. Entsprechend
der beschriebenen GeschAvulst eine flache Depression auf der KouA'exität der
rechten Hemisphäre, von den Centrahvindungen auf den oberen Scheitellappen
reichend. Beide Schilddrüsenlappen vergrössert, über hühnereigross, tuberös-knollig,
linker Lappen mit seinem Unterrand hinter das IManubrium sterni reichend.
Das Parenchym dieses Lappens in grosser Ausdehnung scliAvielig verdichtet,
im Centrum ein nussgrosser, teihveise zerfliesslicher, erweichter Knoten. Vor
diesem ein pflaumengrosser, colloider, unter ihm mehrere kleinere, miteinander
confluierende Knoten, medullär Aveich, Aveiss, von undeutlich acinöser Struktur,
medullären Saft gebend.
Ein Ast der Vena thyreoidea inferior von Aft-ermasse vollständig obturiert,
Lungen durchsetzt von kleinerbsengrossen, Aveissrötlichen Knoten. Lymphdrüsen
längs der Wirbelsäule medullär inliltriert. Ein Avallnnssgrosser Knoten am An-
sätze der rechtsseitigen ATI. und A"HI. Rippe, deren Köpfchen Avie auch die Seiten-
fläche des A"H. AVirbels substituierend. Die Bogen des H. und IH. BrustAvirbels
substituiert durch dieselbe Neubildungsmasse, Avelche hier polsterartig in deji
Wirbelkanal vorspringt. An der Symi)hys. sacroiliaca sinistra ein überAvallnuss-
grosser Kn(ffen, der halbkugelig unter dem Psoas am Darmbeintoller sich
vorAVölbt, die Corticalis substituiert und in die Si)ongiosa eindringt.
Beitrüge zur Lehre vom Schilddrüseukrebs.
305
Histologische TJehersiclit.
In histologischer Beziehung hat für den Schilddrüsenkrehs
noch immer keine einheitliche Anschauung Platz gegriffen; es ist
hier nicht der Ort, in umfassender Weise die Histogenese und
Histologie dieses Carcinoms darzulegen. Die Enge des Raumes
gestattet nur einen oberflächlichen Ueberblick.
Vor allem müssen wir bei Besprechung der Terminologie des
Scliilddrüsenkrebses an der Analogie mit den übrigen Organcar-
cinomen festhalten. Noch Wölfl er unterscheidet das »alveoläre«
Carcinom, das Cylinderzellencarcinom und das Plattenepithel-
carcinom. Was das erstere betrifft, so ist seit Waldeyer genug-
sam erkannt und erwiesen, dass der Begriff des alveolären Carci-
noms um so mehr zu verwerfen sei, als ja jedes Carcinom zufolge
i seiner Zusammensetzung aus bindegewebigem Stroma und einge-
lagerten Epithelnestern in gewissem Sinne eine alveoläre Struktur
besitzt.
Was schliesslich das Plattenepithelcarcinom betrifft, so ist
ebenso thatsächlich erwiesen, dass dieses genetisch mit dem Schild-
drüsengewebe absolut nichts zu thun hat. Das primäre Platten-
epithelcarcinom der Schilddrüse ist wohl als branchiogenes Carci-
nom aufzufassen.
Wir pflegen im allgemeinen folgende Formen des Schild-
drüsencarcinoms zu unterscheiden, welche sämtlich in unserer
Kasuistik vertreten erscheinen :
I. Das Adenocarcinom in zwei Formen:
a) das Adenocarcinom mit teilweise oder grösstenteils folli-
kulärem Bau und mit Colloidbildung, einem colloiden Adenom
ganz ähnlich ; seltener als Primärtumor, häufiger in den Metastasen
anzutreffen. Die Metastasen bieten auffallend die Charaktere der
colloiden Struma dar. Diese Form ist es, welche wir namentlich
in den metastatischen Knochentumoren häufig antreffen; sie war
es, welche den Anlass gab zur Aufstellung des malignen, metasta-
sierenden Adenoms (Adenoma destruens). Die Frage des malignen
Adenoms kann heute als endgültig entschieden betrachtet werden.
I Nur wenige Autoren halten noch daran fest. Würde diese Auf-
i fassung zu Recht bestehen, so müsste das Adenom als solches
I aufhören, eine typische Epithelialgeschwulst zu sein, welche ja
I weder die Neigung besitzt, in das Nachbargewebe infiltrierend
I vorzudringen, noch auch Metastasen erzeugt; während doch das
sogenannte maligne Adenom sich in Bezug auf Wachstumsenergi(',
in der Art des Uebergreifens auf das Nachbargewebe und in Be-
20
306
Henuann Hinterstoisser.
zug auf Metastasierung in keiner AVeise von den übrigen Krebs-
formen unterscheidet. Mit der Neigung zur Metastasenbildung
begeben sich ja solche Glesch wülste des Charakters eines Adenoms;
die physiologischen Grenzen ihrer Entwicklung sind überschritten,
sie müssen als Carcinome bezeichnet werden, wenn nicht fernerhin
der Begriff des Carcinoms ein undefinierbarer sein soll.
b) Das cylinderzellige Adenocarcinom, Cylinderzellenkrebs, ent-
sprechend einem Cylinderzellenadenom (dessen fragwürdige Gut-
artigkeit angezweifelt wird) ; diese Form fand sich in einzelnen
unserer Fälle vertreten; die von papillären Cystadenomen herzu-
leitenden Carcinome dieser Gruppe zeigten namentlich in den
Lungenmetastasen die schönsten Bilder reiner Adenomentwickelung
mit reichen papillären AVucherungen.
II. Das medulläre Carcinom der Schilddrüse; dasselbe ist
wohl identisch mit AVölflers »alveolärem Carcinom«. Das medulläre
Carcinom stellt die häufigste Form des Schilddrüsenkrebses dar.
III. Das fibröse Carcinom ; relativ selten ; bei beiden letzteren
Formen ist der medulläre Charakter der Metastasen vorherrschend,
doch können die Metastasen auch adenomartig sein, sei es dem
entwickelten Schilddrüsengewebe oder auch den Entwicklungs-
formen der Drüse entsprechend.
Schlussbemerkuiigeii.
Nachdem wir im Vorhergehenden das anatomische A^erhalten
des Schilddrüsenkrebses an der Hand eines, wenn auch nicht all-
zugrossen, so doch mannigfaltigen Materiales darzustellen ver-
suchten, sei es uns gestattet, in einzelnen Schlussbemerkungen das
klinische Gebiet zu streifen.
In dieser ganzen Reihe von Fällen haben wir es mit einem
Carcinom zu thun, das vor allen andern ganz vorzüglich den kli-
nischen Charakter der Malignität an sich trägt. AVährend aber
in den klassischen Fällen die Diagnose klar zu Tage liegt, ist in
einer Minderzahl die Sache nicht so ganz einfach, indem das
Krankheitsbild durch den Symptomenkomplex seitens metastatiscl»
erkrankter Organe beeinflusst und beherrscht wird, während der
ursprünghche Herd hiedurch dem Beobachter entgeht und der
khnischen Erkenntnis verborgen bleibt, bis ihn die Leichenöffnung
aufdeckt. Die Diagnose des Schilddrüsenkrebses bietet namentlich
in den frühen Stadien mitunter die allergrössten Schwierigkeiten
dar. Man hat für die Erkenntnis des malignen Kropfes eine Reihe
beachtenswerter Merkmale angeführt, wie: Rapides AVachstum
Beitrüge zur Lehre vom Schilddrüsenkrebs.
307
einer seit Jahren stationären Struma; Aenderung in der Konsistenz,
des Aufbaues derselben, in ihrem Gefolge auftretende Neuralgien
und Parästhesien, motorische Schwächeerscheinungen in den oberen
Extremitäten, Stauungserscheinungen in den subcutanen ^''enen
von Hals und Brust, Fixierung der Nachbargebilde, namentlich
der Kopfnicker gegen die Struma u. dergl. mehr. Doch treffen
diese Merkmale wohl nur bei einer manifest gewordenen Struma
maligna zu, während die frühzeitige oder besser gesagt rechtzeitige
Erkenntnis keineswegs hiedurch sehr gefördert erscheint; und um
eine möglichst frühzeitige Diagnose handelt es sich ja hauptsäcli-
lich, wenn überhaupt ein kurativer Eingriff in Frage kommt. Als
das wichtigste Merkzeichen einer bösartigen Neubildung dürfte,
nach der übereinstimmenden Ansicht aller Autoren, die plötzlich
und rapid einsetzende Wachstumszunahme einer bis dahin statio-
nären Struma sein. Die bestimmte Diagnose kann im Grunde ge-
nommen gar nie frühzeitig genug gestellt werden. Sahen wir doch
aus den Sektionsbefunden, dass selbst in den jüngsten Stadien der
lokalen Erkrankung, wo der primäre Tumor noch sehr wohl einer
operativen Behandlung zugänglich ist, der bösartige Charakter
dadurch in den Vordergrund tritt, dass zu dieser Zeit häufig schon
entfernte wie benachbarte Organe infiziert sein können. Ganz be-
sonders aber wird die frühzeitige klinische Erkenntnis durch den
Umstand erschwert, dass das Carcinom in der Regel, wenn auch
nicht ausschliesslich, in einer adenomatösen Schilddrüse auf tritt.
Es ist schlechterdings unmöglich zu unterscheiden, wann ein lange
stationäres Schilddrüsenadenom seinen gutartigen Charakter auf-
giebt, wann die Schilddrüsenepithelien beginnen, ein atypisches
Wachstum über die physiologischen Grenzen hinaus zu entfalten.
Und gerade dieses Anfangsstadium wäre von so positiver Wichtig-
keit für den Chirurgen. Es muss übrigens hier auf den wichtig-
sten Umstand hingewiesen werden, dass die Strumakranken über-
haupt im allgemeinen erst dann die ärztliche Hilfe zu suchen
pflegen, wenn bereits sehr bedrohliche Symptome aufgetreten sind.
Die unverantwortliche Gleichgültigkeit und Indolenz der Strumösen
ist sattsam bekannt, ja seit alters Gegenstand des Volkswitzes
gewesen. »Bis jetzt ist«, wie von Winiwarter (Beiträge zur Sta-
tistik der Carcinome) sagt, »der Kropf als bösartige Neubildung
noch nicht populär genug, und selbst die Todesfälle durch ganz
gemeine Schilddrüsenhyperplasien sind noch nicht zahlreich genug,
um den Kranken zu veranlassen, eine rasche Vergrösserung des
, Blähhalses' als gefährlich ansehen zu lassen.«
Wäre dies nicht der Fall, so stünde es um die Erfolge der
308
Hermann Hinterstoisser.
chirurgischen Behandlung des Carcinoms der Schilddrüse weit
besser. Die vielseitige Erfahrung lehrt, dass eine radikale Ope-
ration bei einem bereits manifesten Strumacarcinom ganz illu-
sorisch sei. Hingegen sind seltene Fälle verzeichnet, wo eine
scheinbar noch gutartige Struma mit dauerndem Erfolge entfernt
worden, deren histologische Untersuchung die carcinomatöse Ver-
änderung zur Evidenz nachgewiesen hatte. H. Braun (v. Langen-
becks Archiv, Bd. 28) hält diejenigen Strumen noch für die radi-
kale Exstirpation geeignet, »welche noch beweglich und vollstän-
dig abgekapselt sind, die oberhalb des Sternums abgegrenzt
werden können, an deren äusseren Fläche die Pulsation der Carotis
noch zu fühlen ist und die zu keinen Drüseninfiltrationen geführt
haben!« Er fährt aber gleich fort: »Tumoren der Schilddrüse,
bei denen die Verhältnisse noch so günstig liegen, sind kaum als
maligne Neubildungen zu erkennen, und so werden denn immer
die beabsichtigten Exstirpationen schlechte Aussichten für einen
andauernden guten Erfolg bieten; eher wird man einen solchen
haben, wenn man, in der Meinung eine einfache Struma zu ent-
fernen, zufällig eine maligne exstirpierte. « Und weiters heisst es
ebenda: »Wie mir scheint, werden wir niemals im stände sein, die
frühen Stadien maligner Strumen zu diagnostizieren.« Dieser Satz
gilt auch heute noch volhnhaltlich zu Recht.
Es ist hier nicht der Ort, auf die mannigfachen Schwierig-
keiten bei der Exstirpation einer Krebsschilddrüse näher einzu-
gehen. Sie sind je nach Umfang und Verwachsungen der Ge-
schwulst in der Regel ganz erhebliche. Von unseren Fällen waren
folgende vorher chirurgischen Eingriffen unterzogen worden.
Totalexstirpation ist in unseren Fällen nur zweimal verzeich-
net. Eine Patientin ging nach mehreren Wochen unter den Er-
scheinungen der Tetanie zu Grunde, eine zweite Kranke erlag nach
wenigen Tagen einer bilateralen Lobulärpneumonie.
Halbseitige Strumectomien sind in fünf Fällen angeführt.
Ein Patient erlag vier Wochen p. op. einer lobulären Pneumonie
(lokales Recidiv bereits eingetreten, multiple Metastasen in der
Lunge). Nur in einem Falle lebte der Patient zwei Jahre, während
welcher Zeit sich ausgebreitete Metastasen entwickelt hatten.
Ein Kranker starb acht Tage p. op. an lobulärer Pneumonie. Zwei
andere Patienten starben bald nach der partiellen Strumectomie
an derselben Lungenkrankheit. Die lobuläre Pneumonie spielt
überhaupt bei allen Strumectomien als Todesursache eine gewich-
tige Rolle.
In einem Falle wurde bei latent gebliebener Schilddrüsen-
Beiträge zur Lehre vom Schilddriisenkreljs.
3oy
Erkrankung ein metastatischer Tumor des rechten Seitenwandbeins
exstirpiert. Der Patient erlag einige Wochen später einer eitrig-
jauchigen Zellgewebsentzündung.
Weiterhin wurde bei einem Kranken bei latent verbliebenem
Schilddrüsencarcinom das Sternum wegen Geschwulstbildung (kli-
nische Diagnose: Sarcoma sterni) exstirpiert. Auch dieser Patient
überstand den Eingriff nur wenige Tage. In einem Falle wurde
wegen totaler Kompression des Pharynx und Oesophagus die
Gastrostomie vorgenommen. Patient ging rasch an Inanition zu
Grunde. Bei einem Kranken wurde der dm*ch das Neubildungs-
gewebe infiltrierte und stenosierte Oesophagus reseciert (Fehldia-
gnose auf Carcinoma oesophagi). Der Kranke ging an seinen
Metastasen (Tumor des rechten Ventrikels) vier Monate nach der
Operation zu Grunde.
In den Braun’schen Tabellen, welche allerdings Sarcome und
Carcinome zusammenfassen, finden sich die Ergebnisse von 34
Strumectomien. 22 Fälle starben bald nach der Operation. 12
Fälle überlebten dieselbe einige Zeit. Von den 22 Fällen starben
vier in den ersten 24 Stunden, sieben zwischen dem zweiten und
vierten Tag, fünf zwischen dem fünften und neunten Tag, je ein
Fall erlebte den zwölften resp. fünfzehnten Tag, zweimal erfolgte
der Exitus nach vier, einmal nach acht Wochen, ein einem letzten
Falle ist die Zeit nicht angegeben. (Doch wahrscheinlich erfolgte
der Exitus bald nach der Operation.) Die übrigen 12 Fälle starben
! nach späterhin bis zum 16. Monate auftretenden Recidiven. Unter
74 letal verlaufenen Fällen von Struma maligna (Sarcom und
Carcinom) fand sich in 14 Fällen (18,9 ®/o) Drüseninfektion allein
(regionär), in 52 nebstdem Metastasen (70,2 Vo), in acht Fällen
l keinerlei Nachbarinfektion. Die schlechten Erfolge der Strumecto-
mien sind nach Braun bedingt 1) durch die komplizierten lokalen
I Beziehungen des Tumors, 2) durch die häufig schon vorhandene
I Drüseninfektion oder Metastasierung in inneren Organen, 3) durcli
die späte Stunde des Operatioiisaktes. — Der letzte Punkt ist wohl
der massgebendste.
Die Absperrung der Blutzufuhr zum Tumor durch Ligatur
sämtlicher Arterien, wie sie vor einiger Zeit für Strumen von ge-
- wichtiger Seite wieder in Anregung gebracht worden ist, kommt
bei Carcinonien der Schilddrüsen nicht in Betracht. Da die
trachealen Stenosenerscheinungen, Erstickungsanfälle und Dyspnoe,
hauptsächlich das Krankheitsbild beherrschen, so möge hier noch
einiges bezüglich der palliativen Tracheotomie angeführt werden.
Kompression der Trachea, des Pharynx oder der Bronchien, sei
310
Hermann Hinterstoisser.
es durch den primären Tumor, sei es durch sekundäre Geschwülste,
treffen wir in unseren Fällen 25 mal angeführt, während einfache
Verdrängungen ohne Stenosierung 17 mal verzeichnet sind. Von
der Zahl von 22 Operierten entfallen 12 Fälle auf die palliative
Tracheotomie. Auf die mitunter enorme Schwierigkeit der Ope-
ration und deren gefährliche Folgeerscheinungen sei hier nur
nebenbei hingewiesen. Die Patienten überlebten den Eingriff, der j
zudem erst in den Endstadien der Krankheit vorgenommen werden
konnte, nicht lange. Sieben erlagen nach wenigen Tagen acci-
dentellen Lobulärpneumonien , drei gingen an septischen und
phlegmonösen Prozessen, zwei an konsecutiver eitriger Mediastinitis
zu Grunde. In den verfüglichen Krankengeschichten ist häufig*
auf die nur sehr kurz dauernde Erleichterung der dyspnoischen
Beschwerden hingewiesen. Da, wie erwähnt, die Tracheotomie erst
in sehr späten Stadien zugelassen wird, so sind ihre Resultate
geradezu abschreckend. Die Braun’schen Tabellen umfassen im
ganzen 17 Tracheotomiefälle. Einmal starb der Patient noch vor
Vollendung der Operation; zweimal erfolgte der Tod unmittelbar
nach der Operation; sechsmal in den ersten 24 Stunden; fünfmal
in der Zeit zwischen dem ersten und vierten Tag ; zweimal zwischen
dem vierten und achten Tag und nur einmal erlebte der Patient
den zwölften Tag. Es kommt also bei der palliativen Tracheo-
tomie auf dasselbe hinaus, wie bei der Exstirpation des Tumors.
In früher Periode, wo die Operation selbst durchführbar und
gefahrlos ist, kommt der Patient nicht zur Behandlung, in späten
Stadien ist der Wert derselben ein absolut geringer. Dennoch \
werden wir oft teils durch die obwaltenden Verhältnisse, teils i
auf Drängen der nach dem letzten Rettungsanker greifenden j
Patienten gebieterisch gezwungen, diese palhative (!) Operation aus- '
zuführen.
I
Verzeichnis der 50 Fälle von Carcinom der Schilddrüse.
1 Wiese, Alois, 29 Jahre. 1882 Prot. Nr. 705. Adenocarcinoma gl. th.
Rechte Lunge mit erbsengrossen Knoten , Leber mit einem fanstgrossen, central |
erweichten, cystischen Knoten. Tumor von Faustgrösse am rechten Stirnbein,
mit stachelförmigem, in denselben hineinwucherndem Osteophyt.
2) Kisch, Fanny, 47 Jahre. 1882 klin. Prot. Nr. 138. Pneumonia lobular,
post, exstirp. lob. sin. gland. thyr. carcinomatosae. Laryngotomia. Krebsige In-
filtration des Zellgewebs am Halse. Knoten in beiden Lungen.
3) Brandstetter, Anna, 52 J. 1882 Prot. Nr. 920. C. medulläre gl. th.
in tracheam tendens ; tracheotomia ; mediastinitis ; exsudatum pleuriticum purul.
4) Reichenbacher, Marie, 72 Jahre. 1882 Prot. Nr. 1471. C. gl. th. et gl.
lymphat. colli in parietem post, pharyngis et in Oesophagum tendens, suffocatio;
gastrostomia facta.
Beiträge zur Lehre vom Schikldrüsenkrebs.
311
5) Schneps , -Moses, ÜO Jahre. 1882 Prot. Nr. 1788. Adenocarc. gl. th.
et gl. lymph. lat. colli et mediastini, tracheotomia.
6) Nahadil, Katharina, 43 J. 1883 Prot. Nr. 543. C. gl. th. Infiltration des
Oesophagus und der Trachealwand.
7) Mikai, Johann, 55 J. 1883 Pr. Nr. 1249. C. medulläre, subsequente
t^tenosi laryngis per compressionem. Tumores metastat. glandul. bronchial et
pulmonum.
8) Seifert, Anna, 72 J. 1884 Prot Nr. 748, C. gl. th. cum compress.
tracheae.
9) Stiene, Marie, 51 J. 1884 Pr. Nr. 1090. Degen, carc, totius gl. th. in
trach. et. oesoph. tendens, subsequ. carc. pulmonum et renis sin.
10) Schnelle, Marie, 45 J. 1884 Pr, Nr. II (klin.). C. gl. th. in trach. et
venam jugul. commun. sin. tendens usque ad atrium dextr.
11) Bernhard, Leopold, 47 Jahre. 1885 Pr. Nr. 72. C. gl. thyr. cum
compressione tracheae. Tracheotomia C. medulläre pulmonum.
12) Dickmann, Mischulin, 49 J. 1885 P. Nr. 409. C. fibrosum gl. th. c.
compress. trach. Tracheotomia.
13) Payerhuber, Aloisia, 40 J. 1880 P. Nr. 739. C. gl. th. in lobo dextro
Imjus situm c. compress. laryngis. Carc. metast. pulmonum.
14) Bäumer, Andreas, 42 J. 1880 Pr. Nr. 1405, C. med. gl. thyr. gland.
lymph. colli in musculos et in venam transvers. scap. dextr. tend. C. med.
secundarium, miliare pulmonum,
15) Ram, Franz, 53 J. 1880 P. Nr. 1491. C. gl. th. med. C. metast. gl.
lymph. bronch. et substern. et pulmonum.
10) Leitgeb, Barbara, 49 Jahre. 1880 P. Nr. 1497. C. gl. th. medulläre
subseq. carc. gl. lymph. colli et mediastini ; in tracheam et venam cavam sup.
tendens. C. pleurae utriusque; C. cercbil.
17) Kargl, Johann, 38 J. 1880 klin. Prot. Nr. 80. C. gl. th. medullär, sub-
seq. carc. gl. lymph. colli et mediast. Carc. sec. bronchi dextr. Phthisis lob.
sup. pulm. sin.
18) Enengl, Johann , 50 J. 1880 klin. Prot. Nr. 12. C. lob. sin. gl. th,
(adenocarc.); adenoma partim exstirpatum ossis parietalis dextri, adenoma arcuum
vert. dors. II et III costae YII et VIII et corp. vert. dors. VII. Aden. oss. ilei
sin. C. pulrnon. et. gl. lymph. colli etc.
19) Waschak, Agnes, 02 J. 1887 P. Nr. 231. C. gl. th. medull. et gl.
lymph. colli, etc.
20) Goiauf, Franz, 54 J. 1887 P. Nr. 555. C. gl. th. medull. gl. lymph.
colli, pulmonum, pleurae.
21) Willandter, Gottfried, 05 J. 1887 Pr. Nr. 708. C. gl. th., pulmonum.
22) Ebensetder, Paul, 54 J. 1887 Pr. Nr. 1358. C. gl. th. in tumore ade-
Uüinatoso lobi dextri ortum. C. gl. lymph. colli et bronchial.
23) Frank, Eduard, 00 J. 1887 P. Nr. 1408. C. gl. th. medull., in venam
jugul. commun. dext. et anonymam dextr. tendens. C. pleurae, pulmonum, renis
sin., C. sinus cavernosi sin.
24) Wondraschka, Anton, 48 J. 1887 P. Nr. 1713. C, gl. thyr. d. med.
Strumectomia ante hebdom IV; Lokal recidiv. Carc. gl. lymjjh. colli.
25) Wolf, Adler, 50 J. 1887. P. Nr. 1747. C. cylindrocellulare. gl. th. sin.
in tracheam et oesoph. tendens. C. secund. gl. lym))h. ; C. metastaticum
cylindrocell. pulmonum, bronchos quosdam occludens subseq. bronchiectasiis.
312
Hermann Hinterstoisser.
26) Prohaska, Marie, 34 J. 1887. klin. P. 32, Adenocarc. gl. th. subseq.
care, ossis parietalis dextr. partim, orbitae, ossis frontalis dext. costae VI dextr.,
oss. hnmeri sin.
27) Tanczos, Andreas, 56 J. 1888 P. Nr, 1507. C. med. gl. thyr. C. gl.
lympb. mediastini, pulmonum.
28) Fiscbl, Gottlieb, 42 J. 1888 P. Nr. 104. Adenocarc, gl. th. sin, gl.
lympb. colli, C. pulmonum, Tumor adenoides ossis ilei dextr., Carcinomatosis
ossis ilei sin. durae matris et cranii, infiltratio carcinomatosa oss. sacri.
29) Josefa Schindel, 54 J. 1888 P. Nr. 1553. C. medull. gl. th. gl. lympb.
colli et mediast., C. pleurae, pulmonum. Exstirj^atio gl. thyr., Tracheotomia.
30) Klabocb, Ignatz, 38 J. 1888 P. Nr. 1769. Adenocarc. gl. thyr., gl.
lympb. colli, bronchial., pulmonum, Adenocarc. baseos cranii.
31) C'Zibulka, Franziska, 40 J. 1888 klin. Prot. 29. C. med. gl. th. C. gl.
lymph, colli, axillarium, retroperitonealium, C. sec. puhnon.
32) Eigl, Barbara, 52 J. 1888 P, Nr. 1396. C. med. gl. th. Cum me-
tastas. gl. lymph., pleurae, pulmonum, hepatis, et renum.
33) Scheidl, Johann, 60 J. 1888 23 XII. C. medull. gl. thyr. cum me-
tastas. gl. lymph. colli et mediast, et pulmonum.
34) Schober, Marie, 35 J. 1888 Prot. Nr. 690. C. gl. th. med. C. gland.
lymph. colli et trachealium.
35) Stanjura, Jakob, 59 J. 1888 P. Nr. 1441. C. gl. th. gl. lymph. colli,
mediast., C. puhnon. et hepatis.
36) Wolf, Franz, 40 J. 1889. P. Nr. 415. Adenocarcinoma lobi dextr. gl.
th. cum adenomate maxillae inf. sin. C. gl. lymph. colli, mediast., pulmonum.
37) Tölg, Mathias, 39 J. 1889 P. Nr. 1066. C. medull. gl. th. et gl. lymph.
colli et mediastini, jnilmonum, pleurae.
38) Bahner, Anna, 34 J. 1889 P. Nr. 1797. C. fihrosum gl. th. ad isthmum,
Care, cerehri multiplex cum usura cranii.
39) Ehrenhöfer, Jakob, 39 J. 1889 P. Nr. 1969. C. med. gl. th. in tracheam
com]Dressam tendens, C. gl. lymph. colli, mediast.
40) INIarie Wallner, 67 J. 1890 P. Nr. 240. C. med. gl. th. (Totalexstirp.).
C. metast. pulmonum.
41) Stöger, Andreas, 53 J. 1890 P. Nr. 493. C. gl. th, in Venam anonym,
sin. tendens. Phthisis tuherculosa puhnon.
42) Zenz, Franz, 32 J. 1890 P. Nr. 724. Anaemia post, exstirp, manubrii
sterni. adenomate cystico gl. th. substituti. Adenomata gl. th. multiplicia. (Adeno-
carcinoma.)
43) Winkler, Josef, 31 J. 1890 P. Nr. 1160. Adenocarc. gl. th. in ven.
anon. sin. tendens subseq. embolia puhnon., cum carcinomate metastico pul-
monis utriusque.
44) Stahl, Josef, 50 J. 1890 P. Nr. 1207. C. gl. th. medull. C. secund.
pulmon. sin. Stenosis tracheae ex infiltratione hujus.
45) Hell, Marie, 65 J. 1890 P. Nr. 1416. C. gl. th. sin. medulläre cum
compress. Oesoph. C. gl. lymph. colli, C. sec. puhnon. sin.
46) Appensteiner, Ignaz, 64 J. 1890 P. Nr. 1597. C. fibrös, gl. th. in
tracheam tendens. C. gl. lymph. colli.
47) Steiner, Rosalia, 77 J. 1891 P. Nr. 483. C, gl. th. medull. carc. gl.
lymph. bronchialium et pulmonum. Metastat. inultipl. cerebri.
Beiträge zur Lehre vom Schilddrüseiikrebs.
313
48) Irmler, iNIagdalena, 53 J. 1891 P. Nr. G44. C. medull. gl. thyr. dextr.
C. sec. cordis, cum pericarditide haemorrliagica. Resectio oesophagi ante mens,
quatuor facta.
49) Linke, Marie, 55 .1. 1891 P. Nr. G71. Adenocarc. gl. th. dextr. enorme,
metastases hemisphaeriae dextr. cum oedemate cerebri et bydrocepb. interne.
50) Heiderer, Therese, 59 J. 1891 P. Nr. 1571. Adipositas cordis, exstir-
patio gl. tbyr. dextr. partim retropbaryngealis propter. carc. med. Resectio nervi
recurr. C. gl. lymph. colli.
Ueber die eigentlichen Sehnerventumoren
und ihre chirurgische Behandlung
von
Prof. H. Sattler in Leipzig.
Mit Tafel VII.
Für die chirurgische Behandlung der Orbitalgeschwülste ist
die Entscheidung von Wichtigkeit, ob dieselben ausserhalb oder
innerhalb des Muskeltrichters gelegen sind, d. h. jenes trichter-
förmigen, von den Muskelbäuchen der vier geraden Augenmuskeln
unvollständig umschlossenen Raumes, dessen Basis am Augapfel
und dessen Spitze am Foramen orbitale des Canalis opticus sich
befindet. Diese Entscheidung ist in der Regel, selbst bei beträcht-
licher Grösse der Geschwulst, ohne besondere Schwierigkeit zu
treffen.
Die Sehnerventumoren rangieren natürlich unter den Ge-
schwülsten innerhalb des bezeichneten Raumes. Aber auch bei
den unter dem Namen der Sehnerventumoren zusammengefassten
Orbitalgeschwülsten ist es vom pathologisch-anatomischen Stand-
punkte unerlässlich und vom klinischen in mehr als einer Be-
ziehung von entschiedener Wichtigkeit, zu differenzieren, ob sie
von Bestandteilen des Sehnervenstammes selbst, beziehungsweise
den ihn zunächst umschliessenden Scheiden , insbesondere der
Arachnoidealscheide ausgegangen und somit innerhalb der Dm’al-
scheide des Sehnerven gelegen sind und von letzterer nach aussen
begrenzt werden, oder aber ob sie von der äusseren Scheide, bzw.
dem an dieselbe sich anschliessenden, lockeren Zellgewebe entsprun-
gen, den Sehnerven bloss umschliessen und sich frei im Muskel-
trichter ausbreiten, denselben erweiternd und schliesslich durch-
Üeb. die eigentlichen Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung.
brechend. Nur die ersteren dürfen als Sehnervengeschwülste ini
strengeren Wortsinne angesprochen werden und nur diese sind es,
welche den Gegenstand dieser Abhandlung bilden sollen.
Es braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden, dass
wir hier nur den primären Sehnerventumoren unsere Aufmerksam-
keit zuwenden werden und von jenen absehen, welche im Innern
des Bulbus ihren Ausgang nehmend auf den Sehnervenstamm
und seine Scheiden übergreifen (Aderhautsarkome, Gliosarkome
der Netzhaut). Auch die äusserst seltenen Fälle von Carcinom-
inetastase im Sehnerven (Krohn 18 ’) , Elschnig 86 -) lassen wir
hier beiseite. Des merkwürdigen und höchst vereinzelten Vor-
kommens tuberkulöser Geschwulstbildung im Sehnerven und seinen
Scheiden (H. Chiari 35, H. Sattler 36, Cirincione 84) sei nur
insoferne hier Erwähnung gethan, als das klinische Bild mit
dem der eigentlichen Sehnerventumoren in mancher Beziehung
übereinstimmt.
Ich will zunächst die von mir selbst beobachteten Fälle be-
schreiben und dann auf Grund der sich daraus ergebenden Er-
fahrungen und Befunde und mit Berücksichtigung der verwert-
baren Fälle aus der Litteratur eine allgemeine Charakteristik der
eigentlichen Sehnerventumoren in anatomischer und klinischer
Beziehung zu geben versuchen,
I. Fall. Ein 3 Jahre altes, sonst völlig gesundes und normal
entwickeltes Mädchen, Grethe R., wurde mir am 11. Januar 1892
mit der Klage zugeführt, dass das Kind seit Jahr mit dem
rechten Auge schiele. Seit ungefähr */4 Jahr sei das Auge etwas
mehr aus seiner Höhle hervorgetreten und habe sich die Vor-
treibung allmählich immer mehr gesteigert. Ueber Schmerzen
habe das Kind dabei nie geklagt. Dass es auf dem betreffenden
Auge blind sei, haben die Eltern erst bei unserer Untersuchung
erfahren. Seit dem Zahnen hat das Kind öfters an Luftröhren-
katarrhen gelitten und einige IMale Krämpfe gehabt. In der
Familie war eine ähnliche Erkrankung nie vorgekommen.
Das linke Auge ist in jeder Beziehung normal. Das rechte
war beträchtlich nach vorn und gleichzeitig etwas nach unten
’) Metastatisches Carcinom im vorderen xVbschnitte des Zwischenscheiden-
raumes beider n. optici, entlang den Septen in den Nervenstamm sich fort-
setzend, nach carcinoniatöser Degeneration der Ovarien bei einer SOjähr. Frau.
^ Metastatisches Carcinom im intracraniellen Teile des Sehnerven zwischen
Chiasma und Canalis opticus hei einem 4.3jähr. Manne nach Carcinom der rechten
Niere. Es fanden sich ausserdem noch metastat. Herde in den Lungen, der
Pleura, den retroperiton. Drüsen und der linken Niere.
316
II. Sattler.
verlagert. Die Lider konnten leicht darüber geschlossen werden.
Die Beweglichkeit des Augapfels war nach allen Richtungen frei,
nur nach innen zu weniger ausgiebig. Die Conjunctiva bulbi war
etwas stärker injiciert, die Cornea in jeder Beziehung normal,
ebenso die Iris ; die Pupille reagierte prompt synergisch, bei Ver-
schluss des linken Auges aber gar nicht auf Licht und Dunkel.
Die vordere Kammer war von normaler Tiefe ; die flüssigen Medien er-
schienen vollkommen klar. Die ophthalmoskopische Untersuchung
ergab das Bild einer ausgeprägten Papillitis ; die Schwellung des
Sehnervenkopfes erstreckte sich aber nicht nennenswert über die
Papille hinaus. Dieselbe war von trüb weisser Farbe, radiär
streifig ; Blutungen waren nirgends zu sehen. Die Gefässe auf der
Papille waren geschlängelt, in ihrer Füllung aber nicht wesentlich
vom gewöhnlichen Verhalten abweichend, namentlich die Venen
nicht nennenswert verbreitert.
Der Versuch, den Augapfel nach rückwärts zu drängen, schien
keine Schmerzempfindung hervorzurufen. Dass die Lichtempfindung
auf diesem Auge erloschen war, wurde schon erwähnt.
Der gesamte Symptomencomplex, sowie die anamnestischen
Daten sprachen, wie weiter unten des Näheren auseinandergesetzt
werden soll, für eine vom Sehnerven ausgehende Geschwulst. Es
wurde daher mit einem hohen Grade von Zuversicht die Diagnose
auf einen gutartigen, auf die Orbita beschränkten Tumor nervi
optici gestellt und die Exstirpation mit Erhaltung des Augapfels
beschlossen und am 12. Januar ausgeführt.
In Chloroformnarkose wurde die Conjunctiva bulbi über der In-
sertion des Muse, rectus internus in vertikaler Richtung durchtrennt,
die Sehne wurde freigelegt, auf den Schieihacken genommen und
mit zwei Fadenschhngen versehen, zwischen welchen sie nun durch-
schnitten werden konnte. Nun wurde die Conjunctiva bulbi und
die Tenon’sche Kapsel noch in weiterer Ausdehnung durchtrennt
und der Bulbus mittels der nächst der Insertion angelegten Faden-
schlinge stark nach aussen rotiert. Man konnte nun mit dem
Finger dem Augapfel entlang in den Muskeltrichter eindringen
und stiess auf eine glatte, umschriebene, ziemlich pralle Geschwulst,
welche sich bis in die Sj)itze des Muskeltrichters hinein erstreckte.
Hier wurde sie nun knapp am Foramen opticum mit einer starken,
gekrümmten Schere durchtrennt. Nun liess sich die Geschwulst
ziemlich leicht hervordrängen, wobei die Insertion des Nervus op-
ticus am Bulbus sichtbar wurde. Diese wurde nun rasch durch-
schnitten, die Geschwulst völlig herausbefördert, der Bulbus in die
Orbita zurückgedrängt und der Rectus internus mittels der Faden-
Ueb. die eigentlichen Selinerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung. 317
schlinge wieder angenälit. Während dieser Manipulation, sowie
während der Vereinigung der Conjunct. bulbi durch mehrere Hefte
wurde der Augapfel durch den Assistenten zurückgedrängt erhalten
und zuletzt wurde ein fester Druckverband angelegt. Die Blutung
war eine ziemlich beträchtliche, jedoch nicht stärker, als bei der
einfachen Neurectomia opticociliaris.
Mit Ausnahme einer mässigen Temperatursteigerung an den
zwei ersten Tagen nach der Operation war der Verlauf fieberfrei.
Der anfangs ziemlich starke Exophthalmus begann vom
zwölften Tage an sich allmähhch zurückzubilden und war am 3. März
nahezu ganz geschwunden. Die Cornea war in den ersten Tagen
matt und leicht diffus getrübt. Ihre Empfindlichkeit war auf-
gehoben, die Pupille erschien erweitert, starr und entrundet, indem
die Iris auf der inneren Seite auf einen äusserst schmalen Saum
reduciert war.
Am 24. Januar, als die anfängliche Schwellung der Lider
zurückgegangen war, sah man, dass das obere Lid herabhing und
nicht gehoben werden konnte. Die Bewegungen des Bulbus waren
nach allen Seiten beschränkt. Die Cornea ist soweit klar gewor-
den, dass man eine ophthalmoskopische Untersuchung vornehmen
konnte. Doch war dieselbe durch die Unruhe des Kindes sehr
erschwert. In der Gegend der Papille sah man einen unregel-
mässig begrenzten, verwaschenen, weisslichen Fleck. In der Peri-
pherie war der Augengrund rot und waren auch Netzhautgefässe
deutlich wahrzunehmen.
Am 3. März hatte sich die Ptosis etwas gebessert. Der Bul-
bus war etwas nach einwärts abgelenkt, nach den Seiten nur
wenig, nach oben und unten etwas besser beweglich, die Pupille
war noch weit und verzogen. Die Grenzen der Sehnervenpapille
erschienen deutlicher. Es gingen einzelne weisse Streifen von
ihr aus; in der Peripherie waren auch blutgefüllte Netzhautgefässe
zu erkennen. In der Umgebung der Papille fanden sich einige
Pigmentflecke, wohl von früheren Extravasaten herrührend. In
letzter Zeit hatte die kleine Patientin öfters über Kopfschmerzen
geklagt.
Als ich das Kind vor einigen Tagen, also ein halbes Jahr
nach der Operation wiedersah, erschienen die Lider normal be-
weglich, der Augapfel tiefer liegend und deutlich kleiner als der
andere. Der vertikale Durchmesser der Hornhaut beträgt etwa 8,
der horizontale 9 mm. Unterlialb der Mitte der Cornea zieht
ein schmaler grauer Streifen, ein klein wenig über die Oberfläche
prominierend, quer über dieselbe hinübei’. Die vordere Kammer
318
H. Sattler.
ziemlich seicht; die Iris in ihrem äusseren Anteile stärker mit Blut
gefüllt; die Pupille fast schlitzförmig, nach innen verzogen. Der
Bulbus ist weniger gespannt, gegen Druck nicht empfindlich; er
steht in starker Konvergenzstellung und macht die Bewegungen
des andern Auges nur in ganz geringem Grade, nach links hin
gar nicht mit. Durch die Pupille ist mit dem Augenspiegel nur
ein leicht grauer Reflex zu bekommen. Das linke Auge ist in
jeder Beziehung normal und das Kind blühend und munter.
Die exstirpierte Geschwulst, an Grösse und Gestalt einem
Taubenei ungefähr vergleichbar, mass 18 mm in der Länge und
hatte in der grössten Breite einen Durchmesser von 19 mm. Sie
war von mässig weicher Konsistenz, in geringem Grade elastisch,
an der Oberfläche, nach Ablösung einzelner anhaftender Gewebs-
fetzen, glatt und von einer festen, bindegewebigen Scheide all-
seitig umschlossen. Aus den beiden Polen der Geschwulst gehen,
wie sofort ersichtlich, die durchschnittenen Opticusenden hervor.
(Fig. 1.) Das hintere hat, mit den Scheiden gemessen, einen
Durchmesser von 8 mm und ist etwas nasalwärts gewendet. Das
vordere, temporalwärts gekehrte Ende gehört dem zwischen Bul-
bus und der eigentlichen Geschwulst befindlichen, an der Durch-
schnittsstelle 6 mm breiten, kurzen Sehnervenstiele an, welcher mit
starker, knieförmiger Biegung, an der temporalen Seite allmählich,
an der nasalen mehr plötzlich in den Tumor übergeht.
Legt man in horizontaler Richtung einen Längsschnitt so
durch die Geschwulst, dass derselbe annähernd durch die Mitte
des vorderen und hinteren Sehnervenendes hindurch geht (Fig. 2),
so überzeugt man sich, dass der dem Sehnerven entsprechende
Strang den ganzen Tumor von vorn nach hinten durchsetzt, wo-
bei er die dem normalen Sehnerven zukommende S förmige Krüm-
mung in der horizontalen, sowie in der vertikalen Richtung bei-
behalten hat, erstere in seinem vorderen Anteil allerdings etwas
übertrieben. Bei c senkt sich der Strang unter das Niveau der
horizontalen Schnittebene. Durch grauliche Farbe, matten Glanz
und eine deutliche, zarte Längsstreifung hebt sich derselbe un-
verkennbar von seiner Umgebung ab, gegen welche er überdies
durch eine schmale, dichtere, weisse Gewebschicht abgegrenzt
wird, die, wie leicht zu erkennen ist, der Pialscheide des Sehner-
ven entspricht.
Der übrige, die Hauptmasse der Geschwulst ausmachende
Anteil zeigt gegen den axialen Strang sowohl als gegen die äussere
Oberfläche zu ein etwas dichteres Gefüge und gelblichweisses Ko-
lorit; die dazwischen hegende Partie dagegen hat mehr das Aus-
Ueb. die eigentliclien .Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung. 319
sehen eines Schwammes, dessen kleine und kleinste Lücken durch
eine fast farblose, durchscheinende, ein wenig über die Schnitt-
fläche hervorquellende Substanz ausgefüllt erscheinen. (Siehe Fig.
2 und 3.)
Nachdem das Präparat kurze Zeit in der Pikrin-Schwefelsäure-
Mischung gelegen und dann in Alkohol in steigender Konzen- ,
tration gehärtet worden war, wurden in verschiedenen Höhen
Serien von Quer- und Längsschnitten durch die Geschwulst angelegt.
Wir werden bei der Darstellung des mikroskopischen Befun-
des hier, sowie bei den folgenden Fällen das Verhalten des Seh-
nervenanteils und des Scheidenanteils gesondert behandeln. Ersterer
hat auf einem Querschnitt durch das ßulbusende des Sehnerven-
stiels einen Durchmesser von 3 mm, also ungefähr ebensoviel, als
der normale Sehnerv im gleichen Lebensalter. Auch erscheint die
gröbere Architektonik desselben nicht nur hier, sondern durch den
ganzen Strang bis zum hinteren Schnittende nicht verändert.
Bindegewebssepten, die Träger der Kapillaren und kleineren Ge-
fässe, durchziehen der Länge nach und mit zahlreichen queren
und schrägen Verbindungsstücken den Strang und setzen sich im
vordersten Teile, der noch die Centralgefässe enthält, in bekannter
Weise mit der Bindegewebshülle derselben in Verbindung. Sie
sind nicht hypertrophiert, sondern im Bereich des Tumors eher
ärmer an fibrillärem Bindegewebe. Die Felder zwischen den Sejv
ten, welche im normalen Nerven von den markhaltigen Fasern
und der zarten Neuroglia eingenommen werden, zeigen al)er sehr
wesentliche Veränderungen. Von markhaltigen Fasern ist keine
Spur mehr vorhanden. Statt ihrer findet man feine, ziemlich
stark lichtbrechende Fasern, welche der Hauj^tmasse nach, in
Bündeln geordnet, den Opticusstrang in longitudinaler Richtung
durchziehen. Nur in den ersten Querschnitten vom vorderen Ende
desselben lässt sich noch stellenweise eine Andeutung des feinen
Gitterwerks der Neuroglia erkennen mit ovalen Kernen, die sicht-
lich an Zahl zugenommen haben. Ausserdem findet man aber
feinste, kernhaltige Fasern in den verschiedensten Richtungen vom
Schnitte getroffen. Vorwiegend haben sich diese auch hier schon
in der Längsrichtung angeordnet. Etwas näher gegen den Tumor
zu und innerhalb des letzteren selbst bieten Querschnitte und
Längsschnitte überall ein übereinstimmendes Bild. Die Septen
sind hier weiter auseinander gerückt, bezw. die Räume zwi.schen
denselben verbreitert, stellenweise bis auf das Doppelte des Nor-
malen. Dementsprechend hat der ganze Strang an Dicke zugenom-
men, auf 4,8 bis 5,5 mm. Der grössere Teil der Felder zwischen
320
II. Sattler.
den Septen ist von feinen, leicht welligen, der Länge nach ver-
laufenden Fasern ausgefüllt, welche, in verschiedener Höhe läng-
lichovale Kerne tragend und in lockere Bündel geordnet, haupt-
sächlich die Mitte der Felder einnehmen. In der Peripherie der-
selben, also nächst den Septen, finden sich dagegen Faserzüge
quer oder in verschiedenem Grade schräg gegen die ersteren ge-
richtet. Von diesen Faserzügen spalten sich kernhaltige Fasern
oder feine Bündel von solchen ab, welche sich zwischen die längs-
verlaufenden Züge hineinerstrecken, sowie andererseits da und dort
auch longitudinale Faserbündel zwischen queren und schräg ver-
laufenden durchgesteckt erscheinen. Von einem Netzwerk, wie bei
den vordersten Querschnitten erwähnt, ist hier keine Andeutung
mehr zu sehen. Mehr rundliche Kerne, welche keinen Fasern an-
gehören (vgl. Fig. 4 f.), finden sich da und dort zwischen den
Faserzügen eingesprengt. Ausnahmsweise und zwar hauptsächlich
im hinteren Abschnitte, der Geschwulst trifft man kleine, unregel-
mässig gestaltete Lücken, welche von einer homogenen Substanz
erfüllt und stellenweise von feinen Fäden, die sich zum Teil deut-
lich als Ausläufer bipolarer oder sternförmiger Zellen erweisen,
spinnwebartig durchzogen sind — kleinste myxomatöse Herde.
Einzelne protoplasmareichere Zellen sind frei in der homogenen
Masse gelegen. Da und dort finden sich auch rundliche oder un-
gleichmässig variköse, stärker lichtbrechende und mit Eosin oder
Säurefuchsin lebhaft sich färbende Gebilde innerhalb der Faser-
züge, welche, wie wir gleich sehen werden, durch hyahne Degene-
ration in Faserzellen zu stände kommen (Fig. 4, d). Heber die
Natur der nun schon wiederholt genannten Faserzellen geben erst
Zerzupfungspräparate aus verschiedenen Teilen der Geschwulst
befriedigenden Aufschluss. Es gelingt nämlich ohne besondere
Schwierigkeit, einzelne Fasern mehr oder weniger vollständig aus
ihrem Zusammenhang zu lösen und man überzeugt sich dann
leicht, dass im Nervenanteile des vorliegenden Tumors sämthche
Fasern spindelförmigen Zellen angehören, welche einen länglichen
(13 bis 18 langen und 3,5 bis 6// dicken) Kern und eine kleine
oder grössere Menge feinkörnigen Protoplasmas an den beiden
Polen des letzteren besitzen (Fig. 4, a, b). Die davon ausgehenden
Fortsätze stellen drehrunde, lange Fasern dar, welche, wenn sie
annähernd geradlinig verlaufen, in der Regel durch mehrere Seh-
felder^) zu verfolgen sind. Die Feinheit der Fasern ist verschieden.
Viele sind unmessbar fein, andere haben deutlich doppelte Kon-
q Zciss, Ajiochrorn. Obj. 1,0 mm mit Kompensat. Ocular 4.
Ceb. die eigentliehen Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung. 321
touren und einen Durchmesser von l,u und darüber. Auch diese
gröberen Fasern sieht man, wenn sie nicht abgerissen sind, in
feinste Fäden endigen, bisweilen in zwei Ausläufer sich spaltend.
An einigen der feineren Fasern finden sich kleine, variköse An-
schwellungen (Fig. 4, c). In Bezug auf die physikalischen und
chemischen Eigenschaften der faserartigen Zellausläufer lässt sich
folgendes ermitteln. Sie erscheinen homogen, zeigen einen schwachen
bläulichen Glanz und nehmen keine Tinktion an. Aus ihrem Zu-
sammenhänge gelöst, präsentieren sie sich gewöhnhch peitschen-
artig, wellenförmig oder lockig gewunden, oder selbst korkzieher-
artig aufgedreht. Essigsäure wirkt nur langsam auf sie ein, macht
sie nur wenig quellen, lässt sie aber endlich so blass werden, dass
I sie kaum mehr wahrzunehnien sind. In verdünnter Kalilauge
werden sie sofort sehr blass und lösen sich in kleinste Tröpfchen
1 auf. Durch Kochen in 0,6 °/o Kochsalzlösung tritt keine Lösung
I ein und werden sie überhaupt nicht wesentlich verändert.
Vereinzelt findet man Fasern, welche in einer kürzeren oder
1 längeren Strecke ihres Verlaufes rundliche, ungleichmässig variköse,
I kolbenförmige oder klumpige Einlagerungen zeigen, welche das
i Licht stärker brechen, ein eigentümlich starres Aussehen haben,
1 keine Amyloidreaktion geben, aber mit Eosin und Säurefuchsin
I sich lebhaft färben. Es dürfte sich also wohl um Hyalin handeln.
I (Fig. 4, d, h).
Sternförmige Zellen mit mehrfachen Ausläufern kamen im
! Nervenanteile der Geschwulst nur ganz selten zur Anschauung;
I etwas häufiger rundliche oder unregelmässig eckige Zellen mit
I rundem oder ovalem Kern und spärlichem oder etwas reichlicherem
I grobkörnigem Protoplasma (Fig. 4, f).
Wie schon erwähnt, ist der degenerierte Nervenstrang in
I seinem ganzen Verlaufe von der übrigen Masse des Tumors
I getrennt durch die wohl erhaltene Pialscheide (vergl. oben). Die-
f selbe ist, wie gewöhnlich, aus Bündeln fibrillären Bindegewebes
i zusammengesetzt, welche teils der Länge nach, teils cirkulär ver-
I laufen. So wie die Septen nach dem Inneren des Nervenstranges,
i so lösen sich dem Subarachnoidealraume zu von der Pialscheide
i zahlreiche Balken ab, welche jedoch nur an den vom vorderen
' Schnittende des Sehnerven stammenden Präparaten in ihrem ge-
I wundenen Verlauf durch den genannten Raum mehr oder weniger
I weit zu verfolgen sind. Die Arachnoidealscheide und die sub-
arachnoidealen Bälkchen sind es nun gerade, w^elche das Substrat
liefern für die zwischen Pial- und Duralscheide eingeschlossene
' Neubildung, die, wie wir bereits wissen, die Hauptmasse der
21
322
H. Sattler.
Geschwulst ausinaclit (s. oben S. 316). Schon an den ersten Schnitten
vom Bulbusende des Sehnervenstieles sieht man, dass der sub-
arachnoideale Raum sehr erheblich (um mehr als das 10 fache)
breiter ist, als am normalen Sehnerven, und in der Richtung nach
innen unten wieder um mehr als das Doppelte breiter, als nach
aussen oben, wo Dural- und Pialscheide 0,4 mm voneinander ab-
stehen. Die Ursache dieser Verbreiterung liegt in einer beträcht-
lichen Wucherung der subarachnoidealen Bälkchen, welche, in
ihrer Struktur zunächst noch nicht verändert, an Menge und zum
Teil auch an Masse zugenommen haben und, indem sie sich
stellenweise dicht aneinander lagern, einander umschlingen und
sich gegenseitig durchflechten, nur mehr schmale, vielfach bloss
spaltförmige Räume zwischen sich frei lassen. An ihrer Ober-
fläche sind sie allenthalben von endothelialen Zellplättchen über-
kleidet. Da wo die Wucherung weiter fortgeschritten ist, fällt vor
allem ein bedeutend grösserer Kernreichtum auf und eine ein-
gehendere Untersuchung lehrt, dass hier, namentlich nach der
Peripherie zu, dünne, durchsichtige Bälkchen in grosser Menge
und dicht gelagert die Räume zwischen den einzelnen gröberen,
undeutlich fibrillären , gefässführenden Balken ausfüllen und von
näher aneinander gerückten, ovalen Kernen bedeckt sind, welche
kleiner und lebhafter tingiert erscheinen, als die Kerne der endo-
thelialen Zellplättchen der gröberen Balken. Ja, an manchen
Stellen scheint eine Intercellularsubstanz vollständig zu fehlen und
treten Züge spindelförmiger Zellen erst vereinzelt, dann immer
reichlicher an Stelle der Bälkchen. Zunächst der äusseren Scheide
— der ursprünglichen Arachnoidealscheide entsprechend — finden
sich da und dort kleine Herde junger Zellen mit rundlichem oder
ovalem Kern, dicht aneinander gelagert, wie es scheint, die Matrix dar-
stellend für jene Formen, welche dann in verschiedener Weise
•differenziert die Neubildung aufbauen.
Beim Uebergang in die eigentliche Geschwulst verbreitert
sich die Wucherung im subarachnoidealen Raume rasch sehr be-
deutend. Bindegewebsbalken verschwinden vollständig und an
ihre Stelle treten stärkere und schmächtige Bündel und Züge jener
langen Faserzellen, welche wir bereits oben kennen gelernt haben.
Indem dieselben einander in den verschiedensten Richtungen durch-
setzen, entsteht ein Flecht- oder Mattenwerk, dessen Lücken bald
eng und spaltförmig, bald beträchtlich weiter und, je nach der
Richtung der Faserzüge im Durchschnitte spindelförmig oder poly-
gonal erscheinen. Die länglichen oder ovalen Kerne der feineren
und gröberen Faserzellen sind, dem Verlaufe der Bündel ent-
Ueb. die eigentlichen Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung. 323
sprechend, in den verschiedensten Richtungen vom Schnitte ge-
troffen. Da und dort finden sich hyaline Körper im Verlauf der
Faserzüge. Gegen die Pial- und Duralscheide zu, wo, wie wir bereits
erwähnt haben (siehe S. 316 unten), die Geschwulst ein dichteres
Gefüge zeigt, trifft man vorwiegend einige Lücken, welche teils
leer sind, teils einzelne oder auch mehrere Zellen beherbergen mit
il meist nur spärlichem Protoplasma. In den mittleren, mehr suc-
culenten Teilen der Geschwulst lassen die sich durchflechtenden
Faserzüge meist weitere Lücken zwischen sich, welche von einer
I homogenen, farblosen Substanz erfüllt sind und in dieser freie,
1 rundliche Zellen (Fig. 4, f) teils vereinzelt, teils in kleineren oder
grösseren Häufchen enthalten. An manchen Stellen sieht man
I diese Lücken von feinen Fasern spinnweb- oder netzartig durch-
; zogen und man kann sich leicht überzeugen, dass dieselben teils
1 spindelförmigen, teils mehrfach verzweigten sternförmigen Zellen
I angehören. In der Umgebung solcher Lücken, sovde in den die-
^ selben durchsetzenden Faserzügen ist das Gefüge selbst bisweilen
t mehr oder weniger beträchtlich gelockert, so dass die einzelnen
I' bipolaren oder verästelten Faserzellen, wie isoliert, auseinander
\ treten. Ausser diesen Herden von Schleimgewebe kommen in den
” weichen Teilen der Geschwulst auch kleinere und grössere, ganz
I unregelmässig begrenzte Lücken vor, welche von einer homogenen,
• dui'cli die Einwirkung des Alkohols von fadenförmigen Nieder-
i Schlägen ungleichmässig durchzogenen Substanz erfüllt sind und
i den Eindruck machen, als seien sie durch Auflösung der Irasern
i| entstanden — schleimige Entartung. Nebst kleineren oder grösseren
^ Gruppen freier, rundlicher oder unregelmässig gestalteter Zellen
finden sich in der homogenen Masse auch da und dort Körnchen,
Kügelchen oder ungleichmässig walzenförmige Stücke hyaliner
• Substanz, welche , wie es scheint , bei der Auflösung von Fasern
' mit hyalinen Einlagerungen frei geworden sind.
Zerzupfungspräparate aus dem Scheidenteile der Geschwulst
ergeben im grossen und ganzen dieselben Elemente, wie wir sie
vom Nervenstrang her bereits kennen; nur ist die Mannigfaltigkeit
der Formen eine grössere. Es finden sich hier Hel häufiger
Spindelzellen mit mehr als zwei Fortsätzen, sowie Spaltungen der
fadenförmigen Ausläufer derselben. Ebenso kommen sternförmige
Zellen mit einer grösseren Anzahl feiner und gröberer, meist
wiederum sich gabelnder Fortsätze (Fig. 4, e) nicht selten
zur Anschauung. Auch die Zahl von Fasern mit hyalinen Ein-
lagerungen ist eine beträchtlich grössere und endlich sind in jedem
Gesichtsfeld freie Zellen mit rundem oder ovalem Kern und
H, Sattler.
grobkörnigem Protoplasma (Fig. 4, f) in grösserer Menge anzu-
treffen.
Schnitte durch den hintersten Teil der Geschwulst lassen
erkennen, dass in dem noch beträchtlich verbreiterten Zwischen-
scheidenraume neben den Geschwulstelementen wieder die hyper-
trophierten, subarachnoidealen Bälkchen mit ihrem endothelialen
Zellenbelag deutlich hervortreten; nur findet der Uebergang viel
plötzlicher statt, als am vorderen Ende der Fall war.
Der zweite Fall betraf einen 7jährigen, sonst gesund aus-
sehenden Jungen, bei welchem das rechte Auge aus der Orbita
beträchtlich hervorgedrängt und gleichzeitig nach aussen und unten
dislociert war. Die Beweglichkeit war nach innen beschränkt,
sonst überall ziemlich frei. Das Sehvermögen war völlig erloschen;
seit wie lange, war nicht mit Bestimmtheit herauszubringen. Es
konnte nur ermittelt werden, dass seit zwei Jahren Auswärtsschielen
und allmähliges »Grösserwerden des Auges« bemerkt wurde.
Schmerzen waren nie vorhanden und auch jetzt war der Augaj)fel
beim Versuch, denselben zurückzudrängen, nicht empfindlich. Die
optischen Medien erschienen klar. Die Sehnervenpapille war be-
trächtlich geschwellt, aber die Pronfinenz wesentlich auf die Pa-
pille selbst beschränkt. Sie erschien von grauweisser Farbe,
streifig getrübt, an ihren Grenzen verwaschen. Blutungen waren
nirgends zu sehen.
Auch hier hatte ich auf Grund des mitgeteilten klinischen
Befundes die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf einen Tumor des
Sehnerven gestellt, die Exsthpation der Geschwulst aber gleich-
zeitig mit der des Sehnerven vorgenommen, weil ich damals (1874)
glaubte, ohne Opferung des Augapfels nicht sicher die Entfernung
alles Krankhaften durchführen zu können. Nach Ablösung der
Conjunctiva und Durchtrennung der vier geraden Augenmuskeln
wurde mit dem Finger eingegangen und festgestellt, dass die weich
elastische Geschwulst überall wohl begrenzt war und nach rück-
wärts bis in den canalis opticus hinein sich erstreckte. Hier wurde
sie nun unter Führung des Fingers mit einer starken krummen
Schere dicht am foramen opticum durchtrennt und nun hatte die
Herausbeförderung des Tumors keine Schwierigkeit mehr. Der-
selbe war von eiförmiger Gestalt und mass 45 mm von vorn nach
hinten und am Querschnitt an der breitesten Stelle im Mittel
28 mm. Ein S förmig gekrümmter, im gestreckten Zustande 16 mm
langer Sehnervenstiel ist zwischen Geschwulst und Augapfel ein-
b Die Heilung erfolgte ohne Störung. lieber das weitere Schicksal des
Patienten habe ich nichts mehr erfahren können.
Ueb. die eigentlichen Selinerventumoren u, ihre chirurgische Behandlung. 32Ö
geschaltet. Die Dicke dieses Stiels beträgt 7 mm. Ein durch
Augapfel, Stiel und Geschwulst geführter Längsschnitt lässt auch
hier erkennen, dass der dem Sehnerven entsj^rechende Strang
durch die ganze Geschwulst hindurch deutlich zu verfolgen und
gegen die übrige Tumormasse wohl abgegrenzt ist. Während der
Sehnerv 5 mm hinter der Skleralöffnung , ohne seine Scheiden,
3 mm dick ist, schwillt er 13 mm hinter dieser Stelle auf 6 mm
an, erreicht dann in der Geschwulst an der Grenze zwischen ihrem
vorderen und mittleren Drittel eine Dicke von 9 mm, um dann
gegen das hintere Ende wieder auf einen Durchmesser von 5 mm
zurückzugehen. Der Nervenstrang, an dem eine deutliche Längs-
streifung zu erkennen ist, verläuft nicht in der Achse der Ge-
schwulst, sondern nahe an deren medialer Seite, nur 2 bis 3 mm
von der Oberfläche entfernt. Diese letztere erscheint glatt und
ist von der lose anhaftenden Duralscheide allseitig überzogen.
Das makroskopische Aussehen des Längsschnittes ist dem im
vorigen Falle in hohem Grade ‘ ähnlich ; nur erscheint der Scheiden-
teil noch reicher an quellenden Massen, sowie an Blutgefässen.
Der Augapfel, von vorn nach hinten, wie es scheint, etwas
abgeflacht, misst in diesem Durchmesser 22 und im äquatorialen
23 mm. Er bietet mit Ausnahme der Veränderungen an der
Papille nichts Abnormes dar. Letztere erhebt sich — an Schnitt-
präparaten von dem in Müller’scher Flüssigkeit und dann in
Alkohol gehärteten Objekte gemessen — 0,8 mm über das Niveau
des Chorioidealrings. Aber schon 0,5 mm vom Rande der Papille
entfernt ist eine Schwellung an der Netzhaut nicht mehr bemerkbar
und die letztere erscheint, abgesehen von der kompletten Atrophie
der Nervenfasern in ihrem Aufbau nicht verändert. In der Papille
sowohl, wie in der angrenzenden Netzhaut tritt die netzförmige
Anordnung der Stützsubstanz besonders deutlich hervor. Eine
Kernvermehrung ist jedoch in derselben nicht zu konstatieren.
An der Centralarterie und ihren Aesten nichts Abnormes. Die
Vene erscheint stark erweitert.
An dem zwischen Augapfel und Geschwulst befindlichen Teile des
Sehnerven fällt zunächst der vollständige Schwund der markhaltigen
Nervenfasern auf, während die Anordnung der übrigen, am Aufbau
des Sehnerven beteiligten Bildungen noch keine wesentliche Ver-
änderung zeigt. Ausserordentlich deutlich tritt die zarte, netz-
artige Gerüstsubstanz, die Neuroglia des Sehnerven, hervor mit
ihren am Querschnitte ungleichmässig polygonalen und am Längs-
schnitte in der Längsrichtung etwas ausgezogenen Maschen. Die
nicht ganz gleichmässig weiten Lücken sind, obwohl leer, nicht
326
H. Sattler.
zusammengelallen, sondern verhalten sich so, wie man sie bei be-
stimmten Formen von Sehnervenatrophie, namentlich aber bei der
von Fuchs zuerst genauer beschriebenen peripheren Atrophie*),
wenn sie unter gewissen, pathologischen Einflüssen besonders stark
hervortritt, schön beobachten kann. Nur die rundlichen oder
ovalen Neurogliakerne, welche unter normalen Verhältnissen nur
in geringer Zahl im Inneren der Bündel gelagert sind, erscheinen
hier erheblich vermehrt. AVeiterhin, beim Eintritte des Sehnerven
in die Geschwulst • werden die Kerne noch viel zahheicher und
lagern in den verschiedensten Richtungen, vorwiegend jedoch in
der Längsachse des Sehnernervenstranges. Diese letzteren Kerne
sind mehr stäbchenartig, während die übrigen rund oder oval und
häufig auch grösser erscheinen. Allmählich verliert sich die netz-
förmige Zeichnung und tritt eine Längsstreifung immer deutlicher
hervor. Faserzüge von verschiedener Mächtigkeit verflechten sich
unter spitzen Winkeln, wodurch länglich spindelförmige Lücken
zwischen ihnen frei bleiben, in denen runde oder ovale Kerne
Platz finden. Zerzupfungspräparate lehren , dass die uns vom
ersten Falle her bekannten, langen, kernhaltigen Faserzellen den
Hauptbestandteil des Gewebes ausmachen, Fasern von unmessbarer
Feinheit bis zu solchen von 0,0025 mm Dicke. Die feineren
überwiegen bei weitem. Ausserdem sind runde oder unregel-
mässig gestaltete Zellen mit einer geringen oder grösseren Menge
grobkörnigen Protoplasmas in ziemlich grosser Menge anzutreffen.
Da und dort sind die Faserbündel stärker auseinandergewichen
und umschliessen spindelförmige oder langgestreckte , unregel-
mässig buchtige Lakunen, welche durch eine homogene, durch-
sichtige Substanz erfüllt und stellenweise von einem ungleich-
mässig weiten Netzwerk feiner Fasern durchzogen sind. Manchmal
sind auch freie Zellen in geringerer oder grösserer Anzahl darin
enthalten. Die bei der makroskopischen Beschreibung bemerkte,
stärkere Verbreiterung des Sehnervenstranges ist hauptsächlich
durch reichlichere Zwischenlagerung solcher myxomatöser Herde
von kleinerem oder grösserem Umfange bedingt. Die grösseren,
oft auf lange Strecken zwischen den Faserbündeln sich hin er-
streckenden Herde sind durch quere oder schräge Balken abgeteilt,
welche Blutgefässe führen und dem Septensysteme angehören. In
diesem letzteren ist im Bereiche der Geschwulst das fibrilläre
Bindegewebe durch dichte Züge von Faserzellen ersetzt, welche
die Blutgefässe in ihre Mitte nehmen. Vereinzelt findet man
dünnwandige Blutgefässe von einem hyalinen Mantel umgeben,
') Arch. f. Ophtli. XXX. 1. 8. 177, Taf. XII, Fig. 4, 5, G und 7.
Ueb. die eigentlichen Sehnerventnmoren n. ihre chirurgische Behandlung. 327
innerhalb welches die Elemente der Gefässwand und ihre Adven-
titiakerne meist noch gut erhalten sind. Auch hyahne Einlage-
rungen in den Fasern sind hier häufiger, als im Sehnervenanteil
der erstbeschriebenen Geschwulst anzutreffen (Fig. 4, g).
Wenden wir uns nun zu dem die Hauptmasse des Tumors
ausmachenden Scheidenanteil, so haben wir die ersten Verän-
derungen schon am vorderen, blinden Ende des Subarachnoideal-
raumes des Sehnerven zu suchen. Dieser Raum hat an dem
zwischen Augapfel und Geschwulst gelegenen Abschnitte desselben
an der medialen Seite eine Breite von 1,2, an der temporalen von
2,2 bis 2,5 mm; ist also an ersterer um mehr als das Zehnfache,
an der letzteren um das Zwanzigfache breiter, als unter normalen
\’’ei‘hältnissen. Die subarachnoidealen Bälkchen erscheinen an
Zahl ganz ausserordentlich und zum Teile auch an Masse recht
erlieblich vermehrt. In Bezug auf die feineren histologischen
Details besteht die grösste Uebereinstimmung zwischen diesem
und dem erst beschriebenen Falle, so dass ich nur auf das dort
Gesagte zu verweisen brauche (siehe oben). Auch noch im Be-
reiche der Geschwulst behält die Wucherung der subarachnoidealen
Balken auf der Seite, wo der Sehnervenstrang nahe der äusseren
Scheide gelegen ist, noch eine Strecke weit, namentlich gegen die
Peripherie zu, den anfänglichen Charakter bei. Dann erst, und zwar
stellenweise ziemlich plötzlich, sieht man die Balken stärker auseinan-
derweichen und sich in dünnere Bälkchen auflösen, in welchen das
ursprünglich homogene Aussehen, wie es den normalen subarach-
noidealen Bälkchen zukommt, verloren geht und eine deutliche
Faserung sich bemerkbar macht. Die Zahl der Kerne wird be-
trächtlich grösser und dieselben gehören nicht mehr unischei-
denden Zellplättchen an, sondern liegen zum grössten Teile in
den Fasern selbst. Von diesen Bündeln lösen sich wieder feinere
l'aserzüge ab, die mit anderen , ähnlichen sich durchkreuzen und
verflechten und so ein lockeres Matten werk darstellen, dessen
Zwischenräume von einer homogenen, mucinösen Substanz erfüllt
sind. In dieser finden sich freie, verschieden gestaltete Zellen ein-
gelagert bald in grösserer, bald in geringerer Zahl. Auf der ent-
gegengesetzten Seite, wo die Hauptmasse des Tumors sich aus-
breitet, erfolgt die Umwandlung des gewucherten subarachnoidea-
len Balkenwerks in das eigentliche Geschwulstgewebe schon früher
und unvermittelter. Auch hier, wie in dem ersten Falle, ist das
Gefüge gegen die Oberfläche zu und nächst dem Sehnervenstrang
ein dichteres. Der weiche, succulente Anteil wiederholt in allem
Wesentlichen den bereits früher geschilderten Bau (siehe oben) ;
328
II. Sattler.
nur ist die Menge der Schleiinsubstanz eine beträchtlich grössere.
Die umfangreichen, unregelmässig buchtig begrenzten, myxomatösen
Herde machen den Eindruck, dass sie durch Einschmelzung und
Auflösung von Scheidewänden zwischen kleineren, schleimerfüllten
Lücken sich gebildet haben. In der Peripherie solcher Herde
findet man häufig die Balken auf mehr oder weniger zarte, oft
nur aus wenig Faserzellen bestehende Brücken reduciert und in
den mittleren Partien sind nur freie Zellen anzutreffen. Auch
dünnwandige Blutgefässe, nur aus dem Endothelrohr und anhaf-
tenden Adventitiazellen bestehend, sieht man nicht selten ganz
frei die grossen, schleimerfüllten Bäume durchziehen. Sie sind
manchmal von beträchtlicher Weite (0,025—0,03 mm, ja selbst
0,1 mm Durchmesser). Frei in den Bäumen angehäufte rote Blut-
körperchen scheinen erst während der Operation ausgetreten zu sein.
Doch fehlt es auch nicht an hämatogenem Pigment innerhalb des
Gewebes. Die vorliegende Geschwulst, namentlich ihr Scheiden-
anteil ist überhaupt ungleich viel reicher an Blutgefässen, als die
erst beschriebene. Ganz vereinzelt finden sich auch Blutgefässe
mit hyalinem Mantel. Der letztere scheint einer hyalinen Dege-
neration des Bindegewebes subarachnoidealer Bälkchen seine
Entstehung zu verdanken. Hyaline Einlagerungen in breitere
Fasern (wie in Fig. 4, g) und grössere drüsige oder kolbige De-
generationen in Faserzellen (Fig. 4, h) kommen an manchen
Stellen der Geschwulst ziemlich häufig vor. Unter den durch
Schütteln und Zerzupfen isolierten Elementen zeigt sich hier ein
grösserer Beichtum an breiteren, ungleichmässig dicken Fasern,
von denen einzelne einen Durchmesser von 3 bis 4,5 // erreichen.
Manche verlaufen mehr gestreckt und haben ein starres Ansehen,
andere sind korkzieherartig und sehen wie zusammengeschnurrt
aus. Verzweigte und sternförmige Zellen zu finden, gelang mir in
diesem Falle nicht. Im frischen Zustande haben wir uns wohl
sämtliche Faserbalken durch die weiche, quellende Schleimsub-
stanz gespannt und gespreizt vorzustellen. In den Schnittpräparaten,
wo die letztere durch Wasserentziehung stark collabiert erscheint,
haben die meisten Balken und Faserzüge einen mehr welligen
Verlauf oder ein etwas faltiges Ansehen.
Der dritte Fall bot in seinen anatomischen Verhältnissen
einiges Abweichende gegenüber den beiden ersten. In seinem kli-
nischen Bilde stimmte er aber in hohem Grade mit denselben
überein. Ein vierjähriges, blühend aussehendes Mädchen, Josefa
St., wurde mit einem enormen Exophthalmus des linken Auges
zur Klinik gebracht. Der Augapfel, welcher gleichzeitig nach ein-
lieb, die eigentlichen Sehnerventuinoren u. ihre chirurgische Behandlung. 329
wärts und etwas nach unten von der Richtung der Orbitalachse
abgewichen war, konnte von den Lidern nicht mehr vollständig
gedeckt werden und der untere Teil der Conjunctiva bulb. drängte
sich als ein fleischroter Wulst hervor. Die Beweglichkeit war nach
allen Seiten ziemlich gieichmässig stark beschränkt. Das Seh-
vermögen sei schon seit längerer Zeit völlig erloschen gewesen.
Ueber Schmerzen tief in der Augenhöhle und ausstrahlend in die
linke Stirngegend wurde erst seit den letzten Wochen geklagt.
Der neben dem Bulbus tastend vorgeschobene Finger fühlte eine
glatte, prall elastische Geschwulst, welche die Orbita völlig aus-
zufüllen schien. Die Augenspiegeluntersuchung ergab Atrophie
des Sehnerven. Die Papille erschien graulich weiss mit ziemlich
scharfer Begrenzung, die Venen waren stärker gefüllt und etwas
geschlängelt.
Die exstirpierte Geschwulst besass eine iDlump bimförmige
; Gestalt, hatte eine Länge von 37 mm und mass auf dem Quer-
schnitte an der dicksten Stelle 30 mm in der Breite und 35 in der
Höhe. Die hintere Schnittfläche war breit und zottig; denn die
letzten Reste der Geschwulst waren nachträglich mit Schere und
Pincette entfernt worden. Ein 15 mm langer und 3,25 mm brei-
ter, hornartig gekrümmter Sehnervenstiel verband die Geschwulst
mit dem Augapfel und senkte sich stark exzentrisch an der me-
dialen Seite in die erstere ein (vgl. Fig. 5). Ein durch Stiel und
Geschwulst geführter Längsschnitt lehrt, dass die Duralscheide un-
unterbrochen in die fibröse, lose anhaftende Umhüllung der Ge-
schwulst übergeht, das gewucherte Gewebe des subarachnoidealen
Raumes sich in den peripheren Anteil des Tumors festsetzt und
der Nerv, von der Pialscheide umschlossen, beim Uebergang in
die Geschwulst, der gerade mit dem Eintritt der Centralgefässe
zusammenfällt, sich plötzlich weit, kelchartig entfaltet und in dem
die Hauptmasse der Neubildung darstellenden Kern sich verliert.
Dieser letztere, von etwas festerer Konsistenz als der Rindenteil
der Geschwulst, erscheint an der frischen Schnittfläche gelblich
grau, von einzelnen feinen Linien unregelmässig durchzogen und
hat im vorderen Drittel des Tumors einen Durchmesser von 18
bis 21 mm, an der hinteren Schnittfläche einen solchen von 28 mm.
Er ist durch eine weisse, stellenweise rötliche, bandartige Linie,
die Fortsetzung der Pialscheide, überall gegen den den Nerven-
anteil mantelförmig umgebenden Scheidenanteil deutlich abgegrenzt.
Der letztere, in den vorderen Partien an der medialen Seite 3, an
der temporalen 9 mm breit, ist succulenter und erscheint von einer
Anzahl feiner, vorwiegend radiär gestellter Septen durchzogen,
330
II. Hattler.
zwischen welchen eine graurötliche, durchscheinende Substanz et-
was hervorquillt, dem Fleische einer Melone einigermassen ver-
gleichbar. Am hinteren Schnittende hat der Rindenteil nur mehr
eine Breite von 1, bezw. 4 mm.
Die mikroskopische Untersuchung erweist die komplette Atro-
phie des Sehnerven an der Papille; dieselbe erscheint etwas unter
das Niveau des Chorioidealringes eingesunken. Eine Wucherung
des Stützgewebes ist nicht zu konstatieren. Die markhaltigen
Nervenfasern sind im Sehnervenstiel vollständig geschwunden und
die netzartige Gerüstsubstanz tritt ganz so, wie im vorigen Falle,
mit besonderer Deutlichkeit hervor. Beim Eintritt in die Geschwulst
weichen die gefässhaltigen Septen des Nervenstranges plötzlich
weit divergierend auseinander und ebenso plötzlich erfährt die
Struktur des Stützengewebes zwischen denselben eine Umwand-
lung. Die Maschen werden rasch weiter und erscheinen nament-
lich mehr in die Länge gezogen; die Fädchen des Netzwerkes
sind verdickt und stellen sich bald mehr, bald weniger deutlich
als Ausläufer sternförmiger Zellen dar. Nur an der Peripherie,
der Pialscheide entlang, finden sich eine Strecke weit Faserzellen-
züge in longitudinaler Richtung, unter spitzen Winkeln sich durch-
flechtend, wie sie in den beiden vorigen Fällen die Hauptmasse
des Sehnervenanteils der Geschwulst ausmachten. Ueberall sonst
sieht man nur ein unregelmässiges Mattenwerk aus feineren und
gröberen Bündeln kernhaltiger Fasern, welche in den verschieden-
sten Richtungen einander durchsetzen, im grossen und ganzen
jedoch immerhin mit Vorwalten der longitudinalen Richtung. Die
verschieden grossen Lücken enthalten in einer durchsichtigen,
homogenen Substanz eingebettet, rundliche oder unregelmässig ge-
staltete Zellen mit meist rundem Kern und einer grösseren Menge
körnigen Protoplasmas. Mehr gegen die Mitte der Geschwulst
werden die Maschenräume bisweilen grösser und erscheinen dann
von feinsten Bälkchen oder einzelnen Faserzellen oder Zellenaus-
läufern durchzogen. Grössere, schleimige Erweichungsherde finden
sich weder hier noch im Scheidenteile der Geschwulst. Die schon
mit freiem Auge sichtbaren Balkenzüge, welche als Fortsetzung
der Bindegewebssepten des Nerven die in ihrer Struktur unver-
änderten Blutgefässe in sich schliessen, durchziehen in mehr oder
weniger weiten Abständen den Kernteil des Tumors und werden
von dichten Bündeln der uns bekannten Faserzellen gebildet,
welche in der Peripherie mit der Pialscheide in Verbindung stehen.
Diese letztere besteht zum grössten Teile aus Bündeln fibrillären
Bindegewebes, welche teils zirkulär, teils der Länge nach verlaufen.
Teb. die eigentliclien Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung. 331
und sowohl nach dem Nerven- als nach dem Scheidentumor zu
vielfach Faserzellenzüge zwischen sich fassen. Auch die einker-
nigen, protoplasmareichen, rundlichen Zellen finden sich häufig in
den Spalträumen zwischen den Bindegewebsbalken, von denen
\iele hyalin degeneriert erscheinen. An einer Stelle ist die Konti-
nuität der Pialscheide vollständig unterbrochen und gehen Nerven-
und Scheidentumor ohne Trennung ineinander über. Der letztere
hat im allgemeinen einen ähnlichen Bau, wie er eben vom Nerven-
i anteil geschildert wurde. Die mit der Pialscheide zusammen-
hängenden, gröberen Faserzüge teilen sich baumförmig in eine
grössere Anzahl von Aesten und diese lösen sich wieder in feinere
Zweige auf, welche teils untereinander, teils mit den von benach-
barten Balken stammenden in Verbindung treten. Dadurch kommt
ein den ganzen disponiblen Raum einnehmendes, lockeres Matten-
werk zu Stande, in dessen ziemlich weiten Lücken ein aus den
anastomosierenden Ausläufern sternförmiger Zellen gebildetes Reti-
culum ausgespannt ist. Die durchschnittlich ca. 0,016 mm weiten
Maschen sind von einer homogenen, durchsichtigen Substanz er-
füllt und enthalten meistens eine der oben erwähnten rundlichen
Zellen. Der Scheidenteil ist ziemlich blutreicli, indem die stärkeren
Balken sämtlich Blutgefässe in sich schliessen.
Durch Zerzupfen isolieren sich neben feineren, oft enorm
langen, kernhaltigen Fasern breitere in grösserer Zahl als sonst,
bis zu einem Durchmesser von hp. Sie sind häufig ungleich-
massig breit. Um den Kern herum findet sich öfters eine grössere
Menge feinkörnigen Protoplasmas, welches sich zuweilen auf eine
längere Strecke in die Faser hinein verfolgen lässt. Der übrige
Teil ist homogen und glänzend. Manchmal ist im ganzen Verlauf
der Faser kein Kern nachweisbar, sondern an einer breiteren
Strecke bloss eine zarte Körnelung. Nicht selten trifft man hier
Fasern mit gabelig geteilten Fortsätzen und vielfach verzweigte
Zellen mit gröberen und feineren Ausläufern (Fig. 4 i). Hyaline
Einlagerungen in Faserzellen sind in dieser Geschwulst nur ganz
vereinzelt nachzuweisen.
Der Uebergang der gewucherten, subarachnoidealen Bälkchen
des Zwischenscheidenraumes des Sehnervenstiels in den Scheiden-
teil der Geschwulst vollzieht sich im allgemeinen ebenso, wie er
in den beiden vorangehenden Fällen geschildert worden ist.
14 Monate später war das Kind blühend und gesund. Von
einem Recidiv keine Spur.
Einen weiteren, hierher gehörigen, wenn auch in vieler Be-
ziehung von den vorigen abweichenden Fall von Sehnerventumor
1
332 H. Sattler.
habe ich bei der Sektion eines iin Krankenhause verstorbenen, er-
waclisenen Individuums zu beobachten Gelegenheit gehabt, bei
welchem eine seit langem bestehende Atrophie beider nervi optici
während des Lebens konstatiert worden war. Das Sektionsergeb-
nis war einigermassen überraschend, da sonst keinerlei Symptome
vorhanden waren, welche auf einen Sehnerventumor hingewiesen
hätten.
Nach Blosslegung des Orbitalinhalts und Präparation des
Verlaufes der beiden nervi optici zeigte sich das Bild, welches ich
in Fig, 7 möglichst getreu wiederzugeben versucht habe. Beim
Eintritt in den Bulbus haben die Sehnerven samt Scheiden einen
Durchmesser von 3,5 mm, nehmen dann etwas an Dicke zu und
zeigen in der hinteren Hälfte der Orbita eine spindelförmige An-
schwellung, welche an der dicksten Stelle, ca, 7,5 mm vor dem
foramen opticum rechts 6, links 5,5 mm beträgt. Nach einer Ein-
schnürung im canalis opticus, welchen sie prall erfüllen, schwellen
beide Sehnerven flaschenförmig an. Die dickste Stelle unweit des
Chiasma hat rechts einen Durchmesser von 8, links von 10 mm.
Der intracranielle Teil der Anschwellung hat beiderseits eine Länge
von 11,5 mm. Das Chiasma ist in seinem vorderen Teile verdickt
und von graulicher Farbe. Die beiden tractus oj)tici erscheinen
schmal und platt.
Um das interessante Präparat zu schonen, wurde nur von der
unteren Seite des rechten Sehnerven aus jeder der beiden An-
schwellungen ein schmaler Keil herausgeschnitten und zu Zer-
zupfungspräparaten verwendet. Feine, wellige Fasern mit läng-
lichem Kerne und nur sehr spärlichem Protoplasma erscheinen zu
Bündeln geordnet, welche in longitudinaler Richtung einander
durchflechten. Ausserdem finden sich feine Fasernetze mitungleich-
mässig engen Maschen und einzelnen ovalen Kernen in breiteren
Knotenpunkten des Netzes. Ziemlich zahlreich sieht man stark
lichtbrechende, kugelige, klumpige oder drüsige, hyaline Körper
zwischen den Faserzügen eingestreut, welche einen Durchmesser
von 0,02 mm und mehr erreichen können.
Die mitgeteilten Fälle von Sehnervengeschwülsten stimmen
in ihrem anatomischen Bau, und die ersteren drei auch in ihrem
klinischen Bilde in allen wesentlichen Punkten sehr nahe überein
und gehören einer und derselben Kategorie von Neubildungen an.
Wenn wir die in der Litteratur bekannt gewordenen, bereits
ziemlich zahlreichen Fälle von Sehnerventumoren kritisch zu sich-
ten unternehmen, so finden wir, dass die weitaus überwiegende
Mehrzahl der nämlichen Kategorie beizuzählen ist. Nur dann
Uel). die eigentlichen Sehnen^entumoren u. ihre chirurgische Behandlung. 333
können wir bei den eigentlichen Sehnerventumoren zu einem Fort-
schritt in der klinischen Beurteilung, der Prognose und der Sicher-
heit unseres chirurgischen Handelns gelangen, wenn wir die ver-
schiedenen Arten derselben ihrem anatomischen Charakter nach
auseinander zu halten uns bemühen.
Wir wollen uns zunächst mit derjenigen Kategorie näher be-
schäftigen, für welche unsere oben mitgeteilten Fälle typische Re-
präsentanten darstellen. Wir sehen da, dass überall zweierlei Arten
von Formelementen in den Aufbau des Tumors eingehen: 1) spin-
t
delförmige Zellen mit langen, feinen oder gröberen, einfachen
oder gegabelten Ausläufern und sternförmige Zellen mit mehr oder
weniger zahlreichen, dünneren oder dickeren, nicht selten ver-
zweigten Fortsätzen, und 2) freie Zellen mit rundem oder ovalem
Kern und spärlichem oder reichlicherem, grobkörnigem Protoplasma.
Die morphologischen und chemischen Eigenschaften dieser ver-
schiedenen Zellenarten sind im Obigen genauer geschildert worden.
Sie kehren in allen bekannt gewordenen Fällen, deren Beschrei-
bung eine hinreichend durchsichtige ist, wieder und variieren nur
in der relativen Häufigkeit und Anordnung der einzelnen Elemente
zu einander.
Dazu kommt eine schleimige Interzellularsubstanz, welche
bald nur in geringer Menge und an vereinzelten Stellen angetroffen
wird, bald die Hauptmasse der ganzen Geschwulst darstellt. Je
mehr Schleimsubstanz vorhanden ist, um so umfangreicher ist in
der Regel — ceteris paribus — die Geschwulst (Rothmund 8).
Sie bildet dann verschieden grosse, cystöse Räume, welche nach dem
Anschneiden collabieren.
In der Mehrzahl der Fälle ist der Sehnerv oder der von dem-
selben ausgehende Anteil der Geschwulst vom Scheidenanteile
deutlich geschieden; wenigstens ist dies stets in der Nähe der
Einpflanzung des Opticus in die Geschwulst der Fall. Es ist näm-
lich die den Nerven zunächst umschliessende Hülle, die Pialscheide,
in der Regel entweder durch die ganze Geschwulst hindurch oder
doch auf eine kürzere oder längere Strecke in ihrer Struktur er-
halten.
Die Sehnerventumoren der in Rede stehenden Kategorie bieten
insofern ein wechselndes Verhalten dar, als in einigen der Nerven-
stanim oder die denselben substituierenden Faserzüge als ein mehr
oder weniger fest zusammenhängender Strang den Tumor durch-
setzen, während in anderen die Bündel des Nervenstranges bald
nach dem Eintritt in den Tumor auseinanderfahren und in der
Geschwulstmasse sich verlieren.
334
H. Sattler.
Dass der Nerv, in seiner Struktur nur wenig verändert die
Geschwulst durchzieht, ist bei der uns zunächst interessierenden
Art von Sehnerventumoren ganz und gar exceptionell. Es ist
bis jetzt nur ein derartiger Fall bekannt geworden, welchen Schiess-
Gemuseus beobachtet und beschrieben hat (78). An Osmium-
säurepräparaten hoben sich die Nervenbündel sehr schön von dem
Bindegewebe der Septen ab. Bloss die Zahl der Kerne innerhall)
der Bündel war stellenweise vermehrt. Sonst sind von mark-
haltigen Nervenfasern nur noch vereinzelt spärliche Reste auf-
zufinden ; ja in der Regel ist keine Spur mehr von ihnen vor-
handen, sondern an ihrer Stelle finden sich jene Faserzellenzüge,
wie sie in unserem ersten und zweiten Falle beschrieben worden
sind. Als ein Paradigma der zweiten Gruppe kann unser dritter
Fall dienen, dem sich eine ganze Anzahl in der Litteratur an-
reiht.
Durch dieses Verhalten unterscheiden sich also unsere Seh-
nervengeschwülste von der grossen Mehrzahl der falschen Neu-
rome (Virchow) und Neurofibrome (v. Recklinghausen), bei
welchen der Nerv unverändert oder im Zustande der einfachen
Atrophie durch den Tumor zieht. In den multiplen Neurofibromen
der Haut konnte v. Recklinghausen nichts von Degeneration
der primitiven Nervenfasern nachweisen, ebensowenig wie von
Proliferation oder Spaltung derselben, desgleichen wies nichts auf
eine Neubildung von marklosen Fasern hin. Auch in den Seh-
nervengeschwülsten ist noch niemals eine Neubildung von Nerven-
fasern in überzeugender Weise konstatiert worden.
Dass Perls (22) dieser Nachweis gelungen sei, muss entschieden in Al)-
rede gestellt werden ; ja durch Leber und Yossius (55), welche den von Perls
beschriebenen Fall nachzuuntersuchen Gelegenheit hatten, ist es wohl sicher-
gestellt worden , dass die von Perls als marklose Nerven gedeuteten Fasern
identisch waren mit den oft genannten feineren und gröberen, zum Teil varikösen
Zellenatisläufern , und dass die glänzenden Einlagerungen nicht von Myelin
herrührten, sondern sich durch ihre Reaktionen als jene hyalinen Gebilde er-
wiesen, von denen auch in unserer Beschreibung wiederholt die Rede war.
Die Elemente des Nervenanteils der Geschwulst entwickeln
sich, während die Nervenfasern zu Grunde gehen, aus dem Stütz-
gewebe des Nervus opticus, der Neuroglia in der Weise, wie es
in der Beschreibung unserer Fälle beim Uebergang des Sehnerven-
stiels in die Geschwulst angedeutet worden ist. Die Bindegewebs-
septen, welche mit den Blutgefässen von der Pialscheide aus in
den Sehnerven eindringen und denselben in der bekannten Weise
durchsetzen, sind auch in der Geschwulst in der Regel noch deut-
lich zu erkennen, wie wohl oft sehr beträchtlich auseinander ge-
Uol). die eigentlichen Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung.
335
drängt. Fibrilläres Bindegewebe ist jedoch nur in den Fällen, wo
der Nerv einen kompakten, wenig verbreiterten Strang darstellt,
erhalten. Meist ist es im Bereich der Geschwulst durch dichtere
Züge jener Faserzellen ersetzt, welche wir als die Hauptmasse der
faserigen Grundlage dieser Geschwülste kennen gelernt haben.
Dass diese faserartigen Zellenausläufer nicht die Bedeutung junger
l] Bindegewebsfibrillen haben, geht, abgesehen von ihrem optischen
'' Verhalten, aus den oben mitgeteilten chemischen Eigenschaften
I hervor (vgl. oben S. 319), welche mit den von Leber ermittelten
(55, S. 45) sehr vollkommen übereinstimmen. Die faserartigen
Ausläufer der Spindel- und Sternzellen haben dagegen ein nahes
Analogon in den Bildungen, welche man in Augen, die nach Cy-
clitis der Atrophie entgegengehen, aus dem Stützgewebe der Netz-
haut und aus den Zellen der pars ciliaris retinae sich ent-
wickeln sieht.
Die den Nervenanteil des Tumors umschliessende Partie der
Neubildung, welche in der einen Reihe von Fällen die Haupt-
masse derselben darstellt und in der anderen um den mehr oder
weniger umfangreichen Nerventumor einen schmäleren oder brei-
teren Mantel bildet, geht stets aus der Arachnoidealscheide und
dem subarachnoidealen Balkengewebe hervor. Eine Hyperplasie
dieses Balkensystems und eine Wuclierung seiner endothelialen
Zellplättchen bereiten, die Entwicklung des geschwulstartigen
Wachstums vor und sind bis an das vordere, blindsackförmige
Ende des Zwischenscheidenraumes zu verfolgen. Die näheren
histologischen Details des Ueberganges in die Tumormasse sind
bei der Beschreibung unserer Fälle des Näheren geschildert worden
(siehe S. 320 und 325).
Der Scheidenanteil ist häufig lockerer und reicher an Schleim-
substanz, als der Nervenanteil. In den jüngsten Bildungen fehlt
jedoch das Schleimgewebe fast noch vollständig.
üb die Geschwulst vom Nerven oder vom Zwischenscheiden-
raum zunächst ihren Ursprung nahm oder von beiden zugleich,
lässt sich, wenn seit dem Beginne der Entwicklung, wie dies ge-
wöhnlich der Fall ist, längere Zeit verstrichen war, nicht mehr
feststellen. Fälle jedoch, wie der schon erwähnte von Schiess-
Gemuseus (78), wo das Sehvermögen noch nicht erloschen war
und der Nervenstamm noch weniger tiefgreifende Veränderungen
erlitten hatte, weisen wohl auf den Intervaginalraum als Ur-
sprungsstätte hin.
Ihrem anatomischen Bau nach gehört die in Rede stehende
Kategorie von Sehnerventumoren den Myxohbromen an, wobei
336
H. Sattler.
bald der fibromatöse, bald der myxomatöse Charakter vorherrschend
ist. Wollte man die Beziehung zum Nerven im Worte zum Aus- i
druck bringen, so könnte man sie als Neuromyxofibrome bezeichnen -
oder als falsche Neurome des Opticus. Nur darf man nicht ver-
gessen, dass der faserige Anteil nicht aus fibrillärem, leimgeben-
den Bindegewebe aufgebaut ist, wie in den meisten Fibromen und
auch vielen Neufibromen (v. Recklinghausen 52, S. 9 und 26),
sondern aus langen, faserartigen Zellenausläufern, welche in ihren
physikalischen und chemischen Eigenschaften vom gewöhnhchen
Bindegewebe sich unterscheiden. Ein grösserer Zellenreichtum
rechtfertigt es noch keineswegs, diese Geschwülste als Fibro- und
Myxosarconie zu bezeichnen, wie dies von seiten mehrerer Autoren
geschehen ist. Die mit Rücksicht auf die genetische Beziehung
der Sehnervengeschwulst zur Neuroglia naheliegende Bezeichnung
Neurogliom dürfte schon deshalb am besten vermieden welxlen,
weil der Name Gliom und Gliosarcom, auf Netzhaut- und Sehnerven-
geschwülste angewendet, für Neubildungen in Gebrauch ist, welche
einen wesentlich verschiedenen Bau besitzen und zu den bösartigsten
gehören, welche in dieser Gegend verkommen.
Das klinische Bild der eigentlichen Sehnerven-
tumoren ist ein ziemlich wohl charakterisiertes, so dass unter
sorgfältiger Berücksichtigung der gleich näher zu bezeichnenden
objektiven Symptome und vertrauenswürdiger anamnestischer An-
gaben die Diagnose wohl in der Mehrzahl der Fälle mit einem
mehr oder weniger hohen Grade von Sicherheit dürfte gestellt
werden können.
V. Gräfe hat bereits im Jahre 18G4 die wesentlichen Momente bezeichnet,
aut welche sich die Diagnose eines Selmerventumors zu stützen hätte und seit-
dem ist es in einer ganzen Eeihe von Fällen verschiedenen Beobachtern ge-
lungen, die Beziehung der retrobulbären Geschwulst zum Sehnerven mit grösserer
oder geringerer Bestimmtheit zu erkennen. Wenn Huc in seiner These 1882
(58) den Ausspruch thut, die Diagnose eines Sehnerventumors sei ä peu pres
impossible oder wenigstens d’une extreme difficult^, so ist dersell)e wohl ent-
schieden zurückzuweisen.
Eine andere Frage ist es, ob es auch möglich ist, die Natur
des Sehnerventuniors wenigstens vermutungsweise bei der Diagnose
festzustellen. Wünschenswert wäre dies allerdings, weil, wie wir
sehen werden , die verschiedenen Kategorien von Sehnerven-
geschwülsten in prognostischer Beziehung keineswegs gleichwertig
sich erweisen.
Indem wir nun die Symptome, auf welche sich die Diagnose
eines Sehnerventuniors zu stützen hätte, aufzählen und näher be-
gründen, wollen wir insbesondere Rücksicht nehmen auf die im
Tel), die eigentlioliou Sehnevventumoren u, ihre chirurgische Beliaiullung.
337
Vorangehenden anatomisch genauer gekennzeichnete Kategorie,
indem derselben die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Seh-
nervengeschwülste angehört. Bei Besprechung der anderen Arten
werden wir Gelegenheit haben, das Abweichende und diesen Eigen-
tümliche besonders hervorzuheben.
Gewisse II au p t s y m p t o in e kommen allen Sehnerventumoren
gemeinsam zu:
1) Die langsame aber stetig zunehmende Protrusion
des Augapfels und zwar hauptsächlich in der Richtung
der Orbitalachs e. In vielen Fällen findet allerdings gleich-
zeitig eine meist nur mässige seitliche oder Ilöhenab weich ung
statt, je nach der vorwiegenden Entwicklung des Tumors in der
einen oder anderen Richtung.
2) Die Erhaltung einer relativ guten Beweglichkeit
selbst bei starkem Exophthalmus. Besteht infolge ungleich-
mässiger Ausbreitung der Geschwulst eine stärkere Abweichung
des Bulbus von der Richtung der Orbitalachse, so ist in der
Regel die Beweglichkeit nach der entgegengesetzten Richtung am
meisten behindert.
3) Frühzeitige Beeinträchtigung, bezw. völliger Ver-
lust des Sehvermögens. Daher auch die seltene Klage über
Doppelsehen. Nur ganz ausnahmsweise bestand bei den Fibro-
myxomen des Sehnerven zur Zeit der Exstirpation noch ein geringer
Rest qualitativen Sehvermögens.
In dem schon erwähnten Falle von Schiess-Gemnsens (78), ein 12’/2
Jahre altes Mädchen hetrelfend, in welchem IV2 Jahre vor der ()})eration ein
Vortreten des Angapfels zuerst bemerkt worden war, hielt sich trotz starker
Protrusion und exquisiter Stauungspapille das Sehvermögen unter mehrfachen
Schwankungen lange auf leidlicher Höhe. Noch 4 IMonate vor der Exstirpation
betrug der Visus vorübergehend '’|:i und acht Tage vor derselben bestand noch
V -= ‘^/7^ das Gesichtsfeld war aber allseitig stark eingeschränkt, besonders nach
innen unten. Am Tage vor der Operation sank das Sehvermögen plötzlich auf
1 bis 2 Zweihundertstel. Bei einem von Otto Becker oj)erierten 10 jährigen
Jungen (2F wurden am Tage der Exstiiq)ation noch I'inger in ö ]M. gezählt.
4) Die ophthalmoskopische Untersuchung ergiebt in
der grossen Mehrzahl der Fälle das Bild der sogen. Stauungspapille.
Die Schwellung des Sehnervenkopfes ist nicht selten recht hoch-
gradig, ziemlich umschrieben und steil abfallend, zuweilen nicht
ganz gleichmässig. Die Farbe ist graurötlich; die Netzhautvenen
sind in der Regel stark geschlängelt und verbreitert, die Arterien
meist verschmälert, ln der Papille sind die Gefässstämme teilweise
verdeckt. Allmählich geht dann dieses Bild in das der Atrophie
über mit mehr oder weniger deutlichen Spuren der früheren
22
338
H. Sattler.
Schwellung, Seltener trifft man das Bild der reinen Sehnerven-
atrophie.
In einem Falle bei einer 30jährigen, sonst völlig gesunden Patientin kamen
ausgedehnte Netzhautblutungen zur Beobachtung (Steffan 24). Hulke (öd)
konnte in seinem Falle, ein 19 jähriges Mädchen betreftend, trotz hochgradigem
Exophthalmus und Herabsetzung des Visus auf blosse Lichtemptindung mit dem
Spiegel nichts Al>normes wahrnehmen.
5) Subjektive Lichterscheinungen fehlen stets; in
der Regel fehlt bei den Myxofibromen des Sehnerven
auch jegliche Schmerzhaftigkeit. Nur bei sehr beträchtlicher
Grösse oder in gewissen Wachstumsperioden der Geschwulst ist
über Schmerzen geklagt worden (Lidell 6, Rothmund 8, Qua-
glino 11, Grüning 32, Tillaux 73, Lawson 77). ln einem
Falle von Steffan (24) waren heftige Ciliarschmerzen vorhanden
als Teilerscheinungen eines Sekundärglaukonis , welches im Ver-
laufe des Wachstums des Sehnerventumors als eine ganz excep-
tionelle Erscheinung zur Entwicklung gekommen war. Ein Exopli-
thalmus bestand in diesem Falle nicht.
6) Durch Palpation ist es in manchen Fällen sehr wolil
möglich, sich von der Anwesenheit einer Geschwulst hinter dem Aug-
apfel zu überzeugen, welche mit dem letzteren in direktem Zu-
sammenhänge steht. Bei den Myxofibromen kann man auch die
weiche oder mehr weniger prall elastische Konsistenz des Tumor.s
und die Glätte seiner Oberfläche durch die Betastung feststellen.
Auch wenn, wie dies häufig der Fall ist, die Geschwulst vermittelst
eines kürzeren oder längeren, meist S förmig gekrümmten Seh-
nervenstiels mit dem Bulbus zusammenhängt, gehngt es bei stär-
kerem Exophthalmus bisweilen, durch Vorschieben der Finger-
spitze zwischen Augapfel und Orbital wand (eventuell in der Narkose)
diesen Zusammenhang nachzuweisen und sich zu vergewissern,
dass der Tumor bei den Bewegungen des Bulbus, welche annähernd
um den normalen Drehpunkt erfolgen , entsprechend kleine
Exkursionen mitmacht.
Das Wachstum der Geschwulst ist fast ausnahmslos
ein langsames und in der Regel stetiges. Nur in einem Falle
(Tillaux 73) wurde es als schubweises beschrieben. Wenn von
einem gewissen Zeitpunkte an die Vergrösserung des Tumors
rascher erfolgte, so dürfte dies wohl hauptsächlich auf schnelleres
Fortschreiten der Bildung quellender Schleimsubstanz zurückzu-
führen sein.
Die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Myxofibrome des
Sehnerven hatte zur Zeit der Exstirpation die Grösse eines
Ueb. die eigentlichen Sebnerventuinoren u. ihre chirurgische Behandlung. 339
Taubeneies oder kleinen Hühnereies erreicht. Es sind jedoch
auch Fälle bekannt, wo sie zu einer sehr beträchtlichen Grösse
heranwuchsen.
So hatte in Lide 11s Falle (G) der Tumor hei einem 20jährigen Fräulein
nach Sjährigem Wachstum unter Erweiterung der Augenhöhle die Grösse eines
Gänseeies erlangt; desgleichen indem Falle von Quaglino (11) nach 7 jährigem
und dem von Kussachowicz (66) nach lOjährigem Wachstum. Die Geschwulst,
die Sutphen (81) bei einem 10jährigen Mädchen exstirpierte , hatte 50 mm im
I Durchmesser. Und bei einem 13jährigen Mädchen, das Rothmund (8) operierte,
hatte der Tumor nach 11 jährigem Wachstum die enorme Grösse von 65 mm im
Querdurchmesser erreicht.
Die Gestalt der Geschwülste ist in der überwiegenden
! Mehrzahl eine eiförmige mit bald mehr, bald weniger überwiegendem
I Längsdurchmesser, öfters auch eine bimförmige, mit dem dickeren
I Ende bald nach vorn bald nach hinten.
' Trotz kolossalen Umfanges der Geschwulst kommt es jedoch
I bei den Myxofibromen des Nervus opticus niemals zu einem Ueber-
greifen auf benachbarte Gewebe. Der aus der Augenhöhle voll-
ständig verdrängte Bulbus, von den Lidern nicht mehr bedeckt,
geht durch Vereiterung zu Grunde und die Orbita wird in allen
Dimensionen erweitert ; dennoch bleibt die Geschwulst deutlich
umgrenzt und sogar bis zu einem gewissen Grade aktiv beweglich.
Als ein weiterer Umstand, welcher geeignet ist, die Gutartig-
keit der Myxofibrome des Sehnerven zu dokumentieren, ist das
regelmässige Fehlen von Lymphdrüsenschwellungen,
sowie das ungestörte Allgemeinbefinden anzuführen. .Ja
in Helen Fällen wird das frische, blühende Aussehen des betroffenen
Individuums ausdrücklich hervorgehoben.
Auch das Alter, in welchem die Patienten standen, als
die Anfänge der Geschwulstbildung bemerkt wurden, verdient
Beachtung.
Unter 47 Fällen von jMyxofibromen des Opticns, in denen das Alter notiert
ist, fällt der Beginn bei 20 nachweislich in die Zeit vor dem 7. Lebensjahre
nnd bei 21 in die Zeit zwischen dem 7. und 20. Jahre. Nur bei 6 Lidividuen
datiert der Anfang aus einer späteren Lebensperiode und auch bei diesen ist
mit Ausnahme eines einzigen Falles derselbe noch in die Zwanzigerjahre zu ver-
setzen. In jenem Ausnabmsfalle, welcher eine 62jährige Frau betraf, bei der der
Anfang der Protusion zwei Jahre vorher bemerkt worden und das Sehvermögen
vor einem Jahr erloschen war, ist eine traumatische Ursache aller AVahrschein-
keit nach anzunehmen. Dieselbe hatte nämlich sechs Monate vor dem Auf-
treten der Protusion einen Fanstschlag auf das betreffende Auge bekommen
(Brailey, 34).
; Es besteht also eine unzweifelhafte Prädisposition
( des jugendlichen, ja man kann sagen, des kindlichen
340
H. Sattler.
Alters. In zwei Fällen wird ausdrücklich bemerkt, dass die
ersten Veränderungen schon bald nach der Geburt beobachtet
worden seien. Bei einem 2^2 Jahre alten Kinde, über welches
Vossius berichtet (55), wurde schon einige Wochen nach der
Geburt ein eigentümlicher Ausdruck des linken Auges und etwas
Schielen bemerkt. Bei dem sehr langsamen Entwicklungsgang
und dem F ehlen von Schmerzen ist der Anfang der Geschwulst*
bildung gewiss häufig noch in eine viel frühere Lebensperiode
zurückzudatieren, als in der Anamnese angegeben wird. Auch
bei vielen Neurofibromen anderer Körperstellen wird der Anfang
mit Bestimmtheit in die Kinderjahre zurückversetzt.
Dass unter 47 Fällen, in welchen das Geschlecht notiert
ist, 33 das weibliche und nur 14 das männliche Geschlecht betreffen,,
dürfte wohl kaum auf Zufall beruhen.
Hereditäre Beziehungen sind bis jetzt in keinem Falle
nachgewiesen worden. Bei den multiplen Neurofibromen ist da-
gegen in einer guten Anzahl von Fällen Erblichkeit konstatiert
(v. Recklinghausen 52).
In einigen der hierher gehörigen Fälle von Sehnerventumoren
scheinen Traumen in einer Beziehung zur Geschwulstbildung zu
stehen.
Ausser dem schon erwähnten Falle von Braily (34) wurde von Qua-
glino (11) berichtet, dass ein 24jähriges Mädchen in seinem 19. Lebensjahre über
einen Baumstrunk gefallen sei, von welchem ein hervorstehender Teil zwischen
dem rechten Auge und der inneren Orbitalwand eindrang. Ein Jahr später
wurde Abnahme des kSehvermögens des hetreäenden Auges und Doppelsehen
bemerkt, und bald darauf trat der Augapfel aus seiner Höhle hervor. Bei einer
32 jährigen Patientin Grüning’s (32) wurde 2 Jahre nach einem Falle über eine
Treppe, wobei sie sich an der linken Kopfseite unerheblich verletzte, Blindheit
des linken Auges und 4 Jahre später beginnende Prominenz desselben wahr-
genommen. Noch in einigen anderen Fällen ist ein Sturz oder Aehnliches in
der Anamnese notiert, aber eine Beziehung zur Geschwulstbilduug recht
zweifelhaft.
Eine Bevorzugung des einen oder des anderen Auges ergiebt
sich aus der Statistik nicht. In den bekannt gewordenen Fällen
ist der rechte Sehnerv 18, der linke 23mal Sitz der Erkrankung
gewesen. In zwei Fällen war die Affektion doppelseitig (siehe
unten).
Auch der weitere Verlauf nach dem Eingreifen der Hand
des Chirurgen spricht laut für die benigne Natur der Myxofibrome
des Sehnerven. Bis jetzt ist noch kein einziger, sicher
b Einseitige Abnahme des Sehvermögens bleibt, wie die Erfahrung
eines jeden Augenarztes lehrt, oft sogar bei erwachsenen Individuen jahrelang
unbemerkt.
lieb, die eigentlichen Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung. ^^41
konstatierter Fall von Recidiv beobachtet worden,
trotzdem die hintere Schnittfläche keineswegs frei gefunden wurde
von pathologischer Wucherung. Ja selbst in Fällen, in welchen
die Exstirpation ganz bestimmt keine reine war, hat sich doch
nach Jahren keine Spur eines Recidivs gezeigt.
Der Fall von Sichel (13) war noch nach drei Jahren frei von Kecidiv,
der von Lideil (6) nach 5, von Steffan (24) nacli l'/a, von Holmes (40) nach
2, V 0 s s i u s (55) nach 3, von S c h i e s s - G e m n s e u s nach 2 Jaliren. In dem Falle
von Johnson und Prudden Jih) war, ohwold der Canalis opticus sich durch
die Geschwulst so stark erweitert zeigte, dass er leicht das Ende des Zeigefingers
aufnehmen konnte, nach 1 Va .Jahren ein Recidiv ausgeblieben und Noering
(88^ sah nach 9 Monaten das Kind frei von einem Recidiv, obwohl im Hinter-
gründe der Orliita noch ein Geschwulstanteil zu fühlen war, »auf dessen Exstir-
pation verzichtet werden musste, da er sich durch das Foramen opticinn in die
Schädelhöhle zu erstrecken schien«.
In einem Falle, über welchen Parisotte und D e s a g n e t (G3) berichten,
war allerdings eine zweite Operation nötig geworden, da Galezowski mit dem
Augapfel »bloss den vorderen Teil des Tumors« entfernt hatte! Drei IMonate
später führte R i c h e t eine Radikaloperation ans , die dann zum Tode der Pa-
tientin (31jährige Frau) führte. Liier kann doch wohl nicht von einem Recidiv
gesprochen werden.
In dem schon oben erwähnten, von Brailey (34) veröffentlichten Falle
einer (12 jährigen Patientin hatte Herr Abott vom Tumor mitsamt dem Aug-
apfel »so viel fortgenommen, als er bekommen konnte«. Zwei Monate später
fühlte sich die Orbita wieder voller an; dann entzog sich die Frau der Beobach-
tung. Es ist nicht unmöglich , dass auch hier noch mit der Zeit Rückbildung
erfolgte.
Unter 47 Fällen, in welchen ein operativer Eingriff vor-
genommen worden war, erfolgte viermal der Tod unter menin-
gitischen Erscheinungen, im Anschluss an Vereiterung des Orbital-
zellgewebes.
Der Tod trat ein in Richet’s Fall (67) am 2., in einem Falle Lel)er’s (41)
am 9., in einem zweiten Falle Richet’s (57) am 13. Tage und in dem bereits
erwähnten Falle von (iuaglino (11) 6 Monate nach der Operation.
Höchst bemerkenswert scheint mir der Umstand, dass unter
den vier tödlich endenden Fällen in drei eine Fortsetzung der
Oeschwulst in die Schädelhöhle hinein gefunden wurde. In
Quaglino’s Fall ist die Sektion nicht gestattet worden.
In dem ersten Falle Richet’s setzte sich [die ziemlich zellenreiche, myxo-
fibromatöse Neubildung dem tractus ojiticus entlang bis zum pedunculus cerebri
fort. In seinem zweiten fand sich vor dem Chiasma, gerade da, wo der Nerv
in die Orbita eintritt, ein erbsengrosser Tumor von derselben Bescbaffenheit,
wie die Orliitalgeschwulst. Bei dem 4‘V4 Jalu-e alten IMädchen der Leber’ sehen
Klinik in Göttingen erstreckte sich die Neubildung durch das auf 7 mm er-
weiterte foramen opticum bis zum Chiasma, eine kurze spindelförmige Anschwel-
I lung bildend. Das Chiasma erschien sehr stark verdickt, von fibröser Härte
( und weisslicher Färbung. Auch der andere (rechte) Sehnerv war in seinem intra-
342
H. Sattler.
cranielleii Verlaufe ein wenig verdickt. Innerhalb der Orbita schwoll er dann
albnäblicb an bis zu einem Durchmesser von 12 mm, verjüngte sich hierauf
rasch wieder auf 7 mm, um vor seinem Eintritt in den Bulbus noch einmal eine
Dicke von 9 mm zu erreichen. Die Anschwellung kam, wie die mikroskopische
Untersuchung lehrte, auch hier wesentlich auf Rechnung der Wucherung im
subarachnoidealen Raume des Sehnerven , welche im vorderen Teile in einer
blossen Hyperplasie der subarachnoidealen Bälkchen bestand, in der hinteren
grösseren Anschwellung aber aus den bekannten Faserzellen, welche vielfach
hyaline Einlagerungen enthielten, gebildet wurde.
Zu diesen Fällen von intracranieller Ausbreitung des myxo-
fibromatösen Opticustumors kommt nur noch mein zuletzt be-
schriebener Fall (Fig. 7) als vierter hinzu. Dieser ist auch neben
Leb er ’s eben citierter Beobachtung der einzige Fall von doppel-
seitigem Vorkommen der Geschwulstbildung. Dasselbe ist also
gewiss ein recht seltenes ^). Immerhin tritt aber nach solchen Er-
fahrungen die strikte Aufforderung an uns heran, in allen Fällen,
wo wir die Diagnose eines Opticustumors zu machen uns berech-
tigt glauben, den Zustand des zweiten Auges einer besonders
sorgfältigen Prüfung zu unterziehen.
In der That waren in Leber’s Falle schon im Leben Erscheinnngen am
rechten Auge hervorgetreten, welche trotz Fehlen eines Exophthahnns eine Mit-
beteiligung des rechten Auges vermuten lassen konnten. Die Sehnerveniiapille
erschien auffallend gross und entschieden etwas heller und die Arterien waren
vielleicht etwas enger. Eine genaue Sehprüfung liess sich bei dem Kinde nicht
vornehmen; aber die Zeiger einer Taschenuhr wurden richtig angegeben.
Metastasen in anderen Organen sind niemals gefunden worden.
Ist also eine doppelseitige Affektion auszuschliessen, und sind
genügende Anhaltspunkte vorhanden für die Annahme der fibro-
myxomatösen Natur des Sehnerventumors, so ist die Prognose
entschieden als günstig zu bezeichnen, insofern als eine rechtzeitige
und unter Beobachtung strengster Asepsis durchgeführte Exstir-
pation des Tumors dauernde Herstellung erwarten lässt.
Wenn Huc (58) in seinen Betrachtungen, welche er an Rieh et ’s un-
glücklich endenden Fall anschliesst, die Prognose stets als eine ernste und die
Operation als sehr gefährlich bezeichnet , so kann dem wohl nicht beigestimiiit
werden. Die eiterige Meningitis dürfte wohl unter Beobachtung einer rigoroseren
Antisepsis zu verhüten gewesen sein. Auch AVi Hemer (42) kommt zum Schlüsse,
dass die Prognose nicht besonders günstig zu stellen sei. Dies hat seinen Grund
wohl einerseits darin, dass er eine viel zu geringe Zahl von Fällen (17) seinen
Schlussfolgerungen zu Grunde legen konnte, und andererseits, dass er die ver-
schiedenen Arten von Sehnerventumoren zusammenwarf. AVir werden später
sehen, dass bei den anderen Arten die Prognose eine ausserordentlich viel
weniger günstige ist.
Da die Neubildung niemals auf den Augapfel selbst über-
greift und derselbe nur infolge hochgradigsten Exophthalmus bei
*) Unter 49 Fällen von Myxofibrom des Sehnerven zweimal (4 o/o).
Ueb. die eigentlichen Sehnerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung. 343
mangelnder Bedeckung durch Vereiterung zu Grunde geht, so ist
seine Schonung immerhin anzustrebeii und dürften auch in der
Mehrzahl der Fälle ausführbar sein.
Bis jetzt ist die Erhaltung des Bulbus bei Sehnerven-
tunioren in sechs Fällen gelungen. Von diesen betrafen jedoch
nur drei Myxofibrome des Opticus, ein Fall von Grüning (32),
j einer von Schiess-Geniuseus (78) und mein Fall.
In zwei Fällen (Strawbrigde (44) und Knapp (45)) handelte es sich um
(iliosarcome des Nervus opticus und Knapps erster P'alü25), welchen er als Carcinom
der äusseren Sehnervenscheide beschreibt, gehört den alveolären Sarcomen an.
In einem Falle von Endotheliom des intervaginalen Eaumes des Sehnerven
hatte Alt die Erhaltung des Bulbus versucht, musste denselben jedoch 4 Stunden
nach beendeter Operation wegen unstillbarer Blutung entfernen. In den oben
erwähnten Fällen von Strawbrigde und Knapp (45) ging wenige Tage nach
der Operation die Hornhaut durch Eiterung zu Grunde und der Augapfel wurde
phthisisch.
In den drei ^Myxofibrome betreifenden Fällen war der schliess-
liche Effekt ein sehr zufriedenstellender. Einhalb bis dreiviertel
Jahre nach der Operation erschien der Augapfel ein wenig kleiner,
weniger gespannt, etwas tiefer liegend, weniger beweglich, als nor-
mal und in leichter Schielstellung nach einwärts. Die Medien
können völlig klar bleiben und erlauben dann, die Veränderungen
im Augenhintergrund zu überblicken. Man findet die Papille
glänzend weiss, an Stelle der Netzhautgefässe in der Nähe der
Papille weisse Stränge. Mehr nach der Peripherie können wieder
blutgefüllte Gefässe sichtbar werden. Die Aderhaut scheint be-
sonders im hinteren Abschnitte stark atrophisch und in der Netz-
haut finden sich mehr oder weniger grosse Plaques dunkeln Pig-
ments.
War die Hebung des oberen Lides nach der Operation be-
einträchtigt, so besserte sich der Zustand im Verlaufe der Zeit sehr
wesentlich.
In Schiess-Gemuseus’ Fall hat die Bindehaut zwei Monate
nach der Operation ihre Empfindlichkeit wieder erlangt und zwei
Monate später bekamen die äusseren Partien der Hornhaut wieder
etwas Sensibilität.
Knapp war der erste, welcher die Exstirpation einer mit
den Scheiden des Sehnerven im Zusammenhang stehenden Ge-
schwulst mit Erhaltung des Bullms mit Erfolg ausführte (25). V.
Graefe meinte noch 1864 (ü), von einer Exstii’pation ohne Bulbus
könnte, da die Geschwulst innerhalb des Muskeltrichters liegt und
den Sehnerven jedenfalls umklammert, nicht die Rede sein. Hält
man sich gegenwärtig, dass das Einsetzen eines künstlichen Auges
344
II. Sattler.
nach Entfernung einer Orbitalgeschwulst mitsamt dem Bulbus oft
grosse Schwierigkeiten verursacht, ja unmöglich sein kann und
andererseits eine gute Prothese nicht nur im Interesse einer be-
rechtigten Eitelkeit, sondern auch eines besseren Fortkommens
vieler Individuen gelegen ist, so wird man zugeben, dass die Ex-
stirpation von Sehnervengeschwülsten mit Erhaltung des Augapfels
immerhin eine wertvolle Bereicherung in der ojDerativen Behand-
lung der Sehnerventumoren darstellt.
Bei nicht allzugrossen Geschwülsten wird man mit dem von
mir vorgeschlagenen Vorgehen (s. oben) auskommen. Sollte bei
grösserem Umfange des Tumors der Zugang durch Ablösung
des inneren Geraden nicht weit genug sein, so könnte man, wie
Schiess- Genius eus es gethan hat, das obere Lid vom Thränen-
punkte bis in die Augenbrauengegend einschneiden und Zurück-
schlagen und ausser dem Rectus internus auch den oberen oder
unteren Geraden nach Versicherung der Enden in einer Faden-
schlinge ablösen. Wenn man rasch operiert, nach möglichst kom-
pleter Entfernung des Tumors den Augapfel sogleich zurückdrängen
lässt, während man die nötigen Suturen anlegt und dann einen
sicheren Druckverband appliziert, so wird man der Blutung in der
Regel wohl leicht Herr werden.
Es bleibt uns jetzt noch übrig, der anderen Kategorien von
Sehnerventumoren in Kürze zu gedenken und dieselben nach ihrer
Charakterisierung in prognostischer Beziehung zu würdigen.
Die Tumoren der einen Kategorie können wir als Gliosar-
come des Sehnerven bezeichnen. Reine Fälle dieser Art sind
von Ritterich (4), v. Graefe (10), Schott (39, von Mauthner
operiert) und Knapp (45) mitgeteilt worden. Sämtliche betrafen
Kinder in den ersten Lebensjahren. Die drei ersteren endeten
nach der Operation tödlich durch Meningitis und man fand an-
sehentliche, weiche, zellenreiche, intracranielle Tumoren beider
Sehnerven und des Chiasma. Und in Knapp’s Fall war das Kind
Jahre nach der Operation zwar frei von einem lokalen Recidiv,
sah aber blass und abgemagert aus, sein Kopf war grösser und
seit einigen Wochen war auch das Sehvermögen am anderen Auge
in rascher Abnahme begriffen und das Ophthalmoskop enthüllte
eine ausgesprochene Stauungspapille.
Auch Mischformen des Gliosarcoms mit myxomatösen und
fibromatösen Bildungen kommen vor. Um solche scheint es sich
gehandelt zu haben in dem Falle von Strawbridge (44) und
einem der von Goldzieher veröffentlichten Fälle (21, S. 134).
Bei Strawbridge ’s Patientin war einige Zeit später auch das an-
Ueb. die eigentlichen Selmerventiiinoren u. ihre chirurgische Behandlung. 345
I dere Auge blind, die Papille des Sehnerven weiss, wie nach Neu-
ritis, und die Kranke zeigte ausgesprochene »cerebrale Symptome«.
Das klinische Bild, welches die betreffenden Patienten vor
der Operation darboten, unterschied sich keineswegs in irgend einer
prägnanten Weise von dem früher geschilderten. Das Wachstum
war in zwei Fällen ein etwas rascheres. Auf Anzeichen, welche
auf eine intracranielle Ausbreitung der Geschwulst oder ein Ueber-
greifen auf den anderen Sehnerven hinweisen könnten, würde auf
das sorgfältigste zu achten sein. Veränderungen am Sehnerven-
kopfe oder an der Netzhaut, welche auf eine Beteiligung dieser
Gewebe an der Geschwulstbildung hindeuten, würden für die glio-
sarcomatöse Natur derselben entscheidend sein. Liesse sich eine
; bestimmte Diagnose nach dieser Richtung stellen, so würde die
Prognose stets als eine sehr ernste zu bezeichnen sein.
Eine dritte Kategorie von Sehnervengeschwülsten
stellen die Endotheliome der Opticusscheiden dar. Unter
den in der Litteratur bekannt gewordenen Fällen dieser Art haben
wir aber einige auszuschliessen , welche nicht als Sehnerven-
j geschwülste im strengeren Wortsinne, wie er Eingangs präcisiert
j wurde, gelten können, indem sie von der äusseren Scheide aus-
gehend und den Nerven samt seinen übrigen Scheiden umwachsend
im Muskeltrichter sich ausbreiteten.
Zu diesen gehört ein Fall von Neuniann (19, S. 310), der sclion er-
■ttälmte von Knapp (25), einer von Ewetsky ((50) und einer von Brailey (72).
In den beiden ersten war das Sehvermögen erhalten geblieben; in Neumann ’s
Falle kaum geschwächt; in Knai^p’s betrug es noch V2u des normalen und war
<las Gesichtsfeld uneingeschränkt.
Die übrigen Fälle, bei welchen die Neubildung vom sub-
vaginalen Raume des Sehnerven ihren Ausgang nahm,
boten die Symptome eines Opticustumors, wie sie oben ausführlich
entwickelt wmrden sind, in mehr oder weniger ausgesprochener
Weise dar. Abweichend waren die in mehreren Fällen besonders
I hervorgehobenen heftigen Kopfschmerzen.
In einem Falle (von Alt, 38) wurde der bisher gesunde, 31 jährige Mann
I im Verlaufe der Geschwulstentwicklung epileptisch. Nach der Operation ver-
; loren sich nicht bloss die heftigen Schmerzen, sondern verminderten sich auch
die epileptischen Anfälle sehr bedeutend.
Auch in Bezug auf das Alter der betroffenen Individuen
r besteht ein beachtensw^erter Unterschied den erst genannten Arten
■j von Sehnerventumoren gegenüber. Nur ein Kranker stand im
r, Kindesalter (4 Jahre), vier' befanden sich zwischen dem 12. und
J 22. Lebensjahre, die fünf übrigen waren jenseits der dreissiger
1 Jahre.
346
II, Sattler.
Meist handelte es sich um kleinere Geschwülste und einige
Male lag mehr eine walzenförmige Verdickung des Sehnerven vor.
Die Grösse der annähernd rundlichen Tumoren war einer Kastanie
oder Wallnuss vergleichbar. Ihre Oberfläche war öfters uneben,
höckerig, bei walzenförmiger Gestalt jedoch glatt. In letzterem
Falle bestand kein oder nur ein geringer Exophthalmus. Welch
ganz kolossalen Umfang aber derartige Geschwülste nach langem
Wachstum erreichen können, zeigt ein Fall, welchen ich selbst im
Jahre 1870 auf der Klinik meines hochverehrten damaligen Chefs,
Hofrat Billroth’s, bei einem 16jährigen Taglöhner zu beobachten
Gelegenheit hatte (16). Der exstirpierte Tumor mass im Quer-
durchmesser 70 mid im Durchmesser von vorn nach hinten 55 mm.
Da das Sehvermögen nach der bestimmten Angabe des Kranken
schon bald nach dem Beginne des Leidens im achten Lebensjahr
erloschen war, so dürfte auch hier die Geschwulstbildung vom
Zwischenscheidenraume des Sehnerven ausgegangen sein.
Der feinere Bau dieser Art von Tumoren ist ein sehr gleich-
förmiger. So lange die Neubildung auf den subarachnoidealen
Raum beschränkt ist, ist ein klarer Einblick in die Entstehungs-
und Ausbreitungsweise derselben zu gewinnen. Als ein mehr oder
weniger mächtiger Mantel umgiebt sie den von der intakten Pial-
scheide umgebenen, atrophischen Sehnerven und erstreckt sich bis
an das vordere , blindsackförmige Ende des Zwischenscheidenraunies
(siehe Fig. 8, einem von mir beobachteten Falle entstammend und
Michel (20), Taf. I, Fig. 1, 2 und 3). Der Sehnervenkopf ist stark
geschwellt und steil abfallend.
Die Neubildung geht hervor aus einer Wucherung der en-
dothehalen Zellplättchen der Arachnoidealscheide und der subarach-
noidealen Bälkchen (siehe Michel Fig. 4 und 5 und Reich (29)
Taf. II — III, Fig, 3, 4 und 5) und erstreckt sich dann weiter in
die damit im Zusammenhang stehenden Bindegewebsspalträume;
vom vorderen, blinden Ende des Zwischenscheidenraumes aus in
die hinteren Lagen der Sclerotica (Fig. 8) und andererseits zwischen
die Bindegewebsbalken der Duralscheide. Auf ersterem Wege ge-
langt sie schliesslich, Gefäss- und Nervenkanälchen folgend, in den
Rerichorioidealraum und in die äussersten Lagen der Aderhaut,
ohne jedoch jemals hier eine grössere Ausdehnung zu erreichen,
und auf dem letzteren, indem die Bündel der Duralscheide mehr
und mehr auseinander gedrängt und in immer feinere Bälkchen
aufgelöst werden, an die äussere Oberfläche derselben in das lockere
Zellgewebe. Zunächst erfolgt die Vergrösserung der Geschwulst
hauptsächlich durch fortgesetzte Wucherung der endothelialen Eie-
Ueb. die eigentlichen Sehnerventnmoren u. ihre chirurgische Behandlung. 347
mente im subarachnoidealen Raume, indem die Bälkchen desselben
weiter voneinander entfernt und in feinere Bündel zerspalten wer-
den, welche dann ebenso wie die restierenden Bindegewebszüge
der Duralscheide das alveoläre Gerüst abgeben für Zellnester und
Zellstränge. Diese letzteren bestehen aus dicht aneinander ge-
lagerten Zellen mit verhältnismässig kleinen, ovalen Kernen (ca. 8//'
im längeren und 5.« im kürzeren Durchmesser) und zeigen eine
ausgesj)rochene Neigung zu zwiebelartiger Gruppierung ihrer Ele-
mente. Im Centrum dieser Zellgruppen tritt häufig schon früh-
zeitig eine regressive IMetamorphose ein, indem die in der ]\Iitte
gelegenen Zellen der hyalinen Degeneration verfallen und später-
hin verkalken. Diese stark lichtbrechenden, oft deutlich konzen-
trisch gestreiften Kugeln, welche gewöhnlich noch von einem,
durch die Säurefuchsin-Pikrinsäure-Mischung lebhaft granatrot ge-
färbten, hyalinen Saum umschlossen und zu äusserst von einem
Mantel platter, kernhaltiger Zellen eingehüllt sind, prägen dieser
Art von Geschwülsten ein sehr eigentümliches Ansehen auf. Sie
stellen eine Art der von Virchow als Psammome bezeichneten
Neubildungen dar.
In einigen aus der Litteratur bekannt gewordenen Sehnerven-
geschwülsten dieser Art trat die Neigung zur hyalinen Degene-
ration und Verkalkung in den Centren der Zellhaufen weniger
ausgesprochen hervor. Dagegen kann es in grösseren und älteren
Tumoren stellenweise selbst zu hyaliner Degeneration der Binde-
gewebsbalken des Gerüstes kommen (so in dem Riesentumor aus
der B i 1 1 r o t h 'sehen Klinik) .
Auffallend bleibt es, dass in der Mehrzahl der hierhergehörigen
Geschwülste die Pialscheide und der Sehnerv von der Destruktion
durch die Neubildung verschont bleiben.
.\uch in dem kolossalen Tnmor ans Billroth’s Klinik war der völlig atro-
phische Sehnerv als ein 0,7 min dicker Strang innerhalb der intakten Pialscheide
durch die ganze tteschwnlst zu verfolgen. Umschlossen erscheint er von einer
0,8 — 1,5 mm breiten Zone, welche sich vor der übrigen Geschwulst durch einen
auffallenden Reichtum an Sandkugeln und eine ungewöhnliche Grösse derselben
auszeichnet. Einzelne erreichen einen Durchmesser von 0,2 mm. Bisweilen
sind zwei Sandkugeln durch eine gemeinsame, ebenfalls verkalkte oder noch
hyaline, streifige Hülle umschlossen. Der Zellbelag ist äusserst schmal, ja manch-
mal bloss einschichtig. Diese Zone dürfte wohl der ursprünglichen Wucherung
im subarachnoidealen Raume des Sehnerven entsprechen.
Unter den mir bekannt gewordenen Endotheliomen des Seh-
nerven trat in drei Fällen schon wenige Monate bis ein Jahr nach
der Exstirpation ein Recidivtumor auf und in einem (Gold-
zieher 21, S. 139) erblindete der Kranke später auch am anderen
34S
II. Sattler.
Auge und wurde fast völlig blödsinnig. In dreiFällen war die Affektion
von vornherein doppelseitig. In dem Falle von Dusaussay (27),
in welchem nach der Operation der Tod durch Meningitis erfolgte,
fand man zwischen Chiasma und foramen opticum noch einen
gleichartigen Tumor von der Grösse und Gestalt einer Bohne.
Es ist also die Prognose auch bei dieser Kategorie von Seh-
nervengeschwülsten eine ungleich viel weniger günstige, als bei
der erst abgehandelten Art. Die oben angedeuteten Eigentüm-
lichkeiten, welche die Endotheliome des Sehnerven in ihrem
klinischen Bilde darboten, sind daher sehr wohl ins Auge zu
fassen, um wo möglich eine Differenzialdiagnose vor dem operativen
Eingriffe stellen zu können.
Dass auch hier bei kleinerem Umfange des Tumors eine Ex-
stirpation mit Schonung des Augapfels ausführbar ist, ist bereits
ausser Frage gestellt.
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Ueb. die eigentlichen Sehnerventniuoren u. ihre chirurgische Behandlung. 349
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S. 40. 1878.
39. Schott. Gliosai’com des rechten Opticus. Ibidem, S. 81. 1878.
40. Holmes. Sehnervengeschwulst. II)idem, S. 308. 1878.
4L Leber. Tumoren des Sehnerven. Bericht über die elfte Versamml.
der oj)hthahnolog. Gesellschaft, 1878. S. 184.
350
H. Sattler.
42. Wi Hemer. lieber eigentliche, d. h. sich innerhalb der äusseren Scheide
entwickelnde Tumoren des Sehnerven. Arch. f. Ophthalm. XXV, 1, S. 161. 1878.
43. Hirschberg-Puf ahl. Casuistik, 39. Beiträge zur prakt. Augenheilk.,
m. Heft, S. 63. 1878.
44. Strawbridge. Tumor of the optic nerve. Its removal without enu-
cleation of the eyeball. Transact. of the American ophthalm. Soc. Vol. II. Part. 4,
pag. 383. 1878.
45. Knapp. Tumor of the optic nerve. Il)idem. Part. 5, i)ag. 559. 187!».
46. Higgens. Tumour of the optic nerve. The Brit. med. Journ. Oct. 18.
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47. Berlin. Die Sehnerventumoren im Handbuch der gesamten Augen-
heilk. von Graefe und Saemisch. VI. Bd., S. 721. 1880.
48. Pflüger. Fibrosarcoma nervi optici. Augenklinik der Universität
Bern. Bericht über das Jahr 1880, S. 45.
49. Barabascheff. Intra- und extraoculäres Endotheliom. Arch. für
Augenheilk. IX, S. 416. 1880.
50. Rampoldi. Gliosarcoma del nervo ottico. Ann. di Ottalm. Anno X.
pag. 121. 1881.
51. Poncet. Myxome fascicule du nerf optique. Arch. d’ophtalmologie.
I, pag. 616. 1881.
52. V. Recklinghausen. Ueber die multiplen Fibrome der Haut und ihre
Beziehung zu den multiplen Neuromen. Festschrift. Berlin 1882, S. 28.
53. Hulke. On a case of spurious neuroma of the optic nerve. The R.
London Ophthalmie Hosp. Rep. X. Part. 3, pag. 293. 1882.
54. Lawson. On a case of sarcoma springing from the sheat of the
optic nerve. Excision of the globe and removal of the tumour. Recurrance. Death.
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55. Vossius. Das Myxosarcom des Nervus opticus. Arch. f. Ophthalm.
XXVm, 3, S. 33. 1882.
56. Manz. Ueber endotheliale Degeneration des Sehnerven. Il)idem, S. 93.
57. Richet. Fibrosarcome du nerf optique. Nevroretinite et atrophie.
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58. H u c. Essai sur les tumeurs du nerf optique. These de Paris, 1882.
(Derselbe Fall.)
59. V e r 0 n. Myxo-fibrome du neil optique. Recueil d’ophtalm. III. Jan-
vier, pag. 32. 1883.
60. Ewetsky. Ein Fall von Endotheliom der äusseren Sehnervenscheide.
Arch. f. Augenhk. XII. 16. 1883.
61. Hessdörff er. Ueber eine wahre Opticusgeschwulst. Inaugural.-
Dissert. Würzburg 1883.
62. Peabody. Sarcoma of right optic nerve. Med. Record. New-York
XXHI, pag. 216. 1883.
63. Parisott i et Despagnet. Fibrome du nerf optique. Recueil
d’ophtalm. IV. D4ceml)re, pag. 720. 1884.
64. Vossius. Ueber Sehnervengeschwülste. Berliner klin. Wochenschr.,
Nr. 13. 1885.
65. J o h n s o n and P r u d d e n. Myxosarcoma of the optic nerve with
hyaline degeneration. Arch. of ophthalm. XIV, pag. 151. 1885.
66. K u s s a c h o w i c z. Miksoma zviteln. nerva. Med. Obozr. XXIV, p. 293.
Jahresber. über d. Leistungen etc. für 1885, S. 204.
Ueb. die eigentlichen Selinerventumoren u. ihre chirurgische Behandlung.
G7. Eichet. Tuineur de l’orbite. Gazette des Höpitaux Nr. 143, pag. 1154.
1886. (Derselbe Fall wie Nr. 63.)
68. Buller. Tumour of the optic nerve. ]\Ied. News XLIX, pag. 555. 1886.
69. Straub. Die Geschwülste des Nervus opticus. Arch. f. Ophth. XXXII,
1, 8. 206. 1886.
70. Wedl und Bock. Pathologische Anatomie des Auges, S. 254. 1886.
71. Schiess-Gemuseus. Tumor nervi optici. Exstirpation mit Erhaltung
i] des Bulbus. Augenheilanstalt in Basel. XXIII. Jahresber. vom 1. Jan. 1886 bis
J 1. Jan. 1887. S. 53.
72. Brailey. Sarcoma growing from the dural sheath of the optic nerve.
I Transact. of the Ophthalm. Soc. of the U. Kingdom. VH. Session 1886 — 1887,
I pag. 120. 1887.
i 73. T i 1 1 a u x. Tumenr prinntive du nerf optique. Recueil d’ophtahn.
Fevrier, pag. 65. 1887.
74. Frothingham. Sarcoma of the optic nerve. Ophthalmie Review,
pag. 245. 1887.
75. Wolfheim, lieber die eigentlichen Sehnervengeschwttlste. Inaugural-
Diss. Königsberg 1887.
76. Joeques. Des tumeurs du irerf optique. These de Paris 1887.
77. Lawson. On a case of tumour of the optic nerve. The R. London
Ophthalm. IIosp. Rep. XII, 1, pag. 1. 1888.
78. Schiess-Gemuseus. Totales Myxosarcom des Opticus, exstirpiert
mit Erhaltung des Bullnis. Arch. f. Ophthalm. XXXIV, 3. S. 226. 1888. (Der-
selbe Fall wie Nr. 71.)
79. Schiess-Gemuseus. Tumor nervi optici. Exstirpation mit Ideiben-
der Heilung. Augenheilanstalt in Basel. XXVI. Jahresbericht vom 1. Jan. bis
31. Dez. 1889, S. 55.
80. S y m. Tumours of the optic nerve. The Brit. med. Journ. Sept. 28, 1889.
81. Sutphen. Sarcoma of the optic nerve, notable ebiefly for its size and
shape. Transact. of the Amer. Ophthalm. Soc., 25. annual meeting. Vol. V,
Part. 2, pag. 457. 1889.
82. A y r e s. Tumors of the optic nerve, with report of two original cases.
The American Journ. of Ophthalm. ^Marcli 1890.
83. Gauran. Fil)rosarcome dn nerf optique. Normandie m6d. Rouen,
pag. 385. 1890.
84. Cirincione. Tuberculosi del nervo ottico. Giornale di Neuropato-
logia. Anno VII, Fase. 2. 1890.
85. Salz mann. Forewisning af et knyttet-nävestort smaal celle-sarkom
udgaaet fra synsneraskeden, exstirpet sammen meddet degenerede öje. Finska
läkare sällskapets förbandlingar, XXX. S. 490, 1890 und Sarcoma of the sheat
of the optic nerve. NeAV-York med. Journ. LHI, Nr. 3, pag. 82. 1891.
86. Elschnig. Die metastatischen Geschwülste des Sehnerven. Arch. f.
Augenheilk. XXII, S. 150. 1891.
87. V. Garnier. Ein Fall von Myxosarcom des Opticus. Klin. Monatsbl.
f. Augenheilk. XXIX, S. 208. 1891.
88. Noering, A. Uel)er einen Fall von Fibrosarcom des Nervus opticus.
Inaugural-Diss. Königsberg 1892.
89. Lagrange. Tumeurs malignes du nerf optique. Sixieme congres.
fran<;“.. de Chirurgie. Seance du 18 avril, 1892.
Die Therapie der Coxitis tuberculosa an
der Klinik des Herrn Hofrates Billroth
von
Dr. Heinrich Tliaiising,
Operateur der Klinik Billrotli.
Mit 3 Holzschnitten im Text.
Die Beobachtung, dass eine gewisse Anzahl von Coxitiden bei
bei der früher allein geübten konservativen Behandlungsmethode
nicht ausheilte und viele dieser Fälle mit dem Tode, an Allgemein-
tuberkulose oder an Erschöpfung endeten, bewog Fock ^), Eulen-
burg-) und Leisrink zu dem auf eine grosse Statistik gegründeten
Rate, die Frühresektion stets bei manifester Caries jedes Gelenkes
(in ihrem Sinne), also bei nachweislicher Eiterbildung, vorzunehmen j
die Schwere dieses Eingriffes aber in der vorantiseptischen Zeit
liessen Volkmann den Ausspruch thun^): »Es ist mir völlig un-
verständlich, wie man bei Kindern in der Resektion des Hüft-
gelenkes mehr als einen äussersten Notbehelf erblicken kann.«
Wie schnell aber vollzog sich mit der Errungenschaft Listers die
Aenderung dieser Ansicht; gerade Volkmann, der selbst soviel zur
Klarstellung der pathologischen Vorgänge bei Gelenkstuberkulose
beigetragen, riet, von der Furcht der Generalisation des Prozesses
beeinflusst, zur raschesten Elimination des primären Herdes durch
die Resektion^). Damit leitete er eine Aera der Frühresektion in
Deutschland ein, die sich bald auch für die Coxitis einbürgerte.
Aber bei so eminent chronischen Krankheitsprozessen kann ein
b Langenljecks Archiv, Bd. 1.
-) I.,angenhecks Archiv, Bd. ^’II.
h Langenhecks Archiv, Bd. XII.
b 8. klin. Vorträge Xr. öl.
") Ueher den Charakter der fungöseii Gelenksentzündung. Chir. 51 , 1G8 — IGh.
Die Therapie der Coxitis tuberculosa.
353
Urteil über eine bestimmte therapeutisclie Richtung erst nach
Jahren gefällt werden. Hier bestätigen in neuester Zeit die all-
mählich zutage tretenden Endresultate die Worte Hofrat Billroths
im Züricher Bericht: »Ich bin im ganzen nicht sehr enthusiastisch
für die Hüftgelenksresektionen bei Caries eingenommen, weil man
von dieser Operation a priori sagen muss, dass sie sehr selten das
zu leisten im stände ist, was eine Operation bei Caries leisten soll,
die Entfernung aller erkrankten Knochenteile. — Die Resektionen
der Pfanne haben ihre Grenzen!« Diese Ansicht blieb trotz Ein-
führung der Antisepsis der leitende Gesichtspunkt, so dass bis
heute an der Klinik Billroth nur nach vergeblicher konservativer
Behandlung die Spätresektion ausgeführt wird. Nach einem und
einem halben Dezennium der eifrigsten statistischen Arbeit von
beiden Seiten, sowohl der Anhänger der operativen, als derer der
exspektativen Behandlungsmethoden, kann es nicht Aufgabe dieser
wenigen Seiten sein, auf den heutigen Stand der Frage, soll man
bei Coxitis überhaupt resecieren, wann und in welcher Ausdehnung
soll dies geschehen, näher einzugehen.
Im Folgenden ist nur eine kurze Darstellung der therapeutischen
Massnahmen enthalten, wie sie seit 1877 mit nur wenigen und ge-
ringen Aenderungen an der Klinik des Herrn Hofrates Billroth
bei Coxitis bis jetzt gebräuchlich sind. Die Endresultate derselben
auf Grund aller seit jener Zeit beobachteten Fälle hier anzu-
schliessen, muss ich mir leider versagen, da ich mich von diesen
bei der grossen Schwierigkeit der Einziehung von Berichten gerade
über die geheilten Fälle, nur erst bei kaum mehr als der Hälfte
sämtlicher behandelten Fälle persönlich überzeugen konnte; der
Bericht hierüber soll Gegenstand einer späteren Publikation werden.
Wenn ich in Folgendem eine Einteilung in vier Grade der Er-
krankung treffe, so geschieht dies nur der Uebersicht wegen und
weil die herkömmhchen auf pathologisch anatomischer Grundlage
beruhenden Klassifikationen zu Wiederholungen Anlass geben.
Als die einfachsten Fälle möchte ich diejenigen abgrenzen,
bei denen nur leichter Schmerz besteht und derselbe, wenig genau
lokalisiert, meist wohl ins Kniegelenk verlegt wü’d. Der Gang ist
besonders nach längerer Belastung hinkend, es ist bei passiven
Bewegungen höchstens die Rotation schmerzhaft und daher be-
hindert ; der Schlaf der Patienten noch ungestört und örtlich nichts
zu sehen. Diese Patienten sind sämtlich ambulant behandelt
worden. Den Kranken wird als das Wichtigste Bettruhe dringend
b König. Chir. Kongress 92.
23
354
Heinrich Thausing.
empfohlen, der Versuch mit Eisbehandlung', Jodpinselungen, na-
mentlich aber Bäder mit Haller Jodsalz werden angeraten und den
Angehörigen der meist im Kindesalter stehenden Patienten die
Wichtigkeit einer roborierenden Diät eingeschärft. Ebenso soll das
Kind von Zeit zu Zeit in die Klinik gebracht werden, damit bei
einer Exacerbation des Leidens sofort therapeutisch eingegriffen
werden kann.
Schon das allernächste Stadium : hinzutretender Druck-
schmerz, Fixierung des Gelenkes in einer der pathogno-
monischen Stellungen sind Indikationen zu einem energischen Ein-
schreiten. Bonnets Forderung, ein erkranktes Gelenk ruhig zu
stellen, wird mit der E x t e n s i o n s b e h a n d 1 u n g oder der Gips-
hose erfüllt.
Selten gelit es an, einen Patienten, dessen Kontraktur nur durch Muskel-
henimung erzeugt ist, in die Klinik aufzunehinen, da dieselbe nur über hundert
Betten verfügt, die mit so gleichförmigen, so eminent chronischen Fällen höchstens
ausnahmsweise belegt werden können ; wenige Tage der Extension genügen hier,
eine bedeutende Stellungsverbesserung zu erzielen ; meist aber wird ambulatorisch
mit oder ohne Narkose das Eedi’essment gemacht und dann gleich der fixierende
Gipsverhand angelegt. Bei manifester , in Narkose nicht leicht ausgleichbarer
Kontraktur wird der Patient immer in die Klinik avifgenommen und entweder
der schonenderen abei’ langmerigeren Extensionshehandlung unter^\■ol•fen , der
man dann zur vollständigen Behebung der pathognomonischen Stellung das
Redressment, eventuell mit Abdrängung der Adduktorenansätze vom Becken
mittels des eingesetzten Daumens folgen lässt, oder man entschliesst sich zum
sofortigen Redressment, entweder in einer oder in mehreren Zeiten. Das häufiger
nach letzterem Eingriffe aber auch hei einfacher Extension auftretende Fieber
gieht nach unseren Erfahrungen keine schlimme Prognose und verschwindet
meistens bald. Bei der Gewichtsextension stehen nicht so grosse Gewichte in
Anwendung wie bei ^’'olkmann, es wird bei Kindern selten über 5 Kilo hinaus-
gegangen, die Gegenextension wird durch Höherstellung des unteren Bettendes
erreicht, in den seltensten Fällen kommt ein Sattel mit aufrechtem, gepolstertem
Eisenstabe in Anwendung; die Extremität wird mit einer gewöhnlichen Crosby-
schen Heftpflasteransa armiert , über welche eine Gradlbinde gewickelt wird.
Um die Hyperextensionsstellung zu erreichen , entfernt man den untersten Teil
der in drei Teile geteilten Matraze.
Die Extremität wird am besten auf einem Volkmannschen Schlittenai^parat
mit dreieckigen Tüchern fixiert , zur Verringerung der Reibung und zur
Verhütung extremer Rotationsstellungen ; sollte das Heftpflaster nicht vertragen
werden, so besteht die Ansa aus einem breiten Streifen eines starken Leinen-
Stoffes, der von den Maleolen nach aufwärts in zwei Teile gespalten ist, die in
Hobeltouren um den Unterschenkel geführt werden , darüber liegt eine Flanell-
binde. Wir sehen in der Gewichtsextension ein rein oi’thopädisches Verfahren,
dessen schmerzstillende Wirkung ja auch der Gipshosenbehandlung eigen ist,
und trachten sobald als möglich die Letztere anzuwenden. Wir legen dabei das
Hauptgewicht in die ^"ermeidung der Bettlägerigkeit und des ständigen Aufent-
haltes im Krankenzimmer. Die Fälle, bei denen die Extension auch mit grösseren
Gewichten den gewünschten Erfolg nicht hat, also eine bedeutende Verkürzung
Die Therapie der Coxitis tuberciilosa.
355
der Muskeln und Faseien oder gar knöcherne Ankylose eingetreten ist, ebenso
das Briseinent force nicht gelingt, gehören in das Gebiet der Ankylosentherapie ^),
bestehend in subkutaner oder offener Durchschneidung der Adductoren, Wini-
Avarters Fascioplastik , Infraktion des Feinurhalses, in einfacher subtrochantärer
Osteotomie oder in Resektion.
Wir geben vor der E x t e n s i o n s b e h a n d 1 u n g , wie
dies schon aus dem oben Gesagten hervorgeht, bei
rl weitem der ambulatorischen Gipshosenbehandlung
den Vor z u g , aus folgenden Gründen : Gerade in den Anfangs-
stadien des Prozesses ist der Allgemeinbehandlung ein weites Feld
zu segensreicher Wirksamkeit eingeräumt, in der Gipshose können
die Kinder aufs Land gesendet werden, zum mindesten aber wird
der das Kindergemüt besonders deprimierende Spitalsaufenthalt,
das Eintbehren des Elternhauses und die diesen Kranken so ge-
fährliche Umgebung einer grossen Anzahl tuberkulös Kranker ver-
mieden. Hiezu kommt noch, dass die Extensionsbehandlung eine
sorgfältige, häusliche Ueberwachung und Pflege erfordert, die aber
dem Kinde des Armen, das meist nicht einmal ein eigenes Bett
hat, nicht zuteil werden kann. Angelegt M^erden alle derartigen
Verbände mit Hilfe des von v. Hacker modiflcierten v. Esmarchschen
Stützapparates -), der die beiden extendierenden Assistenten entbehr-
lich macht. Der Patient erhält also eine Gipshose in hyperexten-
dierter, leicht abducierter, bezüglich der Rotation in Mittellage
befindlicher Stellung der erkrankten Extremität, die zugleich bei
einer eventuellen /Ausheilung in /Ankylose die funktionell wert-
vollste Stellung bildet. Ich möchte hier bemerken, dass uns ein
so ankylosiertes Hüftgelenk, namentlich für die Patienten der
Klinik, die meist der arbeitenden Klasse angehören, als ein er-
strebenswerteres Resultat erscheint, als ein durch irgend eine typische
Resektion erreichtes, beweglicheres, dessen Sicherheit doch nie der
des normalen gleicht. Die Gipshosen wurden anfangs so gemacht,
dass man nur die kranke Extremität und das Becken in den
Verband nahm. In den Krankengeschichten aus dieser Zeit kehrt
häufig die Bemerkung wieder, dass die kranke Extremität schliess-
lich nicht in der erstrebten Stellung fixiert war; eine Erneuerung
der Plose war dadurch erfordert. So wurde denn bald auch die
gesunde Extremität miteingegipst ; dies machte den Verband
allerdings sehr schwer, wenn man auch durch Einlegen von Längs-
schienen aus Schusterspänen viel Gips ersparen konnte.
*) Kosmanit, Langenl)ecks Archiv XX VIII. 1. Zur oiiorativon Behandlung
der schweren Formen von Contractureu und Ancliylosen im Hüftgelenk.
-) W. klin. W. Sehr. 80. Xr. 14.
356
Heinrich Thausing.
Um diesem Uebelstande abzuhelfen, wird schon seit dem
Jahre 1884 ein von Dr. Freih. v. Eiseisberg angegebener Quer-
riegel dicht oberhalb der Kniee zwischen die beiden abducierten Ex-
tremitäten mit eingegipst und der Beckengurt ents23rechend schwächer
gemacht. Der Querriegel besteht aus einem durch Gipstouren
verstärkten Brettchen aus weichem Holze. Er macht den Verband
wesentlich fester und das Heben des Patienten z. B. auf die Bett-
schüssel viel bequemer. Die Patienten gehen in einer solchen
Hose (Fig. 1 ,2) mit Hilfe des Volkmann’schen Stützbänkchens anfangs
Fig. 1. Fig. 2.
ziemlich unbeholfen, manche lernen jedoch sj^äter sogar das Bänk-
chen entbehren, es genügt ihnen ein Stock. Für Erwachsene wurde
ausserdem wiederholt eine besondere Form der Gipshose ange-
wendet (Fig. 3): Es wird jederseits ein Gij)sverband von den Zehen bis
zum Knie angelegt und diese dann durch zwei Eiseisberg' sehe
Riegel zu einem unbeweglichen System verbunden. Von diesen
Riegeln liegt der eine unterhalb der Tibiacondylen , der andere
entweder zwischen den Malleolen oder besser an den Sohlenflächen.
So ist die Gelenksgegend für die örtliche Behandlung allseitig zu-
gänglich, nur ist ein Gehen in einem solchen Verbände nicht
möglich, und auch die Ermöglichung desselben nicht beabsichtigt,
es ist ein Ersatz der Extension. Für die ambulatorische Behandlung
Die Therapie der Coxitis tuberculosa.
357
überziehen wir die Gipsliose mit Bindeiistreifen, die mit Wasserglas
imprägniert sind. Die Patienten werden angewiesen, in sechs bis
zwölf Wochen wiederzukommen, nur im Sommer hat es sich als not-
wendig herausgestellt des Schweisses und auch oft des Ungeziefers
wegen, die Verbände häufiger zu wechseln. Manchmal lässt sich schon
beim ersten Verbandwechsel die Ausheilung konstatieren. Dann wird
I' dem Patienten geraten sich für die erste Zeit zu schonen, «Nachts in
I der Thomasschen Lagerungs-
( schiene zu liegen oder die
I abnehmbare Gipshose anzu-
V legen. In letzterer Zeit wer-
den nämlich wiederholt die
Hosen abnehmbar gemacht,
um gleichzeitig Bäder ge-
brauchen zu lassen. Zu die-
sem Zwecke werden die
Schusterspäne mehr seitlich
und hinten angebracht, und
dann die vordere, ohnehin
mehr flache Wand entspre-
chend dem grössten Frontal-
durchmesser aller Teile ab-
getrennt. Der verbleibende
Rest der Hose, ungefähr zwei
Drittel des ganzen Verbandes,
ist genügend stark; an den
Kranken wird sie, mit Watte gefüttert, mittels einer Flanellbinde
fixiert. Es kommt freilich immer wieder vor, dass Kranke in ihre
entfernte Heimat abreisen und den Verband viel länger tragen,
so ein Mädchen aus Athen, dem die Gipshose nach einem halben
Jahre, nachdem es förmlich aus ihr herausgewachsen war, in der
j Klinik abgenommen wurde, wobei eine vollständige Heilung kon-
statiert werden konnte. Freilich sind diese günstigen Fälle die
weitaus selteneren ; meist wird die ambulatorische Gipshosenbehand-
lung monatelang fortgesetzt, auch jahrelang, und dann von Exten-
sionsbehandlung und Abscessincisionen in der Klinik unterbrochen.
Hier empfehlen Andere, so F. Krause^), die alleinige Anwendung
der Extension, im späteren Verlaufe mit zeitweisem Tragen von
extendierenden Maschinen verbunden, oder wie Volkmann die
Berliner klin. Wochenschrift, 90, Nr. 28. Ueber den heutigen Standpunkt
in der Behandlung der tbc. Knochen- und (Telenkerkrankungen.
358
Heinrich Thausing.
blosse nächtliche Anlegung seiner Extensionsgainasche, wenigstens
in den leichteren Fällen ^).
An der Klinik Billroth wird sogar in den Fällen mit starker
Schwellung und A b s c e s s bei den verstärkten Symptomen der
früheren Gruppen noch nicht reseciert. Wie wiederholt beobachtet
wurde, können sich auch Abscesse unter Gipshosenbehandlung
spontan rückbilden. Vorerst wird also diese angewendet. Wenn
aber ein therapeutischer Eingriff durch das rasche Wachsen des
Abscesses erzwungen wurde, so bestand derselbe meist in der von
Billroth angegebenen Punktion und Injektion von Jodoformglycerin-
emulsion. Es ist dies Verfahren ein sehr schonendes, welches auch
gestattet , den Patienten ambulatorisch zu behandeln, und wird
seit dem Jahre 1881 -) in derselben Weise angewendet, wie bei den
sogenannten Kongestionsabscessen der Wirbelsäule und Weichteil-
abscessen, deren primärer Herd unbekannt ist. Die Punktionsöffnung
wird meistens durch Naht geschlossen. Da aber in vielen Fällen
diese Punktion wiederholt werden muss und bei schon verdünnter
oder gar geröteter Haut ein SiDontandurchbruch nicht hintange-
halten wird, combinierte Hofrat Billroth diese Jodoformglycerin-
therapie mit der Incision. Der Abscess wurde gespalten, nach der
sorgfältigen Entfernung alles Krankhaften Jodoformglycerin ein-
gegossen und darüber exakt genäht. Nicht selten trat primär
Heilung und Schrumpfung des Abcesses ein, meist aber blieben
Fisteln zurück. Im allgemeinen wird jetzt wieder der einfacheren
Methode der Punktion und folgenden Injektion der Vorzug gegeben.
Die Injektionen bei parenchymatöser, chronischer Synovitis hatten
keinen Erfolg.
Injektionen in oder um das Gelenk, selbst während des Initialstadiunis des
Prozesses, wie sie F. Krauseh, Bruns h, van Iterson®) und andere so warm
emj)fehlen, wurden weder in der Klinik noch amhulatorisch vorgenoininen.
h Ich habe die Gründe hiefür schon oben iiräzisiert, ein Aj-tparat, eine
Extension im Bette verlangt strenge Ueherwachung von kundiger Seite, eine gut
sitzende Gipshose dagegen ist nicht verstellbar, nicht durch allerlei Praktiken des
Kranken illusorisch zu machen.
'^) IMikulicz, Berl. klin. Wochenschrift, 81, Nr. 49 und A. Frankel, W. med.
Wochenschrift, 84, Nr. 29, 27, 28.
h AViener klin. AVochenschrift, 90. 11 und 12. Heber die Behandlung
kalter Abscesse und tuberkulöser Caries mit Jodoformemulsion.
■*) Behandlung tbc. Gelenkserkrankungen mittels Jodoformeinspritzungen.
Langenbecks Archiv, XLI, 1, und Berl. klin. AA’^., 90.
") Behandlung tbc. Abscesse und Gelen kserkrankungen mit Jodoforui-
injektionen, Langenbecks Archiv, XL.
h AV. L. de Vos. De behandeling van gewrichtstuberculose met jodoformolie.
Leiden 1892.
Die Therapie dev Coxitis tuberculosa.
359
Auch das Bestehen wenig secer nie r ende r alter
Fisteln contraindiciert zunächst die combinierte Extensions- und
Gipshosen-Behandlung nicht, ja sogar das Brisement force wurde
dabei mit Erfolg ausgeführt. Bei Multiphcität der Fisteln sucht
man sich mit der Ausschneidung und dem sorgfältigsten Ewdement
zu helfen. Es wird eben stets daran festgehalten, dass in jedem
Stadium, wie Hofrat Billroth in der Klinik oft betont, der Process
spontan zur Ausheilung kommen kann.
Erst profuse Sekretabsonderung, wachsender Kräfteverfall,
nicht durch anderweitige tuberkulöse Prozesse in anderen Organen
bedingte, allabendliche Temperatursteigerungen auf 38,5 und dar-
über, Schmerzen, die durch die Extension oder Gipshose nicht
behoben werden, endlich Beckenabscesse indicieren die Resektion,
und erst der Befund bei der Operation entscheidet, wieviel reseciert
werden muss. Und so sieht man auf der Klinik Billroth heute
noch in dieser Operation nur einen äussersten Notbehelf, der erst
zur Anwendung kommt, wenn der Krankheitsprozess direkt das
Leben des Patienten bedroht. Czerny hat sich über seine Er-
fahrungen folgendermassen ausgesprochen^): »Da ich ein Anhänger
der Spätresektion bin, dürften die Resultate der an meiner Klinik
ausgeführten Resektionen hinter denen anderer Kliniken, an denen
frühzeitig reseciert wird, Zurückbleiben.« Diese Worte gelten voll-
inhaltlich auch für die Resultate der Resektion wegen Coxitis an
der Klinik Billroth.
b Anmerkungen zu L. Huismanns: Ueber die xVusgänge der tbc. Coxitis;
Beiträge zur klinischen Chirurgie tU, VIII, 1.
lieber denV erschluss des Schenkelkanales
bei Operationen von Schenkelhernien
Mit dem Fortschritte auf dem Gebiete der Wundheilune:
wurde auch bald das Interesse rege, operative Eingriffe, die in der
vorantiseptischen Zeit kaum ausführbar waren, so beispielsweise die
Radikaloperationen von Hernien, auszuführen.
Zuerst wurden Angaben bekannt über die Radikaloperation
der Nabel-, sowie der Ventralhernien, dann folgten die OiDerationen
der Leistenhernien, von denen ich bei der Menge der Operations-
verfahren, die vorgeschlagen wurden, nur jene Methoden erwähne,
die auch an Billroths Klinik ausgeführt wurden, so die Methode
von Czerny, die von Mac Ewen, von Wölfler und Bassini.
Letztere ist es besonders, welche auch an der genannten
Klinik häufig ausgeführt wird und welche infolge ihrer anatomi-
schen Begründung, sowie auch infolge des ausgezeichneten Pforten-
Verschlusses, die übrigen Methoden übertreffen dürfte.
Auch an Vorschlägen für die Radikaloperationen der Schenkel-
hernien fehlt es nicht, doch wurde keine eigentliche Methode
herangebildet.
Van der Lee suchte die radikale Heilung durch Injektionen
von 90 o/o Alkohol zu erreichen, indem er durchschnittlich zweimal
wöchentlich je ein Gramm in den Bruchsack injizierte. Die Zahl
der Injektionen war sehr wechselnd und stieg in einem Fall
Eine Studie.
^'on
I)r. Josef Fahricius,
Operateur der Klinik Billroth.
Mit 4 Holzschnitten.
auf 70.
lieb. d. Verschluss des Schenkelkanales bei 0])erationen v. Schenkelhernien.
361
Auf diese Weise erzielte er bei 72 Schenkellieriiien 43 mal
Heilung, 9 mal Besserungen — 20 mal keinen Erfolg.
Was das operative Verfahren anbelangt, so beschränken sich
viele Chirurgen besonders bei incarcerierten Schenkelhernien dar-
auf, den incarcerierenden Ring einfach zu incidieren und die Ein-
geweide zu reponieren.
Munzinger berichtet über 20 Radikaloperationen von Schen-
kelhernien, wo einfach der Bruchsack nach Reposition der Ein-
geweide ligiert und exstirpiert wurde, ohne eine Pfortennahtanzulegen.
Segond empfiehlt auf Grund theoretischer Erwägung die
möglichst hohe Ligatur des Bruchsackhalses, Exstirpation des Bruch-
sackes und Naht der Bruchpforten.
Mac Ewen macht wie bei der Leistenhernie auch bei der
Cruralhernie nach Isolierung des Bruchsackes eine Tabaksbeutel-
naht und der durch die Naht eingestülpte Bruchsack wird vor die
innere Oeffnung des Schenkelkanales gelagert und daselbst durch
Nähte fixiert. Der eingestülpte Bruchsack soll die Bruchpforte wie
ein Pfropf verschliessen. Doch liess sich diese Operation nur in
jenen Fällen ausführen, wo der Bruchsack isoliert werden konnte.
Neuerdings berichtet Bottini über seine neue Methode, die
darin besteht, dass nach Durchtrennung der Weichteile, Isolierung
des Bruchsackes, Ligatur desselben und Entfernung des abgebun-
denen Bruchsackrestes, die Pfortennaht auf die Weise erfolgt,
dass er das Orificium internum von unten nach oben mit dem
Ligamentum Gimbernati vernäht. Guarini verbindet das Lig. Gim-
bernati mit dem Poupartschen Bande.
R. Wolf berichtet aus Prof. Czernys Klinik, dass daselbst der
annulus cruralis in einigen Fällen mit drei Catgutnähten geschlossen
wurde.
Was das Material für die Naht betrifft, so bedienten sich die
meisten der Seide, Czerny des Catguts, Fr. Wolter in den letzten
Jahren des Silberdrahtes.
lieber die Radikaloperation dieser Hernien berichten ferner
noch in letzter Zeit Marchand, Routier, Reynier, Berger,
Richelott; doch weichen alle von diesen Autoren erwähnten
Vorschläge nicht wesentlich voneinander ab. Endlich erwähne
ich noch der Arbeit voiiHeidenthaler, welcher bei einer Zusammen-
stellung der Radikaloperatioiien, die auf Prof. Billroths Klinik aus-
geführt wurden, fand, dass das Resultat bei Cruralhernien ein
günstigeres war, wenn die Pforten nicht genäht wurden. Heiden-
thaler legt einen besonderen Wert auf die Dicke der zur Pforten-
naht verwendeten Seide.
362 Josef Falmcins.
Unabliängig von diesen erwähnten Autoren habe ich bereits
vor zwei Jahren Versuche angestellt, welche auf einen osteoplasti-
schen Verschluss des Schenkelkanales zielten, mit teil weiser An-
nähung des Poupart’schen Bandes an den horizontalen Schambeinast.
Ich entnahm den Knochenlappen aus dem vorderen unteren Teile
des ramus horizontalis ossis pubis, wobei die dem Becken zugekehrte
Seite unberührt blieb. Entsprechend der zu bedeckenden Oeffnung
wurde ein anderthalb Centimeter langes und ein Centimeter breites
Knochenstück ausgemeisselt , welches in Verbindung mit dem
Perioste belassen nach aufwärts in die Oeffnung gelegt ward. Zur
besseren Fixierung des Knochenstückes wurde das Periost desselben
mit dem Poupart’schen Bande vernäht.
Die Befürchtung, dass leicht in dem einen oder dem anderen
Falle Nekrose des Knochenlaj)i3ens eintreten könne, ferner die Mög-
lichkeit der grösseren Infektionsgefahr durch Freilegung der Spon-
giosa, endlich das Bedenken, dass selbst ein starker Gallus sich
im Laufe der Zeit rückbilden kann, brachten mich von diesen Ver-
suchen ab, umsomehr, als ich bald die Radikaloperation der Leisten-
hernie von Bassini selbst ausführen sah, wodurch ich veranlasst
wurde, eine Methode für die Radikaloperation von Schenkelhernien
zu suchen, welche in ähnlicher Weise wie Bassini bei Leistenhernien
einen Verschluss des Schenkelkanales erzielt.
Die Schwierigkeit hiefür beruht, wie man sich bald zu über-
zeugen Gelegenheit hat, vor allem in der anatomischen Beschaffen-
heit dieser Gegend, namentlich in dem Verhältnis der Gefässe zur
Umgebung, indem hier trotz der fächerartigen Insertion des Pou-
part’schen Bandes am Schanibeinast ein Raum zwischen V ene
und diesem, auch Gimbernati’sches Band genannt, besteht, welcher
bei jedem Kadaver von der Bauchhöhle aus mit dem Finger leicht
vorgestülpt werden kann. Es besteht somit bei den meisten Men-
schen eine bedeutende Prädisposition für diese Hernien, obgleich
dieselben merkwürdigerweise nicht häufig zur Entwicklung kommen.
Beim weiblichen Geschlechte erscheint dieser Raum noch
etwas geräumiger als beim männlichen — und dieses Moment,
sowie auch die durch häufige Schwangerschaft bedingte Relaxation
der Bauchdecken und damit auch des Poupart’schen Bandes, geben
für das unvergleichlich häufigere Vorkommen dieser Hernien bei
Frauen eine Erklärung. Fr. Walter berichtet, dass unter 74 Schen-
kelhernien, die zur Radikaloperation kamen, 70 beim weib-
lichen und nur 4 beim männlichen Geschlechte beobachtet wur-
den, während aus einer Zusammenstellung von R. Wolf aus
Prof. Czernys Klinik hervorgeht, dass unter 20 daselbst zur Ope-
Ueb. d. A^ei'sohluss d. Schenkelkanales bei Operationen v. Schenkelhernien.
363
ration gelangten Fällen bloss einmal bei einem Manne eine
Schenkelhernie zur Beobachtung kam.
Die anatomischen Verhältnisse, namentlich die der Fascien und
die Topographie dieser Gegend als bekannt voraussetzend, wird in
dem Folgenden die Beschreibung jener Methode, welche ich in letzter
Zeit allerdings bloss am Kadaver geübt habe, folgen. Ich habe nach
j’ vielfachen Versuchen am Kadaver die Ueberzeugung gewonnen, dass
diese Methode in allen Fällen ausführbar und nicht einmal derart ein-
greifend ist, wie die Bassini’sche Radikaloperation der Leistenhernie.
Die Grundzüge der von mir vorgeschlagenen Methode sind
folgende.
Spaltung der Haut, der fascia superficialis, des oberfläch-
lichen Blattes der fascia lata, Ausräumung des im Schenkelkanale
befindlichen Fettes, sowie der Lymphdrüsen, dann Abziehen der
Gefässe stark nach aussen über die eminentia ileo pectinea. Ent-
spannung des Poupart’schen Bandes durch Ablösung, Ver-
nähen desselben möglichst weit nach rückwärts am horizon-
talen Schambeinaste, wobei die Naht auch durch das
Periost geführt wird, endlich Einscheidung der Gefässe, indem
der laterale Anteil des oberflächlichen Blattes der fascia lata über
die Gefässe gezogen und an die fascia j^ectinea angenäht wird.
Auf die Einzelheiten eingehend, führt man einen Schnitt
über dem Poupart’schen Bande fast von der spina anterior sup. ossis
ilei angefangen bis zum tuberculum ossis pubis, der gleichzeitig die
Haut und fascia superficialis durchtrennt, dann einen zweiten
Schnitt 8 cm weit nach abwärts über den grossen Gefässen gerade
so als ob man die Arteria cruralis unter dem Poupart’schen Bande
auf suchen wolle.
Die beiden Schnitte treffen sich also über dem Poupart’schen
Bande; dann fasst man mit einer Pincette die Hautwinkel und
präpariert diese nebst der darunter befindlichen fascia superficialis
von dem oberfläcldichen Blatte der fascia lata ab. Es kommt
durchaus nicht darauf an, diese Fascie zu erhalten. In jenen
Fällen, wo diese Fascie sich nicht abpräparieren lässt, entfernt
man dieselbe mit der Schere ; über dem foramen ovale wird dies
immer notwendig sein müssen. Ist die Haut soweit abpräpariert,
dass man das trigonum subhiguinale gut übersehen kann, so muss
das oberflächliche Blatt der fascia lata rein präpariert werden, wo-
bei man die über dem foramen ovale gelegenen kleinen Lymph-
drüsen sowie auch das daselbst gelegene Fett entfernt, so dass
der Uebergang des oberflächlichen Blattes der fascia lata in die
fascia pectinea klar vorliegt (siehe Zeichnung Fig. 1).
364
Josef Fabricius.
Niinmelir durclitrennt man das oberflächliche Blatt der fascia
lata lateral vom foramen ovale entsprechend den punktierten
Linien der Zeichnung (Fig. 1) von der Einmündungsstelle der vena
proc. falcifoniiis.
fascia super-
ficialis.
vena eruralis
scheinat.
vena epigastr. sup.
vena saphena magn.
ven. circum-
flexa ilei oberfl. Ulatt der fascia lata.
Fig. 1. Ansicht des oberfl. Blattes der fascia lata, nachdem dasselbe
freigelegt u. rein präpariert worden; etwas schematisch.
saphena magna in die vena eruralis bis zum Poupart’schen Bande
hinauf und zwar in einer Länge von ungefähr 3 cm. Das ober-
flächliche Blatt der fascia lata ist an der Insertionsstelle am Pou-
part’schen Bande in der Regel stark und liegt auch den Gefässen
nicht direkt auf. Um eine bessere Einsicht in den Schenkelkanal
zu erlangen, ferner, um beim späteren Vernähen auch die Gefässe
leichter abziehen zu können, ist es empfehlenswert, mit dem
stumpfen Blatte einer Schere unter das oberflächliche Blatt der
fascia lata einzugehen und dasselbe lateral entsprechend der In-
sertion am Poupart’schen Bande mit einem Schlag zu durchtrennen,
während der mediale, schwach entwickelte Teil des genannten
Blattes ganz entfernt wird. Auf diese Weise bekommt man nach
Entfernung dieses medialen sowie nach Abhebung des lateralen
Anteiles des oberflächlichen Fascienblattes einen guten Einblick
in den Schenkelkanal.
Es erscheint daselbst immer eine grössere (Rosenmüller’sche
Lymphdrüse) , bisweilen auch noch eine kleinere Lymj)hdrüse,
Uel). d. Verschluss d. Schenkelkanales hei Operationen v. Schenkelhernien. 365
welche samt dem daselbst befindlichen Fett und lockeren Zell-
gewebe mit entfernt werden muss.
Man kann sich am Cadaver überzeugen, dass nach Entfernung
des, diesen Raum zum Teil ausfüllenden Gewebes eine Oeffnung
entsteht, welche für einen Zeigefinger bequem und gut durchgängig
ist. Beim Entfernen des Fettes wird gewöhnlich am Cadaver das
septum Cloqueti, welches durch die daselbst durchziehenden
Lymphbahnen mehr weniger fest mit dem Fett verwachsen ist,
mit hervorgezogen, doch soll man das Fett soweit möglich von
der erwähnten Fascie stumpf ablösen und dieselbe schonen, aus
Rücksicht für das anliegende Peritoneum.
In Fällen, wo es sich um eine wirkliche Hernie handelt,
würde man einfach nach Durchtrennung der Haut der fascia super-
ficialis und des oberflächlichen Blattes der fascia lata in der be-
schriebenen Weise auf den Bruchsack kommen, das den Schenkel-
kanal ausfüllende Fett, sowie auch die in diesem gelegene Lymph-
drüse werden durch die vorgefallenen Eingeweide zur Seite gedrängt.
Das durch den Bruchsack vorgestülpte septum crurale internum
oder auch septum Cloqueti wird nur selten als Bruchsackhülle
deutlich zu erkennen sein. Sobald man auf den Bruchsack kommt,
wird man jene Stelle, welche die Incarceration bedingt, incidieren,
den Bruchsack freilegen , die Därme reponieren , im Falle Ver-
wachsungen vorhanden sind , dieselben lösen , dann wird der
Bruchsack nach Reposition der Därme möglichst hoch oben ab-
gebunden, der abgebundene Bruchsackrest entfernt, in gleicher
Weise wie auch Bassini es bei seiner Methode zu thun pflegt.
Durch den lateral vom foranien ovale angelegten parallel mit den
Gefässen verlaufenden Schnitt, welcher das oberflächliche Blatt
der fascia lata durchtrennte, gewinnt man einen medialen und einen
lateralen Anteil des oberflächlichen Blattes der fascia lata. Der
mediale Anteil wird, wie schon früher erwähnt, bis zur Einmün-
dungsstelle der V. saphena magna von der Insertion an der fascia
pectinea entfernt.
Die Gefässe werden darauf mit Schonung der vagina vasorum
propria, das ist jene Hülle, welche als Fortsetzung der fascia trans-
versa betrachtet wird, von ihrer Unterlage, das ist dem tiefen
Blatte der fascia lata, auch fascia ileo pectinea genannt, stumpf
mit einer anatomischen Pincette abgelöst, was überaus leicht geht,
dann mit einem stumpfen Hacken stark nach aussen gezogen, so
dass die vena cruralis nahezu einen Centimeter nach auswärts von
der eminentia ileo pectinea zu liegen kommt, wobei die vena cru-
ralis vorübergehend selbst über der Arteria cruralis liegt.
f 1
366
Josef Falnüdus.
j\Iein weiteres Bestreben ging jetzt dahin, jenen Raum, welcher
schon durch seine trichterförmige Beschaffenheit und durch die
Lage neben den grossen Gefässen eine gewisse Disposition für eine
Schenkelhernie abgiebt, durch Vernähung des Poupart sehen Bandes
möglichst weit nach rückwärts am horizontalen Schambeinaste zu
verkleinern.
Fig. 2. Ansicht des 8chenkelkanales nach Ablösung des Peritoneums
und Herunterklappen der Bauch wandnng. Vor der Vernähung.
In Fig. 2 ist der die Prädisposition bedingende Raum er-
sichtlich. Aus diesem Raum wurde nach Ablösung des Peritoneums
und des septum crurale internum das daselbst befindliche Fett
entfernt. Der Trichter wird dadurch markiert, dass man sich
von aussen die der vorderen Fläche des Oberschenkels zu-
gekehrte Trichterwandung mit dem Finger gegen die Bauchhöhle
zu vorstülpt (siehe Zeichnung Fig. 2). Vergleicht man Fig. 2
und Fig. 3, so ist die Grösse dieses Raumes vor und nach der
Vernähung ersichtlich. Der Unterschied in der Grösse dieses
Raumes ist nach der Wrnähung ein ganz bedeutender und dies
ist, wie mir dünkt, von grosser Bedeutung.
Um nun das Poupart’sche Band möglichst weit nach rückwärts
am horizontalen Schambeinaste annähen zu können, muss man
dasselbe an jener Stelle, wo dieses sich am tuberculum ossis pubis
inseriert, mit einem Scalpell ablösen, in manchen Fällen genügt
eine einfache Incision, um die Spannung des namentlich bei jugend-
Die mit dem Finger vor
gestülpte vord. Wand des
Schenkelkanales.
ram. horizont. ossis pubii
Muse, rectus abdominis
Art. u. V enae epigastricai
inferior.
Ueb. d. \'eröchluss d. Scdienkcdkanaley bei Operationen v. .Schenkelliernien.
367
liehen Individuen straffen Bandes wesentlich herabzusetzen. Die
Entspannung ist in vielen Fällen unbedingt notwendig, weil sonst
das Annähen des Liganientes sehr erschwert ist.
Hierauf näht man das Poupart’sche Band auf die Weise an
den horizontalen Schanibeinast, dass nach Abziehung der grossen
Gefässe nach aussen mit einer stark gekrümmten Nadel 1 cm
Fig. 3. Ansicht des .Seheukelkanales nacb Al)lösimg des Perit. und
Herunterklapi)eu der Bauchwandung. Nach der Vernähung.
weit vom Rande des Pouparfschen Bandes durchgestochen wird,
wobei man den Finger der linken Hand unter das Band führt,
und über dem P^inger dasselbe durchsticht. Hiebei ist darauf zu
achten, dass die vena und arteria epigastrica inferior nicht ver-
letzt wird. Alsdann drängt man das Poupart’sche Band gegen die
Bauchhöhle zu und durchsticht nun mit derselben Nadel lateral
von der eminentia ileo pectinea die fascia ileo pectinea
(liganientum ileo pectineum) und gleichzeitig mit der Fascie
auch das Periost am oberen Rande des Schambeines. Ob letzteres
mitgefasst ist, merkt man an einem gewissen Widerstand bei der
Durchführung der Nadel. Es ist von Wichtigkeit, dass man die
erste Naht knapp an den nach aussen gezogenen Gefässen anlegt,
das Poupartsche Band breit fasst und auch das Periost mitnäht.
Dies muss in der Ausdehnung, von den Gefässen angefangen, bis
zum tuberculum ossis pubis, wo das Poupart’sche Band, wie oben
gesagt, behufs Entspannung abgelost wurde und nun wieder nach
368
Josef Fabricius.
innen an den Rand des ranius liorizontalis ossis jDubis angenäht
werden muss, geschehen. Im Falle dasselbe nur an die Fasern des
musculus pectineus genäht wird, könnte dieser leicht nachgeben
und damit die Gefahr eines Recidives entstehen. Für die Ver-
nähung des Poupart’schen Bandes, von der vena cruralis angefangen
bis zum tuberculum ossis pubis, genügen für gewöhnlich 5 — 6
Nähte. Erst nach Anlegung aller Nähte werden dieselben, indem
das Poupart’sche Band stark gegen die Bauchhöhle zu gedrängt
Die von dem oberfl. Blatte
der fascia lata bedeckte
vena cruralis.
fascia super-
ficialis.
Nach Anlegung sämtlicher Nähte.
Fig. 4.
wird, geknüpft. Beim Knüpfen der ersten Naht über den Gefässen
ist darauf zu achten, dass die Gefässe in diesem Momente wieder
stark abgezogen werden. Ist nun die Oeffnung nach der Bauch-
höhle zu geschlossen, so muss noch darauf geachtet werden, dass der
V erschluss auch neben den Gefässen besonders neben der vena cruralis
ein genügender sei, was dadurch erreicht wird, dass der laterale
Anteil des oberflächlichen Fascienblattes, das ziemlich stark und
straff ist, über die vena gezogen und medial von der vena cruralis
an die fascia pectinea bis zur Einmündungsstelle der saphena
magna vernäht wird, wozu gewöhnlich 3 — 4 Nähte notwendig sind.
i
Ueb. d. Verschluss d. Schenkelkanales bei Operationen v. Sclienkelhernien. 369
Um endlich sicher zu sein, dass auch über den Gefässen der
laterale Spalt des oberflächlichen Blattes der fascia^ lata, der
nur angelegt wurde, damit die Gefässe besser abgezogen werden
können, sicher verschlossen sei, vernäht man auch ihn, indem
das oberflächliche Fascienblatt an jener Stelle, wo es von der
Insertion am Poupart’schen Bande abgelöst wurde, wieder mit
diesem vereinigt wird, so dass folgendes Bild, wie in Fig. 4 er-
sichtlich, zustande kommt. In Fällen, wo es sich um sehr grosse
Cruralhernien handelt und wo zu befürchten ist, dass die einfache
Vernähung des oberflächlichen Blattes der fascia lata lateral von
den Gefässen an das Poupart’sche Band nicht genügende Festigkeit
bietet, kann man mit der fascia lata auch den darunter befind-
lichen musculus ileo psoas mitfassen, ohne dass man dabei die Ver-
letzung des nervus crurahs fürchten muss. Auch hiezu genügen
für gewöhnlich 3 — 4 Nähte. Schliesslich erfolgt die Vernähung der
Haut in üblicher Weise.
Durch das Annähen des lateralen Anteiles des oberflächlichen
Blattes der fascia lata an die fascia pectinea trachtete ich nur die
von Natur aus bestandenen Verhältnisse wieder herzustellen, indem
auch nach der Operation dies Fascienblatt der Vena crurahs jedoch
enger als vorher anhegt. Die Befürchtung, dass durch die Ver-
lagerung der Gefässe stark nach auswärts eine Kompression oder
gar Abknickung der Vena crurahs und damit Störungen in der
Zirkulation zustande kommen könne, ist durchaus nicht gerecht-
fertigt. Wiederholte Versuche an Kadavern haben gezeigt, dass
Wasser, welches durch die stark nach aussen gezogene Vene ohne
jeden stärkeren Druck eingespritzt wird, in der Bauchhöhle zum
Vorschein kam. Als einschlägiges Beispiel am Lebenden ist ein
Fall anzuführen, welcher von Assistent Dr. Schüssler im März
dieses .Jahres in ähnlicher Weise operiert wurde. In diesem Falle
hatte die Cruralhernie eine derartige Grösse erreicht , dass das
Poupart’sche Band ganz aufgelöst war, weshalb der ziemlich stark
entwickelte musculus obliquus abdominis an der ramus horizontalis
ossis pubis angenäht werden musste. Trotzdem, dass die Gefässe
durch die Naht stark nach aussen gedrängt waren, zeigte sich auch
in der Folge keinerlei Störung in der Zirkulation.
Ich übergebe dies Verfahren der Oeffentlichkeit, indem ich
nochmals kurz erwähne, dass das wesentlichste Moment in der
Verkleinerung des die Prädisposition bedingenden Raumes beruht.
Die Verkleinerung dieses Raumes wird dadurch erreicht, dass nach
Entspannung des Poupart’schen Bandes durch Incision oder Ab-
lösung dieses möglichst weit nach innen, am ramus horizontalis
24
370
Josef Fabricius.
ossis pubis, bis knapp an die Gefässe angenäht wird. Die Eiii-
scheidung der Gefässe halte ich für günstig und empfehlenswert,
doch wenn die Naht am Poupart’schen Bande exakt ist, nicht für
unbedingt notwendig. In jenen Fällen, in welchen die Hernie als
kleiner Knoten unter dem i3roc. falciformis zum Vorschein kommt,
die Gefässe nicht verdrängt und die Bruchpforte eng ist, würde ich
raten, nach Entspannung des Poupart’schen Bandes sich auf das
Annähen desselben am horizontalen Schambeinaste zu beschränken.
Wie Herr Primararzt Dr. Gersuny mir mitteilte, hatte er kürzlich
Gelegenheit, dies Verfahren ohne Schwierigkeit auszuführen.
Ohne die Versuche in dieser Frage für abgeschlossen zu be-
trachten, hoffe ich, dass im Laufe der Zeit vielleicht unter einzelnen
Abänderungen auch für die Schenkelhernien ein Radikal Verschluss
gefunden wird.
Litteraturangaben:
G. J öS sei. Lehrb. der topograiDhisch-chirurgischen Anatomie.
J. Henle. Handb. der systematischen Anatomie des Menschen.
Fr. König. Lehrb. der speziellen Chinirgie.
R. Wolf. Beiträge zur Radikaloperation der Leisten und Scbenkelhernien,
G. Bruns Beiträge zur klin. Chirurgie Bd. VII.
Ed. Bassi ni. Padua. Ueber die Behandlung des Leistenbruches. Arch,
für klin. Chirurgie Bd. XL, pag. 429.
O. AVitzel. Ueber den medialen Bauchbruch. Sammlung klin. Vorträge
N. F. Xr. 10.
J. Heidenthaler. AVien. Die Radikaloperationen der Hernien in der
Klinik des Hofr. Prof. Dr. Billroth. Arch. für klin. Chirurgie, Bd. 40.
Fr. AVolter. Zur Radikal Operation der Lhiterleibsbrüche. Sammlung klin.
A^orträge, Xr. 360.
Bark er. On thirty five Operation for the radical eure of hernia by ori-
ginal methods. Brit. med. jomm. Xr. 1405. Refer. im Centralbl. f. Chirurg.
AA^illiam Mac Ewen. Out the radical eure of blique inquinal hernia the
internal, abdominal, peritoneal pad, and the restoration of the valved form of
the inquinal canal. Brit. med. Journal Xr. 1406.
Th. J. AV. Ex 1er. Die Behandlung und |Genesung von Hernien mittels
Alkoholeinspritzung. (Dissertation, Utrecht 1884.) Referat im Centralblatt für
Chirurgie,
AV. Munzinger. Ueber die neuen Resultate der Herniotomie mit beson-
derer Rücksicht auf die Ergebnisse der sogenannten Radikaloperation. Inaug.-
Dissertation Zürich, 1884. Referiert im Centralblatt für Chirurgie.
P. Segond. Cure radicale des hernies. Paris. G. Masson 1883, A"HI.
Referiert im Centralblatt für Chirurgie von Alsberg.
Dal Congresso della societa Italiana di ebirurgia tenutoria Roma dal 25
al 27 ottobre 1891. Rif. med. 1891.
Gazette des hopitaux Samedi 7 mai 1892. Paris. Cure radical de hernie
crurale. M. Berger.
Gazette des hopiteaux. Paris 16 mai 1892. Discussion sur la eure radi-
cale de la hernie crurale.
Weitere Beiträge zur Lehre von den
Folgezuständen der Kropfoperationen
von
Docent Dr. Anton Freiherr von Eiselsbei*!?,
Assistent der Klinik Billrotli.
Im Laufe der letzten zehn Jahre ist von Seite der klinischen,
sowie experimentell physiologischen*) Beobachtung die Lehre von
der wichtigen Funktion der Schilddrüse bei Menschen und Tieren
begründet worden.
Was die klinische Seite betrifft, wurden wohl die entschei-
dendsten Fragen in Bezug auf Technik und Folgezustände an den
Kliniken des Prof. Kocher in Bern und Prof. Billrotli in Wien
gelöst. Dank diesen Arbeiten und einer Reihe hervorragender Unter-
suchungen anderer Forscher -) ist es sichergestellt, dass durch die
Entfernung des Organes teils akute, teils chronische Folgezustände
auftreten und dadurch den Patienten auf das schwerste schädigen
können. Allerdings kann hier sofort betont werden, dass diese
Folgezustände glücklicherweise beim Menschen nicht jedesmal zu-
stande kommen. Als Erklärung für dieses unregelmässige Ver-
halten wurden: das Vorhandensein einer accessorischen Schilddrüse,
') In Bezug auf die einschlägige physiologische Litteratur verweise ich auf
die vor kurzem erschienenen Arbeiten von:
Horsley; Die Funktion der Schilddrüse. (Internat. Beiträge zur wis.senschaft-
lichen Medizin; Festschrift zu Fihren Rud. Virchows 70. Geburtstage, 1891.)
Gley. Exposö criticjue des rechercbes relatives ä la physiologie de la glande
thyroi'de. (Archives de physiologie norm, et path.) Janv. et Avril 1892.
Beide Arbeiten, besonders die ersterwähnte, liefern ein vollständiges Bild
der modernen Anschauungen über die Funktion <ler Schilddrüse.
Davor kurzem der III. Teil von Wölfl er s Monographie: Die chirurgische
Behandlung des Kropfes (Berlin 1891, August Hirschwald) erschienen ist, kann
ich auf das daselbst gegebene erschöpfende Litteratur-Verzeichnis verweisen und
beschränke mich auf die Angahen, welche in unmittelbarer Beziehung zu meiner
Arbeit stehen.
372
iVnton Freiherr von Eiselsherg.
die verschiedene Rolle, welche der Schilddrüse bei jugendlichen
Individuen und Erwachsenen zukommt, und endlich der Umstand vor-
gebracht, dass man leicht bei der Operation Reste der Drüse, wie
dies wiederholt geschehen ist, übersehen kann, wonach man also
gar keinen Fall von Totalexstirpation vor sich hat und doch glaubt,
es wäre ein solcher. Dass wirklich besonders letzterer Umstand i
häufig den Widerspruch mit der jetzt als richtig angenommenen |
Lehre bedingt, geht vor allem aus der wiederholt gemachten Be-
obachtung hervor (v. Bruns), dass bei bereits bestehender Cachexie,
die infolge von vermeintlicher Totalexstirpation aufgetreten ist,
das Wachsen einer Kropfrecidive mit einemmale alle Symptome
beseitigte. Trotzdem bleibt, wie Wölf 1er in seinem oben citierten
klassischen Werke hervorhebt, die moderne Anschauung für viele
Fälle die Erklärung schuldig, indem Wölf 1er gestützt auf die Unter-
suchung der bis zum Jahre 1885 an der Klinik Billroth beobachteten
Fälle von TotalexsRrpation zum Schlüsse kam, dass in etwa “/a der
Fälle der Totalexstirpation keine schädlichen Erscheinungen folgten
und zwar auch in Fällen, welche selbst in späterer Zeit frei von
Kropfrecidive blieben, anderseits manchmal trotz Wiederauf treten
der Kropfrecidive, ja wie es fast scheinen möchte, ab und zu mit
der Entwicklung des Knotens cachektische Symptome sich einstellten.
Auch ist es im höchsten Grade merkwürdig, warum das eine Mal
gleich nach der Operation die schwersten Krämpfe auftreten, das
andere Mal erst Monate nachher in ganz latenter Weise die schäd-
lichen Folgen sich geltend machen.
Es scheint deshalb noch immer wünschenswert, die Kropf-
operierten in Bezug auf ihr weiteres Schicksal zu verfolgen;
deshalb habe ich einerseits über die von Wölf 1er schon publizierten
ersten Fälle von Totalexstirpation weitere Erkundigungen einge-
holt und anderseits die vom Jahre 1885 bis 1892 operierten Fälle
in dieser Richtung untersucht und möchte im Nachfolgenden das
Resultat dieser Untersuchung kurz mitteilen.
Was zunächst die von Wölfler schon erörterten Fälle anlangt,
stützt sich seine Beschreibung auf 4(3 Fälle von Totalexstirpation
und konnte ich über eine Reihe dieser Kranken teils brieflich,
teils durch persönlichen Augenschein, Nachrichten bekommen, aus
denen zunächst sich ergiebt, dass sowohl seit dem Abschlüsse
meiner einschlägigen Arbeit ') (Herbst 89) als nach der oben citierten
von Wölfler (Sommer 90) das Befinden mancher Patienten im wei-
teren Verlauf sich geändert hat, so dass sich das Verhältnis fol-
9 Ueber Tetanie im Anschlüsse an Kropf Operationen. Wien. Alfred Hol-
der, 1890. 8anunlung ined. Schriften.
1
AVeitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuetänden der Kropf Operationen. 3 /'S
gendermassen gestaltet (wobei gleich die seit 1885 gemachten 6
Totalexstirpationen mit einbezogen sind) :
Von den 52 Totalexstirpationen, die bis Juli 1892 an der
Klinik Billroth ausgeführt wurden, sind :
1) An den Folgen der Operation (Collaps, Sepsis, Lufteintritt)
rasch gestorben 3
an foudroyanter Tet. gestorb. 5
an chron. Tet. ohne Recidiv
gestorben 3
an chron. Tet. krank geblie-
ben ohne Recidiv-Entwick-
lung 2
an chroii. Tetanie erkrankt,
später Kropfrecidiv und
Heilung 1
an chron. Tetanie erkrankt,
später Heilung, nach zwei
Jahren Tod 1
ohne Kropfrecidive ... 8
trotz Kropfrecidive ... 3
Form) '
3) Gesund verblieben j ohne Kropfrecidive 3
10 I mit Kropfrecidive 7
4) Cachexie nach wie vor der Operation 1
5) Keine Nachricht oder ungenügend kurze Beobachtungszeit 15
Summa 52
Betrachten wir nunmehr nach Hinweglassung der drei kurz
nach der Operation infolge derselben Verstorbenen , sowie des
0 In der eben citierten Arbeit bal)e ich angeführt, dass seit 1885 an der
Klinik Hiel>en Totalexstirpationen gemacht wurden. Zwei von diesen Fällen
sind jedoch ansznscheiden, weil beidesmal die Sektion der wenige Tage post
operationein an Collaps und Sepsis verstorbenen Kranken noch geringe Reste von
zurückgebliebenem Strnmagewebe anfdeckte. Diese beiden Fälle werden daher
in der nächsten Rubrik: Exstirpation von mehr als der Drüse, geführt.
'■*) Unter diesen 5 Rat. sind 2 , welche eigentlich mehr die Symptome der
chronischen Tetanie zeigen und nur mit Rücksicht auf die veränderte geistige
Beschaffenheit zur Cachexie gezählt sind. Dass übrigens trotz äusserer Ver-
schiedenheiten diese beiden Folgeznstände grosse Aehnlichkeit miteinander haben,
ja direkt die Tetanie in die Cachexie übergehen kann, ist bekannt.
Tetanie
12
2) An den Folgezu-
ständen der Total-
exstirpation er-
krankt (23).
Cachexia
strumipriva |
11
(darunter 6
an typischer, '
5-) an rudi-i
m entärer
374
Anton Freiherr von Eiseisberg.
Patienten, der schon vor der Operation die Erscheinungen der
Cachexie darbot, diejenigen Patienten, über deren weiteres Schicksal
in genügend langer Zeit etwas bekannt geworden ist, so ergiebt sich,
dass von 33 Totalexstirpierten 10 Patienten gesund geblieben
sind, 23 Patienten an Folgezuständen, teils acuter, teils chronischer
Natur erkrankt sind, wobei allerdings auch 5 rudimentäre Formen
von Cachexia mitgezählt sind ; andererseits jedoch nicht vergessen
werden darf, dass bei einigen Kranken, über welche jetzt noch gute
Nachrichten eingelaufen sind, die für die Entstehung der Cachexie
kritische Zeit noch nicht abgelaufen ist. Auch ist der eine Fall
von Tetanie, der nach Totalexstirpation aufgetreten, sich als solcher
erst in der Heimat entwickelte und dann wieder gesund wurde,
weggelassen, weil die Beobachtung doch ausschliesslich auf dem
brieflichen Berichte der Kranken beruhte.
Von den 10 Gesundgebliebenen wurde 7 mal eine Kropf-
recidive^) konstatiert, 3 mal fehlte dieselbe.
Es ergiebt sich somit, dass 70 °/o der Patienten mit Total-
exstirjDation, über deren weiteres Schicksal etwas bekannt wurde,
an Folgezutänden des Ausfalls der Drüse erkrankt sind (leichte
Erkrankungen mit eingeschlossen). Dieser Prozentsatz ist er-
schreckend hoch, besonders im Vergleiche zu den Angaben des
Londoner Myxoedem-Berichtes -), nach welchem bloss 24 °/o der-
jenigen Totalexstirpierten erkrankt sind, über deren weiteres
Schicksal Erkundigungen eingeholt werden konnten. Dieser grosse
Unterschied mag zum Teil auch dadurch zu erklären sein, dass
zur Zeit, als die einzelnen Chirurgen an das Londoner Comite be-
richteten (1886, 1887), die Totalexstirpationen noch nicht allgemein
verpönt waren, also gewiss viele frisch operierte Fälle als gesund
geblieben in den verschiedenen Berichten aufgezählt wurden, die
vielleicht noch nachträglich an Cachexie erkrankten.
Untersuchen wir nun diese Fälle darauf, inwieweit sie mit unsern
modernen Anschauungen über die Funktion der Schilddrüse über-
einstimmen, so müssen wir zunächst betonen, dass von den 3 Pa-
tientinnen, welche längere Zeit an Tetanie litten, bis ‘sie daran
zu Grunde gingen , keine eine Kropfrecidive zeigte , ebensowenig
0 01)wo]il in diesen Fällen das Wachsen einer Kropfrecidive es wahrschein-
lich macht, dass es sich nm keine Totalexstirpationen handelte, müssen sie doch
denselben zugezählt werden, zumal es ja denkbar ist, dass manchmal die Recidive
von einer accessorischen Drüse ausging.
Report of a Comitee of the clinical Society of London nominated De-
cemher 14, 1883 to investigate the sul)ject of myxoedema. London. Longmans,
Green ck Co,, 1888.
37 ^
wie die beiden iiuiinielir schon seit mehr als 10 Jahren an chro-
nischer Tetanie leidenden Kranken. Eine Patientin mit chronischer,
allerdings nicht schwerer Tetanie verlor dieselbe, als sich ein
Kropfknoten wieder entwickelte. Bei einer weiteren Patientin mit
Tetanie endlich verlor sich dieselbe, doch konnte, (die Kranke ist
2 Jahre post operationem in ihrer Heimat verstorben) nicht er-
mittelt werden, ob eine Pecidive aufgetreten war, oder nicht.
Was die Fälle von Cachexia strinnipriva anlangt, ist bei 8
unter 11 eine Recidive ausgeblieben, während sich bei 7 unter 10
trotz der Totalexstirpation Gesundverbliebenen Kropf-Recidive fand.
Somit bleiben nur 0 Fälle, welche mit unserer jetzigen Ansicht
über die Funktion der Schilddrüse nicht in Einklang zu bringen
sind, es sind dies 3 Fälle von Cachexie mit Recidive, und 3 Pa-
tienten, welche trotzdem, dass eine Recidive ausblieb, gesund
verblieben.
Vielleicht können wir uns diese wechselnden Erscheinungen,
welche das Wachsen der Recidive begleiten, so erklären, dass in
den meisten Fällen durch das Wiederwachsen aus einem mini-
malen Reste oder einer accessorischen Drüse auch neues Schild-
drüsengewebe gebildet wird und damit die Ausfallserscheinungen
schwinden, in vereinzelten Fällen aber kleine , noch bestehende
halbwegs normale Schilddrüsenreste, welche bei der Untersuchung
des Halses nicht einmal nachweisbar zu sein brauchen , den
Patienten von den schädlichen Folgen zu bewahren im Stande
sind. Von dem Momente an jedoch, wo dieser Rest colloid zu
entarten beginnt, und dieser Akt ist ja bekanntlich immer mit
einer Vergrösserung des Organs verbunden und wird äusserlich
als Struma -Recidive imponieren, kann möglicherweise für den
Organismus der letzte Rest funktionierenden Drüsengewebes zu
Grunde gehen und damit die Ausfallerscheinungen sich einstellen.
Diese Hypothese vermag vielleicht den einen oder anderen
der Fälle zu erklären, in welchen mit dem Auftreten einer Kropf-
recidive sich cachektische Symptome einstellten. Denken wir
ausserdem an die oben erwähnten Fälle von vermeintlicher Total-
exstirpation (mit Zurücklassung von Resten) und an das Vorhanden-
sein von accessorischen Scliilddrüsen, so werden dadurch die Fälle,
welche durch ihren Verlauf mit unsern durch die klinische Be-
obachtung und das Tierexperiment gewonnenen Anschauungen über
die Schilddrüsenfunktion nicht harmonieren, in ihrer Zahl a:anz
wesentlich reduziert.
Gehen wir nunmelir zur Betrachtung der übrigen seit dem
Jahre 1885 bis Juli 1892 gemachten Kropfoperationen über, so
376
Anton Freiherr von Eiseisberg.
möchte ich dieselben, nachdem die 6 Fälle von Totalexstirpationen
(Gruppe I.) bereits in Zusammenhang mit den von Wölfler be-
sprochenen 46 eben kurz erwähnt sind, des Weiteren einteilen in:
Gruppe II.: Exstirpation von mehr als des Kropfes.
Gruppe III.: Partielle Exstirpation, wobei mindestens 7-t des
Kropf- Volumens zurückgelassen wurde.
Gruppe IV.: Enucleationen.
Gruppe V.: Ligaturen der Arterie und anderweitige Eingriffe
als Punktionen, Injektionen, Incisionen von Eiterungen.
Gruppe II.
Exstirpation von mehr als des Kropfes (12 Fälle).
a) 5 Fülle gestorben, 1 an Tetanie, 4 b an Collaps, Sepsis, Pneumonie.
b) 4 Fälle an Tetanie erkrankt; später jedoch teils ganz geheilt, teils
wesentlich gebessert.
c) 3 Fälle geheilt und dies auch später gehliehen.
ad a):
lieber die an Tetanie erkrankte und verstorbene Frau habe
ich schon seinerzeit kurz berichtet. Die Krankengeschichte dieses
Falles ist folgende:
jMarie T., 54 Jahre alt, aus Siebenbürgen, litt schon seit Jahren an einer
Struma, die sich im Laufe der letzten Monate noch vergrösserte und alle Er-
scheinungen einer malignen Neubildung darbot. Am 25. ^lärz 1890 wurde die
Exstirpation vorgenommen und dabei die nahezu in toto carcinomatös degene-
rierte Struma entfernt; dabei riss die markschwammartige IMasse ein, sodass im
Jugulum an der vorderen AVand der Trachea ein etwa wallnussgrosses Stück
carcinomatöser Masse zurückblieb. Schon nach zwei Tagen steigerte sich der
schon vor der Operation bestandene Bronchialkatarrh so sehr, dass sich seihst
bei ruhiger Rückenlage anfallsweise heftige Atemnot einstellte. Fünf Tage nach
der Operation stellten sich Glottiskrämpfe ein und am folgenden Tage war das
Chvostek’sche Facialis-Phänomen deutlich ausgeprägt. Tags darauf gesellten sich
erhöhte Eeflexerregharkeit und das Trousseau’sche Phänomen hinzu. Am meisten
litt die Kranke immer an den krampfartig auftretenden Erstickungsanfällen.
Da mithin das tj^pische Bild der Tetanie ausgeprägt war und
zwar in so schwerer Form (Glottiskrämpfe), dass eine Heilung
nicht wahrscheinlich erschien, wurde am 9. Tage post operat. der
durch Tierexperimente erprobte Versuch einer Transplantation
gemacht. Zu diesem Zwecke wurde je ein nussgrosses Stückchen
einer eben operierten Struma zwischen Fascie und Peritoneum und
in das Peritoneum verpflanzt; leider stammte (Jas Alaterial von einem
b Unter diesen vier sind die zwei hei den Totalexstirpationen ausgeschie-
denen Fälle aufgenommen.
b üeber erfolgreiche Einheilung der Katzenschilddrüse in die Bauchdecke
und Auftreten von Tetanie nach deren Exstirpation. (AATener klin. AVochen-
schrift 1892. 5.)
\
Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropf Operationen. 377
älteren Manne, dein wegen einer stark colloid degenerierten Schilddrüse die halb-
seitige Exstirpation gemacht wurde. Es enthielten daher auch die zur Ueber-
pflanzung gewählten Stückchen vorwiegend Colloid.
Ini weiteren Verlaufe war absolut keine Besserung zu konstatieren und
ging die Kranke unter zunehmender Bronchitis infolge von partieller Nekrose
der Trachea — es war bei der Operation das innig mit derselben verwachsene
Carcinom möglichst gründlich zu entfernen versucht worden, wobei wohl auch von
der Tracheaiwandung selbst oberflächliche Schichten verloren gingen — 15 Tage
post operat. zu Grunde. Die tetanischen Erscheinungen hatten bis zuletzt un-
verändert bestanden. Von Seite der Bauchwunde waren keine Keaktions-
erscheinungen aufgetreten.
Bei der Sektion zeigte sich das im Jugulum zurückgebliebene Stückchen
Strumagewehe ganz durch Aftermasse substituiert, weiter fand sich eine putride
Bronchitis, die gewiss auch ohne gleichzeitig bestehende Tetanie die Todesursache
hätte abgeben können.
Die lieiden verpflanzten Drüsenteilchen waren nicht eingeheilt, sondern
nekrotisch und an einzelnen Stellen sogar von etwas Eiterung umgeben, ohne
dass dieselbe im Peritoneum progredienten Charakter angenommen hätte. Infolge
eines Fehlers in der Asepsis, vielleicht begünstigt durcli die starke Colloid-Degene-
ration der Stücke, war die Einheilung unterblieben. AVährend nun die Unter-
suchung des exstirpierten , nahezu die ganze Struma umfassenden Stückes fast
ausschliesslich Carcinom ergab und nur hie und da kleine Reste von Schild-
drüsengewebe übrig geblieben waren, konnte in dem im Jugulum zurückgeblie-
benen, wallnussgrossen Stücke keinerlei Schilddrüsengewebe mehr nachgewiesen
werden.
Diese Patientin, deren Schilddrüsengewebe schon seit längerem
durch Carcinom fast ganz ersetzt war, war daher nach der Ope-
ration ebenso schlecht daran, wie wenn eine Totalexstirpation an
ihr vorgenommen worden wäre. So scheint mir gerade dieser Fall
den Uebergang zu bilden von den Fällen von Tetanie, die sich
nach der Totalexstirpation entwickelten, zu jenen, welche im An-
schlüsse an partielle Exstirpationen eintraten.
ad 1)):
I. Fall.
Schiffer AV . . . ., 44 Jahre alt, Spenglermeister aus Stanislau in Galizien,
hatte wegen einer 10 Jahre zuvor aufgetretenen, wesentlichen A’erdickung des
Halses vor drei Jahren eine Jodwasserkur gebraucht, worauf eine bedeutende
A’erkleinerung erfolgte. Da jedoch trotzdem noch bei der Arbeit sich Atem-
beschwerden einstellten, wünschte er die Entfernung des Kropfes. Derselbe war
entsprechend dem rechten Schilddrüsenlappen über mannsfaust gross, während die
linke Hälfte auf die Grösse eines Gänseeies angewachsen erschien. Zwischen
beiden Anschwellungen war eine deutliche Einschnürung fühlbar. Stimme heiser,
keine Stimmbandlähmung, A'erengerung der Trachea von beiden Seiten her auf
V2 des Lumens. Keine Spur von Tetanie. Dem Kranken wurde zunächst, da
die Anamnese über die gute AVirkung iles Jodes berichtet hatte, innerlich 1,5 gr
Jodnatrium pro die verabreicht und Cataplasmen von 30®/o Jodnatrium auf den
Hals applizi(>rt. Die Geschwulst verkleinerte sich bei sechswöchentlichem Ge-
378
Anton Freiherr von JCiselöberg.
))rauche dieser JMedikation aljeriuals Ijeträchtlieh, sodass der IJalsninfang ent-
sprechend dein oberen Rande der Geschwulst, der liöchsten Kuppe derselben und
iiu Juguluin von: 44, 45, 47 ein auf: 40, 43, 44 cm zurückging.
Nachdem jedoch der Kranke trotzdem lieim Stiegensteigen noch Atem-
beschwerden verspürte, wünschte er die operative Entfernung der Struma und
wurde die Operation am 1. Nov. 1890 ausgeführt. Die Geschwulst wurde mittels
eines entsprechend dem Sternocleidomastoideus über die liöchste Kuppe geführten
Längsschnittes lilossgelegt, das Strumagewebe sellist incidiert und eine Enucleation
geplant; dieselbe war jedoch, da es sich vorwiegend um eine diffuse Ver-
grösserung der Schilddrüse handelte, nnmöglich, so dass die rechte Seite mit Aus-
nahme eines etwa wallnussgrossen Stückes entsprechend dem Isth-
mus, von welchem die Alltrennung mittels Paiiuelin erfolgte, vollkommen ent-
ferntw urde. Da die laryngoskopische Fntersuchung eine gleichmässige Kompression
von lieiden Seiten her ergeben hatte, wurde nun durch einen längs des Sterno-
cleidomastoideus der andern Seite verlaufenden Schnitt die andere Kropfhälfte
freigelegt und ebenfalls bis auf ein kaum wallnussgrosses Stück am oberen
Dole (am Eintritte der Art. thyr. sup. gelegen) entfernt. Die Versorgung der
Wunde erfolgte in der an der Klinik typischen Weise, indem ins Jngulum und
nach oben zu je ein weiches Drain und daneben noch ein schmaler Jodoform-
gazestreifen gelegt wurde. (Der Streifen wird gewöhnlich am fünften, das Drain
am achten Tage entfernt.)
Schon gleich bei der Operation wurde die Befürchtung laut, dass diese
beiden Stückchen, besonders mit Rücksicht auf den Umstand, dass sie so sehr
aus der Verbindung mit der Nachbarschaft gelockert waren, vielleicht nicht aus-
i’eichen, und durch Necrose derselben Folgeerscheinungen auftreten würden. Der
Verlauf in Bezug auf die Wunde Avar ein vollkommen glatter.
Am folgenden Tage jedoch schon klagte der Kranke über ziehende Schmerzen
in den Beinen und zAvei Tage später stellte sich ein Krampfanfall in den Händen
mit deutlicher Geburtshelferstellung derselben ein; dabei war Facialis — und
Trousseau’sches Phänomen auf das deutlichste ausgeprägt. Diese Erscheinungen
dauerten, ohne das Allgemeinbefinden des Kranken besonders zu beeinträchtigen,
noch durch drei Tage hindurch an, Avurden hierauf schAvächer, um dann sieben
Tage nach ihrem Einsetzen ganz zu A'erschAvinden.
Drei Wochen op. Avurde der Kranke A'ollkommen geheilt ohne eine Spur
von Tetanie entlassen; über sein Aveiteres Befinden konnte keine Auskunft er-
halten Averden.
II. Fall.
Ignaz ]M., 18 Jahre alt, aus Wartberg in Ob. -Oesterreich, bemerkte seit
l'/i Jahren ein DickerAverden des Halses, soAvie AtembeschAverden beim Laufen
und Stiegensteigen. Die diffuse Verdickung ist bedingt durch eine gleichmässige
’N'ergrösserung der Schilddrüse, hauptsächlich der unteren Hälften und des
Isthmus. Die Struma ist Aveich und zeigt an A'ielen Stellen starke Pulsa-
tion. In der sonst normalen Haut sind deutlich geschlängelte Venen sicht-
bar. Stimme nur etAvas umflort. Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt eine
starke Beschränkung der BoAveglichkeit des linken Stimmbandes und freie Be-
Aveglichkeit des anderen. Der Einblick in die Trachea Avar Avegen der grossen
Unruhe des Patienten nicht möglich, eine Verengerung des Lumens jedoch mit
Sicherheit zu A'ormuten. Der Patient, der anfangs A'on einem operativen Eingriff
nichts Avissen Avollte, erhielt zAveimal Avöchentlich Jodtinktur-Injektionen in den
Kropf (im ganzen fi), Avünschte jedoch hierauf selbst, da er keine Besserung sah
Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropfoperationen.
379
und unserer ^"orstellung, die \"erkleinerung würde im Laufe von iMonaten ein-
treten, nicht genügend Zutrauen zu schenken vermochte, die Entfernung durch
eiue Operation.
I)ie am 3. iNIai 1892 ausgefülirte Exstirpation war recht schwer wegen der
starken Ausdehnung des Ki'opfes hinter das Jugulum und des grossen Gefäss-
reichtums. Eine Enucleation war schon mit Rücksicht auf ilie vorher genannten
Jodinjektionen nicht durchführbar, weshall) die ganze Struma J)is auf ein
hühnereigrosses Stück am rechten olderen Pole (die Abtrennung erfolgte niit dem
Thermocauter) exstirpiert wurde. Auch hier hätte man es nicht bei (der halb-
seitigen Strumectomie bewenden lassen können, da die Trachea von beiden Seiten
her gleichmässig stark abgeplattet war. Die Atmung war während der ganzen
Operation eine schlechte und hatte der Kraidce durch sein stark cyanotisches
Aussehen wiederholt zu Besorgnis Veranlassung gegeben.
Die Wunde heilte ohne Reaktion per primam.
Während der ersten Tage nach der Operation war an dem Kranken eine
beträchtliche Unruhe zu bemerken, am vierten Tage klagte er über ein Gefühl
von Starre in den Händen, und konnte leicht das Facialis-Phänomen ausgelöst
werden. Am selben Nachmittage noch stellten sich unter lebhaften Schmerzen
und Starregefühl in Händen und Füssen Krämpfe ein, so dass der Kranke laut
stöhnend im Bette sich wälzte. Das Gesicht war wiederholt krampfhaft verzogen,
die Hände in typischer Geburtshelferstellung. Trousseau’sches Phänomen nicht
auslösl)ar, doch wurde dasseHje mit Rücksicht auf den Umstand, dass die Kom-
pression des Gefässnervenbündels Schmerzen l)ereitete, nicht öfters auszulösen
versucht. Erst gegen Abend besserte sich dieser Zustand und liessen die
Anfälle, Avelche mit kurzen Unterbrechungen 3 Stunden gedauert hatten, etwas
nach, vielleicht infolge einer grösseren Quantität Jändenblütenthee *), welche der
Kranke trank, so dass er, da ihm Bewegung Erleichterung zu verschaffen schien,
auf den Arm der Wärterin gestützt, etwas umhergehen konnte.
Um 9 Uhr Abends waren jedoch die schmerzhaften Krämpfe ebenso stark,
vielleicht noch im gesteigerten IMasse, wieder vorhanden, Hände und Füsse be-
fanden sich in ty])ischer Tetanie-Stellung; eine Injektioir von 0,01 Gr. IMorfin
konnte nur vorübergehend die Krämpfe mildern ; nach ^Mitternacht steigerten sie
sich abermals und es war sogar ein deutlich ausgesprochener Opisthotonus und
Trismus vorhanden, gegen welchen sich eine zweite Injektion erfolglos erwies,
erst ein Clysma von 2 Gr. Chloralhydrat konnte den Kranken etwas beruhigen.
Gegen IMorgen waren neuerdings die Erscheinungen so schwer Avie früher aus-
geprägt und sogar das Sensorium etwas l)enommen; die Airgenlider leicht öde-
matös gescliAvellt. Jeder Versuch des Aufsetzens im Bette löste in den Füssen
sehr schmerzhafte, tonische Krämpfe aus.
Diese fast fortwährend andauernden tonischen Krämjife, die nur durch
Morfin und Chloralhydrat für Stunden gemildert Averden konnten , hielten in
nahezu unveränderter Weise vier Tage hindurch an, bis endlich am fünften Tage
(also 9 Tage post Operationen!) eine Avesentliche Besserung eintrat.
Leichte Krämpfe, sOAvie das Facialisphänomen blieben noch durch mehrere
Tage hindurch bestehen, um am Ende der zweiten AVoehe erst ganz zu ver-
’) Seitdem Aviederholt beobachtet Avurde, dass die Tetanie A'orüber-
gehend sich besserte, Avenn profuse Schweisse spontan oder mit Hilfe von Medi-
kamenten eintraten, wurde stets reichlich für Diaphorese in allen .solchen Fällen
gesorgt. (Siehe speziell Fall XII meiner oben citierten Arbeit.)
380
Anton Freilierr von Eiseisberg.
schwinden. Der Kranke Avurde absichtlich noch längere Zeit in Behandlung
behalten und erst 7 Wochen nach der Operation entlassen. Beim Austritte aus
dem Spitale war keine Spur von Tetanie nachzuAveisen, das Allgemeinbefinden
ein vorzügliches und das Stückchen zurückgelassener Schilddrüse deutlich am
oberen Ende der Halsnarbe zu lAalpieren.
III. Fall.
Josef K., 24 Jabre alt, Schuster aus Steinach in Bayern, seit einigen Jahren in
iMödling bei Wien sesshaft, bemerkte seit seinem 21. Lebensjahre eine Zunahme
seines Ilalsumfanges, soAvie in den letzteren ^Monaten AtembescliAverden beim
Stiegensteigen und sclnverer Arbeit, zudem schnarchte und pfiff er bei Nacht
so laut, dass niemand Anderer neben ihm im Zimmer schlafen konnte.
Die L’'^ntersuchung ergiebt einen mächtigen, beide Seiten des Halses ein-
nehmenden Kropf. Derselbe sehr Aveich, keine circumskripten härteren Partien in
seinem Innern zu fühlen. Stimme klar, keine Stimmbandlähmung; Verengerung
der Trachea von beiden Seiten Iier auf */2 ihres Lumens. Am 30. Juni 1890
Avurde die Operation gemacht. Zuerst Avurde die rechte Kropfhälfte blossgelegt
und nach LTnterbindung der beiden Arterien total exstirpiert, gegen den Isthmus
zu mittels Thermocauter abgetrennt. Derselbe Eingriff Avurde nunmehr durch
einen zweiten, entlang dem andern Sternocleidomastoideus A’erlaufenden Schnitt
auf der linken Seite ausgeführt, dabei jedoch A’ergeblich nach einer Art. thyr.
inf. gesucht. (Das exstirpierte Präparat rechtfertigte dieses erfolglose Suchen,
indem sich zeigte, dass dieselbe fehlte und die Versorgung der linken unteren
Kropfhälfte mit Blut von einem starken Aste der Art. thyroid. sup. aus erfolgte.)
Gegen den Isthmus zu Avurde in der gleichen Weise abgetrennt, so dass der
Kranke Amn seiner ganzen Schilddrüse nur mehr ein etAva kaum
taubeneigrosses Stück, entsprechend dem Isthmus besass, Avelches
geAviss sehr stark bei den verschiedenen Alanipulationen der recht
mühsamen Operation aus der Umgebung gelockert, vielleicht auch
gedrückt Avar und zudem noch rechts und links je einen Brandschorf
trug. Der WundA^erlauf Avar reaktions- und fieberlos.
Erst am dritten Tage klagte der Kranke über Kriebeln und Ziehen in der
Hand und in den unteren Extremitäten und stellte dabei die Hand in die für
Tetanie typische Stellung, die jedoch diesmal, soAvie im Aveiteren Verlaufe inso-
ferne etAvas a’Oui Typus abwdch, als der Daumen stark in die Hohlhand einge-
schlagen und nicht, wie bei der Geburtshelferhandstellung, einfach in gestreckter
Stellung adduciert Avar.
Gleichzeitig stellte sich starke Unruhe ein, so dass eine ^lorfin-Einspritzung
gegeben Avurde, die dem Kranken eine gute Nacht A^erschaffte. Im Laufe des
nächsten Tages Avar das Facialis- und Trousseau’sche Phänomen deutlich ausge-
prägt, es stellten sich spontan zu Aviederholtenmalen die schmerzhaften Krämpfe,
vorAviegend in der Hand ein. Dieser Zustand hielt bis zum achten Tage post
operat. an, als eine entschiedene, jedoch nur kurz andauernde Besserung erfolgte,
indem am 10. Tage neuerdings alle Erscheinungen der Tetanie in gesteigertem
Grade Amrhanden waren und sich erst nach Ausbruch eines starken ScliAA-eisses
etAvas besserten ; abermals hielt die Erleichterung nur Avenige Tage an. Am
17. Tage war post operat. die Tetanie in ihrem ganzen scliAveren Symptomkom-
plexe ausgebildet. Erst jetzt erfolgte eine andauernde Besserung, so dass der
Kranke auf eigenen Wunsch 28 Tage post operat. entlassen Avurde. Zur Zeit
der Entlassung bestand noch immer das CliAmstek’sche und Trousseau’sche Phä-
nomen fort, ja es traten sogar noch leichte Anfälle ein.
Weitere Beitrüge zur Lehre vuu den Folgezuständen der Kropfoperationen. 381
Auch iin Laufe des nun folgenden Jahres stellten sich diese leichten
Anfälle noch 2 — 3 mal wöchentlich, besonders bei feuchter und kalter Witterung,
sowie nach irgendwie erheblichen Anstrengungen ein. Der Kranke, der
früher eine ausgespro diene Vorliebe für Fleischspeisen hatte, nährte
sich die ganze Zeit über ausschliesslich von Vegetabilien und Milch.
Im ersten Winter nach der Operation verlor der Kranke ohne Ver-
anlassung alle Haare, dieselben wuchsen wieder gut nach, die
Nägel haben sich seit der Operation spontan nunmehr schon zum
drittenmale vollkommen abgestossen und sind stets wieder nach-
gewachsen. Gedächtnis und Gemütszustand lilieben nach der (Operation un-
verändert, nur glaubt die iSchwester des Patienten zu bemerken, dass derselbe
in letzterer Zeit heiterer wurde.
Diese Besserung des Gemütszustandes mag wohl mit der entschiedenen
Besserung des xLllgemeinbetindens Zusammenhängen, welche ein Jahr nach der
Operation auftrat und der Kranke auf eine Kaltwasserkur, der er sich durch
einige Wochen unterzog, zurückführt. Wahrscheinlicher ist mir jedoch,
das diese entschiedene Besserung auf die Vergrösserung des vom
Isthmus zurückgebliebenen Kropfrestes zurückzuführen ist. Dieser
Rest war stets deutlich fühlbar und nahm gerade vor einem Jahre
merklich zu; da der Kranke mindestens alle acht Wochen seit der Operation
in der Klinik sich vorstellte, war ich in der Lage, das Verhalten dieses Kropf-
stückchens genau zu überwachen.
Im Juni 1891 wurde an dem Kranken an der Augenklinik eine Staar-
operation vorgenommen und behauptet er, seit dieser Zeit abgemagert zu sein.
Erwähnenswert scheint noch, dass nach Angabe des Patienten, der niemals einen
geschlechtlichen ^'erkehr gepflogen haben will, seit der Kropfoperation die Pol-
lutionen auffallend selten Avurden ; die Hoden sind sehr klein (allerdings Avurden
dieselben vor der Operation nicht untei’sucht).
Jetzt (mehr als 2 Jahre nach der Opei’ation) ist der Patient geistig a'oII-
kommen frisch, zeigt noch ChA'Ostek’- und Trousseau’sches Phänomen, leidet bloss
selten an leichten jMahnungen an die damaligen Krämpfe und hat noch ent-
schiedene Vorliebe für Mehlspeisen, Er hat seinen Beruf geAvechselt, ist Gärtner
geworden und arbeitet als solcher ganz gut, soAveit ihm dies der am andern
Auge sich entAA'ickelnde Staar gestattet.
IV. Fall.
Antonie W. , 10 Jahre alt ; Geburtsort und ständiger Aufenthaltsort :
Kritzendorf an der Donau. Pat. litt seit ilu-em fünften Lebensjahre an einem
Kropfe, der mit dem Eintritte der Menses rasch zunahm und die Atmung l)e-
sonders beim Arbeiten beeinträchtigte.
Die Schilddrüse ist l)edeutend A'ergrössert, rechte Hälfte etAva apfelgross,
linke diffus gescliAvellt, jedoch nicht so stark wie rechts, erst beim Schluckakte
tritt aus dem Jugulum eine mächtige Kropfmasse lierA’or, so dass die Struma
hauptsächlich retrosternal liegt. Stimme klar, Stimmbänder gut beweglich, starke
VorAAölbung der Trachea und Reducierung ihres Lumens auf *, » in der Höhe des
Jugulum von der linken Seite her, also derjenigen, Avelche bei der äusseren
Untersuchung als die weniger vergrösserto imponierte ').
b Aehnliche Beobachtungen Avurden oft gemacht und zeigen, Avie ungemein
AA’ichtig es ist, in allen Fällen A’on Kropfoperationen zuA’or durch die larA'ugoskopische
Untersuchung festzustellen, von Avelcher Seite die stärkere VorAvölljung sichtbar
ist, indem ja in der Regel die Exstirpation dieser einen Hälfte genügt.
382
Anton Freiherr von Eiseisberg.
Am 24. Oktober 1889 vnrde die ganze sehr gef ässreiche, haupt-
sächlich retrosternal liegende Struma bis auf ein kaum wallnuss-
grosses Stück entsprechend dem rechten oberen Pole, welches ab-
sichtlich zurückgelassen wurde, exstirpiert.
Die Wundheilung erfolgte ohne Reaktion.
Schon nach zwei Tagen traten leichte Krämpfe in beiden unteren Extre-
mitäten auf und konnte deutlich das Chvostek’sche Phänomen nachgewiesen
werden. Dieser Zustand verschlimmerte sich etwas in den folgenden Tagen,
weshalb Mortin und Chloralhydrat gegeben wurden und eine 6 tägige Ruhei)ause
folgte. Hierauf stellte sich die Tetanie von neuem ein und steigerte sich im
Laufe der nächsten zwei Monate bis zur höchsten Intensität: Facialis-, Trousseau’sches
Phänomen war auf das deutlichste vorhanden, zu den schmerzhaften tonischen
Krämpfen in Händen und Füssen gesellten sich noch höchst beunruhigende
Zwerchfellkrämpfe. Wiederholt stieg dabei die Temperatur ohne bekannte Ur-
sache auf 40,1° (zu einer Zeit, wo die "Wunde bereits solid vernarbt war).
Am meisten subjektive Erleichterung gewährte nebst dem Karcoticum die
Erregung der Hautthätigkeit. Anfangs waren zu diesem Zwecke Pilocarpin-
Injektionen gemacht worden, selbe wurden bald aus Vorsicht durch den täglichen
Gebrauch des Schwitzkastens ersetzt. Auch schien eine Schmierkur mit grauer
Salbe von günstigem Einfluss gewesen zii sein.
Erst zu Beginn des dritten Monates trat eine Besserung in Bezug auf die
Häufigkeit und Intensität der tetanischen Anfälle ein , so dass die Patientin am
Ende des dritten Monates, nachdem sie eine Woche hindurch anfallsfrei geblieben
war, in ihre Heimat entlassen wurde. Daselbst Avar sie angeblich drei Monate
hindurch gesund, dann stellten sich wohl öfters Avieder bei kalter AVitterung und
zur Zeit der Menses die Anfälle ein , jedoch angeblich niemals in derselben
Intensität Avie seinerzeit, als die Kranke noch in Spitalsbehandlung sich befand.
Circa ein Jahr ])ost operat. änderte sich nur der Charakter der Anfälle inso-
feime, als sie seltener eintraten, jedoch mit BeAA'usstlosigkeit A'erbunden
waren, ein Symptom , Avelches früher niemals Arnrhanden Avar. Als die Kranke
behufs genauerer Beobachtung dieses Leidens zu Beginn des Jahres 1892
für 10 Tage an der Klinik Aufnahme fand, AA'urde konstatiert, dass den Anfällen
eigentümliche athetotische BeAvegungen der Finger vorausgingen, die Finger sich
hierauf in der tetanischen Stellung flxierten , und unter starker lordotischer
Krümmung der AATrbelsäule und BeAA'usstlosigkeit der Anfall auftrat. Chvostek’sclies
und Trousseau’sches Phänomen waren nahezu A'erschwunden, auch machte es den
Eindruck, als ob die Kranke den Anfall Avillkürlich herA’orrufen könnte , so dass
das Krankheitsbild entschieden als kombiniert mit hysterischen Anfällen gedeutet
Averden musste.
Derlei Anfälle traten im Aveiteren A" erlaufe noch öfters auf und sind erst
seit 4 Monaten bis auf ganz leichtes, selten einsetzendes Gefühl von Starre in
den Händen gescliAvunden.
AAdihrend ihres Aufenthaltes im Spitale hatte die Kranke sehr Avenig ge-
gessen, zu Hause soll sie Avährend der folgenden zwei Jahre gar kein
Fleisch genossen, sondern bloss Mehlspeisen gegessen und mit AMrliebe Bier
getrunken haben. Erst in letztem INIonate isst sie Aviederum Fleisch , giebt
jedoch noch immer den Mehlspeisen den A^orzug.
Schon ein Jahr nach der Operation war der Hals etAvas A'oller geworden,
ohne dass jedoch etAvas A'on der Schilddrüse fühlbar geAvesen Aväre, in den
letzten Monaten bemerkt die Kranke ein entscbiedene s Dicker-
'Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropfoperationen. 38b
werden des Halses und giebt sie an, dass auch seit dieser Zeit die
Krampfanfälle ganz entschieden sich bessern, so dass im Laufe der
letzten 2 Monate überhaiipt keine Krämpfe mehr da waren. Bei der Untersuchung
findet sich entsprechend dem oberen rechten Schilddrüsenpole ein taubeneigrosser
Knoten, auf •welchem ein zweiter haselnussgrosser sitzt und unzweifelhaft der
Schilddrüse angehört. Der kleinere Knoten war, als Bat. zu Beginn dieses
Jahres zum zweitenmale an der Klinik aufgenommen war, noch gar nicht, der
erste als eben merkliche Schwellung fühlbar. Auch hier konnte das Wieder-
wachsen des Kropfes deutlich verfolgt w'erden, da die Kranke mindestens jeden
Monat einmal in die Klinik kam. Das Allgemeinbefinden der Kranken, die jetzt
in bester Gemütsstimmung sicli befindet, ist ein vortreffliches, Intellekt ganz un-
getrübt. Facialisphänomen noch vorhanden.
Gruppe III.
Partielle Exstirpationen, woliei mindestens Kropf-
volnniens znrückgelassen wurde.
47 Operationen mit 42 Heilungen. Nur einmal folgten der
» Operation tetanische Erscheinungen und zwar in mildester Form.
Der Fall ist folgender:
Therese S., 34 Jahre alt, aus Pisecna in Böhmen, einem kleinen Orte, in
welchem noch vier andere Personen grosse Kröpfe haben sollen, merkt seit ihrem 15.
i, Lebensjahre eine Verdickung des Halses, die in letzterer Zeit zu Atembeschwerden
I bei der Arbeit Veranlassung gab. Bei der üntersuchung findet sich die rechte
I Schilddrüse von einem gänseeigrossen, beweglichen Tumor eingenommen, Stimme
l klar, Stimmbänder frei beweglich, Vorwölbung der rechten Trachealwand in der
I Höhe des 3. und 4. Ringes , wodurch das Lumen auf Vs reduciert erscheint.
Am 11. März 90 wurde die typische Exstirpation der rechten Seite ohne Schwierig-
I keit ausgeführt.
Der Wundverlauf war vollkommen glatt.
Am 3. Tage stellten sich spontane Zuckungen im Gesichte ein und war
• das Facialisphänomen leicht auszulösen. Die Kranke bekam prophylaktisch etwas
II IMorphin. Koch durch weitere 9 Tage bestand dieses eine Symptom der Tetanie
I fort; das Ti'ousseau’sche Phänomen konnte jedoch niemals nachgewiesen werden.
. Nach Ablauf dieser Zeit war auch das Facialisphänomen verschwunden.
Die Kranke nahm 20 Tage nach der Operation wieder ihre schwere Arbeit
1 auf und fühlte sich vollkommen wohl. .Jetzt ist bei ihr die linke Schilddrüse
ii in normaler Grösse (so ’vvie damals) zu tasten und am Rande des Isthmus zwei
I haselnussgrosse, ziemlich bewegliche Knoten zu fühlen
i
*) Hier verdient die Beobachtung von J. AVolff Erwähnung, welche vor
!j kurzer Zeit durch Köhler (Berl. klin. Woch. 1892, Nr. 24) bestätigt wurde: dass
1 nach Exstirpation eines Teiles der Struma auch die noch zurückgelassenen
Kropfteile spontan sich rücklfilden. Anlässlich der Vorarbeiten zu dieser Publi-
kation hatte ich vor kurzem Gelegenheit einen grossen Teil [der Pat. dieser
‘ Gruppe zu sehen, konnte jedoch den Wolff 'sehen Befund im allgemeinen an den-
( selben nicht bestätigt finden, -wenn auch bei einigen eine Abnahme des Kropf-
restes aufzufinden war. Es mag dies wohl unter anderem mit dem weiteren
' Aufenthaltsorte der Patientin (Kropfgegend) Zusammenhängen.
384
Anton Freiherr von Eiseisberg.
Gruppe IV.
Eimcleatioiieii von Kropfkiioteii.
40 Fälle mit 38 Heilungen. Diese Fälle betreffen entweder
Kropfcysten, welche sich ja bekanntlich besonders zur Enucleation
eignen, oder harte Knoten im Struma-Gewebe.
Es ist hier nicht der Platz, um eingehender über den Wert
dieser Operationsmethode zu sprechen; nur so viel mag erwähnt
werden, dass, so vorzüglich die Enucleation bei Kropfcysten und
ganz oberflächlichen Knoten sich bewährt, dieselbe bei festen und
einigermassen tiefer sitzenden Kropfknoten wiederholt so schwere
Nachblutungen, die meist ^2 — 1 Stunde nach Anlegen des Verbandes
auftraten, veranlasste, dass dadurch die Patienten schwer gefährdet
waren und nur durch schleuniges Vorziehen der Innenwand des
Sackes mit Pinces, Umstechungen und Vornähen ein schlimmer
Ausgang verhütet wurde. Deshalb wird in solchen Fällen an der
Klinik die Enucleation meist mit jDartieller Exstirpation oder Re-
section des Kropfes combiniert, resp. durch dieselbe ersetzt, wobei
die Blutung aus der Schnittfläche, entweder durch den Thermo-
cauter, oder durch vorherige Abbindung, gestillt wird. Aus dieser
Gruppe ist wiederum nur ein Fall in unserer Richtung von In-
teresse :
Franz G., 20 Jahre alt, aus Wessieden in Schlesien, seit mehreren Jahren
in Wien bedienstet, bemerkte seit zwei Jahren eine rasch sich vergrössernde
Schwellung des Flalses. Vor einem Jahre nahm dieselbe ganz besonders
schnell zu, und giebt der Patient an, dass zur selben Zeit öfters
Zuckungen im Gesichte, sowie spontane Krämpfe in den Händen be-
sonders bei kalter Witterung sich einstellten. Er zeigt mit den
Händen die Fingerstellung zur Zeit der Krämpfe, und bringt dabei
dieselben in die typische Tetanie-Stellung. Im Laufe des letzten Jahres
traten hei der Arbeit Atembeschwerden auf.
Bei der Untersuchung findet sich in der Medianlinie des Halses ein nahezu
kindskopfgrosser, prall gespannter, fast fluctuierender Tumor, der deutlich als
der Schilddrüse angehörig angesprochen werden muss. Stimme klar, geringe
Abflachung der Trachea unterhalb des ersten Ringes von vorne her. Kein
Facialisphänomen. Am 23. April 1891 wurde der Tumor ohne wesentliche
Blutung ausgeschält. Er erwies sich als Colloidkropf, der einige grössere Cysten
im Innern zeigte. Der Tumor war vom Isthmus ausgegangen, sodass beide ziem-
lich kleine Schilddrüsenlappen intakt zurückl)liehen. Der Wund verlauf ging ganz
glatt vor sich.
Am Tage nach der Operation war deutlich das Facialisphänomen nach-
weisbar. Am folgenden Tage konnte wiederholt ein spontan auftretendes, blitz-
artiges Zucken im Facialisgebiete, ganz so, wie wenn sein Stamm hekloi^ft wor-
den wäre, beobachtet werden, und fühlte sich der Kranke dabei ziemlich unwohl,,
indem er besonders über ziehende Schmerzen im Gesichte klagte. Er bekam
reichlich Lindenhlütenthee zu trinken und transpirierte sehr stark. Schon am
Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropfoperationen.
385
folgenden Tage blieben die spontan aufgetretenen Krämpfe aus. Der weitere
Verlauf war sonst ganz normal, subjektiv fühlte sich der Kranke stets vorzüglich
gut, nur konnte nach A^e vor das Facialisphänomen auf das leichteste ausgelöst
werden. Nach 14 Tagen verliess der Kranke das Spital und nahm seinen Beruf
als Schneider Aviederum auf. Als er sich ül^er schriftliche Aufforderung vor
kurzer Zeit, also V4 Jahre post operationem, vorstellte, zeigte sich die Narbe
etAvas hypertrophisch, Schilddrüse rechts und links deutlich fühlbar, auf der
rechten Seite am oberen Pole ein etwa kleinapfelgrosser, Aveicher Kropfknoten,
der jedoch keinerlei BeschAA'erden A'erursacht, nachgeAvachsen. Stimme klar, aus-
gezeichnetes Allgemeinbeünden. Nur das Facialisphänomen i.st noch ungemein
exquisit A'orhanden und nach kaum eine Minute lang andauernder Kompression
auf den Gefässnervenplexus tritt in vollendeter Weise das Trousseau’sche Phä-
nomen ein.
Gruppe V.
Ligaturen der Arterie und anderweitige Eingriffe (Punktionen,
Jodiiijektionen, Incisionen von Strninitiden.
Die Ligaturen der 4 Arterien nach Wölfler, wurden im ganzen
siebenmal wiegen diffuser grosser Strumen ausgefülirt mit jedesmaliger
Verkleinerung des Kropfes. Dreimal w^ar das Resultat ein dauernd
vorzügliches und haben sich vor w^enigen Wochen zwei dieser
Kranken vorgestellt, an denen man von Schilddrüsenge'W'ebe kaum
mehr fühlte, als bei einem normalen Individuum. Der Kropf
war vollkommen geschwunden. Im dritten Falle (eine Frau von
40 Jahren) war die Struma ebenfalls vollkommen zurückgegangen
und nach dem Berichte des Hausarztes das Resultat ein ausge-
zeichnetes. 37^ Jahre nach der Operation starb die Kranke an
Influenza.
Bei zwei Patienten jedoch hatte sich nach Jahresfrist das
alte Kropfleiden im selben Umfange wieder eingestellt, so dass die
partielle Exstirpation ausgeführt werden musste.
Ein achter Fall von Unterbindung der l^eiden Art. thyr. inf.
wegen Sarconi endete letal am Tage nach der Operation.
Von den übrigen unter diese Gruppe zusammengefassten Fällen
ist der nachfolgende von ganz besonderem Interesse:
Josefa Sch., 43 .Jahre alt, soll schon vor vielen Jahren einen dicken Hals
, gehabt haben, der sich aber im Jjanfe der letzten sechs IMonate auffallend schnell
' vergrösserte. Vor drei Wochen erkrankte die Frau an Diphteritis mit schweren
Allgemeinerscheinungen, seit A'ier Tagen stellte sich in der Halsgegend eine
I' schmerzhafte Rötung und Sclnvellung ein, Avährenddeni schon einige Tage zuvor
i im rechten Ellbogengelenke eine schmerzhafte ScliAvellung aufgetreten Avar. Die
I Kranke wurde in sehr elendem Zustande in die Klinik gebracht (21. April 1891),
daselbst sofort narkotisierd und die Metastase am Ellbogen, soAvie am Halse er-
öffnet. Aus beiden Incisionen entleerte sich Eiter, am Halse eine beträchtliche
n Quantität. Man gelangte daselbst mit dem kleinen Finger in eine so ausgedehnte
25
386
Anton Freiherr von Eiseisberg.
Höhle, dass man vermuten konnte, es sei die ganze Struma zur Vereiterung ge-
kommen. Im Rachen war nur mehr Rötung zu sehen. Die Kranke, deren Ver-
band wegen reichlicher Sekretion der Halswunde täglich gewechselt werden
musste, wurde regelmässig kalt eingepackt und die dadurch angeregte Diapho-
rese durch Lindenblütenthee noch unterstützt. Trotzdem fiel das Fieber nur
wenig ab und war speziell die Sekretion und Abstossung von nekrotischen Fetzen
aus der Hals wunde eine sehr intensive. Da 'zeigte sich mit einem Male
am fünften Tage nach der Incision zuerst auf der linken und am
folgenden Tage auch auf der rechten Seite das Facialisphänomen
aufs deutlichste. Weiter traten spontan tetanische Krampfanfälle
in der Hand mit typischer Stellung derselben auf, sodass die Kranke
dadurch oft sogar am Fassen des Glases gehindert war.
Zwölf Tage nach der Incision entleerte sich aus der Wunde etwas von der
eben genossenen Milch, bedingt durch eine Spontanperforation des Oesophagus
und wenige Tage später stellte sich ein heftiger Erstickungsanfall ein, dessen
Ursache eine Spontanperforation der Eiterhöhle in die Trachea war, sodass unter-
halb dieser Kommunikation eine Kanüle eingelegt und die Trachea oberhalb, um das
Einfiiessen von Eiter in die Lunge zu hindern, tamponiert wurde. Die Kranke
ging gerade einen Monat nach der Aufnahme an zunehmendem Marasmus zu Grunde;
bis zwei Tage vor dem Tode war Chvostek’sches und Trousseau’s ches
Phänomen leicht auslösbar und hatte die Kranke oft an den tetani-
schen Anfällen recht gelitten.
Die Sektion ergab, dass die Eiterhöhle am Halse dem linken Schilddrüsen-
lappen angehörte, welcher mit Trachea, Oesophagus und den grossen Hals-
gefässen innigst verwachsen war und nach abwärts bis an die Clavicula reichte.
Die Begrenzung dieses Schilddrüsenlappens stellte gleichzeitig die Wandung der
Eiterhöhle dar und war von einer 1,5 cm dicken Schichte gebildet, welche nach
innen zu wulstige Vorsprünge und auf dem Querschnitte eine saftige, homogene
Masse zeigte. Dieselbe erwies sich bei der mikroskopischen Untersuchung
als Sarcom. In der Tiefe des Eitercavums gegen die Trachea zu waren diese
trabecelai’tigen Vorsprünge der Innenwand der Geschwulst missfarbig und zer-
fallen ; innerhalb dieser weichen Partien fanden sich auch die beiden Perforations-
Öffnungen. Das äusserste Ende des oberen linken Schilddrüsenpoles bildete ein
haselnussgrosser Rest von stark colloid durchsetztem Drüsengewebe. Die
rechte Schilddrüsenhälfte, etwa 5 cm lang, 3 cm breit, an normaler
Stelle, war vollkommen von zahlreichen, dicht nebeneinander ge-
stellten hirsekorn- bis haselnussgrossen Colloidknoten durchsetzt.
In der Lunge ausgedehnte Sarcommetastasen. Reichliche Eiteransammlung im
linken Ellbogengelenke. Ulcus ventriculi rotundum.
Betrachten wir nunmehr die oben berichteten 8 Fälle von
Tetanie nach mehr oder weniger ausgedehnten Kropfoperationen,
so geht aus selben zunächst hervor, dass nicht nur die Total-
exstirpation die specifischen Folgeerscheinungen nach sich zieht,
sondern auch unter Umständen die Entfernung des grössten Teiles
des Organes oder Zerstörung desselben auf anderem AVege (Eite-
rung) dies bewirken kann und zwar in demselben Masse in mil-
derer Form, als eben mehr vom normalen Gewebe erhalten bleibt.
Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropfoperationen. 38 i
Schon vor Jahren hat Szuman^) über einen Fall berichtet,
in welchem nach einer Kropfexstirpation mit Zurücklassung eines
kleinen Restes desselben Tetanie auftrat, die jedoch zur Aushei-
lung kam.
Die ersten 7 unserer 8 Fälle stellen verschiedene Inten-
sitäts-Grade der tetanischen Erkrankung von der schwersten Form
bis zur ganz milden dar. Im ersten (tödlich verlaufenen) Falle war
ja nach der Operation wirklich nichts von der Schilddrüse zurück-
geblieben, als ein kleines, vollkommen carcinomatös entartetes
Stückchen der Struma.
In den nun folgenden 4 Fällen (Gruppe II, b) war jedesmal
ein kleines Stück Strumagewebe und zwar viel weniger als V-»
der Struma zurückgeblieben und dasselbe bei der Operation (die
stets recht schwierig war) jedenfalls stark aus der Umgebung ge-
lockert, ja vielleicht durch Anfassen und Zerren gedrückt oder gar
gequetscht worden. Es liegt dabei nahe anzunehmen, dass durch
alle diese Manipulationen die Zirkulation und damit die Funktion
des Drüsenrestes beeinträchtigt war, wodurch die Ausfallserschein-
ungen veranlasst waren. In den beiden ersten Fällen dieser
Gruppe (Schiffer W., Ignaz M.), besonders im zweiten, war offenbar
diese Stase vorhanden, indem es ja bei Ignaz M. zu so stürmischen
Ausfallserscheinungen kam, dass wir für das Leben des Pat. schon
fürchten mussten ; allerdings verschwanden diese bedrohlichen Symp-
tome nach einigen Tagen ganz. Es scheint also die gestörte
Funktion in dem zurückgebliebenen Stücke keine langandauernde
gewesen zu sein und enthielt dasselbe zudem wahrscheinlicher-
weise noch genügend an normal funktionierendem Gewebe, um
die Thätigkeit des ganzen Organes zu übernehmen. In den beiden
andern Fällen dieser Gruppe (Josef K., Antonie W.) waren noch
kleinere Stückchen zurückgeblieben, als in den beiden ersteren
und war die Tetanie sehr schwer und vor allem bedeutend hart-
näckiger in ihrem Verlauf: hielt sie ja doch (während sie in den
beiden ersten Fällen nach mehrtägiger Dauer schwand), hier jahre-
lang an und besserte sich erst dann wesentlich, als wieder der
Hals dicker wurde und die objektive Untersuchung ein neuerliches
Wachstum des zurückgebliebenen Kropfrestes konstatieren liess.
Hier fällt das Einsetzen der Besserung so sehr mit der Entwick-
lung einer äusserlich nachweisbaren Kropfgeschwulst zusammen, dass
wohl sicherlich mehr als ein zufälliges Nebeneinander, vielmehr
ein causaler Zusammenhang dieser beiden Faktoren angenommen
’) Centnilblatt für Cliinir<rio lH8t. 29.
388
Anton Freiherr von Eiseisberg.
werden muss. Ausserdem verdient hervorgehoben zu werden, dass
bei Pat. Josef K. (Gruppe II, h, 3. Fall) im chronischen Verlaufe
der Tetanie eine Reihe von Symptomen sich einstellte, welche man
bisher wiederholt nach totalem Ausfälle der Schilddrüse (besonders
bei der Cachexia strumipriva und dem Myxoedeme) beobachtet
hat, wie: Ausfallen der Haare, Wechsel der Nägel; vielleicht ist
auch hier die starke Abnahme des Geschlechtstriebes erwähnens-
wert. Endlich ist nicht uninteressant, dass in diesem und dem
nächsten Falle über ein Jahr nach der Oj^eration hindurch ein
exquisiter Ekel gegen Fleischspeisen andauerte ^). Dass bei An-
tonie W. im Laufe der Jahre die tetanischen Anfälle mehr den
Charakter von hysterischen bekamen, wurde bereits hervorgehoben.
Zu den beiden Fällen von Tetanie (Gruppe III. und IV.)
nach Exstirpation einer Hälfte resp. Enucleation, wobei jedesmal
ein grosser Teil anscheinend normalen Schilddrüsengewebes zurück-
blieb, ist vor allem zu bemerken, dass beidemale die Tetanie so
milde verlief, dass diese überhaupt als die leichtesten-), bisher an
der Klinik beobachteten Formen bezeichnet werden können. Be-
sonderes Interesse verdient hiebei die präzise Angabe des Patienten,
dem die Enucleation gemacht war : Franz G. (Gruppe IV), dass sich
schon mit dem rascheren Wachstume des Kropfes tetanische Symp-
tome, die der Kranke zutreffend beschrieb, einstellten. Analoge
Beobachtungen wurden von Witzei, Czerny, Wölfler^) gemacht,
welche während des Wachstums des Kropfes cachektische Symp-
tome auftreten sahen. In Bezug auf diesen Fall ist noch zu be-
tonen, dass das enucleierte Stück gewiss mehr als der ganzen
Struma betraf und Spuren der Tetanie, wenn auch in mildester
Form noch jetzt Jahre nach der Operation nachweisbar
sind. Vielleicht hat es sich in diesen beiden Fällen (Gruppe III.
und IV.) um Individuen gehandelt, welche ganz besonders fein
auf den Ausfall schon eines Teiles ihres Schilddrüsengewebes
reagierten, wobei wir annehmen, dass beim Menschen , dessen
Schilddrüse ja ungleich häufiger, als beim Tiere, kropfig erkrankt,
b Schon früher konnte ich über einen Patienten berichten, der nach Total-
exstirpation Zinn Vegetarianer geworden war. Diese Beobachtung ist deshalb
von Interesse, weil ja bekanntlich die Pflanzenfresser viel leichter den Ausfall
der Schilddrüse ertragen als die Fleischfresser. Allerdings behauptet in
neuester Zeit Gley (Effets de la thyroidectoniie chez le lapin , Archives de
Physiologie 1892), dass auch dem Kaninchen die Exstirpation ebenso verderblich
werde, vorausgesetzt, dass man die unterhalb der Drüse gelegenen Nehendrüschen
(Glandules') mit entfernt.
‘b ^'ergleiche Fall V meiner oben citierten Publikation.
b 1. c.
Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropfoperationen. 389
individuelle Dispositionen^) vorliegen, wonach das einemal ein
Individuum selbst nach Entnahme des ganzen Organs längere Zeit,
vielleicht (?) immer gesund bleibt, ein anderes schon auf die Ent-
fernung eines Teiles, wenn auch nur in milder Form, mit Ausfalls-
erscheinungen reagiert.
Wenn auch bis jetzt die Erkenntnis der Schilddrüsen-Funktion,
speziell mit Rücksicht auf die nach Exstirpation der erkrankten
Drüse (Kropf) auftretenden, wechselnden Folgenzustände noch lange
nicht vollkommen klar zu Tage liegt, meine ich doch, dass diese
Beobachtungen, die beim ersten Blicke vielleicht unsere Anschau-
ungen noch mehr zu verwirren scheinen, im Gegenteil, bei auf-
merksamer Betrachtung die gegenwärtigen Ansichten über die
Funktion der Schilddrüse nur bestärken. Wir müssen ja an-
nehmen, dass das zurückgebliebene Stückchen funktionierenden
Schilddrüsengewebes doch eine gewisse Grösse haben muss, um
alle die bekannten, schrecklichen Ausfallserscheinungen hintan-
zuhalten, denn, sollte schon ein minimaler Rest Schilddrüsengewebes
dazu ausreichend sein, so müsste man sich die Vorstellung bilden,
dass die physiologische Wirkung der Schilddrüse der eines Fer-
mentes analog wäre, eine Annahme, zu der uns nicht einmal eine
plausible Flypothese berechtigt.
Dass es neben der Qualität der zurückgebliebenen Schild-
drüsenstückchen vor allem auch auf die Quantität ankommt, wird,
meiner Ansicht nach, durch den milderen Verlauf der Tetanie
nach partiellen Exstirpationen, beinahe zur Gewissheit erhoben.
Denn, während wir oben sahen, dass von 12 Fällen von nach
Totalexstirpation aufgetretener Tetanie 8 letal endeten, 2 durch
Chronischwerden der Tetanie schon seit mehr als ein Decennium
die Kranken schwer schädigen, bei einer weiteren Patientin die
Krämpfe erst nach dem Wachsen einer Recidive auf hörten, und
bloss in einem einzigen Falle die Tetanie schwand (diese Patientin
ist übrigens nach zwei Jahren an Tetanie gestorben) — sehen
wir in unsern eben sub II. b. beschriebenen 4 Fällen einen ent-
scliieden milderen Verlauf, ja in den zwei Fällen von halbseitiger
Exstirpation und Enucleation eigentlich nur die leichtesten Formen
der Tetanie.
Uebereinstimmend mit diesen Beobachtungen am Kranken-
bette erweist sich das Tierexperiment. Schon seinerzeit konnte
ich über 7 einschlägige Versuche an Katzen berichten, wonach
bei Entfernung von etwa V» ^^^s ganzen Organes Tetanie eintrat,
') Lu .Sinne der von Wölfler (1. c. Seite K3G) gegebenen, sehr plausiblen
Anschauung über das Entstehen von Tetanie und ^lyxoedein.
390
Anton Freiherr von Eiseisberg.
die jedoch nicht jedesmal tödlich endete, während sonst stets die
Tetanie, die nach ein- oder zweizeitiger Totalexstirpation auftrat,
ohne Ausnahme tödlich ablief. (Eine Hypertrophie des restierenden
Stückchens konnte in den gut abgelaufenen Fällen nicht sicher
konstatiert werden.) Zur Ergänzung dieser Versuche habe ich im
Laufe der letzten Monate einige neue bei Katzen ausgeführt, welche
hier kurz Erwähnung finden sollen:
1. Versucli.
Totalexstirpation der einen Hälfte und Exstirpation der andern zu bei-
läufig Teilen , so dass ])loss entsi)recbend dem oberen Pole, wo die Arterie
eintritt, ein kleines Stückchen zurückgelassen wurde ; die Blutstillung der Drüsen-
scbnittfiäcbe erfolgte mit Hilfe einer glühenden Platinnadel. Es folgten keine
Ausfallerscheinnngen, die Katze blieb ganz gesund ; nach 4 Wochen wurde das Tier
abermals narkotisiert nnd der Drüsenrest durch einen Längsschnitt blossgelegt ;
das Stückchen erwies sich normal aussehend und nicht merklich vergrössert.
Nunmehr wurde dasselbe exstii’piert , worauf sich eine innerhalb 5 Tage zum
Tode führende typische Tetanie entwickelte.
2. Versuch.
Analog dem vorhergehenden, nur wurde die Katze, nachdem sie 3 AVochen
ohne Folgeerscheinungen die erste Operation üherstanden hatte, getötet, wobei
man sich wieder vom guten Erhaltensein des restierenden Stückes überzeugen
konnte ; dasselbe schien etwas vei'grössert zu sein.
3., 4., 5. Versuch.
Es wurde noch mehr von der Schilddrüse fortgenommen, als beim 1. und 2.
Versuche, so dass nur ein etwa hanf korngrosses Stückchen, entsprechend dem
oberen Pole, zurückgeblieben war. Dieser Versuch wurde an einem Tage hei
drei Katzen (einer ausgewachsenen und zwei etwa 3 — 4 IMonate alten) gemacht.
Alle drei Tiere bekamen Tetanie , die alte ') iind eine junge Katze gingen daran
am 5. und 6. Tage zu Grunde ; die Sektion zeigte das kleine Stückchen Drüse
erhalten, jedoch gewiss nicht vergrössert, das zweite junge Tier überstand die
Tetanie, erholte sich ganz nnd ist noch am Leben. (Ueher den weiteren Befund
in diesem Falle, sowie über eine Reihe einschlägiger Versuche soll später be-
richtet werden, da ich es betreffs Entscheidung der Frage, ob in dem restierenden
Stücke Hypertrophie eintritt oder nicht, für wichtig erachte, die Tiere lange
Zeit am Leben zu erhalten.)
(). A'ersuch.
Versuchsanordnung wie heim ersten Versuche , nur wurde das ebenso
grosse Stückchen anstatt entsprechend dem oberen am unteren Pole, der
b Bei Vergleichung dieser Ergel)nisse mit den Beobachtungen am Menschen,
wonach ja l)ekanntlich die Entfernung der Schilddrüse bei jugendlichen Individuen
häufiger von schweren Folgen begleitet ist, als bei Erwachsenen, wird man keine
Analogie finden. Ich habe stets nach Totalexstirpation der Schilddrüse bei er-
wachsenen Katzen ebenso sicher zum Tode führende Tetanie beobachtet, wie
nach dem gleichen Eingriffe bei Kätzchen. Daher ist es nicht so zu verwundern,
dass eine junge Katze nach Zurücklassung eines kleinen Stückchens Schilddrüse
davonkommt , eine erwachsene nach Zurücklassung eines ebenso grossen an
Tetanie zu Grunde geht, indem ja im letzteren Falle im Verhältnisse zum Körper-
volumen ein kleinei'es Stück Drüsengewebes verbleibt.
Weitere Beiträge zur Lelire von den Folgezuständen der Kropf Operationen.
391
Drüse zurückgelassen. Die Katze erkrankte an Tetanie und ging nach
fünf Tagen daran zu Grunde. Die Sektion erwies, dass das Stückchen blau-
schwarz aussah, also infolge mangelhafter Ernährung nekrotisch geworden war.
7. Versuch.
Derselbe S^ersuch wie Nr. G. Das Tier erkrankte an schwerer Tetanie,
erholte sich nach 14 Tagen und ist jetzt nach 2 Monaten noch am Leben.
Diese Tierexperimente ergeben in Uebereinstimmung mit den
seinerzeit angestellten, dass in den Fällen, wo bloss 7« oder sogar
7ö der Drüse Zurückbleiben, tetanische Symptome auftreten, die jedoch
zur Ausheilung gelangen können, anderseits es nicht gleichgültig
ist, ob dieses Stück am oberen oder unteren Pole belassen wird.
Dieses Verhalten bei der Katze entspricht dem Eintritte der
Arterie am oberen Pole, während längs der unteren die Vene die
Drüse verlässt. Beim Menschen dürfte dieser Unterschied nicht
so sehr in Betracht kommen, da ja jederseits eine Art. thyreoid.
sup. und inf. existiert; sicherlich gilt jedoch ähnliches in Bezug
auf bessere oder schlechtere direkte Gefässversorgung des zurück-
gebliebenen Stückchens, in dem bereits oben erörterten Sinne.
Ganz besonderes Interesse verdient der Fall von Tetanie
nach akuter Vereiterung der Schilddrüse, welche schon in früherer
Zeit teilweise colloid, in letzterer Zeit sarcomatös degeneriert war.
Durch die Vereiterung waren wahrscheinlich die letzten Reste nor-
malen Drüsengewebes rasch zu Grunde gegangen, so dass dieselben
Erscheinungen auftraten , als wenn die Schilddrüse durch eine
Operation ganz oder grösstenteils entfernt worden wäre.
Dieser Fall findet sein Analogon in dem bei Kocher^) citierten
Falle Demme’s von Auftreten von Cretinismus nach Vereiterung
der Schilddrüse.
Hier wäre \delleicht auch die nach längerem innerlichen
Gebrauche von .Jod auf tretende .Jodcachexie zu erwähnen. Durch
dieses Mittel, welches ja bekanntermassen eine spezifische Wirkung
auf den Kropf besitzt, ist es ja schon zu wiederholtenmalen ge-
lungen, grosse Kröpfe innerhalb kurzer Zeit bedeutend, ja ganz
zum Schwinden zu bringen; trotzdem wird nur selten diese
Therapie eingeschlagen, indem die Erfahrung gezeigt hat, dass
gerade in den Fällen, in welchen das Jod als wirksam sich er-
weist, wiederholt schwere cachektische Symptome auftraten, die
man meist als .Jodintoxication aufzufassen geneigt war.
*) Zur Verhütung des Cretinismus und cretiuoider Zustände nach neueren
Forschungen. (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie XXXIV. Band. Festband zu
Ehren des 70. Geburtstages von Prof. Thiersch. 1892.)
392
Anton Freiherr von Jiiselsberg.
Da aber anderseits das Jod bei anderen Erkrankungen z. B,
der Lues viel länger und in grösseren Dosen, ohne derlei Symp-
tome zu veranlassen, gegeben wird, scheint mir die von Deininger')
und Wölf 1er -) ausgesprochene Vermutung gerechtfertigt, dass in
diesen Fällen die Cachexie nicht so sehr durch das Jod, als da-
durch bedingt ist, dass infolge des Jodes ein Teil des Schilddrüsen-
gewebes verschwindet, ebenso wie in dem früher geschilderten
Falle die Tetanie durch Vereiterung der Drüse veranlasst war.
Somit sehen wir, dass nicht etwa bloss durch einen operativen
Eingriff das Schilddrüsengewebe ganz oder grösstenteils entfernt
werden muss , um Ausfallserscheinungen zu bedingen , sondern
dass auch die einfache Degeneration (Colloid, Vereiterung) der
Drüsensubstanz gleiches bewirken kann.
Wesentlich ist unsere Anschauung über die Funktion der
Drüse durch die einheitliche Auffassung von den der Operation
folgenden Zuständen (Tetanie, Cachexie) mit Myxoedem und Cre-
tinismus gefördert worden. Die grosse Aehnlichkeit des Symp-
tomencomplexes der Cachexia strumipriva und des Myxoedems
(als dessen einzig charakteristischer pathologisch anatomischerBefund
der spontane Schwund der Schilddrüse gefunden wurde), war
schon längere Zeit hindurch bekannt ; in neuester Zeit hat jedoch
Kocher in einer vor wenigen Monaten erschienenen Arbeit betont,
dass auch beim Cretinismus stets in erster Linie eine Erkrankung
der Schilddrüse vorliegt, deren häufigste Erkrankung eben der
Kropf ist. Weiter hat Kocher, der sich mit dieser Arbeit^) neuer-
dings ein grosses Verdienst um die Erforschung der in Rede
stehenden Frage erworben hat, als Erster gezeigt, dass es Cretins
giebt, welche nicht nur keinen Kropf, sondern — soweit dies aus
der äussern Untersuchung des Halses zu schliessen erlaubt ist —
überhaupt keine Schilddrüse haben.
Dieselbe Beobachtung, wie Kocher, konnte ich zu Ostern dieses
Jahres (zu einer Zeit, als Kocher’s Arbeit noch nicht publiziert
war) machen, als ich die Cretins in dem Asyl zu Gallneukirchen
bei Linz (meist aus Hallstadt stammend), ferner in Hallstadt,
Goisern und Admont untersuchte. Unter 13 typischen Cre-
tins, die in ihrem körperlichen und geistigen Ver-
halten das bekannte traurige Bild darboten und welche
b Uel)or die Naditeile der .Todbehandlung des Kropfes (Bayr. ärztliches
Litelligenzhlatt 187ö. 2G).
b 1. c. Seite 12.
b 1. c.
Weitere Beiträge zur Lehre von den Folgezuständen der Kropfoperationen.
393
ich genau zu untersuchen in der Lage war, war zehn-
mal ein mehr weniger deutlicher Kropf, darunter mehr-
mals mächtige Knoten vorhanden, dreimal schien die
Schilddrüse total zu fehlen. Bei der schlaffen Haut und
dem torpiden Verhalten dieser Individuen (keine Ans]3annung der
Halsmuskulatur) war es besonders gut möglich in der Tiefe des
Halses rechts und links von der Trachea Alles abzutasten, wobei
sich dieser negative Befund ergab. Hier will ich nur nebenbei er-
wähnen, dass sich bei einem dieser Cretins deutlich das Chvo-
stek’sche Facialisphänomen auslösen liess.
Eine Aenderung im bisher geübten Operationsverfahren wird
durch die vorliegenden Beobachtungen wohl nicht nötig werden;
wir werden nach wie vor die Totalexstirpation, wenn dies nur
irgendwie angeht, vermeiden und dafür Sorge tragen, dass ein nicht
zu kleines, wo möglich nicht stark aus der Umgebung gelöstes,
genügend ernährtes Stück des Kropfes oder noch besser des nor-
malen Drüsengewebes zurückbleibt.
Beiträge zur Kenntnis der Tubo-
Ovarial-Oysten
von
Dr. Alfons von ßostliorn,
Professor der Gynäkologie und Geburtsliülfe in Prag.
Mit Tafel VIII und 15 Holzschnitten.
Seitdem mir Gelegenheit geboten war, die entzündlichen Ver-
änderungen der Gebärmutteranhänge etwas eingehender kennen
zu lernen, hatte mich bei der verhältnismässigen Häufigkeit jener
Gebilde, die man gemeinhin als »Tuboovarialcysten« zu be-
zeichnen gewohnt ist, die Frage, wie diese ihre Entstehung nehmen,
wiederholt beschäftigt. Die Beantwortung derselben war nicht so
einfach durchzuführen, als man von vornherein vermuten sollte. Erst
eine Reihe von Detailbeobachtungen, vor allem das Antreffen von
entsprechenden Präparaten aus den Anfangsstadien konnte zu
endgültigen Schlüssen in dieser Richtung führen.
Das Material für die anzuführenden Beobachtungen habe ich
als Assistent an der Frauenklinik Professor Chrobak’s im Laufe
mehrerer Jahre gewonnen; ausserdem verdanke ich einige schöne
Präparate der besonderen Liebenswürdigkeit meines hochverehrten
Lehrers, da dieselben seiner Privatpraxis entstammen, sowie meines
verehrten Freundes, des Herrn Professor Richard Paltauf, der
durch Ueberlassung des lehrreichen Falles Nr. 5, welcher dem
Materiale des Wiener pathologisch - anatomischen Institutes ent-
nommen ist, meine Arbeit auch diesmal wesentlich gefördert hat.
— Beiden sage ich hiemit besten Dank. —
Ich habe mich in dem folgenden mehr auf die Anatomie
der Tuboovarialcysten beschränkt und Klinisches, insbesondere
Krankengeschichten u. dgl. weggelassen.
Durch diese Veröffentlichung soll eine Ergänzung zu jenen
andeutenden Bemerkungen geboten werden, von welchen meine
Beitrüge zur Kenntnis der Tubo-Üvarial-Cysten.
395
Demonstrationen am vorjährigen Gynäkologen-Kongresse zu Bonn
begleitet waren, indem ich die eingehende, anatomische Beschrei-
bung der von mir gezeigten einzelnen typischen F ormen und meine
eigene Anschauung über die Entstehungsweise dieser Geltilde, wie
sie sich mir auf Grund nun mehrfacher Beobachtungen überzeugend
aufgedrängt hat, folgen lasse.
Seitdem Richard in den 50er Jahren diese ganz eigentüm-
liche Verbindung zwischen Eileiterlichtung und dem Hohlraume
von Eierstockscysten in mehreren Mitteilungen, sjteziell auch zu-
sammen mit Labbe beschrieben, und damit den Begriff der Tubo-
ovarialcyste geschaffen hat, wurde das \^orkonnnen dieser Gebilde
durch einzelne Beobaclitungen, insbesonders aus der letzten Zeit,
wiederholt bestätigt. Nach Kl ob soll es jedoch keinem Zweifel
unterliegen, dass Blasius bereits im Jahre 1834 in seiner, »de
hydrope ovariorum profluente« betitelten Arbeit einen hierher ge-
hörigen Fall erwähnt habe.
Der Besclireibung seiner 11 Fälle hat Ad. Richard bereits
eine Theorie der Genese angefügt, welche als sog. »Ovulations-
Theorie« weitergeführt wurde. Dieselbe hat zur Voraussetzung
die physiologische Annahme, dass zur Zeit der Ovulation der Ei-
leiter mit seinen Fransen den Eierstock umgreife, um beim Platzen
des Graaf’schen Bläschens das ausgestossene Eichen in Empfang
zu nehmen. Mit diesem physiologischen Akte müsse sich ein
pathologischer Vorgang kombinieren, um zur Bildung einer Tubo-
ovarialcyste zu führen. Der Follikel, der als krank bezeichnet
wird, dürfe sich nicht schliessen, er müsse weiter secernieren ; nur
so könne es zur Verwachsung von Fimbrien mit der geborstenen
Follikel wand kommen.
Diese Hypothese ist in der Art, wie sie von Richard aus-
gesprochen wurde, nicht haltbar. Eine zweckmässige Umklam-
merung des Eierstockes seitens des Pavillons zur Ovulationszeit,
wie selbe zuerst von Baer in seiner Entwickehmgsgeschichte (1837)
gelehrt wurde, hat durch keine Beobachtung Bestätigung gefunden.
Diese aber zugegeben, findet sich ein Widerspruch in dem anato-
mischen Verhalten, indem die Fimbrien nach der Erfahrung Aller
regelmässig an die Innenfläche der Cysten zu liegen kommen,
statt, wie nach jener Annahme zu vermuten wäre, sich an der
Aussenseite derselben vorzufinden.
Eine wesentliche Förderung hat die Lehre von den Tubo-
ovarialcysten durch Rokitansky im Jahre 1859 erfahren, indem
b Siehe LitteraturzusamiuenstelUmg am Schlüsse.
396
Alfons von Rosthoni.
derselbe im Stande war, die cystisclie Degeneration des Corpus
luteum nachzuweisen und auf Grund von zwei Beobachtungen die
Entstehung jener abnormen Verbindung zwischen Eierstock und
Eileiter mit dem Ovulationsprozesse in Zusammenhang zu bringen.
In beiden Fällen handelte es sich um kleinere, dickwandige Cysten
des Eierstockes — die grössere erreichte nur Walnussgrösse —
deren Innenfläche pigmentiert erschien. Die Tube mündete mit
erweitertem Pavillon ein und bildete der ganzen gemeinsamen
Cyste. Die zarten, atrophischen Schleimhautfalten fanden sich an
der Innenfläche auseinanderweichend und die Enden der Fransen
waren als kleine Wärzchen erkenntlich.
Diese Lehre Rokitansky ’s wurde, nachdem dieselbe in sein
vielverbreitetes Lehrbuch aufgenommen worden war, von Seiten
der Zeitgenossen wohl gewürdigt — sie findet sich z. B. noch in
der 5. Aufl, von Scanz oni’s Lehrbuch (1875) als einzige Erklärungs-
art für die Genese der Tuboovarialcysten — doch scheint sie mir
in der Neuzeit viel zu wenig berücksichtigt worden zu sein. — In
den neueren ELand- und Lelnhüchern vermissen wir dieselbe ent-
weder gänzlich oder wir finden dieselbe zu wenig hervorgehoben.
Man brachte in der damaligen Zeit den klinischen Erschei-
nungen mehr Interesse entgegen als den anatomischen Formen
und so erklärt es sich , dass die wenigen und auch dürftigen ca-
suistischen Mitteilungen über diesen Gegenstand mit »Hydrops
tubae profluens« überschrieben sind. So wird diese von Blasius,
Sachse und Kiwis ch zuerst beschriebene Erscheinung auf das
Vorhandensein von beiderseitigen Tuboovarialc^’sten von Hennig
gelegentlich eines in der Leipziger gehurtshilflichen Gesellschaft
am 19. Oktober 1860 gehaltenen Vortrages und in seinen späteren
Publikationen zurückgeführt. Letzterer bezeichnet diese Form
als »Hydrops ovariotubaris«, ohne eine eingehende Schilderung der
anatomischen Verhältnisse zu geben. Er beschränkt sich vielmehr
darauf, zu konstatieren, dass die beiden Eileiter mit ihren E"ransen-
enden dergestalt in Ovariencysten eingeschmolzen sind, dass die
Grenze nur durch einen einspringenden Ring angedeutet blieb. —
Doch bringt er bereits gute Beschreibungen des Hydrops tubae
saccatus.
In seiner zur damaligen Zeit (1864) Aufsehen erregenden
pathologischen Anatomie der weiblichen Sexualorgane schliesst
sich Kl ob ganz den Anschauungen Richard ’s und Rokitansky’s
an. Er hat die gleichen Formen wiederholt beobachtet und glaubt,
dass die Entstehung derselben mit dem Ovulationsprozess in Zu-
sammenhang zu bringen sei. Doch meint er, dass immerhin auch
Beiträge zur Kenntnis der Tubo-Ovarial-Cysten.
397
an die Möglichkeit der 13erstung einer aus dem CorjDUs luteum
liervorgegangenen Ovarialcyste in das angelötete Tubareiide ge-
dacht werden müsse. Auffallend erscheint es ihm auch, dass der
dem Eierstock angehörige Teil der Cyste immer der bei weitem
p-rössere ist.
Eine ganz neue Richtung in der Lehre von der Genese der
Tuboovarialcysten war gegeben durch die zunehmenden Kennt-
I nisse von den Entzündungen des Beckenbauchfells und »von der
Bedeutung der Residuen derselben, der perimetralen Adhäsionen.
Wenn auch einzelne Eorscher, so z. B. Panck^) sich damals
gegen die entzündliche Entstehung dieser Adhäsionen aussiDrachen,
so hat doch immer mehr die Anschauung festen Fuss gefasst,
dass diese abnormen Verklebungen und ^’'erwachsungen der Becken-
organe untereinander die Folge von Tubenkatarrhen sei und dass
' diese Adhäsionsbildung sekundär grossen Einfluss auf die Gestal-
tung und Lage insbesonders der Gebärmutter und ihrer Anhänge
I nehmen müsse. So trat denn auch G. Veit mit ziemlicher Be-
stimmtheit dafür ein, dass bei der Entstehung der Tuboovarial-
cysten der Katarrh der Tube und des F ollikels den Ausgangspunkt
bilde, so zur Verlötung beider Nachbarorgane führe und es erst
, sekundär zu einer Kommunikation zwischen den sich bildenden
Säcken komme. Diese sog. »Katarrhtheorie« von Veit bildete
nunmehr die Grundlage für alle weiteren Untersuchungen in dieser
Richtung.
Ich unterlasse es, alle seither über diesen Gegenstand er-
schienenen kasuistischen Mitteilungen aufzuzählen. Dieselben sind
allerdings nicht zahlreich, immerhin häufen sie sich in der letzten
* Zeit, seitdem man diesen Gebilden mehr Aufmerksamkeit zuge-
^ wendet und gelernt hat, auch kleinere Geschwülste der Gebärmutter-
anhänge, ohne grosse Gefahren für die Trägerin, zu entfernen. —
Ich will in dem Folgenden nur jene herausgreifen, welche ent-
/ weder genauere anatomische Details oder Momente brachten, die
: für die Genese der Tuboovarialcysten verwertbar erscheinen. —
' Desgleichen übergehe ich einige ganz alte Publikationen. Die sehr
schwierige Beschaffung dieser Litteratur steht in keinem Verhältnisse
' zu dem daraus \Trwertbaren. Die Beschreibungen der Präparate
j sind zumeist vollkommen unzulänglich und soGel sie ausnutzbar
I erschienen, sind dieselben in der gleich zu besprechenden Arbeit
von Burnier, in der die gesamte Litteratur bis 1880 zusammen-
gestellt ist, in Betracht gezogen worden.
*) Monatsschr. f. Geb. -Kunde, 18b”2, 19. Bd., p. 472.
398
Alfons von Rosthorn.
Schröder, ohenbar nicht befriedigt durch die bis damals
gangbaren, genetischen Erklärungen, liess dieses Thema in jenem
Jahre durch ßurnier neu und grundlegend bearbeiten, resp.
auf Grund von sorgfältiger anatomischer, und zw. auch mikro-
skopischer Untersuchung eines durch Operation gewonnenen Prä-
parates eine eigene Theorie für die Entstehung der Tuboovarial-
cysten aufstellen, die seither in alle Lehr- und Handbücher auf-
genommen wurde.
Ich kann anderen nicht beistimmen, wenn sie behaupten,
dass diese Erklärungsart Sehr öd er ’s eine so komplizierte, ge-
künstelte sei. Sie unterscheidet sich auch nur in Wenigem von
anderen Theorien. Stets wird von ihm die überstandene Perime-
tritis als Grundlage für die Entstehung dieser Anomalie (wie von
anderen) angesehen. Er stützt seine Lehre doch im Wesen auf
die Veit 'sehe und verwirft jene Richard ’s.
Als gekünstelt kann nur das Auseinanderweichen der schon
verwachsenen Fransen des Pavillons bezeichnet werden. Doch die
Beobachtungen, wie die Atresie der Eileiter zu stände kommt,
und jene Fälle, bei welchen noch flottierende Fimbrien im Cysten-
raume vorgefunden wurden, lassen jene Annahmen nicht von vorn-
herein zurück weisen.
Das Zustandekommen einer Kommunikation erklärt Burnier
folgendermassen : Die regelmässige Folge der Perimetritis sei der
Verschluss des Ostium abdominale tubae. Derselbe geschehe so,
dass die Fimbrien, da sie nicht mit ihrer Cylinderepithelfläche
verwachsen können, umgestülpt werden und sich mit ihren Serosa-
flächen aneinanderlegen. Dadurch komme es zur Anstauung des
Tubensekretes, zur Bildung einer Hydrosalpinx. Bei Steigerung
der Sekretion entwickle sich ein grosser cystischer Tubensack. —
Durch die Perimetritis war aber zugleich auch eine Anlötung des
Pavillons an die Oberfläche des Eierstockes gegeben ; befindet sich
nun an dieser Verwachsungsstelle ein reifer Follikel, so wird dessen
Platzen unmöglich gemacht und dadurch die Entstehung eines
Hydrops folliculi gefördert, bei dessen zunehmender Ausdehnung
das übrige Eierstocksgewebe immer atroiDhischer wird und endlich
dem vollkommenen Schwunde anheimfallen kann. Bei dieser
Ausdehnung kommt die Oberfläche der Cyste in weiterem Um-
fange mit dem angewachsenen Tubensacke in Berührung. Die
trennende Wand wird bei der gesteigerten Sekretion immer mehr
gedehnt, verfällt endlich der Resorption und die Kommunikation
ist in einem bestimmten Masse hergestellt. Die Fimbrien werden
aber bei diesem Prozess wieder frei, kehren in ihre alte Lage
Beiträge zur Kenntnis der Tubo-Ovarial-Cysten.
399
zurück und kommen dadurch in die Flüssigkeit des hydropischen
Follikels zu flottieren. Sie legen sich durch den Druck innerhalb
der nunmehr gemeinsamen Höhle an die Innenfläche der Cysten-
wand an, verwachsen mit dieser und strecken sich entsprechend
einem noch späteren Wachstume der Follikularcyste in die Länge,
so dass sie sich manchmal am entgegengesetzten Cystenpole noch
begegnen.
Die Fälle Rokitansky ’s, Hildebrandt’s und Hennig’s bringt
Burnier nun mit seiner Theorie in Einklang, indes er die übrigen
Fälle der Litteratur als zu wenig genau beschrieben nicht zu ver-
werten im Stande ist. Der einzige Fall von Blasius passt nicht
in sein Schema, indem bei jenem die Fransen an die Aussenseite
der Cyste zu liegen kamen.
Die Folgezeit brachte eine ganze Reihe wertvoller Detail-
beobachtungen, von denen ich besonders die Dissertationen von
Wachsmuth, Reboul, Lober, die Archivarbeiten von Runge-
Thoma und Schramm-Neelsen, den Vortrag von Kötschau,
von ausländischen Publikationen jene von Do ran, Griffith und
Terillon erwähnen möchte. Alle fügen der Beschreibung eines
bestimmten Falles kritische Bemerkungen über die bestehenden
Theorien und eigene Mutmassungen über die Entstehung der
Tuboovarialcysten an. Fast alle sprechen sich vollkommen über-
einstimmend dahin aus, dass diese Gebilde genetisch auf entzünd-
liche Zustände der Gebärmutteranhänge zurückzuführen seien.
Doran legte der Londoner pathologischen Gesellschaft eine ganze
Reihe von Präparaten vor, die alle Stadien der Umwandlung von
entzündeten Gebärmutteranhängen in Tuboovarialcysten erkennen
Hessen und tritt zum Schlüsse mit aller Energie dafür ein, dass
letztere nur auf entzündlicher Basis entstehen, eine Ansicht, welche
auch von Lawson Tait geteilt wurde. — Griffith kommt auf
Grund seiner Beobachtungen zu dem Resultate, dass das Primäre
in der Regel eine entzündliche Fixation des Tubentrichters an den
Eierstock, die Erweiterung des Eileiters und Cystenbildung im
Eierstock sekundäre Vorgänge darstellen. In dem Falle von
R u n g e - T h o m a ist der Anteil an der Cystenwandung seitens des
Eierstockes der kleinere und entspricht die Kommunikationsöffnung
nicht dem Ostium abdominale der Tube. Auch diese Autoren
nehmen den Verschluss des letzteren als das Primäre, den Hy-
drops tubae, die Verlötung dieses mit dem Ovarium und die
consecutive Entwickelung einer Follikularcyste als das Sekundäre
an. Terillon führt in seinem interessanten Falle die Entstehung
der einen Zeigefinger durchlassenden Kommunikationsöffnung auf
400
Alfons von Kosthorn.
Durchbruch von \"egetationen der Ovarialcyste, analog den Beob-
achtungen Sin ety ’s, zurück. Für andere Fälle möchte er die Er-
klärungsweise Rokitansky ’s, wie selbe auch Spencer Wells
in seinem bekannten Werke über die Eierstockserkrankungen accep-
tiert hat, aufstellen, und so die Entstehung der Tuboovarialcysten
mit der Entwickelung der Corpusluteumcyste in Verbindung bringen.
Gegen die Burnier’sche Lehre kehren sich fast alle Forscher,
die sich mit dem Studium einzelner Fälle beschäftigt haben, ganz
besonders in neuerer Zeit Kö tschau und Schramm-Neelsen.
Ersterer nimmt auch an, dass in dem von ihm beschriebenen Falle
die Cyste sich nach Verschluss des Ostium abdominale tubae ge-
bildet hat. Gleichzeitig liegen Reste entzündlicher Vorgänge vor.
Die Fimbrien sind fast ganz geschwunden, nur in Andeutungen
erhalten. Für die komplizierte und gewagte Hypothese Burnier’s
müsse die Präexistenz einer fötalen oder acquirierten Ovarialtube
vorausgesetzt werden. Wertvoll aus seinem Befunde ist der Nach-
weis von Muskelfasern in den Residuen der Fimbrien. Aufschluss
über die Genese gewinnen wir aus seinem Vortrage aber auch
nicht. — So ganz einfach und gleichartig gestaltet sich der Vor-
gang nicht, wie dies aus der nachfolgenden Darstellung erhellen soll.
In den Fehler, für die Entwicklung aller Fälle den ganz
gleichen genetischen Modus vorauszusetzen, verfallen auch Schramm
und Ne eisen. Sie stellen am Schlüsse ihrer kurzgefassten Dar-
stellung der klinischen und anatomischen Verhältnisse folgenden
Satz auf: »Wir glauben es aussprechen zu dürfen, dass alle in
neuerer Zeit beobachteten und genau beschriebenen Tuboovarial-
cysten in ihrer Entstehung gl ei chm äs sig durch den geschilderten
Vorgang erklärt werden können , dessen Beschreibung wir kurz
in folgende Worte zusammenfassen: Eine Tuboovarialcyste , d. h.
eine Cyste, deren Wandung zum Teile aus Tubenschleimhaut, zum
Teile aus Ovarialgewebe besteht, bildet sich, wenn bei entzünd-
lichem Tubenhydrops das periphere Tubenende infolge einer
Knickung der Tube mit klappenartigem Verschlüsse ihrer
Höhlung in Gestalt einer von der übrigen Tube getrennten Cyste
erweitert wird und mit dem Ovarium verwächst, durch Schwund
der verdünnten Tubenwandung an der Verwachsungsstelle.«
Durch allmähliche Erweiterung des Cystensackes der Tube
wh’d nach Schramm-Neelsen auch das Ovarium ausgezerrt und
kann schliesslich so platt der Aussenfläche der hydropischen Tube
anliegen, dass es als solches kaum mehr kenntlich ist. Der
grosse Hohlraum, dessen Wandung von den Rudimenten der Fim-
brien innen austapeziert ist, wäre demnaeh stets nur Tube. Vom
Beiträge zur Kenntnis der Tubo-Ovarial-Cysten.
401
Ovarium können eventuell später cystisch entartete Follikel in
denselben perforieren. Die starke Ausdehnung des ampullären
Tubenabschnittes sei durch eine Knickung bedingt.
So bescheiden der Schlusssatz dieser beiden Autoren aucli
abgefasst ist, so lässt er sich doch leicht anfechten und durch
Präparate widerlegen. Das Anfechtbare liegt in dem Generali-
sierungsprinzipe. Dass nach jenem Modus Tuboovarialcysten ihre
Entstehung nehmen können, ist nicht anzuzweifeln. •
Ich möchte bei dieser Gelegenheit mit Rücksicht auf diese
Erklärungsart nur anführen, dass die auch bedeutende hydropische
Ausdehnung des ampullären Tubenabschnittes durchaus nicht
immer die Form und Lage des Eierstockes zu beeinflussen braucht.
Im Gegenteile : nicht nur bei kleinen Hydrosalpinxformen, sondern
auch bei den mächtig aufgetriebenen, hydropischen Tubensäcken
bis zu Kindskopfgrösse lässt sich zumeist der Eierstock in Form
und Lage als unverändert nachweisen.
Es erscheint ferner bei der Schramm-Neelsen’schen An-
nahme das vollständige, gieichmässige Aufgehen des Eierstockes
in der Tubensackwandung, ohne dass an der Konfiguration der
Cyste h’gend etwas bemerkbar wäre, was auf die ursprünglich
seitliche xVnlagerung des Eierstocks hinweisen würde, auffallend.
Andrerseits wissen wir wohl auch, welchen Grad von Dünn-
heit die Wandung einer Follikelcyste erreichen kann. Sie kann
vollkommen jener beim Hydrosalpinx gleichkommen, so dass es
dann sogar schwer werden kann, selbst mit dem Mikroskope eine
Entscheidung mit Rücksicht auf die Genese der Cystenwandung
zu treffen. — Das Epithel kann bei beiden zu einem platten ge-
worden sein, die charakteristischen Befunde einer Muskelschichte,
einer ovigenen Schichte können fehlen und der histologische Be-
fund uns so im Stiche lassen.
Höchst wertvoll erscheint mir die der letzten Zeit entstam-
mende Beobachtung Gottschalk ’s. Dieser demonstrierte am
13. März des vorigen Jahres in der Berliner geburtshilflichen Ge-
sellschaft eine einkämmerige , orangegrosse Cyste, welche in ihrer
dünnen Wandung vom eigentlichen Eierstocksgewebe nichts mehr
auffinden liess. In diese ragte die Ampulle des nur wenig ver-
änderten Eileiters hinein und zwar so, dass dieselbe wie von
der Cystenwand umschnürt erschien , auch thatsächlich von
dieser von aussen rings umwachsen war. Die Fimbrien waren
auch hier in die Ovariencyste hineingeschlagen. — Man muss für
diesen Fall Gottschalk vollkommen beistimmen, wenn er an-
nimmt, dass hier das Primäre nicht in der Erkrankung des Ei-
•2t)
402
Alfons von Eosthorn.
leiters gesucht werden kann, und er für diese Formen die Erklä-
rung von Schramm-Neelsen unbedingt verwirft.
Auf Grund des Vor aus ge schickten lässt sich fol-
gendes nun übereinstimmend feststellen:
1) In allen sorgfältiger beobachteten Fällen von Tuboovarial-
cysten wurde das Vorhandensein von Perimetritis resp. von Re-
siduen einer abgelaufenen, umschriebenen Entzündung des Becken-
bauchfells, die sich in Form von Adhäsionen und Verwachsungen
der einzelnen Organe des Beckens untereinander manifestieren,
nachweisen.
2) Es lässt sich daher die Entstehung jener Gebilde immer
auf entzündliche Vorgänge des Beckenbauchfells und der Gebär-
mutteranhänge zurückführen. Ob das Primäre' in einer Erkran-
kung der Eileiter, das Sekundäre in jener des Bauchfells und des
Eierstocks zu suchen ist, lässt sich nach den gemeinsamen Be-
obachtungen nicht mit absoluter Sicherheit feststellen, aber nach
unseren heutigen Erfahrungen als das AVahrscheinlichste anneh-
men. Damit erscheint dieVeit’sche Theorie allgemein acceptiert.
3) In allen Fällen fanden sich die Reste der Fransen und
Falten des Pavillons an der inneren Fläche der Cyste vor. Die
einzige Ausnahme bildet der Fall von Blasius. Da jener Beobach-
tung sämtliche sorgfältig beschriebenen Fälle der letzten Jahr-
zehnte entgegengehalten werden können, so ist ein Zweifel an deren
Richtigkeit berechtigt. Diese Lage der Fimbrienreste kann nur
so erklärt werden, dass in die geplatzte Eierstockscyste durch die
Rissstelle der Pavillon des schon vorher angelöteten Eileiters in die
Höhle des ersteren hineingeschlüpft ist oder so, dass der hoch-
gradig erweiterte Eileiter mit der Cyste derart in Kommunikation
getreten ist, dass beide Hohlräume ineinander übergehend eine
Abgrenzungslinie nicht mehr erkennen lassen, die verbindende
Lücke die A¥eite des ganzen Cavums erreicht hat.
4) Nur betreffs der Entstehungsart der Kommunikation stehen
sich zwei Ansichten gegenüber. Die einen nehmen eine Perfo-
ration der trennenden Membran durch Druckatrophie an; die an-
dern das Hineinschlüpfen des Pavillons in den geplatzten Follikel.
Ich glaube, dass es richtig ist anzunehmen, dass Tuboova-
rialcysten auf beide Arten ihre Entstehung nehmen können, möchte
aber, wie schon eingangs erwähnt, die letztere Erklärung mehr
hervorgehoben wissen. Die Beobachtungen R o k i t a n s k y ’s, Gott-
schalk’s und endlich der von mir im folgenden unter Nr. 5 be-
schriebene Fall sprechen unzweifelhaft für diesen Alodus der Ge-
nese. Man kann sich nun vorstellen, dass dies nur Anfangsstadien
Beiträge zur Kenntnis der Tubo-Ovarial-Cysten.
403
seien. Im weiteren Verlaufe, bei langem Bestände kann daraus
ein Stadium resultieren, welches das typische Verhalten des Hydrops
ovariotubaris zeigt, ganz analog wie aus einer entzündlich affizierten
, Tube mit dickeren Wandungen schliesslich die dünnwandige Blase
des Hydrosalpinx infolge von Druckatrophie werden kann. Damit
wären dann alle Schwierigkeiten der Erklärung des Umstandes,
wie die Fimbrienreste an die Innenfläche der Ovariencyste zu liegen
kommen, ein für allemal beseitigt.
Ich habe schon in Bonn gelegenthch meiner Demonstration
darauf hingewiesen, dass unter dem Sammelnamen »Tuboovarial-
cyste« morphologisch ganz ungleichwertige Formen zusammen-
geworfen worden sind, so dass zunächst in anatomischer Beziehung
eine Sichtung notwendig ist.
Man muss einen weiteren und engeren Begriff für alles das,
was unter jener Bezeichnung geführt wird, aufstellen. Danach
setzt man für ersteren nur überhaupt eine Kommunikation zwischen
einem Hohlraum im Eierstocke mit der Eileiterlichtung voraus.
Für letzteren muss als Bedingung angenommen werden, dass an
dem Aufbau der Cyste sowohl Eierstock als Eileiter thatsächhch
teilnehmen , der gemeinsame Hohlraum demnach sowohl vom
cystisch veränderten Eierstock als von der Tubensackwandung
begrenzt werde und das Ganze den Eindruck nur einer Cyste
gewähre.
Meiner Ansicht nach wären in die I. Gruppe (also Tubo-
0 varialcy sten im weiteren Sinne) der Genese nachfolgende
Formen einzureihen:
1) Schwere Gonococcen- oder Streptococcen-Salpingitis, conse-
cutiv Perisalpingitis, Atresie der Tube: Pyosalpinx. Gleichzeitig
Oophoritis, Pyovarium, Perioophoritis. — Endlich Perforation
der Scheidewand zwischen den beiden Eiterhöhlen infolge eitriger
Einschmelzung jener. — (Eigene Beobachtung, Fälle von Martin,
Ortmann u. s. w.)
2) Echte, glanduläre Ovarialcyste (Waldeyer). Vereiterung des
Inhalts durch Infektion auf dem Wege der Blutbahn. Perioopho-
ritis mit Anlötung des Pavillons und konsekutiver Atresie der Tube.
Hydrops tubae. Perforation der Cyste in den Tubensack. Entlee-
rung des Cysteninhaltes durch Eileiter und Gebärmutter nach
aussen. Klinische Erscheinungen des Hydrops ovarii profluens.
(Eigene Beobachtung, Hildebrandt, Olshausen.)
3) Echte Ovarialcyste mit papillären Excrescenzen. Diese
letzteren durchbrechen die Cystenwandung an einer Stelle, an der
die hydropische Tube an der Oberfläche des Eierstocks angewachsen
404
Alfons von Rosthorn.
war. Herstellung einer Kommunikation zwischen beiden Hohl-
räumen, Wucherung der Excrescenzen in die Eileiterlichtung. (Fall
Terill on’s.)
In die II. Grupj^e, also eigentliche Tuboovarial-
cy steil im engeren Sinne des Wortes, wären zu stellen:
1) Jene Fälle, bei denen ein Hydrops tubae mit einem Hy-
drops folliculi in Verbindung getreten ist. Der Genese nach pri-
märe Perimetritis, die zur Atresie der Tube und Anlötung des
Pavillons an die Oberfläche des Eierstockes führt. Hydrops tubae
als Folge. Durch die gleichzeitig vorhandene Perioophoritis Hy-
drops folliculi. Druckatrophie der dünnen Scheidewand an der
Verlötungsstelle, allmähliche Erweiterung jener Kommunikations-
öflnung, deren Lage aussen als Ringfurche angedeutet bleiben
kann. — (Hydrops ovariotubaris Hennig’s.) (Eigene Beobachtungen.
Fälle von Griffith, Runge-Thoma, Schramm-Neelsen, Kötschau,
Burnier, Doran.)
2) Gelegentlich des Ovulationsprozesses schlüpft die vorher
katarrhalisch erkrankte Tube in den geplatzten Follikel. Der
Pavillon verwächst mit der Follikelwandung und es entwickelt
sich eine Corpusluteumcyste. (Eigene Beobachtung. Fälle von
Rokitansky, Klob, Gottschalk.)
Eigene Beobachtungen.
Zur Gruppe I. 1.
1) (Fig. 1.)^) Linksseitige, orangegrosse Ovarialcyste von runder
Gestalt und glatter Oberfläche. Das untere Ende des grossen Netzes
an die vordere Fläche der Cyste angewachsen. Wandung bis 6 mm
dick, derb, fibrös, Ovarialgewebe, zahlreiche plattgedrückte Fol-
likel. Die Innenfläche rauh. Die eigentliche Cystenwand dünn,
von dem dieselbe umgebenden Eierstocksgewebe leicht ablösbar.
An einzelnen Stellen der Innenfläche nischenartige Vertiefungen
und Buchten («). In einer derselben eine stecknadelkopf grosse
Perforationsöflnung (p). lieber diese Cyste nun verläuft im Bogen,
mit mehrfachen Windungen, der schön geblähte, geschlossene Ei-
leiter. Dessen atretisches Bauchfellende steht durch jene oben
erwähnte Perforationsöffnung mit dem Hohlraume der Cyste in
Verbindung. Bei leisem Druck auf die Tube schwillt die Cyste
an und umgekehrt. Der Inhalt beider kommunizierender Räume
') Sämtliche Präparate stammen aus der Klinik oder Privatpraxis des Herrn
Prof. Chrobak.
Beiträge zur Kenntnis der Tubo-Üvarial-Cysten.
405
ist dünner Eiter. Die Eileiterwandung verdickt. Die Verände-
rungen analog jenen bei Pyosalpinx.
Es handelt sich
hier demnach um ei-
nen Eiterungsprozess,
der zur Perforation der
Zwischenwand und so
zu dieser abnormen Ver-
bindung geführt hat.
2) (Fig. 2.) Echter
Pyosalpinx und Pyova-
rium. Perforation infolge
des Eiterungsprozesses.
Die Kommunikations-
Öffnung bedeutend wei-
ter als im vorigen Falle.
Der kranke Eileiter und
der gleichzeitig er-
krankte Eierstock sind
durch den auf das
Beckenbauchfell über-
greifenden, schweren
Entzündungsprozess zu einer untrennbaren Masse verbunden, ein
bei der ascendierenden G-onorrhoe ausserordentlich häufiger Be-
fund. Die Wandungen des
Fig. 1. Die Cyste aufgeschnitten , um Einblick zu
gewähren. — Erklärung: tu— uterines Tubenende,
ta = abdominales Tubenende, cw = Cystenwandung
mit Follikeln, n = die besprochene Nische, p = Per-
f or ati on söft'nu n g.
Eileiters hochgradig verdickt,
sclero tisch ; die Schleimhaut,
besonders im abdominalen Ab-
schnitt zerstört, einer Abscess-
membran ähnlich. (Salpingitis
interstitialis.) Schwere Pelveo-
peritonitis.
Ich unterlasse es , eine
weitere Zahl von Beobachtun-
gen dieser Art hier anzuführen,
wie solche bei der heute aus-
geführten Menge von soge-
nannten Adnexoperationen
nicht schwierig zu gewinnen
sind, mid begnüge mich da-
mit, diese beiden,
angeführt zu haben.
Fig. 2. Längsschnitt durcli das betreffende
Präparat, t = Tube. Ov = Ovarium. c =
Follikelcyste, etwas platt gedrückt, p = Per-
forationsöffnung.
ziemlich typisch wiederkehreiulen Befunde
406
Alfons von Rosthorn.
Fig. 3. Einmündung der Tube in die rechtseitige Ovarialcyste. Gitterartiges
Aussehen der Cysteninnenfläche. Strahlenfigur der innen ausgebreiteten Fimbrien.
Zur Gruppe I, 2.
3) Beiderseits über kindskopfgrosse Ovarialcysten
mit dem amputierten, myomatösen Uterus.
Die Cystenwand derb, aus fibrösem Gewebe aufgebaut, 1 mm
dick. Die Innenfläche sehr uneben, rauh, von grubigen Vertiefungen
unterbrochen, welche dem Ganzen ein gitterartiges Gepräge ver-
leihen und auf abgelaufene Entzündungen der Cystenwand hin-
weisen. Das Ligamentum ovarii beiderseits erhalten. Das Par-
ovarium durch Pseüdomembranen gedeckt, nur auf einer Seite im
durchfallenden Lichte erkennbar. Die Aussenfläche der Cysten
von einem Strickwerk von zerrissenen Adhäsionen bedeckt.
Beide Eileiter gestreckt verlaufend, nur der linke die Normal-
länge um 2 cm überschreitend. Lichtung desselben bedeutend
erweitert, stellenweise 3 cm Umfang. Uterinenden ziemlich nor-
mal, die Erweiterung allmählich gegen das Bauchfellende zuneh-
Beiträge zur Kenutiiis der Tubo-Ovarial-Cysten.
407
mend, so dass der linke Eileiter unmittelbar vor Einmündung in
die Cyste 5 cm Umfang gewinnt. Dicke der Wandung bis zu
2 mm. Die Schleimhaut wenig geschwellt, die Farbe derselben im
Alkoholpräparat noch einen Stich ins Gelbliche zeigend, die Falten
leistenförmig, stark vorspringend.
Die Einmündung der rechten Tube in den Cystenraum (Fig. 3)
in Form eines Querspaltes von V/-i cm Breite. Ausbreitung der Fim-
brien schön radiär, strahlenförmig an der Innenwand der Cyste.
Zwischen den stark vorspringenden, bis zu 2 cm langen Resten
der Fimbrien narbig aussehendes, starres Gewebe der Cystenwand,
wodurch sich erstere noch viel schärfer abheben und auch farblich
contrastieren. Einmündung der linken Tube in die Cyste (Fig. 4)
dieser Seite fast kreisrund. Durchmesser der Oeffnung 3 cm. Diese
scharfrandig begrenzt. Schon die andere Farbe kennzeichnet die
Eileiterschleimhaut von der rein weissen, glänzenden Cystenwand.
Erstere hebt sich an dem Rande in gekräuselten Falten ab. Die
Fimbrienenden ragen umgekrempelt in das Lumen und über den
Rand vor.
Fig. 4. Einnüiiiduiig der linken Tube in die Cyste mittels scharf-
randiger, runder Oeffnung.
Es ist dieser Fall von grossem Interesse; dass unter gleichen
Verhältnissen durch den gewiss für beide Seiten analogen Prozess
so verschiedene Kommunikationsöffnungen geschaffen wm’den,
muss auf fallen. Dass Perforation auf der linken Seite die Ver-
bindung hergestellt habe, erscheint mir als nicht anzweifelbar.
408
Alfons von Rosthorn.
Zur Gruppe II, 1.
4) Eileiter und Eierstock der rechten Seite sind zu einer gemein-
samen Cyste verbunden, die nahezu die Grösse des Kopfes eines
Neugeborenen erreicht hat. Der Eileiter verläuft von der Ab-
tragungsstelle aus eine kurze Strecke ( — 8 cm) ganz gerade, um
sich dann im Winkel in die grosse Cyste einzusenken. Derselbe
zeigt die für Hydrosalpinx charakteristischen Veränderungen, nur
ist er nicht geschlängelt. Seine Wandungen sind papierdünn,
durchscheinend ; seine Höhle erweitert sich allmählich gegen das
Baue ^feilende zu. Die Schleimhaut entsprechend der Atrophie
der gesamten Wandung-
zart , stellenweise kaum
mehr als solche kennt-
lich, serosaähnlich, in
ihrer Färbung sich unter-
scheidend ; deren Fal-
tung verstrichen , oder
nur durch schmale, nie-
dere,parallel verlaufende,
aber auseinander ge-
rückte Leistchen ange-
deutet, Die Einmündung
in die Cyste rundlich,
weit, scharfrandig. Eine
vorspringende Leiste deu-
Fig. 5, Das Präparat von oben gesehen, tu = uterines, diese Stelle innen
ta = abdominales Tubenemle. o = Ovarialgea ebe. ■ schwache Ring-
11 = Ligamentum latum. (Abtragungsstelle.) „ ,
lurche aussen an. Die
Fimbrien als solche nicht zu entdecken, deren Reste als feine
Ausläufer an der Cysteninnenfläche zu finden. Diese Reste präsen-
tieren sich teils als leistenartige Gebilde, welche radiär verlaufend
die Innenwand austapezieren , teils als eigentümlich sternartige
Figuren, teils sind sie sehr in die Länge gezogen und durchqueren
den ganzen Hohlraum bis zum entgegengesetzten Cystenpol,
woselbst sie fixiert sind. (Fig. (5.) — Die früher beschriebene vor-
springende, halbmondförmige Kante entspricht der von den Autoren
beschriebenen Klappe (Kö tschau. Schramm -Ne eisen). Der An-
teil, den die Eierstockscyste an dem Aufbau des ganzen Gebildes
nimmt, ist der weitaus bedeutendere.
Die Oberfläche der weissen, bläulich schimmernden Blase ist
glatt, und hat an mehreren Stellen kleine Tochterblasen auf-
sitzen. Die Wandung ist in der Gegend bei o stark verdickt (Fig. 5).
409
Beiträge zur Kenntnis der Tnbo-Ovarial-Cysten.
Hier findet sich noch Ovarialstroina mit einigen kleinen Follikel-
cysten.
Von der Seite betrachtet gewinnt das Gebilde die wiederholt
beschriebene Retortengestalt und zwar würde die hydropische Tube
Fig. 6. Das auf geschnittene Bräjjarat in nat. Gr. Cyste von innen gesehen an der
Einmündnngsstelle der Tube, ab = scharf vorspringende Seite an der Ueber-
gangsstelle. ff = Reste der Fransen des Pavillons an der Innenseite der Cyste.
dem Retortenhalse, die Cyste der eigentlichen Retortenkugel ent-
sprechen. —
Dieser Fall ist sehr analog dem von Sehr amm-Neelsen
beschriebenen und möchte ich auch den von jenen gegebenen
Entstehungsmodus für denselben beanspruchen. —
Doch giebt es F"ormen von Hydrops ovariotubaris, die ganz das
von Kö tschau gezeichnete Bild wiedergeben und sich nicht in die von
Schramm-Neelsen als typisch bezeichnete einreihen lassen. Solche
habe ich melirfach gesehen. Sie stellen die häufigste Form dar. —
Zur Gruppe II, 2.
5 Wallnussgrosse Corpus-luteum-Cyste von 3 — 4 cm Durch-
messer mit der derben, starren Wand von 3 mm Dicke. Die Innen-
fläche derselben glatt und glänzend. Von dem übrigen Eierstocks-
gewebe unterscheidet sich die Cystenwand auffallend. Im Stroma
mehrere Follikel von Erbsengrösse. Die nur 8 cm lange Tube ist
mit der Oberfläche des Eierstockes in ihrer ganzen Ausdehnung,
besonders aber durch den Ravillon innig verwachsen, fast ver-
’) Dieses Präparat verdanke ich dem üäener pathologischen Institute,
speziell der Güte des II rn. Prof. Dr. Richard Pal tauf, Assistenten am obigen
Institute.
410
Alfons von Rosthorn.
schmolzen zu nennen. Letzterer, bildet mit dem Eierstocksgewebe
eine kontinuierliche Masse. Die Lichtung derselben mündet mittels
querovaler Oeffnung in die Cyste. — Die Uebergangsstelle misst
im Umfange ausgebreitet 2‘/2 cm. — Die Fransen des Pavillons
ragen über die Kante herüber in die Cystenhöhle herein und sind
starr, unbeweglich mit der Cystenw^and verbunden. Die Fimbrien
sind kürzer und plumper als normal, aber in ihrer Form noch er-
halten. Sie bilden an der Innenfläche der Cyste eine kontinuier-
liche Krause, deren Rand nur an einer Stelle durch einige ver-
längerte und weiter hereinragende Fransen unterbrochen ist. Die
Schleimhaut des Eileiters ist entzündlich geschwellt, die übrigen
Konstituentien der Eileiterwand verdickt. Die Tube zeigt nur in
der uterinen Hälfte einige flache Windungen. Die Einmündung
in den Eierstock erfolgt in schwachem Bogen. Die Aussenfiäche
der miteinander verwachsenen Gebilde sind von zahlreichen
Adhäsionen bedeckt. Diese sowohl, als die Verschmelzung beider
Organe zeugen für den abgelaufenen, schwer entzündlichen Prozess
am Bauchfellüberzuge beider. (Siehe Tafel VIII, Fig. 1.) Ich habe auf
dieser Tafel Fig. 2 das Durchshchnittsbild einer kleinen Corpus-
luteum-Cyste in Lupenvergrösserung zur Darstellung gebracht.
Um zu zeigen, dass die Verhältnisse nicht immer so einfach sich
gestalten, als dies einzelne Forscher meinen, habe ich noch die
Beschreibung eines Präparates angefügt, dessen Deutung viele
Schwierigkeiten bereitet. Schon eine klare Darstellung davon zu
geben, fällt nicht leicht. Ich habe mich bemüht, in dem folgen-
den dieser Aufgabe so gut als möglich zu entsprechen.
6) Es findet sich zunächst eine ungefähr mannsfaustgrosse,
glatt- und dünnwandige Eierstockscyste. Ein grosser Teil des
Ovarialstromas ist in Form einer plattgedrückten Masse in der
Cystenwandung erhalten und verdickt dieselbe bis zu 4 mm. —
Der Inhalt ist wasserklar serös. Der entsprechende Eileiter zeigt
so ziemlich normale Länge, ist in der uterinen Hälfte mehrfach
gewunden und verläuft in schwachem Bogen über die Konvexität
des oberen Cystenpols. Derselbe ist im ganzen ödematös aufge-
quollen, die Serosa etwas verdickt, dunkelrot injiciert. Die beträcht-
liche Dickenzunahme des Eileiters ist, wie der Querschnitt lehrt,
hauptsächlich durch die starke Schwellung und Wulstung der
ebenso hochgradig geröteten Scldeimhaut bedingt. Bei dem An-
schneiden fiiesst aus der Lichtung dünnflüssiges, eitriges Sekret
ab. Desgleichen bei leisem Druck. Mesosalpinx und die oberen
Abschnitte des Ligamentum latum frei. Parovarium an typischer
Stelle nachweisbar. Das Bauchfellende des Eileiters ist an die
Beiträge zur Kenntnis der Tul)0-üvarial-Cysten.
411
Oberfläche der Cyste angelötet, zum Teil aber bei der Entfernung
losgerissen. Die Anlötungsstelle ist als ein seichter unebener Trich-
ter kenntlich, in dem die Reste der abgerissenen Fransen deutlich
nachweisbar sind. Diese letzteren plump, geschwollen, und sowie die
ganze Umgebung dieser Stelle dunkelrot gefärbt. Die Serosa von
dünnen Exsudatlamellen bedeckt. In der Tiefe dieses beschrie-
benen Trichters findet sich ein linsengrosser Defekt der Cysten-
wandung, aus welchem eine gefaltete Membran hervorsteht. Die
Ränder dieser Oeffnung sind narbig verändert. Unter dem Trich-
ter ist die Cystenwandung zu einem sehr derben, breiten Ring
umgewandelt, dessen Dimension die Grösse eines Silberguldenstückes
erreicht und der am ehesten einem incarcerierenden Bruchsack-
ringe zu vergleichen wäre. Durch diese Pforte ragt in die Cysten-
höhle eine zweite, walnussgrosse, vollkommen runde Cyste, die
prall gespannt, sehr dünnwandig und an der glatten Oberfläche
von feinen Gefässen durchzogen ist. — Dieser kleine cystische Sack
flottiert frei in der Höhle der grossen. Bei Druck auf ersteren
entleert sich das gleich serös eitrige Sekret wie aus dem Eileiter.
Wie die Abbildung auf Tafel VIII, Fig. 3 zeigt, ist dieser Ring hohl
und steht dessen Höhle in Kommunikation mit dem kleinen Cy-
stencavum. — Der Wandung dieses Hohlringes entlang verlaufen
fimbrienartige Gebilde, welche sich thatsächlich bis an den Pa\dl-
lon des Eileiters in einem Kanäle der Cystenwandung verlaufend
verfolgen lassen. Der Lage nach entsprechen diese zweifellosen
Fimbrien, die bedeutend ausgezogen erscheinen, der Fimbria ovarica.
Wie jene einzelnen Hohlräume miteinander in Verbindung
stehen, kann nur die Zeichnung erläutern, woselbst die Verbin-
dungen durch Sonden markiert sind. —
Es handelt sich hier um eine ganz eigentümliche Verbindung
von Tube und Ovarium und um eine Cyste in einer Cyste. Einen
Einblick in den Zusammenhang dieser verwickelten ^"erhältnisse
zu gewinnen ist mir und einer Reihe von Kollegen, die sich das
Präparat sehr eingehend besehen haben, nicht gelungen. —
Zur Entstellung der Atresie der Tuben.
Mit Rücksicht auf die Lehre Burnier’s war ich bemüht, mir
selbst Klarheit darüber zu verschaffen, wie der Verschluss der
Eileiter zu Stande kömmt. Rollen sich die Fransen thatsächlich
so ein, um erst durch Berührung ihrer Serosaflächen, wie dies
Bur liier beschreibt, miteinander zu verwachsen?
Bei der Durchsicht einer grossen Zahl atretischer Eileiter
liess sich folgendes feststellen:
412
Alfons von Eostborn.
1. Die Fixation der Tube ans Ovarium geschieht durchaus
nicht immer, wie man dies vermuten sollte, mittels des Pavillons.
Der letztere bleibt trotz hochgradiger Perisalpingitis, Periophoritis
und schwerer Veränderungen in der Eileiterwandung häufig ganz
frei. In den die Tube umhüllenden Entzündungsprodukten ist eine
Lücke geblieben, durch welche die Fimbrienenden gleich einer
Rosette hervorragen, wie dies die nebenanstehenden Abbildungen
am besten versinnlichen dürften.
Fig. 7. t = Tube. Ov = Ovarium. oa = ostium abdominale
tubae mit den rosettenartig bervorragenden Fimbrien.
Der Eileiter ist wohl an den Eierstock angewachsen, nur sein
äusserstes Ende mit dem Pavillon ist frei.
Die Neomembranen, welche als Residuen des Exsudates den
Eileiter wie mit einer Kappe überkleiden, enden mit einem scharfen
Rande am Fimbriensaume.
Angaben über diese Verhältnisse kann ich aus der Litteratur
nur wenige, welche jedoch mit meinen Beobachtungen vollkom-
men übereinstimmen, anführen. Rokitansky spricht sich in
dem Kapitel »Erworbener Verschluss des Ostium abdominale
tubae« seines Lehrbuches, das für jeden noch immer eine un-
erschöpfliche Fundgrube der schärfsten Beobachtungen darbietet,
darüber folgendermassen aus : »Die Verwachsung des gefransten
Randes des Ostium geschieht von der Peritonealfläche her, so dass
die Fransen einwärts gestülpt und das Tubenende abgerundet und
aussen glatt erscheint. Dabei ist die Tube gemeinhin in einer
regelwidrigen Lage durch Adhäsionen fixiert (jDseudomembranöse
Adhäsion).« — Als ätiologisches Moment für die Anomahen dieser
Verbindung nennt er puerperale Peritonitis, anomale Reifungs- und
Ovulationsvorgänge im Eierstock und Tubenkatarrh.
Klebs beschreibt jenen Befund in seinem Lehrbuche der
pathologischen Anatomie auch ziemlich analog: »Der ausgefranste
Rand der Tubenmündung hat eine gewisse Neigung zu selbstän-
diger Erkrankung, die mit Cirkulationsstörungen zusammenhängt.
Beiträge /Air Kenntnis der Tubo-Ovarial-Cysten.
413
Auf diese Lokalität beschränkte Entzündungen sind häufig. Der
freie Tubenrand erscheint dann eingeschnürt durch bindegewebige
Neubildungen der serösen Fläche, die Oelfnung verengert oder
auch verschlossen, die Fimbrien selbst in die Höhlung eingestülpt.
In anderen Fällen verwächst der Ring der Fimbrien mit den
Nachbarteilen, namentlich mit der Oberfläche der Ovarien, wenn
dieses gleichzeitig erkrankt ist.«
Endlich äussert sich Kl ob in ganz gleicher und bestimmter
Weise: »Der Verschluss des Abdominalostiums ist die häufigste
erworbene Atresie der Tube, und entwickelt sich entweder aus
einem Tubar-Catarrh, der auf das Peritoneum übergreift, oder aber
aus einer Peri-oophoritis oder Pelveoperitonitis. Dabei sind immer
die Peritonealflächen des Ostiums miteinander verwachsen, und
man findet deshalb die Fransen nach einwärts in die Höhle der
Tuben gerollt, das Ostium demnach trichterförmig eingestülpt,
und in dieser Weise die Verwachsung der Peritonealseite zu Stande
gekommen. Es ist möglich, dass diese Inversio ostii tubarum
abdominalis das Primäre ist und durch einen abnormen Kontrak-
tionsvorgang zu Stande kömmt, worauf sich dann Verlötung der
einander zugekehrten Peritonealflächen entwickelt.«
Ich habe die Ansichten über das Zustandekommen der
Tubenatresie dieser drei gewichtigen Beobachter aus dem Grunde
so weitläufig angeführt, um zu zeigen, dass dieselben nicht nur
untereinander, sondern auch mit den Beobachtungen Burnier’s
und den von mir hier angeführten fast vollkommen übereinstiminen.
Das Einrollen der Fimbrien findet also zweifellos statt. Und
der definitive Verschluss wird durch V erklebung der serösen
Fimbrien flächen bewerkstelligt. Ich möchte sogar annehmen, dass
die gebildeten Neomembranen das invertierte Ostium überbrücken.
Dies angenommen , würden die innersten
Fimbrienenden frei bleiben und die Ansicht
Burnier’s betreffs des späteren Wiederfrei-
werdens der Fransen gelegenthch der Ruptur
der trennenden Membran erschiene dadurch
leichter erklärlich und nicht so gekünstelt.
Nur sehr selten kömmt es zu einer Fixa-
tion wie in der nebenstehenden Fig. 8. Die Fimbrien gehen dann
gewöhnlich atrophisch zu Grund inmitten der entzündlichen Ein-
bettungsmassen.
2. Bei hochgradigen, eitrigen Entzündungen der Eileiter findet
man gelegentlich der Operationen die Bauchfellenden derselben
tief nach dem Douglas’schen Raume verlagert, daselbst leicht an-
r
Fig. 8.
414
Alfons von Rosthorn.
gelötet an das Bauchfell jener Grube, die Ampulle ausgedehnt,
dünnen Eiter enthaltend. Durch Druck mit den Fingern lässt
sich auf stumpfem Wege ein solches Ende von seiner Unterlage
loslösen und so die Tube oft ohne besondere Schwierigkeit ab-
tragen. Wir begegnen dabei regelmässig einer Art Einkrämpe-
lung der entzündlich geschwellten, plump aussehenden Fransen-
enden. — Der Pavillon gleicht einem in Einziehung begriffenen
Blumenkelche. Erst bei Druck entleert sich Inhalt. Es besteht
demnach »relative« Atresie.
3. Bei seit lange bestehendem Verschlüsse der Eileiter lässt
sich aus der Betrachtung der anatomischen Verhältnisse kein
sicherer Schluss über die Art des Zustandekommens der Atresie
ziehen. Bei vielen Fällen von Hydrosalpinx finden wir an der
Innenfläche der blasig aufgetriebenen, zartwandigen Ampulle eine
eigenartige Zeichnung, welche durch die nach einem Centrum hin
convergierenden atrophischen Schleimhautfalten und Fimbrienreste
gegeben ist. Dieses Centrum
dürfte 'dem ehemaligen Ostium
abdominale entsprechen (Fig. 9).
In anderen Fällen von Hy-
drops der Tuben lässt sich keine
Spur mehr von jener Zeichnung,
resp. von Leisten oder Falten
auffinden. Das blind geschlos-
sene Eileiterende ist eine glatt-
wandige, oft durchscheinende
Cyste geworden. Die beifolgenden
Abbildungen stellen solche Ver-
hältnisse dar. Die erstere (Fig. 10)
zeigt eine hydropische Tube im
Längsschnitt. Man sieht die
dünne Wandung von einer gros-
sen Zahl von kleinen Buchten durchsetzt, ja stellenweise sieht es
aus, als ob in die Wandungen kleine cystische Räume oder
Lakunen eingelagert wären. Die Wandung ist thatsächhch sinuös.
Diese Buchten entsprechen den ursprünglichen Vertiefungen
zwischen den grösseren Zottenstämmchen. Ausserdem zeigt dei
Eileiter die für Hydrosalpinx charakteristischen Windungen, ist da-
her mehrfach iin Schnitte getroffen.
Die zweite (Fig. 11) habe ich deshalb gewählt, da dieselbe mehi-
faches Interesse bietet. Es handelt sich auch um eine atretische Tube.
Hydropisch verändert ist jedoch nur das äusserste Drittel, das
Fig. 9. Aufgeschuittenes ampulläres Ende
eines Hydrosalpinx . oa = ursprüngliches
Ostium abdominale tubae. Von da aus
radiäre, zarte Fältchen der ausnehmend
dünn gewordenen Schleimhaut.
Beiträge zur Kenntnis der Tubo-Ovarial-Cysten.
415
dem Bauchfellende entspricht. Dieses ist dünnwandig, von einer An-
deutung der Gegend des ursprünglichen Ostiuin abdominale nichts zu
entdecken. Der uterinwärts gelegene Eileiterabschnitt zeigt eine hoch-
gradige Verdickung seiner Wandung (Salpingitis interstitialis) .
Dieselbe ist sclerotisch, starr
und die sonst weite Lichtung
ist an mehreren Stellen ver-
engt, so dass man den Ein-
druck von callösen Stricturen
gewinnt. Da es sich in diesem
Falle um ascendierende Gonor-
rhoe handelte , so liegt der
Vergleich mit den Tripper-
Strikturen in der männlichen
Harnröhre nahe, wenn auch
letztere zumeist nicht so ring-
förmig und kurz zu sein pfle- Fig. 10. tu = uterines, ta = abdominales
gen. — Das Präparat lehrt Tubenende,
uns aber mehr. Entsprechend verschiedenen lokalen Verhältnissen
können an einer und derselben Tube verschiedene Veränderungen
auftreten. Callositäten und damit Stenosen begegnet man zu-
meist an den dem Uterus zunächst gelegenen, hydropischen Er-
Fig. 11. Aufgesclinittene, gonorrhoisch inficierte, atretischc Tube
mit Strikturen in der uterinen Hälfte, t = Tube, st = Strikturen,
ae = Abdominalende der Tube, atretisch , blasig aufgetrieben.
Ov = Ovarium.
Weiterungen am Bauchfellende. Beides ist an diesem Präparate
schön vereinigt.
Die ersteren Beobachtungen, aus den Stadien, welche den
Verschluss vorbereiten, sprechen dafür, dass dem Verschlüsse des
416
Alfons von Kosthorn.
Eileiters thatsäclilicli eine Art Einziehung der Fimbrien, wenn
auch nicht gänzliche Einrollung im Sinne Burnier’s vorausgehe-
Dabei braucht keine aussergewöhnliche Bewegung (besondere
Bewegung der Eileitermuskulatur) vorausgesetzt zu werden. Es
hat nur die Verkürzung der Aussenfläche der Tube mit jener der
Innenfläche, also jene des Bauchfellüberzuges mit jener der
Schleimhaut nicht Schritt gehalten.
Bei intensiven Graden von Pelveoperitonitis, wie nach schweren
puerperalen oder gonorrhoischen Infektionen, bei denen sämtliche
Fig. 12.
Fig. 13.
c 2
Fig. 14.
Durchschnitte der Länge nach durch unterein-
ander verschmolzene Gebärmutteranhänge nach
intensiven Graden von Beckenbauchfellentzün-
dung zur Darstellung der Art der Verwachsung,
t = Tube, oa = Gegend des Ostium abdominale
tubae, pc = Pseudocysten zwischen den Ad-
häsionen an den verwachsenen Partien, c =
Cystische Follikel. Ov = Ovarium. q = Quer-
schnitte durch den gewundenen und daher mehr-
fach getroffenen, schwer erkrankten Eileiter.
Beckeiiorgane innig miteinander ver-
wachsen sind, kann es zu derartigen
Verschmelzungen zwischen Eileiter und
Eierstock kommen, dass nur noch durch das Mikroskoj) eine Grenze
zu ziehen ist.
In wie verschiedener Art diese Verschmelzung, Conglobierung
statthat, möge durch die Darstellung der makroskopischen Verhält-
nisse von drei solchen Präparaten zum Ausdruck gebracht werden
(Fig. 12, 13, 14). Wenn der Eierstock noch nicht atrojihisch zu Grunde
gegangen ist, so zeigt er regelmässig ziemlich bedeutende Grade
von Erkrankung, vor allem und zumeist cystische Entartung. Auf
Beiträge /Air Kenntnis der Tnbo-Ovarial-Cysten.
417
dem angefügten mikroskopischen Bilde zeigt sich der innige Zu-
sammenhang zwischen Eileiter und Eierstock an der Verwach-
sungsstelle. Das Bild wird durch die an letzterer, zwischen Ad-
häsionen entwickelten Pseudocysten kompliziert.
Fig. 15. Schnitt durch die Verwachsungsstelle von Ovarium und Tuhe.
Lupenvergrösserung. o = Ovarium, t = Tuhenwand. g — g, Verwachsungs-
stelle. i = Pseudocysten, m = Ringmuskulatur der Tuhe. f = Follikel.
a = fadenförmige Adhäsion.
Ich habe versucht, auf experimentellem Wege Atresie
der Tube zu erzeugen. Die ungünstigen Momente für solche Ex-
perimente sind in der so verschiedenen Beschaffenheit des Eileiters
bei den zur Verfügung stehenden Tieren gegeben, andererseits in
dem Umstande, dass Eierstock und Eileiter vielfach nicht frei
nebeneinander liegen , sondern schon physiologisch Zusammen-
hängen.
Bei Durchsicht der verschiedenen Formen der weiblichen
Geschlechtsorgane unserer Haussäugetiere liess sich feststellen, dass
keines derselben für unsere Versuche auch nur einigermassen ge-
eignet sei. Trotz der oft sehr grossen Tragsäcke und mächtigen
Hörner derselben fanden sich ganz kurze, dünne, vielfach ge-
schlängelte Eileiter. Am geeignetsten erwiesen sich noch grosse
Hunde, obgleich auch hier das Fehlen einer Abgrenzung von Horn
und Eileiter und die Fixation des PaHllons in der Eierstocktasche
die Verhältnisse wesentlich ungünstiger gestalten.
Ich konnte daher keine für die Verhältnisse beim Menschen
analogen schaffen.
27
418
Alfons von Rosthorn.
Die Versuche bei den Affen, deren innere Genitahen den
menschlichen ausserordentlich nahe kommen, missglückten, indem
die Tiere an intercurrenten Krankheiten spez. Tuberkulose zu rasch
zu Grunde gingen. Ich werde dieselben wieder aufnehmen und
über die Resultate derselben an anderer Stelle berichten.
Andererseits sind die Versuchsobjekte zumeist so klein, dass
es schwer fällt, Veränderungen an denselben zu studieren. Eine
Versuchsreihe wurde so ausgeführt, dass der Eileiter bei dem in
Narkose laparotomierten Tiere mit aseptisch präparierter Seide ab-
gebunden wurde und zwar in einzelnen Fällen central, in anderen
peripher nahe dem Abdominalostium, in anderen endlich doppelt.
6 — 8 Wochen nach erfolgter Abbindung wurde die Bauchhöhle
neuerlich eröffnet und die Veränderung besehen, welche durch
den ersten Eingriff zu Stande gekommen war. Ich fand in keinem
der Fälle irgend eine Spur von Sekretstauung. Es lässt sich dar-
aus deducieren, dass durch einfache centrale oder periphere
oder sogar doppelte Abbindung des Eileiters Hydrosalpinx
innerhalb des erwähnten Zeitraums nicht zur Entwicklung
komme.
Regelmässig kam es zu solcher resj^. zu Sekretstauung und
Aufblähung der Tube, wenn ich in das doppelt abgebundene
Stück mittels feiner Canülen durch die Wandung hindurch Gono-
coccen-^) oder Streptococcen-Reinkulturen einbrachte. Es würde
dieser Versuch, ganz abgesehen von anderen Dingen, die Schluss-
folgerung gestatten, dass es zur Entstehung eines Hydrops tubae
eines intensiveren Schleimhautreizes bedürfe, eine einfache Stenose
oder Abknickung des Eileiters hiezu nicht genüge.
Regelmässig war mit dieser Veränderung der Tube auch eine
ausgedehntere Affektion des Bauchfellüberzuges kombiniert, so dass
Netz, Darmschlingen an das abgebundene Eileiterstück angewachsen
waren.
Ich behalte mir vor, die nach Abschluss der Versuche de-
taillierten Befunde mit Rücksicht auf die Enstehung der Eileiter-
erkrankungen und der Gonococcen-Peritonitis in ausführlicher
Weise anderen Orts zu veröffentlichen.
Zur Symptomatik der Tuboovarialcysten wäre schliesshch
noch folgendes in Kürze beizufügen: In anamnestischer Hinsicht
sind Angaben über plötzlich erfolgten Abgang von grösseren Sek-
retmengen durch die Scheide höchst beachtenswert. Derselbe mag
') Nach den bekannten Angaben Wert heim ’s ohne Schwierigkeit ge-
wonnen.
l>oiträtre zur Kenntnis der Tnl)0-Ovarial-Cysten.
419
sowohl durch Hydrops tubae als ovarii profluens bedingt sein.
Mehreren Operateuren war es gelungen, auf Grund dieser Erschei-
nungen die Diagnose gelegentlich der Laparotomie zu bestätigen.
Die Diagnose bloss auf Grund des Tastbefundes zu stellen, wird
wohl ausserordentlich selten gelingen. Nur bei Nachweis eines
normalen Eierstocks neben einer retortenartigen, cystischen Ge-
schwulst kann bei vorliegenden Erscheinungen eines Hydrops
profluens das Vorhandensein einer Tuboovarialcyste sicher aus-
geschlossen werden. Der Tumor ist dann zweifellos als Hydrosal-
pinx anzusehen. Bei der Eigentümlichkeit, dass der ampulläre
Eileiterabschnitt immer viel mächtiger ausgedehnt wird als der
uterinwärts gelegene, darf nicht gleich mit Rücksicht auf die be-
sprochene Gestalt des Adnexentumors eine Tuboovarialcyste an-
genommen werden.
Ich möchte unsere Gesamterfahrungen über die Entstehung
der Tuboovarialcysten in folgende Schlusssätze zusammenfassen :
1. Als Vorbedingung für dieselbe ist die entzündliche
Veränderung der Gebärmutteranhänge und deren Bauchfellüber-
zuges festzuhalten.
2. Die Versuche einzelner Forscher, dieselbe auf die con-
genitale Ovarialtube zurückzuführen, muss zurückgewiesen
werden. So interessant die Beobachtungen Schneidemühls^)
über solche Anomalien beim Pferde und Anderer über ähnliche
Verhältnisse bei verschiedenen Tieren sind, so lassen sich dieselben
auf den Menschen nicht übertragen, da bislang nichts Aehnliches
beim letzteren konstatiert werden konnte.
3. Echte Ovarialkystome (epitheliale Neubildungen) und sogen.
Follikelcysten können mit einer schon vorher angelöteten, kranken
Tube durch Eiterung oder durch Druckatrophie der gedehn-
ten Zwischenwand in Kommunikation treten. Die verbindende
Oeffnung kann dabei an verschiedene Punkte zu liegen kommen.
4) In jenen Fällen, bei welchen die Fimbrien oder deren
Reste schön an die Innenfläche der Cystenwand zu liegen kommen,
muss angenommen w'erden, dass die vorher schon abnorm ge-
lagerte Tube mit ihrem Pavillon während des Ovulations-
prozesses in den hiebei geplatzten F ollikel hineinfällt oder
hin ein schlüpft, in dieser Stellung mit der Cystenwand verwächst
und so zur Bildung eines gemeinsamen Raumes führt. Kommt es nun
zu bedeutender Sekretstauung und damit zu Dehnung der Wand, dann
bildet sich die von den meisten Autoren beschriebene Form des
b Deutsche Zeitschr. f. Tiermedizin etc., Bd. IX, pag. 279.
420
Alfons von Kosthorn.
Hydrops ovario-tubaris, wie sie schon Hennig Vorgelegen ist. Wir
greifen damit auf die alte Ovulationstheorie, allerdings nicht im ur-
sprünglichen Sinne Richard ’s, zurück, kombinieren dieselbe mit der
Katarrhtheorie Veit’s, ohne dass jedoch eine schwere Eileitererkran-
kung vorausgesetzt zu werden braucht. Wir bedürfen hiezu der
wichtigen Beobachtungen Rokitansky ’s über die cystische De-
generation des Corpus luteum und berühren damit das Kapitel
von der Genese der kleineren Cysten des Eierstocks. Ohne dass
ich mir eine Kritik der Nagel’schen Anschauung^) hier erlaube,
möchte ich doch darauf verwiesen haben, dass seine Annahme,
die einkämmerigen Cysten nicht epithelialen Ursprungs seien fast
ausnahmslos auf cystische Entartung des Corpus luteum zurück-
zuführen, vortrehlich für meine Deduktionen über die Genese der
Tuboovarialcysten zu verwerten wäre.
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deutschen Gesellschaft für Gynäkologie. III. Kongress zu Freiburg, 1889, p. 344).
Schramm, Centralblatt f. Gyn. 1890, Nr. 33.
Robinson, F. B. Tubo-ovarian cysts (Am. Journ. of obstet. 1890, t. XXIV,
p. 1311).
Schramm und Ne eisen. Zur Kenntnis der Tuboovarialcysten (Ai'ch. f.
Gynäk. 1891, Bd. XXXIX. p. IG).
Gottschalk, Centralbl. f. Gyn. 1891, Nr. 22.
Siehe ferner die Diskussion über diesen Gegenstand in der Sitzung vom
21. Juli 1890 in der Leipziger geburtshilflichen Gesellschaft im Anschluss einer
Demonstration Tischendorf ’s (Centralblatt f. Gynäk. 1891).
Ausserdem die Hand- und Lehrbücher der Gynäkologie von K i w i s c h,
G. Veit, Scanzoni, Schröder, Martin; jene der imthologischen Anatomie
von Rokitansky und Klebs; endlich die Zusammenstellung der Litteratur
bis 1880 in der oben genannten Arbeit Burnicr’s.
Da in einigen Arbeiten über Tu boovarial -Gravidität mehrfach über
die Genese der Tuboovarialcysten die Rede ist, so verweise ich noch auf die
bekanntesten derselben: Cazeaux, Traitd theorötique et practique de l'art des
accouchements, Paris 1876.
Vulliet, lieber einen Fall von Tulmovarialcysten-Schwangerschaft. Arch.
f. Gynäkol. Bd. XXII, 1884, p. 427.
Be au camp, lieber Tuboovarial-Schwangerschaft. Zeitschr. f. Geb. ii. Gyn.
Bd. X, 1889, p. 212.
Genaue Beschreibungen solcher Präparate finden sich in den Arbeiten von
A. Pal tauf (Arch. f. Gynäk.) über Tuboovarialschwangerschaft und von G.
Lihotzky (AVr. klin. Wochenschr. 1890, Nr. X).
Ueber die an der Heidelberger chirur-
gischen Klinik ausgeführten Operationen
am Magen und Darm
von
Prof. Dr. Y. Czerny und l)r. Walter Rindfleisch.
Ueber elf Jahre ist es her, seitdem Billroth durch seine
gelungene Pylorusresektion der Unterleibschirurgie ein neues Ge-
biet erobert hat. Für seine Schüler ist es ein Gefühl hoher Be-
friedigung, dieses fruchtbare Gebiet durch ihren Lehrer angeregt,
sowohl mit experimentellen als auch klinischen Arbeiten ausgebaut
zu haben.
Die Experimente von Gussenbauer und von v. Winiwarter,
von Czerny und Kaiser, dann die statistischen Arbeiten der
Erstgenannten waren es, welche Billroth zu seiner kühnen That
entflammten. Die Cholecystenterostomie von v. Winiwarter , die
Ausbildung der Darmnaht durch Gussenbauer, Czerny und
Wölfl er, die Gastroenterostomie von Wölf 1er und von Hacker,
die Pyloroplastik von Heineke- Mikulicz, die Erweiterung der
B i 1 1 r 0 th sehen Ileocolostomie zurEnteroanastomose durch v. H a c k e r,
und Darmausschaltung durch Salzer, die klinischen Mitteilungen
von Wölf 1er, v. Eiseisberg und Billroth u. A. sind Marksteine,
welche den Fortschritt auf diesem Gebiete bezeichnen.
Wenn diese Operationen, obgleich sie von zahlreichen Opera-
teuren mit Begeisterung erfasst, nachgemacht und vervollkommnet
worden sind, noch immer nicht allgemein als vollberechtigt aner-
kannt werden, so liegt es daran, dass wie bei allen neuen Operationen
anfangs zu viel von denselben erwartet wurde, dass die Pfadfinder
zu vielerlei probieren mussten, um den rechten Weg zu finden,
und dass namentlich häufig zu weit vorgeschrittene Fälle der
Ueb. die an der Ileidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am Magen n. I>arm. 423
Operation unterzogen worden sind und dadurch die Resultate be-
einträchtigten.
Wenn wir Fortschritte auf diesem Gebiete erzielen wollen, so
müssen wir dem praktischen Arzte präzise Indikationen an die Hand
geben und müssen in diesen Fällen möglichst gute Resultate erzielen.
So wenig uns eine blosse Zahlenstatistik fördern kann, so
müssen wir doch die Kasuistik vervollständigen und bei ihrer
Revision feststellen, in welchen Fällen wir die besten Resultate er-
zielt haben, und ob der unglückliche Ausgang von der schlechten
Auswahl oder von Fehlern in der Technik abhing.
Bei der Heidelberger Naturforscherversammlung 1889 wurde
zwar eine kurze Statistik der in Heidelberg ausgeführten Opera-
tionen mitgeteilt, aber wir wollen dieselbe bis zum Sommer 1892
ergänzen und durch kurze Krankengeschichten den Leser in
Stand setzen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Sämtliche Operationen bis auf die zweite, welche von Herrn
Dr. Maurer ausgeführt worden ist, sind von Czerny gemacht
worden.
A. Operationen am Magen.
Wir werden die Fälle von Gastrostomie, die Fremdkörper im
Magen sowie die akuten Perforationen desselben weglassen, dagegen
die Operationen wegen Tumoren und Stenosen am Magen, die
diagnostischen Incisionen und falschen Diagnosen mitteilen.
I. Mageiiresektioiien.
Magenresektionen wegen Krebs wurden in der Heidel-
berger chirurgischen Klinik von 1881 bis Sommer 1892 12 an 11
Patienten ausgeführt.
Schon diese kleine Zahl, namentlich im Verhältnis zu den
später erwähnten Probelaparotomieen (10) und Gastroenterostomieen
(20), zu denen eine nicht bestimmbare Zahl von als unoperabel
zurückgewiesenen Patienten zu rechnen wäre, zeigt, dass wir in der
Indikationsstellung zur Resektion sehr vorsichtig waren. Dem-
entsprechend waren auch die unmittelbaren Erfolge der Pylorus-
resektion wegen Krebs relativ befriedigend.
7 Operationen (mit 3 -f) wurden an Männern, 5 (mit 2 -f)
0 Czerny. lieber Magen- und Darmresektionen. Deutsche med. "Wochen-
schrift 1889. Nr. 45.
Ausführlichere Krankengeschichten werden dem Abdrucke obiger Arbeit
in den Beiträgen zur klinischen Chirurgie (Tübingen bei Laupjb beigegeben
werden.
424
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
an Frauen ausgeführt. Das Alter schwankte zwischen 28 und 61
Jahren und gerade die extremsten Alterstufen genasen von der
Operation. Das Durchschnittsalter betrug 49 Jahre. Viermal ist
Gallertkrebs, je dreimal Skirrhus und Drüsenkrebs notiert.
Es starben Nr. 2 an Collaps, weil der Kräftevorrat zu gering
war, Nr. 4 und 5 am 4. und 7. Tage an Colongangrän, weil das
verwachsene Mesocolon mit reseciert werden musste. Nr. 9 nach der
sehr schwierigen Kecidivoperation an septischer Peritonitis, nach-
dem der Patient die erste Pylorusresektion nicht nur glücklich
überstanden, sondern sich auch 10 Monate lang nach derselben
ziemlich wohl befunden hatte. Nr. 12 starb an secundärer Perfo-
ration der Nahtstelle und war durch Verwachsungen mit dem
Pancreas sehr erschwert.
Alle 5 Operationen hätten lieber unterbleiben oder durch die
schneller ausführbare Gastroenterostomie ersetzt werden sollen.
7 Patienten verliessen nach der Pylorectomie genesen die
Klinik und hatten alle das Gefühl der Befreiung von einem schweren
Leiden mit sehr erheblicher Besserung der Verdauung und des
iVllgemeinbefindens. Freilich dauerte die Besserung bei der Mehr-
zahl bloss einige Monate und zwar namentlich dann, wenn schon bei
der Operation metastatische Drüsen und am Pesektionsschnitt ver-
dächtige Stellen gefunden worden waren. Die angegebenen Ge-
wichtszunahmen betrugen 15, 21, 24 bis 28 Pfund.
Zwei (Nr. 10 und 11) leben noch 15 und 16 Monate nach
der Operation in voller Gesundheit und Arbeitsfähigkeit und haben
keine Zeichen von Recidiv.
Fünf sind 18, 2, 15, 7, 10 Monate nach der Operation unter
den Erscheinungen des Recidivs gestorben; allerdings eine kurze
Frist, wenn man bedenkt, dass sie durch eine gefährliche Opera-
tion und ein schweres Krankenlager erkauft ist und dass von der-
selben durchschnittlich bloss die erste Hälfte als whkliche Ge-
nesungszeit gerechnet werden kann, während die zweite Hälfte in der
Regel schon durch die wiederkehrenden Erscheinungen des Recidivs
getrübt wurde. Trotzdem darf dieser Erfolg nicht gering ge-
schätzt werden bei einem unerbittlich und unaufhaltsam zum Tode
führenden Leiden und bei Kranken , welche schon alle Hoffnung
auf Besserung ihres Zustandes aufgegeben haben, namentlich wenn
wir die zwei überlebenden Fälle als dauernd genesen betrachten
dürften, wofür die Frist allerdings noch etwas zu kurz ist. Mehr
als 20 "/o Dauerheilungen bei Magenkrebs wird der sanguinischeste
Operateur bei Magenkrebsen wohl kaum je zu hoffen wagen.
Wie schon Billroth bemerkt hat, verhält sich der Magen-
Ueb. die iui der iieidelb. cdiir. Klin. ausgef. Operationen am Klagen u. Darm. 425
krebs gegen unsere Heilversuche genau so wie jeder andere Krebs.
Nur wenige Kranke werden für mehrere Jahre oder gar dauernd
geheilt, die Mehrzahl derselben erhält nach der Operation eine
kürzere oder längere Frist des Gefühles der Rekonvalescenz,
welches nach der Pylorusresektion ungetrübter ist, als z. B. nach
der Mammaamputation, weil bei dieser die Entstellung, Narben-
schmerzen, Schwerbeweglichkeit des Armes die Kranken oft lange
an die überstandene Operation mahnen, während die am Magen
Operierten in der Regel von schweren Leiden und Verdauungs-
beschwerden befreit sind. Während die Frau, welcher der Chirurg
wegen eines kaum empfindlichen Knotens die Mamma wegschneiden
musste, denselben immer mit einem sehr gemischten Gefühle be-
trachtet, überströmt der von der Magenoperation Genesene von
dem Gefühle der Dankbarkeit, weil er die Freude am Essen und
Trinken, für Viele also den höchsten Lebensgenuss, wiedergewonnen
hat. Der einzig berechtigte Vorwurf, welchen man den Operationen
des Magenkrebses machen kann, ist die bis jetzt noch zu grosse
Gefahr derselben. Wie können wir dieselbe vermeiden? Wahr-
scheinlich nur durch weitere Einschränkung der Indikation für
die Resektion des Pylorus. So paradox es klingt, möchten wir
fast behaupten, dass der Magenkrebs nicht mehr radikal operiert
werden sollte, wenn man ihn als Tumor sicher diagnosticieren kann.
Wenn schon bei den äusserlich sichtbaren Krebsen die Radikal-
heilung nach der Operation eine Ausnahme , das Recidiv die
Regel ist, so gilt das noch mehr für die verborgenen Krebse
der inneren Organe. Wenn ein Magenkrebs einen höckerigen
durch die Bauchwand deutlich palpablen Tumor bildet, ist er fast
immer schon fest verwachsen mit dem Colon oder Pancreas, oder
es bestehen schon metastatische Lymphdrüsen, Umstände, welche
eine radikale Heilung ausschliessen und die Gefahr der Operation
ausserordentlich steigern.
Was wir durch die Operation heilen können, ist nur
in den seltensten Fällen der Krebs, dagegen fast immer
das Hindernis, welches durch das Krebsgeschwür für die
Fortschaffung des Mageninhalts gebildet wird.
Die Erscheinungen der Pylorusstenose und der secundären
Magenerweiterung sind es, welche uns zu mechanischen, operativen
Eingriffen auf fordern müssen, wenn sie durch die üblichen Be-
handlungsmethoden mit Diät, Magenpumpe, Massage, Elektrizität,
Medikamente sich nicht bald bessern. N. Senn hat diese Indi-
kation ganz richtig hervorgehoben. Findet man bei der Laparotomie
einen operablen Pyloruskrebs , so ist das ein Glücksfall. Ist er
426
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
inoperabel, so kann man die meisten Beschwerden, welche weniger
durch den Krebs, als durch das mechanische Hindernis bedingt
sind, durch die Gastroenterostomie beseitigen und zwar oft in so
hohem Grade, dass sich der Kranke für längere oder kürzere Zeit
als genesen betrachtet. Bei gutartigen Stenosen ist die günstige
Wirkung der Gastroenterostomie eine dauernde, wenn die Oeff-
nung weit genug angelegt w^orden ist:
Wegen gutartiger Stenosen wurden 5 Patienten mit der
Magenresektion behandelt, davon einer (Philipp Moses) mit der
eliptischen Excision des stenosierenden Geschwürs, welcher sich
noch jetzt 10 Jahre nach der Operation bei voller Ge-
sundheit und Arbeitsfähigkeit befindet. Die voraus-
gehende Ectasie des Magens ist verschwunden. Von be-
sonderem Interesse ist der Fall der Frau Auguste G. Sie hatte
durch Laugenessenzvergiftung eine Stenose des Pylorus und des
Oesophagus davongetragen. Ich verweise auf die Details in
der Krankengeschichte und mache hier bloss darauf aufmerk-
sam, dass sowohl die stumpfe Dilatation des verengten Pförtners
nach Loretta, als auch der Versuch der Pyloroplastik nach
Heineke-Mikulicz misslang, und dass deshalb die Resektion der
ringförmigen Narbe ausgeführt werden musste. Die kompli-
cierten Operationen führten zur dauernden Heilung, da
die Patientin sich jetzt 4 Jahre nach der Verletzung ganz wohl
befindet und sogar einmal entbunden hat.
Bei den drei übrigen Fällen essentieller Hypertrophie des
Pylorus wurde unter der Voraussetzung, dass ein Carcinom vor-
liege, die Resektion vorgenommen, welche bei dem langen Be-
stehen des Leidens , dem sehr reducierten Kräftezustand wohl
besser durch die Gastroenterostomie oder Pyloroplastik hätte er-
setzt werden sollen, wenn die Diagnose richtig erkannt worden
wäre. In zwei Fällen trat der Tod nach der Operation ein und zwar
einmal durch Nahtnekrose und das andere Mal dru'ch Schluck-
pneumonie und Herzschwäche. Aber auch der 3. Fall kam nicht
zu dauernder Heilung, da durch Narben verziehung abermals eine
Abknickung des Duodenums entstand , welche die anfängliche
Gewichtszunahme von 18 Pfund bald wieder beseitigte und
9 Monate nach der Operation den Tod herbeiführte.
Diese eine Geschwulst vortäuschende Hypertrophie des Pylo-
rus scheint die Folge von kleinen Geschwüren zu sein, welche an
der kleinen Curvatur dicht am Pylorus ihren Sitz haben und
ähnlich wie Fissuren am Mastdarm oder der Blase zu einer
Hypertrophie des Schliessmuskels führen. Auch in den Fällen von
Ueb. die an der Heidelb. cbir. Klin. ausgef. Operationen am IMagen u. Darm. 427
Mikulicz (Ort mann, Pylorusstenose, Deutsche med, Wochens.
Nr. 9, 1889, und Lauenstein (Centralbl. für klin. Medizin, Bei-
lage S. 33), sassen die Geschwüre jeweils am Pylorus entsprechend
der kleinen Curvatur und die konsekutive Hypertrophie verleitete
zu der falschen Annahme eines Carcinoms. In beiden Fällen,
wie bei zwei von unseren drei Fällen, fehlte freie Salzsäure, wäh-
rend dieselbe bei Ulcus simplex meistens vermehrt zu sein pflegt.
Es muss Aufgabe feinerer Diagnostik bleiben, nach neuen Unter-
scheidungsmitteln zwischen dieser essentiellen Hypertrophie und
dem Krebs des Pylorus zu suchen, welche offenbar häufig zu Täu-
schungen Veranlassung gegeben hat, da z. B. Lauenstein allein
fünf gutartige Stenosen unter 20 Pylorusgeschwülsten beobachtet hat.
Wenn diese Fälle richtig diagnostiziert werden könnten, wür-
den sie sich jedenfalls mehr zur Pyloroplastik oder Gastroentero-
stomie eignen als zur Resektion.
Die zwei eliptischen Excisionen wegen auf die Magen-
wand übergreifender Sarcome sind beide genesen. Während in
dem einen Falle (Nr. 18) 13 Monate nach der Operation der Tod
an Recidiv erfolgte, ist der andere (Nr. 19) 2 Jahre nach der Ope-
ration noch ganz gesund.
Von 19 Resektionen am Magen sind zunächst die drei elip-
tischen Excisionen auszuscheiden, welche sämmtlich genesen sind.
Von den 16 Pylorectomien sind 7 im Anschluss an die Operation
gestorben (43,7 ”/o).
II. Oastroeuterostomieeii.
Wohl nach keiner Operation ist es so schwer zu sagen, welche
Fälle man als genesen ansehen soll, wie nach der Gastroenterosto-
mie, da wir dieselbe fast immer wegen unheilbaren Krebsleidens
ausführen und die Kranken auch im günstigen Falle einige Monate
nach der Operation sterben. So passierte es N. Senn, dem ver-
dienstvollen Chirurgen in Chicago, dass er in seiner jüngsten Publi-
kation (The surgical treatment of Pyloric Stenosis. Medical Record
Nov. 7 and 14, 1891) 13 Fälle von Gastroenterostomie nntteilt und
davon 8 als genesen bezeichnet, obgleich 4 von denselben am 5.,
9., 12. und 18. Tage an Exhaustion, Hämorrhagie (Sektion wurde
nicht gemacht), Pneumonie und Marasmus zu Grunde gingen.
Das geht denn doch zu weit, und beim besten Willen müssen wir
eine Mortalität mit 69,23*^/o feststellen, deshalb, weil er sonst leicht
geneigt sein dürfte, seine Erfolge zu Gunsten der Methode mit
entkalkten Knochenringen zu verwerten. Doch davon später. Wir
glauben, dass man bloss diejenigen Kranken als genesen bezeich-
428
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
nen kann, bei denen der Wundheilungsprozess beendet und wenig-
stens einige Tage normale Ernährung möglich gewesen ist.
Dieses vorausgeschickt, sind von unseren 20 Fällen 12 ge-
nesen und 8 gestorben. (407o Mortalität). Von diesen 20 Ope-
rationen wurden in den Jahren 1885 — 88 7 mit 4 Todesfällen, in
den Jahren 1889 — 91 13 mit 4 Todesfällen ausgeführt. Wenn man
so kleinen Ziffern trauen darf, so scheint sich an unserer Klinik
die Indikation zur Operation etwas vermehrt und das Heilresultat
etwas gebessert zu haben. Im Jahre 1890 und 1891 sind 6 Fälle
hintereinander genesen. Es befanden sich unter den Operierten
7 Frauen und 13 Männer. Das Alter schwankte zwischen 28 und
57 Jahren und betrug im Durchschnitt 41,5 Jahre.
Die Indikation gaben die Erscheinungen der Pylorusstenose,
welche seit 3 Monaten bis zu 14 Jahren sich schon gezeigt hatten.
Fünfmal wurde die Dauer des Leidens auf 2 Jahre, zweimal auf 4,
einmal auf 3 Jahre taxiert. Einmal wurden die Anfänge sogar
auf 20 Jahre zurückgeführt. In diesem Falle bestand das Leiden
ebenso wie in zwei anderen Fällen von langer Dauer in Magen-
geschwüren mit narbiger Verengerung des Pförtners. In allen 17
anderen handelte es sich aber um Carcinome. Die lange Dauer
der Krankheit ist wohl bloss so zu verstehen, dass der Krebs zu
einem alten Geschwüre oder Magenkatarrh sich hinzugesellt hat.
Die Erscheinungen des Pförtnerschlusses waren Magenschmer-
zen, Gefühl von Völle, Uebelkeiten namentlich nach dem Essen,
Erbrechen, Stuhlverhaltung, in seltenen Fällen bei Gegenwart von
blutenden, jauchenden Geschwüren abwechselnd mit Diarrhöen, ver-
minderte Diurese, starke Abmagerung, welche freilich durch zweck-
mässig gewählte Diät, Auswaschung des Magens, Nährklystiere
temporär gebessert werden kann. Endlich die Erscheinungen der
langen Zurückhaltung der Nahrung im Magen. Auf die genaue
physikalisch-chemische Untersuchung wurde das grösste Gewicht
gelegt. Die Magengrenzen wurden zunächst palpatorisch und
percutorisch möglichst genau bestimmt. Der Unterschied der Per-
cussion im Stehen und Liegen giebt namentlich in der Sprech-
stunde oft schon einen bedeutsamen Fingerzeig, ob eine erhebhche
Dilatation besteht, indem bei gefülltem Magen im Stehen die grosse
Curvatur als nach abwärts convexe Dämpfung sich deutlich ab-
grenzt und im Liegen tympanitischem Schalle Platz macht. Ent-
weder nach einer Probemahlzeit oder am Morgen wurde der Magen-
inhalt ausgepumpt, auf vorhandene Speisereste untersucht und
chemisch geprüft. Die van den Velden 'sehe Prüfung auf freie
Salzsäure hat uns ausserordentlich wertvolle Resultate gegeben.
Ueb. die an der lleidelb. diir. Klin. ausgef. Operationen ani Magen u. Darm. 429
Unter 15 Fällen, bei denen mir die Aufzeichnungen vorliegen,
war dreimal die Salzsäure reichlich vorhanden und jedesmal han-
delte es sich um einfache Geschwtirsbildungen mit Narbenverenge-
rung des Pförtners. Bei 12 Carcinomen war bloss einmal Ver-
dacht auf freie Salzsäure vorhanden. Da es aber der erste Fall
war und die verschiedenen Methoden der Bestimmung, welche
sämtlich durchprobiert werden müssen, noch nicht ausgebildet und
I geübt waren, möchte ich darauf kein grosses Gewicht legen. Im
allgemeinen hat sich uns die Salzsäurebestimmung als ein sehr
wertvolles Mittel zur Diagnose bewährt. Nur bei den essentiellen
Hypertrophien des Pylorus scheint, wie oben bei den Resektionen
bemerkt wurde, die Salzsäure regelmässig zu fehlen. Dass das Symp-
tom unfehlbar ist, wird billigerweise Niemand erwarten.
Das Volumen des Magens wurde bei verschiedener Füllung
percutorisch und palpatorisch festgestellt, die Menge der Füllungs-
flüssigkeit bestimmt und die Verschiebung des allenfalls fühlbaren
Tumors bei Aufblähung des Magens mit Gas oder Flüssigkeit und
dann wieder im leeren Zustande beobachtet. Trotz hochgradiger
Stenose des Pylorus kann dennoch manchmal die Dilatation des
Magens ausbleiben. Ein charakteristisches Beispiel ist Fall Nr. 5.
Es handelt sich offenbar um eine kleinzellige, alveoläre, krebsige
Infiltration, welche in der Submucosa und Subserosa ähnlich wie
beim Carcinoma lenticulare der Mamma schrumpfend weiter wächst
und die Dehnbarkeit des Magens beeinträchtigt. Manchmal kann
auch eine kompensatorische Hypertrophie der Muscularis der Ueber-
dehnung lange Zeit Widerstand leisten. Andererseits finden sich
unter unseren Probeincisionen Fälle von Erweiterung des Magens
und Pyloruskrebs, ohne dass die Erscheinungen der Stenose in den
V ordergrund getreten wären : Der Appetit , die Verdauung ge-
nügend, Stuhlgang in Ordnung. In diesen Fällen halte ich auch
die Gastroenterostomie nicht für angezeigt, und wenn nach der
Eröffnung der Bauchhöhle der Krebs zu einer radikalen Exstir-
pation nicht mehr geeignet ist, ist es wohl am besten, wieder die
Bauchhöhle zu schliessen. Da uns die Pylorectomie fast dieselben
Heilresultate (43°/o) ergeben hat, als die Magendarmfistelbildung,
da sie aber offenbar mehr zur Verlängerung der Lebensdauer bei-
trägt, so ist es selbstverständlich, dass wir der ersteren den V or-
zug geben, solange sie ausführbar ist. Das hängt aber wesentlich
davon ab, ob der Pylorustumor sich ohne allzugrosse Mühe und
Lösung von Adhäsionen (namentlich am Pancreas) aus der Bauch-
höhle hervorheben lässt und ob er noch lokalisiert ist, d. h. ob
noch keine Metastasen vorhanden sind.
430
V. Czerny und Walter Kindtleisch.
Für eine palliative Operation, wie sie die Magenclarmfistel-
bildung wegen Krebs einmal ist, ist die Mortalität von 40 "/o ent-
schieden zu gross und wenn es nicht gelingt, dieselbe herabzudrücken,
könnte man Denjenigen nicht ganz unrecht geben, welche ihre
Berechtigung ganz bestreiten. Wir glauben aber, dass sich die
Mortalität erheblich vermindern lassen wird, und die von Lücke
erzielten glänzenden Resultate, ebenso unsere letzten sechs Fälle,
welche hintereinander genesen sind, lassen daran nicht zweifeln.
Prüfen wir zunächst die Todesursachen.
Es starben zwei Fälle (1 und 2 am 2. und 5. Tage) an sep-
tischer Peritonitis, vier (Nr. 4, 9, 13 und 14 am 1., 4., 2. und 5.
Tage) an Collaps. Bei 9, 13 und 14 war vielleicht eine beginnende
Schluckpneumonie beteiligt. Zweimal (Nr. 6 am 6. und 10 am
12. Tage) war Schluckpneumonie die Todesursache. Dass die
septische Peritonitis zwar bei den ersten Operationen vorkam und
später nicht mehr, ist interessant.
Wir lernten offenbar dieses Unglück vermeiden, weil der
Magen besser ausgewaschen und mit Salicylwasser oder Borwasser
gespült, weil die Umgebung des Operationsfeldes besser durch
aseptische Gaze oder Jodoformkompressen geschützt wurde. Viel-
leicht benützten wir früher zu ausschliesslich Schwämme zum
Tupfen der Wundränder. Gerade für Magen- und Darmoperationen
dürften die Schwämme, trotz ihrer Vorzüge und trotzdem ihre i
Desinfektion für jDraktische Zwecke offenbar ausreicht, möglichst
zu vermeiden sein. Es passiert zu leicht, dass ein Schwamm zum
Abtupfen von Darminhalt benutzt und dann nach ungenügender
Reinigung abermals mit dem Peritoneum in Berührung gebracht wird,
so dass er es inficiert. Wir haben deshalb die Schwämme seit Ok-
tober 1891 für die Laparotomien ganz durch asej3tische Tupfer ersetzt.
Die Hälfte der Fälle sind an Collaps gestorben und selbst
die Schluckpneumonieen gehören in die Reihe, wo die Patienten
mit zu geringer Widerstandsfähigkeit zur Operation kamen. Wenn
die Kranken schon zu schwach sind, um Nährklystiere zu halten,
muss man sie vom Munde aus ernähren. Am besten heilen
aber die Magenoperationen, bei welchen man die Magen-
ernährung durch die ersten 8 Tage ganz durch Klystier
ersetzen kann. Obgleich Erbrechen nach der Gastroenterostomie
selten vorkommt, so stellt es sich doch ein, sobald man bei sehr ge-
schwächten Individuen grosse Flüssigkeitsmengen in den Magen bringt. ■
Daraus folgt die dringende Mahnung, dass man mit der Ope-
ration nicht so lange wartet, bis der Kräftezustand auf eine \dta
minima gesunken ist. Wenn die Leute kaum mehr stehen können.
Ueb. die au der Heidelb. ehir. Kliu. ausgef. Operationen am Magen u. Dann. 431
wenn sie keine Klystiere mehr halten können, wenn schon Hypo-
stasen und Oedeme (die übrigens ebenso wie Ascites) bei Pylorus-
stenosen wegen mangelhafter Flüssigkeitsaufnahme sehr selten
sind), wenn kaum fühlbarer beschleunigter Puls besteht, soll man
nicht mehr operieren. Die Patienten müssen noch im Stande
sein, es nach der Operation 8 Tage ohne Nahrung mit
Nährklystier en auszuhalten. Ich glaube, dass wir bei Beobach-
j tung dieser Regel die Mortalität der Operation auf ein Minimum
herabdrücken können und dass Lücke seine glänzenden Erfolge
wesentlich dem Umstande zu verdanken hatte, dass seine Kranken
noch nicht in extremis waren.
Bloss einen Fall muss ich der Technik zur Last legen.
Bei Nr. 6 erwies die Sektion, dass der Mageninhalt leichter in die
zuführende Schlinge des Jejunum drang und durch den Pylorus
in den Magen zurückströmte. Dieser Circulus vitiosus, welcher
das tödliche Erbrechen verursachte, beruht auf einem technischen
Fehler. Bekanntlich bemühte man sich anfangs, die zuführenden
Darmschenkel durch Faltung oder Catgut-Ligatur zu verengen, ist
aber davon abgekommen, seitdem Lücke (Rockwitz) gezeigt
hat, dass eine halbe Achsendrehung der einzunähenden Darm-
schlinge allein genügt, um in der Regel den iVbfluss in der ge-
wünschten Richtung zu erzielen. Bei der von uns geübten Methode,
den Dünndarm an der Plica duodenojejunalis aufzufinden und an
die Magenw'and von links nach rechts heranzuziehen, ergiebt sich
dieses Resultat von selbst und macht auch das von J a b o u 1 a y
und Braun kürzlich empfohlene Auskunftsmittel der Jejuno-Duo-
denostomie überflüssig (Arch. provinc. de Chhurgie Nr. 1 und
Chirurgencongress 1892). Nach den Wölflerschen Angaben haben
wir von dem 2. Falle an das Jejunum in folgender Weise stets
rasch gefunden. (Vgl. die Mitteilung an der Heidelberger Natur-
forscherversammlung, Deutsche medic. Wochenschrift Nr. 45, 1889.)
Nachdem die Bauchhöhle eröffnet ist, wird das Colon trans-
versum mit dem Magen in die Höhe geschlagen, die Dünndärme
vom Assistenten nach abwärts gedrängt. Dicht am Mesocolon
transversum greift man in den Winkel, welchen dasselbe links
von der Wirbelsäule mit dieser bildet, und ergreift die in der
Tiefe liegende Dünndarmschlinge. Das ist fast immer sofort der
Anfangsteil das Jejunum, welcher an seiner Fixierung am j)roximalen
Ende leicht zu erkennen ist. Nun kann man sofort zu der Aus-
führung der Operation nach v. Hack er ’s Methode schreiten: Der
I Assistent drängt mit beiden Daumen die hintere Magenwand gegen
das Mesocolon vor, während seine Fingerspitzen das Colon trans-
432
V. Czerny und Walter Kindfleisch.
versum zurückhalten. Das Mesocolon wird an einer gefässlosen
Stelle durchschnitten und die Dehnung auf 5 cm Durchmesser
erweitert. Nun schlägt man das Jejunum von links nach rechts
herüber und befestigt seine Convexität in der Längsaxe des Darms
mit einer fortlaufenden Naht an die Hinterfläche des Magens
parallel seiner Längsaxe. Parallel dieser Naht werden die beiden
Därme 4 cm lang incidiert und sofort die hinteren Schleimhaut-
säume durch eine Reihe innerer Knopfnähte genau vereinigt und
die Fäden kurz geschnitten.
Nun legt man am besten zuerst die mittelste Knopfnaht der
vorderen Schleimhautnahtreihe an, um mittels derselben, die vor-
dere AVundlefze von der hinteren etwas abzieh en zu können ; dann
näht man nach rechts und links, bis die Dehnungen durch die
erste vordere Nahtreihe vereinigt sind. Diese Schleimhautnähte
werden möglichst genau im Schleimhautrande eingestochen und
fassen noch ca. 2 mm von der Serosa mit. Für den ganzen Um-
fang der etwa 4 cm langen Dehnung braucht man 16 — 20 Knopfnähte.
Nachdem auch die vorderen Knopfnähte kurz geschnitten
sind, legt man noch eine vordere Reihe Serosanähte entweder
fortlaufend oder in Knopfnähten an. Einige Hilfsnähte nament-
lich an den Winkeln verstärken die Naht und befestigen zugleich
die Ränder der Dehnung im Mesocolon. Die Dperation lässt sich
bequem in einer Stunde ausführen.
AVenn die Därme zurückgebracht sind, liegen sie in ganz
natürlicher Lage, nur dass der angenähte Jejunalteil von seinem
Abgänge am -Duodenum von links nach rechts herübergeschlagen
ist und deshalb die Peristaltik des Magens sich direkt in die
Peristaltik des abführenden Schenkels fortsetzt. Diese natürhche
Stellung der Eingeweide war der Grund, dass wir, wenn immer
möglich, die v. Hacker’sche Modifikation der ursprünglichen
AVölfler 'sehen Angabe, den Dünndarm in die vordere Magenwand
einzupflanzen, vorgezogen haben. AVenn der Alagen erweitert
ist und keine pathologischen A'’erwachsungen des Fundus dar-
bietet, ist die V. Hacker’sche Dperation ebenso leicht auszuführen,
wie die AVölfler’sche. Darauf, dass von 6 AVölfler’schen Dperationen
uns 4 und von 14 v. Hacker’schen ebenfalls bloss 4 gestorben
sind, möchten wir kein grosses Gewicht legen, da naturgemäss die
schlimmen Fälle nach der AVölfler’schen Alethode operiert worden
sind und dieselben auch noch in unsere Lehrzeit fielen. Bekannt-
lich hat ja Lücke gerade mit der AVölfler’schen Methode ausge-
zeichnete Erfolge erzielt.
Zum Schlüsse möchten wh’ noch darauf hinweisen, dass die
f
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am Magen u. Darm. 43d
doppelreihige Darmnalit mit Seide in allen Fällen die Probe be-
standen hat, dass auch bei starkem Wasserdruck im Cadaver kein
Lecken zu beobachten war und dass auch erhebliche Randnekrosen
nicht vorgekommen sind.
Seit lange waren wir begierig , zu sehen , wie sich die
vonSenn u. A. experimentell studierte Methode, dieEnteroanastomose
durch decalcinierte Knochen(Catgut oder Gummijringe rascher zu
bewerkstelligen, am Menschen bewähren werde. Wir hatten
keinen Grund von unserer bewährten Methode abzugehen und die
oben mitgeteilten Erfahrungen von Senn geben uns Recht. Auf
die grosse Mortalität wollen wir kein grosses Gewicht legen, da
Senn offenbar recht schlechte Fälle zur Operation bekommen hat.
Allein bei Verwendung trockener Platten bekam er Decubitus und
sah sich genötigt, zunächst die Schleimhaut mit der Serosa lippen-
förmig zu unisäumen und dann noch eine fortlaufende Serosanaht
hinzuzufügen. Trotzdem beobachtete er in seinem 5. Falle Perfo-
rationsperitonitis. Da in seinem 8. Falle die feuchten Beinplatten
schon 40 Stunden nach der Operation erbrochen wurden, ist es
schwer zu glauben, dass diese Modifikation seines Verfahrens eine
grössere Sicherheit gewähren wird. Die Plattenmethode ist also
unsicher und, wenn sie gut und schnell ausgeführt werden soll,
erfordert sie mehr Uebung von seiten des Operateurs und Assi-
stenten als die zweireihige Darmnaht. Es soll uns herzlich freuen,
wenn eine bessere und einfachere Methode der Darmnaht, als die
zweireihige erfunden wird, aber dieselbe ist einfach und gut, und
wie wir an anderem Orte betont haben, kommt es jetzt weniger
darauf an, neue Methoden zu erfinden, als die indmduelle Technik
des Operateurs in der Ausführung der Darmnaht durch fleissige
Uebung am Cadaver und am lebenden Tiere möglichst sorgfältig
auszubilden.
Von der grössten Wichtigkeit für die Frage der Berechtigung
der Gastroenterostomie sind die Endresultate der sogenannten
genesenen Fälle. Es ist ja schwer zu sagen, wie viel einige
Monate des Gefühles der Reconvalescenz und der Sättigung im
individuellen Leben wert sind. Es bleibt bei dieser Operation im
Gegensatz zu der Gastrostomie und der Colostomie keine ekhge
Fistel zurück. Man wird ihr also einen höheren ethischen Wert
beilegen müssen, als diesen ebenfalls bloss palliativen Operationen.
Trotzdem müssen wir gestehen, dass die Dauer des Erfolges, so
schön er sich in einigen Fällen auch darstellt, allzukurz und bis
jetzt wenigstens durch ein zu hohes Risiko erkauft ist. Das
Risiko wird voraussichtlich abnehmen, und die Dauer der Erfolge
28
434
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
bei Krebsleiden kann, so lange kein inneres Mittel dagegen er-
funden ist, bloss dadurch erhöht werden, dass man nicht zu lange
wartet, sondern schon eher den armen Kranken die lindernde
Operation vorschlägt.
Von unseren 12 genesenen Fällen sind sogar 2 noch in der
Klinik gestorben, Nr. 11 am 25. Tage, nachdem sich bei beginnen-
der Reconvalescenz einmal Erbrechen einstellte, wobei eine frische
Blutung aus einer Adhäsion in der Nähe des Nabels den geringen
Kräftevorrat verzehrte. Es fanden sich metastatische Knoten im
Peritoneum, beiden Ovarien und Tuberkulose beider Lungenspitzen,
Schluckpneunomie des linken Unterlappens. Ob man diesen Fall
noch den »Genesenen« zurechnen darf, mag zweifelhaft sein.
Nr. 12 hatte schon 14 Pfund an Gewicht zugenommen, dann
kamen Metastasen in die Wirbelsäule und Decubitus, dem er 10
Wochen nach der Operation erlag.
Auch Nr. 19 und 3 starben schon 42 resp. 39 Tage nach
der Operation bald nach ihrer Entlassung. Bei Nr. 19 kam es zu
keiner rechten Reconvalescenz, während Nr. 3, in recht gutem
Zustande entlassen, wahrscheinlich in der Freude der Heimkehr
durch einen Diätfehler sich den Tod holte.
Mehr Freude machten uns die übrigen Fälle.
Nr. 5 lebte 11 Monate und hatte in den ersten Monaten eine
so gute Reconvalescenz, dass mir sein New- Yorker Arzt in allem
Ernste seine Zweifel ausdrückte, ob unsere Diagnose richtig war.
Sein Körpergewicht nahm von 44,5 wieder bis auf 70 Kilogramm
zu. Nach fünf Monaten begannen die alten Beschwerden, welche
allmählich zunehmend den Tod herbeiführten.
Nr. 7 nahm um die Hälfte ihres Gewichts (von 67 auf 9972
Pfund) zu und hatte soviel Fettpolster zugelegt, dass man fünf
Monate nach der Operation die Geschwulst des Pförtners kaum
fühlen konnte. Die letzten 2 Monate ihres 11 72 Monate nach der
Operation dauernden Lebens waren wieder diu’ch den Rückfall der
Beschwerden verbittert.
Auch Nr. 8 hatte 5 gute Monate und starb, nachdem durch sechs
AVochen wieder die alten Beschwerden eingetreten waren. Der
interessante Sektionsbefund dieses Falles, bei dem die Oeffnung
3 cm lang angelegt und auf 8 Millimeter Durchmesser ge-
schrumpft war, mahnt uns, die Anastomose möglichst weit zu
machen, da sie, wie jeder Narbenring, die Neigung hat, sich zu-
sammenzuziehen und infolgedessen den Nutzen der Anastomose
in Frage zu stellen. Genaue Nachrichten fehlen über Nr. 15
(9 Monate), 16 (572 Monate) und 18 (keine Antwort). Die durchschnitt-
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am iMagen n. Darm. 435
liclie Lebensdauer nach der Operation betrug bei den neun Krebs-
fällen, über deren Ende genaue Nachrichten vorliegen, 5 — 6 Monate.
Aber mit Krebskranken, deren Tage immer gezählt sind,
lässt sich der Wert der Gastroenterostomie nicht beweisen. Um
so wertvoller ist es, dass unter unseren genesenen Fällen auch
zwei gutartige durch Magengeschwüre bedingte Stenosen des
Pylorus sich befinden (Nr. 17 und 20). Die beiden Kranken,
welche jahrelang durch ihr Magenleiden arbeitsunfähig waren,
fortwährend mit Schmerzen , Erbrechen , Blutungen , Stuhlver-
stopfung etc., zu leiden hatten, sind durch die Operation wie
mit einem Schlage von ihren Leiden befreit, haben über
40 Pfund an Gewicht zugenommen und sind seit 2 resp.
1 Jahre wieder arbeitsfähig und voraussichtlich dauernd
genesen. Offenbar sind auch die Magengeschwüre, welche frü-
her durch die faulen Zersetzungen im Magen fortwährend gereizt
wurden, spontan geheilt und die Dilatation des Magens hat sich ganz
zurückgebildet, fürwahr ein glänzender Erfolg der modernen Chirurgie !
III. Die Probelaparotoinieen wegen Magenkrebs
(Nr. 1 — 9 u. n der Tabelle).
Aus verschiedenen Gründen haben wir kurze Kranken-
geschichten derjenigen Fälle angeschlossen, bei welchen wir, sei
es auf dringenden Wunsch des Patienten, sei es in der Hoffnung,
die Leiden derselben beseitigen zu können, Probelaparotomieen aus-
geführt haben und die Bauchhöhle wieder schliessen mussten,
weil sich eine Exstirpation als unthunlich und eine IMagendarm-
fistelbildung als überflüssig herausstellte, da Stenosenerscheinungen
fehlten. Die Probelaparotomieen sind seltener geworden, als wir
durch zunehmende Erfahrungen die Grenzen der Möglichkeit, beim
Magenkrebs operative Hilfe zu leisten, genau kennen lernten und
nachdem wir seit dem Jahre 1885 häufiger zu der Gastroentero-
stomie unsere Zuflucht nahmen. Es fallen deshalb auf die erste
Hälfte unserer Berichtszeit 7, auf die zweite Hälfte bloss 3 Probe-
laparotomieen. Wenn wir die Gastroenterostomieen den Probe-
laparotomieen hinzuzählen, bekommen wir für die erste Hälfte 14,
für die zweite Hälfte 16 Operationen.
Zunächst wollten wir dem Leser durch die Krankengeschichten
die Möglichkeit eröffnen, durch eigene Lektüre sich ein Urteil zu
bilden, warum wir im einzelnen Falle vor dem Versuche der radi-
kalen oder palliativen Operation zurückgeschreckt sind. Schon das
Zahlen Verhältnis : 19 Resektionen am Magen, 20 Gastroenterosto-
mieen, 10 Probelaparotomieen ist nicht ohne Interesse.
436
Czerny und Walter Rindfleisch.
Die Frage, ist eine Probelaparotomie ohne Gefahr, können
wir nicht unbedingt mit ja beantworten, denn drei Patienten sind
nach der Operation am 7., 8. und 15. Tage gestorben. Freilich
hatten sie alle Metastasen im Netz oder blutigen Ascites, Kompli-
kationen, welche jeden operativen Eingriff, 'selbst die einfache
Punktion des Ascites, gefährlich erscheinen lassen. Ob eine noch
sorgfältigere Asepsis, bei Vermeidung von antiseptischen Mitteln,
diese Gefahr vermindert hätte, wagen wir nicht zu entscheiden.
Von den 7 Ueberlebenden , welche die Klinik mit der leider
trügerischen Hoffnung, Nutzen. von der Operation davon zu tragen,
verlassen hatten, konnten wir bei 5 das genaue Datum des Todes-
tages ermitteln. Sie überlebten die Operation 53 Tage, 7 Monat
20 T., 6 M. 16 T., 13 M. 2 T. und 4 M. 16 T., also im Durch-
schnitt 6'/2 Monate. Da die mittlere Lebensdauer der wegen
Pyloruskrebs mit der Magendarmfistelbildung Behandelten bloss auf
572 Monate berechnet wird und da keiner der letzteren mehr als
1172 Monate lebte, könnte man leicht den Schluss ziehen, dass
die Probelaparotomie allein bei Krebskranken mehr leistet als die
Gastroenterostomie. Bekanntlich haben La wson Tait und andere
Chirurgen im Anschluss an die wunderbaren Wirkungen nach der
Incision bei Bauchfelltuberkulose behauptet, sie hätten einen ähnlich
günstigen Erfolg auch bei bösartigen Neubildungen nach der Probe-
incision der Bauchhöhle beobachtet. Es ist nun nicht einzusehen,
warum die Gastroenterostomie nicht in erhöhtem Masse diesen
günstigen Einfluss auf die Rückbildung maligner Tumoren aus-
üben sollte, wie die einfache Laparotomie. Ist doch auch von der
Colostomie ein solch günstiger Einfluss auf den Verlauf des Mast-
darmkrebses behauptet worden. Da wir weder bei der einen noch
bei der andern Operation eine Rückbildung maligner Neubildungen,
wenn sie nicht radikal entfernt worden sind, beobachten konnten,
müssen wir uns über diesen Mangel, an Glück mit der Hoffnung
trösten, dass unsere Diagnosen etwas genauer waren, als diejenigen
jener glückhchen Operateure.
Der einzige Schluss, welchen wir aus der traurigen Erfahrung,
dass die Gastroenterostomie nicht mehr leistet, als die Probeinci-
sion, zu ziehen wagen, ist der schon oben wiederholt ausges]Drochene,
dass unsere operative Thätigkeit sich nicht gegen den Magenkrebs
als solchen, sondern gegen die mechanischen Hindernisse, welche
er der Fortschaffung der Nahrung aus dem Magen entgegensetzt,
richten soll, dass wir also wesentlich die sekundäre Magen-
erweiterung mit ihren Folgen operativ bekämpfen sollen.
Finden wir dabei einen Pyloruskrebs, welcher sich radikal
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef . Operationen am Magen n. Darm.
437
exstirpieren lässt, so ist das ein Glücksfall, welcher, wie
die oben angeführten Fälle (Nr. 10 und 11 der Resektionen) be-
weisen, zu einer Verlängerung des Lebens und zur Besei-
tigung der Beschwerden führen kann. Ist der Krebs nicht
mehr radikal zu beseitigen, so wird die Gastroentero-
stomie wenigstens temporär die Qualen der Magendila-
tation beseitigen und das Befinden des Kranken verbes-
sern. Ihre glänzendsten Triumphe feiert die moderne
Magenchirurgie bei den gutartigen Stenosen und Ge-
schwürsbildungen am Magen.
Von den Probelaparotomieen verdient vielleicht Nr. 11 der
Tabelle eine besondere Erwähnung, weil der im linken Leber-
lappen gefundene Krebs die Bauchwunde durchbrach und zu der
Behandlung mit Chlorzinkpasta nötigte, ein früher (1882) Ver-
such von Leberchirurgie, den wir allerdings mehr der Not als
dem eigenen Triebe gehorchend unternommen haben.
A n h a n g.
1. Eine Probelapavotoinie wegen Verdacht anf Ulcus.
An die Probelaparotomieen wegen Krebs scbliessen wir einen Fall (Nr. 10
der Tabelle) an , bei welchem seit 7 Jahren heftige Magenbescbwerden , Sod-
brennen, Hyperacidität, welche bloss durch grosse Klengen Soda gemildert werden
konnte, Schmerzen und Druck im Fipigastrium die Arbeit des Architekten am
Zeichentische unmöglich machten. Dagegen konnte der junge iMann die an-
strengenden Uebungen als Reserveoffizier mitmachen. Nachdem alle möglichen
Knrversnche von hervorragenden iMagenspezialisten vergeblich waren, verlangte
er dringend operative Hilfe. Nach langem Zögern und im Besitze eines Reverses,
dass wir für den Nutzen und Schaden der Operation nicht einstehen könnten,
entschlossen wir uns zu einer Probelaparotomie in der Holfnung, vielleicht an
einem Druckpunkte eine Narbe oder Adhäsion zu finden.
Es fand sich nichts Krankhaftes ausser etwas lebhafter Pulsation in der
Gegend des Arteria linealis. In den ersten Wochen nach der Operation be-
hauptete der Kranke offenbar unter dem suggestiven und diätetischem Einfiusse
der Operation Besserung zu verspüren. Bald jedoch traten die alten Beschwerden
M ieder hervor, und als der Patient abermals eine Incision in den Magen stürmisch
verlangte, M urde er an Herrn Prof. Mikulicz zu M’eiterer Behandlung empfohlen.
2. Laiiarotomieeii wegen Tumoren neben dem Magen.
Von den 3 Fällen der Tabelle (11—14) ist der erste schon bei Gelegenheit
der Probeeinschnitte wegen Kreljs kurz erwähnt, die anderen beiden scbliessen
sich ganz eng an die oben unter HI. angeführten 2 ^lagenresektionen wegen über-
greifenden Tumoren an, denn der Fall Elisabeth B. (,12) stellt ein Myxosarcom des
grossen Netzes vor, ähnlich -wie die ebenerwäbnten 2 Fidle, nur dass die Vernarbungen
so ausgedehnte M'aren, dass eine radikale Ojieration nicht mehr ausfiUirbar war.
Wilhehnine II. (1.3) litt an einem Fibrosarcom, Meiches von den Lymph-
438
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
drüsen der kleinen Curvatur des i\Ia,ü:ens ausging, mit der Hinterfläche des
IMagens breit aber trennbar verwachsen war und seinen Gefässstiel am Tripus
Halleri hatte. Die erste Operation mit Schonung der IMagenwand hatte einen so
glänzenden Erfolg, dass die Patientin noch zweimal normal niederkam. Erst
dann stellte sich ein Recidiv ein , das so ausgedehnte Verwachsungen zeigte,
dass seine radikale Entfernung vielleicht lieber unterblieben wäre.
Diese 4 Fälle von S a r c o m e n a m M a g e n scheinen uns zu beweisen,
dass diese Geschwülste von den lymphatischen Elementen der grossen oder
kleinen Curvatur ausgehen und erst secundär auf die IMagenwand übergreifen,
welche sie schliesslich selbst perforieren können (Fall I., 19). Die mehrjährige
Heilung in diesem und das späte Recidiv in den Fällen IH., 13 und I. 18
schliessen sich an die Erfalirungen an, welche wir auch sonst bei Sarcomen
zu machen Gelegenheit haben.
Resultate.
Wenn wir nocheininal die Erfolge der Magennähte und
Resektionen zusammenfassen, so sind von
19 Magenresektionen (an 18 Ratienten) 7 gestorben.
Der Tod erfolgte einmal an Collaps, zweimal an Colongangrän,
dreimal an Peritonitis, welche zweimal einer Nahtnekrose
oder einem technischen Fehler zugeschrieben werden musste, und
einmal an Schluckpneumonie.
^^on den genesenen 12 Fällen sind zunächst 5 Magenkrebse
nach 2 — 18, im Durchschnitt nach 10,2 Monaten an Recidiv gestorben.
Zwei an Magenkrebs Operierte leben noch 15 und 26
Monate nach der Operation ohne Recidiv.
Zu den zwei eliptischen Excisionen wegen Sarcomen sind die
zwei Sarcome hinzuzugesellen, von denen eines bloss einer Probe-
laparotomie unterzogen werden konnte, während der andere Fall noch
4 Jahre nach der ersten Operation ganz gesund blieb und zweimal
Kinder erzeugte, dann aber im fünften Jahre an einer Recidiv-
operation starb. Von den zwei ehp tischen Magenresektionen ist
einer nach 13 Monaten am Recidiv gestorben, einer lebt noch
nach 2 Jahren ohne Recidiv.
Von den gutartigen Stenosen ist ein Fall nach 9 Monaten
am Recidiv der Verengerung gestorben und 2 Fälle leben noch
nach 4 und 10 Jahren in voller Gesundheit.
Von 20 Gastroenterostomieen sind 8 gestorben und zwar
2 an Peritonitis, 4 an Collaps und 2 an Schluckpneumonie. Bei einem
Falle spielte ein technischer Fehler mit, aber die Naht hielt stets.
Die überlebenden Krebskranken überlebten die OjDeration teilweise
mit bedeutender Besserung des Befindens 1 — 11 ’/a Monate. Zwei mit
gutartigen Stenosen behaftete sind seit 1 und 2 Jahren
frei von Beschwerden und vollkommen arbeitsfähig.
I. ^Lageiireselitioueii.
la. Magenresektionen wegen Pyloruskrebs.
L'eb. die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am Magen u. Darm. 439
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Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ansgef. Operationen am Magen u. Darm. 451
B. Darmnähte und Darmresektionen.
Von der nachfolgenden Besprechung haben wir die acuten
Perforationen des Darmes, die Resektion des Wurmfortsatzes, die
acuten inneren Incarcerationen , ebenso wie die incarcerierten
Hernien, welche die Resektion gangränösen Darmes nötig machten,
ferner die Enterostomien wegen Kotstauung und inoperablen Ge-
schwülsten, die Lösung von Knickungen und Adhäsionen des
Darmes, sowie die zufälligen Verletzungen, welche bei Operation
von Bauchtumoren vorkamen, ausgeschlossen.
Es beschränkt sich die Arbeit demnach auf die Darmnaht
und Resektionen wegen Geschwülsten, tuberkulösen und Narben-
Stenosen, Invaginationen und Kotfisteln, welche nach Hernioto-
mieen zurückgeblieben sind.
1. Darmresektioneii wegen bösartiger Geschwülste.
Zehn maligne Darmtumoren, welche sämtlich vom Dickdarm
(Coecum 4, Flexura sigmoidea 2, Colon transversum 3, Colon des-
cendens 1) ausgingen, wurden der Operation unterzogen. Dreimal
war das Carcinom auf einen anderen Darmteil übergegangen und
erforderte eine doppelte Darnmaht. Zw’eimal vom Colon trans-
versum auf die Flexura sigmoidea und den Dünndarm, einmal
vom Coecum auf das Duodenum.
Was die Natur der Geschwülste betrifft, so war einmal (1)
ein medulläres, einmal ein papilläres (3), viermal (6, 7, 8, 9) ein
einfaches Drüsencarcinom diagnosticiert, von denen die 3 letzten
mehr der derben skirrhösen Form angehörten und deshalb wohl
auch eine bessere Prognose boten.
Es liegt wohl nahe, anzunehmen, dass auch der Drüsenkrebs
des Darmes ähnlich wie der Drüsenkrebs der Mamma nicht selten
als derber, langsam wachsender Knoten beginnt und erst später
durch raschere Zellenproliferation mehr die medulläre Form an-
nimmt.
Dreimal (2, 4, 5) wurde ein Gallertcarcinom festgestellt. End-
lich fand sich einmal ein alveolares Lymphosarcom des Colon
transversum (10), welches noch dadurch eine besondere Stellung
einnimmt, weil es 5 Jahre nach der Entfernung eines Ovarial-
sarcoms auftrat und weil die Patientin noch jetzt sechs Jahre
nach der Darmresektion, 11 Jahre nach der Operation des
primären Sarcoms ganz gesund ist.
Was die Resultate der Operation betrifft, so kamen auf den
ersten glänzenden Erfolg leider mehrere Misserfolge. Im ganzen
452
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
sind 5 Genesungen und 5 Todesfälle zu verzeichnen. Der Tod
erfolgte einmal (2) durch Collaps nach der sehr schweren und
langdauernden Operation und viermal durch septische Peritonitis.
Wenn auch bei diesen Fällen Herzschwäche manchmal mitge-
spielt haben mag, so ist doch wohl hauptsächlich die Infektion
des Bauchfelles durch Darminhalt während der Operation als
Todesursache anzuklagen. Dem entsprechend erfolgte der Tod
auch schon am 1. — 3. Tage. Die Darmnaht that jedesmal ihren
Dienst.
Von 3 Doppelresektionen des Darmes trugen 2 zu der Ver-
mehrung der Todesfälle bei und müssten eigentlich bei der Be-
rechnung der Mortalität der Darmresektion wegen Geschwülsten
besonders gezählt werden.
Von den 5 nach der Operation genesenen Kranken ist eine (1) schon
nach 6 Monaten 11 Tagen an kontinuierlichem Recidiv gestorben.
Vier leben noch (seit 6,15, 19 Monaten und 6 Jahren) in voller Ge-
sundheit und sind durch die Operation von ihren grossen
Beschwerden vollkommen befreit.
Das bedeutet freilich noch keine definitive Heilung von dem
Krebsleiden, aber immerhin zeigen die Fälle, dass die Darmresek-
tion bei richtiger Auswahl und guter Ausführung grossen Nutzen
zu schaffen im Stande ist. Wenn die Kranken schon seit Jahren
durch ihre Leiden geschwächt und ein grosser nur schwer be-
weglicher Tumor (Fall 1, 2, 4, 5, 6) vorhanden ist, wird man besser
von der Radikaloperation abstehen und bloss dann zu derselben
greifen, wenn es gelingt, durch eine vorausgehende Enterostomie
die Kräfte des Patienten zu heben. Am günstigsten werden
immer die Fälle sein, bei denen ein kleiner Skirrhus schon früh-
zeitig Stenosenerscheinungen macht und deshalb zum Handeln
auffordert. Bei Nr. 7, 8 und 9 konnten wir vol der Operation
keinen Tumor nachweisen und bloss aus dem Symptomenkomplexe
einen malignen Tumor vermuten. Bei 7 und 8 gelang es nach
der dringend erforderlichen Enterostomie den kleinen Tumor zu
finden und ihn durch eine 2. Operation zu beseitigen.
Im Falle 9, wo der Meteorismus noch nicht allzugross war,
konnten wir den vermuteten kleinen Tumor der Flexura sigmoidea
durch die Probeincision feststellen und schritten sofort auch zu
seiner Entfernung durch die primäre Darmresektion.
Sechs von den Kranken waren weiblichen, vier männlichen
Geschlechtes. Die Männer gingen nach der Operation sämtlich
zu Grunde, während von den 6 Frauen 5 gerettet wurden. Das
Alter bewegte sich zwischen .34 und 52 Jahren und war im Durch-
IJeb. die an der Heidelb. chir. Klin. aiisgef. Operationen am Magen u. Darm. 453
schnitt 45 Jahre. Das niedrigste Alter (34 Jahre) hatte die Patien-
tin mit dem Sarcom.
2. Tuberkulöse Darintumoren.
Von besonderem Interesse, weil noch wenig bekannt, sind
die Resektionen wegen tuberkulöser Darmgeschwüre. Zu den
5 Fällen, welche Czerny bei Besprechung der Bauchfelltuberkulose
mitgeteilt hat (Beiträge zur klin. Chirurgie, VI. Band, Tübingen 1890),
sind noch 6 neue hinzugekommen. Seitdem hat König’) auf
die Bedeutung der tuberkulösen Ileocoecalstenosen aufmerksam
gemacht und interessante Beobachtungen darüber mitgeteilt.
Von unseren 11 Fällen betrafen 9 das Coecum, von denen
.•) mit Fisteln nach aussen sich geöffnet hatten (17, 18, 19). Auch
bei 13 bestand eine Dünn- und Dickdarm- (wahrscheinlich Coecal-)
fistel, während bei 15 eine kleinknotige Bauchfelltuberkulose wohl
erst secundär zur Dünndarmperforation geführt hatte.
Die 2 Fälle, bei welchen durch Spaltung der Fistelgänge,
eliptische Anfrischung und lineäre Naht der Darmfistel die Hei-
lung versucht wurde (Nr. 13, 17), kamen niclit zur Genesung.
Von den Darmresektionen ist zunächst Nr. 15 besonders zu be-
trachten, da bei derselben 5 Fisteln durcli lineäre Naht und 2 Fisteln
durch Resektion von 9 cm Dünndarm zu heilen versucht wurden. Da
die Patientin ausserdem schon Allgemeintuberkulose und Amy-
loiddegeneration hatte, erlag sie dem schweren Eingriffe.
Nach den 8 typischen Resektionen, welche wegen stenosieren-
der Geschwüre der Ileocoecalgegend ausgeführt worden sind,
starb ein Patient (12) von 54 Jahren , bei welchem der fest ein-
gewachsene Ureter verletzt wurde, so dass sofort die Niere exstir-
piert werden musste. Er überstand den Shock der Operation und
ging erst am 7. Tage an Peritonitis zu Grunde, welche durch
secundäre Nekrose der Nahtränder entstanden war.
Da dieser ein sehr schwieriger Fall im vorgerückten Lebens-
alter war, welcher der eingreifenden radikalen Operation bloss
deshalb unterzogen wurde, weil wir einen Darmkrebs vor uns zu
haben glaubten, beweisen die übrigen 7 Fälle, welche sämtlich
zunächst geheilt sind, dass die als sehr gefährlich ver-
schrieene Resektion der Ileocoecalpartie des Darmes,
wenn sie richtig ausgeführt wird, von jugendlichen Indi-
viduen, und um solche handelt es sich meistens bei der
Darmtuberkulose, relativ leicht vertragen wird.
0 Deutsche Zeitschr. f. Cliir. Bd. XXXIV p. 65 , Die striktnrierende Tuber-
kulose des Darmes und ihre Behandlung.
454
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
Freilich ist Nr. 19 bald nach seiner Heimkehr an einer
profusen Mastdarmblutung gestorben. Wenn aber ein Kranker,
wie dieser, an Lungenphthise und paraproctalen, tuberkulösen Ab-
scessen leidet, wird man vielleicht besser thun, die immerhin ein-
greifende Operation zu unterlassen. Wir haben sie auch nur
unternommen, weil der Patient sich jedem Versuche unterziehen
wollte, welcher ihm die Möglichkeit der Genesung darbieten würde.
Von 4 Kranken ist festgestellt, dass sie durch 6, 14 Monate, 2
und 5 Jahre von ihren Darmbeschwerden ganz befreit, einer guten
Ernährung vollkommen zugänglich waren. Leider waren bei 3
(11, 16, 18) derselben die Verhältnisse so ärmlich, dass sie sich
fast nur von Kartoffeln ernähren mussten. Es ist deshalb nur zu
wundern, dass die Erscheinungen der Phthise nicht noch raschere
Fortschritte gemacht haben. Bei 2 Kranken (20, 21) ist die Be-
obachtungsdauer zu kurz , um schon ein endgültiges Urteil zu
fällen, allein auch hier war die Besserung der Symptome und die
Zunahme des Körpergewichts nach der Operation ganz auffallend.
Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass die Resultate
der Resektion der Ileocoecaltuberkulose recht befriedigende sind.
Es wird sich darum handeln, festzustellen, woran man die Krank-
heit erkennt, welche Fälle für die Operation geeignet sind und
wie die Technik derselben einzurichten ist.
Das Alter unserer Patienten schwankte zwischen 17 und 54
Jahren und betrug im Durchschnitte 34 Jahre. Vier waren weib-
lichen, 7 männlichen Geschlechtes. Meistens gingen der Darm-
erkrankung andere Erkrankungen voraus ; Influenza , Lungen-
entzündung , Typhus ; oder es waren in der Jugend Drüsen-
schwellungen vorhanden, Narben von solchen oder an der Horn-
haut, am Periost, Knochen oder Gelenken deuteten auf das Vor-
handensein tuberkulöser Infektion.
Die Kranken kommen zum Arzt, weil sie entweder die Er-
scheinungen einer Darmgeschwulst mit Stenose haben, oder weil
Fistelbildungen mit Eiter und Kotentleerung sie dazu treiben.
In der ersten Reihe findet man bei genauer Palpation mit
angezogenem Oberschenkel, tiefer regelmässiger Respiration, nach
Entleerung des Darmes ohne oder mit Narkose in der Ileocoecal-
gegend einen walzenförmigen Tumor, der gedämpft tympanitischen
Schall zeigt, mehr oder weniger beweglich ist und beim Drücken
sehr häufig gurrende Geräusche hören oder fühlen lässt. Die
genaue Erhebung der Symptome und der Anamnese, die Beob-
achtung des Urins wird vor Verwechslung mit Nieren- und Gallen-
blasengeschwülsten schützen.
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am Magen u. Darm. 455
Je beweglicher so ein Tumor ist, je mehr Beschwerden der-
selbe bei der Verdauung macht, je mehr man annehmen darf, dass
es sich um eine solitäre Lokalisation der Tuberkulose handelt, um
so eher wird man eine Operation in Betracht ziehen dürfen. Ge-
wöhnlich ist ja schon der Schatz innerer Mittel erschöpft, wenn
die Kranken zum Chirurgen kommen, und eine wiederholte Ge-
wichtsbestimmung hat bewiesen, dass trotz aller diätetischen und
inneren Mittel die Ernährung des Patienten kontinuierlich abnimmt.
Erst dann halten wir den operativen Eingriff für gerechtfertigt.
In der 2. Reihe haben die tuberkulösen Geschwüre mit oder
ohne Stenose zu paratyphlitischen Abscessen geführt, welche all-
mählich weiter kriechend endlich die Haut perforierten. Man
wird in diesen Fällen zunächst versuchen, durch Spaltung der
Fistelgänge , Ausschabung und Aetzung derselben die Heilung
herbeizuführen. Nichttuberkulöse, paratyphhtischeAbscesse sieht man
ja nicht selten auf diese Weise ausheilen. Bei tuberkulösen Ab-
scessen und wenn die Spaltung direkt auf die Darmgeschwüre
führt, ist wohl nur äusserst selten ohne typische Resektion des
Darmes eine Heilung der Fisteln gelungen, wie unsere und nament-
lich Billroth’s Erfahrungen zeigen^). Eine Contraindikation geben
in diesen Fällen die starken Schwielenbildungen in der Umgebung
des Darmes, seine feste Verwachsung mit Netz und anderen
Därmen , welche die Resektion dieser Blinddarmgeschwülste oft
ausserordentlich erschwert, ja unmöglich machen kann.
Wenn man die durch die Operation gewonnenen Präparate
durchmustert, so hat man den Eindruck, dass die Geschwürs-
bildung fast immer an der Ileocoecalklappe beginnt, gegen das
Ileum, welches stets frei bleibt, scharf abgegrenzt ist und gegen
das Coecum, dann Colon ascendens serpiginös fortschreitet. Die
Grenzen des Geschwüres sind buchtig ausgezackt, die Ränder oft
unterminiert. Schleimhautinseln und Brücken bleiben mitten im
Gescliwmr intakt stehen. Der Wurmfortsatz und der Blindsack
schrumpfen und gehen schliesslich in der narbigen Geschwulst-
masse ganz verloren. Während der Geschwürsrand gegen das
Colon ascendens fortschreitet, benarben die alten Geschwürsstellen
und lassen zwischen sich polypöse Schleimhautinseln, welche oft
der ganzen Fläche ein warziges Aussehen verleihen, stehen.
Die Vernarbung führt zu Verengerungen des Lumens, welches
namentlich an der Ileocoecalklappe bis auf Bleistiftdicke schrumpfen
oder durch eine stehen gebliebene Schleimliautbrücke in zwei enge
*) Fritz Salzer, Beiträge zur Pathologie u. chirurgischen Therapie chronischer
Coecumerkrankungen. Arch. f. klin. Chirurgie 4.3. Bd. S. 101.
456
V. ('zerny und Walter Kindfleisch.
Kanäle umgewaiidelt sein kann. Es braucht sich bloss ein Kot-
stein oder Fremdkörper in dieser engen Oeffnung festzusetzen, um
das Bild des Ileus hervorzurufen. Gewöhnlich sind diese Kranken
durch die lange Dauer des Leidens schon so vorsichtig in der
Wahl ihrer Nahrung, dass es erstaunlich ist, wie sie sich bei der
hochgradigen Enge der Striktur doch noch auf einem minimalen
Körpergleichgewicht halten konnten.
Diese Geschwüre können in seltenen Fällen direkt die Darm-
wand durchfressen oder, was häufiger der Fall zu sein scheint, es
entwickeln sich in dem lockeren Zellgewebe in der Umgebung
des Darmes entweder fibrinöse oder eitrige Exsudate, welche den
Durchbruch nach aussen vorbereiten. Nach der Bauchhöhle er-
folgt die Perforation selten, weil das langsame Fortschreiten der
Entzündungsprozesse fast immer den Nachbarorganen Zeit lässt,
durch entzündliche Verklebungen diesen schlimmsten Ausgang
zu verhindern. Man findet dann nicht selten Dünndarmschlingen
verlötet und manchmal auf dem Wege dieser Verlötungsstellen
mit tuberkulösen Geschwüren besetzt, welche unter Umständen
zu einer Verbindung zwischen Dünndarm und Dickdarm, also einer
Art natürlichen Enteroanastomose führen können.
Für die Technik dieser Operationen ergiebt sich daraus die
Regel, dass es im allgemeinen besser ist, die Fisteln zunächst aus-
zuschaben, zu desinficieren und mit Jodoformgaze zu tamponieren,
dann aber durch einen neuen Schnitt (pararectal oder schief, wie für
die Unterbindung der A. iliaca interna) das Coecum von innen
freizulegen. Wenn es gelingt, die Adhäsionen zu lösen, den Darm-
tumor vor die Bauch wunde zu ziehen, so ist die t}^pische Resek-
tion und circuläre Naht des Ileum mit dem Colon ascendens am
Platze.
Sind die Schwarten zu fest , der Darmtumor unbeweglich
fixiert, so wird eine Ileocolostomie zweifellos die Beschwerden am
sichersten beseitigen. Leider hatten wir bisher bloss einmal Gelegen-
heit gehabt, diese Operation und zwar mit schlechtem Erfolge
auszuführen, möchten aber doch schon an dieser Stelle ihre Be-
rechtigung voll und ganz anerkennen.
Eine grosse Schwierigkeit für die Feststellung der Indikation
bildet die Frage, ob wir es mit einer solitären Lokalisation der
Tuberkulose zu thun haben. Bekanntlich wird von den patho-
logischen Anatomen behauptet, dass die Darmtuberkulose selten
isoliert vorkomme. Das mag auch für den Sektionstisch richtig
sein, wo ja die Darmgeschwüre so sehr häufig als Begleiterschei-
nung allgemeiner Tuberkulose beobachtet werden, aber dem Chi-
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am Magen u. Darm. 457
rurgen stossen isolierte, tuberkulöse Darmgeschwüre, welche wenig-
stens den Kranken mehr belästigen , als die Begleiterscheinungen
in anderen Organen, nicht allzu selten auf. Freilich sieht man
an der fortschreitenden Grenze des tuberkulösen Geschwüres gegen
das Colon ascendens zu nicht selten die meist ringförmig angeord-
neten Vorposten des tuberkulösen Prozesses in der sonst noch ge-
sunden Schleimhaut verstreut, und bei dem einen oder andern der
von uns operierten Patienten mögen noch isolierte Schleimhaut-
geschwüre zurückgeblieben sein. Allein seit dem offenherzigen
Vortrage von König am diesjährigen Chirurgenkongress darf man
es ja wieder aussprechen, dass wir bei unseren operativen Eingriffen
nicht alle Tuberkelbazillen auszuputzen brauchen und dass trotz-
dem Heilungen zu stände kommen, weil wir die Ernährungs-
bedingungen des Patienten durch die Operation bessern und weil
wir dadurch dem Organismus die Möglichkeit bieten, die noch
übrigen Infektionskeime zu eliminieren oder unschädlich zu machen.
Bei welcher Lokalisation der Tuberkulose könnte man aber wohl
dieser Indikation besser gerecht werden, als wenn die Geschwüre
im Darm sitzen und durch die Verengerung die Fortschaffung
seines Inhaltes unmöglich machen. Von dieser Seite aus wird
man die Berechtigung der Darmresektion wegen stenosierender,
tuberkulöser Geschwüre anerkennen müssen.
Immerhin wird es gut sein, die Grenzen dieser Indikation
nicht allzu weit zu stecken und die Operation bloss auf das Not-
wendigste zu beschränken, wenn in Lymphdrüsen, Peritoneum,
Lungen oder anderen Organen progressive Formen von Tuber-
kulose bestehen, oder wenn der Verdacht vorhegt, dass der Darm
an mehr als einer Stelle erkrankt ist.
3. Iiivagiiiatioiieii des Darmes.
Unter den fünf angeführten Fällen der Tabelle finden sich
welche, die nicht ganz in den Rahmen der Arbeit gehören, allein
wir wollten doch unsere gesamten Erfahrungen auf diesem inter-
essanten Gebiete der Unterleibschirurgie mitteilen. Es wären noch
zwei Fälle hinzuzufügen von Kindern, welche am zweiten Tage
nach Beginn der Incarcerationserscheinungen mit einem wurst-
förmigen Tumor im Unterleibe in die Klinik gebracht wm’den,
und bei denen in einem Falle durch Massage in Narkose und
bei dem andern durch hohe Eingiessungen in den Mastdarm die
Beseitigung der Geschwulst und der Erscheinungen gelang.
Endlich vermuten wir, dass in einem Falle, bei dem in ex-
tremis bei iMiserere die Ileostomie gemacht wurde, dann spontane
458
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
Stuhlentleerung, Genesung mit Schluss der Darmfistel im Ileum
durch die Naht erfolgte, wahrscheinlich ebenfalls eine Invagination
die Ursache der inneren Einklemmung gewesen sein mag, welche
nach der Entleerung des supracarcerierten Darmteiles spontan
zurückging.
So klein die Zahl dieser Erfahrungen ist, so rejDräsentieren
sie doch die ganze Reihenfolge chirurgischer Eingriffe, w'elche bei
Intussusceptionen des Darmes in Frage kommen können.
Ja noch mehr, die fünf, durch die Operation anatomisch fest-
gestellten Invaginationen stellen die drei häufigsten Typen mit
ihren verschiedenen Varianten dar. Dreimal war das Ileum mit
dem Coecum in das Colon invaginiert, einmal war das Ileum allein
in das feststehende Colon eingedrungen und einmal war wahr-
scheinlich die Flexura sigmoidea in das Rectum geschlüpft.
Die Invaginationen hatten zum Teil ganz akute, zum Teil
chronische Einklemmungserscheinungen verursacht.
Bei Barbara W. (22) war nach 9tägiger Dauer der Einklemmung
ausgedehnte Gangrän des Darmes entstanden und machte die
Resektion von 72 cm nötig. Da solche Einklemmungen mit Darm-
gangrän schon bei äusseren Brucheinklemmungen von schlechte-
ster Prognose sind, so ist auch hier der unglückliche Ausgang
ganz begreiflich, und da wir die Darmresektionen bei gangränösen
Hernien von dieser Uebersicht ausgeschlossen haben, muss von
Rechts wegen auch dieser Fall ausser Berechnung bleiben, wenn
wir die Prognose der einfachen Darmresektion feststellen wollen.
Auch bei Anton F. (24) hatten die Zerstörungen im Intussus-
ceptum, welches sich umgestüli^t hatte, nachdem die innere Scheide
desselben sich am Schnürringe abgestossen hatte, die Entwicke-
lung der seit 5^2 Monaten bestehenden Invagination unmöglich
gemacht und erforderten die Resektion von 51 cm Darm, wodurch
die dauernde Heilung des Patienten herbeigeführt wurde.
Dagegen konnte bei Carl H. (23) und Philippine N. (26) trotz
2 resp. 6 Monate langen Bestehens der Invagination dieselbe voll-
kommen entwickelt werden. Bloss wegen des Verdachtes auf einen
Tumor an der Ileocoecalklappe wurde in dem ersten Falle die Resek-
tion und in dem zweiten eine Probeincision in das Coecum gemacht.
Auch diese beiden Fälle kamen zur dauernden Heilung. Wie man
sieht, steht und fällt das Schicksal der Invagination und damit
auch meistens des Patienten mit der Frage, ob in dem invaginierten
Darmteil eine bis zur Stase und Gangrän führende Zhkulations-
störung eintritt. Wenn die Einklemmung so heftig ist, dass der
supracarcerierte Darmteil stark gebläht und dadurch in der Er-
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am i\Iagen u. Darm. 459
nähriing gestört wird (Kocher), so erstreckt sich auch die Gan-
grän über die Grenzen der Invagination auf den Peritonealraum
(Nr. 22), und der Patient geht an Peritonitis zu Grunde, wenn es
nicht sehr früh gelingt, die akute Einklemmung durch die Ope-
ration zu heben. Beschränkt sich die Gangrän auf den invagi-
nierten Darmteil, so kann sich das Gangränöse spontan abstossen,
und somit eine Art Naturheilung, allerdings in der Regel mit
Zurücklassung einer Striktur am Halse (vgl. unten den Fall von
Enteroanastomose), der Invagination eintreten, oder die Invagi-
nation tritt durch partielle Abstossung und teilweise Freigebung
der Passage fm den Darminhalt in ein chronisches Stadium (Anton F.
24) und wird darum unserer chirurgischen Behandlung wieder zu-
gänghcher, als es während des akuten Stadiums der Fall war, wo
starker Meteorismus , Reizung des Peritoneums , septische Intoxi-
kation und Herzschwäche jeden grösseren Eingriff gefährlich er-
scheinen lassen. Unter solchen Umständen würden wir die Ileo-
stomie empfehlen und der Laparotomie nur den Vorzug geben
bei den chronisch gewordenen oder bei jenen akuten Fällen, wo
die Invagination noch ganz frisch, die Empfindlichkeit lokal, der
Tumor deutlich fühlbar, der Meteorismus noch gering ist und
wo die milderen Mittel, wie Opiate, Massage, Elektrizität, Eis-
umschläge, Einläufe versagen.
Unsere relativ guten Erfahrungen bei der kleinen Zahl von
uns beobachteter Invaginationen des Darmes hängen davon ab,
dass die akuten Formen am Lande meistens sterben, bevor die
Leute und auch die zugezogenen Aerzte den Entschluss fassen,
den Kranken in die entfernte chirurgische Klinik zu schicken. Die
chronischen Formen der Invagination, welche uns häufiger zu-
gehen, sind aber günstige Objekte der chirurgischen Kunst. Ist
es uns doch gelungen, in vier Fällen die Heilung durch die Ope-
ration herbeizuführen und zwar dreimal durch die Resektion und
einmal nach ßmonatlicher Dauer der Invagination durch die Ent-
wickelung des eingestülpten Darmes. Was die Aetiologie der In-
vaginationen anbetrifft, so konnte bloss bei Nr. 25 ein papilläres
Adenom mit Sicherheit als Ursache festgestellt werden. Auch unter
den Carcinomen des Coecum befindet sich ein Fall, bei welchem
das Carcinom eine Invagination verschuldet hatte (Nr. 3).
Anhang. Eine Enteroanastomose.
Im Anschluss an die bei tuberkulösen Darmtumoren und
Invaginationen ausgeführten Resektionen möchten wir noch un-
seren einzigen Fall von Enteroanastomose, welcher leider einen
unglücklichen Ausgang nahm, kurz anführen :
460
V. Czerny und Walter Kindfleisch.
Knteroanastomose wegen einer seit vielen Jahren bestehenden
hochgradigen Stenose an der Ileocoecalklappe.
Herr Julius L. (12 J. a.
Anamnese. Die Leiden des in seiner Jugend stets gesunden Patienten
begannen Sept. 1888 mit plötzlich auftretenden Durchfällen nach Genuss ver-
dorbener IMuscheln. Abmagerung , wechselndes Befinden , Verstopfung und
Diarrhöen. Januar 1890 steigerten sich die Schmerzen im Leib, Gewichtsabnahme
von Sept. 1888 bis Sej)!. 1890 30 Pfd. 2-1. VI. 91 Untersuchung in Narkose und
Feststellung einer strangförmigen Kesistenz in der Ileocoecalgegend. Bauchmassage
emi)fohlen und zur eventuellen (^)}>eration wiederbestellt.
Status pi’äsens am 22. Juni 1892. Stark abgemagerter, blasser Mann, dessen
Haut unzählige IMorphiuminjektionsnarben trägt. Stuhlgang sehr unregelmässig,
gleich nach dem Stuhlgang heftige, kolikartige Schmerzen im ganzen Leibe, während
sie früher wesentlich von der rechten Bauchgegend ausgingen und beschränkt
blieben.
0])eration am 24. VI. 92. Seitlicher Bauchschnitt rechts. Die regio
coecalis von sehr stark erweiterten Dünndarmschlingen bedeckt ; an der Ileo-
coecalklappe umgab eine narbige Einziehung das Coecum. Ileum stark ausge-
dehnt, Coecum atrophisch. Ascites. Anlegung einer Enteroanastomose zwischen
Ileum und Coecum. Das Ileum wurde ziemlich nahe der Striktur durch eine
fortlaufende Naht an das Colon ascendens befestigt, dann beide Darinteile er-
öffnet und , wie bei der Gastroenterostomie beschrieben , aneinander genäht
(40 Knopfnähte). Drainage der Wunde mit Jodoformdocht. Bauchnaht nach üb-
licher Toilette.
24. VI. abends , unter zunehmenden Schmerzen zwei kolossale Stuhlent-
leerungen und schliesslich Collaps. Tod um 10 Uhr.
Sektion ergiebt Peritonitis. Die Naht ist nicht ganz suffizient; aus einer
Stelle tritt eine geringe IMenge Kot hervor. Der Darm ist mit Kot gefüllt.
Sektionsbefund.
Hoher Zwerchfellstand. Die Dünndarmschlingen sind fast armdick aufgebläht.
Herz klein, schlaff, Arterien rigide, stark atheromatös. Lungen frei, Milz
ganz klein. Leber mit dem rechten, unteren Kand an die Ileocoecalgegend
herangezogen.
Wasser, das mit mässigem Druck ins Ileum läuft, füllt nach und nach
auch das Colon ascendens. Ileum mit Colon durch ringförmige Naht verbunden,
unmittelbar neben der Naht ist der Processus vermiformis. Neben dieser künst-
lichen Kommunikation vor und etwas über derselben ist die stenotische Klappen-
gegend, durch die kaum die Nagelphalanx des kleinen Fingers hindurchkommt.
Ungeheure Verdickung der Muscularis ilei.
Anat. Diagnose : Narbige Stenose der Bauhin’schen Klappe, vermutlich
durch frühere Invagination. Dilatation und Hyiiertrophie des Dünndarms.
lieber 10 Jahre hatte sich der arme Mann mit seiner Darm-
verengerung gequält, da zahllose Consilien mit den hervorragend-
sten Klinikern Deutschlands die widersprechendsten Diagnosen zu
Tage förderten. Neurasthenie, nervöse peristal tische Unruhe, ner-
vöse Krämpfe des Darmes mit Tachycardie des Herzens meinte
die eine Partei, während die andere auf die lokalen Darmerschei-
nungen ein grösseres Gewicht legte und Atonie des Darmes, cliro-
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. aiisgef. Operationen am Klagen u. Darm. 461
nischen Dickdarmkatarrh oder Geschwüre, ja selbst Geschwulst-
bildungen ini Darme annahm.
Als wir den Kranken vor Jahresfrist (mit Herrn ür. Neu-
bürger sen.) sahen mit kolossal aufgetriebenem Leib, durch die
Bauchdecke sichtbarer Peristaltik der armdick geblähten Dünii-
darnischlingen, konnte man nicht zweifeln, dass ein mechanisches
Hindernis im Darme bestehen müsse, aber welches? Das in der
Coecalgegend fühlbare Gurren machte den Sitz der Stenose in dieser
Gegend am wahrscheinlichsten und erklärte auch am besten die
sehr auffällige Erscheinung, dass der Patient zu manchen Zeiten
ganz kolossale Mengen gutgeformten Stuhles durch Klystier ent-
leerte. Eine Geschwulst war nicht fühlbar und eine gründliche
Entleerung durch Abführmittel unmöglich. Die lange Dauer der
Leiden sprach für eine gutartige Striktur. Wir schlugen zunächst
eine Ileostomie vor und bloss für den Fall, dass der Schnitt direkt
auf eine Striktur des Coecums führen sollte, eventuell eine Resek-
tion desselben oder eine Enteroanastomose daselbst.
Da der Patient durch die sorgfältige Pflege seiner Frau und
zahlreiche Morphiumeinspritzungen (6 — 8 im Tage) ein subjektiv
erträgliches Dasein führte, konnte er sich damals nicht zu der
Operation entschliessen und kam erst, nachdem Oedeme der Füsse
und beginnender Ascites, hochgradige Anämie und Atemnot es
klar machten, dass der Anfang vom Ende nicht mehr ferne sei.
Auch da stellte er die Bedingung, jedenfalls keinen künstlichen
After zu behalten. Wir entschlossen uns deshalb zur Ileocolosto-
inie und fanden' in der That gleich nach dem Einschnitt die nar-
bige Einziehung des Ileum in das Coecum mit parietalen Ver-
wachsungen des Darmes. Die Operation wurde glatt, fast ohne
dass andere Därme zu Gesicht kamen, ausgeführt. Nun begannen
aber die Schwierigkeiten. Der Kranke hatte uns bloss einen Tag
zur Vorbereitung gestattet. Das Rizinusöl hatte nicht gewirkt, der
Darm oberhalb der Striktur war prall gespannt und die stürmische
Peristaltik nach der Operation liess sich weder durch Opium, noch
durch Injektionen, welche durch langen Gebrauch ihre Whksam-
keit verloren hatten, stillen. Endlich erfolgten zwei kolossale Ent-
leerungen, welche genügten, um bei dem geschwächten Patienten
den Collaps herbeizuführen.
Vielleicht hätte eine bessere Vorbereitung, vielleicht die ein-
fache Ileostomie oder die gründliche Entleerung des Darmes wäh-
rend der Operation den unglücklichen Ausgang verhindern können,
aber nach der Sektion ist man ja immer klüger als vorher. Für
die Entstehung der Striktur, welche kaum für einen Bleistift den
462
V. Czerny und Walter Eindfleisch.
Durchgang gestattete, liegt die Annahme einer sogenannten ge-
heilten Intussusception, bei der sich das Intussusceptum gangränös,
abgestossen hatte, am nächsten, denn das Leiden war plötzlicL
entstanden und anfangs von blutigen Diarrhöen gefolgt.
4. Dariimähte und liesektioiien wegen Kotflstelii, welche nach | .
incarcerierten Hernien ziirtickgebliehen sind. * ^
Sieben Fälle, welche bis auf den ersten zur Heilung kamen ^).
Bei diesem (27.) wurde die Operation in extremis vorgenommen,
nachdem es nicht gelungen war, die durch schmerzhaftes Eczem
in der Umgebung der Fistel, durch Decubitus und ungenügende
Ernährung auf das äusserste herabgekommene und tuberkulös ge-
wordene Patientin durch Pflege und Bäder etwas zu kräftigen.,
Der Tod erfolgte an Peritonitis. Da die Sektion nicht gestattet
war, muss es unentschieden bleiben, ob die Infektion bei der Ope-
ration von der eczematösen Haut aus oder erst sekundär durch
Insuffizienz der Nähte erfolgt war. Das letztere ist möglich,-
weil erst am Abende des der Operation folgenden Tages plötzlich ^
Collaps eintrat.
Von Interesse waren zunächst die zwei Nabelbrüche (28, 32). " ■
Bei Frau Rosine M. (Nr. 28) musste nach 4tägiger Incarceration des
grossen Nabelbruches eine Kotfistel im Colon transversum angelegt
werden. Zwei Monate später wurde eine linksseitig eingeklemmte ^
Schenkelhernie operiert. Der Kot kam vollständig aus der Nabel-
fistel, da der rückläufige Schenkel des Colon transversum allmäh-
lich ganz zugewachsen war. Da auch die Fistel des zuführenden . '
Schenkels so eng wurde, dass sie für die Kotentleerung nicht ^ '
mehr ausreichte, wurde durch Laparotomie das Colon transversum - 1
von seinen Adhäsionen befreit, die verengten Teile reseciert und ;
der Darm durch die zirkuläre Naht geschlossen. Zwei Jahre ' ■
später starb die Patientin an einer abermaligen Einklemmung der >
linken Schenkelhernie. Die Darmnarbe am Colon transversum war •
kaum sichtbar, die unterhalb der Nahtstelle liegende Darmpartie,
1 T
welche bei der Operation hochgradig atropisch war, ganz normal,
Bei Frau H. (32) war eine Dünndarmschlinge durch Achsen- /'j
drehung im Nabelbruche gangränös geworden und entleerte den
gesamten Kot nach aussen. Auch hier wurde die Oeffnung all- ^ '
mählich zu eng für diesen Zweck und erforderte die Laparotomie ; i
zur Erhaltung des Lebens. Die gedrehte Darmschlinge wurde aus | '
’) Es wären noch 2 Kotfisteln in Brüchen hinzuzufügen , deren Heilung ^
durch direkte Naht schon in den Beiträgen zur Kadikalbehandlung der Brüche
mitgeteilt ist (Beiträge zur operat. Chirurgie 1878 S. 28 u. ff.)
Ueb. die an der Heidelb. cbir. Klin. ausgef. Operationen am Magen u. Dann. 46B
iliren Verwachsungen befreit, die Oefinung im Darme vernäht und
die Radikaloperation des Nabelbruches angeschlossen ^).
Was die drei Schenkelbrüche betrifft, so war bei dem
oben erwähnten, unglücklichen Falle (27) durch den Sporn der
rückführende Schenkel des Darmes ganz verlegt, so dass die Darm-
schlinge durch Bauchschnitt abgelöst und reseciert werden musste.
Dabei riss eine zweite, adhärente Darmschlinge ein und musste
übernäht werden. In ähnlicher Weise wurde bei Fall 30 die Fistel
Umschnitten, der Schnitt parallel der Art. epigastrica nach oben ver-
längert, die Darmschlinge vom Schenkelkanale abgelöst, 6 cm
reseciert und zirkulär genäht. Heilung ohne Drainage.
Bei 31 wurde durch einen dem Poupart’schen Bande parallelen
Schnitt der fixierte Darm abgelöst und die Oeffnung in querer
Richtung vernäht. Ebenfalls Heilung ohne Drainage.
Von den zwei Leistenbrüchen war 29 von besonderem In-
teresse, da 3 Monate nach der Herniotomie des linken Leisten-
bruches sich eine innere Einklemmung durch einen angewachsenen
Netzstrang entwickelte, welche wohl durch Laparotomie beseitigt
wurde, aber zu einer Kotfistel in der Mittellinie führte. Da fort-
währende Bauchschmerzen auf eine Verengerung des Darmes hin-
deuteten, wurde durch eine abermalige Laparotomie 3 Monate
später ein Netz.strang nochmals reseciert, die angewachsene fistu-
löse Dünndarmschlinge, 15 cm lang, reseciert und der Patient durch
die zirkuläre Darmnaht ohne Drainage definitiv geheilt.
Bloss der letzte (33) von den 7 Fällen hätte vielleicht nach
der alten Methode mit der Dupuytren’schen Darmschere durch
mehrmonatliche Behandlung zur Heilung gebracht werden können.
Durch die moderne Ablösung der Darmfistelränder und direkte
Naht der Darmöffnung war die Kotfistel in 14 Tagen vollkommen
geheilt. Die übrigen 6 Fälle darf man wohl getrost als unheilbar
nach der alten Methode bezeichnen und von diesen sind 5 glatt
und ohne Störung geheilt. Der 6. Fall war mit jeder Methode
unheilbar. Das beweist mehr als die statistische Zusammenstellung
von zahlreichen aus der Litteratur zusammengestellten Fällen für
die neue Methode. Wir dürfen ganz ruhig behaupten, dass durch
die direkte Naht oder Resektion des Darmes auch die
schwierigsten Fälle von Kotfisteln, welche nach Hernio-
tomieen Zurückbleiben, heilbar sind, während die einfachen
Fälle, welche der alten Methode zugänglich waren, durch
9 O. Vulpius. Die Radikaloperation der Hernien der vorderen Bauchwand.
Beiträge zur klin. Chirurgie IH. Bd. S. 109, Tübingen 1891.
464
V. Czerny und Walter Rindfleisch.
die moderne Enterorhaphie viel schneller und sicherer
geheilt werden können.
Wenn wir noch einmal die Darmnähte und Resektionen über-
blicken, so starben von:
10 wegen maligner Tumoren ... 5
11 wegen Tuberkulose 2
4 Invaginationen 1
7 Kothfisteln 1
32 "9
Wenn wir 3 Doppelresektionen bei Krebs mit 1 Genesung,
eine multiple Resektion bei Tuberkulose und eine akute Invagi-
nation mit Darmgangrän weglassen, bleiben 27 Darmnähte und
Resektionen mit 5 Todesfällen.
Wenn wir die erste Hälfte von Operationen als der Lehrzeit
angehörig betrachten und die zweite Hälfte als der reiferen Er-
fahrung, so starben von den ersten 14:7, von den letzten 18 (seit
1888) bloss 2 Fälle.
Wir möchten deshalb nochmals unserer Ueberzeugung Aus-
druck verleihen’), »dass die Darmresektionen in der Hand
eines geschickten Operateurs ähnliche Fortschritte aufweisen
werden, wie die Ovariatomie in der Hand von Spencer- Wells.
Mit der Verbesserung der Erfolge werden sich die Indikationen
häufen, welche öfters vorhanden sein dürften, als die für Entfer-
nung eines Eierstockes«.
Durch eine sorgfältig ausgebildete Technik und
richtige Auswahl der Fälle werden wir wahrscheinlich
die Mortalität der Darmresektionen auf 10°/'» herab-
drücken können.
Was die Technik der Magen- und Darmresektionen
betrifft, so wäre zunächst die Aseptik und Antiseptik kurz zu be-
sprechen. Wh’ haben alle Operationen bis auf die wenigen Privat-
patienten im klinischen Operationssaale, welcher durchaus nicht
allen Anforderungen der modernen Aseptik entspricht, und vor den
versammelten Zuhörern, denen keinerlei Carenz auf erlegt ist, aus-
geführt. Das Hauptgewicht wurde auf die Vermeidung der Kon-
taktinfektion, also auf gründliche Desinfektion des Operationsfeldes,
der Hände, Instrumente, Schwämme und Verbandsachen gelegt.
Der Operationsraum wird vor der Operation mit dem Carbolspray
gereinigt, welcher in der Regel auch während derselben, aber
') Heidelberger Naturforscherversammlung. Deutsche med. Wochenschrift
1889, Nr. 4.5,
Uel). die an der Heidelb. chir. Klin. ausgef. Operationen am Magen u. Harm. 465
nicht über dem Operationsfelde im Gange ist, mehr mit der Ab-
sicht, die Luft feucht zu erhalten, als dieselbe zu desinfizieren.
Der Patient, welcher wenigstens 2 Tage auf flüssige Kost gesetzt
war, wird gründlich entleert, bei Magenoperation der Magen mit
Salicyl oder Borwasser vorher mehrfach ausgewaschen. Bei Darm-
stenosen hat die Entleerung des Darmes grosse Schwierigkeiten,
und wenn man nicht mehrere Tage Zeit hat, dieses Geschäft
durch Mittel von oben und unten milde und langsam zu besorgen,
ist es vielleicht besser, wie König betont, auf die Abführmittel
ganz zu verzichten und lieber während der Operation aus dem
Besektionsschnitte das obere Darmende gründlich zu entleeren.
Allerdings wird dabei die Gefahr der Kotinfektion grösser, als
wenn man die ganze Naht beenden kann, währenddem der zu-
und abführende Schenkel des Darmes abgeklemmt ist. Wenn die
Abführmittel unvollkommen gewirkt haben, ist der oberhalb der
Verengung liegende Darmteil mit schäumigem Kot prall gefüllt
und die frischen Nähte haben dann sofort nach ihrer Anlegung,
bevor noch Verklebungen eintreten konnten, einen hohen Seiten-
druck auszuhalten. Wenn einzelne Stichkanäle die ganze Darm-
wand durchdringen, was niemals ganz sicher vermieden werden
kann, liegt die Gefahr der Infektion des Bauchfelles durch die
Stichkanäle sehr nahe.
Die Hände und das Operationsfeld haben wir schon lange,
bevor Fürbringer die Methode wissenschaftlich begründet hat,
mit Seife, Spiritus und Carbol-, später Sublimatwasser desinfiziert.
Ebenso wurden die Instrumente und Nadeln von Anfang an, nach-
dem Czerny die Kochmethode zur Desinfektion der Seide an-
gegeben hatte (1878), mit 2®/o Carbolwasser und erst seit Schim-
melbuschs Versuchen mit Sodalösung gekocht.
Die Seide wird jetzt, nachdem sie in Carbolwasser gekocht
ist, noch im Dampfe sterilisiert. Catgut wird für intraperitoneale
Operationen gar nicht angewendet.
Die Umgebung des Operationsfeldes wird mit sterihsierten
Tüchern gedeckt, zum Schutze des Darmes werden in 0,6 ”/o Koch-
salzlösung gekochte KomjDressen benützt und die früher gebrauch-
ten Salicylkompressen weggelassen, seitdem uns die Experimente
von Kinscherf^) gezeigt haben, wie sehr die Salicylsäure die
Darmserosa reizt. Wie schon oben bemerkt, haben wir bis zum
Jahre 1891 die nach Billroths Methode desinfizierten Schwämme
*) Kinscherf ül)er die Behandlung der akuten Peritonitis. Heidelberger
. Dissertation 1892.
30
466
V. Czerny und Walter Eindfleisch.
benützt, dann aber dieselben durch sterilisierte Gazetupfer ersetzt, weil
wir den Verdacht hatten, dass mit Darminhalt benetzte Schwämme
bei derselben Operation nach ungenügender Reinigung in Berüh-
rung mit dem Bauchfelle kamen und die Infektion desselben ver-
mittelten. Die Gazetupfer zum Aufsaugen von Flüssigkeit werden
so zusammengefaltet, dass die Schnittränder nach innen fallen
und hier von dem zentral durchgestochenen Bindfaden, welcher
zum Hervorziehen des Tupfers benützt wird, fixiert werden.
Diese sterilisierten Tupfer und die gekochten Kompressen ver-
drängen allmählich die früher gebrauchte Jodoformgaze. Wir
haben zwar auch von der aus der Fabrik bezogenen Jodoformgaze
keine üblen Folgen gesehen, haben sie aber im letzten Jahre
meistens vorher im Dampfe sterilisiert, wobei sie brüchig wird
und eine Menge Jodoform verloren geht. Dagegen benützen wir
die G er suny’ sehen Jodoformdochte sehr häufig zur Drainage der
Wunden. In der ersten Zeit verzichteten wir bei Magen- und
Darmresektionen fast ganz auf die Drainage , aber allmählich
häuften sich die Fälle, wo wir, der vollkommenen Aseptik nicht
trauend, durch einen Jodoformdochttampon ein Sicherheitsventil
füi’ die ersten Wundsekrete offen liessen. Da die Resultate dabei
immer besser wurden, müssen wir wenigstens behaupten, dass
diese Form der Drainage nichts schadet, wenn auch ihr Nutzen
nur schwer ziffernmässig festgestellt werden kann. Die Dochte
werden zuerst im Dampfe sterilisiert, dann mit Jodoformäther ge-
tränkt und im geschlossenen Glase aufbewahrt.
Für diese meist langdauernden Operationen benützen wir den
Julliard’schen erwärmten Operationstisch und seit etwa vier Jahren
in der Regel die gemischte Narkose: Nach einer Morphiumein-
spritzung wird mit Chloroform begonnen und wenn der Kranke
tief schläft, die Narkose mit Aether fortgesetzt. Die Nachwehen
der Narkose sind dadurch entschieden verringert und kürzer und
die Gefahr des Collapses während und nach der Operation er-
hebheh gemindert.
Das Hauptgewicht wird auf sorgfältige Blutstillung gelegt,
welche fast ausschliesslich durch isolierte Seidenligaturen oder
Massenunterbindungen erzielt wird. Für die Isolierung des Magens
und Darms vom Mesenterium leistet uns Czernys krummer Schieber
sehr gute Dienste. Wenn irgend möglich, wird der zu eröffnende
Darmteil so weit gelöst, dass man ihn vor die Bauchwunde bringen
kann. Wenn das nicht möglich ist, so wird doch seine Umgebung
mit Tupfern und Kompressen so ausgepolstert, dass eine Infektion
der benachbarten Darmteile ausgeschlossen ist.
Ueb. die an der Heidelb. chir. Klin. ansgef. Operationen am iSIagen u. Darm. 467
Für den Abschluss des Magens benützen wir eine Art Wehr-
scher Klemme : zwei 20 cm lange, vernickelte , im Durchschnitte
eliptische Stahlstäbe werden in einen engen Kautschukschlauch
gesteckt, der eine Stab hinter, der andere vor dem Magen mit
Seidenfaden fest zusammengebunden. Für die Abklemmung des
Darmes benützten wir in den letzten Jahren fast ausschhesslich eine
lose geknüpfte elastische Ligatur. Für die Naht benützen wir
meistens feinste Schrödernadeln mit Seide Nr. 1, bloss für atro-
phischen Dünndarm spindelrunde Darmnadeln mit Seide Nr. 0.
Als Nadelhalter benützen wir einen schlankgebauten Schröder-
schen oder den Rein er 'sehen ^).
Bei den circularen Resektionen des Magens und Darmes be-
ginnen wir die hintere Serosanaht zuerst nach innen knüpfend,
schneiden die Fäden ganz kurz bis auf die zwei Endfäden zur
Markierung, dann folgt die hintere Mucosanaht, ebenfalls nach
innen geknüpft, dann die vordere Mucosanaht nach aussen ge-
knüpft, und zwar in der Regel so, dass wir zuerst die mittelste
Naht anlegen und mit derselben die vorderen Schleimhautränder
von der Hinterfläche abziehen, dann werden die Oeffnungen links
und rechts von der Mittelnaht durch Nähte geschlossen, welche
so verteilt werden, dass kleine Ungleichheiten der Randlängen
dadurch ausgeglichen werden. Grössere Differenzen müssen frei-
lich entweder durch Schiefschnitt oder seitlichen Einschnitt des
engeren Teiles, oder durch Faltungen, Occlusionsnähte und Zwickel-
bildungen am weiteren Teile ausgeglichen werden. Dann folgt
die äussere Serosanaht, der manchmal noch eine 3. Nahtreihe zur
Verstärkung schwächerer Stellen oder zur Uebernähung mit Netz
oder Mesenterium hinzugefügt wird.
Wir brauchen für 1 cm Wundlänge 1 — 3 Knopfnähte und
zwar um so mehr, je dünner der Darm ist. Für die Serosanähte
werden die Knopfnähte häufig durch die fortlaufende Naht ersetzt.
Für die Mucosanähte sind Knopfnähte vorzuziehen, weil sie die
Blutstillung besser besorgen und eine Nekrose der Mucosa weniger
schadet. Die fortlaufende Naht lässt sich ja schneller ausfühi’en,
macht nicht so leicht Nekrose, liegt aber dafür nicht so sicher
und verengt leicht das Darmlumen. Vom Mesenterium wird bloss
so viel als erkrankt ist, also wenn möghch kein Keil, reseziert und
nach Beendigung der Darmnaht das Loch mit einigen Knopf-
nähten geschlossen. Bei den vom Peritoneum entblössten Teilen
des Darmes wird die Obeidläche der Muscularis so behandelt wie
') Die Instrumente und Seide liefert uns Instrumentenmacher Dröll
Mannheim-Heidelberg).
468
V. Czerny und Walter Kindfleisch.
sonst die Serosa, aber wenn möglich gerade an diesen Stellen zur
Sicherung noch eine 3. entspannende Nahtreihe angelegt. Für
die Bauchdecken sind wir bei der alten Simon 'sehen resp. Spencer-
W e 11s 'sehen doppelreihigen Knoihseidennaht stehen geblieben, da
sie uns stets gute Dienste leistet, und brauchen die Etagennaht für
die Mittellinie bloss bei sehr fetten Bauchdecken, was bei diesen
Operationen kaum vorkommt, oder bei seitlichen Schnitten für die
verschiedenen Muskelschichten.
Eine schwierige Frage ist die Ernährung nach diesen
Operationen. Bei Magenoperationen ist es am besten, wenn die
Kranken 8 Tage ganz mit Nährkly stieren erhalten werden können.
Ein Theelöffel kalter Thee oder einige Tropfen Cognac in Eis-
wasser, Ausspülungen des Mundes mit Citronensaft in Wasser
stillen den Durst. Bei Darmoperationen lassen wir vom 3. Tage
schon Beeftea, Fleischgelee, kalte Milch, selbst Einser Wasser
geben und gehen bald zu Schleimsuppen und Eiern über. Am
Magen Operierte bekommen noch in der 2. Woche flüssige und
in der 3. leicht verdauliche, breiige Nahrung, während man bei
Kranken, welche am Darm operiert sind, schon etwas früher mit
sohder Nahrung beginnen kann. Auch mit der Stuhlentleerung
muss man individualisieren. Kranke mit Darmstenosen bekommen
in der Regel spontan in den ersten Tagen nach der Operation
reichliche Entleerungen. Bei andern muss man mit Wasser, Gly-
cerin oder Oelklystieren nachhelfen und greift in der Regel erst
spät zu den milderen Abführmitteln.
Wir haben oben die Resultate der Magen- und Darmnähte
offen dargelegt, um an der Hand derselben einen Massstab für
den Wert der von uns geübten dopjielreihigen Darmnaht zu i
gewinnen. So aufmerksam wir auch die Versuche verfolgen, welche
die Methoden der Darmnaht zu erleichtern, zu verbessern und zu *
vereinfachen suchen, so whd man es uns doch nicht verübeln ?
können, wenn wir diese Vorschläge erst dann am Menschen pro- i
bieren wollen, nachdem die betreffenden Erfinder den Wert ihrer *
Methoden auch an diesem wertvollsten Objekte unserer Kunst er- |
wiesen haben. S
Die aus der Heidelberger chirurgischen Klinik hervorgegangenen Arheiten ■
über Magen- und Darmchirurgie.
Czerny, Htudien zur Radikalbehandlung der Hernien. Wiener med.
Wochenschr. 1877.
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. Beiträge zur operativen Cbi-
rnrgie. Enke, Stuttgart 1878.
üeber Darmresektion. Berl. klin. Wochenschr. 1880, Nr. 4ö und 48.
1
Uel). die an der Ileidelb. ehir. Klin. ausgef. Operationen am Magen u. Darm. 469
Ueber die innere Naht des Bruehsackbalses. Centralbl. für Chirurgie 1883,
Nr. 8.
Beitrage zu den Operationen am iMagen. Wiener med. Woclienschr. 1884,
Nr. 17—19.
Demonstration von Magenresektionspräparaten. Deutscher Chirurgenkon-
gress 1884.
Ueber Magen- und Darmresektionen. Deutsche med. AVochensclir. 1889,
Nr. 45.
Ueber die chirurgische Behandlung intraperitonealer Tuberkulose. (Beiträge
zur klin. Chirurgie, VI. Bd., Tübingen 1890.)
F. F. Kaiser, Beiträge zu den Operationen am Magen.
Beiträge zur operativen Chirurgie, Stuttgart 1878.
Edwin Kuh, Ueber die Resektion des Pylorus. Arch. f. klin. Chirurgie,
X.XYII. Bd. 4. Heft.
F. Maurer, Beiträge zur Chirurgie des Magens. Arch. f. klin. Chirurgie,
XXX. Bd., 1. Heft.
H. Braun, Ueber Endresultate der Radikaloperationen von Hernien. Berl.
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W. Fleiner, Zwei Fälle von Darmgeschwülsten mit Invagination. Vir-
chows Arch. 101. Bd. 1885.
C. F. Steinthal, Ueber die chirurgische Behandlung der ulcerösen
Magen- und Darmperforation 1888. Lang, Arch. f. klin. Chirurgie, XXXHI. Bd.,
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E. Heuck, Zur Statistik der operat. Behandlung der Mastdarmkrebse-
Arch. f. klin. Chir., Bd. XXIX.
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Ibidem 1889.
R. Stern, Durch welche Mittel kann man das Entstehen von intraperito-
nealen Verwachsungen verhindern. Ibidem 1889.
F. Krumm, Zur Frage der primären Darmresektion wegen Darmgangrän,
Beiträge zur klin. Chirurgie, HI. Bd. Tübingen 1890.
F. Holder, Ueber Hernia properitonealis. Heidelberg 1890.
L. Orth, Ueber die Sarkome des Darms, Mesenterium und retroperitonealen
Raumes. Ibid. 1890.
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R. AV 0 1 f , Beiträge zur Radikalbehandlung der Leisten- und Schenkelhernien.
Beiträge zur klin. Chirurgie, Tiibingen 1890.
C. H. Sissingh, die sacrale Operation nach Kraske bei Carcinoma recti.
Heidelberger Dissertation 1890.
Herrn. A"tt Ilers, Beiträge zur Kenntnis der Gastrostomie. Heidelberger
Dissertation 1891.
Kinscherf, Ueber die Behandlung der acuten Peritonitis. Heidelberger
Dissertation 1892.
E. B. Schmidt, Ueber die Operationsmethoden bei Rektumcarcinom und
deren Enderfolge. Beiträge zur klin. Chirurgie, Tübingen 1892, 9. Bd.
Darmresektionen.
1) Carcinome und Sarcome des Diclidarius.
470
V. Czeruv und Walter Rindfleisch.
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Zur Chirurgie der G-allenwege
von
Dr. A. von Winiwai'ter,
Professor der Chirurgie an der Universität Lüttich (Belgien).
Die Literatur über die Chirurgie der Gallenwege ist in den
letzten Jahren eine sehr reichhaltige geworden; abgesehen von
einer Menge kasuistischer Mitteilungen sind grössere, zusammen-
fassende Arbeiten zunächst von deutschen, dann von französischen
Chirurgen erschienen und auf dem letzten Chirurgenkongress in
Paris (April 1892) hat Ferrier ein orientirendes Referat über die
Operationen an den Gallenwegen erstattet *). Man sollte glauben,
dass der Gegenstand an und für sich durch die eingehende Be-
handlung, die er von verschiedenen Seiten erfahren hat, längst
erschöpft sei und dass jeder neue Beitrag nur die Operations-
statistik vergrössern könne. Wenn man jedoch die betreffenden
Publikationen durchsieht, so ergiebt sich denn doch, dass eine
vollkommene prinzipielle Einigung über einige der wichtigsten
Punkte der Chirurgie der Gallenwege noch nicht erzielt ist. Ich
glaube daher berechtigt zu sein, meine eigenen Erfahrungen eben-
falls mitzuteilen. Die Zahl meiner Beobachtungen ist gering, allein
die Verschiedenheit der einzelnen Fälle gestattet doch gewisse
Schlüsse aus ihnen zu ziehen, die vielleicht zur Lösung der schwe-
benden Fragen beitragen. Ich bin zufällig in der Lage, fast über
alle einzelnen Operationen an den Gallenwegen ein Urteil aus
i E. Ferrier, Des opi^rations chirurgicales sur les voies biliaires,
Questions mises ä l’ordre du jour de la 6ieme session du Congres Fraiu^.ais de
Chirurgie. Paris 1892. Das Referat enthält ein Literaturverzeichniss der be-
deutenderen Arbeiten über den Gegenstand bis Anfang 1892.
Vgl. ausserdem die höchst wertvolle Monographie Riedel’s: Erfahrungen
über die Gallensteinkrankheit mit und ohne Icterus. Berlin 1892, und Czerny.
Treber den gegenwärtigen Stand der Gallenblasenchirurgie. Deutsche medic.
Wochenschr. 1892. Xr. 23.
480
A. von Winiwarter.
eigener Anschauung abgeben und die Resultate der Behandlung
miteinander vergleichen zu können und habe andererseits bei
meinem ersten, im Jahre 1882 publizirten. Falle von Gallen-
retention und Anlegung einer Gallenhlasendarmfistel durch das
Misslingen zahlreicher therapeutischer Versuche mehr gelernt, als
man bei einem gewöhnlichen, glatt verlaufenden Eingriffe hätte
lernen können; wer aber zu seinem Schaden Lehrgeld gezahlt
hat, der thut gut, es wenigstens Anderen zu ersparen. Die von
mir operirten Fälle sind folgende:
1. C h o 1 e 1 i t li i a s i s mit Icterus. Cliolecy stostomie. Heilung. —
K ec i (live der Clio lelithiasis. Exitus letalis.
Frau W., 3G Jahre alt, hat nach Angabe des behandelnden Arztes seit Jahren
an »Gallensteinkoliken« gelitten, d. h. es traten antallsweise heftige fichnierzen
in der Lebergegend auf, verbunden mit galligem Erbrechen, doch bestand niemals
Icterus und auch die Faeces waren niemals entfärbt. Patientin hat 6 Kinder;
vor 7 Monaten, 4 INIonate nach der letzten Entbindung (Zwillinge), traten wieder
starke Magenschmerzen auf, aber dieses Mal enthielt das Erbrochene keine Galle,
es entwickelte sich intensiver Icterus und die Faeces wurden entfärbt. Seit dieser
Zeit ist der Zustand wesentlich derselbe geblieben ; die Frau stand fortwährend
in ärztlicher Behandlung und es wurden alle möglichen IMittel fruchtlos an-
gewendet; die Faeces waren täglich untersucht Avorden, ohne jemals Spuren von
Gallenbeimengung zu zeigen. Die Ernährung litt dabei sehr bedeutend; Patientin
magerte ab; in den letzten vierzehn Tagen hat sie 2Va Kilo A'erloren.
S t at US pr äs en 8 1. März 1888. Kleine, schwächliche, stark abgemagerte
Frau mit intensiv icterischer, dunkelgelbbrauner Färbung der allgemeinen Decke.
Harn dunkelbierbraun, klar, kein Albuinen enthaltend, Stuhl angehalten, Faeces
Aveissgrau, thonartig. Der Unterleib etAvas aufgetrieben, Leber vergrössert, die
Dämpfung reicht etwa Ader Finger breit über den Eippenbogen nach abA\ärts ;
daselbst ist ihr stumpfer Eand zu pal}iiren, jedoch fühlt man Aveder die Gallen-
blase noch eine stärkere Eesistenz an der betreffenden Stelle. Der Druck auf
die Leber ist sehr empfindlich, besonders in der Gegend der Incisur und a'Ou
da schräg nach aufwärts rechts eine Handbreit A'om Nabel; ausserdem in der
Magengrube. Die Patientin fiebert nicht, der Appetit ist sehr gering; sehr
häufiges, jedoch niemals galliges Erbrechen, lebhaftes Jucken, Schlaflosigkeit;
spontane Schmerzen in der Magengegend.
Die Diagnose wurde auf Einklemmung eines Gallensteines im Ductus
choledochus gestellt.
Operation 5. März 1888. Schnitt entsprechend dem äusseren Eande des
rechten Eectus abdominis vom Eippenbogen bis zur Höhe des Nabels reichend;
Peritoneum A’erdickt; die Leber Avird freigelegt und nach oben gedrängt. Die
Gallen) )lase ist in ihrer ganzen Ausdehnung mit der tmteren Fläche der Leber
A'erAA^achsen und in dieselbe gleichsam eingebettet ; sie ragt nicht über den Leber-
rand herA’or, ist schlaff, ihre Wandung anscheinend nicht A^erdickt; durch dieselbe
schimmert eine weissliche Flüssigkeit durch. Der tastende Finger entdeckt so-
fort einen Gallenstein A'on gut Haselnussgrösse, der in einiger Entfernung A'om
Halse der Gallenblase anscheinend im Anfangsteile des D. choledochus steckt.
I)ersel))e lässt sich leicht nach rückAVärts gegen die Leber zu, in den Ductus
hepaticus, aber auch gegen die Gallenblase zu, in den Ductus cysticus, A'erschieben.
Zur Chirurgie der Gaiienwege.
481
Die Gaiienbiase wird an ihrer Kuppe initteis des Thermocauters von der Leber
abgeiöst, dann werden zwei Seidenfäden durch ihre Wand gelegt, um sie vor-
zuziehen; es gelingt jedoch niclit die Kuppe i)is über das Niveau der Baucl)-
wunde nacli aussen zu bringen; deshalb wird sie ringsum mit Gazekompressen
umgeben und auf diese Weise von der Peritonealhöhle abgeschlossen. Hierauf wird
unter fortwährender Berieselung mit Kochsalzlösung (7 : 1000) die Kuppe der
Gallenblase zwischen den beiden Fadenschlingen eröffnet: es entleert sich voll-
kommen ungefärbtes, schleimiges Secret in mässiger INIenge. Nun ward eine
Steinzange eingeführt, der runde, stark haselnussgrosse Stein von aussen gegen
die Gallenblase znrückgeschoben, gefasst und extrahiert. Derselbe befand sich
ungefähr an der Yereinigungsstelle des Ductus hei^aticus mit dem Ductus cysticus;
hinter ihm war der D. hepaticus zylindrisch erweitert ; die Kommunikation der
Leber mit dem Darme sowohl wie mit der Blase war aufgehoben gewesen : Beweis
dessen die Gallenretention in der Leber und das Fehlen von Galle in der Blase.
Nach Ausspülung der letzteren mit Kochsalzlösung kommt etwas gelbrötliche,
klare Galle aus der Tiefe zum Vorschein. Trotz genauen Abtastens von aussen
und Einführung einer Steinsonde in der Eichtung des D. choledochus ist kein
Stein mehr zu fühlen.
Jetzt, nachdem die Gallenblase entleert war, Hessen sich die Känder ihrer
Incision bis an das Niveau der Bauchdecken heranbringen ; sie wurden mit dem
Peritoneum parietale des oberen Wundwinkels vernäht, was nur mit einiger Mühe
gelang, denn die Bauchdecken waren straff’ gespannt und die Leber vergrössert.
Der übrige Teil der Bauchwunde wurde geschlossen; in die Gallenblase wurde
ein dickes Drainrohr eingeführt und nach aussen geleitet (äussere Gallenblasen-
üstel); rings um dasselbe wurde die Höhle der Gallenblase, deren Schleimhaut
ziemlich stark blutete, mit Jodoformgaze locker tamponiert.
6. März 1888. Keine Reaktion, kein Erbrechen. VeiBand nicht durchnässt,
aus dem Drainrohr ist etwas Galle ausgeflossen. Das Jucken hat vollkommen
auf gehört.
7. März 1888. Verband gewechselt. Der Gazetampon ist nicht mit Galle
getränkt, Patientin hat ruhig geschlafen. Harn bierbraun, klar. Es fliesst wenig
Galle aus dem Drainrohr ab.
In der nächsten Zeit nahm der Ausfluss des Seci’etes allmählich zu , so
dass innerhalb 24 Stunden etwa 100 - 150 Gramm dunkelgrüner , ziemlich
dicker Galle entleert wurden; dementsprechend wurde die icterische Färlmng
lichter, das Erbrechen kehrte nicht wieder, Appetit stellte sich ein und die
Patientin erholte sich langsam, aber es trat keine Spur von Galle in den Darm
über, die Faeces blieben thongrau. Ich vermutete Anfangs, dass die Galle nur
deshall) nicht in den Darm abfliesse, weil die Schleimhaut des I). choledochus
noch angeschwollen und dadurch der Kanal unpassierl)ar sei, wie das ja ganz
gewöhnlich nach Cholelithiasis mit länger dauerndem Retentionsicterus der Fall ist.
Es wurden daher täglich Auswaschungen der Gallenblase mit lauer Kochsalzlösung
vorgenommen, das Drainrohr entfernt, und die äussere Gallenflstel mittelst eines
feuchten, in Guttaiierchapapier gewickelten Schwammes fest komprimiert ; darauf
hin sammelte sich ein gewisses (juantum Galle in der Tiefe an, aber nach einigen
Stunden trat ein Gefühl von Völle und Druck in der Lebergegend auf, welches
sich rasch zu intensiven Schmerzen steigerte; die Patientin bekam unter Aus-
bruch von kaltem Schweiss Ueblichkeiten, Erbrechen, Ohnmachtsanfälle und der
Verband musste entfernt werden, worauf sich eine grcjsse INIenge von angestauter
Galle entleerte und die Symptonre der Seki-etretention sofort verschwanden.
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482
A. von Winiwarter.
Icli hatte bei meinem Patienten mit Gallenblasendarmfistel die Beobacbtimg
gemacht, dass der Ansfliiss durch eine äussere Gallenfistel lange Zeit hindurch
dauern könne und dass schliesslich die Galle doch den Weg in den Darm nehme,
vorausgesetzt, dass nach dieser Kichtung kein Hindernis vorliege, — dass jedoch
bei Vorhandensein des geringsten Widerstandes alle Bemühungen , die Galle in
den Darm abzuleiten, absolut fruchtlos seien. Deshalb wartete ich zunächst ruhig
ab, ohne einen weiteren Eingriff zu unternelimen, als aber Wochen und endlich
zwei Monate vergingen und der Zustand immer der gleiche blieb, ohne dass je-
mals eine Spur von Galle im Darminhalt aufgetreten wäre, musste ich annehmen,
dass ein anderes mechanisches Hindernis als die Schleimhautschwellung im D.
choledochus den Uebertritt der Galle in den Darm verhindere. Es konnte sich
dabei um eine Verwachsung des Ganges oder um eine Knickung desselben handeln ;
weniger plausibel erschien mir die Existenz eines zweiten obstruierenden Kon-
ki’ementes , nachdem während der Operation absolut nichts von einem solchen
zu fühlen geAvesen war, Aveder durch die Palpation A"on aussen noch durch die
Sondierung.
Um die Sachlage autzuklären, Avurde zunäclist die äussere Gallenlistel, die
sich stark verengert und trichterförmig eingezogen hatte, durch Einlegen von
Laminaria, dann durch Tamponieren mit Gazestreifen erAveitert und auf diese
Weise die Mündung des D. cysticus zugänglich gemacht. Ich A'ersuchte nun
mittelst einer in den D. cyst. eingetührten elastischen Sonde, durch welche ein
permanenter Strom von lauer Kochsalzlösung aus einem Irrigator eingeleitet
Avurde, gegen den D. choledochus vorzudringen. Kach einigen Tagen konnte ich
auf diese Weise bis in eine Tiefe A’on etAva 15 Centimetern gelangen, ohne auf
ein Hindernis zu stossen — Aveiter aber ging es absolut nicht. Wenn man an
dieser Stelle angelangt war und man den Flüssigkeitsdruck erhöhte, Avurde die
Patientin von einem Gefühl der SchAväche und Ohnmacht befallen, ganz ähnlich
dem, Avelches durch die Gallenretention hervorgerufen worden Avar. Gelangte die
Sonde durch Zufall in den Duct. hepaticus, so empfand die Patientin bei der
Injektion heftige Schmerzen. Trotz zahlreicher, mit allen möglichen Instrumenten
unternommener Versuche gelang es nicht, den D. choledochus zu passieren, ja
nicht einmal die Existenz eines Steines nachzuweisen. Ich habe mich bei dieser
Gelegenheit überzeugt, dass der Catheterismus der Gallengänge Amn einer äusseren
Gallenfistel aus, wenigstens unter geAvöhnlichen Umständen, undurchführbar ist') ;
es gelang mir, beiläufig gesagt, auch niemals bei eröffneter Bauchhöhle A'on der
Gallenblase aus eine Sonde bis in den Darm A'orzuschieben, Aveder beim Lebenden,
noch trotz Aviederholter Versuche an der Leiche ; in letzterem Falle auch dann
nicht, Avenn die Permeabilität des Choledochus an den aus der Bauchhöhle ent-
nommenen Organen nach Eröffnung des Duodenum durch den bekannten Hand-
griff der pathologischen Anatomen, das Auspressen der Galle aus der Blase gegen
den Darm zu, nachträglich festgestellt Averden konnte.
Nach dem Misslingen des Catheterismus wurden die Injektionen von
Flüssigkeit mittelst der elastischen Sonde täglich Aviederholt, einmal auch in der
Narkose, Aveil ich mir Amrstellte, dass man auf diese Weise vielleicht doch eine
allmähliche Erweiterung des Choledochus erzielen , respekth’e einen daselbst
steckenden Stein delogieren könne, an den ich nun doch Avieder dachte. Statt
der Kochsalzlösung AVurde später mittelst einer Spritze 01i\’enöl, dann Glycerin
') Ich habe diese Ansicht bereits bei Gelegenheit einer Diskussion auf der
Naturforsclieiwersammlung in Köln 1888 ausgesprochen.
Zur Chirurgie der Gallemvege.
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injiziert; ausserdem gebrauchte die Patientin täglich Karlsbadersalz, feuchte Ein-
wickelungen des Bauches und laue Bäder. Aber Alles war umsonst, die Faeces
blieben ungefärbt; der Ausfluss von Galle war sehr reichlich, die Frau konnte
sich trotz aller Sorgfalt nicht immer vor Durchnässung Ijewahren, sie war in
Verzweiflung über diesen Zustand, umsomehr, als sie sich im übrigen ganz wohl
fühlte, und verlangte dringend einen neuen operativen Eingriff. Es waren jetzt
drei ^Monate seit der ersten Operation verflossen und ich dachte an die Not-
wendigkeit der Cholecystenterostomie. Endlich, am 23. Juni, als ich abermals
durch eine konische elastische Sonde einen Strom von Flüssigkeit injicierte,
wurde ein Gallenstein herausgeschleudert; derselbe war etwa von der Grösse
eines Kirschenkernes, aber von länglicher Form, weissgelb, das dem Darm zu-
gekehrte Ende war glatt, glänzend, das andere körnig, rauh.
Es war also doch im D. choledochus ein Steinfragment vorhanden gewesen,
dessen Gegenwart durch kein anderes Symptom gekennzeichnet wurde, als durch
die Im Permeabilität des Kanales, welche eben so gut von Kompression oder
Atresie desselben herrühren konnte. Wenige Tage nach der Entfernung des
Steines erschienen zum erstenmale gefärbte Faeces und eine Woche später trat
bereits die gesammte Wenge der Galle in den Darm über, obschon die äussere
Fistel noch nicht vollkommen geschlossen war.
Die Patientin kehrte Anfangs Juli in ihre Heimat zurück ; ihr Allgemein-
zustand war vortrefflich, sie sah gut aus, ass mit Appetit und verdaute ohne
Schwierigkeit, war den ganzen Tag auf den Beinen und konnte längere Spazier-
gänge machen, ohne zu ermüden oder Schmerz zu fühlen. Die Haut war aller-
dings noch etwas gelblich gefärbt; die Lebei'dämpfung reichte nicht mehr über
den Rand des Rippenbogens hinaus, die Emptindlichkeit gegen Druck war voll-
kommen verschwunden ; das Abdomen nicht aufgetrieben. Die Fistel schloss sich
kurze Zeit darauf von selbst.
Ueber den weiteren Verlauf dieses Falles kann ich nur nach brieflichen
^litteilungen berichten. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurde
die Frau schwanger; der Verlauf der Gravidität war anfangs gut, nur bestand,
wie auch während der früheren fünf Schwangerschaften, eine beträchtliche Tendenz
zur Gbstipation. Anfangs Dezember traten abermals Anfälle von heftigen Schmerzen
in der Leber- und IMagengegend auf, verbunden mit galligem Erbrechen, ganz
ähnlich jenen, die vor der Operation bestanden hatten, — sehr bald von Icterus
und Entfärbung der Faeces gefolgt. Der Allgemeinzustand verschlechterte sich;
ich riet der Frau dringend, sich sofort wieder in die Klinik transportieren zu
lassen, aber sie konnte sich zu der weiten Reise im Winter nicht entschliessen.
Ende Dezember erhielt ich die Nachricht, dass die Patientin nach einem besonders
heftigen , von Fieber begleiteten Anfalle von Schmerzen und Erbrechen unter
den Symjüomen einer akuten Peritonitis gestorben sei ; wenige Stunden vor dem
Exitus hätten die bis dahin kontinuirlichen, ungemein intensiven Schmerzen im
rechten Hypochondrium plötzlich aufgehört, Patientin sei verfallen und bei vollem
Bewusstsein unter subjektiver Euphorie sei der Tod eingetreten. Keine Sektion.
Nach der Schilderung des Krankheitsverlaufes und seines Ausganges dun-h
den verständigen und aufmerksamen Gatten der Patientin unterliegt es wohl
keinem Zweifel, dass während der Schwangerschaft und vielleicht begünstigt
durch dieselbe sich abermals ein Stein gebildet hatte, welcher zunächst Anfälle
von Koliken, dann aber, wahrscheinlich im D. choledochus eingekeilt, Angio-
cholitis mit circumscripter I’eritonitis hervorrief und zum Schlüsse vielleicht zur
Perforation der Gallenwege führte. Wenn die Frau sofort, als die Gallenretention
484
A. von Winiwarter.
von Neuem auftrat, sich wieder der chirurgischen Behandlung unterzogen hätte,
so wären alle Chancen vorhanden gewesen, sie durch eine zweite Operation zu
retten.
2. Cho le 1 i t hi asis ini t I c t e r u s. Cholecystostoinie. Heilung.
Pat. ein 47 jähriger, ziemlich magerer, kräftiger, aber früh gealterter Mann,
ist seit einigen Jahren wiederholt von kleinen Anfällen von Gallensteinkolik heim-
gesucht worden, die jedoch stets nach kurzer Zeit vorübergingen; Gallensteine
sind seines Wissens niemals im Stuhle gefunden, wahrscheinlich aber auch
nur ganz oberflächlich gesucht worden. Ausserdem litt der Patient an habituellen
Verdauungsstörungen, Constipation, Druck in der Magengegend, Gefühl von Völle
im r. Hypochondrium ; seine Gesiclitsfarbe war stets etwas gelbbraun (»teint
bilieuxt). Vor fünf Wochen (Ende Dezember 1888) trat ein besonders starker
Anfall von Kolik auf, welcher nach ein paar Tagen von Icterus gefolgt war;
Faeces entfärbt, Harn tiefdunkelgrünbraun ; starkes Hautjucken. Nach der An-
gabe des behandelnden Arztes war die Lel)er vergrössert, mässig empfindlich
gegen Druck, jedoch verschwanden die Schmerzen bald. Das Allgemeinbefinden
war stark alteriert, Patient erbrach fortwährend; seit 8 Tagen wurde absolut
Nichts mehr vertragen, so dass die Ernährung nur durch Klysmen unterhalten
werden konnte; hartnäckige Schlaflosigkeit, zum Teil durch das Hautjucken
verursacht. Die Behandlung, u. a. ein Versuch durch Eingiessen von Olivenöl
(lüO gr.) mittels der Schlundsonde Besserung herbeizuführen , war fruchtlos ge-
blieben. Als ich den Patienten zum ersten Male sah (1. Fel)r. 1889), war er sehr
heruntergekommen und abgemagert ; Gefühl von Schwäche und fortwährende
Deblichkeiten, die seit der Eingiessung des Olivenöles sich entschieden gesteigert
hatten ; die Haut und die Conj unktivae intensiv gelb gefärbt , Zunge stark be-
legt, eintrocknend; keine Temijeraturerhöhung. Das Abdomen eingezogen, Bauch-
decken gespannt ; die untere Grenze der Leberdämpfung vier Finger breit über
dem Kippenbogen nach abwärts, Leberrand daselbst undeutlich tastl)ar ; nirgends
ein schmerzhafter Punkt, auch bei tiefem Drucke nicht. Man fühlt weder die
Gallenblase noch irgend eine resistentere Partie. Von Zeit zu Zeit Erbrechen
schleimiger Massen und aller per os dargereichten, auch der flüssigen Ingesta. —
Diagnose: Gallenretention durch einen Stein, Avelcher sowohl den
Ductus c y s t i c u s als den Ductus h e p a t i c u s verlegt. Die Operation
war bei dem elenden Allgemeinzustande des Patienten unzweifelhaft indiziert;
längeres Abwarten konnte hier nur die Prognose verschlechtern; es wurde daher
von jeder vorbereitenden Behandlung abgesehen, der Patient erhielt nur ein laues
Bad, um ihn von den Spuren des Blasenpflasters, der Kataplasmen u. s. w. zu reinigen.
0 p e r a t i o n. Am 3. Februar 1889 wurde in der Narkose die Bauch-
böhle durch einen Längsschnitt am äusseren Kande des r. Rectus abdom. er-
öffnet. Die Leber reicht um mebr als eine Handbreite über den Ripi^enbogen
nach abwärts ; sie ist schmutzig blaurot gefärlfl, derb anzufühlen ; die Gallen-
Iflase ist nicht sichtbar; erst nachdem leichte A'erwachsungen mit dem Netze
getrennt waren, konnte der Leberrand nach aufwärts geklappt werden und nun
zeigte sich in grosser Tiefe die Gallenblase, etwa auf zwei Drittel ihrer normalen
Länge reduziert, vollkommen ausgefüllt durch einen rundlichen Stein, ungefähr von
der Form und Grösse einer Kastanie. Die 'Wandungen scheinen dem Steine
überall ganz glatt anzuliegen ; man fühlt ausserdem im Ductus choledochus einen
zweiten Stein, anscheinend von Erl)sengrösse. Die Kuppe der Gallenblase wird
eine Strecke weit von der Leljersubstanz , in welcher sie förmlich eingel)ettet
Zur Chirurgie der CTallenwege.
485
ist, mittels des Thermokauters abgelöst, doch ist es ganz unmöglich , sie bis an
das Niveau der straff gespannten Bauchdecken zu bringen. Sie wird daher in
gewöhnlicher Weise isoliert und eröffnet. Ihre Wandung ist schwarzbraun ge-
färbt, sehr dünn, ihre Schleimhaut ist ganz trocken, der Oberfläche des Steines
adhärierend, doch lässt sich derselbe ohne Mühe lösen und extrahieren; er ist
rundlich, mit leicht mammelonierter Oberfläche, gelbbraun gefärbt und wiegt
13,5 gr. In der entleerten Blase flndet sich ausserdem in einem trichterförmigen
Raume gegen den D. cysticus zu eine mässigc Menge dicker, schwärzlicher, theer-
artiger Flüssigkeit, welche ausgelöff'elt wird. Nun wird die (Tallenblase mit
Kochsalzlösung ausgewaschen, es kommt keine frische Galle zum Vorschein ; der
Stein im Anfangsteile des D. choledochus wird durch Druck von aussen gegen
die Gallenblase geschoben und dim-h die injizierte Flüssigkeit herausgeschwemint.
Er ist von der Grösse einer starken Erbse, rundlich glatt, ohne Bruchfläche ; man
fühlt kein Konkrement mehr; die Spülflüssigkeit fliesst ganz klar ab. Nun wird
vorläufig ein Gazestreifen in die Gallenblase eingeführt, die Tam])ons werden
entfernt und das Operationsfeld mit einem Strom warmer Kochsalzlösung über-
spült. Die Gallenblase lässt sich, nachdem sie entleert ist, allerdings mit grosser
Mühe bis an den Rand der Bauchwunde bringen, so dass ihre Kuppe an das
Peritoneum parietale des medialen Randes der Incision angenäht werden kann,
am lateralen Rande gelingt die Vereinigung nicht. Um die äussere (fallenblasen-
flstel bilden zu können, muss die Lel:)er so weit um ihre Achse gedreht werden,
dass schliesslich der untere Rand vollkommen parallel mit der Medianlinie steht
und die Konvexität der Leber lateralwärts (nach rechts), die Koncavität median-
wärts i^nach links) gewendet ist. Besondei’s schwierig ist es, die Ränder des
Peritoneum parietale des oberen Wundabschnittes über die Leber hinüberzu-
bringen. Nun wird die Bauchwunde bis an die Fistel durch Etagennähte ge-
schlossen. Zum Schluss wird der Gazestreifen aus der Gallenblase entfernt;
statt desselben wird ein Drainrohr in ihr Cavum eingeführt, durch Gazestreifen
locker befestigt und nach aussen in ein mit Karbollösung gefülltes Becken ge-
leitet ; dann wird die ganze Wunde mit Jodoformgaze tamponiert und ein
Kompressivverband in typischer Weise appliziert.
Die Diagnose war insofern bestätigt worden, als der obstruierende Chole-
dochusstein nachgewiesen wurde ; die Gallenblase aber war durch den grossen
»Stein derart ausgefüllt, dass sie nicht mehr als Gallenreservoir funktionieren konnte.
Das Erbrechen dauerte noch 24 Stunden nach der Operation fort, dann
hörte es auf; im übrigen war der \'erlauf ein vollkommen reaktionsloser. Der
Verband wurde am zweiten Tage gewechselt, es war noch keine Galle ausgetreten.
Erst vom dritten Tage an stellte sich ganz allmählich Ausfluss von Galle ein,
anfangs spärlich, dann aber immer reichlicher, so dass wohl innerlialb 24 Stun-
den durch das Drainrohr gegen 200 gr. entleert wurden und ausserdem noch
der Verband täglich stark durchtränkt war. Der Patient erholte sich sehr lang-
sam, namentlich weil seine ^"erdauungsorgane in einem elenden Zustande waren;
eine hartnäckige Koprostase musste durch Eingiessungen in den Darm und
schliesslich durch mechanische Ausräumung des Rectum behoben werden; die
Faeces blieben vorläufig ungefärbt. 1 )ie Behandlung bestand, nachdem die ( tperations-
wunde verheilt war, in täglichen Ausspülungen der Gallenblase mit lauer Kochsalz-
lösung und in der Applikation von feuchtwarmen Einwickelungen des Bauches; ausser-
dem laue Bäder alle zweiten Tage, jeden Morgen ein iMffel Karlsbadersalz in heissem
Wasser gelöst und eine Darmirrigation. Im Verlaufe der nächsten Wochen hob
sich die Ernährung wesentlich, der Harn war normal, die Haut verlor allmählich
486
A. von ^Vini\vartel•.
die icterisclie Färbung. Ich habe aucli hei diesem Patienten wie bereits in
früheren Fällen beobachtet, wie diese Operierten unter den Beschwer<len der
äusseren Gallenfistel leiden, wenn man ihnen auch wieder und immer wieder
versichert, dass der Zustand ein vorübergehender, ja dass der reichliche Aus-
fluss von Galle geradezu von Vorteil für sie sei. Ich pflege, sobald die Patienten
das Bett verlassen können, den Verband so einzurichten, dass das Gallenblasen-
drain in eine enghalsige Flasche geleitet wird, welche an einer Schnur getragen
wird. Rings um das Drain wird die Oeftnung der Gallenblase sorgfältig mit
Jodoformgaze tamponiert, darüber kommt ein Stück Billrothbattist, welches nur
in der Mitte durchlöchert ist, um das Drain passieren zu lassen, und die Ränder
dieses Stückes, sowie die der Oett'nung werden durch breite Streifen von ameri-
kanischem Kautschukpflaster bedeckt und festgehalten. Ueber diesen Verband
appliziere ich zwei grössere Kissen, die mit getheertem Sägemehl gefüllt sind, und
das Ganze wird durch eine breite, dünne Gummibinde komprimiert. Des Nachts,
wenn die Patienten in der horizontalen Rückenlage schlafen können, geht Alles gut,
die Galle fliesst in das Reservoir ab, ohne den ^>rband zu durchdringen. Müssen
jedoch die Patienten auf der Seite liegen oder sind sie bei Tag ausser Bett,
dann tritt denn doch nach 5 — 6 Stunden Sekret auch in ilen Verband aus und
durchtränkt ihn allmählich, und das Gefühl, welches der dauernde Kontakt der
(lalle mit der Haut verursacht, ist den Patienten so unangenehm, dass sie es
nicht lange ertragen können ; der Verband muss erneuert werden, und wenn es
mitten in der Nacht und die Manipulation noch so umständlich ist. Diese Ope-
rierten mit äusserer Gallenfistel werden wahre Hypochonder ; ihr ganzes Denken
und Trachten dreht sich darum, ob ihre Fistel secerniert oder nicht, und sie quälen
den Arzt täglich mit der Frage, ob sie geheilt werden und wann, denn für sie
hat die Operation des Gallensteines jede Bedeutung verloren und dasjenige, was
ihnen als ihr eigentliches Leiden und zwar als ein sehr iieinliches Leiden er-
scheint, das ist die äussere Gallenfistel.
Bis zum 23. April 1889, also während fast zwölf Wochen dauerte bei dem
Patienten der Ausfluss aus der Gallenl)lasenfistel in unveränderter Weise fort,
und während der ganzen Zeit waren die Faeces, die täglich durch den Arzt und
ausserdem durcli'den Patienten selbst mit der minutiösesten Genauigkeit unter-
sucht wurden, entfärbt ; wenn der Verband entfernt und das Drainrohr aus der
Gallenblase zurückgezogen wurde , so quoll stets noch ein gewisses (Quantum
klarer Galle aus der Tiefe empor. Als ich am 23. April den Verband wechselte,
fehlte zum ersten Male diese Ansammlung von Galle; das Drainrohr wurde
wieder eingeführt und Alles wie gewöhnlich geordnet, aber zum grössten Erstaunen
des Patienten konnte er bis spät Abends ausser Bett bleiben, ohne durchnässt
zu sein, und als er Abends die Flasche revidierte, fand er die Karbollösung fast
ungefärbt und auch am nächsten Morgen, trozdem der Verband nicht gewechselt
worden war, bestand der gleiche Zustand. Der Verband blieb nun während
3 mal 24 Stunden absichtlich unberührt, aber auch nach dieser Zeit war keine
Galle mehr, weder durch das Drainrohr, noch neben demsell)en ausgetreten und
die Faeces zeigten am 25. April bereits deutliche Färbung, so dass kein Zweifel
mehr über den J)urchtritt der Galle in den Darm besteben konnte. Wie mit
einem Schlage war der Ductus choledochus permeabel geworden und entsprechend
der Beobachtung, die ich schon früher gemacht hatte , dass die Existenz einer
äusseren Gallenblasenfistel an und für sich den Abfluss der Galle in den Darm
nicht hindert, wenn nach dieser Seite zu kein mechanisches Hindernis vorhanden
ist, hatte der Ausfluss der Galle nach aussen in dem ^Momente ebenfalls auf-
Zur Chirurgie der Galleiiwege.
487
gehört, trotzdem das Draiiirohr nocdi iu der Gallen]>lase steckte und das Sekret
friilier trotz aller Bemühungen es zurückzuhalten, neben dem Drain hatte pas-
sieren können. Das Rohr wurde nun definitiv entfernt und die Fistel mit Heft-
pflaster überklebt; sie entleerte noch einige Tage hindurch wenig serös-eitrige
Flüssigkeit ohne Spur von Galle, dann schloss sie sich definitiv. Dass die Per-
meabilität des I). choledochus nicht durch die Elimination eines Konkrementes
herbeigeführt wurde, kann ich zum mimlesten mit grösster Wahrscheinlichkeit
aussagen; im Verljande und beim Ausspülen der Gallenblase hatte ich Nichts
gefunden und die Faeces waren zu der betreffenden Zeit nicht nur wie gewöhn-
lich in Wasser aufgelöst und untersucht, sondern ausserdem noch durch ein
Sieb passiert worden. Schmerzen, welche man etwa auf den Durchtritt eines
Konkrementes durch die Papille hätte beziehen können, waren ül>erhaupt nicht
vorhanden gewesen.
Ueber den ferneren Verlauf des Falles ist wenig zu sagen ; der Mann be-
fand sich, nachdem er von seiner Cholelithiasis befreit war, ausserordentlich
wohl ; er verlor den gelblichen Teint, den er früher stets gehabt hatte, seine
Verdauungs- und Stuhlbeschwerden waren verschwunden, er konnte wieder reiten,
was ihm vor seinem letzten Kolikanfalle nicht mehr möglich gewesen war —
kurz, er war förmlich verjüngt. Während des nächsten Sommers ging er, mehr
zur Erholung als wegen irgend welcher Beschwerden, für ein paar Wochen nach
Vichy. Seit der Oi^eration bis zum heutigen Tage ist er von allen Symptomen
einer Leber- oder Gallenaffektion frei gel)liel)on.
o. Cholelithiasis mit Icterus. C h o 1 ecys t o t o m i e. Tod.
Mann von (!4 Jaliren, gut genährt, hat früher niemals an Gallenkoliken
noch an Icterus gelitten ; vor circa G Monaten erlitt er einen apoplektischen An-
fall mit hall)seitiger Lähmung des Körpers, welche jedoch teilweise zurückging,
so dass der Patient, wenn auch mit einiger iNIühe, auf einen Stock gestützt gehen
konnte ; die Sprache blieb etwas schwerfällig. Vor sechs Wochen trat nach
einem Ifiätfehler unter den Symptomen eines akuten Gastrointestinalkatarrhes
Icterus auf , ohne dass Kolikschmerzen vorhanden gewesen wären ; die Faeces
waren vollkommen entfärlfi und l^lieben es auch fernerhin. Trotz entsprechender
Behandlung besserte sich der Zustand nicht; der Icterus wurde dunkler, die
lieber war nach Angabe des Arztes stark angeschwollen ; nebstdem dauerten die
^Verdauungsstörungen fort; der alte Mann konnte wegen des intensiven Haut-
juckens nicht schlafen und kam, obwohl er keine eigentlichen Schmerzen litt,
<ladurch sehr herunter. Als ich den Patienten zum erstenmale sah, war er be-
reits ziemlich abgemagert, die Hautfarbe tief gelbbraun, Bauchdecken schlaff,
Bauch etwas aufgetrieben, besonders nach oben zu; die Dämpfung der Leber ragt
mindestens eine Handbreite über den Rippenbogen nach abwärts, ihr stumpfer
Rand ist deutlich zu tasten, doch fühlt man Nichts von der Gallenblase noch
von einem Steine. Die Arterien an den p]xtremitäten rigid, geschlängelt. Puls
etwas unregelmässig, Herzdämpfung vergrössert, kein Geräusch wahrnehmbar;
etwas Bronchialkatarrh. Diagnose : G a 1 1 e n r e t e n t i o n, w a h r s c h e i n 1 i c h d u r c h
einen Stein, der gleichzeitig den D. cysticus und den D. choledochus
verlegt. Der Patient verlangt dringend die Operation, und da ein längeres
Zuwarten ohne Zweifel zu einem ungünstigen Ausgange führen musste, entschloss
ich mich zu derselben, trotz seines Alters, der Atheromatose der Gefässe und trotz
des früheren apoplektischen Anfalles.
Operation. Am 27. Oktober 1800 wurde nach gründlicher Entleerung des
488
A. von Winiwarter.
Darmes die Bauchiiöhle durch den typischen Längssclinitt wie gewöhnlich eröffnet.
Die Leber ist stark vergrössert, dunkelbraunrot gefärbt, sie ragt mehr als hand-
breit über den Kippenbogen nach abwärts und ist mit dem Colon transversum '
verwachsen; ihr Rand ist stumpf. Nachdem die Adhäsionen unterbunden und
getrennt sind, wird sie nach aufwärts gewälzt und es erscheint an ihrer unteren
Fläche die Gallenblase, vollkommen geschrumpft, einer weissen Schwiele ähnlich;
ihre Kuppe ist vom vorderen Rande der Leber mindestens 5 Centimeter weit
entfernt. Im Innern fühlt man einen anscheinend nussgrossen Stein. Es wird
nun zunächst der Scheitel der Gallenblase mittels des Thermokauters von der
unteren Fläche der Leber losgelöst ; trotzdem dies mit grosser Vorsicht und sein-
langsam geschieht, reisst doch die schwielige Gallenblasenwand ein. Es entleert
sich weder Galle noch Schleim , die Innenfläche der Blase ist ganz trocken,
schmutzig schwarzbraun gefärbt, die ganze verdickte Wandung in eine starre,
brüchige, schalige Masse verwandelt, welche einigermassen an den Balg eines
voluminösen Atheroms erinnert. Die eingerissene Oeffnung wird daher sofort er-
weitert und der wallnussgrosse, rundliche, mit einem conischen Fortsatze in den •
D. cysticus reichende Stein mit einiger IMühe extrahiert. Es entleert sich keine ' ,
Galle, die injizierte Kochsalzlösung fliesst klar ab und spült nur ein i)aar schwärz-
liche, blättrige Konkremente heraus, welche der Innenfläche der Gallenblase ad-
härierten. Die entleerte Blase fällt nicht zusammen, ihre Schleimhaut ist in der
schwieligen Wand untergegangen. Ich suchte nun nach einem etwa vorhandenen
zweiten Steine. Die ganze Umgebung der Gallenblase, der D. cysticus und D.
hepaticus, sowie ihre Fortsetzung in den D. choledochus war in dicke, harte,
schwielige Massen eingeschlossen und mit den Nachbarorganen verwachsen, so
dass ich einen Augenblick an die Existenz eines Tumors dachte, doch konnte
ich weder in der Leber noch im Magen und im Darm eine Geschwulst fühlen.
Durch diese peritonealen Schwielen wurde jedoch das Tasten eines Steines von
geringem Volumen aiisserordentlich erschwert und ich versuchte es daher, mit
einer Steinsonde von der Gallenblasenöffnung aus gegen den Choledochus vor-
zudringen. Aber auch hier spürte ich Nichts als die rauhe Wandung der Gallenwege.
Die schwieligen Verdickungen, in denen der D. choledochus eingebettc-t '
war, liessen die Annahme einer Kompression oder Knickung desselben als Ur- ,
Sache der Gallenretention als möglich erscheinen, umsomehr als der Patient nie- ,,
mals Gallensteinkoliken gehabt hatte und der grosse Stein in der Blase offenbar {
schon seit langer Zeit bestanden haben musste, ohne sich von der Stelle rühren ^
zu können. Wenn nun der Eintritt der Galle in den D. cysticus verlegt und ^
andererseits der D. choledochus durch die Schwielen verengert und vielleicht f
auch verzogen war, so bedurfte es nur einer geringen Anschwellung der Schleim- f
haut, um die Gallenreteution in der Leber zu erklären. I
Ich hätte in Berücksichtigung aller dieser Umstände am liebsten die Cholc-
cystenterostomie ausgeführt, allein schon die ersten Stiche, die ich applizierte,
um den Dünndarm mit der Gallenblase zu vereinigen, schnitten die schwielige
Wandung der letzteren durch, so dass von einer sicheren Nahtanlegung nicht
die Rede sein konnte. Andererseits war es aber ganz unmöglich, die Ränder der
Gallenl)lasenöffnung an den Rand der Bauchwuude heranzubringen, denn die
Gallenblase war dazu viel zu kurz und die Leber viel zu voluminös. Die ganze
bis jetzt beschriebene 0])eration hatte deshalb im Innern der Bauchhöhle durch-
geführt werden müssen, denn die Leber hatte sich nicht herausheben lassen.
Ich musste also auch von der Anlegung einer äusseren Gallenblasenfistel Abstand ;
nehmen. Die Vernähung der Gallenblasenincision allein schien mir nicht sicher |
Zur Cliirurgie der Gallenwege.
489
genug, weil die Rilnder derselben schon früher durch die Versuche, Nähte an-
zulegen, vielfach ausgerissen waren; ich entschloss mich daher dieselben ganz
abzutragen, dann löste ich die Gallenldasenwand in der Nähe des Halses von
der Leber los, so dass ich wie bei der Ligatur eines Gefässes in der Kontinuität
einen Faden unter dem Halse durchziehen konnte, worauf mit Vorsicht die Unter-
bindung ausgeführt wurde. Glücklicherweise schnitt der Faden nicht durch.
Jetzt stülpte ich die Ränder der angefrischten Gallenblasenincision nacli einwärts
und vernähte sie mit einem feinen Faden, so dass peripherwärts von der Ligatur
die Gallenblase gewissermassen in einen soliden Stumpf verwandelt wurde, dessen
Ernährung durch die noch bestehende Verwachsung mit der unteren Fläche der
Leber gesichert schien. Dieser Teil der Operation war ziemlich mühsam, weil
ich in gi’osser Tiefe und in einem sehr beschränkten Raume arbeiten musste.
Ich will gleich hier bemerken, obschon ich auf diesen Punkt noch zurückkommen
werde, dass ich den vollständigen Verschluss der Gallenblase in diesem Falle
als einen Fehler betrachte, den ich heute nicht mehr begehen würde. Es wurde
nun die eingestopfte Gaze entfernt und eine Irrigation des ganzen Terrains mit
warmer Kochsalzlösung (7 : lOUO) vorgenommen, dann das Peritoneum parietale
der Bauchwunde zunächst vom unteren AVundwinkel aus vereinigt. Wie schon
erwähnt, war es ganz und gar unmöglich, den Gallenblasenstumpf mit der vor-
deren Bauchwand in Kontakt zu bringen ; ich tamponierte daher durch einen
langen Gazestreifen den ganzen Raum von der Gallenblase aus bis zur Bauch-
wunde und vernähte dann den Rest der letzteren in gewöhnlicher Weise. Meine
Absicht war, durch die Tamponade den üblen Folgen einer möglichen Perforation
vorzubeugen, andererseits aber die Möglichkeit zu behalten, später, wenn die
Gallenstauung nicht behoben sein sollte, eine äussere Gallenfistel anzulegen. —
Keine Reaktion nach der Operation, der Patient hat nicht einmal erbrochen; er
fühlt sich am Abend ganz wohl.
27. Oktober. Nacht war ruhig. Keine Reaktion ; keine Schmerzen ; Patient
hat reichlich Harn entleert, der bereits viel heller ist, auch sind Gase abgegangen.
Verband in gutem Zustande. -Vm 28. Oktober Morgens, Allgemeinbefinden gut.
Da der Patient Stuhldrang verspürt, wird ein Klysma appliciert, worauf eine
copiöse Entleerung erfolgt, welche bereits Galle enthält. Es schien somit der
Zweck der Operation erreicht zu sein. Nachmittags klagte der Patient über leichte
kolikartige Schmerzen, die jedoch bald nach ein paar Tropfen Tinctura opii ver-
schwanden. Temperatur Abends 38,4, Puls wie vor der Operation etwas un-
regelmässig, 88 Schläge in der Minute. Bauch nicht aufgetrieben, nicht schmerz-
haft. Abends befand sich der Patient wohl und schlief ruhig ein ; nach Angabe
der Wärterin auch während der Nacht ruhiger Schlaf. Des iMorgens (29. Oktol)er)
findet man den iMann in einem comatösen Zustand, tief, stertorös atmend;
Temperatur 37,(), kein Schweiss im Gesicht, keine Kälte der schlaffen Extremitäten.
Puls wie gestern, stark und voll. Der Verband wird entfernt. Längs des in die
Bauchböhle eingeführten Gazestreifens ist etwas rötliche Flüssigkeit ausgesickert,
die Tampons sind nicht von Galle imbibiert. Bauch weich, nicht aufgetrieben,
auf Druck anscheinend nicht .schmerzhaft. Trotz In jektionen von Aether, Kampher-
öl, Coffein u. s. w. tritt gegen ^littag der Tod ein , ohne dass das Bewusstsein
wiedergekehrt wäre.
Bei der Sektion konnte nur die Brust- und Bauchhöhle, nicht aber das
Gehirn untersucht werden: das Herz war stark vergrössert, mit Fett bewachsen,
sein Fleisch fettig degeneriert; die grossen Gefässe überall atheromatös. Lungen
emphysematös, in den Bronchien schleimiges Sekret. In der Bauchhöhle zeigten
490
A. von Winiwarter.
sich rings uni den Gazestreit'en frische peritoneale Adhäsionen, velche den
Tampons fest anhaften ; letztere sind von derselben etwas rötlichen Flüssigkeit
imhibiert, die auch in den Verband ansgesickert war, absolut geruchlos. Die Um-
gebung der Gallenblase ist nicht gallig imhibiert, die Nähte der Blase schliessen
fest, die Wunde ist vollständig verklebt. Das Peritoneum der Bauchhöhle von nor-
malem Aussehen. Keine Spur von Peritonitis. Milz von normaler, braunroter Farbe
und Konsistenz, nicht angeschwollen. Nieren etwas geschrumpft, sonst normal.
Nach den Ergebnissen der Sektion war die Ursache des plötzlichen Todes
eigentlich nicht aufgeklärt ; ich dachte an einen neuen apoplektischen Anfall,
welcher durch die Gallenretention im Organismus begünstigt sein konnte; an-
dererseits konnte, trotzdem keine INIilzschwellung vorhanden war, wie bei allen
derartigen Fällen, denn doch die Snpposition einer ganz akuten Sepsis, ohne
Peritonitis, nicht absolut widerlegt werden; jedenfalls liess, als ich den Patienten
zum letztenmale sah, Nichts einen derartigen Zustand vermuten.
Die Untersuchung des aus der Bauchhöhle entnommenen Präparates ergab
Folgendes: Die Leber war sehr blutreich, derb, gelbbraun gefärbt, fetthaltig
(mässiger Grad von cirrhotischer Fettleber) ; die Gallenblase zeigte an ihrem Hals-
teile lind bis in ilen D. cysticus hinein sich fortsetzend eine Erweiterung, ent-
sprechend dem extrahierten Steine ; beim Aufschneiden des D. cvsticus fand sich
noch ein zweiter Stein vor, welcher vollkommen kugelrund und glatt, von der
Grösse einer starken Erbse war und gerade dort lag, wo der D. hepaticus und
der D. cysticus zusammenstossen ; er steckte in einer divertikelartigen Erweiterung
des D. hepaticus, welche wie eine Nische in die Lebersubstanz eingebettet war, so dass
man den Stein von aussen nicht fühlen konnte, während eine von der Gallen-
blase aus eingeführte Sonde ihn in seine Nische zurückschob und höchstens
seine Oberfläche streifte, ohne jedoch aufgehalten zu werden. Der Stein ver-
stopfte auch den Ductus choledochus nicht, welcher in seinem ganzen Verlaufe
fast so weit war, dass er den kleinen Finger aufnehmen konnte ; er hätte auch,
nachdem der grosse Stein entfernt war, leicht aus seiner Nische heraustreten
können und wäre wahrscheinlich in den Darm hinübergedrängt worden.
Der Ductus hepaticus enthielt Galle, ebenso der D. choledochus, und auch
im Darme war gallig gefärbter Inhalt vorhanden. Der Mechanismus der Obstruk-
tion war auf das deutlichste aus dem Präparate zu erkennen und sehr inter-
essant. Der kleine runde Stein lag, wie schon erwähnt, in einer nischenförmigen
Ausbuchtung der Wandung der Gallenwege und zwar so, dass die IMündung des
1). hepaticus sich am tiefsten Punkte der Nische befand und der Stein, der genau
in die Nische hineinpasste, absolut wie ein Kugelventil die IMündung des 1). he-
paticus verlegte, wenn er an die Wandung angedrückt wurde, während er, wenn
dies nicht geschah, den Austritt von Flüssigkeit aus dem D. heiiaticus gestattete,
ohne deshalb aus seiner Nische herausgedi'ängt zu werden. Ich denke mir nun
die Sache folgendermassen : Der grosse Stein musste seit langer Zeit in dem
Halsteile der Gallenblase gesteckt und den Ueliertritt von Galle in die Blase
verhindert halien, worauf deren Wandung allmählich schrumpfte und sich dem
Stein anlegte ; später musste sich der zweite kleinere Stein gebildet haben an
der Erweiterung, welche der Vereinigung des D. hepaticus und des D. cysticus
entsprach. Oö'enliar hatte derselbe eine gewisse Beweglichkeit, er störte den
Uebertritt der Galle nicht, l)is zu dem IMomente, wo er ohne Kolikanfall, nicht
in den Ductus choledochus geschoben, sondern in seine Nische zurückgedrängt
und der Mündung des D. heiiaticus gewissermassen aufgedrückt wurde (wie ein
Kugelventil, nach dem früher gebrauchten Vei’gleiche). Der Druck kann aller-
Zur Chirurgie der Gallenwege.
491
dings zunächst durch die angeschwollene Schleimhaut der Umgebung ausgeübt
worden sein, denn es bestand ja im Beginne ein akuter Gastrointestinalkatarrh,
aber wahrscheinlicher ist es mir, dass es der in den I). cysticus hineinreichende
Fortsatz des grossen Gallenblasensteines war, der sich allmählich vergrössert
hatte und endlich den beweglichen runden Stein berührte, in die Nische zurück-
drückte und daselbst fixierte. Ich schliesse das aus dem Umstande, dass man
nach Extraktion des grossen Steines aus der Gallenblase zunächst keine Galle
zu Gesicht bekam, dass jedoch bereits nach 48 Stunden gallige Faeces entleert
wurden; die Gegenwart des kleinen Steines allein war demnach kein Hindernis
für die Entleerung der Galle, von dem Momente an, als er nicht mehr als Ventil
wirkte; tlie Galle konnte zwischen ihm und der Wandung der Nische aus dem D. liei^ati-
cus austreten und sich durch den weiten 1). choledochus in den Darm entleeren.
Es lässt sich selbstverständlich nicht mit Bestimmtheit sagen, wie sich
die Dinge gestaltet haben würden, wenn der Patient nach der Operation weiter-
gelebt und die Ligatur und Naht, wie zu vermuten, gehalten hätten. Der kleine
Stein hätte zweifellos durch den erweiterten D. choledochus ohne grosse Schwierig-
keit in den Darm gelangen können ; wäre er aber an Ort und Stelle liegen ge-
blieben und allmählich grösser geworden , so musste er neuerdings Verstopfung
des D. hepaticus und zugleich Impermeabilität des D. choledochus hervorrufen,
mit absoluter Retention der Galle in der Leber. Durch die Operation, welche
ja den grösseren Teil der Gallenblase supprimiert hatte, wären die Raumverhält-
nisse kaum ungünstiger gestaltet worden, denn das was früher Gallenblase ge-
wesen, war ja schon seit langer Zeit nicht mehr fähig als Reservoir zu dienen.
Jedenfalls aber hätte ich nicht nähen, sondern die Drainage der Gallenblase nach
aussen einleiten sollen, wie es später gezeigt werden wird. Der Fall beweist
jedoch meines Erachtens neuerdings ein sehr wichtiges Faktum, nämlich dass
sich Gallensteine nicht nur innerhalb der Gallenblase, sondern, wenn dieselbe
für die Galle nicht mehr zugänglich ist, auch innerhalb der abfülirenden Gallen-
wege bilden können, respektive, dass kleine Konkremente, aus dem intrahepa-
tischen Teile der Gallenwege stammend, in den D. hepaticus oder choledochus
gelangen, und sich daselbst vergrössern können. Ausserdem kann man aus
diesem Falle entnehmen, wie kompliziert die Verhältnisse zuweilen sind, welche
man durch den einfachen Befund eines in der Gallenblase eingeschlossenen
Steines aufgeklärt zu haben glaubt, und wie schwer es ist, im ^lomente der
Operation diese Verhältnisse vollkommen zu übersehen.
4. Cholelithiasis mit Icterus. Cliolecystostomie.
T o d a n I'i r s c h ö p f u n g.
Patientin, eine 4(3 jährige Frau, empfand vor 2 Jahren zum erstenmale
Verdauungsstörungen, Gefühl von Druck, zuweilen auch Schmerzen in der Magen-
gegend. Vor einem Jahre wurde sie nach einem Anfalle von Gallensteinkolik
von intensivem Icterus befallen, welcher nach einiger Zeit verschwand, um
v3 Monate später in derselben AVeise wiederzukehren ; auch dieses Alal dauerte
er nicht sein- lange; die Patientin erholte sich und schien ganz wohl, als im
Jänner dieses Jahres (vor 5 Alonat('n) unter gastrointestinalen Symptomen neuer-
dings Icterus auftrat, dieses Alal jedoch ohne Schmerzen. In den Faeces
fanden sich zu dieser Zeit einige kleine Gallensteinkonkremente. Unter dem
Einflüsse einer entsprechenden J3eliandlung besserte sich zwar der Allgemein-
zustand einigermassen, der Appetit kehrte zurück, die Hautfarbe wurde etwas
lichter, die Harnsekretion reichlicher, der Harn weniger dunkel, allein die Faeces
492
A. von Winiwarter.
blieben grau, thonartig, obsehon zuweilen an ihrer Oberfläche etwas Galle zu
sehen war. Patientin wurde am 14. ^lai zur Erholung aufs Land geschickt ; vier
Tage später empfand sie heftige Schmerzen in der rechten Schulter ; dabei stieg
die Temperatur bis auf 39" \md 40" an, mit geringen Remissionen des Morgens,
und in diesem fieberhaften Zustande magerte die Kranke rasch ab und verfiel
mehr und mehr. Seitdem hat sich ihr Zustand fortwährend verschlechtert; die
Gallenretention war eine vollkommene, die Hautfärbung nahm einen braungrünen
Teint an; Ekel vor jeder Nahrung, Verdauungs- und Stuhlbeschwerden, dabei
Schmerzen in der Leber- und Magengegend und in der rechten Schulter und eine
kontinuierliche febrile Reaktion, mit abendlichen Exacerbationen. Am auffallend- ]
sten aber war eine unzw'eifelhafte Benommenheit des Sensoriums, sozusagen
eine Verdämmerung der Intelligenz, welche auch mir, als ich die Patientin zum
erstenmale sah, sofort auffiel. Sie war nicht etwa in ihrem Denkvermögen gestört:
im Gegenteil, sie begriff vollkommen, als man ihr sagte, dass eine Operation
notwendig sei, um sie gesund zu machen u. s. w. — dabei aber bewahrten ihre
Gesichtszüge eine maskenartige Unbeweglichkeit, sie sprach Nichts, als die not-
wendigsten AVorte, und lag ruhig, teilnahmslos, init offenen Augen den ganzen Tag
da, ohne zu klagen, ohne je nach ihrer Familie, nach ihrem Haushalte zu fragen —
kiirz, sie machte den Eindruck einer durch ein Narcoticum halb betäubten Person.
Bei der Untersuchung am 8. Juni fand ich bei der stark abgemagerten,
kleinen, schwächlichen Frau, von tieficterischem , olivenfarbigem Kolorit die Or-
gane der Brusthöhle normal. Puls regelmässig, 100 Schläge in der Minute zeigend,
die Leberdämpfung etwas vergrössert ; man fühlt Aveder den festen Rand der
Leber noch die Gallenblase, Druck auf das rechte Hypochondrium nicht empfind-
lich. Faeces vollständig entfärbt, Harn dunkelgrünbraun, nicht eiweisshaltig. Ich
stellte die Diagnose auf Obstruktion des D. choledochus durch einen Stein, der
früher von Zeit zu Zeit neben sich Galle und Fragmente eines oder mehrerer Gallen-
blasensteine vorbeipassieren liess, also auf die AuAvesenheit A"on mindestens
zAvei, wahrscheinlich aber mehreren Steinen. Es konnte in diesem Falle
keinem ZAveifel unterliegen , dass ein operatiA'er Eingriff nur mehr sehr geringe
Chancen bot, die marastische, schwer cholämische Frau zu retten — andererseits
Avar bei längerem Zuwarten der letale Ausgang mit Sicherheit, und zAvar in der
kürzesten Zeit zu erAvarten. Ich konnte der A’erständigen Familie der Kranken,
welcher auch ein Kollege angehörte, die Sachlage A'ollkommen klar machen und
die Operation winxle als remedium ultimum, A'alde anceps beschlossen.
Operation. Am 11. Juni eröffneteich bei der durch wenige Tropfen Chloro-
form betäubten Patientin die Bauchhöhle durch einen Schnitt am äusseren Rande
des r. Rectus abdominis, vom Rippenbogen bis unterhalb des Niveaus des Nabels.
Die Leber ragt drei Finger breit über den Rand des Rippenbogens heiwor ; sie
ist blauschwarz gefärbt, sehr derb. In der Einkerbung zwischen beiden Leber-
lappen ist die Kuppe der Gallenblase eben sichtbar; das Netz ist an dieser Stelle
ädhärent, das Leberparenchym etAvas narbig eingezogen. Nach Abbindung und
Trennung der Adhäsionen jAräsentiert sich die Gallenblase als ein kaum daumen-
dicker, gelblicliAveisser, scliAvieliger , fibröser Körper, der anscheinend gar keine
Höhle enthält, und sich in einen dicken, fibrösen Strang fortsetzt, in dem nirgends
Steine zu fühlen sind. Am Scheitel der Gallenblase schimmert ein kleines gelb-
liches Konkrement durch, Avelches gleichsam in die Schleimhaut eingebettet zu
sein scheint. Die Gallenblase AA'ird mit ihrer Kuppe A'on der Leber losgelöst und
zunächst an die Ränder des Peritoneums parietale der A'orderen Bauchwand an-
geheftet, dann wird die Umgebung mit Gazestreifen tamponiert und nun die
Zur Chirurgie der Galleiiwege.
493
Blase eröffnet. Es entleert sich zunächst gar keine Flüssigkeit ; die incidierte
Wandung ist viel dicker als der Querdurchmesser des Lumen, fibrös, fast sehnig.
Eine geschlossene Pince hemostatique lässt sich gerade in das enge Cavum ein-
führon, und nachdem dasselbe durch Entfernen der Branchen voneinander er-
weitert worden w^ar, kommen einige kleine, facettierte, dunkelbraune Steine zum
Vorschein, alle von annähernd gleichem Volumen wie starke Schrotkörner, dann
nach Injektion von warmer Kochsalzlösung zeigt sich eine dicke, weissgrüne,
schleimige, fast wie Eiter aussehende Flüssigkeit, dann schwärzliche Massen von
gallig gefärbtem Schleim und in demselben eingescldossen eine grosse Zahl (ül)er
100) kleiner, facettierter, auf der Kochsalzlösung schwimmender Steine, von
welchen die grössten das Volumen einer Kaffeebohne erreichen, während die
kleinsten hanfkorngross sind. Alle diese Steine steckten nicht in der Gallenblase,
sondern im I). cysticus und im D. choledochus, vielleicht auch im D. hepatictis.
Trotz wiederholten, länger dauernden Ausspülens kommen immer wieder neue
Steine zum Vorschein und neben denselben schliesslich auch rötlich gelbe, klare
Galle. Nachdem vorläufig keine Steine mehr durch die Injektion herausgespült
werden, wird die Oeffnung der Gallenblase ringsum mit dem Peritoneum parietale
der Bauchwunde vernäht, der Rest der Laparotomie wird in typischer Weise
durch Etagennähte geschlossen, ein Drain in die Gallenblase eingeführt, welches
durch den Verband nach aussen geleitet wird. Rings um dasselbe wird der
Raum zwischen den nicht vereinigten Hauträndern um die Fistet mit Gazestreifen
tamponiert. Durch das Drainrohr fliesst sofort schleimige , gallig gefärbte
Flüssigkeit aus. — Die Blutung während der Operation war verhältnismässig
bedeutend gewiesen, obwohl kein einziges grösseres Gefäss gespritzt hatte. Der
Verband wurde in der gewöhnlichen Weise angelegt : Krüllgaze, dann 2 Kissen
mit getheertem 8ägemehl gefüllt, Brunssche Watte, das Ganze fixiert und kom-
primiert durch eine Calicotbinde, über welche noch einige Touren einer Organtin-
(gestärkten Gaze)-Binde appliciert wurden.
Die Patientin fühlte sich, nachdem sie aus der Narkose envacht w'ar, ziem-
lich wohl, sie erbrach einigemale im Laufe des Nachmittags unter bedeutenden
Anstrengungen. Abends als der behandelnde Arzt sie besuchte, sah er, dass
etwas Blut unter dem Verbände hervorgesickert war: er entfernte denselben so-
foid und fand das Operationsgebiet von einem grossen Blutcoagulum bedeckt.
Nach Wegräumung desselben zeigt sich eine wdnzige blutende Arterie des Haut-
randes an der Stelle der Gallenfistel, welche sicher im Momente, als der ^^erband
appliciert wurde, nicht geblutet hatte. Das Gefäss wird umstochen, der ^'erband
erneuert. Keine febrile Reaktion, aus dem Drainrohr ist etwas Galle ausgeflossen.
12. Juni. Subjektives Befinden erträglich, kein Fieber. Patientin hat gegen
Morgen einer schlaflosen Nacht abermals mehrere Male mit Anstrengung er-
brochen. Der Verband wird entfernt, es ist wieder frisches, geronnenes Blut
darunter vorhanden. Dieses Mal sickert das Blut aus einem Nadelstiche durch
die Flaut hervor. Applikation von trockener Liquor ferri -Baumwolle. Die
Blutung hat ganz den Charakter der Hämophilie, sie ist offenbar bedingt durch
den cholämischen Zustand der Patientin. Die Nahrungsaufnahme per os ist
schwierig und ganz ungenügend, daher ernährende Klystiere mit Alkohol. Die
Galle fliesst sehr gut durch das Drainrohr ab, beim Auswaschen der Gallenblase
wurden noch einige kleine Steine entleert.
Am folgenden Tage wiederholte sich die Blutung noch einmal wieder aus
einem kleinen Gefäss des Hautrandes, trotz aller Vorsichtsmassregeln und trotz-
dem die Patientin nicht mehr erbrochen hat; sie steht jedoch definitiv nach
494
A. von Winiwarter.
oberfiUchlidier Verschorfung der ganzen, sehr kleineii Wundfläche durch den
Therinocauter. An demselben Tage erbrach die Patientin schwärzliche Massen,
die unzweifelhaft Blut sind, und am darauffolgenden Morgen Avurden auch mit
dem Stuhle ähnliche Massen entleert. Dabei besteht keine Keaktion, weder eine
lokale noch eine allgemeine, die Zunge ist belegt Avie Amr der Operation, feucht;
keine Schmerzen, AA'eder spontan noch auf Druck; Bauch Aveich, nicht ausgedehnt.
Aber der SchAvächezustand der Frau nimmt in bedenklicher Weise zu, da die
Ernährung fast ausschliesslich per anum A’orgenommen Averden muss. Bis jetzt
AA’ar keine Galle in den Faeces nacliAveisbar.
Am 14. Juni tritt anscheinend ohne Veranlassung ein Anfall auf , der
ganz den Charakter eines eklamptischen hat, obschon der Harn keine Spur Amu
Albuinen enthält, aus AA'elchem die Patientin nur durch Aether- und Kampheröl-
injektionen u. s. w. zu sich gebracht AAÜrd. Nach demselben grosse Prostration,
Bewusstsein ungetrübt, Temperatur AA^echselnd zwischen 37 und 37,6. Beim Ver-
bandAA'echsel kommen noch immer Gallensteine zum Vorschein, Ausfluss der
Galle ungestört. ( iperationsAVunde in A'ollkommen gutem Zustande.
Am 15. Juni empfand die Patientin Amrübergehend Schmerzen in der Leber-
und Magengegend, Avelche nach ihrer Aussage einem geringfügigen Kolikanfalle
gleichen. Das Drainrohr Avird ganz entfernt und die Gallenblase durch einen
Flüssigkeitsstrom ausgespült, wobei wieder einige Steine entleert Averden. Die Gallen-
flstel Avird durch einen Gazestreifen locker tamponiert und eine feuchtAA^arme
EiuAvickelung appliciert.
Unter zunehmender Sclnväche stirbt die Patientin bei A'ollem Bewusstsein,
ohne zu leiden, am 15. Juni Abends.
Die Sektion konnte nicht gemacht Averden.
Der Fall ist ein trauriges Beispiel des Verlaufes einer an und für sich
gutartigen Erkrankung, bei Avelcher die einzig und allein indicierte operath'e
Therapie zu spät aufgenommen worden Avar. Hätte man sich sofort zur Operation
entschlossen, als die dauernde Gallenretention konstatiert war, bevor sich bei
der durch das Fieber und die Schmerzen erschöpften Patientin die eitrige Angio-
cholitis und später die Cholämie entwickelt hatte, also zwei iNIonate früher, so
Aväre der Ausgang höchst Avahrscheinlich ein günstiger geAvesen. Der operative
Eingriff hatte Alles bewirkt, Avas man überhaupt Amn ihm erAvarten konnte ; das
A'or demselben Amrhandene hectische Fieber mit den abendlichen Exacerbationen,
Avelches offenbar ein chronisch-pyohämisches und durch die Retention des eitrigen
Sekretes der Gallenwege bedingt war, hatte unmittelbar nach der Cholecystostomie
aufgehört, ebenso Avaren die Schmerzanfälle und die Galleiiretention beseitigt
Avorden. Was aber nicht zu A^ermeiden Avar, das Avar die dreimalige AVieder-
kehr der Blutungen aus der AVunde und die jMagenblutung, Avelche, Avenn auch
an und für sich nicht gerade bedenklich , für die gescliAvächte Patientin doch
A'on Bedeutung sein mussten. Allein diese Blutungen können nicht der Ope-
ration als solcher zur J..ast gelegt werden ; sie Avaren vielmehr die Folge des
langen unnötigen Zmvartens, respektiA'e der dadurch erzeugten Cholämie.
5. C h o 1 e 1 i t h i a s i s ohne Icterus. Cholecystostomie. Heilung ^).
Frau A'on 52 Jahren, früher stets gesund, hat seit etAva einem Jahre an
ziemlich A^agen Störungen des Allgemeinzustandes gelitten ; sie magerte ab, fühlte
*) Die Patienten Nr. 5, 6, 7 und 8 sind in den Sitzungen der Lütticher
ärztlichen Gesellschaft A'orgestellt und ihre Krankengeschichten in den »Annales
de la Sociöt^ medico-chirurgicale de Liege. 1891« kurz citiert worden.
Zur Chirurgie der Gallenwege.
495
sich schwach, empfand von Zeit zu Zeit Völle und Druck in der Leber- und
Magengegend, ohne eigentliche Schmerzen, und häufige Auftreibung des Bauches,
doch blieb der Appetit gut, die Verdauung war sehr träge, Stuhlentleerungen
unregelmässig. Niemals Icterus, noch Gallensteinkoliken. Erst seit vierzehn
Tagen sind sehr lebhafte Schmerzen iiir rechten Hypochondrium und im Rücken
aufgetreten, welche die Patientin veranlassen, sich in die Klinik aufnehmen zu
lassen.
Grosse, ahgemagerte, etwas blasse Frau. Abdomen auf getrieben, Leber
vergrössert, ihr unterer Rand mindestens handbreit zu palpieren ; entsprechend
der Gegend der Gallenblase fühlt man einen rundlichen, leicht höckerigen, scharf
begrenzten, harten Tumor vom Volumen eines grossen Apfels, welcher sich bei
der Respiration mitbewegt. Druck aut denselben sehr schmerzhaft ; Haut und
Bauchdecken darüber verschiebbar, nicht verändert. Keine Spur von Icterus,
Harn von normaler Färbung.
Die Diagnose wurde auf Steine in der Gallenblase gestellt ; allein
nach dem lokalen Befunde, dem früheren Verlauf, der Abmagerung, ohne dass
Gallenretention vorhanden war, musste ich ausserdem den Verdacht auf ein sich
entwickelndes Carcinom der Gallenblase aussprechen. Der Patientin wird die
Operation vorgeschlagen, welche sie sofort acceptiert.
Operation. Nach Entleerung des Darmes wird die Operation am 25. No-
vember 1890 vorgenommen. Incision längs des äusseren Randes des r. Rectus
abdominis, 15 Centimeter lang. Peritoneum parietale verdickt, aus der Peritoneal-
höhle entleert sich etwas gelblich klares Serum. Die Leber ragt sehr weit nach
abwärts, sie ist weich, blutreich, von normaler Färbung. Die Gallenblase ist
vollständig von dem fettreichen Netze bedeckt und mit demselben lose verwachsen ;
nach Lösung der Adhäsionen präsentiert sich eine stark gänseeigrosse, mit Flüssig-
keit prall gefüllte Blase, welche sich in den ebenfalls mit Flüssigkeit gefüllten
D. cysticus fortsetzt ; das ganze Gebilde gleicht auffallend einer Retorte mit ihrem
leicht winkelig abgeknickten Halse. Man fühlt in der Blase einen grossen Stein ;
nirgends ist eine Geschwulst nachweisbar. Es gelingt sehr leiclit, den Leberrand
und den Scheitel der ausgedehnten Gallenblase vor die Ränder der Bauchwunde
zu bringen.
Die Gallenblase wird eröffnet , ihre Wandung ist verdickt aber nicht
degeneriert. Es entleert sich eine grosse Menge dunkelbraungrüner, schleimiger
Galle; der Stein wird leicht extrahiert, er hat die Gestalt einer Gurke, ist grün-
braun, an der Oberfläche leicht höckerig und wiegt 22 Gramm.
Nachdem die Blase ausgewaschen worden war, entschloss ich midi, da
nirgends mehr ein zweiter Stein konstatiert werden konnte und die Kommunikation
durch den I). choledochus jedenfalls frei war, in Anbetracht der ungewöhnlich
günstigen Verliältnisse, die Gallenblase sofort zu vernähen. Ich trug die Schleim-
hautränder jederseits schräg von aussen nach innen ab, vereinigte dann durch
eine fortlaufende Nalit die Schleimliaut, ohne sie jedoch ganz zu perforieren, so
dass gar kein Teil des Fadens innerhalb des Gallenblasenlumens zu liegen kam,
dann applicierte ich einige Knopfnähte gerade so wie bei einer L ein b er t scheu
Itarmnaht, endlich vernähte ich noch durch eine fortlaufende Naht die ver-
einigten Peritonealflächen. Die Leber wurde ziemlich weit nach oVien geschoben,
mit der Gallenblase reponiert, dann wurde die Bauchhöhle mit Kochsalzlösung
(7 : KXX)) ausgewaschen. Zum Schlüsse wurde das früher abgelöste Netz Avieder
über die Gallenblase gebreitet und durch ein paar Knopfnähte fixiert. Jetzt
schritt ich zum Verschluss der Bauchwunde durch Etagennähte. I>ie erste fort-
496
A. von Willi warter.
f
laufende Peritonealnaht wurde in der Weise angelegt, dass die Nahtlinie der
Gallenblase, vom Epiploon bedeckt, zwischen die Wundränder des Peritoneum
parietale zu hegen kam ; dann folgten die isolierten Nähte der Muskulatur und
der Fascien und endlich eine fortlaufende Naht der Haut mit interponierten ganz
oberflächlichen Knopfnähten. Alle Nähte wurden wie gewöhnlich mit Seiden-
fäden angelegt. Typischer ^Tu•band der Laparotomiewunde.
Der Verlauf nach der Operation war absolut reaktionslos. Die Schmerzen
verschwanden von dem Momente der Operation an und kehrten nicht wieder. Nach
14 Tagen war die Patientin geheilt.
In diesem Falle waren die Verhältnisse so ausserordentlich günstig für
den Verschluss der Gallenblase, weil die Gallenblasenwand verdickt und die
Schleimhaut vollkommen intakt war ; es konnten deshalb ganz so wie bei einer
Darmwunde Etagennähte angelegt werden. Ueberdies konnte ich die ganze
Operation ausserhalb der Bauchhöhle durchführen und die geringsten Details der-
selben genau übersehen.
6. Cholelithiasis ohne Icterus. Cholecystostomie. Heilung.
Die Sojährige Patientin hat vor 9 Monaten einen ziemlich schweren Typhus
ilurchgemacht. In der ßekonvalescenz empfand sie plötzlich sehr lebhafte
Schmerzen im rechten Hy^pochondrium, welche allerdings bald wieder an In-
tensität abnahmen, aber seit dieser Zeit nicht mehr ganz verschwanden. Auch
bestanden seit der Erkrankung fortwährend ^"erdauungsbeschwerden und Appetit-
losigkeit; die Patientin mageide ab. Niemals Icterus, Faeces niemals entfärbt,
kein Fieber.
Bei der schwächlichen, blassen, abgemagerten Patientin konstatiert man
in der Gegend der Gallenblase unmittelbar unter dem Rippenbogen einen grossen,
rundlichen, derb-elastischen Tumor, der sich mit den Respirationsbewegungen
nach auf- und abwärts verscliiebt ; derselbe ist der Sitz fortdauernder, spontaner
Schmerzen von wechselnder Intensität ; Druck auf denselben steigert die Schmerz-
empfindung. Bauchdecken nicht adhärent, nicht infiltriert. Die Diagnose wird
auf Cholelithiasis gestellt ; in Anbetracht der fortdauernden Schmerzen ohne
Gallenstauung wird eine Entzündung der Gallenblase als wahrscheinlich an-
genommen, die Oj^eration sofort beschlossen und von der Patientin acceptiert.
Operation (9. Dezember 1891). Schnitt längs des äusseren Randes des
r. Rectus abdominis, 12 cm lang. Nach Eröffnung des Peritoneum fliesst etwas
klares Serum aus ; der untere Leberrand ragt kaum über den Rii^penbogen nach
abwärts. Unter demselben prominiert die Gallenblase einige Finger breit. Sie
präsentiert sich als eine länglich bimförmige Geschwulst , etwa von der Grösse
eines Gänseeies, gerötet, injiciert, aber nirgends mit der Umgebung verwachsen.
Von aussen ist in derselben kein Stein zu fühlen. Die Blase wird mit ihrem
Scheitel nach aussen gezogen , durch eingestopfte Gazekompressen möglichst von
der Peritonealhöhle isoliert und dann eröffnet. Es entleert sich eine beträcht-
liche Quantität reinen , nicht mit Galle gemengten , geruchlosen Eiters ; die
Wandung ist verdickt, die Schleimhautfläche gleichmässig dunkelrot. Nach Ent-
leerung und Ausspülung <les Cavums mit Kochsalzlösung erscheint dasselbe leer,
aber der eingeführte Finger fühlt in der Tiefe des Sackes einen Stein , welcher
den Zugang zum I). cysticus vollkommen verlegt. Derselbe kehrt der Gallenblase
eine concave glatte Fläche zu , ganz ähnlich nach Form und Grösse der becher-
förmigen Hülle einer Eichel, und setzt sich dann, sich verjüngend in einen
cydindrischen Hals fort, der den erweiterten D. cysticus ausfüllt. Er ist so glatt,
Zur Chirurgie der Gallenwege.
497
steckt so fest und liegt der Bchleinihaut so innig an, dass es nur mit grosser
Mühe , durch kombiniertes Manipulieren \mn aussen und innen gelingt , ihn zu
delogieren; er ist ausserdem ausserordentlich brüchig, kommt daher nur in Frag-
menten zum Vorschein, die eine schöne, gleichmässig gelbe Farbe zeigen. Mittels
eines kleinen scharfen Löffels, wie er zur Curetage des Uterus gebraucht wird,
gelingt es allmählich, so viel von dem Steine zu extrahieren, dass die Bröckel
zusammengenommen etwa dem Volumen einer Haselnuss entsprechen. Trotzdem
ist in der Tiefe noch immer ein Teil des Konkrementes zu fühlen, welches trotz
aller Bemühungen und trotzdem ich von aussen entgegendrücke , nicht heraus-
zubringen ist, weil es nach unten zu ausweicht. Es wird daher beschlossen, die
Lösung desselben abzu warten, da es ja doch unbedingt indiciert war, eine Gallen-
blasenflstel anzulegen.
Bei den Extraktionsversuchen hatte sich keine Galle gezeigt. Nachdem
die Gallenblase gereinigt und locker mit einem Gazestreifen tamponiert war,
wurden die isolierenden Kompressen entfernt, das Operationsfeld mit physio-
logischer Kochsalzlösung irrigiert, dann die Wandung der Gallenblase mit dem
Peritoneum parietale der Bauchwunde vereinigt und überdies die Ränder der
Incision an die Hautränder des oberen Wundwinkels genäht, um jede eventuelle
Verunreinigung mit Eiter zu verhindern ; dann wurde der Rest der Bauchwunde
durch Etagennähte geschlossen. Typischer Verband. Die Patientin verspürte
nach der Operation ziemlich heftige Schmerzen, was offenbar den lange fort-
gesetzten Extraktionsversuchen zuzuschreiben war, aber es fehlte jede Allgemein-
reaktion, die Temperatur überschritt niemals die Norm. Nach zwei Tagen wurde
der Verband gewechselt, der Tampon aus der Gallenblase entfernt. Schleimiges
Sekret, mit etwas Eiter gemengt, aber keine Galle.
Als auch nach acht Tagen noch keine Galle nach aussen abgeflossen war,
wurde ein neuer, fruchtloser Versuch gemacht, das den D. cysticus obturierende
Fragment zu extrahieren. ^Mittels der mit dem Resonator armierten Steinsonde
konnte man dessen Gegenwart nachweisen , während alle anderen Explorations-
methoden ein negatives Resultat ergeben hatten. Es wurde sofort ein dicker
Laminariastift in den D. cysticus eingeschoben und dadurch am folgenden Tage
eine beträchtliche Erweiterung des Ganges erzielt. Jetzt gelingt es, den Rest des
Konkrementes , welcher übrigens noch immer das Volumen einer kleinen
Haselnuss hat (also ungefähr so gross ist als der früher extrahierte Teil)
zu entfernen. Unglücklicher Weise zerbrach der Stein beim Herausziehen , und
ein kleines Stück davon blieb im Gallengange zurück und konnte trotz aller
Bemühungen nicht aufgefunden werden. Die Gallenblase wurde neuerdings locker
tamponiert; am folgenden Tage war bereits eine geringe Quantität Galle dem
schleimigen Sekrete der Blase beigemengt. Die Eiterung hat vollkommen aufgehört.
Es wurde nach einigen Tagen abermals versucht , das noch vorhandene
Fragment zu entfernen. Es ist aber Nichts zu fühlen, auch fliesst etwas Galle
aus, so dass der D. cysticus keinesfalls verlegt sein kann.
Ich hielt die äussere Gallenfistel bis zum 31. Dezember offen, die Patientin
war bei vollkommenem Wohlbefinden längst ausser Bett und wollte nicht länger
im Hospital bleiben. Sie wurde entlassen, mit dem Bedeuten, sich sofort vor-
zustellen, wenn sie die geringsten Beschwerden empfinden sollte.
Erst nach drei jMonaten kam sie wieder; sie sieht blühend aus, hat nie-
mals Schmerzen gehabt, alle Funktionen regelmässig; die Gallenblasenfistel hat
sich sehr bald nach der Entlassung definitiv geschlossen,. Unter der Operations-
narbe fühlt man in der Tiefe noch immer eine kleine Anschwellung, die aber
32
498
A. von Winiwarter.
nicht empfindlich ist. Wahrscheinlich ist es die etwas verdickte Gallenblase,
welche vielleicht doch durch Sekret etwas ausgedehnt ist. Seitdem habe ich die
Frau noch einmal wiedergesehen; sie ist vollkommen wohl, der lokale Befund
hat sich nicht verändert.
7. Cholelithiasis mit Carcinom der Gallenblase und der Leber.
Exstirpation. Temporäre Heilung.
Frau von 50 Jahren, wurde vor etwa 6 Monaten ganz plötzlich und an-
scheinend ohne Veranlassung von heftigen Schmerzen im Epigastrium befallen,
welche sich gegen den Unterleib und die Lendengegend besonders nach rechts
ausbreiteten, jedoch bereits nach einer halben Stunde verschwanden. Am fol-
genden Tage traten die Schmerzen wieder auf, jedoch mit geringerer Intensität;
dann befand die Frau sich während mehrerer Monate subjektiv ziemlich wohl ;
doch bestanden von Zeit zu Zeit Verdauungsbeschwerden, auch soll sie etwas
abgemagert sein. Seit 5 — G Wochen sind abermals Schmerzanfälle aufgetreten,
wie die beiden, mit welchen die Erkrankung begann; sie Aviederholten sich seit
dieser Zeit 4 — 5 mal in der Woche, dauerten in der Regel V2 — 1 Stunde und
erforderten regelmässig Morphiuminjektionen. In der Zwischenzeit empfand die
Patientin nur ein Gefühl der Schwäche und der Müdigkeit, besonders in der
Lumbargegend. Die Faeces wurden regelmässig untersucht und durchgesiebt; sie
waren niemals entfärbt, enthielten aber nach den Anfällen wiederholt kleine
Gallensteine , bis 4 auf einmal ; im Ganzen wurden 21 derartige Konkremente
gefunden, welche die Patientin vorweist. Es sind glatte Cholestearinsteine, etwa
von der Grösse eines Haferkornes. In der letzten Zeit hat sich der Allgemein-
zustand fortdauernd verschlechtert; Verlust des Appetits, träge Verdauung mit
Aufstossen , Auftreibung des Magens , unregelmässige , mühsame Stuhlentlee-
rungen u. s. w. In der Leber- und Magengegend bestehen kontinuierliche
Schmei’zen, welche vorzugsweise des Nachts intensiv werden und der Kranken
den Schlaf rauben. Icterus soll niemals vorhanden gewesen sein.
Status praesens (12. November 1891). Stark abgemagerte, anämische
Frau; Hautfarbe, fahl aber nicht eigentlich icterisch; an den Organen der Brust-
höhle nichts Abnormes nachzuweisen. Bauch aufgetrieben, Bauchdecken schlaff,
im rechten Hypochondrium ist der Leberrand nur undeutlich unterhalb des
Rippenbogens zu palpieren, kein Tumor daselbst nachweisbar. Leber scheint
nicht vergrössert; Druck auf die ganze Partie mässig schmerzhaft. Puls regel-
mässig, nicht acceleriert, schwach und depressibel.
Ueber die Gegenwart von Gallensteinen konnte kein Zweifel bestehen, es
fragte sich nur, ob nicht ausserdem ein Carcinom der Gallenblase vorhanden sei,
denn die Abmagerung und die schwere Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes
konnte durch die Cholelithiasis allein schAverlich heiworgerufen worden sein, da
niemals eine eigentliche Gallenstauung mit Icterus u. s. w. bestanden hatte. Ich
stellte deshalb die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Carcinom der Gallenblase und
entschloss mich auf dringendes Bitten der Patientin zur Operation, da es ja doch
sehr wahrscheinlich Avar, dass durch die Entfernung der Gallensteine und die
Anlegung einer äusseren Gallenfistel , selbst im Falle das Carcinom sich als
inoperabel ei’Aveisen sollte, die Leiden zum mindesten erheblich gelindert. Adel-
leicht Amllkommen beseitigt Averden konnten.
Ox>eration. Am 17. NoA’ember AAird nach Entleerung des Darmes in der
Narkose die Bauchhöhle durch einen Längsschnitt am äusseren Rande des Rectus
eröffnet. Die Leber ist dunkelbraunrot, von normaler Konsistenz; über ihrem
unteren Rand ragt die Gallenblase etAA'as hervor ; dieselbe hat die Gestalt und
Zur Chinn-iiie der Gallemvege.
499
das Volumen einer mittelgrossen Birne, sie ist allenthalben mit den umliegenden
Dilrmen (Dünndarm und Colon transversum) verwachsen, fühlt sich knorpelhart
an; im Innern scheinen einzelne noch härtere Partien (Steine?) zu sein. Die
Adhäsionen der Gallenblase werden abgebunden und gelöst und ihre Wandung
freigelegt. Sie ist weisslich gefärbt, schwielig; diffus von einem ungemein harten
Infiltrate durchsetzt, welches sich in den strangförmigen D. cysticus fortsetzt.
Der Scheitel der Blase wird vorläufig durch Gazestreifen von der Peritonealhöhle
isoliert, dann eröffnet. Die Wandung ist daselbst fast centimeterdick, weissgrau
gefärbt, carcinoniatös degeneriert ; gegen die obere, der Leber zugekehrte Fläche
verdickt sie sich zu einem haselnussgrossen Knoten. In dem engen, cylindrischen
Cavum der Blase findet sich sehr wenig flüssige dunkelgrüne Galle und über ein
Dutzend kleine, leichte, facettierte Steine, alle von nahezu derselben Grösse (etwa
wie ein Citronenkern) , ganz ähnlich den bereits durch den Dann entleerten;
gegen den I). cysticus zu konfundieren sich die Steine so mit dem knotenför-
migen carcinomatösen Infiltrate, dass man sie durch den Tastsinn allein nicht
unterscheiden kann. Die carcinomatöse Wandung der Gallenblase ist mit dem
Leberparenchym fest verwachsen ; am Bande findet sich in der Lebersubstanz
selbst ein weisslicher Carcinomknoten von der Grösse einer Nuss — ausserdem
sind in dem Organe keine Tumoren zu fühlen.
Nachdem die Gallenblase entleert, ausgewaschen und vorläufig mit Gaze
tamponiert worden war, schritt ich zur Ablösung derselben von der unteren
Fläche der Leber. Zu diesem Zwecke wurde die Lebersubstanz in einiger Ent-
fernung von der Gallenblase durch eine Anzahl von mit Seidenfäden armierten,
langen Nadeln umstochen, die Fäden vorsichtig angezogen und geknüpft, dann
das Leberparenchym im Gesunden mittels des Thermocauters durchtrennt, was
ohne Blutung bewerkstelligt wurde ; dann wurde auch der nussgrosse Knoten am
Leberrande durch fortlaufende Schnürnähte umstochen und ein keilförmiges, das
Carcinom enthaltendes Stück aus der ganzen Dicke desselben ohne Blutung
reseciert. Nun drang ich gegen den D. cysticus zu vor, isolierte denselben, musste
aber bis zum Choledochus gehen, weil daselbst noch ein kleiner Knoten zu fühlen
war, wobei es unmöglich war zu unterscheiden, ob man es mit einem Stein oder
einem carcinomatösen Infiltrat zu thun habe. Ich musste nach der Ausdehnung
der carcinomatösen Erkrankung annehmen, dass noch andere disseminierte Herde
in der Umgebung vorhanden seien, dass deshalb eine radikale Operation an und
für sich höchst unwahi-seheinlich sei ; deshalb vermied ich es , die Patientin der
Gefahr einer Exstirpation eines grösseren Abschnittes des D. choledochus aus-
zusetzen , nach welcher unfehlbar die ^lündung des D. hepaticus in der Tiefe
offen geblieben wäre. Ich legte jenseits des fraglichen Knotens eine jiroviso-
rische Ligatur an und exstirpierte nun das ganze Paket der degenerierten Gallen-
blase sammt D. cysticus und den Fragmenten der Leber. Hierauf wurde der Stiel
so gut als möglicb hervorgezogen, was durch die Lücke am Leberrande erleichtert
war, und durch Nähte mit dem Peritoneum parietale der Bauchwunde vereinigt. Der
Stiel enthielt das Anfangsstück des Choledochus mit der Mündung des D. hepa-
ticus. Kings herum wurde der Band des Netzes so an den Stiel fixiert , dass
dadurch eine Art Trichters zu Stande kam, an dessen tiefstem Punkte der Stumpf
der Gallengänge sich befand; die provisorische Ligatur wurde gelöst, jedoch eine
Fadcnschlinge an die betreffende Stelle angelegt, um später, wenn es notwendig
sein sollte, die Mündung des C'holedochus finden zu können. Dann wurde das
Cavum mit Jodoformgaze tamponiert und der übrige Teil der Bauchwunde durch
Etagennähte geschlossen. Tyjiischer Verband. Das exstiri)ierte Prä]iarat zeigte
500
A. von Winiwarter.
folgende ^'erhältnisse; Das Lumen der Gallenljlase ist vollkommen excentrisch
nach der freien (unteren) Fläche zu gelagert; die Wandung ist dort, wo sie mit
den Därmen verwachsen war, etwa auf das Dopjielte ihres gewöhnlichen Durch-
messers verdickt, fibrös ; an der Seite, welche der Leber anliegt, ist sie allein so
dick, wie das Lumen und die gegenüberliegende Wandung zusammengenommen,
von weissen, ungemein harten, rundlichen Knoten bis zu Haselnussgrösse durch-
setzt, welche die Schleimhaut substituiert haben, in Form von Höckern gegen
die Höhle der Gallenblase hervorragen und dieselbe verengern; der isolierte
Knoten in der Leber zeigt die charakteristische Struktur des Carcinoms.
Nacli der Operation dauerten die Schmerzen noch einige Tage an, doch
fehlte jede febrile Keaktion. Am fünften Tage begann etwas Galle aus der
Fistel auszufiiessen , dann nahm die Sekretion allmählich zu, während die Wan-
dungen des Wnndtrichters granulierten. Die Schmerzen verschwanden und der
Allgemeinzustand besserte sich auffallend. Nach 14 Tagen zeigte sich in der
Tiefe der Fistel eine rundliche Geschwulst von Haselnussgrösse, Avelche sich
oäenbar aus dem verdächtigen Knoten an der Schnittfläche des D, choledochus
entwickelt hatte. Das I-iecidiv hatte sich so rasch entwickelt und ausgehreitet,
dass ich von einem ferneren Versuche, dasselbe zu exstirpieren, abstehen musste.
Die Galle floss vollständig nach aussen durch ein Drainrohr ab; die Patientin
befand sich einige Zeit hindurch relativ wohl, dann aber verlor sie den Appetit
vollständig, magerte immer mehr ah und starb endlich in einem Zustande äusserster
Schwäche, etwas über sechs Wochen nach der Operation.
Die Sektion ergab zahlreiche Carcinomknoten in der Leber, in den Lungen,
den Nieren und der INIilz und ein diffuses carcinomatöses Infiltrat in der Um-
gebung des ursprünglichen Operationsgebietes innerhalb der Bauchöhle, in welchem
der D. choledochus vollständig eingeschlossen war. Das Carcinom war offenbar
primär von der Gallenblase ausgegangen.
8. Erweiterung und Hype r troiihie der Gallenblase ohne Icterus.
Zwei Divertikelsteine. Cholecystenterostomie. Heilung.
Die Patientin, 48 Jahre alt, hat in ihrem 17. Lebensjahre einen acuten
Gelenksrheumatismus überstanden; sie leidet seit einem Jahre an stechenden
und ziehenden Schmerzen in beiden Hypochondrien , welche anfangs täglich
mehrere Male auftraten und allmählich an Intensität, Dauer und Frequenz Zu-
nahmen. Der Appetit blieb gut bis vor etwa drei Monaten; seit dieser Zeit ist
er vollständig verschwunden, die Patientin isst seitdem fast Nichts, magerte sein-
stark ab und litt fortwährend an Magendrücken, Ueblichkeiten , Brechreiz, Kon-
stijiation, dann an häufigen Anfällen von Herzklopfen mit Präcordialangst. Vor
zwei Monaten empfand sie während zwei Tagen heftiges Seitenstechen rechts ;
gleichzeitig bestand eine allgemeine Urticariaeruption. Sie hat niemals an Gallen-
steinkoliken noch an Icterus gelitten. Seit drei INIonaten bemerkte sie die Ent-
wicklung einer schmerzhaften Geschwulst im Unterleibe, in der Nabelgegend, die
sie am Arbeiten hindert und schliesslich zum Eintritte in die Klinik veranlasst.
Status praesens (28. Mai 1891). Ahgemagerte, herabgekommene Frau
von cachectischem Aussehen, tiefleidendem Gesichtsausdruck. Puls unregel-
mässig. Bauch nicht aufgetrieben , Bauchdecken schlaff. In der Höhe des
Nabels, mehr unter als über demselben, in der iNIedianlinie des Abdomen fühlt
man einen ganz oberflächlich gelegenen, bei Druck sehr schmerzhaften derl)-
elastischen, nicht fiuctuierenden Tumor von der Grösse des Kopfes eines Neu-
geborenen. Derselbe ist an seiner Oberfläche etwas uneben, höckerig, ausser-
Zur Chirurgie der Gallenwege.
501
ordentlich heweglich, so dass er sich fast bis in die Beckenhöhle hinunterschieben
lässt ; die Leber reicht sehr wenig über den Rippenbogen nach abwärts ; es ist
keinerlei Zusammenhang des Tumors mit derselben nachzuweisen. Die Diagnose
des Falles war zweifelhaft. Ein Tumor der Beckenorgane, etwa ein langgestielter
Ovarialtumor, war mit Sicherheit durch die Untersuchung auszuschliessen. Von
der Leber schien mir der Tumor auch nicht ausgehen zu können, da er viel zu tief und
zu sehr in der ^^ledianlinie nach abwärts reichte, auch fehlten alle charakteri-
stischen Symptome einer Erkrankung der Gallenwege. Das Wahrscheinlichste
war für mich die Annahme eines Tumors des Netzes oder des Darmes, etwa des
Colon transversum; naeh dem Verlaufe der Erkrankung, der Abmagerung, dem
cachectischen Aussehen der Patientin konnte ich nur an einen malignen Tumor,
ein Carcinom des Netzes oder des Daiunes, denken. Jedenfalls schien mir bei
der Beweglichkeit desselben der Versuch einer Exstirpation berechtigt.
Operation (2. Juni 1891). Eröffnung der Bauchhöhle durch einen Schnitt
in der Linea alba, nach abwärts vom Nabel. Der Tumor tritt sofort zu Tage :
er ist dunkelblaurot gefärbt, von erweiterten, geschlängelten Venen überzogen,
leicht höckerig, ein fleischiges oder drüsiges Gebilde, von welchem ich beim
ersten Anblicke absolut nicht sagen konnte, was es sei. Am meisten Aehnlich-
keit hatte der Tumor mit einer abgelösten, umgestülpten Placenta. Ich führte
die Hand in die Bauchliöhle ein, um mich über seine Lage zu orientieren, und
konstatierte sofort, dass er sich nach aufwärts fortsetzte und schliesslich innig
mit der Leber zusammenhing, in die sein oberer Anteil förmlich implantirt war.
Nun erst klärte sich die Hache auf: es handelte sich um die stark erweiterte,
kolossal hypertrophische Gallenblase. Dieselbe wurde nun aus der Bauchhöhle
hervorgezogen; an ihrer hinteren Fläche fühlt man innerhall) der Wandung zwei
kleine, harte Erhabenheiten, eine am unteren, die andere am oberen Pole der
Geschwulst; es sind zwei Hteine von rundlicher Form und Plaselnussgrösse, sie
lassen sich nicht verschieben. Die Blase wird an ihrem tiefsten Punkte eröffnet,
wobei die Incision blutet, als ob man einen Darm durchschnitten hätte; es ent-
leert sich eine grauweisse, schleimige, dünnem Htärkekleister ähnliche Flüssigkeit,
mit gelblichem Satze, aber keine Galle. Die AVandung ist mindestens so dick
wie die des Magens in kontrahiertem Zustande, die Schleimhaut hy))ertrophisch,
gewulstet, lebhaft rot, chagriniert. Durch den eingeführten Finger konstatiert
man, dass beide früher erwähnten Steine in enghalsigen Divertikeln stecken,
welche sie straff umschliessen. Der Stein am unteren Pole lässt sich aus dem
Divertikel herausbefördern, bei dem oberen muss jedoch der Rand des Diver-
tikels incidiert werden, bevor dies möglich ist. Beide Steine sind hellgrüngelb,
von ganz gleicher Grösse und Form, der Teil, welcher der Divertikelwand anlag,
ist rund, körnig, während der Teil der Steine, welcher frei nach innen, gegen das
Cavum der Blase gekehrt war. Hach, ganz glatt, wie abgeschliff'en ist. Das Diver-
tikel mit seinem Stein am oberen Pole der Gallenblase lag derart, dass dadurch
der Ductus cysticus vollständig abgeknickt und komprimiert worden war. Sowie
ich den Stein extrahiert hatte, trat Galle aus dem D. cysticus hervor.
Ich war im Zweifel, was nun am besten mit der voluminösen, hy])er-
trophischen Blase, die nach der Entleerung gar nicht zusammengefallen war, an-
zufangen sei. An eine Exstirpation derselben dachte ich keinen Augenl)lick, sie
war ja in ihrem ganzen oberen Anteil tief in die L('l)orsubstanz eingebettet und
eine Lösung dieser Partie musste bei dem grossen Gefässreichtum des Gewebes
und der Grösse der Wandfläche eine beträchtliche Verletzung bedingen. Die
Anlegung einer äusseren Gallenblasenfistel hätte allerdings die Drainage der Blase
502
A. von Winiwarter.
nach aiiösen und die allinähliche Eetraktion ihrer Wandungen ermöglicht, allein
die Patientin war dadurch zu einer lange dauernden Behandlung verurteilt und
es schien mir durchaus nicht sicher, ob dadurch ihre Beschwerden, welche offen.
)>ar nicht durch die beiden Divertikelsteine, sondern durch den voluminösen
Tumor bedingt waren, beseitigt werden würden. Die einfache Naht der Gallen-
Idase bot keinerlei Sicherheit für die Volumsabnahme des Organs. Der zweck-
massigste Eingriff, welclier die Flüssigkeitsansammlung am sichersten beheben,
die rascheste Heilung herbeiführen und die Patientin zugleich von den Folgen
einer neuen Gallensteinkrankheit bewahren musste, war die Cholecystenterostomie ;
die Verhältnisse lagen ausserdem für die Operation so ungemein günstig, die
Wandung der Gallenblase war so dick und fleischig, dass die Vernähung mit
Leichtigkeit durchführbar erschien.
Dementsprechend suchte ich das Dnodenum auf, wählte eine Dünndarm-
schlinge so nahe als möglich an demselben, zog dieselbe durch eine stumpf ge-
machte Lücke des Netzes durch und brachte sie ohne jede Zerrung an die
hintere Fläche der Gallenblase heran. Dann machte ich die seitliche Ana.stomosen-
bildung in der Weise, wie ich sie auch bei Fnteroanastomosenbildung und als
Ersatz der zirknlären Darmnaht bei Darmresektion zu machen pflege. Nun wurde
der Dünndarm gegenüber der Gallenblasenincision durch einen Längsschnitt er-
öffnet, wobei sich aus dem Darm reine Galle entleerte, zum Beweis, dass die
gewählte Schlinge ganz nahe an der Einmündung des D. choledochus in das
Dnodenum liegen musste. Durch eine fordlaufende Naht wurden die Schleimhaut-
ränder von Gallenblase und Darm vernäht, dann ein Eing eines entkalkten,
starken Drainrohres durch die Fistelöffnung gesteckt und mit einem Catgutfaden
so befestigt, dass er in den Darm fallen musste. Endlich wurden die vorderen
Nähte geschlossen nnd die ganze Anastomosenbildung noch durch oberflächliche
Peritonalknopfnähte verstärkt. Die ganze Operation war ausserhalb der Bauch-
höhle vorgenommen worden und hatte nur wenig Zeit in Anspruch genommen.
Jetzt Avurden nach Abspülung des OjAerationsfeldes mit physiologischer Kochsalz-
lösung Darm und Gallenblase reponiert und die Bauclnvunde durch Etagennähte
geschlossen, wobei ich noch die Vorsicht brauchte, die Anastomosenstelle in die
fortlaufende Peritonealnaht zu fassen. Typischer Verband.
Die Patientin war sofort nach der Operation von ihren Schmerzen befreit ;
es trat keinerlei Eeaktion, weder lokaler noch allgemeiner Natur auf, die Tem-
peratur blieb stets normal. Der Puls A'erlor nach wenigen Tagen seine frühere
Unregelmässigkeit; am 3. Tage nach der Operation erfolgte der erste Stuhlgang,
worauf alle Funktionen regelrecht ihren Fortgang nahmen. Der AjApetit und das
Allgemeinbeflnden hoben sich unerAvartet rasch ; 14 Tage nach der Operation
verliess die Frau, mit einer Leiblünde A^ersehen, das Bett und gerade 3 Wochen
nach derselben das Krankenhaus. ZAvei IMonate später sah ich sie noch einmal ; sie
Avar nicht Avieder zu erkennen, hatte an Embonpoint zugenommen, sah l)lühend ans
und fühlte sich Avohler als je zuvor. Die schmale Narbe der Bauchdecken Avar voll-
kommen verschiebbar, die Leber nicht vergrössert. Von der Gallenblasengeschwulst
Avar auch bei der genauesten Palpation, Avelcbe durch die weichen Bauchdecken
erleichtert Avurde, keine Spur mehr zu entdecken. Das kleiire Stück entkalkten
Drains, welches ich l>ei der Anastomosenbildung venvendet hatte, Avar nicht in
den Faeces gefunden Avorden ; es ist jedoch sehr möglich, dass es trotzdem nn-
bemerkt mit dem Stuhle abging.
Der folgende Fall l)etrifft eigentlich keine Fi’krankung der GalleiiAA'ege; ich
führe ihn jedoch an, weil er unter der Diagnose einer Gallenblasenaff'ektion zur
Zur Chirurgie der Gallenwege.
503
Operation kam und in diö'erentialdiagnostisclier Beziehung wichtig ist; auch wurde
<lurch den operativen Eingriff Heilung der Beschwerden erzielt.
9. Ectasie der Gallenblase. Senkung der Leber.
Die 34jährige Patientin, eine starke rüstige Frau, empfindet seit zwei
Jahren heftige Schmerzen in der Lebergegend, die in der letzten Zeit das Arbeiten
vollkommen unmöglich machten. Es bestanden niemals Gallensteinkoliken, noch
Icterus. Bei der Untersuchung konstatierte ich in der Rückenlage den unteren
I.eberrand handbreit unter dem Rippenl)ogen, in aufrechter Stellung der Patientin
noch tiefer nach al)wärts reichend; unter demselben, entsprechend der Lage der
Gallenblase, füldte man durch die schlaffen Bauchdecken in der Tiefe eine stärkere
Resistenz, Avelche den Eindruck machte, als ol> sich dasell)st die vergi-össerte
und härtere Gallenl)lase befinde. Kein Symptom von AVanderniere nachweisbar.
Uterus und Ovarien in normalem Zustande. Die Schmerzen im rechten Hypo-
chondrium existierten, wenn die Frau stand oder ging, und wurden durch jede
Aluskelanstrenguug gesteigert ; in der liorizontalen Rückenlage, im Bette, ver-
schAvanden sie sehr bald. — ■ leb glaul)te nach dem Befunde die Diagnose einer
Cholelithiasis ohne Icterus stellen zu können, und nachdem Avährend zAvei Jahren
alle möglichen Alittel, n. a. auch eine Leil>binde angeAvendet, Avorden Avaren, ohne
auch nur momentane Erleichterung zu schaffen, die Patientin, der arbeitenden
Klasse angehörig, aiReitsunfähig AA'ar, schien mir die (Operation sofort indiciert.
Operation. Am 13. Mai 1891 AA'urde in der Narkose die Bauchhöhle durch
einen Längsschnitt am äusseren Rande des r. Rectus eröffnet. Es präsentiert sich die
normal gefärbte Leber mit einem grossen Teil ihrer vorderen Fläche, der untere Rand
des Organs ist stark nach abAA'ärts gesunken und nach hinten zugekehrt. Dabei lässt
sich das Organ mit Leichtigkeit nach ol^en schieben, so dass es ganz unter dem
Rippenbogen verschAA'indet ; die lieber scheint überhaupt gar nicht vergrössert
zu sein ; sie ist nur so beAveglich, dass sie geAvissermassen mit ilirer konvexen
Fläche nach vorne zu fällt und sich dabei einigermassen um eine liorizontale
Achse dreht, so dass ihr A'f)rderer Rand niclit AAÜe geAvölmlich nach A'orne und
unten, sondern nach hinten und unten gekehrt ist. An der unteren Fläche liegt
die Gallenblase; sie reicht mit ihrem Scheitel zAvei Fingerbreit über den Leber-
rand hervor, ist stark ausgedehnt, enthält al)er keine Steine, Avas man durch die
dünne, durchscheinende AVandung sehr genau konstatieren kann, sondern nur
dunkelgrüne Galle. Auch im D. cysticus und im D. choledochus ist nirgends
ein harter Körper zu fühlen. Durch Druck auf die gefüllte Blase A'ermindert
sich ihr Inhalt sichtlich, so dass sich die Galle offenbar gegen den Darm zu ent-
leeren kann. Die rechte Niere findet sich an ihrer geAvölmlichen Stelle; sie ist
etAvas A’erschiebbar, mehr als im Normalzustände, Avas man jedoch erst jetzt durch
<lie direkte Palpation des Organs konstatieren kann. Die I>aparotomie hatte dem-
nach in Bezug auf eine Erkrankung der Gallen aa ege ein absolut negatives Resultat
geliefert und man musste sich fragen, Avodurch die unleugbar A'orhandenen Be-
scliAverdcn bedingt seien. Die Ausdehnung der Gallenldase konnte kaum ver-
antAvortlich gemacht AA'erden, nachdem die abführenden Gallemvege fi-ei und das
Seki'et dersell)en gar nicht A'erändert AAar. Auch die etAvas laxe Fixation der
r. Niere (A'on einer eigentlichen AA^ a n d e r n i e r e konnte man nicht sprechen)
allein Avar sclnverlich Schuld an den Schmerzen im r. Ilypochondrium. AA'ohl
aber konnte die Leber bei der Schlaffheit der Bauchdecken durch ihre
abnorme Verschiebbarkeit und dadurch, dass sie gCAvissermassen nach vorne zu
um ihre horizontale Achse überschlug, einerseits Druck auf die rechte Niere, anderer-
seits Zerrung des ganzen Befestigungsapparates der Leber, besonders des Lig.
504
A. von Winiwarter.
suspens. liepatis bewirken ; dies musste sieli i^esonders in der aufrechten Stellung
des Körpers, beim Gehen und Arbeiten bemerkbar machen, wahrend in der hori-
zontalen Kückenlage die Beschwerden geringer wurden oder ganz verschwanden,
ln der That war das Lig. Suspensorium hejiatis stark verlängert und spannte
sich beim Herabschieben der Leber so an, dass ein Einreissen desselben durch
das Gewicht des Organes nicht undenkbar schien. Ich erinnerte mich bei dieser
Gelegenheit an einen Fall, den mir Chrobak seinerzeit mitgeteilt hatte : er hatte
eine Frau behandelt, bei welcher eine schmerzhafte, strangförmige Geschwulst
zweifelhafter Natur in der r. Oberbauchgegend vorhanden war, die alle möglichen
nervösen Störungen veranlasste : bei der Operation stellte es sich heraus, dass
man es mit dem stark verdickten, hyi^ertrophischen Lig. Suspensorium liepatis
zu thun hatte.
In dem vorliegenden Falle handelte es sich darum, die Leber so zu fixieren,
dass sie nicht mehr herabsinken konnte : ich schob sie, natürlich mit der Gallen-
blase, ganz unter den Rippenbogen hinauf, fasste dann das Peritoneum i^arietale
der hinteren Bauchwand durch tiefgreifende starke Seidensuturen und nähte es
nach vorne, indem ich die Fäden durch die Rippenknorpel durchzog. Hiedurch
wurde eine Art von Diaphragma gebildet, welches die Leber an Ort und Stelle
zurückhalten musste. Es war zu hofi'en, dass die Seidenfäden lange genug halten
würden, um eine genügende Fixierung zu Stande kommen zu lassen. Hierauf
wurde die Bauchhöhle in der geAVöhnlichen Weise durch Etagennähte geschlossen.
Typischer Verband mit Unterstützung von breiten Heftijflasterstreifen. Keine
Reaktion nach der Operation. Heilung per primam. Ich liess die Patientin
mehrere Wochen länger zu Bette liegen bleiben , als ich es nach gewöhnlichen
Laparotomien zu thun pfiege, und gab ihr eine gut passende Bauchljinde, mit
Pelotte an der rechten Seite, um die Leber möglichst zu unterstützen.
Der Erfolg der Behandlung schien das angewandte Verfahren zu recht-
fertigen : als die Patientin anfing umherzugehen, sjiürte sie keinen Schmerz mehr ;
die Leber senkte sich nicht mehr und dieser Zustand erhielt sich auch dann,
als die Frau ihre Arbeit wieder aufnahm. Es wurde ihr eingeschärft, die Leib-
binde weiter zu tragen, auf regelmässigen Stuhl zu achten, täglich kalte Al)-
reibungen des Unterleibes mit Salzwasser vorzunehmen und sich sofort wieder
vorzustellen, wenn Schmerzen oder sonst irgend welche Symptome auftreten
sollten. Ich habe sie fünf Monate nach der Operation zufällig gesehen ; sie be-
fand sich ganz wohl.
Als Nachtrag zu der angeführten Kasuistik möchte ich noch in ein ijaar
Worten über das Schicksal des ersten Patienten berichten, an dem ich seinerzeit
die erste Cholecystenterostomie vorgenommen habe ü. Es handelte sich um eine
kolossale Ausdehnung der Gallenblase und Retention von Galle in derselben,
welche durch dauernde Imi^ermeabilität des D. choledochus aus unbekannter
Ursache bedingt war. Ich hatte damals die Operation in zwei Zeiten extraperi-
toneal ausführen wollen, und als die Eistelbildung durch Einlegen eines Trocarts
nicht gelungen war, die Kommunikation herzustellen gesucht von der Gallen-
blase in den Darm statt umgekehrt vom Darm in die Blase. Durch diesen Miss-
griff waren die Verhältnisse äusserst kompliziert und schwierig geworden und
es war mir erst nach mehreren resultatlosen Eingriffen gelungen, den Abfluss
L A. von Winiwarter. Ein Fall von Gallenretention bedingt durch
Impermeabilität des Ductus choledochus. Anlegung einer Gallenblasendarmfistel.
Heilung. Prager med. Wochenschrift 1882. Nr. 21 und 22.
Zur Chirurgie der Gallemvege.
505
der Galle in den Dann herzustellen. Ich gehe auf die Einzelheiten nicht näher
ein, da sie ja doch nur für mich selbst Interesse haben. Als ich den Fall publi-
zierte, war der Patient seit mehreren IMonaten geheilt gewesen; die Galle ent-
leerte sich seit dieser Zeit vollständig in den Darm. Einige Zeit darauf stellte
sich der INIann wieder vor, weil eine der früheren Fistelöffnungen anfgebrochen
war und Eiter, aber keine Galle entleerte. Die Eiterung hörte l^ald auf, dann
begann sie von neuem, bis endlich eine Erweiterung mittels Laminaria vor-
genommen wurde ; mair gelangte dadurch in einen Hohlraum anscheinend zwischen
der Muskulatur der Bairchwand und dem verdickten Peritoneum , aus welchem
ein mehrere Centimeter langes Stück Kautschukdrain extrahiert wurde. Wann
und auf welche Weise dasselbe in den Körper geraten war, konnte nicht mehr
eruiert werden ; der Patient hatte sich monatelang sozusagen selbst behandelt,
als die äussere Gallenfistel noch persistierte, und sich in dieselbe Drains ein-
geführt. Wahrscheinlich war eines derselben in die Tiefe geglitten und daselbst
zurückgeblieben; es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass durch den Fremdkörper
das lange Offenhleiben der äusseren Gallenfistel bewirkt worden war. Nach Ex-
traktion des Drains blieb die Fistel definitiv geschlossen. Der IMann befand sich
ganz wohl, er war arbeitsfähig; von Zeit zu Zeit jedoch traten leichte Anfälle
von Icterus, ohne Entfärbung der Faeces, auf, ohne Schmerzen, gewöhnlich wenn
er vernachlässigt hatte, für regelrechte Stuhlentleerungen Sorge zu tragen. Ich
schrieb diese Anfälle einer vorübergehenden Verlegung der Gallenl^lasendarm-
fistel zu ; es bedurfte dann nur einer Dosis Karlsbadersalz und etwas Massage
der Gallenblasengegend, um die Gallencirkulation wieder in Gang zu bringen.
Etwa zwei Jahre nach der Operation hörten auch diese IMahnungen an das frühere
Leiden auf und ich verlor den Mann aus dem Gesichte. Im HeiLst des Jahres
1887 erfuhr ich, dass er vor 2 Monaten in seiner Heimat angeblich an einer
Apoplexie (?) gestorben sei. Die Sektion war natürlich nicht gemaclit worden; der
Arzt, der den Kranken behandelt hatte, war ebenfalls tot; ich kann daher Nichts
weiter über den schliesslichen Ausgang des Falles angeben, als dass der IMann
mit seiner Gallenblasendarmfistel mindestens 5 Jahre nach der Operation gelel)t hat.
Wenn man die eben angeführten Fälle überblickt, so sieht
man, dass mit Ausnahme des Falles Nr. 9 und des zuletzt citierten,
schon früher publizierten Falles von Cholecystenterostomie , der
wegen Verschluss des D. choledochus und kolossaler Ausdehnung
der Gallenblase operiert worden war, stets Gallensteine bei meinen
Operierten gefunden wurden. Daraus geht hervor, dass die Chole-
lithiasis weitaus die häufigste Affektion ist, welche Gelegenheit
zu Operationen an den Gallen wegen giebt; selbst das Carcinom
der Gallenblase entwickelt sich wahrscheinlich häufiger in einer
steinhaltigen als in einer gesunden Blase. Wenn aber auch in
allen meinen Fällen Gallensteine gefunden wurden, so kann man
doch nicht ohneweiters sagen , dass die pathologischen Symp-
tome, welche die Kranken veranlassten, ärztliche Hilfe aufzusuchen,
stets die gleichen, ja auch nur ähnliche waren. Im Gegenteil,
die Krankheitsbilder waren sehr verschieden voneinander, und der
506
A. ^■on Winiwarter.
Umstand, dass trotz meines an Zahl geringen Materials, welches
sich ja nicht im Entferntesten mit dem Riedels z. B. messen
kann, so ungleiche Fälle vorkamen, beweist, dass nicht das Vor-
handensein der Gallensteine allein, sondern vorzüglich die sekun-
dären Veränderungen des Galle secernierenden und abführenden
Apparates für das Handeln des Chirurgen von Bedeutung sind.
Man kann, ohne Widerspruch fürchten zu müssen, sagen,
dass die Cholelithiasis an und für sich mehr eine zufällige Anomalie
als eine Krankheit ist, dass sie aber in jedem Momente zu sehr
ernsten Erkrankungen führen kann und dass mit dem, was man
gewöhnlich, besonders vom Standpunkte des internen Klinikers
aus, als Gallensteinkrankheit bezeichnet, nämlich die Koliken und
den Icterus, die Sache keineswegs erschöpft ist.
Wenn man die Patienten mustert, welche von ihren Gallen-
steinen leiden, so kann man ungefähr folgende Typen von Fällen
unterscheiden, je nach dem Symptome, welches in den Vorder-
grund tritt: 1. Die Patienten leiden an Anfällen von Gallen-
Steinkolik, mit vorübergehendem Icterus, während sie in der
Zwischenzeit relativ wohl sind. Das sind jene Fälle, welche wie
viele Arthritiker \delleicht bis ans Lebensende vorzugsweise den
internen Kliniker und den Hausarzt beschäftigen, die, wenn sie
vermögend sind, jedes Jahr ihre Badekur in Karlsbad, in Vichy
u. s. w. durchmachen und die, soferne keine ernsteren Erschei-
nungen auftreten, dem Chirurgen nur durch Zufall zu Gesicht
kommen. 2. Die Patienten sind, nachdem vielleicht zahlreiche
Anfälle von Gallensteinkolik anstandslos vorübergegangen waren,
an akuter Angiocholitis mit circumscriiDter Peritonitis (Perichole-
cystitis) erkrankt : es h at sich ein A b s c e s s um die G a 1 1 e n w e g e
gebildet, der sich selbst überlassen entweder zum Durchbruche
nach aussen oder in den Darm, oder im ungünstigsten Falle zu
einer tödlichen allgemeinen Peritonitis führt. Der Icterus und die
Gallenstauung sind dabei ganz nebensächlich. 3. Die Patienten
zeigen die Symptome einer vollkommenen Galle nr et ention,
die vor Kurzem ganz plötzlich ohne alle Vorboten bei einem an-
scheinend gesunden Individuum oder im Gefolge früherer Anfälle
von Gallensteinkoliken aufgetreten ist. Diese Fälle unterscheiden
sich von denen der ersten Kategorie dadurch , dass die Gallen-
retention in der Leber eine dauernde wird und nicht mehr als
concomitierender katarrhalischer Icterus von dem Kolikanfalle ab-
hängt. Sehr gewöhnlich haben die Schmerzen, wie sonst in der Regel,
mit dem Anfall aufgehört und sind nicht wiedergekehrt, sodass
der Patient sogar gegen Druck kaum empfindlich ist. Neben dem
Zur Chirurgie der Gallenwege.
507
Icterus und der Entfärbung der Faeces sind fortwährendes Haut-
jucken, Schlaflosigkeit, ^^erdauungsstörungen, dann Vergrösserung
der Leber die wesentlichen Krankheitserscheinungen. 4. Es haben
sich, nachdem längere Zeit hindurch absolute Gallenretention be-
standen hatte, die sekundären Veränderungen des cholämischen
Marasmus entwickelt. In diesen Fällen ist wesentlich der All-
gemeinzustand schwer alteriert. Dabei kann der lokale Befund
der Gallenwege sehr verschieden sein, wesentlich ist nur, dass die
Galle in der Leber zurückgehalten wird, entweder weil der D.
choledochus und gleichzeitig der D. cysticus impermeabel sind,
oder weil bei Impermeabilität des ersteren die Gallenblase virtuell
supprimiert ist, entweder weil sie durch einen Stein ausgefüllt,
oder weil sie vollkommen geschrumpft und unausdehnbar gewor-
den ist. Wenn der D. choledochus impermeabel, die Gallenblase
aber frei und nicht degeneriert ist, dann wird zwar ebenfalls die
Galle vom Darm abgehalten, aber sie sammelt sich dann in der
Gallenblase an und dehnt dieselbe aus; die Wirkung der Retention
auf die Leber ist also keine so direkte, indem die Gallenblase die
Rolle eines Sicherheitsreservoirs spielt. Die Leber ist nach länger
dauernder Retention gewöhnlich nicht vergrössert, oder sogar ver-
kleinert, atrophisch. 5. Es fehlen die Gallensteinkoliken, es be-
steht weder Icterus noch Entfärbung der Faeces, die Patienten
leiden an den vieldeutigen Beschwerden, welche durch die Gegen-
wart eines irritierenden Fremdkörpers in der Gallenblase
hervorgebracht werden. Je nach der Intensität dieser Beschwer-
den sind die Fälle äusserst verschieden, indem von dem Gefühl
des Druckes und der Völle angefangen bis zum intensiven Schmerz
alle Uebergangsstufen Vorkommen. Dieser Schmerz ist aber durch-
aus verschieden von den die Gallensteinkoliken begleitenden
Schmerzanfällen. In diese Kategorie von Fällen, welche die am
wenigsten charakteristischen Symptome einer Affektion der Gallen-
wege darbieten, gehören wahrscheinlich eine Menge von Indivi-
duen, die unter der Diagnose nervöser Dyspepsie, Gastralgie,
chronischer Gastritis, Stauung im Pfortadersystem, Neurasthenie
u. s. w. sich selbst und den Aerzten zur Qual werden, weil die
wahre Natur des Leidens sich der Diagnose vollkommen entzieht
und weil man gar nicht an die Existenz von Gallensteinen denkt
bei Leuten, die nie Icterus, nie Koliken gehabt haben, keinen
Gallenblasentumor aufweisen u. s. w. Ich gehe nicht näher auf
die Besprechung der Diagnose solcher Fälle ein, weil man dieselbe
in der Monographie Riedel’s auf Grundlage eines bedeutenden
Materials abo-ehandelt findet; nur möchte icli ausdrücklich Riedel
508
A. von Winiwarter.
beistimmen, wenn er sagt, dass die allgemein angenommene ab-
solute Symptomlosigkeit vieler Gallensteine denn doch mit einiger
Reserve aufzufassen sei. Wir dürfen nicht vergessen, dass die
Sektionsbefunde , welche uns zu Gebote stehen, im Grossen und
Ganzen ein wesentlich anderes Materiale betreffen als das, nach
welchem wir unsere Beobachtungen am Lebenden machen. Es
ist richtig, dass man bei Sektionen sehr häufig Gallensteine vor-
findet, ohne dass der behandelnde Arzt eine Ahnung von ihrer
Existenz hatte und ohne dass sich der Kranke jemals über Schmer-
zen u. s. w. beklagt hätte. Ebenso sicher ist es andererseits, dass
die grosse Mehrzahl jener Patienten, die an den früher erwähnten
dunklen Symptomen nervöser Dyspepsie, Gastralgie u. s. w. leiden,
nicht zur Sektion kommen, weil sie nicht an diesen Affectionen sterben.
Solche Beschwerden beobachtet man ja überhaupt nur an jMenschen
der wohlhabenderen Klassen, die das Glück oder das Unglück haben,
sich um dieselben kümmern zu können. Menschen, die fortwäh-
rend arbeiten müssen, und arme Teufel, die nicht die Mittel haben,
eine kostspielige Behandlung durchzuführen, empfinden sie gewiss
ebenfalls, aber für dieselben sind sie ein Uebel, welches ohne viel
zu reden ertragen werden muss, weil es nicht zu ändern ist. Un-
sere Obduktionen werden fast ausschliesslich an den im Kranken-
hause Verstorbenen gemacht, an den Leichen von Individuen,
welche sicher nicht wegen ihrer nicht diagnosticirten Cholelithia-
sis das Hospital aufgesucht haben: es ist daher ganz begreiflich,
dass die Aufmerksamkeit der behandelnden Aerzte und der Pa-
tienten selbst nicht auf die etwa vorhandenen dunklen, von der
tödlichen Hauptkrankheit ganz in den Hintergrund gedrängten
Symptome der Cholelithiasis gelenkt wurde. Wenn dann bei der Ob-
duktion die Gallensteine gefunden werden, kann man freilich den
Kranken nicht mehr fragen, ob er nicht doch von denselben ge-
litten hat. 6. Die Patienten präsentieren die Symptome eines
Bauchtumors, bedingt durch die vergrösserte Gallenblase. Da-
bei hängt es von den begleitenden Lhnständen ab, ob Icterus vor-
handen ist oder nicht ; notwendig ist er keineswegs, ebenso wenig
als die Gallensteine notwendig sind, um eine V olumsvergrösserung
der Gallenblase herbeizuführen. Dieselbe kann nämlich auch be-
dingt sein durch Impermeabilität des D. cysticus oder des D.
choledochus, infolge von Kompression derselben, durch einen
Tumor der Porta hepatis, des Duodenum, des Pankreas etc., durch
peritoneale Schwielen, oder in Folge von Knickung, Verwachsung
u. s. w. Dies war der Fall bei meinem ersten Patienten, an dem
ich die Cholecystenterostomie vorgenommen hatte, und bei dem
I
Zur Chirurgie der Gallenwege.
509
Patienten Kappel er ’s, an welchem derselbe die erste einzeitige
Cliolecystenterostomie ausführte (Tumor des Pankreas mit Kom-
pression oder Durchwachsung des D. choledochus und Icterus).
Die Gallenblase enthält in diesen Fällen entweder reine Galle,
wenn die Kommunikation mit der Leber erhalten blieb, oder wenn der
D. cysticus aus irgend einem Grunde unwegsam ist, eine schleimige
oder seröse Flüssigkeit von wechselnder Zusammensetzung, in
welcher höchstens noch Spuren von Galle oder Reste von galligem
Bodensätze nachzuweisen sind. Unter den zuerst angeführten Um-
ständen besteht in der Regel Icterus, während er bei Impermea-
bilität des D. cysticus vollkommen fehlen kann, wie es z. B. bei
der früher erwähnten Patientin Nr. 8 der Fall war. Ausserdem
beobachtet man die Symptome, welche durch das Volumen des
Gallenblasentumors, durch sein Gewicht, durch die Kompression
und die Zerrung der Nachbarorgane bedingt sind. Dabei ist der
Tumor selbst nicht immer deutlich zu fühlen, da er durch die
vorgelagerte Leber und auch durch das Quercolon verdeckt sein
kann ; in den charakteristischen Fällen palpiert man eine im Ganzen
rundliche, glatte oder leicht höckerige Geschwuslt, unterhalb der
Leber hervorragend, sich mit derselben confundierend oder mehr
oder weniger von derselben entfernt. Dabei ist es wichtig zu
wissen, dass diese Geschwulst sehr beweglich sein kann (vergl. den
Fall 8) , sodass sie bis weit unter den Nabel heruntersinken und
noch tiefer, fast bis in das Becken verschoben werden kann. Es
existieren in Bezug auf die Beweglichkeit des Gallenblasentumors
überhaupt sehr grosse Verschiedenheiten. So weit ich aus eigener
Erfahrung urteilen kann, ist die vergrösserte Gallenblase, so lange
sie kein sehr beträchtliches Volumen erreicht, nur wenig beweg-
lich; ebenso ist sie bei den allerhöchsten Graden der Ausdehnung
nicht verschiebbar, weil sich das Organ dann retroperitoneal ent-
wickelt und wie in meinem ersten Falle von Colecystenterostomie
die ganze rechte Seite des Abdomen bis in die Fossa iliaca ein-
nehmen kann, das Colon ascendens vollkommen bis zur Median-
linie und darüber hinaus verdrängend oder vielmehr abhebend.
Die Fälle mit scheinbar sehr beweglichem Gallenblasentumor liegen
offenbar in der Mitte zwischen beiden Extremen; es ist ja auch
bei diesen die Beweglichkeit nur eine scheinbare, hervorgebracht
dadurch, dass der untere freie Teil der Blase gewissermassen pedi-
culisiert ist, während sich der obere Teil nach aufwärts unter die
Leber fortsetzt und innig mit derselben verschmolzen ist.
Die Fälle von Carcinom der Gallenblase, ob mit Cholelithiasis
oder ohne dieselbe, treten nicht immer unter den Symptomen
510
A. von Winiwarter.
eines Abdominaltumors auf, d. h. es ist nicht das Volumen der
Geschwulst, welches die Störungen veranlasst, sondern es ist die
Gallenstauung in der Leber, die Verdauungsstörung, der Schmerz,
der im Vordergründe des Krankheitsbildes steht.
Was nun die Gallensteine betrifft, so können sie auf ver-
schiedene Weise zur Vergrösserung der Gallenblase Anlass geben.
Zunächst natürlich durch ihr Volumen: es können so grosse oder
so zahlreiche Konkremente vorhanden sein, dass die Blase einen
wahrhaften Steintumor vorstellt ; damit sich derartige Massen
bilden können, muss die Galle frei in die Gallenblase eintreten
können ; man findet daher bei Sektionen nicht selten gerade recht
grosse Steine ganz mit flüssiger Galle umgeben. In anderen Fällen
scheint die Gegenwart selbst eines einzigen Konkrementes von
mässigen Dimensionen auf die Wandungen der Gallenblase einen
Reiz auszuüben, durch welchen sich eine excentrische Hypertrophie
des ganzen Organes entwickelt. Die höheren Grade von Ver-
grösserung desselben kommen jedoch zu Stande entweder durch
Steine im Ductus choledochus, wobei die Galle statt in den Darm
abzufliessen sich in der Gallenblase anhäuft, oder durch Verlegung
des D. cysticus. Letzteres kann geschehen dadurch, dass sich
ein Stein im Ductus cysticus festsetzt, oder dass derselbe, wie in
meinem Falle Nr. 8 durch einen Divertikelstein comprimiert oder
abgeknickt wird. Es tritt dann zwar keine Galle mehr in die
Blase ein, aber die Schleimhaut fährt fort zu secernieren und es
sammelt sich, wahrscheinlich begünstigt durch den Reiz des Steines,
eine immer grössere Quantität Sekret an, während die Wandungen,
die Schleimhaut sowohl, wie die Muscularis, sich in eben demsel-
ben Masse verdicken, als sich die Höhlung erweitert. Damit aber
in beiden Fällen eine erhebliche Ausdehnung der Gallenblase er-
folgen kann, darf deren Wandung nicht früher schon geschrumpft
und narbig verändert und die Schleimhaut atrophiert sein, sie
muss ihre sekretorische Thätigkeit bewahrt haben. Ist dies nicht
der Fall, so tritt keine Flüssigkeitansammlung auf, sondern sowie
die Kommunikation mit der Leber unterbrochen ist, wird die noch
vorhandene Galle resorbiert und die AVandung der Gallenblase
retrahiert sich ; wenn ein Stein in der Blase vorhanden ist , so
legt sie sich demselben an, oder wenn sie leer ist, entsteht zu-
nächst ein Hydrops vesicae felleae mässigen Grades, dann wird
auch dieser resorbiert und die Blase schrumpft zusammen. Bei-
spiele für das Gesagte finden sich in den Krankengeschichten
Nr. 1 und 4.
Aus dem Gesagten ergiebt sich, wie mannigfach die Symp-
Zur Chirurgie der Gallenwege.
511
tome sind, welche durch Gallensteinbildung gegeben sein können,
und wie schwer es ist, die Erkrankungen der Gallenwege, welche
nicht durch Steinbildung compliciert sind, von den Formen, unter
denen die Cholelithiasis auftritt, zu unterscheiden. Wenn aber
auch die Differentialdiagnose nicht immer gestellt werden kann,
so ist das für die Therapie von geringerer Bedeutung; \del wich-
tiger ist es, möglichst frühzeitig die Diagnose der Gallenstein-
krankheit zu stellen, denn nach meiner Ansicht, — ich habe das seit
Jahren in meiner Khnik gelehrt, — ist die Existenz von Gallen-
steinen, sobald sie überhaupt Symptome machen, die Indikation
zu ihrer operativen Entfernung. Und zwar ist es, wie ich in
vollster Uebereinstimmung mit Riedel erkläre, von der grössten
Bedeutung, dass die Steine entfernt werden, solange sie noch in
der Gallenblase sind und noch keine sekundären Veränderungen
hervorgerufen haben ; die Operation soll als Normalmethode der
Behandlung so frühzeitig als möglich ausgeführt werden und niclit
als remedium ultimum gelten. Denn, wie schon früher gesagt, die
Cholelithiasis kann in jedem Moment ein nicht nur die Gesund-
heit, sondern das Leben bedrohender Zustand werden, und dieser
Eventualität soll durch die Operation vorgebeugt werden. Eine
derartige Anschauungsweise erscheint im ersten Moment als über-
trieben und ungerechtfertigt; die Nicht-Chirurgen werden auf die
günstigen Wirkungen hinweisen, welche man durch eine rationelle
medikamentöse Therapie bei Gallensteinkranken erzielt, und sich
immer wieder darauf stützen, dass verhältnismässig grosse Gallen-
steine auf natürlichem Wege abgehen können und auch wirklich
abgehen. Kann aber irgend jemand, auch der umsichtigste Arzt,
bei einem Kranken mit Gallensteinkoliken garantieren, wie der
Anfall, der in der gewöhnlichen Weise begonnen hat, ausgehen
werde? Das Sprichwort sagt: der Krug geht so lange zum Brunnen,
bis er bricht, und die Gallensteinkoliken können wiederholt ohne
Unfall ertragen w^erden, bis zuletzt doch dauernde Gallenretention
eintritt, oder ‘eine Perforation der Gallenwege erfolgt. Und wenn
Gallensteine durch den Darm abgegangen sind, sei es spontan,
sei es nach einer Kur, wer kann verbürgen, dass Nichts mehr in
den Gallenwegen zurückgeblieben ist und dass das Resultat der
Kur etwas anderes als einen momentanen Erfolg bedeutet?
Ich will hier noch einen Fall anführen, der zwar nicht direkt mit meinem
Thema zusammenhängt, der aber einen neuen Beweis dafür liefert, dass selbst
der spontane Abgang von Gallensteinen durch den Darm Gefahren herbeiführen
kann, an die man gar nicht denkt.
Im April 1888 wurde ich zu einer alten Frau gerufen, die vor wenigen
Tagen unter den Symptomen von akutem Ileus erkrankt war. Trotz aller an-
512
A. von ^Vinivvarter.
gewandten Mittel war weder Stuhlgang erfolgt, noch hatten sich Gase entleert
lind seit 24 Stunden hatte das Erbrochene entschieden den Charakter von Darm-
inhalt angenommen. Ich fand eine fast 80jährige, ungewöhnlich grosse und
kräftige, ausserordentlich korpulente Frau, stocktaub; mit gelblicher aber nicht
icterischer Färbung der Haut, unregelmässigem, intermittierendem Pulse, ein-
trocknender Zunge und fäkulentein Foetor ex ore. Anamnestisch war von der
Umgebung der Kranken nur soviel zu erfahren, dass sie vor Jahren eine »Peri-
tonitis« überstanden habe und stets an Konstipation leide — sie habe daher
anfangs die Stuhlverhaltung gar nicht weiter beachtet, bis heftige Schmerzen
im rechten Hypogastrium aufgetreten seien, welche noch jetzt andauern. Ausser-
<lem erklärte man mir sofort, dass die alte Frau gewohnt war, grosse Mengen
von Spirituosen (»Genievre«) zu sich zu nehmen, dass sie sich aber seit ihrer Er-
krankung hartnäckig weigere, irgend etwas, besonders aber Alkohol zu geniessen,
und deshalb sehr geschwächt sei. Die Untersuchung ergab einen bis auf die
Mitte der Schenkel herabreichenden Hängehauch mit starker meteoristischer Auf-
treibung und Spannung des Unterleibes, besonders nach der Mitte zu, während
die Seitengegenden weniger stark hervortraten. Von einem Tumor war in der
Dauchhöhle bei dem ausserordentlichen Fettreichtum der Bauchdecken und der
Distension der Därme Nichts nachzuweisen, — unter dem rechten Ligamentum
Poupartii besteht eine kleine, von schlaffer Haut bedeckte, unverschiebbarej
matten Perkussionsschall darbietende, elastisch derbe, auf Druck schmerzhafte
Geschwulst, einer Schenkelhernie entsprechend, welche die Patientin seit Jahren
getragen hat, ohne ein Bruchband zu benützen, und die stets das gegenwärtige
Volumen gezeigt haben soll. Soviel man aus der vollkommen tauben und nebst-
bei etwas schwachsinnigen Person herausbringen kann, ist die Hernie niemals
reponibel gewesen und hat sich seit dem Auftreten des Ileus nicht verändert.
Die Diagnose des Falles war nicht klar; da jedoch unzweifelhaft eine Hernie
vorhanden war, so beschloss ich sofort, dieselbe frei zu legen, obschon keine
lokalen Einklemmungserscheinungen an derselben zu erkennen waren. Die Opera-
tion war durch das kolossale Fettpolster erschwert: nach Sjialtung des Bruch-
sackes, der etwas rötlich trübe Flüssigkeit enthielt, zeigte sich als Hauptbestand-
teil der Hernie das mit dem Bruchsack verwachsene Netz; ausserdem aber lag
eine ganz leere Dünndarmschlinge vor, welche am Bruchsackhalse deutlich eine
Depression , — aber keine eigentlichen Incarcerationssymptome zeigte ; sie
war ebenfalls mit dem Bruchsacke verwachsen. Nach Lösung der Adhäsionen,
Erweiterung der Bruchpforte, Abbindung und Resektion des Netzes entleerte
sich aus der Bauchhöhle ziemlich viel rötlich -trübes, klebriges Serum. Ich zog
die Darmschlinge etwas hervor, konnte aber nichts Abnormes wahrnehmen —
ich war einigermassen im Zweifel, ob die Obstruktion endgültig belieben sei,
stand jedoch vorläufig von einem weiteren Eingriffe ab, um das Resultat der
Oiieration abzuwarten. Der Darm wurde ringsum mit Jodoformgaze umgelien,
und ein mit einem Gazestreifen umwickeltes dickes Drainrohr durch die erweiterte
Bruchpforte einige Centimeter weit in die Bauchhöhle eingeschoben.
Am nächsten Morgen waren die Allgemeinsymptome nicht verändert, ob-
schon die Patientin weniger Schmerzen empfunden hatte. Ich schritt daher so-
fort zur Eröffnung der Bauchhöhle. Die Patientin hatte als einzige bei Druck
schmerzhaftere Stelle die Ileocoecalgegend angegehen: ich erweiterte daher zu-
nächst die Herniotomiewunde nach aufwärts durch einen Schnitt parallel zur
Mittellinie. Die stark ausgedehnten, intensiv roten Dünndarmschlingen prohibierten
sofort und wurden, in Kompressen eingeschlagen, nach rechts gewälzt; dann
Zur Chirurgie der Gallenwege.
513
suchte ich die am gestrigen Tage i'reigelegte Dünndarnischlinge auf; sie war
noch immer leer, ich verfolgte sie nach aufwärts und spürte sofort einen volumi-
nösen, harten Körper im Innern des Darmes, der sich als ein eiförmiger, an der
Oberfläche leicht drüsiger, das Lumen des Darmes vollständig ausfüllender Stein
vom Volumen einer grossen Pflaume herausstellte. Er steckte ursprünglich unmittel-
bar oberhalb der an der Bruchpforte angewachsenen Stelle, welche deutlich erkenn-
bar war; daselbst bestand eine ringförmige Druckmarke mit deutlicher weisslicher
Verfärbung, in welche der Stein genau hineinpasste; die Wandung des Darmes lag
dem Fremdkörper seinem ganzen Umfange nach innig an. Unterhalb des Steines
war der Darm zusammengezogen und leer , ebenso das Colon , während ober-
halb desselben das Ileum stark ausgedehnt war. Ich schnitt sofort in der
Längsachse des Darmes auf ihn ein und extrahierte ihn; es war ein zrveifellos
als solcher zu erkennender grosser Gallenstein, der grösste den ich je extrahiert
habe (30 gr. schwer im getrockneten Zustande). Der ganze Sachverhalt klärte
sich durch diesen Befund vollkommen auf. Die Ileumschlinge, welche innerhalb
der Bruchpforte fixiert war, war permeabel gewesen für den Darminhalt und die
Gase; als jedoch der Gallenstein den Bruch passieren sollte, war das Miss-
verhältnis zwischen ihm und dem etwas verengerten Darm zu gross und der Stein
blieb oberhalb der Bruchpforte stecken, das Darmlumen wie ein solider Pfropf
verlegend. Nachdem ich am Tage zuvor die Ilerniotomie gemacht, die Bruch-
pforte erweitert und den Darm gelöst hatte , lag allerdings kein absolutes
Hindernis mehr für seine Passage vor, allein der Darm war in diesem Momente
bereits so paralytisch, dass er keiner peristaltischen Bewegungen mehr fähig
war. Nun drängte sich noch die Frage auf, ob der Gallenstein bereits längere
Zeit innerhalb des Darmes verweilt habe, ohne Obstruktionserscheinungen her-
vorzurufen, oder ob er erst in den letzten Tagen aus der Gallenblase ausgetreten
sei. Darüber liess sich jedoch keine Sicherheit gewinnen, ebensowenig über den
Weg, den der Stein genommen, ob er den D. choledochus passiert oder etwa
eine Verwachsung des Dünndamies mit der Gallenblase perforiert habe. Mit
letzterer Plypothese wäre vielleicht die angebliche »Peritonitis« , an welcher
die Kranke in früherer Zeit gelitten haben soll, in Verbindung zu bringen;
absolut undenkbar ist es aber nicht, dass der Stein auf dem natürlichen Wege
in den Darm geraten sei. Rokitansky giebt an, dass der Ductus choledochus
an Weite zuweilen den Dünndarm übertrilft und es existieren bekanntlich eine
ganze Anzahl Beobachtungen von Gallensteinen, welche iricht im D. choledochus,
wohl aber innerhalb des normalen Darnres, nicht wie in diesem Falle an einer
Bruchpforte, aufgehalten wurden und Obstruktion desselben herbeiführten.
Nach Extraktion des Steines entleerte ich den ausgedehnten Darm so\del
als möglich von seinem dünnflüssigen Inhalt und von Gas, dann schloss ich die
Incision durch einige Nähte; da jedoch die Wandung an der Druckstelle sehr
suspekt aussah, lagerte ich die Darmschlinge ausserhalb der Bauchhöhle, fixierte
sie, um ihr Zurückgleiten zu verhindern, wusch die Peritonealhöhle mit Koch-
salzlösung aus, drainierte und tamponierte die Bauchwunde. Unmittelbar nach
der Operation hörte das Erbrechen auf.
Am folgenden Tage grosse subjektive Erleichterung, Bauch weich, nicht
schmerzhaft, eingefallen, keine Reaktion. Beim Verbandwechsel zeigt sich, dass
die Nähte halten, der Darm hat sich an der Nahtstelle erholt, aber an der ring-
förmigen Druckmarke bestehen zwei weissgraue Punkte, an welchen die Darm-
wand offenbar gangränös ist. In der That war am dritten Tage die Perforation
vorhanden; da jedoch Alles für diese Eventualität vorbereitet war, so wurde
33
514
A. von 'Winiwarter.
dadurch kein Schaden angericlitet. — Trotz des reaktionslosen \"erlaufes konnte
sich die lioch])etagte, an reiclilichen Alkoholgenuss gewöhnte Patientin nicht er-
holen; sie verweigerte starrsinnig alle Stiinulantien, der Alkohol erregte ihr ge-
radezu Ekel; die Schwäche nahm zu; einige Tage nach der Operation trat ein
exquisiter Aufregungszustand wie bei Potatoren ein, von Delirien begleitet, dem
die Patientin bald erlag. Keine Sektion.
Es fragt sich nun, welche Operationsweise die rationellste ist
zur Beseitigung der durch Cholelithiasis bedingten Krankheits-
zustände; denn die Beseitigung der Steine ist meines Erachtens
nur ein Teil der therapeutischen Aufgabe, die wdr zu erfüllen
haben. Bei einer gewissen Zahl von Fällen ist allerdings damit
der Indikation Genüge geleistet und das sind gerade jene, bei
welchen die Operation frühzeitig vorgenommen wird, d. h. zu
einer Zeit, wenn die Steine noch in der normalen Blase stecken
und die Gallenwege noch nicht verändert sind. Dies ist eines de]-
wichtigsten Argumente , welche für eine frühzeitige Operation
sprechen. Wir können mit einiger Berechtigung annehmen, dass
bei diesen Fällen nach Entfernung der Steine auch die Tendenz
zu neuer Erkrankung in den Gallenwegen getilgt ist und dass kein
Recidiv der Cholelithiasis auftreten wird. Als Typus eines derartigen
Falles kann die Patientin Nr. 5 angesehen werden, und zwar sie fast
allein unter allen meinen Operierten: es besteht keine Gallen-
stauung, kein Icterus, der Stein liegt frei in der nicht ge-
schrumpften Blase. Auf die Diagnose dieser Fälle vor der
OiDeration will ich hier nicht näher eingehen; ich verweise auf
das früher Gesagte und besonders auf die reiche Statistik Riedel’s,
der das Glück hatte, eine ganze Anzahl derartiger Patienten zu
operieren. AVenn man durch die Bauchdecken die Steine in der
Gallenblase fühlt, so ist die Sache ja ganz klar — wenn nicht,
so muss die Diagnose per exclusionem gestellt werden, und der
Chirurg, welcher einige derartige Fälle gesehen hat, wird in der
Regel durch längere Beobachtung des Patienten zum Ziele kommen.
Ich will jedoch durchaus nicht in Abrede stellen, dass zuweilen
unter solchen Umständen die Operation als Exj)lorativlaparotomie
begonnen werden muss — dann handelt es sich aber stets um
Patienten, die schwer unter ihrer Affektion leiden, welche, der
arbeitenden Klasse angehörig, durch dieselbe erwerbsunfähig
gemacht werden, und bei denen die nicht operative Therapie
fruchtlos geblieben war. Man hat daher nur die Wahl, solche
Patienten ihrem Schicksal zu überlassen, bis ein neu auftretendes
Symptom, z. B. Icterus, die Diagnose erleichtert, oder sich durch
Eröffnung der Bauchhöhle Klarheit zu verschaffen. Finden wird
Zur Chirurgie der Galleiiwege.
515
inan unter solclien Umständen gewiss Etwas und in der Regel
wiixl man auch im Stande sein, dem Kranken Hilfe zu bringen.
So war es z. B. bei der Patientin Nr. 9, bei welcher ich Gallen-
steine vermutete und eine abnorme Verschiebbarkeit und Senkung
der Leber fand, und die durch den operativen Eingriff dauernd
geheilt wurde. Jedenfalls würde ich die Eröffnung der Bauch-
höhle dem extraperitonealen Explorativschnitte Barden heuer ’s
vorziehen, einerseits weil ich, wie \dele andere Chirurgen, die Ab-
lösung des Peritoneum für eine viel eingreifendere Verletzung
halte, als die Eröffnung, anderseits, weil gerade in solchen
dunklen Fällen Alles darauf ankommt, Gewissheit zu haben. Hat
der extraperitoneale Explorativschnitt ein positives Resultat er-
geben, so muss ja doch gewöhnlich die Laparotomie nachfolgen
— hat man aber trotz desselben nichts Pathologisches gefunden,
so wäre es mh wenigstens schwer, mir einzureden, dass auch
wirklich Nichts vorliegt, und die Wunde zu schliessen; ich würde
mir stets den Vorwurf machen, dass mir durch eine unvollständige
Untersuchung das Wesentlichste der Erkrankung entgangen sei.
Ich setze also voraus, dass man nach Eröffnung der Bauch-
höhle in der Gallenblase Steine konstatiert habe; man hat in
solchen Fällen die verschiedenen Modifikationen der Cholecvstostomie
und der Cholecystektomie, und die Exstirpation der Gallenblase
vorgeschlagen und durchgeführt , und bis zum heutigen Tage
besteht noch keine vollkommene Uebereinstimmung der Ansichten
unter den Chirurgen über die Wahl der Methode. Vor allem
möchte ich die Exstirpation der Gallenblase, die Cholecystectomie,
gänzhch aus der Reihe der in Frage kommenden Verfahren aus-
schliessen und in Uebereinstimmung mit Czerny den Satz auf-
stellen: die Cholecystectomie als typische Operation ist auf die
Fälle von schweren entzündlichen Veränderungen und von malignen
Tumoren der Gallenblase (meistens wird es sich um Carcinome
handeln) zu beschränken. Ich habe von jeher die Exstirpation
der Gallenblase zur Beseitigung der Cholelithiasis für eine nicht
nur überflüssige, sondern auch gefährhche Operation gehalten;
weil ich, wie ich wiederholt erwähnt habe, nicht die Entfernung
der Gallensteine allein, sondern die Herstellung der günstigsten
Verhältnisse in den Gallenwegen überhaupt als das wichtigste
Ziel unseres Handelns betrachte. Mit der Gallenblase entfernt
man gewissermassen das Sicherheitsventil, welches bei allen Re-
tentionen der Galle die Leber entlastet, so lange eine Kommuni-
kation derselben mit der Blase besteht; ist aber dieselbe nicht
mehr vorhanden, dann hat die Entfernung der Blase überhaupt
516
A. von Winiwarter.
keinen Einfluss auf die Gallencirkulation. Dass sich Gallensteine
ausschliesslich nur in der Gallenblase bilden können, ist durch eine
ganze Reihe von einwurfsfreien Beobachtungen widerlegt. Ganz
abgesehen von den Fällen von Konkrementbildung innerhalb der
intrahepatischen Gallengänge kann man bei einzelnen Operationen
die Entstehung von Steinen, namentlich an der Stelle, wo der D.
hepaticus und der D, cysticus zusammenstossen, um den D. chole-
dochus zu bilden, direkt nachweisen, wenn die Gallenblase z. B,
geschrumpft und vollkommen um einen Stein zusammengezogen und
frei von Galle ist. Ein derartiger typischer Fall ist der unter
Nr. 3 angeführte; der Patient hatte niemals Anfälle von Gallen-
steinkolik gehabt und auch nach Eintritt der Gallenretention keine
besonderen Schmerzen empfunden; auch war die Gallenblase so
durch den grossen Stein ausgefüllt, dass von der Bildung eines
zweiten Konkrementes innerhalb der Blase gar keine Rede sein
konnte. Andererseits war der Ductus choledochus sowohl wie der
Ductus hepaticus weit, ersterer so, dass er den kleinen Finger auf-
nehmen konnte, und trotzdem niemals früher eine Gallenstauung
vorhanden gewesen war, hatte sich ein zweiter Stein gebildet in
einer Nische, deren genauen Abguss er darstellte. Wenn man
aber bei einem Kranken, der seit längerer Zeit an Gallenretention
gelitten hat, die Gallenblase exstirpiert, weil sie Steine enthält, so
setzt man sich der Gefahr aus, das eigentliche Hindernis gar nicht
berührt zu haben, denn es kann, wie der Fall Nr. 1 beweist, ein
Stein im Choledochus vorhanden sein, den man bei der Operation
absolut nicht fühlt und der trotzdem den Uebertritt der Galle in
den Darm verhindert. — Von den Umständen, welche die Opera-
tion der Cholecystectomie zu einem wesentlich schwereren Eingriff
gestalten, wenn z. B. die Verwachsung der Gallenblasen wand mit
der Leber eine sehr ausgedehnte und innige ist, will ich gar nicht
sprechen. Das Argument, welches man zur Verteidigung der
Cholecystectomie herbeigezogen hat, dass manche Tiere gar keine
Gallenblase besitzen, scheint mir für die Beurteilung der Verhält-
nisse beim Menschen ziemlich belanglos.
Es bleibt demnach für die einfachsten, sozusagen normalen
Fälle von Cholelithiasis, bei welchen die Steine in der Gallenblase
liegen, die Cholecystostomie, und ich bin vollkommen der Ansicht
Riedel’s, dass die zweizeitige Operation, wie er sie beschreibt,
den allergeringsten Eingriff darstellt und die grösste Sicherheit
gegen Komplikationen darbietet. Es handelt sich dabei nur um die
Eröffnung der Bauchhöhle durch einen entsprechend langen Schnitt,
welcher den Scheitel der Gallenblase unter dem Leberrand frei-
Zur Chirurgie der Gallemvege.
517
legt; dann wird derselbe durch Nähte extraperitoneal fixiert, die
Stelle, wo später die Gallenblase eröffnet werden soll, durch einen
Faden markiert, dann die Bauch wunde geschlossen, mit Ausnahme
der Partie, wo die Blasenwand freiliegt. Daselbst wird mit Gaze-
streifen tamponiert. Nach 10 — 12 Tagen incidiert man die Gallen-
blasenwand, entleert die Steine und überlässt die äussere Gallen-
fistel der spontanen Vernarbung. Ich glaube, dass es für die
Einbürgerung der frühzeitigen operativen Behandlung der Gallen-
steine von der grössten Wichtigkeit ist, eine möglichst einfache
und auch dem Nichtchirurgen als gefahrlos einleuchtende Oj^era-
tionsmethode zu besitzen, wenn sie auch etwas mehr Zeit in An-
spruch nimmt, und ich zweifle nicht, dass man mit der zweizeitigen
extraperitonealen Cholecystostomie in vielen Fällen auskommen
kann, umso wahrscheinlicher je früher man operiert.
Es giebt jedoch Fälle, und das sind die komjDlizierteren, wie
fast alle von mir operierten, wo die Sache anders steht, Fälle, bei
denen die Steine nicht in der Blase, oder nicht nur in der Blase,
sondern in den Gallengängen liegen, oder bei denen wichtige secun-
däre XTränderungen an den Gallenwegen im .Allgemeinen zu Stande
gekommen sind, oder die von anderweitigen Anomalien begleitet
sind. Zunächst kann von der eben geschilderten Operation keine
Rede sein, wenn die Gallenblase so klein ist , dass ihr Scheitel nicht
an das Peritoneum parietale der vorderen Bauchwand herangebracht
werden kann (wie in meinen Fällen Nr. 1, 2, 4), oder wenn ihre
Wandungen so wenig widerstandsfähig oder so dünn sind, dass
die Fäden ausreissen (wie in dem Falle 3). Nicht selten werden
beide Hindernisse gleichzeitig vorhanden sein. Eine zweite Contra-
indikation liegt für mich im Vorhandensein eines Icterus, welcher
durch Undurchgängigkeit eines der abführenden Gallengänge,
gleichviel aus welchem Grunde, bedingt ist. Fühlt man unter
solchen Umständen auch einen Stein innerhalb der Blase, so kann
es doch zweifelhaft sein, ob derselbe allein die Ursache der Gallen-
retention darstellt. Es ist nämlich ganz gut denkbar, dass ein
Gallenstein, ohne geradezu in einem Gallengange, also s. B. im
1). choledochus, eingekeilt zu sein, den Abfluss der Galle in
den Darm verhindert, dadurch, dass er eine permanente Angio-
cholitis unterhält, mit Anschwellung der Schleimhaut. In einem
solchen Falle brauchen auch keine Symptome von Gallenstein-
kolik vorausgegangen zu sein. Unter solchen Verhältnissen, welche
sich teilweise erst nach Freilegung der Blase überblicken lassen,
muss meines Erachtens dieselbe sofort eröffnet werden, denn an-
genommen selbst, dass man sie in nicht entleertem Zustande mit
518
A. von Winiwarter.
dem Peritoneum parietale der vorderen Bauchwand vernähen und
extraperitoneal fixieren könnte, so ist es fraglich, ob man später,
wenn man bei geschlossener Bauchhöhle die Blase incidiert, die
Steine extrahieren, respective die Durchgängigkeit des Choledochus
wiederherstellen kann. (Vergleiche die beiden Fälle Nr. 6 und
besonders Nr. 1.) Die Operation ist um so mühsamer, je weiter
der Scheitel der Gallenblase vom freien Rande der Leber absteht,
je kleiner sie ist; ausserdem bildet das Volumen der Leber, ihre
geringe Verschiebbarkeit und die tiefe Lage unter dem RijDpen-
bogen eine weitere Reihe von erschwerenden Umständen.
Bei allen komplizierten Fällen halte ich es für rationell, die
Extraktion der Steine sofort vorzunehmen, respektive die Ursache
der Gallenretention, welcher Art sie auch sei, definitiv zu beseitigen.
Unter solchen Verhältnissen mache man die Bauch wandincision
etwas länger; dann drängt man die Leber nach aufwärts und wälzt
sie so um ihre Achse, dass ihre untere Fläche zugänglich wird ; ein
Assistent fixiert sie, während ein anderer die Därme nach unten
und nach links zurückhält. Etwa vorhandene Adhäsionen mit
denselben, mit dem Netze u. s. w., werden getrennt. Nun werden
die Gallenblase und die Gallengänge sorgfältig abgetastet, um
gleich jetzt zu konstatieren, ob irgendwo ein Stein, ein Tumor, eine
peritonitische Schwarte zu fühlen ist. Nach dieser vorläufigen
Orientierung tamponiert man rings um die Gallenblase Alles mit
Streifen von sterihsierter Gaze und schreitet sofort zur Eröffnung
der Blase an der freien Wand ihrer Kuppe. Nicht selten muss
dieselbe aber vorher von der Leber abpräj)ariert werden, damit
man genügend Platz gewinnt; ich pflege das mittels des Thermo-
cauters zu thun und sehe darauf, die Wandung der Blase mög-
lichst intakt und dick zu erhalten. Zunächst wird die Incision
nur so lang gemacht, dass man sich über Inhalt, Beschaffenheit
der Wandung u. s. w. orientieren kann. Ist Flüssigkeit in der
Gallenblase vorhanden, so lässt man sofort einen kontinuierlichen
Strom von warmer 7 pro mille Kochsalzlösung in dieselbe ein-
treten und das Operationsfeld überrieseln. Dadurch, sowie durch
che Tamponade ist das Peritoneum genügend geschützt; ich habe
niemals den geringsten Nachteil von dieser Procedur gesehen.
Erst wenn die Lösung klar abfliesst, wird das Operationsfeld aus-
getrocknet und nun folgt die Extraktion der Konkremente aus der
Blase. Man bedient sich dazu am besten irgend eines löffel-
förmigen Instrumentes (Riedel bildet ein solches ab, welches un-
gefähr der Curette Recamier’s gleicht). Diese Extraktionsmanöver
müssen mit Zartheit vorgenommen werden und ich halte es für
Zur Chirurgie der Galleuwege.
519
einen grossen, nicht zu unterschätzenden Vorteil der uns be-
schäftigenden Operation, dass man, während man das Instrument
zwisclien Blasenwand und Stein vorschiebt und letzteren durch
liebelnde Bewegungen zu delogieren trachtet, mit den Fingern der
anderen Hand von aussen die Gallenblase fixieren, das Instrument
kontrollieren und den Stein am Ausgleiten nach der Tiefe zu ver-
hindern kann. Gewöhnlich kommt man mit der Entfernung der
Steine aus der Blase selbst bald zum Ziele, wenn dieselben auch
zuweilen stückweise extrahiert, oder wenn sie weich sind, förmlich
ausgestochen, oder aber, wenn sie der Wandung fest adhärieren, von
derselben abgeschabt werden müssen. Grösser sind die Schwierig-
keiten, wenn ein Stein im I). cysticus oder nocli tiefer in den
abführenden Gallenwegen steckt; nachdem die Gallenblase geleert
und gereinigt ist, wird sie provisorisch mit einem Gazestreifen
tamponiert; dann entfernt man, soweit es notwendig ist, die Gaze-
streifen aus der Bauchhöhle, um das Terrain in der Tiefe zugäng-
lich zu machen und die Steine in den Gallengängen von aussen
erreichen zu können. Wenn irgend möglich soll die Extraktion
durch die Gallenblasenwunde geschehen, das Konkrement soll also
in dieselbe zurückgeschoben werden. Nicht selten ist das Lumen
des Choledochus und des Cysticus so weit , dass man durch
streifende Bewegungen mit den Fingern dasselbe allmählich in
den Bereich eines durch die Gallenblase eingeführten Instrumentes
(eines Löffels oder einer Klennnzange) bringen und extrahieren
kann. In andern Fällen ist der Stein so weich, dass er bei den
Extraktionsmanövern in Stücke zerbricht oder zerdrückt wird. Es
liegt daher sehr nahe, ihn absichtlich durch Kompression durch
die Wandung des Gallenganges hindurch zu verkleinern und dann
die Fragmente entweder mittels eines Instrumentes, oder durch
einen Flüssigkeitsstrahl herauszubefördern. Doch hat dieses Manöver,
die sog. Cholelithothripsie, zuweilen den Effekt, dass ein Teil des
zerquetschten Steines nach der Tiefe zu, gegen den Darm hin
entweicht und dann mit dem besten Willen nicht mehr aufgefunden
werden kann. Um Steine eventuell im I). choledochus zu fühlen,
benützt man eine mit dem Resonator armierte Steinsonde. Ueber
die Anwendbarkeit des Catheteiismus der Gallengänge habe ich
bereits früher meine Meinung ausgesprochen ; von manchen
Chirurgen (vergl. Terrier 1. c.) wird demselben allerdings mehr
Wert beigelegt: alle drei Untersuchungsniethoden, die Palpation,
die Exploration mit der Steinsonde und der Catheterismus zu-
sammengenommen, gestatten meiner Ansicht nach nicht, ein absolut
sicheres Urteil über die Durchgängigkeit des D. choledochus abzugeben.
520
A. von Winiwarter.
Die direkte Incision auf einen Stein im Choledoclius (die
sog. Choledochotomie) , oder an ii’gend einer anderen zugängiiclien
Stelle der Gallengänge ist erforderlich, wenn derselbe nicht durch
die Oeffnung der Gallenblase entfernbar ist, weil er weder ver-
schoben noch zerdrückt werden kann ; es handelt sich dabei wohl
stets um Steine von relativ beträchtlichem Volumen, welche in
einer ampullenartigen Erweiterung stecken, während diesseits und
jenseits der Gallengang verengert ist. Deshalb ist es auch nicht
sehr schwierig, die incidierte Wandung sofort zu vernähen.
Wenn die Extraktion der Gallensteine vollendet ist, so folgt
der 2. Teil der Operation, die Anlegung einer äusseren oder
einer inneren, d. h. nach dem Darme zu mündenden
Gallen blase 11 fisteh Ich gestehe, dass ich in der letzten Zeit
mehr und mehr zu der Anschauung gekommen bin, dass die
idealste Behandlung der Cholehthiasis, wenn sie einmal Verände-
rungen an den Gallenwegen hervorgerufen hat — oder besser ge-
sagt, aller durch Impermeabihtät der Gallenwege bedingter Affek-
tionen, auch solcher, die durch Cholehthiasis kompliciert sind, die
C h 0 1 e c y s t e n t e r 0 s 1 0 m i e ist. Diese Anschauung wurde vorbereitet
durch den Eindruck, den mir der traurige Ausgang des Falles Nr. 1
gemacht hatte, und mehr und mehr bestärkt, seitdem ich die
technische Seite der Ojieration, die Anastomosenbildung durch
laterale Apposition nach der Methode von Halsted am Magen-
und Darmkanal experimentell und am Kranken häufiger geübt
und mich durch den Fall Nr. 8 von ihren Vorzügen auch bei der
Cholecystenterostomie überzeugt hatte. Vorher hatte ich dem
allgemeinen Usus gemäss in der Regel die Anlegung einer äusseren
Gallenblasenfistel angestrebt, mit Ausnahme der Fälle Nr. 3 u. 5,
bei welchen die Gallenblasennaht angelegt, die Nahtlinie aber
extraperitoneal gelagert worden war.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die durch längerdauernde
Cholehthiasis , besonders wenn sie mit Icterus verbunden war,
hervorgerufenen Alterationen in den Gallenwegen und in der Leber
nicht sofort nach der Extraktion der Steine verschwinden. Der
beste Beweis dafür ist der Umstand, dass nach Extraktion der
Steine und Anlegung einer äusseren Gallenblasenfistel oft viele
Wochen, ja Monate vergehen, bevor die Galle in den Darm Über-
tritt, respective bevor der Choledoclius permeabel wird. Es hegt
dies zum Teil an der andauernden Anschwellung der Schleimhaut,
zum Teil aber wohl auch an der Kontraktion der Wandungen des
D. choledoclius infolge der aufgehobenen Funktion, ebenso wie der
Darm unterhalb eines Anus präternaturahs in einen Zustand von
Zur Chirurgie der Gallenwege.
521
dauernder Verengerung verfällt. Der Verschluss der Blase un-
mittelbar nach der Operation eines Gallensteines mit Stauungs-
icterus ist daher irrationell: das Sekret, welches nicht in den
Darm übertreten kann, wird sich in den intrahepatischen Gallen-
gängen und in der Gallenblase ansammeln und der Icterus dauert
weiter, oder was wahrscheinlicher ist, die Naht wird insufficient
werden und die Galle wird, je nachdem die vernähte Gallenblase
versenkt oder die Nahtstelle extraperitoneal gelagert war, in die
Bauchhöhle oder nach aussen durchbrechen. Die Ueberzeugung,
dass ein derartiges Ereignis möglich ist, scheint mir ein genügender
Grund zum mindesten gegen die intraperitoneale einzeitige
sog. ideale Cholecystotomie. Ich stimme mit Riedel überein,
wenn er sagt, dass eine länger dauernde Drainage der Gallen wege,
die möglichste Erleichterung des Sekretabflusses, ein Hauptvorzug
der Anlegung einer äusseren Gallenfistel sei, aber währenddem die
gesammte Galle nach aussen zu abfliesst, leidet der Patient zwar
nicht an Gallenretention, allein sein Verdauungskanal ent-
behrt die Galle und diese Entziehung ist bei dem schwer ge-
schädigten Ernährungszustände solcher Individuen nicht zu unter-
schätzen, besonders da sie, wie schon erwähnt, viele Wochen
lang andauern kann. Ich habe mich bei meinem ersten Patienten
mit Cholecystenterostomie , welcher lange Zeit hindurch eine
äussere Gallenfistel hatte, davon überzeugt : der Mann blieb schwach
und elend, solange die Galle nicht in den Darm floss , trotzdem
er grosse Mengen Nahrung zu sich nahm. Durch die Cholecysten-
terostomie wird die Drainage der Gallenwege möglich gemacht,
gerade so wie durch eine äussere Gallenfistel, und es wird gleich-
zeitig sofort nach der Operation die Galle in den Darm über-
geleitet. Dass dadurch dem Patienten auch die Beschwerden
einer lange dauernden äussern Gallenfistel erspart werden, erscheint
mir von secundärer Bedeutung; ebenso, dass der ganze Eingriff
durch eine einzige Operation beendet ist.
Das Hauptargument aber, welches mir für die Berechtigung
der Cholecystenterostomie zu sprechen scheint, ist, dass durch
diese Operation den Recidiven einer Gallensteinbildung und einer
Gallenretention entgegengetreten wird. Die Statistik der End-
resultate der Gallensteinoperationen, was die Heilung der Gallen-
steinkrankheit anbelangt, fehlt uns bis jetzt; es ist jedoch
a priori wahrscheinlich, dass bei IndiHduen , welche einmal an
Gallensteinen gelitten haben, namentlich wenn die Schleimhaut
der Gallenwege alteriert ist, die Tendenz zur Steinbildung durch
die Entfernung der Gallensteine nicht definitiv getilgt ist; ferner
A. von AMniAvarter.
*)
(lass bei Verdickung und Schrumpfung der Gallenblasenwand,
wodurch die Blase gewissermassen in ein starres Reservoir um-
gewandelt wird, die Galle sich schwerer auf natürlichem Wege
entleeren wird. Andererseits lehrt die Erfahrung, dass die Stag-
nation der Galle, wie z. B. in Divertikeln der Gallenblase (vergl.
Fall 8) zur Konkrenientbildung disponiert, ferner dass ein regel-
mässiger Abfluss der Galle das beste prophylactische Mittel ist,
um dieselbe zu verhüten — die medikamentösen und Mineral-
wasserkuren beruhen ja grösstenteils auf diesem Prinzipe. Aus
dem Gesagten kann wohl der Schluss gezogen werden, dass die
Etablierung einer permanenten Drainage der Gallenblase in den
Darm an der tiefsten Stelle derselben das sicherste Mittel ist, die
Recidive der Cholelithiasis zu verhindern. Sollte sich aber in
einem Falle von länger dauernder Gallenstauung der Choledochus
als impermeabel heraussteilen, was ganz bestimmt möglich ist,
ohne dass wir die Impermeabilität während der Operation nach-
weisen können, dann ist durch die Cholecystenterostomie der Indi-
catio causalis am besten Genüge geleistet.
Es fragt sich nun, und das ist gewiss ein sehr wichtiger
Punkt: kann die Operation der Cholecystenterostomie mit der
nötigen Sicherheit ausgeführt werden? Darauf antworte ich nach
meinen eigenen Erfahrungen Folgendes : In allen Fällen, in welchen
die Ränder der Gallenblasenincision nach der Entleerung des
Cavum mit den Rändern des Peritoneum vernäht werden können,
um eine äussere Gallenblasenfistel anzulegen, ist auch die Ver-
einigung mit dem Darme ausführbar, ohne beträchtlich grössere
Schwierigkeiten zu machen, wenn auch die Operation etwas mehr
Zeit in Anspruch nimmt. Für die Fälle aber, bei welchen die
Gallenblase aus irgend einem Grunde, z. B. weil sie vollkommen
geschrumpft ist, oder weil sie exstirpiert werden musste, nicht
mit dem Darme vereinigt werden kann, ist auch die Vernähung
derselben mit den Rändern der Bauchwunde unausführbar und es
muss ein anderes Verfahren eingeschlagen werden, von welchem
später die Rede sein soll.
Ich habe in der Publikation über meinen ersten Fall von
Cholecystenterostomie geschildert, auf welche Weise ich endlich
dazu gekommen bin, den Abfluss der Galle in den Dann herbei-
zuführen, habe jedoch ausdrücklich hervorgehoben, dass die ganze
damals vorgenommene Reihe von Operationen durch einen funda-
mentalen Missgriff im Beginne notwendig geworden waren, welcher
darin bestand, dass ich aus übergrosser Vorsicht die Fistelbildung
durch Einlegen eines Trocarts von der erweiterten Gallenblase
Zur Chirurgie der Gallemvege.
523
aus vornelimen wollte. Ich habe auch nicht einen Augenblick
daran gedaclit, den ganzen Fall als einen typischen anzusehen —
er wäre ja vielmehr geeignet gewesen, jeden Chirurgen, mich
selbst nicht ausgeschlossen, von der Inangriffnahme einer der-
artigen Operation abzuschrecken; allein ich war gerade nach den
Erfahrungen, welche ich, freilich auf Kosten des Patienten, in
diesem Falle gesammelt hatte, der festen Ueberzeugung, dass die
Cholecystenterostomie als typische Operation mit Sicherheit ausführ-
bar sei, und ich habe zum Schlüsse meiner Arbeit den Operationsplan
angegeben, nach welchem ich in einem künftigen Falle vergehen
würde. Terrier hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die kompli-
zierte Operation (oder vielmehr die Reihe von Operationen) die
ich ausführen musste, in keiner Weise dem Wesen der modernen
Cholecystenterostomie entspiicht — er sagt aber kein AVort über
das Verfahren, welches ich in meiner Arbeit vorschlug, und das
nach dem damaligen Stande der Abdominalchirurgie (im Jahre
1882) berechtigt war, nämlich die zw eizeitige extraperitoneale
Cholecystenterostomie vom Darm aus. Es fällt mir nicht ein,
eine Priorität in Anspruch nehmen zu wollen für eine Operation,
deren Idee durch v. N us s b a u m bereits formuliert war, und die ganz
gewiss (wie ich in meiner Publikation sagte) bei Gallenretention
durch Verschluss des Choledochus sich jedem Chirurgen gleichsam
mit Notwendigkeit aufdrängen musste. Die einzeitige Cholecysten-
terostomie, wie sie zuerst durch Kappe 1er ausgeführt wurde (im
Jahre 1887), bedeutet einen grossen Fortschritt in der Methode,
der nach der ausserordentlichen Entwicklung der Abdominal-
chirurgie zu dieser Zeit vollkommen gerechtfertigt war. Allein ich
halte noch jetzt dafür, dass die zweizeitige extraperitoneale Chole-
cystenterostomie ein rationelles Verfahren darstellt, welches unter
gewissen Umständen (wie z. B. in dem neuestens publizierten,
interessanten Falle von Lambotte)^) indiciert sein kann.
In den früher erwähnten Fällen, bei welchen die Gallenblase
nach aussen genäht werden könnte, ist auch die ein zeitige
Cholecystenterostomie ausführbar. Ich verfahre dabei ganz auf
dieselbe Weise, wie bei der lateralen xAnastomosenbildung zwischen
zwei mit Peritoneum überzogenen Hohlorganen überhaupt , im
Grossen und Ganzen nach der Methode von Halsted, über welche
ich auf dem Chirurgenkongresse des Jahres 1891 einige Worte
gesagt habe^). Da jedoch, wie ich nach persönlichen Mitteilungen
von Kollegen zu entnehmen glaube, das Verfahren nicht sehr
9 E. Laml)otte, Un cas de clioloeystenterostoinie. Bruxelles, 1802.
■■) Verhaudl. d. D. G. f. Chirur^de. XXI. Kohku'Css 1801.
524
A. von Winiwarter.
bekannt geworden ist, so will ich an dieser Stelle die Ausführung
der ganzen Operation kurz angeben.
Ich nehme die Beschreibung an dem Zeitpunkte auf, wo die
Extraktion der Gallensteine vollendet ist. Zunächst handelt es sich
um die Wahl einer geeigneten Darmschlinge. Zu diesem Zwecke
sucht man in der bekannten Weise das Duodenum auf und folgt
demselben nach abwärts bis zu einer Schlinge des Dünndarms,
welche, so nahe als möglich in der Fortsetzung des Duodenum
gelegen, sich ohne jede Zerrung oder Drehung mit der Gallenblase
in Kontakt bringen lässt. Es ist darauf zu sehen, dass die Ana-
stomosenbildung an der der Mesenterialinsertion gegenüberliegen-
den Wand des Darmes zu liegen komme. Ist das grosse Netz im
Wege, so wird es durchlöchert und durch ein paar feine Nähte
derart fixiert, dass es den Darm nicht komprimieren kann. Ich
glaube nicht, dass der Eintritt der Galle an einer vom Duodenum
etwas weiter abliegenden Stelle des Darmes irgend einen Nachteil
bringen kann; deshalb braucht man auch nicht in der Wahl der
Darnischlinge gar zu ängstlich zu sein; das Wichtigste ist, dass
sich dieselbe gut an die Gallenblase adaptiert. Man streift vorerst
die Darmschlinge zwischen den Fingern aus und lässt sie diesseits
und jenseits der gewählten Stelle durch zwei Baumwollendochte
leicht komprimieren, was vollkommen genügt. Nun schreitet man
zur Vereinigung der peritonealen Flächen des Darmes und der
Gallenblase und zwar so, dass die Incision der letzteren in die
Längsrichtung des Darmes zu liegen kommt. Ich verwende
zur Naht ausschliesslich Seidenfäden und gewöhnhche, gerade,
cylindrisch-konische (nicht chirurgische) Nähnadeln (nach Halsted’s
Vorgang), die mit den Fingern allein, ohne Nadelhalter, geführt
werden. Ich kann dieselben für diesen Zwmck sehr empfehlen.
Jeder Faden ist an beiden Enden mit einer Nadel armiert. Die
Kontaktfläche zwischen Gallenblase und Darm, welche durch die
Nähte umschrieben werden soll, hat ungefähr die Gestalt eines
mit seinen langen Seiten der Längenachse des Darmes parallel ge-
stellten Rechteckes , an dessen kurze Querseiten je ein gleich-
schenkeliges Dreieck stösst, so dass die ganze Figur einem Sechsecke
mit zwei parallelen gleich langen Längsseiten und vier gleich langen
kurzen Seiten gleicht, in dessen Mitte, ebenfalls parallel zur Längs-
achse, die Incision der Gallenblase zu liegen kommt. Die Nähte sind
quergestellte L e mb er t sehe Darmnähte, welche jedoch nicht die ganze
Dicke der Wandung fassen, sondern nur bis in das submucöse Gewebe
Vordringen (Halsted), so dass kein Faden frei im Innern des Darmes
oder der Gallenblase liegt. Die Anlegung der Suturen beginnt an
Zur Chirurgie der Gallenwege.
525
dem einem Pole des Sechseckes: man sticht eine Nadel in querer
Richtung auf den Darm durch das Peritoneum ein, führt sie bis
an das submucöse Gewebe durch, wobei man, da man die Nadel
niit den Fingern führt, einen ganz charakteristischen Widerstand
spürt, und sticht sie, ohne die Schleimhaut zu perforieren, in der
Entfernung von etwa 5 Millimetern wieder durch das Peritoneum
aus, — dann führt man dieselbe Nadel in ganz gleicher Weise an
dem gegenüberliegenden Punkte der Gallenblase durch und entfernt
die Nadel. Nun fasst man die Nadel, mit welcher das andere Ende
des Fadens armiert ist, sticht sie in der Entfernung von einem
Centimeter von der ersten und parallel zu ihr ebenfalls zuerst durch
den Darm, dann durch die Gallenblase, so dass der Faden genau
denselben Weg beschreibt, wie der erste, nur in einem Abstande von
einem Centimeter unter ihm. Wird jetzt auch die zweite Nadel
entfernt, so ist der Faden so appliziert, dass sein schlingenförmiges
Mittelstück in der Länge von einem Centimeter parallel zur
Längsachse des Darmes auf dem Peritoneum liegt, während seine
beiden Enden zwei parallele Lembert’sche Nähte darstellen.
Vorläufig wird der Faden nicht geknotet, sondern man fährt fort,
die eine Hälfte der sechseckigen Figur durch eine Reihe von Nähten
derselben Art zu umstechen. Vom oberen Pole angefangen kommen
weitere zwei Nähte zu liegen, entsprechend der kurzen Seite des
Sechseckes, alle quer auf die Längsachse gestellt und 1 — 1 V2 Centi-
meter voneinander entfernt, dann folgen etwa drei bis vier Nähte
entsprechend einer der parallelen langen Seiten des Sechseckes
und dann abermals zwei Nähte, einer kurzen Seite entsprechend,
und die dritte, welche den unteren Pol markiert; eine durch die
beiden Punkte gezogene imaginäre Linie würde parallel zur Längsachse
des Darmes fallen und in derselben imaginären Linie verläuft die
Incision der Gallenblase. Jetzt werden die beiden Organe, Darm
und Gallenblase, in Kontakt gebracht, die Fäden an ihren auf
derselben Seite liegenden Enden angezogen und geknüpft; die
Suturen, lege artis angelegt, halten ausserordentlich fest und die
Berührung zwischen den beiden Peritonealflächen ist eine so exakte,
dass man kaum jemals genötigt ist, nachträglich noch Zwischen-
nähte anzulegen. Die Knoten liegen alle auf einer Seite, und zwar
nach aussen von den Berührungsflächen von Darm und Gallen-
blase. Mit der geschilderten Reihe von Nähten, deren Anlegung
aber kaum so viel Zeit erfordert als ihre Beschreibung, ist die
hintere Seite der Appositionsfläche umschrieben : Darm und Gallen-
blase liegen jetzt aneinander wie ein aufgeschlagenes Buch. Bevor
man sie zusammenklappt, werden die Nähte an der vorderen Seite
526
A. von Winiwarter.
1
der Appositionsfläclie angelegt. Dieselben entsiDreclien selbst-
verständlich ebenfalls zwei kurzen Schrägseiten und einer Längsseite
des Sechseckes, die beiden Nähte am oberen und am unteren
Pole abgerechnet, welche ja unjDaar sind. Die Fäden werden in
der früher beschriebenen Weise durch Darm und Gallenblasen-
wand geführt, aber vorläufig nicht angezogen, so dass sie die
Appositionsfläche nicht verdecken, denn jetzt folgt die Eröffnung
des Darmlumens. Ich pflege zu diesem Zwecke zunächst die Darm-
wand mittels des Thermocauters vorsichtig so weit zu durch-
trennen, dass nur mehr die Schleimhaut übrig bleibt. Es geschieht
dies in der Längsrichtung des Darmes, genau in der Mittellinie
der Appositionsfläche und in der Länge von etwa zwei Centimetern.
Die durchtrennten Schichten des Darmes ziehen sich sofort zurück,
so dass die äussere Fläche der Schleimhaut in Gestalt eines läng- .
liehen Sj^altes sichtbar wird. Um nun die Anastomosenbildung j
genau zu umschreiben, lege ich eine fortlaufende Naht mit einer |
gekrümmten chirurgischen Nadel durch die ganze Dicke der i
Darmwandung, entsprechend dem hinteren Rande des länglichen
Spaltes, und dem ihm entsprechenden Rande der Gallenblasen- ^
incision an. Jetzt ist also bereits die Umrandung der künftigen
Anastomose zur Hälfte fixiert und es bedarf nur der Durchtrennung
der dünnen Schleimhautschicht des Darmes, um dessen Lumen
zu eröffnen. Ich mache die Durchtrennung ebenfalls mit dem •
Thermokauter und vollende sofort die Umstechung der Schleim-
haut des Darmes und der Gallenblasse entsprechend der vorderen
Hälfte der Umrandung, so dass die Anastomose gebildet mrd durch
die direkt miteinander vereinigten Schleimhautränder von Darm
und Gallenblase und nirgends eine wunde Fläche zu Tage liegt.
Wenn man noch mehr Sicherheit haben will dafür, dass die
Anastomose sofort klaffend bleibt, so kann man, wie ich es in
Fall 8 gethan habe, ein Stück decalcinierten Drainrohres in die
Anastomose einschieben und es mit zwei Catgutnähten an die
Darmschleimhaut befestigen. Jetzt werden erst die früher ange-
legten Nähte des vorderen Teiles der Appositionsfläche angezogen
und geknotet, was in wenigen Minuten geschehen ist. Die Ver-
unreinigung mit Darminhalt ist bei dieser ganzen Manipulation
sehr leicht zu vermeiden ; jedenfalls aber kann , bevor die letzten |
Nähte , welche den Kontakt zwischen Gallenblase und Darm j
vollenden, geknüpft werden, das ganze Operationsfeld auf das
skrupulöseste gereinigt werden.
Die Peritonealflächen von Darm und Gallenblase liegen breit
und genau aneinander; sollte aber trotzdem noch eine weitere
527
Zur Chirurgie der Gallemvege.
Sicherung erwünscht scheinen, so lege man ein paar Knopfnähte
von aussen an oder man bedecke, nach dem Beispiele Senn’s,
die Nahtlinie mit einem kleinen Netzlappen.
Die Operation ist jetzt beendet; die in die Bauchhöhle ein-
geführten Gazekompressen werden entfernt, Darm und Gallenblase
werden reponiert und die Bauchwunde in typischer Weise durch
Etagennähte geschlossen.
Das eben beschriebene Verfahren scheint viel komjolizierter
als es in Wirklichkeit ist. Für denjenigen, der überhaupt gewohnt
ist, Operationen am Darm auszuführen, wird es keine Schwierig-
keiten darbieten und es giebt andererseits eine Sicherheit, wie
meines Wissens keine andere Art der Anastomosenbildung, weil
man jede Naht genau kontrollieren kann und einem nirgends eine
Lücke oder ein Ausreissen der Fäden entgeht. Es giebt ja eigent-
lich kein schöneres und günstigeres Objekt für die Vereinigung
als das gesunde Peritoneum, und was die Gefahren der nachträg-
lichen Perforation anbelangt, so sind sie meines Erachtens durch
die exakte Nahtanlegung gerade so sicher zu vermeiden , als bei der
Anlegung einer äusseren Gallenfistel. Im Gegenteil, die Fäden
können bei der letzteren Operation, wenn die Spannung stark war
und der Patient Erbrechen hat, viel eher ausreissen und einen
Austritt der Galle gestatten als hier, wo gar keine Zerrung statt-
findet. Die grösste Gefahr bei den Anastomosenbildungen
zwischen Darm und Darm liegt in pathologischen Zuständen des
Darmes, und zwar nicht so sehr seiner Erkrankung überhaupt,
sondern in der gestörten Zirkulation desselben. Gerade damit
aber haben wir es ja bei der Cholecystenterostomie nicht zu thun.
Wie schon erwähnt, kommen hier und da Fälle vor, bei
welchen die Vereinigung der Gallenwege weder mit dem Peritoneum
parietale, noch mit dem Darme zu Stande zu bringen ist. In erster
Linie gehören hierher die Fälle von Carcinom der Gallenblase,
wenn sie überhaupt operabel sind ; dann die Fälle von beträcht-
licher Schrumpfung und Verödung der Gallenblase, mit Konkrementen
oder ohne dieselben, wobei die Gallenblase in einen fibrösen
Strang verwandelt ist, u. s, w. Die Fälle von Empyem der Gallen-
blase mit Durchbruch nach aussen, oder auch mit Perforation des
Darmes kompliziert, sind ganz anderer Natur und verlangen eine
besondere Behandlung, auf die ich hier gar nicht weiter eingehe,
denn sie dürfte wohl kaum ein Gegenstand der Diskussion sein.
Für die Fälle der ersteren Kategorie aber ist, wenn die von
Sprengel vorgenommene Choledochoenterostomie nicht praktikabel
sein sollte, nur die Tamponade der Wimdböhle angezeigt. Ich
528
A. von Winiwarter.
halte die Naht der resecierten Gallenblase, selbst bei extraperitonea-
ler Lagerung der Vereinigungslinie, wie ich sie in dem Falle 3
ausgeführt habe, für einen Fehler und würde sie heute nicht mehr
vornehmen, warum, das habe ich bereits früher erörtert. Die
Operation würde sich demnach, wie Riedel für derartige Fälle
empfiehlt, in folgender Weise gestalten: nach Eröfinung, Resektion
oder Exstirpation der Gallenblase, oder überdies eines Teiles der
abführenden Gallengänge wird der provisorisch abgebundene
Stumpf so gut als möglich dem Peritoneum parietale der vorderen
Bauchwand genähert und durch einige Nähte an demselben fixiert,
wenn auch die beiden Teile weit voneinander abstehen sollten;
hierauf trachtet man die benachbarten Organe der Bauchhöhle, das
Netz, das Mesenterium, die Därme und die Leber durch entsprechende
Lagerung und Fixierung durch Nähte so mit dem Peritoneum
parietale der vorderen Bauchwand zu verbinden, dass ein gegen
die übrigen Teile der Bauchhöhle möglichst abgeschlossener, von
Peritoneum ausgekleideter Trichter zu Stande kommt, der nach
aussen zu offen ist. Besonders eignet sich das grosse Netz
zu derartigen peritonealen Plastiken, wenn man sie so nennen darf.
Nun wird ein dicker sterilisierter Jodoformdocht durch die Bauch-
wunde bis in die Tiefe an die Stelle, wo die Gallenwege provisorisch
unterbunden sind, eingeführt ; ich pflege einen derartigen Tampon
ausserdem noch in die Tiefe durch ein paar Peritonealnähte fest-
zuhalten, damit er sich während der ersten 24 Stunden nicht
verschiebt. Der Jodoformdocht wird, nachdem er die ganze Höhle
tamponiert hat, nach aussen geleitet und die Bauchwunde bis auf
die Drainagelücke geschlossen. Die provisorische Ligatur kann
vorläufig belassen werden, sie sichert gegen unmittelbaren Ausfluss
der Galle — wenn sie nach 2 — 3 Tagen nicht ohnedies durch-
geschnitten hat, so löst man sie. Zu dieser Zeit haben sich rings
um den Jodoformdocht peritoneale Verklebungen gebildet, die ihn
vollständig von der Bauchhöhle abschliessen, und damit ist auch
der Kanal hergestellt, durch welchen die Galle nach aussen
fliessen kann. Sollte schon früher Sekretaustritt erfolgen, so unter-
hält der Jodoformdocht eine so vortreffliche kapillare Drainage,
dass man keine Retention und keinen Flüssigkeitsaustritt in die
Peritonalhöhle zu besorgen hat. Der Verband wird je nach den
Umständen gewechselt. So lange der Jodoformdocht trocken ist
und den Wandflächen fest anhaftet, lässt man ihn ruhig an Ort
und Stelle; wenn er aber von Sekret durchtränkt und gelockert
ist, so kann man ihn ganz leicht entfernen, selbst wenn er an-
genäht sein sollte: man braucht dann nur die einzelnen Fäden
529
Zur Chirurgie der (Tallenwege.
ausziiziehen. Die fernere Behandlung der äusseren Gallenfistel ist
die gewöhnliche.
Die Galle wird nach derartigen Operationen , wenn nur der
Ductus choledochus frei ist, ihren Weg allmählich in den Darm
nehmen und die äussere Gallenfistel wird sich endlich spontan
schliessen. Ist aber die Kommunikation mit dem Darm dauernd
gestört, dann helfen alle Behandlungsmethoden nicht, die Fistel
wird immer wieder aufbrechen und das ist ja schliesslich auch
füi* den Patienten ein Glück, denn sonst würde er der Gallen-
retention verfallen. Wenn es sich aber darum handelt, eine der-
artige äussere Gallenfistel, die durch Impermeabilität des D. chole-
dochus unterhalten wird, zum Verschluss zu bringen, was gewiss
keine leichte Aufgabe ist, dann bliebe nichts anderes übrig als die
iVnastomosenbildung mit dem Darme. (Vergl. den früher citierten
Fall Lanib otte’s.)
Es versteht sich wohl von selbst, dass die Operationen an
den Gallenorganen nur dann Erfolg haben können, wenn die be-
treffenden Patienten noch nicht durch die Cholämie allzusehr
heruntergekommen sind; alle anderen Folgen der Erkrankung,
die Verdauungsstörungen, die Abmagerung, das marastische Aus-
sehen sind von minderem Belange; der Ernährungszustand und
das Allgemeinbefinden können sich nach der Operation erstaunlich
rasch bessern. Wenn aber einmal schwere cholämische Alteratio-
nen vorhanden sind, dann bedingt die unbedeutendste Operation
die Gefahr der Blutung, wie sie in meinem Falle Nr. 4 auftrat.
Solche Fälle stehen eben überhaupt an der Grenze, wo man sich
fragt, soll man überhaupt noch operieren oder den Kranken sterben
lassen, und gerade diese Fälle sind sicher nicht die einfachsten,
bei welchen man durch die zweizeitige Cholecystostomie ohne
Weiteres zum Ziele kommt. Unter solchen Umständen muss die
persönliche Erfahrung des Chirurgen entscheiden ; der eine wird
operieren, der andere nicht und beide können von ihrem Stand-
punkte aus Recht haben. Bei allen anderen Fällen von Cholo-
lithiasis aber, ohne oder mit Icterus, soll die geeignete Operation
vorgenommen werden und die internen Praktiker sollen sich nicht
scheuen, ihre Patienten mit Gallensteinen dem Chirurgen zu über-
weisen : es giebt ja nichts Traurigeres für einen Arzt, als sich ein-
gestehen müssen, dass man einem quälenden Leiden machtlos
gegenübersteht.
34
Ueber Darmausschaltung
von
Dr. Fritz A. Salzer,
Professor der Chirurgie in Utrecht.
Unter lokaler Darmausschaltung verstehe ich die Ausschnei-
dung eines mehrere Centimeter langen Stückes Darmrohr aus dem
übrigen Darmkanal mit Schonung des zugehörigen Mesenterial-
ansatzes, derart, dass das ausgeschnittene Darmstück, an seinen
Enden zugenäht oder mit denselben in die ßauchwunde implan-
tiert, im wesentlichen in der natürlichen oder früheren Lage ver-
weilt. — Vereinigung der Enden des funktionierenden Darmes ist
selbstredend ein zweiter wichtiger Akt der Operation.
Wenn ich im Folgenden den Ausdruck Darmausschaltung
kurzweg gebrauche, so verstehe ich darunter immer die oben defi-
nierte lokale, vollständige Ausschaltung zum Unterschiede von den
blindsackähnlichen, unvollständigen Ausschaltungen der verschie-
denen Arten von Enteroanastomose und von distaler Implantation
eines proximal durchschnittenen Darmteiles.
Indem bei einzelnen lokalen mit Stenose oder Fistelbildung
einhergehenden Darmprozessen weder Darmresektion noch andere
erprobte Therapie anwendbar sind oder befriedigende Resultate
liefern, lag es nahe, Darmausschaltung, ein Verfahren, welches be-
sonders von Seiten der Physiologen zum Studium der Darmsekretion,
und zwar in verschiedener Art, zur Anwendung kam, chirurgisch
zu erproben und zu verwerten.
Als ich auf dem XX. Kongress der deutschen Gesellschaft
für Chirurgie Darmausschaltung auf Grund klinischer Beobach-
tungen vorschlug und den V orschlag wieder auf Grund von Tier-
b F. Salzer: Ein Vorschlag zur Modifikation der Enteroanastomose durch
völlige Ausschaltung des kranken Darmteiles. Centralblatt für Chirurgie 1891
Nr. 26. Beilage.
Ueher Darmausschaltung.
531
experimenten einigermassen , was die Methodik anlangt, genauer
zu fassen versuchte, war ich nicht in der Lage, das experimentelle
und klinische Beobachtungsmateriale ausführlich darzulegen. —
Was zunächst meine Tierexperimente betrifft, so muss ich
vorausschicken, dass ich nur die a priori am gefährlichsten und
daher unzweckmässigsten erscheinende totale Verschliessung eines
Darmstückes erprobte, da ja andere Arten der Darmausschaltung
mit Anlegung von persistierenden Oeffnungen an die Hautober-
fläche (Thiry, Vella) oder in den übrigen Darmtrakt (Senn) beim
heutigen Stand der Chirurgie zweifellos durchführbar erscheinen
mussten. - —
Das Schicksal der Tiere, bei welchen ich im Jahre 1890 Darm-
ausschaltung gemacht hatte, war, dass die Mehrzahl derselben an
akuten peritonitischen Erscheinungen, wahrscheinlich ausgehend
vom ausgeschalteten wurstähnlichen Darmstück, zu Grunde gingen.
Nur zwei Hunde waren ein und zwei Monate am Leben ge-
blieben. Bei dem einen (D), bei welchem das Coecum vollständig aus-
geschaltet und danach laterale Apposition der funktionierenden
Darmenden nach Senn’s Vorschrift ausgeführt worden war, dürfte
höchst wahrscheinlich Ptomainintoxikation, zunächst bedingt durch
Kotstauung im Ileum, Todesursache gewesen sein. In dem Blind-
sacke des lateral apponierten Ileum war nämlich ausser Faeces auch
ein Stück Leder aufgefahren, welches hier als Klappenventil wir-
kend den freien Abfluss des Darmiiihaltes durch die weite Konnnuni-
kationsöffnung zum Colon ascendens behinderte. — Bei dem an-
dern Tiere (J), welches zwei Monate p. o^d. gelebt hatte und dann
ziemlich rasch unter allgemeinen Krankheitserscheinungen zu Grunde
gegangen war, zeigte sich bei der Autopsie folgender Befund : Das
ausgeschaltete Colon ascendens-Stück, gegen die Mittellinie gezogen,
prall ausgedehnt als eine 20 cm lange, 14 cm Circumferenz auf-
weisende Wurst. — Die Darmwandschichten waren dick, die Serosa
durch Netz Verwachsungen verändert. — Die Mucosa des aufge-
schnittenen Darmstückes enthielt multiple bis linsengrosse, loch-
förmige (folliculäre) Geschwüre und einige unregelmässige, etwas
grössere , unterminierte (peptische) Geschwüre. Es fanden sich
keine Zeichen einer vorausgegangenen oder recenten diffusen Peri-
tonitis. — Von den übrigen Organen waren im Herzen deuthche
pathologische Veränderungen nachweisbar : Endocarditis bacteritica
(Coccen). Der Inhalt des ausgeschalteten Darmstückes, welches
ich wie bei allen anderen Versuchen absichtlich intra Operationen!
nicht vom Inhalt gereinigt hatte, war eine braungraue, gleich-
mässig breiige Masse.
532
Fritz A. Salzer.
Diese Erfahrungen am Versuchstiere bestärkten meine Ver-
mutung, dass vollständige Occlusion des ausgeschalteten Darni-
stückes gefahrbringend sei, zumal mir mittlerweile auch die
Voraussetzungen und Erfahrungen Hermanns^) bezüglich ringför-
miger Dünndarmausschaltimg bekannt geworden waren. N. Senn’s -)
lehrreiche Experimente der sogen, »physiological exclusion« be-
ziehen sich nicht und antworten daher auch nicht auf die Frage,
welche uns speziell hier interessiert.
Meine pessimistische Voraussage bezüglich des Schicksales
der Versuchstiere mit lokaler Ausschaltung und totaler Occlusion
wurde aber späterhin abgeändert durch die Beobachtung zweier
Tiere, welche im Februar 1891 operiert worden waren.
Beide Hunde blieben andauernd gesund und als schliesslich
der eine nach 9 und der andere nach 10 Monaten zur Konsta-
tierung des Lokalbefundes getödtet wurden, fanden sich bei ihnen
keinerlei Anzeichen, welche auf Kranksein der Tiere hindeuteten,
oder die Wahrscheinlichkeit eines endlichen ungünstigen Ausganges
nahelegten.
Bei dem einen nach 9 Monaten getöteten mittelgrossen Hunde
(F), bei welchem ein 26 cm langes Ileumstück wurstförmig aus-
geschaltet worden war, zeigte sich dieses Darmstück, obwohl es
— wie für alle Experimente erwähnt — nicht gereinigt worden
war, ad maximum kontrahiert, sodass am Querschnitt kein Lumen
existierte. Die Zottenspitzen berührten einander im Centrum, wenn
wir von Einlagerung einer minimalen Menge eines im Spiritus-
präparate weissen krümmeligen Detritus (welcher der Hauptinenge
nach aus Epithelzellen bestand) abseh en. Die Wand des Darmes
war gesund , weder makroskopisch noch mikroskopisch konnte
Atrophie oder Hypertrophie nachgewiesen wwden. — Der Kadaver
war fettreich.
Bei dem zweiten nach lOMonaten getöteten sehr grossenHunde(G)
war Coecum und mit demselben kleine Stücke des Ileum und Colon
ascendens, im Ganzen 40 cm Darmrohr, u. z. ringförmig ausgeschaltet
worden. Auch in diesem Tiere fanden sich keine Anzeichen voraus-
gegangener Peritonitis. Der ausgeschaltete Darm war jedoch aus-
gedehnt, eine prall gefüllte Geschwulst mit gleichmässig dicken
Wandungen, bei deren Eröffnung die Füllung als eine grosse Menge
') L. Hermann: Ein Versuch zur Physiologie des Darmkanales. Pflügers
Archiv für Physiologie B. 46.
N. Senn: An experimental contribution to intestinal surgery, with
special reference to the treatement of intestinal obstruction. Annals of surgery.
vol. VH.
Ueber Darmausschaltung.
533
gleichmässig grauen, glaserkittähnlichen Inhaltes zum Vorschein
kam. Die Darmwand bot makroskopisch, sowie mikroskopisch
weder auf dem Querschnitt noch von der Mucosa aus betrachtet
einen besonders bemerkenswerten Befund. — Die zwei Versuchs-
ausgänge lehren, dass lokale Darmausschaltung, mit totaler Occlusion,
ausgeführt im untern Ileum oder im Bereiche des Coecum unter
günstigen äusseren Lebensbedingungen der Tiere ohne jegliche
Krankheitserscheinung günstig verlaufen kann. Es geht daraus
vor allem hervor, dass die Darmsekretion, wie dies anders aus den
\ ersuchen Thirys und Hermanns heraus gelesen werden könnte,
bei Ausschaltung nicht eine so kontinuierliche ist, dass man ein
Platzen des Darmes zu befürchten hätte. Die Quantität der
Füllung des Darmstückes scheint mir von dem Zeitpunkt ab, zu
welchem die Darmwunden solide verheilt sind — also von der
3. — 4. Woche ab — keine grosse Gefahr in sich zu bergen. Bei
dem Tier F scheint die Resorption die Sekretion an Intensität
übertroffen zu haben ; und bei Hund G barg das ausgeschaltete
Stück — es sei mir wegen der merkwürdigen Beschaffenheit des
Inhaltes der Vergleich gestattet — noch jene Gefahr, welche auch
die Dermoidcyste in abdomine darbietet, eine Gefahr, welche mit
dem Blick auf die Indikation zum operativen Eingriff relativ sehr
klein erscheint, eine Gefahr, der wir schliesslich nicht maclitlos
gegenüber stehen.
Weiters ergiebt sich, dass der Darm oder genauer die Darm-
schleimhaut bei Occlusion, bei Vorhandensein von zweifellos Fäul-
niskeime enthaltendem Inhalt, nicht notwendigerweise erkrankt.
Die Fäulnis dürfte mitunter nicht nur nicht progressiv sein, son-
dern sogar völlig sistieren, worauf der Mangel üblen Geruches des
Darminhaltes in dem am längsten beobachteten Fall G hinweist.
Die Hauptgefahr der Occlusion schien mir ja in der langdauernden
Einwirkung der stagnierenden und sich unter Bakterien einfluss
zersetzenden Faeces auf Mucosa und das kreisende Blut zu liegen.
Dass Fäkalbrei, welcher schon zur Zeit der Operation viel Fäul-
nisprodukte oder besonders toxisch wirkende Keime enthält, der
für den Endausgang wichtigste Faktor ist, beweist mir besonders
der Verlauf bei Hund J. Es liegt nahe, anzunehmen, dass durch
*) Beim Mangel eigener Arbeitsräuine ermöglichte mir nur. das Entgegen-
kommen der Abteilungschefs der Rijksveeartsenyschool zu Utrecht, ganz be
sonders die Bereitwilligkeit des Pathologisch-Anatomen Dr. Hamburger die Aus-
führung der letzten Experimente , wofür ich den Kollegen meinen besten Dank
ausspreclie. — Die Lebensbedingungen und die Verpflegung der Versuchstiere
in diesem Institute sind vorzügliche.
534
Fritz A. Salzer.
zweckmässige medikamentöse Vorbereitung des Darmtraktes und
besonders aber Auswahl der Nahrung zur Zeit der Operation der
Verlauf beeinflusst werden kann. Bei den günstig verlaufenen
Versuchen war auf die Ernährung Sorgfalt verwendet worden.
Geht aus den Tierexperimenten hervor, dass die Darmaus-
schaltung bei einem gesunden und gut gepflegtem Tiere sogar bei
Kotfüllung des vollständig zugenähten ausgeschalteten Darmstückes
nicht absolut gefahrbringend ist, während wir andererseits wissen,
dass die Anlegung Thiry’scher oder Vella’scher Fisteln ungefährlich
ist, so ergab sich daraus die Berechtigung, im Notfälle ähnliche
Operationen am Menschen auszuführen. — Die Frage : in welchen
Fällen ? beantwortete die Klinik, oder besser : Mannigfache klinische
Beobachtungen haben den Op erations Vorschlag gezeitigt.
Ein grosser Teil meines Beobachtungsmateriales ist in der
Kasuistik der Coecumoperation der Klinik Billroth zu finden.
Ich verweise auf diesen Aufsatz, weil rückblickend auf mehrere
da beschriebene Fälle (2, 5, 10, 13, 23, 24) die Indikation zu lokaler
Darmausschaltung zu deduzieren ist.
Ausser jenen Fällen von exulceriertem Carcinom des Coecum,
von chronischen Geschwüren tuberkulöser oder anderer Natur mit
ausgedehnter Verwachsung zwischen Goecum und Bauch wand oder
Fistelbildung in der Nachbarschaft, waren es aber besonders noch
zwei ältere Beobachtungen, welche mich seinerzeit zum Suchen
nach einer anderen Behandlungsart, als dies Resectio intestini und
Enteranastomosis sind, antrieben.
Dieselben mögen das Wünschenswerte einer Abhilfe bei ge-
wissen vereinzelten Fällen illustrieren. Die eine Beobachtung
bezieht sich auf einen 50jährigen Mann, welcher unter Verdau-
ungsbeschwerden an einer Geschwulst der Milzgegend erkrankt
war. — Nach einiger Zeit zeigte es sich, dass es sich um einen
Kotabscess im linken Hypochondrium handle. — Als am Tage der
Spitalsaufnahme bei dem sehr heruntergekommenen Kranken In-
cision der Bauchwand gemacht wurde, gelangte man in der Gegend
der linken Flexura colli in ein grosses, Kot, Eiter und gangränöses
Gewebe enthaltendes Cavum. Durch die resultierende Fistel ent-
leerten sich zuweilen reichliche Mengen von Darminhalt. — Nach
einiger Zeit wurde die kranke Region durch Rippenresektion noch
weiter offen gelegt und da konnte man sehen, dass der ganze
Wundraum nur durch gangränös-eitrigen Zerfall einer carcinoma-
tösen Neubildung zu stände gekommen war, in welche die Darm-
0 F. Salzer : Beiträge zur Pathologie und chirurgischen Therapie chronischer
Coecumerkrankungen. — v. Langenheck’s Archiv Bd. 43.
Ueber Dannau sschaltung.
wand des Colon descendens überging. Der Leidende war während
der vielen Monate bis zum exitus letalis in sehr bedauernswerter
Lage und zugleich eine grosse Last für die pflegenden Angehörigen.
— Dies ist ein Fall, welcher mir Laparotomie und Ausschaltung
der pathologisch veränderten Colonpartie durch quere proximale
und distale Durchschneidung des Darmstückes mit Zunähung der
Enden — hier wegen der grossen bestehenden Fistel ohne An-
legung einer neuen Fistel — indiziert erscheinen lässt.
Ein anderer hierher gehöriger Fall bot das Bild einer alten
Schussverletzung : Bauchschuss in der rechten Inguinalgegend, Darm-
fistel, sekundäre Osteomyelitis chronica ossis ilei dextri (wahrschein-
lich tuberkulöser Natur nach Infektion vom Darmtrakt aus), Conge-
stionsabscess des rechten Femur. Die Ausschneidung des Projektiles
nach Spaltung des Abscesses, die ausgedehnten Hautplastiken auf
die Darmfistel, der Versuch der Freilegung des pathologisch ver-
änderten Intestinum inmitten des Schwielengewebes — alles war
erfolglos. Der Kranke musste nach Monaten aus der Spitalspflege
entlassen werden, um ungeheilt nach Hause zu gehen.
Wer Kranke mit Darmfisteln lange Zeit unter den Augen
hatte, weiss, wie sehr solche Individuen manchmal herunterkom-
men, meist durch Komplikation der Fisteleiterung und des Ver-
lustes von Darmsaft mit katarrhalischen Prozessen im Innern des
Darmes. — Die Beobachtungen von komplizierten Darmfisteln und
zugleich ausgedehnten intra- abdominellen Abscessen nach Incar-
ceration, beispielsweise einer interstitiellen Leistenhernie, von Darm-
fisteln bei ausgedehnter Serosatuberkulose jugendlicher Individuen,
Beobachtungen ähnlicher desparater Fälle, erhärten mir weiters
das Bestehen der Anzeige zur lokalen Dannausschaltung. Ich will
aber nicht durch breite Darlegung solcher Krankheitsbilder, bei
welchen guter Rat und LIilfe teuer sind, die Fachkollegen ermüden,
es genüge, einige Erinnerungsbilder wachzurufen, um die Aufmerk-
samkeit auf Mängel unseres Könnens zu lenken. —
Zum Glück versagt chirurgische Hilfe immer seltener ; darum
wird sich auch die Indikation für Darmausschaltung beim Menschen,
freihch relativ sehr selten, ergeben. — Wir haben für die grosse
Mehrzahl lokaler, sowohl akuter wie chronischer Darmprozesse,
soweit sie überhaupt der Hand zugänglich sind, in der Resectio
intestini und in der Enterostomie längst erprobte Verfahren,
während gewisse durch von Hacker dargelegte Kom-
*) V. von Hacker: Heber die Bedeutung der Auastomoseubilduug am
Darm. Wiener klinische Wochenschrift 1888, Xr. 17.
V. von Hacker; Zur Operation der Darmanastomose. Wiener klinische
Wochenschrift 1892, Nr. 1.
536
Fritz A. Salzer.
plikationen die Enteroanastomose als zweckmässige, sichere Me-
thode angezeigt erscheinen lassen; eine Methode, welche überdies
die Anlegung des Anus artificialis wahrscheinlich vielfach wird
vermeiden lassen. Für lokale Darmausschaltung scheinen mir als
indizierende Krankheitsprozesse übrig zu bleiben einzelne Fälle von :
komplizierten Kot-Eiterfisteln nach Schussverletzung,
,, ,, ,, nach Incarceration,
,, ,, „ bei Typhlitis u. Perityphlitis chronica,
bedingt durch Fremdkörperulcera-
tion oder Kotgeschwüre,
„ „ ,, bei Coecumtuberkulose,
,, ,, ,, nach Krankheitsprozessen anderer
Darmteile, welche den erwähnten
Coecumerkrankungen analog sind,
Darmfistel nach Durchbruch inoperabler Geschwülste,
,, nach Arrosion des Darmes infolge eines tiefen Eiterungs-
prozesses im Bauchraume,
Unheilbarer Kommunikation zwischen Blase und Darm (beispiels-
weise bei Carcinoma vesicae, wenn Kot- und Gasansamm-
lung in der Blase),
Stenosis intestini ohne Fistel, wenn die Ausdehnung des ursäch-
lichen Lokalprozesses die Exstirpation des Darmteiles
unmöglich oder allzu gefährlich erscheinen lässt, wenn
es aber andererseits leicht möglich ist, gesunde Darm-
enden nach Ausschaltung zirkulär zu vernähen und so
die Anlegung eines Anus artificialis zu vermeiden,
Tumor malignus intestini auch wenn keine Stenosen-Erscheinungen
bestehen, im Falle als derselbe in einem nicht cachec-
tischen Individuum inoperabel ist.
Lokalen Darmprozessen chronischer Natur, ohne Fistelbildung und
ohne Stenose, welche zwar inoperabel, jedoch einer
medikamentösen Lokalbehandlung zugänglich erscheinen
(Actinomycose).
Dass ich bei stenosis intestini und bei tumor malignus die
Darmausschaltung auch gegenüber der seitlichen Enteroanastomose
erwähnte, hat den theoretischen Grund, dass bei Ausschaltung die
weitere schädliche Einwirkung nachrückender Faeces auf den
stenosierenden Geschwürsprozess oder die maligne Bildung ver-
mieden würde und überdies die Möglichkeit lokaler Koprostase,
welche beispielsweise im Coecum auch sonst den Menschen krank
macht, wegfällt. Wenn von einer Seite auf das Ausbleiben von
Folgeerkrankungen im Bereiche der einfachen Anastomosen-Bildung
üel)er Darniaussclialtung.
537
zwischen Magen und Jejunum hingewiesen wurde, so kann
ich das nicht als beweisend für die Ungefährlichkeit von Kot-
stagnation im Colon ansehen. — Wenn wir auch von der Ungleich-
heit der mechanischen Verhältnisse ganz absehen wollen, so ist
doch nicht zu vergessen, dass der Inhalt und die j)hysiologischen
Eigenschaften der unteren Darmpartien in Vergleich zum Inhalt
und der Funktion des Duodenum soweit andere sind, dass die
Analogie der Technik zwischen Gastroenterostomie und Enteroana-
stomose noch nicht die therapeutische Gleichwertigkeit dieser beiden
Operationen beweist. — Wie schwerwiegend der Einfluss des Dick-
darminhaltes auf den Verlauf, beispielsweise der Carcinome, ge-
schätzt wird, ergab sich bei der Diskussion über Methodik der
Colotomie im Anschluss an den Vortrag, welchen König auf dem
Chirurgenkongresse des Jahres 1888 hielt. Dass übrigens bei Ste-
nosen, welche nicht mit Geschwürsprozessen der Mucosa kombiniert
sind , zumal in sehr heruntergekommenen Individuen , welchen
schon eine längere Operationsdauer gefährlich werden kann, En-
teroanastomose als das einfachere Verfahren den Vorzug verdient,
steht ausser Frage; besonders da- diese Operation einigemal sogar
bei ulcerösen Prozessen guten Dauererfolg hatte. Ich glaube daher,
dass die Stellung einer bestimmten Indikation zur lokalen Aus-
schaltung gegenüber der der Enteroanastomose bei den zuletzt
erwähnten »Stenosen ohne Koteiterfistel« jedenfalls schwierig sein
wird. Es will mich überhaupt dünken, dass ein weitgehendes
Schematisieren der Indikation zu operativer Methodik bei kompli-
zierten seltenen Krankheitsprozessen weniger direkten praktischen
Wert hat, als vielmehr durch Wachrufen einer Diskussion zur
Abklärung des Urteils über die Therapie solcher Prozesse bei-
trägt.
Als einen, wie mir scheint, nicht zu verkennenden ^’^orteil
der Darmausschaltung, gegenüber der Enteroanastomose und
»physiological exclusion«, will ich aber hervorheben, dass erstere
Operation allein die Anwendung medikamentöser und mechanischer
Lokaltherapie in dem kranken Darmstück während des weiteren
Verlaufes des pathologischen Prozesses ermöghcht.
Den einfachen anus praeternaturalis habe ich als Indikation
zur Ausschaltung nicht erwähnt, weil sich zur Heilung auch schwie-
riger derartiger Fälle die verschiedenen Resektionsverfahren even-
tuell Trendelenburgs Methode vorzüglich eignen. Wäre der Anus
präternaturalis durch ausgedehnte schwielige Verwachsungen, Ste-
nosen und Abscesse kompliziert, so wmrden selbstredend die letz-
tem Erkrankungen Darmausschaltung indizieren.
538
Fritz A. Salzer.
Als ein einfaches Verfahren bezeichnete ich Enteroanastoinose
gegenüber der Darinausschaltimg, nicht nur wegen der einfacheren
Nahtlinien und wegen des Hinwegfallens der Verschlussnaht der
Darmenden, sondern besonders deswegen, weil ich bei einem Falle,
bei welchem nicht schon von vornherein eine genügend weite
Darmfistel besteht, an meinem ursprünglichen Vorschlag der
Anlegung einer distalen Darmfistel festhalten möchte, um für
die Lokalbehandlung des Darminnern Zugang zu haben. Darm-
ausschaltung mit totaler Occlusion wird sich eben nur bei ander-
weitiger Kommunikationsöffnung zwischen Darm und der Haut-
oberfläche oder der Blase oder einer Abscesshöhle eignen. — Im
andern Falle bei einfachen stenosierenden oder tumorartigen Er-
krankungen wird eine vollständige Occlusion trotz einiger günstig
verlaufener Tierexperimente immerhin gewagt erscheinen müssen.
Mit dem Rückblicke auf die verschiedensten Tier-Experimente
kann schliesslich der Frage nach Grösse und Art der anzulegen-
den Darmöffnung keine besonders grosse Bedeutung beigemessen
werden. —
Was die Anwendung des Vorschlages der Darmausschaltung
am Krankenbette anlangt, so hatte ich bisher noch keine Gelegen-
heit, eigene Erfahrung zu sammeln.
Dozent Dr. J. Hochenegg*) kam jedoch bald in die Lage,
meinen Vorschlag benützen zu können. Er führte bei einem
Kranken der Klinik Albert, welcher Erscheinungen chronischer
Perityphlitis darbot und bei welchem Carcinom vermutet wurde,
lokale Darmausschaltung aus.
Auch Dr. Rudolf Frank fand einige Monate später Ge-
legenheit, eine derartige Operation auszuführen u. zw. bei einem
Fall chronischer Entzündung in weitem Umkreise des Ileum und
Coecum mit multiplen Stenosen des Darmes. Nach langwieriger,
schwierigster Präparation musste sich Frank schliesslich zur Aus-
schaltung von 1 m Darm entschliessen.
Indikation in beiden Fällen war demnach: chronische Er-
krankung des Coecum; eine Indikation, welche, wie ich vermute
b J. Hochenegg: Ein Beitrag zur Coecalchirurgie und zur Ileocolostouiie.
Wiener klinisclie Wochenschrift 1891, Nr. 53.
R. Frank : Einige Darmoperationen mit Bemerkungen über die Darm-
naht. Wiener klinische Woclienschrift 1892, Nr. 27.
Ueber Darmausschaltung.
539
und wiederholt hervorhob, wohl die vornehmste Anzeige für Darm-
ausschaltung darstellen wird.
Was die Technik der Operation betrifft, so haben Hochenegg
und Frank, wahrscheinhch veranlasst durch den ersten ungün-
stigen Bericht über meine Tierexperimente, in noch vorsichtigerer
Weise, als ich es bereits angeraten hatte, statt eines beide Enden
des ausgeschalteten Darmstückes offen in der Bauchwunde einge-
näht; mit gutem Erfolg, — so dass ich die Berechtigung des Vor-
schlages der Darmausschaltung für bewiesen halte.
Welche Modifikation der Operation die zweckmässigste sein
wird, lässt sich wohl vorläufig nicht entscheiden. Von den vier
Möglichkeiten der Technik vollständiger lokaler Darmausschaltung:
1. totale Occlussion,
2. Anlegung einer distalen Fistel,
3. Anlegung einer proximalen Fistel,
4. Anlegung zweier, einer distalen und proximalen Fistel,
hatte ich mich deshalb für die zw^eite ausgesprochen, weil mir die
erste zu gefahrvoll, die dritte als methodisches Vorgehen zu un-
logisch und die vierte als eine zumeist unnötige Komplikation er-
schien.
In dem von R. Frank operierten Falle hat sich zum min-
desten nicht die Notwendigkeit des Offenliegens der proximalen
Darmöffnung herausgestellt. So dass ich auch jetzt glaube, dass
für alle Fälle, in denen nicht geradezu Jauchung im Darminnern
besteht, und so ein sehr weites oder doppeltes Offenlegen indiciert,
die Anlegung einer Fistel zum Zwecke lokaler Behandlung ge-
nügen wird. Denkt man gar an spätere Exstirpation des ausge-
schalteten Darmes, wie dies bei temporärer Inoperabilität wegen
des schlechten Allgemeinzustandes des Patienten oder wegen lokaler
Entzündung immerhin in Frage kommen kann, so würde eine
solche Nachoperation durch vorangegangenes Versenken eines
Darmendes selbstverständlich sogar vereinfacht werden.
Den Ausdruck »Fistel« habe ich nach Analogie der » Blasen -
fi.stel« für eine behebig grosse Oeffnung des Darmsackes angewen-
det; absichtlich nicht »Enterostomie« oder »Anus artificialis«, weil
die Einnähung der ganzen Circumferenz des Darmrohres meist
entbehrlich sein wird, indem eine etwa fingerdicke Oeffnung am
distalen Ende als — sit venia verbo — Sicherheitsventil, oder zur
Vornahme von Ausspülungen genügen düi’fte.
Was das Anlegen einer proximalen Fistel betrifft, so scheint
mir dies nur in dem Falle indiciert, wenn nämlich bei Ausschal-
tung eines langen Darmstückes die Verhältnisse es wollen, dass
540
Fntz A. Salzer.
der einer Lokalbehandlung bedürftige Darmabschnitt dem proxi-
malen Querschnitte ungleich näher ist als dem distalen. Bei Dünn-
darm-Ausschaltung dürfte es übrigens mitunter schwer halten, das
proximale oder distale Ende zu unterscheiden, so dass ein beliebiges
Verfahren ab und zu gerechtfertigt erscheinen mag. Man wird
nur nicht prinzipiell, bei freier Wahl, die proximale der distalen
Oeffnung vorziehen.
Was die totale Occlusion anlangt, so halte ich dieselbe wie
bereits gesagt, beim Bestehen sehr weiter Kotfisteln zweifellos für
gestattet. Bei engen Fisteln und bei völliger Abwesenheit solcher
ist es jedoch zum mindesten gewagt zu nennen. Nur bei ganz
zwingenden Verhältnissen, am ehesten noch am Dünndarm,
— denken wir an ein in ein retroperitoneal entspringendes Lympho-
sarcom eingebackenes leeres Ileumstück — mag ein solches Wag-
stück zu entschuldigen sein. Und auch dann wird es wünschens-
wert sein, eines der Darmenden an der Bauch wunde zu fixieren
(oder eventuell die Bauch wunde mit Jodoformgaze zu tamponieren),
um bei beunruhigenden Symptomen öffnen zu können.
Eine Regel für die Länge des auszuschaltenden Darmstückes
auszusprechen, scheint mir völlig unthunlich. Wir können unter
Umständen gezwungen sein, einen ganz bedeutenden Bruchteil des
Darmrohres ausser F unktion zu setzen, und wir wissen aus Mitteilungen
über Darm-Resektionen und Enteroanastomosen beim Menschen
und aus den sehr bemerkenswerten Versuchen über physiological
exclusion von N. Senn^), dass in dieser Richtung sehr viel ver-
tragen werden kann. Selbstredend wird aber zunehmende Länge
des ausgeschalteten Stückes eine zunehmende Gefahr bedeuten,
so dass uns stets die Pflicht obliegt, möglichst wenig zu resecieren
d. h. nur gerade soviel, dass die Ausschaltung des kranken Teiles
des Darmes eine vollständige sei, und dennoch so \iel, dass bei
Notwendigkeit der Anlegung einer Fistel das distale Ende des
Ausgeschalteten ohne Spannung in die Bauchwunde eingenäht
werden kann.
Obgleich ich so scheinbar der Ansicht zuneige, dass das Aty-
pische der indicierenden Erkrankungen dem individualisierenden
Arzte jede Methodik der Operationstechnik über den Haufen zu
werfen droht, so glaube ich doch berechtigt zu sein, ganz allge-
mein als Methodik der lokalen Darmausschaltung: distale Fistel-
bildung — und bedingungsweise totale Occlusion — zu empfehlen ;
Vorschläge, die in dem Bestreben wurzeln, den Sonderzustand
b 1. c.
l T eher Dannausschaltung.
541
solcher Operierter möglichst wenig gefahrvoll , unnatürlich und
lästig zu gestalten, und welche zugleich in der Mehrzahl der Fälle
unschwer durchführbar sein werden.
Indem ich im Vorliegenden das Thema allein vom chirur-
gischen Standpunkte aus besprechen wollte, behalte ich mh vor,
auf die Historie der physiologischen Experimente und die Einzeln-
heiten meiner Untersuchungen an anderem Orte einzugehen.
[Nachtrag während des Druckes] : Dank der freundlichen Mit-
teilung des Kollegen Dr. A. Freiherrn von Eiseisberg kann ich
die kleine Kasuistik der Darmausschaltung durch die Angabe er-
gänzen, dass E. an der Klinik Billroth zu Anfang September d. J.
einen Fall von Kotfistel des Coecum operierte. Es handelte sich
um ein graciles, äusserst heruntergekommenes, 15 jähriges Mädchen,
welches nach einer vor einem halben Jahre überstandenen schweren
Perityphlitis an Koteiterfisteln litt. — Die Verwachsungen im Bauch-
raum waren ausgedehnt und innig. Die Darmausschaltung wurde
hier in der Weise ausgeführt, dass beide Darm enden voll-
ständig zugenäht wurden, — deshalb weil die bestehende
Kotfistel sehr weit war. Der Verlauf ist ein vorzüglicher.
Das neue Billroth’sche Verfahren zur Be-
handlung intraperitonealer Echinococcen
von
Dr. F erdiuaiid Scliüssler,
ehemaligem Assistenten der Klinik Billroth.
Die Echinococcenchirurgie liat bereits eine interessante Ge-
schichte hinter sich; vielfältig waren die Versuche der Chirurgen,
deren Scharfsinn und Kühnheit dieser Parasit seit langem heraus-
gefordert hat. Die Echinococcenlitteratur ist heutzutage gewaltig
angewachsen ; doch seine Therapie ist noch keineswegs abgeschlossen.
Bezeichnend ist schon der Umstand, dass sich seit einer langen
Reihe von Jahren die zwei gegenwärtig herrschenden Methoden,
nämlich die einzeitige und die zweizeitige Schnittmethode, unver-
mittelt gegenüberstehen, ohne dass eine der andern den Vorrang
abgerungen hätte. Nach dem heutigen Stande der Frage hängt es
nicht von der IndiUdualität des Falles, sondern von der des Ope-
rateurs ab, welches Verfahren zur Anwendung gelangt.
Der nächstliegende Gedanke wäre, auf dem Wege der Stati-
stik eine Entscheidung herbeizuführen. Unter den mir zugäng-
lichen 168 Incisionen waren 116 einzeitig, 52 zweizeitig ausgeführt.
Von den 116 einzeitig operierten Fällen waren 99 geheilt, 17 gestorben,
„ „ 52 zweizeitig „ „ „ 43 „ 9
Diese Bilanz spricht also etwas mehr zu Gunsten der einzeitigen
Methode.
Nachdem aber eine Statistik, die nur auf dem Materiale der
Kliniken und grösseren Spitäler fusste, an denen der einzelne
Chirurg Gelegenheit hatte, eine grössere Reihe von Fällen operativ
zu behandeln, ungleich höheren Wert haben musste, stellte ich
weiters nur die klinischen Fälle zusammen und erhielt nun fol-
gendes Resultat:
Pas neue Billroth’sclie Verfahren z. Behandlung intrai)eritonealerEchinococcen. 543
110 Incisioneii (76 einzeitig, 34 zweizeitig).
Von den 76 einzeitigen 65 geheilt, 11 gestorben,
„ „ 34 zweizeitigen 31 ,, 3 „
Auf die einzelnen Kliniken verteilen sich die Fälle folgendermassen :
tteheilt : Gestorben :
Albert . . .
5
Fälle
zweizeitig .
. 5
—
Billroth . . .
12
11 einzeitig
. 8
3
1 zweizeitig
. 1
—
Helferich . .
7
n
einzeitig .
. 7
—
König
13
)
11 einzeitig
. 8
3
2 zweizeitig
. 2
—
Küster . . .
14
3 7
8 einzeitig
. 6
2
6 zweizeitig
. 4
2
Landau . . .
5
77
einzeitig .
. 5
—
Lawson Tait .
13
77
einzeitig .
. 13
—
Langenbuch .
3
7
zweizeitig .
. 3
—
Segond . . .
6
77
einzeitig .
. 5
1
Trendelenburg
5
77
einzeitig .
. 5
—
Volkmann.
15
73
zweizeitig .
. 14
1
Bei diesem Resultat
gewinnt wieder die
zweizeitige
Incision
einen Vorsprung. Nun sind aber diese nackten Zahlen für unsern
Zweck sehr wenig massgebend ; bei den letal verlaufenden Fällen
ist ja zum grösseren Teile die Todesursache nicht dem Operations-
akte beizumessen, sondern der Erschöpfung durch anderweitige,
multipel auftretende Echinococcen oder durch k'olgekrankheiten
nach langwieriger, profuser Sekretion aus dem eingenähten Sack
oder endlich durch intercurrente Krankheiten; nur zum geringen
Teile erfolgte der ungünstige Ausgang durch septische Peritonitis
oder durch Collaps, also im direkten Anschluss an die OjDeration ;
nicht immer ist dies übrigens aus den betreffenden Kranken-
geschichten genug klar ersichtlich. Von diesem Gesichtspunkte
aus betrachtet, neigt die Wagschale der Statistik wieder etwas
zu Gunsten des zweizeitigen V erfahrens , doch ist der Ausschlag
nicht gross genug, um Entscheidendes daraus ableiten zu können.
Wir wären demnach wieder auf theoretische Erwägungen an-
gewiesen. Eine Gefahr aus dem Operationsakte kann durch zwei
Momente erwachsen:
1) durch Uebertritt von Cysteninhalt in die freie Bauchhöhle,
sei derselbe nun bereits septisch oder auch nicht, im letz-
teren Falle käme dann nur der Austritt von Echinococcus-
keimen in Betracht;
2) durch die Schwere des Eingriffes, also längere Dauer der
544
Ferdinand SchüBsler.
Operation (Narkose), eventuell septische Infektion durch
Fehler gegen die Aseptik.
Das erste Moment wird gewöhnlich von den Anhängern des
zweizeitigen Verfahrens sehr in den Vordergrund gestellt, doch
kommt man bei genauer Durchsicht der Kasuistik zur Ueberzeu-
gung, dass sich auch bei der zweizeitigen Methode die Adhäsionen
manchmal nicht so sicher bilden, dass hie und da Netz und Darm
vorfällt, ja, dass es auch passieren kann, dass gar nicht die ge-
wünschte Stelle in der Bauchdeckenwunde verklebt (siehe Fall
Grossich*), der letal ausging). Es ist richtig, dass für die ein-
zeitige Methode eine bessere Assistenz notwendig ist, aber das
Einfliessen von Cysteninhalt kann vermieden werden , am besten
in der Weise, dass die vorliegende Cystenwand zunächst punktiert
wird, worauf man den Sack möglichst entleert, dann einstweilen
provisorisch verschliesst und hervorzieht und hierauf erst die Punk-
tionsöffnung ausgiebig durch Incision erweitert und nun den Endakt
anschliesst. Zwischen den Rändern der Bauchdeckenwunde und
der Cystenwand sind ringsum Gazestreifen gelegt, welche etwa
doch aussickernde Flüssigkeit aufnehmen.
Was das zweite Moment anbetrifft, so ist zuzugestehen, dass
beim einzeitigen Verfahren der OjDerationsakt ein längerer und
daher auch eingreifender ist ; ferner ist dadurch eine grössere Mög-
lichkeit für eine septische Infektion während der Operation ge-
geben. Nun soll aber diese Operation eben nur unter Verhält-
nissen gemacht werden, wo man der Asepsis sicher ist, und weiter
bleibt auch die einzeitige Incision noch immer ein relativ geringer
Eingriff, der nur bei sehr heruntergekommenen Individuen ins
Gewicht fallen würde, bei denen aber ein längeres Zuwarten, wie
es die zweizeitige Methode erfordert, wohl auch gewagt ist. Uebri-
gens kann dieses Zuwarten auch bei kräftigen Patienten gefährlich
werden, wenn der Cysteninhalt bereits in eitriger oder jauchiger
Zersetzung begriffen ist.
Das Schwergewicht der Frage lege ich aber auf einen an-
deren Punkt, der auch auf unserer Klinik der Beweggrund war,
dass dem einzeitigen Verfahren der Vorzug gegeben wurde: dass
es uns nämlich in den Stand setzt, viel klarer zu handeln. Wir
vermögen die Verhältnisse in der Bauchhöhle viel besser zu über-
sehen, besonders nach Entleerung der Cyste, und können danach
unser weiteres Handeln einrichten. Aus diesem Grunde ist auch
jene Modifikation des einzeitigen Verfahrens, bei welchem die
*) Fester Presse, 1888, Nr. 28.
Das neue Billroth’sche Verfahren /.Behandlung intraperitonealer Echinococcen. 545
Sackwand vor der Eröffnung durch Nähte an die Bauchdecken-
wunde fixiert wird (Sänger), nicht zu empfehlen, da wir uns eben
dadurch der Vorteile der einzeitigen Incision gegenüber der zwei-
zeitigen begeben.
Infolge der grösseren Klarheit und Uebersichtlichkeit des
Handelns war eine weitere Ausbildung der Echinococcenchirurgie
durch die einzeitige Methode viel eher zu erhoffen.
So grosse Fortschritte nämlich die beiden genannten Methoden
auch den früheren gegenüber bedeuten, so leistet doch keine von
ihnen Vollkommenes ; beiden gemeinsam haften zwei grosse Nach-
teile an: die lange Heilungsdauer und das Auftreten von Bauch-
hernien in der Narbe.
In einzelnen Fällen ist die eitrige (resp. gallige) Sekretion
aus der Sackhöhle so bedeutend, dass sie bei den ohnehin herunter-
gekommenen Individuen zu schweren Folgekrankheiten führt, die
hie und da auch das letale Ende herbeiführen. In den günstig
verlaufenden Fällen bleibt eine Fistel zurück, deren vollständige
Ausheilung Monate, manchmal auch ein Jahr und darüber in
Anspruch nimmt. Fälle, bei denen die Heilung in einem Monate
vollständig abgeschlossen ist, gehören zu den Ausnahmen.
Der zweite Uebelstand ist das Entstehen einer mitunter an-
sehnlichen Bauchhernie an der Stelle der Narbe, mit welcher der
Sack in die Bauchdecken eingehüllt ist. Wenn man Gelegenheit
hat, Fälle mit gelungener Echinococcenoperation nach Jahren
zu untersuchen, ist dieser Befund ein fast regelmässiger.
Schon seit längerer Zeit wurden Versuche gemacht, diesen
Nachteilen, insbesondere ersteren, zu begegnen: zunächst durch
Resektion des Sackes, indem man so viel von der Sackwand weg-
schnitt, dass man noch ohne Zerrung den Rest des Sackes mit
den Rändern der Bauchdeckenwunde vereinigen konnte. Radikal
wurden nur jene seltenen Fälle behandelt, bei denen eine Enu-
cleation möglich war, also bei Echinococcen, welche sich im Netz,
Mesenterium oder in der freien Bauchhöhle entwickelt hatten.
Nur selten sind Leberechinococcen, wenn sie von der unteren
Fläche des Organs ausgehen, so gestielt, dass die Exstirpation des
Sackes ohne Verletzung des Leberparenchyms ausführbar ist. In
neuerer Zeit sind zwar Fälle veröffentlicht, bei denen die Cysten-
säcke mit einem grösseren Anteile des betreffenden Leberlappens
entfernt wurden (Loreta, Langenbuch), doch sind diese Eingriffe
nicht als das Zukunftsideal der Echinococcenoperation zu be-
trachten.
Prof. Billroth behandelte nun die letzten Fälle an der
35
546
¥ evdinand Schüssler.
Klinik mit einem neuen Verfahren, das nicht eingreifender ist, als
die Incisionsmethode mit Herausnähen des Sackes und nach den
bisherigen Erfolgen auch nicht mehr Gefahr zu bieten scheint.
Er goss nämlich den incidierten Sack nach sorgfältiger
Reinigung desselben mit Jodoformemulsion (1 : 10 Gl}^-
cerin) aus, verschloss ihn hierauf durch fortlaufende
Naht und versenkte ihn in die Bauchhöhle, worauf die-
selbe durch die typische Etagennaht abgeschlossen wurde.
Die folgenden fünf Krankengeschichten werden das Verfahren
am besten illustrieren:
1. Irma B., 9 Jahre alt, aus ftt. Georgen in Ungarn (vom 14. 1. I)is 4. ‘2. 90.
in klinischer Behandlung). —
Echinococcus im linken Leherlappen. — Einzeitige Incision, Eingiessen
von Jodoformglycerin nach der Entleerung der Blase und Ver-
nähen des Sackes. — Leichte Fieberhewegungen in den ersten Tagen,
dann glatter Verlauf.
Vor einigen Tagen bemerkte die Mutter zufällig eine Anschwellung am
linken Ripijenbogen. Die Mutter erinnert sich noch ferner, dass das Kind seit
ca. 2 Jahren manchmal über Seitenstechen klagte.
Stat. präs.; Dem Alter entsprechend entwickeltes Mädchen. Unter dem
linken Rippenbogen wölbt sich eine mit ihrem Längsdurchmesser parallel zur
Köi’perachse stehende Geschwulst vor. Dieselbe überschreitet etwas die IMittel-
linie nach rechts, reicht nach abwärts bis 3 Querfinger oberhalb der Nabelhöhe
und baucht den Rij)penbogen selbst stark aus. Bei stai’ker Inspiration steigt die
Geschwulst bis zur Nabellinie herab, bei der Exspiration schlüpft der Tumor unter
den Rippenbogen. Halbmondförmiger Raum gedämpft.
16. 1. 0 Iteration; Schnitt längs des äusseren Randes des linken Rectus
abdominis 8 cm lang vom Rippenbogen nach abwärts. In die Wunde stellt sich
die vordere Fläche des linken Leberlapi:>ens ein, der unten noch von normalem
Aussehen ist, aber ca. 3 Querfinger oberhalb des Randes Aveissglänzend erscheint.
Nun wird in den unteren Wundwinkel Jodoformgaze eingelegt und mit einem
dicken Troicart punktiert. Es strömt Av^asserklare Flüssigkeit aus, welche zum
Teil auch neben der Jodoformgaze in die Bauchhöhle rinnt. Die Ränder der
Einstichwunde wurden mit Llakenschiebern gefasst, der Sack an diesen etwas
vorgezogen und weiter incidiert. Einkämmeriger Echinococcus ohne Tochter-
blasen, Eingiessen von ungefähr einem Esslöffel voll Jodoformglycerinemulsion
(1 : 10). Darauf wird der Sack sorgfältig mittels Seidenknopfnähten geschlossen.
Etagennaht der Bauchwunde.
In den ersten Tagen Puls über 140 und leichte Temperatursteigerungen
(Maxim. 38,4). Vom 21. 1. ab normale Temperaturen, auch sonst glatter Verlauf.
Pat. stellt sich im Januar 1892 Avieder Amr. Man fühlt nur undeutlich
einen scliAvachen Strang in der Gegend der früheren Cyste.
2. Adolf D., 21 Jahre alt, aus CzernoAvitz in der BukoAvina (Amm 3. 7. bis
31. 7. 90. in Spitalsbehandlung). —
Milzechinococcus (Acephalocyste). — Einzeitige Incision mit nach-
folgendem Eingiessen von Jodoformglycerineniulsion und Vernähung
des Sackes. — Reaktionslose Heilung.
Pat. verspürte am 11. 6. 90 plötzlich ohne bekannte Ursache heftiges
Stechen in der Milzgegend, Avelches sich in der nächsten Zeit A^erschlimmerte.
i
I
I
(
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f
Das neue Billroth’sche Verfahren z. BehandlungintraperitonealerEehinococccn.
Zu gleicher Zeit bemerkte Pat. damals zum erstenmale unter dem linken Kii)i)en-
bogen eine kugelige Geschwulst. Am 17. G. wurde eine Probejjunktion aus-
geführt, welche klare Flüssigkeit ergeben haben soll und von Erbrechen und
Kopfschmerz gefolgt war.
Stat. präs. : Pat. schwächlich gebaut und schlecht ernährt. Herz und
Lunge bieten nichts besonderes. Die linke Eegio epigastrica ist vorgewöllü. Die
]\Iilzdämpfung erstreckt sich nach unten eine Handbreite über den Rippenrand,
nach vorn bis in die Mamillarlinie, nach oben bis zur 6. Rippe. Die Leber-
dämpfung ist unbedeutend vergrössert, lässt sich von der IMilzdännjfung nicht
deutlich abgrenzen.
7. 7. Operation: 4 Querfinger entfernt vom linken Rippenbogen wird
demselben parallel ein bogenförmiger Schnitt geführt, der am äusseren Rectus-
rande beginnt und sich 14 cm weit erstreckt. Nach Eröffnung der Bauchhöhle
stösst man auf einen grossen, prall gespannten Sack, der sich gegen die Milz
hin ausdehnt. Durcji Punktion mittels eines gewöhnlichen Troicarts werden
etwa 2 Liter einer klaren Flüssigkeit entleert. Gegen etwaiges Eindringen von
Cysteninhalt in die Peritonealhöhle war dadurch vorgesorgt worden, dass aus
weisser Gaze genähte Kompressen zwischen die Ränder der Bauchdeckenwunde
und die Cystenwand hineingeschoben wurden. Hierauf wird der Sack incidiert
und die Echinococcusblase (Acephalocyste) herausgeholt. Genaue Riünigung und
Austrocknung des Sackes, Eingiessen von ca. 200 Gramm Jodoformglycerin-
emulsion. Der Sack wird sorgfältig mit Seidenknopfnähten geschlossen und
wieder versenkt. Es hatte sich gezeigt, dass der Sack ])reit in das Parenchym
der Milz überging. Etagennaht der Bauchdecken.
Verlauf vollkommen reaktionslos. Pat. verlässt am Gl. 7. das Spital. -
o. Alexander W., 28 Jahre alt, aus Sebes in Ungarn (vom 8. Juli bis zum
1. August 1800 in Spitalsbehandhmg). —
Grosser Echinococcus des rechten Leberlappens. — Einzeitige In-
cision, parti eile Resektion und Vernähen des Sackes nach Eingiessen
von Jodoformglycerinemulsion. — Reaktionsloser Verlauf.
Vor acht Jahren l>emerkte Pat. das Auftreten einer Geschwulst im rechten
Hypochondrium, die stetig zunahm. Keine Beschwerden, ausgenommen geringes
Seitenstechen.
Stat. präs.: Gracil gebauter, mässig genährter IMann von blassem Aus-
sehen. Herz und Lunge normal. Der Bauch ist namentlich in seinen oberen
Partien stark ausgedehnt durch eine im Ej)igastrium die stärkste Vorwölhung
zeigende Geschwulst; Umfang des Bauches über der Glitte zwischen Nabel und
Proc. xyphoides gemessen, der gi-össten Prominenz entsprechend, 02 cm; die
Entfernung zwischen Nabel und Schwertfortsatz, der nach aussen gekrempt ist,
22 cm, zwischen Nabel und Symphyse 16 cm. Die der Geschwulst entsprechende
Dämpfungstigur reicht nach oben rechts in der Axillarlinie bis zum untern Rand
der 7., in der iMammillarlinie bis zum untern Rand der 5. Rippe, geht von hier
in die Herzdämpfung über; die Milzdämpfung ist durch eine tympanitische
Zone abgegi-enzt; hinten normale Perkussionsverhältnisse. Die untere Grenze
zieht vom linken Rippenbogen, entsprechend der vorderen Axillarlinie, schief
nach abwärts bis 3 (^lertinger ober der Symphyse, von da in nach unten leicht
konvexem Bogen in die rechte Nierengegend. Die Geschwulst hat eine glatte
Oberfläche, an ihrer unteren Grenze einen scharf begrenzten Rand, bewegt sich
bei den xVtembewegungen deutlich mit, fühlt sich prall elastisch an. Bei tiefen
548
Ferdinand Schüssler.
Atembewegungen fühlt man ein deutliches Eeiben über dem Tumor. Hydatiden-
schwirren nicht nachweisbar.
10. 7. Operation: Schnitt in der Medianlinie zwei Querfinger unterhalb
des Schwertfortsatzes beginnend bis nahe zur Symphyse reichend. Der Tumor
präsentiert sich mit weisslicher Oberfläche. Mittels des Troicarts von Spencer-
Wehs werden ca. G Liter einer klaren, lichtgelben Flüssigkeit entleert. Nach
Erweiterung der Punktionsöffnung und Entleerung einiger Echinococcusmem-
branen Avird versucht, die Sackwandung, die soAvohl mit dem Netze als dem
Darme verAA'achsen ist, etwas freizumachen, um einen Teil zu resecieren, was
auch in Form eines eliptischen Stückes aus dem vordem Anteile des Sackes
geschieht. Der Sack scheint dem rechten Leberlappen anzugehören, nach oben
legt sich über ihn der linke Leberlappen, hinten, seitlich und unten sind Ver-
Avachsungen mit den Eingeweiden. Nach Eingiessen von 250 Gramm Jodoform-
glycerinemulsion Avird der Sack durch eine fortlaufende Catgutnaht geschlossen.
Etagennaht der Bauchdecken.
Reaktionsloser Verlauf.
Bei der Entlassung am 1. 8. ist in der Unterbauchgegend in der Höhe
des Nabels etAvas rechts Amn der Mittellinie bis nahe an die Crista heranreichend
der geschrumpfte Sack in Form eines Avurstförmigen Stranges fühlbar.
4. Hieronynms G., 28 Jahre alt, aus Galatz in Rumänien (vom 15. 2. bis
13. 3. 91 in klinischer Behandlung). —
Echinococcus an der Basis des rechten Leberlappens (uniloculäre
Cy'ste). — Einzeitige Incision, Eingiessen A'on Jodoformglycerin,
Versenken des Sackes. — Reaktionsloser Verlauf.
Pat. bemerkte vor drei Monaten zufällig das Vorhandensein einer Ge-
scliAVulst unterhalb der Leber. Vor etAva A'ierzehn Tagen wurde eine Probe-
punktion vorgenommen, die Avasserhelle Flüssigkeit ergab und durch mehrere
Tage hindurch A'on einem juckenden Ausschlag an verschiedenen Körperstellen
gefolgt war.
Stat. präs.; Patient kräftig gebaut, gut ernährt. Brustorgane normal.
Unterhalb des rechten Rippenbogens ist ein handtellergrosser, leicht vorgCAVölbter
Tumor palpabel, der sich an den untern Leberrand anschliesst. Deutliche
Fluctuation.
20. 2. Operation: In der Mamillarlinie Avurde Amm Rippenbogen nach
abAvärts eine etwa 15 cm lange Wunde angelegt. Ueber der Cyste war das an
deren Wand locker adhärente Netz gelagert, Avelches nun durchtrennt Avurde.
Der strausseneigrosse Sack wird hierauf punktiert, wobei sich eine fast A'ollkom-
men klare Flüssigkeit entleert. Der Sack Avird dann in grosser Ausdehnung
gespalten, und der einkämmerige Echinococcus entleert. Es Avird eine geringe
Quantität (etwa 40 Gramm) Jodoformglycerin eingegossen und dann der Sack
mit Catgut genau vernäht. Etagennaht der Bauchdecken.
Reaktionsloser Verlauf. Heilung jAer primam.
5. Max L., 38 Jahre alt, aus Trebitsch in Mähren (a’Oiu 16. 2. bis 31. 3. 91
in Spitalsbehandlung). —
Teilweise abgestorbener Leberechinococcus. — Einzeitige Incision,
Eingiessen von Jodoformglycerin und Vernähen des Sackes nach
partieller Resektion. — Perforation des Sackes in die Bauchwunde.
Ausheilung mit Fistel.
Pat. litt seit Ende November 1890 häufig an stechenden Schmerzen in der
linken Nierengegend. Da dieselben nicht nachliessen, suchte Pat. A’or 16 Tagen
Das neue Billroth’sche Verfahren z. Behandlungintraperitonealer Echinococcen. 549
einen Arzt auf, der eine Geschwulst in der obern Bauchgegend konstatierte und
ihn deshalb an unsere Klinik wies.
Stat. präs. : Mittehnässiger Ernährungszustand. Herz- und Lungenbefund
normal. — Die Gegend zwischen Pchwertfortsatz und Nabel ist stark vorgewölbt,
und zwar liegt der Tumor etwas rechts von der Mittellinie, ist von kugeliger
Form und reicht nach unten noch 3 — 4 cm über den Nabel. Keine deutliche
Fluktuation. Mitbewegung mit der Respiration.
Eine Punktion mittels eines dünnen Troicarts ergiebt Echinococcushaken.
23. 2. Operation: Schnitt durch die Bauchdecken über die höchste Pro-
minenz durch den rechten Muse, rectus, vom Rippenbogen angefangen 12 cm
lang nach unten. Nachdem der verdickte Cystenbalg blosslag, wurde in den-
selben ein dicker Troicart eingestossen ; es entleeide sich nur langsam eine dicke,
breiige, missfärbige Masse. Damit vom Cysteninhalt nichts in die Bauchhöhle
fliesse, wird unterhalb der Punktionsstelle Jodoformgaze zwischen Bauchdecken
und Cystenwand gelegt und dann mit dem Knopfmesser breit incidiert: den
Inhalt bildete ungefähr ein Liter einer schmierigen Masse, in der sehr viele
Tochterblasen enthalten waren, welche zum Teil vollständig erhalten waren, mit
ganz klarer Flüssigkeit gefüllt und daher diaphan erschienen, zum Teil aber
kollabiert und in einen schmierigen, käsigen Brei umgewandelt waren. Auch die
Innenwand der Cyste sah zum Teil missfärbig aus. Nach gründlicher Reinigung
mit Schwämmen und Irrigation mit Salicylsäurelösung (2 : lÜOO) wurden ungefähr
40 Gramm Jodoformglycerin eingegossen. Nachdem dann noch ein Teil der
Cystenwand reseciert worden war, wurden die Ränder mit Catgut vereinigt. Ge-
wöhnliche Etagennaht.
In den nächsten Tagen leichter IMeteorismus. Am 1. 3. (sechs Tage nach
der Operation) 39® und Auftreten einer Urticaria am Stamm und an den Extre-
mitäten. Puls 120. —
2. 3. Temj^eratur 38. Puls noch über 100.
4. 3. Temperatur und Puls normal.
G. 3. Beim Verbandwechsel zeigt sich zwei Nähten entsprechend Eiterung.
Nach Oeffnung der Wunde daselbst quillt sehr dicker, mehr bröckliger Eiter
liervor; auf Druck entleeren sich etwa 150 Gramm.
10. 3. Reichliche Sekretion. Seit gestern deutliche Beimengung von Galle.
In der nächsten Zeit besteht nun starke Sekretion, dabei entleeren sich
auch hie und da Echinococcusblasen und klare schleimige Massen, wie auch miss-
färbige Fetzen. — Ende IMärz sind die Wundränder fest miteinander verklebt,
so dass sich auch auf Druck nichts entleeren lässt; Pat. lässt sich daher amlm-
latorisch weiter behandeln. Da IMitte April sich die Fistel aufs neue öffnet, um
wieder Blasen und Eiter zu entleeren, wird ein dickes Drain für einige Wochen
eingeführt. Die Sekretion wird hierauf gering, es bleibt jedoch eine kleine Fistel
bestehen. — Pat. hat sich das letzte Mal Anfangs Dezember 91 auf der Klinik
vorgestellt: es bestand damals noch immer eine sehr kleine Fistel, welche nach
der Angabe des Pat. wohl für einige Wochen hie und da zuheilt, dann aber
doch wieder einige Tropfen Sekret entleert. Sonst vollkommenes Wohlbefinden.
Beim Durchmustern der Litteratur fand sich, dass zweimal
eine ähnliche Operation anderwärts ausgeführt wurde, auch dort
mit günstigem Ausgange:
Knowsley Thornton, Med. Times and Gazette 1883, pag. 89; ausführ-
550
Ferdinand Schttssler.
licher : Brit. ined. Journal 13. XI. 1886, ^Meeting of the Britisli ]\Ied. Association
in Brighton (August 1886).
Diagnose : sehr grosser Ovarialtumor. Bei der Operation zeigt sich , dass
es sich um einen enormen, einkämmerigen Leberechinococcus handelt, der bis
in’s kleine Becken hinahreicht und daselbst mit dem Uterus und dessen Adnexen
verwachsen ist. — Breite Incision und vollständige Ausräumung des Sackes. —
Das Innere desselben wird nun sehr sorgfältig mit reiner Jodtinktur ausgewischt
und darauf vollkommen abgetrocknet. Endlich Verschluss des Sackes in der
Weise, dass die Nähte sowohl die Bauchdecken, als auch zugleich die AVand des
Sackes mitfassen. — Guter Verlauf.
Soweit bekannt ist, hat der englische Chirurg diese Operation
nicht wiederholt und zu einer Methode ausgebildet; doch ist aus
den Bemerkungen, die er der Mitteilung seines Falles anfügt, zu
schliessen, dass der Plan zu seinem Verfahren von vornherein ge-
fasst war.
Anders verhält es sich bei dem zweiten Falle aus der
Göttinger Klinik. Hier war es ein Akt der Not , indem der in
der Tiefe des kleinen Beckens sitzende Sack weder exstirpiert,
noch wegen zu starker Zerrung zu den Rändern der Laparotomie-
wunde herausgenäht werden konnte.
F. König (Arzt aus Flairau). Der cystische Echinococcus der Bauchhöhle
und seine Eigentümlichkeiten vor, bei und nach der Operation. Aus der chir.
Klinik in Göttingen.
(Deutsche Zeitschrift für Chirurgie XXXI.). Pag. 36. Fall 15. Wilhel-
mine Böncke, 42 J.
Diagnose schwankt zwischen Myom des Uterus und Cystovarium. 25. IX. 89.
Operation: Medianschnitt. Echinococcus des Beckenbindegewebes. Ovarien und
Uterus intakt. Nach völliger Entfernung der Blase wird der Sack desinficiert
und die Oeffnung mit fortlaufender Catgutnaht geschlossen. Schluss der Bauch-
wunde durch tiefe Nähte. — Glatter Verlauf.
In unseren Fällen wurde die Jodoformemulsion in der Ab-
sicht eingegossen, durch die antibacterielle Wirksamkeit des Jodo-
forms die Heilung ohne Eiterung im Sacklumen zu sichern. Ob
dieses Antisepticum auch im Stande ist, Echinococcenkeime , welche
trotz sorgfältiger Reinigung des Sackes in dessen oft weitläufigen
Buchten und Winkeln hie und da Zurückbleiben mögen, unschäd-
lich zu machen, bleibt einstweilen dahingestellt. Ebenso giebt
uns über die Frage, wie sich das Jodoform Säcken mit abge-
storbenem Inhalt gegenüber verhält, der zuletzt operierte Fall zu
wenig Aufschluss.
Eitriger Cysteninhalt dürfte wohl eine Contraindikation gegen
die neue Methode ergeben, da in solchen Fällen auch das Jodo-
form einen weiteren aseptischen Verlauf nicht garantieren wird.
Es wird sich hier auch in Zukunft empfehlen, den in der Bauch-
Das neueBillroth’scheVerfalirenz. Behandlung intraperitonealer Echinococceii. 551
wand fixierten Sack offen zu erlialten und ihn etwa täglich mit
Jodofonneinulsion auszugiessen, vielleicht secundär zu vereinigen.
Jodoformintoxikation durch Resorption scheint nicht zu be-
fürchten zu sein. Dennoch könnte man daran denken, die Jodo-
formemulsion wegzulassen; bei frischem, unzersetztem Inhalt der
Tierblase und wohl auch bei schon abgestorbenem, doch noch
mikrobenfreiem wäre doch auch bei reiner Asepsis ein reaktions-
loser Verlauf zu erhoffen. Der oben citierte von König operierte
Fall würde dafür sprechen; doch fehlt die Bestätigung durch
weitere klinische Erfahrungen.
Das Vernähen des Sackes vor dem Versenken ist wohl nicht
zu umgehen, da sich sonst leicht Blut und vor allem Galle aus der
Sackwand in die Bauchhöhle ergiessen könnte.
Um für den misslichen Fall, dass in dem vernähten Sack
der nachträglich secernierte Inhalt doch nicht aseptisch bliebe und
zu einem Durchbruche führte, denselben nicht in die freie Bauch-
höhle, sondern durch die Bauchdeekenwunde nach aussen erfolgen zu
lassen, brauchte man den Sack nicht ohne weiteres zu versenken,
sondern bei der Naht des Sackes auch das Peritoneum parietale
mitzufassen, ein Verfahren, welches Czerny für die ideale Chole-
cystotomie empfohlen hat. Wahrscheinlich sind aber hiebei die
Chancen für die primäre Verklebung des Sackes geringer; in
unserem letzten Falle erfolgte übrigens der Durchbruch auch ohne
diese Vorsichtsmassregel nach aussen, da sich der Sack mit seiner
Nahtstelle nicht weit von der Bauchwunde entfernt hatte.
Für diejenigen Chirurgen, welche trotz unserer guten Erfolge
die zweizeitige Methode beibehalten wollten, bliebe noch immer
der Ausweg, diese Methode mit der neuen zu kombinieren, näm-
lich nach dem zweiten Akte die Mutterblase zu entleeren, den
Sack mit Jodoformemulsion auszugiessen und nun die Bauch-
deckenwunde durch eine Sekundärnaht zu schliessen; doch wird
die Verklebung wohl nicht immer prompt erfolgen.
Das neue Verfahren wäre übrigens auch für Nierenechino-
coccen anzuwenden, die dui’ch einen extraperitonealen Schnitt
zugänglich gemacht werden. Sicherlich würde für solche Fälle
die Nierenexstirpation überflüssig.
Schliesslich möchte ich darauf hinweisen , dass auch bei
anderen intraperitonealen, unexstirpablen Cysten, z. B. den Pankreas-
cysten, die Anwendung der neuen Methode zu versuchen wäre.
Zur Radikaloperation des freien Leisten-
bruches
von
Dr. A. Wölfler,
Professor der Chirurgie in Graz.
Mit 11 Holzschnitten.
Hoch verehrter Lehrer!
Fünfzehn Jahre sind es gerade her, dass einer Ihrer ersten
und besten Schüler, V. Czerny, im Gefühle seiner Dankbarkeit
für die Lehren, welche er von Ihnen empfangen, zur Feier Ihrer
25jährigen ärztlichen Thätigkeit eine Festschrift herausgab, in
welcher er die von ihm ausgebildete Methode der Radikaloperation
des Leistenbruches — seither wohl bekannt als das Czerny’ sehe
Verfahren — besprach.
Es war dies eine würdige, vom Geiste echten Fortschritts ge-
tragene Arbeit.
War es doch Czerny, welcher durch diese Vorschläge das
unsichere Invaginationsverfahren für immer verdrängte und durch
seine Methode es ermöglichte, dass man alle irreduktiblen Brüche
einer dauernden Heilung zuführen konnte. Es war ein rettender
Gedanke, die Errungenschaften der Antisepsis rasch und gründlich
auf die Radikaloperation des Bruches in einer geeigneten Weise
zu übertragen, und wie aus den später erschienenen Mitteilungen
hervorgeht, wurden dadurch sicherlich Tausende von Menschen von
ihrem physischen Leiden befreit.
Allein wir wären nicht wert jener Zeit medizinischer Forschung,
in welcher die Besten das Beste anstreben, wenn wh uns nicht
bemühen würden, die Nachteile, welche einer IMethode anhängen,
aufzudecken und zu beseitigen. Es ist nur der Ausdruck der
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
553
ernsten Bestrebungen, welche wir durch Sie, hochverehrter Meister,
kennen gelernt haben, wenn es Czerny selbst war, der mich schon
vor mehr als einem Dezennium, als er mir in Heidelberg eine ganze
Reihe von nach seiner Methode ausgeführten Radikaloperationen
vorstellte, auf die Nachteile seines Verfahrens selber aufmerksam
machte und mir zeigte, dass bei manchen Kranken oberhalb der
verschlossenen Bruchpforte eine neue hernienartige Hervorwölbung
entstehe. Später wurde es mir klar, dass daran der unverschlossene
Musculus obliquus internus Schuld tragen müsse. Seitdem wm’de
es von vielen Forschern festgestellt, dass wir mittels des Czerny’-
schen Verfahrens durchschnittlich 60 — 70 ^/o definitiver Heilung
erzielen können, aber nicht mehr, und die aus Ihrer eigenen Klinik
durch Haidenthaler unternommenen Nachforschungen ergaben
ebenfalls, dass die Mittelzahl der Recidiven 67 “/o ausmache.
Als ich später meine selbständige Thätigkeit begann und im
Czerny’ sehen Sinne die Radikaloperation ausführte, passierte es mir
einmal, dass ich nach einer äusserst schwierigen Ablösung eines alten
Bruchsackes und des mit dem Bruchsacke verwachsenen Darmes einen
Kranken verlor. Es war dies am 28. Februar 1888; ich sagte mir,
dass ein solcher Todesfall nicht eintreten dürfe, und ich sann
darüber nach, ob wir nicht mit geringerer Lebensgefahr und dazu
noch mit grösserer Sicherheit — was die Recidiven anbelangt —
die Czerny’sche Methode verbessern könnten. Vor allem war mir
klar, dass wir, wenn es irgendwie möglich wäre, von der Ablösung
des Bruchsackes absehen sollten, denn gerade dieser Eingriff stei-
gert die unmittelbare Gefahr der Operation.
Da kam Mac Ewen mit seiner Operationsmethode; durch die
Verstopfung des Leistenkanals mittels des abgelösten Bruchsackes
erneuerte er die alte Lehre der Obturation des Leistenkanales durch
die Invagination, ohne jedoch dadurch die Gefahr der Operation zu
verringern, denn das Mac Ewen’sche Verfahren verlangt, wie ich mich
selbst durch Nachahmung dieses Verfahrens überzeugte, eine noch er-
höhte Geschicklichkeit in der Ablösung des Bruchsackes, was uns
heute ebensowenig ausnahmslos gelingt, wie vor einem Dezennium,
als man, um die Auslösung des Bruchsackes zu umgehen, neuer-
dings die Kastration vorgeschlagen hatte.
Die Bedeutung und der Wert des Mac Ewen’schen Ver-
fahrens mit Rücksicht auf die geringe Zahl der Recidiven seinen
mir jedoch in der gründlichen Vereinigung des Bruchkanales
zu liegen. Mac Ewen nähte mittels eines Fadens in einer etwas
komplizierten Weise die Leistenpfeiler und darin schien mir der
Fortschritt des Mac Ewen’schen Verfahrens gelegen zu sein; man
A. Wölfler.
musste sich bei dieser Gelegenlieit fragen, ob es nicht in einer
einfacheren Weise gelänge, die Leistenpfeiler zur Vereinigung zu
bringen und gleichzeitig den Bruchsack zu verschliessen.
Auf Grund dieser Vorstellung begann ich im Mai 1888 j
mein neues Verfahren zu üben, zu einer Zeit, zu welcher ich die
Bassini’sche Methode nicht kannte, zu welcher aber, wie ich s]3äter
sah, Bassini schon eine grosse Zahl ähnlicher Operationen ge-
macht hatte; doch unterscheidet sich die Ausführung in manchen
Punkten von der von mir geübten. Dass ich erst heute eine aus-
führliche Mitteilung darüber Ihnen, hochverehrter Lehrer, vorlege,
lag in dem Umstande, dass ich erst mehrere Jahre vorübergehen
lassen wollte, um zu sehen, ob sich mittels dieser iMethode definitiv
günstige Resultate erzielen lassen.
Indem ich mir erlaube, diese Resultate Ihrer für uns Alle ‘
V
so massgebenden Beurteilung zu unterbreiten, glaubte ich als
Ihr Ihnen ergebener Schtiler Ihrem Ausspruch : »Nunquam
retrorsum« gerecht zu werden ; gleichzeitig aber blicke ich mit ,
Dank auf die bahnbrechende ursprüngliche iMethode Czernys
zurück, wohl wissend, dass nur jenem Gedanken der Preis der "
Unsterblichkeit zukommt, welchem die hohe Ehre zufällt, neuen
Gedanken eine unerschütterliche Basis und weiteren Fortschritten
eine neue und zielbewusste Richtung gegeben zu haben.
Am Grundlsee, 1. September 1892.
I. Kurze Uebersicht der bisherigen Bestrebungen.
»Ich bin im Bewusstsein, dass von nun an die Radikal-
»Operation dem Namen, den sie trägt, entspricht, und wünsche, !.
»dass sie in der Folge einer noch höheren Ausbildung zugeführt f
»werde.« So schrieb Rothmund vor nunmehr vier Dezennien ^
auf Grund seiner reichen Erfahrungen über das in mehr als 140
Fällen erprobte Wutzer’sche Invaginations verfahren, nach welchem '■
ihm kaum ein einziger Kranker zu Grunde ging. Und heute —
denkt niemand mehr an dieses Verfahren, noch weniger übt jemand
diese Methode aus. Wer es bei der Beurteilung solcher Erlebnisse f
wagt, anderen ein neues Verfahren zu empfehlen, den muss die
Sorge beschleichen , dass es ihm nicht besser ergehen wird , als ' '
Rothmund und allen seinen Vorgängern und Nachfolgern.
Die Geschichte der Radikaloperation des Leistenbruches ist
I
I
Zur Eadikaloperation des freien Leistenl^ruehes.
555
offenbar ein Bild für die Geschichte der meisten unserer thera-
peutischen Pläne. Seit den ältesten Zeiten verdrängt eine 5Iethode
die andere und die letzte hat bloss den Vorzug, dass von ihr die
Gegenwart eine Zeitlang glaubt, dass sie dennoch die beste sei.
Aber sie bleibt gleich den übrigen zumeist eine Eintagsfliege in
sturmbewegten Zeiten.
Czerny hatte im Jahre 1877, als er sein neues Verfahren
empfahl, wohl die gleiche Sorge beschlichen, da er darüber fol-
j gendermassen sich äussert: »Wenn man die zahlreichen Versuche
überblickt, welche seit dem grauen Altertume bis in die neue Zeit
gemacht und wieder verlassen worden sind, um die Radikalkur
der Hernien zu erzielen, so gehört dazu einiger Mut, in die Dis-
kussion dieser Frage einzutreten.« (Czerny, Studien zur Radikal-
behandlung der Hernien. Wr. med. Wochenschr. Nr. 21 — 24, 1877.)
Denkt man daran, dass Billroth schon im Jahre 1871 den
berühmten Satz aufstellte, dass das Geheimnis der Radikalheilung
der Plernien erst dann gefunden werden könnte, wenn wir Gewebe
von der Festigkeit und Derbheit der Fascien und Sehnen künstlich
erzeugen könnten, dass v. Langenbeck nicht lange nach der
Czerny 'sehen Publikation die betrübende Ansicht zum Ausdruck
brachte, dass niemals eine sichere Methode der Radikalheiiung ge-
funden werden könne, da alle unsere Operationsmethoden bloss
ein Narbengewebe schaffen, das mit der Zeit wieder aufgelöst wird
oder durch Dehnung verschwindet; erwägt man weiter, dass die
späteren praktischen Erfahrungen über die Endresultate die obigen
theoretischen Auseinandersetzungen insoferne sanktionierten , als
Braun die Recidive der Radikaloperation als Regel auf stellte, dass
nach So ein nur bei jungen Leuten eine bleibende Heilung bei
Anwendung des Czerny 'sehen Verfahrens zu erwarten sei, dass
nach den Untersuchungen der verschiedensten Autoren 30, 40 bis
50 ®/o Recidiven konstatiert wurden, so entnehmen wir daraus,
wie berechtigt die Besorgnisse Czerny 's waren und mit welch'
gerechtfertigtem Zweifel man neuen einschlägigen Operations-
methoden begegnen muss, welche den mehr als 1000 Jahre alten
Wünschen und Hoffnungen entsprechen sollen. Und dennoch
muss es, wie für alle Krankheiten, neue Mittel und Wege geben,
mittels derer man die Nachteile der alten Methoden erkennen und
an ihre Stelle bessere setzen kann.
Die Geschichte muss deshalb allen jenen, welche trotz der
vielen Vorschläge und Enttäuschungen den Mut besitzen, ihr neues
Verfahren der öffentlichen Kritik anlieimzustellen, nur Dank wissen,
da die Be- und Verurteilung einer Methode durch die Gesamtheit
556
A. Wölfler.
fast immer neue Fortschritte gezeitigt hat, denn eine Methode ver-
mag doch nur dann in AVirklichkeit verdrängt zu werden, wenn sie
durch ein neues Verfahren ersetzt wird, das den meisten Forschern
mit Rücksicht auf die Sicherheit des Lebens, auf die Gründlich-
keit des A’’erfahrens und die Sicherheit des Erfolges besser erscheint
als das vorausgehende.
Auch lehrt uns die alltägliche Erfahrung, dass unsere kritische
und kritisierende Zeit wirkliche Rückschritte für die Dauer nicht
erduldet, und wir sehen auch bei unserer in Rede stehenden Ope-
ration, dass im Laufe der letzten Dezennien sowohl mit Rücksicht
auf die Erkenntnis der Fehler als der Vorteile der verscliiedenen
Operationsmethoden höchst bedeutsame Fortschritte in kurzer Zeit
gewonnen wurden; trotzdem der Gedankengang hiebei manchmal
in schwere Rückfälle geriet, während welcher Zeit nicht bloss alte
Methoden, sondern auch scheinbar längst überwundene Fehler des
grauen Altertums von neuem entdeckt und wieder beseitigt werden
mussten. Wer deshalb mit übertriebener Zähigkeit und ohne jede
Gewährung von Einschränkungen oder Alodifikationen an seinem
eigenen Operationsverfahren festhält, der schädigt den Fortschritt
der Zeit, die ohnedies von jeder Methode das Beste in sich auf-
ninimt und weiter verbreitet.
Sämtliche therapeutischen Bestrebungen, die von jeher bis
heute zur Beseitigung des Leistenbruches in Anwendung kamen,
lassen sich nach der anatomischen Konstruktion des Leistenbruches
in mehrere Methoden einteilen:
1. Man trachtete in irgend einer AVeise den Bruchsack zu
zerstören oder zur Obliteration zu bringen.
2. Alan trachtete die äussere Bruchpforte zu verschliessen.
3. Man trachtete den Leistenkanal oder selbst die innere
Bruchpforte zu obliterieren.
Die A^ollkommenheit unserer heutigen Alethoden besteht —
abgesehen von der Sicherheit des unmittelbaren Erfolges — be-
sonders darin, dass wir die oben angegebenen Bestrebungen in
zweckmässiger AVeise kombinierten.
Es ist in der Natur der Entwickelung unserer Operations-
methoden gelegen, die sich vorerst mit der Beseitigung der äusseren
Erscheinungen zu beschäftigen pflegen, dass die älteste Behand-
lungsmethode mit der Verengerung der äusseren Bruchpforte
und mit der Zerstörung des Bruchsackes sich beschäftigte (Celsus
— Paul von Aegina ■ — Fabricius ab Aquapendente — A. Pare —
Schmucker). Alerkwürdig genug, man steuerte auch in der antisepti-
schen Aera, natürlich unter geänderten A^erhältnissen, zunächst diesen
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
557
beiden Zielen zu. In alter Zeit kauterisierte man die Bruchpforte
— diese Methode erhielt sich bis in das 18. Jahrhundert — und
in neuester Zeit empfahl Nussbaum neuerdings dieses Verfahren.
In alter Zeit unterband man den Bruchsack anfangs subkutan und
unterband dabei für gewöhnlich den Samenstrang, ja, man ka-
strierte mit Absicht, so lange, bis selbst durch die Laienwelt ein
Schrei der Entrüstung ging (Rothmund). Dann ging man zur
offenen Unterbindung oder Naht des Bruchsackes über. Auch in
j der antiseptischen Aera ging man von der unsicheren Methode
der subkutanen Umschnürung der Bruchpforte (W o o d) zur offenen
Unterbindung oder Naht des Bruchsackes über und auch in der
antiseptischen Aera schlug man wie vor vielen hundert Jahren
noch einmal wenigstens für gewisse Fälle die Kastration vor, und
es bedurfte neuerdings einer ernsten Mahnung (Albert), eine so
entstellende Operation nicht zur Methode zu erheben. Wie oft
schon in alter und ältester, und in neuer und neuester Zeit selbst
unabsichtlich dadurch kastriert wurde, dass der Samenstrang
zerrissen wurde, darüber berichten wohl einige wenige ernste und
wahrheitsgetreue Aerzte, aber die Mehrzahl dieser Fälle ist uns
sicherlich unbekannt geblieben.
Als die anatomischen Kenntnisse über den Begriff der Bruch-
pforte und das, wns vor derselben liegt, hinausgingen, und sich
auch auf die Beschaffenheit des Leistenkanales ausdehnten, war
die operative Behandlung des Leisten-Bruches auch auf die Ver-
engerung oder Verstopfung des Leistenkanales gerichtet. Die In-
vaginationsmethoden — von Gerdy angefangen — führen diesen
Gedanken in verschiedenster Weise aus; desgleichen die verschie-
denen Methoden, den Leistenkanal mittels organischen Materials
zu verstopfen, sei es durch Granulationen (offene Behandlung des
Bruchsackes im 17. und 18. Jahrhunderte) sei es, durch Trans-
plantation eines Hautlappens (D z o n d i) , sei es durch den Hoden
selbst (Hammel), sei es durch Einführung eines Gallertcylinders
der mit Hausenblase überzogen wurde (Belmas). Und als in
neuerer Zeit die Methode des Verschlusses der Pforte und der
Obliteration des Bruchsackes nicht zum Ziele führten, richtete man
neuerdings die Aufmerksamkeit auf die Verengerung des Leisten-
kanales. Die neueren Bestrebungen gleichen sogar den alten darin,
dass von mancher Seite ebenfalls die Verstopfung des Leisten-
kanales mit verschiedenen organischen Stoffen (durch Granulation,
bei offener Behandlung des Bruchsackes nach Schede, Ver-
stopfung mittels des Hodens nach Lauen stein, mittels Knochen-
stücken nach Trendelen bürg und Weir, mittels des Bruch-
558
A. Wölfler.
sackes nach Mac E w e n) ausgeführt wurde , unterscheiden sich
aber von jenen der alten Zeit darin, dass ausserdem der Leisten-
kanal auch durch die Naht zur Verengerung gebracht wurde.
Selbst die auf den Verschluss der inneren Bruch-
pforte gerichteten Bestrebungen (ad 3.) gehören nicht der neuen
Zeit allein an.
Schon Gar enge ot war der Meinung, dass das Verfahren
J. L. Petits, beim incarcerirten Bruche den Bruchsack samt
Inhalt durch den Leistenring hindurchzuschieben, auch beim nicht
eingeklemmten Bruche Anwendung finden könne, damit der Bruch-
sack ein Hindernis für den Vorfall der Eingeweide abgebe.
Auf die neueren diesbezüglichen Vorschläge, die von v. Nuss-
baum, Risel und Annandale ausgingen und ebenfalls den
Zweck hatten, die innere Bruchpforte zu verschliessen, kommen
wir noch zurück.
So leicht es demnach an der Hand der Geschichte gelingt,
zu zeigen, dass fast alle neueren Gedanken auf dem in Rede
stehenden Gebiete Wiederholungen alter Versuche darstellen und
manche neuere Methode nur im Lichte der besseren Wundbehand-
lung eine glänzendere Austattung erhalten und dadurch eine
bessere Empfehlung erfahren hat, so lässt sich doch andererseits
zur Beruhigung und Aufmunterung aller leicht erweisen, dass im
grossen und ganzen trotz der Rückfälle eine jede neue Methode fast
immer einen gewissen Fortschritt mit sich brachte und zurückliess.
Denn es lässt sich nicht leugnen ,
die rohe Zerstörung der
den Bruchring bildenden Weichteile mit Aetzmitteln und ferrum
candens, sowie die rücksichtslose Unterbindung der Samengefässe
und die soweit verbreitete Kastration war doch weit schlechter als
die königliche Naht des Bruchsackes mit Schonung der Samen-
gefässe nach Fabricius ab Aquapen deute; die Gerdy’sche
Invagination bedeutet ein wesentlich schonenderes und ungefähr-
licheres Verfahren als die vorausgegangenen V ersuche, den Bruchsack
durch die Naht, durch Fremdkörper verschiedenster Art zur Ob-
literation zu bringen, und das Verfahren Wood’s, die Leisten-
pfeiler subkutan zu vereinigen, bedeutete entschieden einen Fort-
schritt gegenüber der gefährlichen und so sehr verbreiteten Methode
Wutzers, mittels Invagination Gangrän aller Weichteile hervor-
zurufen ; welche Fortschritte die neueren Methoden gegenüber dem
unsicheren Verfahren der subkutanen Einführung von Seidenfäden
oder Silberdrähten bedeuten, ist sattsam bekannt und dürfte im
folgenden noch weiter erörtert werden.
7aiv Kadikaloperation des freien Leistenbruches.
55 9
Mit der Mitte der 70 er Jahre war die Zeit für die subkutanen
Operationen — wohl für immer — zu Ende gegangen ! »Sicherheit,
Zuverlässigkeit, und Genauigkeit sind die Vorteile der blutigen
operativen Behandlung gegenüber der unblutigen Behandlung«
(Stöcker C. f. Ch. 1888, S. 641).
Wenngleich Gross schon im Jahre 1858 die Naht der Bruch-
pforte wieder aufnahm, Steele im Jahre 1874 die freigelegten
und angefrischten Pfeiler der Leistenöffnung nähte, v. Nussbaum
und Risel in den Jahren 1876 und 1877 die Unterbindung des
Bruchsackes ausführten und empfahlen , so erhielt die Badikal-
operation des Bruches mit Rücksicht auf die Operations-Technik
dennoch erst eine gewisse Vollendung durch die Methode Czerny’s,
der in wohl überlegter Weise sowohl die Obhteration des Bruch-
sackes, als den Verschluss der Bruchpforte herbeiführte. In der
kombinierten Anwendung dieser beiden Operationsakte lag im Ver-
gleiche mit den alten Methoden der Fortschritt des Verfahrens
Czerny’s. Erst durch die vollkommene Freilegung sämtlicher
Gebilde war es möglich geworden, auch die irreduktible Hernie
zu beseitigen.
Hätte die Methode Czerny’s , die zweifellos die Grundlage
für alle weiteren Veränderungen auf dem Gebiete der Radikal-
operation bildete, keine weiteren Erfolge für sich gehabt,
das Verdienst bleibt ihr unter allen Verhältnissen,
dass sie bei irreponiblen Hernien das Tragen eines
Bruchbandes ermöglichte. W ährend bis Czerny fast immer
nur reduktible Hernien operiert worden waren, gelang es mittelst
seines Verfahrens »die irreponiblen Brüche zu mobilen zu gestalten
und ihre Träger aus Invaliden zu arbeitsfähigen Menschen zu
machen; das aber ist ein Fortschritt, den wir nicht hoch genug
schätzen können« (Leisrink). Gerade jetzt, da die Czerny’sche
Methode in ihrer Originalität durch andere Methoden verdrängt
wird, geziemt es sich, darauf hinzuweisen, dass keine einzige der
neuen Methoden das Prinzip Czerny’s verlassen hat, nämlich die
Obliteration des Bruchsackes und die gleichzeitige Verengerung
der Bruchpforte.
Anmerkung. Ich hebe diesen Umstand Ijesonders hervor, weil es in
neuerer Zeit nicht selten üblich ist, einen Autor, der eine originelle Idee brachte,
baldigst zu ül)ergehen, wenn ein anderer daran eine oft geringfügige ^Modifikation
angebracht hat.
Allein die mangelhaften Endresultate erschütterten auch
das Ansehen der Czerny’schen Methode, denn die Zahl der Re-
cidiven war im ersten Dezenium kaum geringer als nach der
Wood’schen oder gar dem alten Wutzer’schen Verfahren der In-
560
A. AVölfler.
vagination (Rot hm und). Ja selbst der unmittelbare Ausgang der
beiden letztgenannten und wohl allgemein aufgegebenen Methoden
ergab nach den Mitteilungen Woods und Roth m und ’s keines-
wegs eine grössere Mortalität als die neueren Bruchoperationen.
Von nun an trachtete man durch immer neue und allerdings
recht unwesentliche Modifikationen das Czerny’ sehe Verfahren
zu verbessern, und als gar eine prinzipiell verschiedene Methode
mit vorzüglichen Endresultaten von Mac Ewen ersonnen und
geübt wurde, stürzte man sich mit einem wahren Heisshunger
auf dieselbe, um sie auszuführen und zu erproben. Lauenstein
(19. Kongress der deutschen Gesellschaft für Chirurgie) reprodu-
zierte dieselbe noch einmal in deutscher Sprache und empfahl sie
auf das wärmste.
Diejenigen, welche einer soliden Obliteration des Bruch-
sackes grosse Bedeutung zumessen, haben auf die Zusammen-
schiebung des Bruchsackes und Lagerung desselben vor die
innere Bruchpforte (Mac Ewen) einen grossen Wert gelegt;
obgleich schon Garengeot (siehe bei Rothmund) diese Methode
empfohlen hat, so fand dieselbe doch erst durch die Bemühungen
Mac E w e n ’s allseitige Anerkennung. Thatsächlich stellt diese
Methode nichts anderes dar, als die Invagination des abge-
lösten Bruchsackes und Vereinigung der Leistenpfeiler in dem-
selben Sinne, in welchem Wood diese Operation in subkutaner
Weise ausführte. Ein allgemeines Urteil über dieselbe auszu-
sprechen, wird erst dann möglich sein, wenn wir über eine grössere
Zahl von unmittelbaren und Endresultaten verfügen.
Meine persönliche Meinung geht dahin, dass in der Zu-
sammenschiebung des Bruchsackes nicht der Vorteil der Mac
Ewen’schen Operation gelegen sein kann; denn die Ver-
stopfung des Leistenkanals oder der Apertura cannalis inguinalis
interna durch ein organisches Material hat sich — so oft diese
Methode immer wieder aufgenommen wurde — nicht bewährt,
weil durch die narbige Schrumpfung und eintretende Atrophie
dieses Materiales neue Gelegenheit für die Entstehung der Recidive
gegeben ist; ausserdem finde ich in der vollkommenen Ablösung
des Bruchsackes eine nicht selten zu Komplikationen führende
Schwierigkeit und auch eine nicht immer streng erfüllbare
Forderung.
Was aber als ein Fortschritt angesehen werden muss,
und auch den Wert des Wood’schen Verfahrens bedingte, das
scheint mir darin gelegen zu sein, dass Mac Ewen als der erste
in der antiseptischen Aera mittels einer allerdings etwas kom-
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
561
plizierten Naht die offene Vereinigung sämtlicher Schich-
ten des Leisten kanales anstrebte und auch herbeiführte.
Diese Uebeiiegung war es auch, welche mich unmittelbar nach
der Publikation Mac Ewen’s dazu anregte, diese Operation zu
prüfen. Ich musste mich jedoch in dem von mir operierten Falle
überzeugen, dass die Zusammenschiebung des Bruchsackes, wenn
er mit der Umgebung verwachsen war, sich nicht oder nur schwierig
oder unvollkommen ausführen Hesse und dass die Naht der den
Leistenkanal konstituirenden Schichten in einer weit einfacheren
Weise sich ausführen lasse. Diese Ueberlegung gab mir den Anstoss
zur Entwicklung der von mir seitdem geübten Operationsmethode,
welche ich später besprechen will und die ich zum erstenmale
im Mai des Jahres 1888 ausführte. Wohl hatte ich schon
früher nach Spaltung des M. obliquus externus die Schichtennaht
gemacht, allein zu einer methodischen Entwicklung gelangte das
Verfahren erst in den im Jahre 1888 operierten Fällen.
Unterdessen wurde durch Bas sin i ein Verfahren vorbereitet,
welches mir zu der Zeit, als ich die ersten Operationen nach
meinem eigenen Verfahren übte, noch nicht bekannt sein konnte,
da ich dasselbe erst durch das Archiv der klin. Chirurgie, Band 40,
kennen lernte, das aber dennoch schon weit früher von Bassini
geübt wurde, als mein Verfahren von mir. Es war für mich eine
erfreuliche Ueberraschung, dass Bassini in manchen Punkten mit
dem von mir geübten und bis dahin noch nirgends veröffentlichten
Verfahren so vollkommen übereinstimmte, als ob wir uns gegen-
seitig darüber besprochen hätten ; dies gilt ganz besonders von dem
Kardinalpunkte unseres neuen Verfahrens, der gründlichen Vereini-
gung der den Bruchkanal bildenden Schichten der Bruchdecken.
Für mich, der ich mein Verfahren selbst ersonnen hatte,
war die Bassini’sche Operation eine Bestätigung des Wertes meines
eigenen Verfahrens, für andere, welche die Bassini’sche Methode
früher als mein Verfahren kennen gelernt haben, mögen meine
Erfahrungen die Bassini’sche Methode bestätigen. Es liegt aber
in der Natur der Sache, dass beide Methoden, da sie unabhängig
voneinander entstanden waren, gewisse Verschiedenheiten zeigen,
auf die ich später noch zurückkommen werde.
Da Bassini sein Operationsverfahren in ausserordentlich
vielen Fällen (216 Radikaloperationen freier Hernien) erprobte, die
um so verschiedener sein müssen, je zahlreicher sie sind, und da
nicht bloss die unmittelbaren Heilerfolge (auf 216 Operationen kein
mit der Operation zusammenhängender Todesfall !) glänzend sind,
sondern auch die definitiven Resultate besser sind als bei irgend
3G
562
A. Wölfler.
einer der bisher geübten Methoden, indem derselbe bei 262 Radikal-
operationen 239 Heilerfolge verzeichnet, so stellt dieses Verfahren
ohne Zweifel einen gewaltigen Fortschritt gegenüber den früheren
Methoden dar; erreicht wurde derselbe meiner Meinung nach durch
die Ausführung der exakten Naht der Bauchwandschichten. Was
die Obliteration des Bruchsackes anbelangt und die Zerstörung
desselben, so unterscheidet sich dieses Verfahren nicht wesentlich
von den früher geübten Operationsmethoden ; dagegen unterscheidet
sich das Bassini’sche Verfahren noch darin von den früheren Me-
thoden, dass dasselbe den Samenstrang bei der inneren Bruch-
pforte herausleitete, um den M. obliquus internus ungestört an
das Poupart’sche Band annähen zu können. Da der Samenstrang
hierauf dennoch zwischen Obliquus internus und externus, also
zwischen den beiden Columnae der äusseren Bruchpforte herausgeleitet
wurde, so war es Bassini ebensowenig wie seinen Vorgängern möglich,
den kompleten Verschluss der äusseren Bruchpforte vorzunehmen.
Wenn also durch Bassini eine Verbesserung der bis-
herigen Methoden dadurch erzielt wurde, dass der Bruchkanal
in gefahrloser Weise und unter allen Verhältnissen verengert
wurde, so konnte ich dennoch weder in der Isolierung des Bruch-
sackes einen ganz ungefährlichen noch in der Herausleitung des
Samenstranges einen ganz zweckentsj)rechenden Eingriff ersehen.
Es erschien deshalb zeitgemäss, dass auch in dieser Hinsicht
neue Verbesserungen vorgenommen wurden; der Zufall wollte es,
dass Frank und ich fast gleichzeitig gelegentlich unserer Radikal-
operationen zwei verschiedene Methoden von Dislokation des
Samenstranges Vornahmen — ein Beweis, dass von verschiedener
Seite es als notwendig erachtet wurde, auch noch in dieser Hin-
sicht die Radikaloperationen zu verbessern, ohne deshalb die
durch Bassini und mich geschaffenen Modifikationen zu ver-
lassen. Frank (Wien. khn. Wochenschrift, 21. Juli 1892) lagerte
in 2 Fällen und zwar am 16. und 17. Juni 1892 den Samenstrang
insofern tiefer, als er in dem horizontalen Schambeinast eine
Knochenrinne ausmeisselte und in diese Rinne den Samenstrang
legte ; dadurch war es möglich, auch die dem M. obliquus externus
angehörigen Leistenpfeiler miteinander gründlichst zu vereinigen.
Als ich Gelegenheit nahm, die nach meiner Methode operierten
Bruchkranken nachzuuntersuchen, fiel es mir auf, dass trotz des Aus-
bleibens einer Recidi ve dennoch hie und da ein Klaffen der Leistenpfeiler
wahrzunehmen war; da schöpfte ich aus eigener Erfahrung die schon
von Anderen constatirte Wahrnehmung, dass das Belassen des Samen-
stranges an seinem ursprünglichen Orte die Sicherheit der Radikal-
Zur Radikaloperation des freien Leistenijruches.
563
lieilung zu beeinträchtigen vermag und beschloss, in den nächsten mir
unterkommenden Fällen den Samenstrang zu dislocieren, ohne
dass mir das Verfahren Franks bekannt geworden wäre; derselbe
veröffentlichte sein Verfahren am 21. Juli 1892. Der Zufall wollte
es, dass ich am 10. und 16. Juli meine Methode versuchte; sie
bestand in beiden Fällen darin, dass ich den Hoden an seinem
am Scrotum fixierten Gubernaculum ablöste , ihn samt dem
Samenstrange hinter den rechten beziehungsweise linken M. rectus
abdominis schob, im Spalte zwischen die beiden Mm. recti heraus
und wieder in sein ursprüngliches Bett im Scrotum herableitete.
Dadurch wurde der Samenstrang aus dem Leistenkanale entfernt
und zum Teile hinter den einen M. rectus und zum Teile auf den
medialen Leistenpfeiler gelegt. Nach dieser Dislokation war selbst-
verständlich nicht bloss eine genaue Vereinigung des M. obliquus,
sondern auch eine bis zum Knochen herabreichende Naht der
Apertura externa möglich.
Dies sind die bis zum heutigen Tage mir bekannt gewordenen
Bestrebungen auf dem Gebiete der Radikalheilung der Leistenbrüche.
II. Beschreibung meiner Methode.
Die Operation, welche ich jetzt seit mehr als 4 Jahren übe,
lässt sich ohne Zwang in mehrere Akte einteilen und zwar:
1. Blosslegung der äusseren Bruchpforte;
2. Blosslegung des Leistenkanales, des Samenstranges, des
Bruchsackes und der inneren Bruchpforte;
3. Verschluss des Bruchsackhalses und Zerstörung der inneren
Fläche des Bruchsackes;
4. Dislokation des Samenstranges (erst in der letzten Zeit durch
mich und meinen Assistenten Dr. v. Frey in vier Fällen ausgeführt);
5. Verengerung , beziehungsweise Beseitigung des Bruch-
kanales (Naht der Muskelschichten).
ad. 1. Zur Blosslegung der äusseren Bruchpforte wird ein
7 — 10 cm langer Hautschnitt gemacht, der daumenbreit unterhalb
der äusseren Bruchpforte beginnt und entsprechend der Lage des
Leistenkanales in schiefer Richtung nach aussen zieht, doch so,
dass der Schnitt mehr medialwärts als lateralwärts gerichtet ist;
nach Durchtrennung der oberflächlichen Fascie auf der Hohlsonde
und der auf der Bruchgeschwulst ziehenden Fascia Cooperi ist es
meist leicht, mittels einiger Züge mit der Sonde oder der ana-
tomischen Pincette die Leistenpfeiler vollkommen blosszulegen bis
zu ihrer Insertion am Schambein. (Fig. 1.)
ad. 2. Sodann wird unter der Aponeurose des M. obliquus
564
A. Wölfler.
externus und zwar in dem oberen Winkel, welcher durch das
Zusammentreffen der beiden Leistenpfeiler entsteht, eine Hohl-
sonde eingeführt und zwar in einer Länge von ungefähr 5 — 6 cm.
Durch diesen Schnitt muss der obere Winkel des an der Aussenseite
des M. obhquus internus gelegenen Spaltes freigelegt werden. (Fig. 2.)
Fig. 1. Hautschnitt und Blosslegung des äusseren Leistenringes.
Anmerkung. Sämtliche Figuren sind in sorgfältigster Weise durch einen meiner Hilfs-
ärzte, Herrn Dr. Markovinovitsch, nach den bei den Operationen gewonnenen Bildern dargestellt;
ich sage ihm für seine Bemühungen auch an dieser Stelle meinen besten Dank.
Dieser Spalt wird gebildet entweder durch die Fasern des
M. obliquus internus, oder er liegt zwischen den äussern Fasern
des M. obliquus internus und dem Poupart’schen Bande. Manch-
mal sieht man im oberen Winkel quer herüber ziehen die Fasern
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruclxes.
565
des M. transversus. Ist der oberste Teil des Spaltes blossgelegt,
so werden in der Gegend des Halses des Bruchsackes nahe an
der Bmchpforte die auf ihn sich fortsetzenden fascienartigen
Schichten der 3 Muskeln (M. obliquus externus, internus und
transversus) auf der Hohlsonde so durchtrennt, dass der Bruch-
sack daselbst soweit freiliegt, um ihn spalten zu können. (Fig. 2.)
Fig. 2. Nach ausgeführtem Schnitte durch die Aponeurose d. m. obliqu. extern.
ad. 3. In den Bruchsack wii’d hierauf mit der Hohlsonde
eine kleine Oeffnung gemacht, von da aus eine Hohlsonde in den-
selben und unter dessen vordere Wand geführt und hiebei be-
achtet, dass bei der Durchtrennung der Bruchsackwand aussen
der Samenstrang und innen etwa adhärente Darmpartien nicht
566
A. Wölfler.
durchtrennt werden. Das erstere kann man dadurch verhüten,
dass man die Hohlsonde an einer Stelle in den Bruchsack führt,
wo der Samenstrang nicht hegt, das zweite dadurch, dass man
alsbald, nachdem man eine mehr als daumenbreite Oeffnung in
den Bruchsack gemacht hat, nachsieht, ob Netz oder Darm vor-
Fig. 3. Spaltung ii. innere Naht d. Bruchsackhalses,
liegt und eventuell, wo diese Teile mit dem Bruchsack verwachsen
sind. Auch überzeugt man sich bei dieser Inspektion gleichzeitig,
ob der Bruch ein congenitaler ist oder nicht; ist ersteres der Fall,
so bleibt der untere Teil des Bruchsackes ungespalten, um ihn
zur Abschliessung des Hodens nach oben zu verwenden.
Zur Eadikalopeiation des freien Leistenbruches.
567
Ist der Bruchsack an der rechten Stelle und in seiner ganzen
Länge gespalten, so werden die Spaltränder mit Pinces gefasst
(Fig. 3), wodurch der ganze Bruchsack gut ausgebreitet vor uns
liegt; die sich vordrängenden Intestina werden durch einen Jodo-
foringazepfropf, der durch den Bruchsackhals eingeführt wird und
Fig. 4. Verschorfung d. inneren Fläche d. Brnchsackes mit d. Thermokauter.
jenseits der inneren Bruchpforte zu liegen kommt, zurückgehalten,
Netz wird in der Regel abgetragen und eventuell adhärente In-
testina werden entweder stumpf abgelöst, wenn dies sehr leicht
geht, oder es wird an der Peripherie der adhärenten Stelle die
Innenfläche des Peritoneums eingeschnitten, von der Umgebung
losgelöst und sodann die Reposition der Därme samt dem ihnen
anhaftenden Peritoneum des Bruchsackes vorgenommen.
568
A. Wölfler.
Nun wird der Gazetampon bei Hochlagerung des
Beckens entfernt, so dass die Intestina keine Tendenz zum Vor-
fälle haben, der Bruchsackhals von innen her gut mit Seide zu-
sammengenäht entweder mittels einer fortlaufenden Tabaksbeutel-
naht oder mittels Knopfnaht ; hierauf Verschorfung der Innen-
fläche des Bruchsackes mittels des Thermokauters (siehe Fig. 3 u. 4).
Fig. 5. Vereinigung des verschorften Bruchsackes durch die äussere Naht.
Man beachte vor Anlegung der Naht die Lage der Art. iliaca
externa, damit diese nicht zufällig durch die Nadel angestochen
werde. Ist die Naht am Bruchsackhalse angelegt, so überzeugt
man sich beim Anfassen der Pinces, ob die Blätter des aufge-
schnittenen Bruchsackes sich sehr leicht ablösen lassen; meist ist
dies in einem grösseren oder geringeren Umfange möglich; dann
Zur Radikaloperation des freien Leisteiibruches.
569
kann man einen Teil des abgelösten Bmclisackes mit der Schere
abtragen. Was vom Bruclisacke noch zurückbleib tf wird mit dem
Thermokauter gut verschorft. Ist der Bruch angeboren, so wird
die untere Partie des Bruchsackes, der der Kode anliegt, nicht
verschorft, sondern von den oberen Teilen des Bruchsackes mittels
eines Querschnittes abgetrennt und ül^er dem Hoden vereinigt.
Fig. G. Ansicht des Spaltes zwischen IM. obl. inter. u. Poup. Bande nach
dem Versenken des Bruchsackes in die Bauchhöhle.
Nur wenn der Bruchsack ausserordentlich leicht und wie von
selbst sich ablöst, wird ein Teil oder der ganze vor der Sutur ab-
geschnitten; gelingt die Ablösung nicht sehr leicht, wie z. B.
bei grösseren und älteren Brüchen, so wird der verschorfte Bruch-
570
A. WölHer.
sack zugenäht und in seiner Lage belassen; meistens ist es mög-
lich, den verschorften und genähten Bruchsack zu heben und ihn
in die Gegend der inneren Bruchpforte zu verdrängen (Fig. 6.);
nur ausnahmsweise war dies nicht möglich, so dass der verschorfte
Bruchsack noch in das Scrotum herabzog. In solchen Fällen*ist
Fig. 7. Dislocierung d. Samenstranges hinter dem M. rectus abdom. n. zurück
in sein nrsprüngl. Bett im Hodensack.
es dann geraten, den Bruchsack in der Gegend der äusseren
Bruchpforte von innen her mit dem Messer oder dem Thermo-
kauter quer zu durchtrennen, so dass der dem Scrotum angehörige
Teil des Bruchsackes dort verbleibt, während der dem Bruchkanal
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches. 571
angehörige Teil gegen die innere Bruchpforte hin verschoben
wird.
ad. 4. Diesem Akte habe ich in den letzten vier an meiner
Klinik operierten Fällen die Dislokation des Samenstranges
in nachfolgender Weise angeschlossen. (Fig. 7.)
Es wird der Kode aus dem Scrotum herausgezogen; mittels
des Gubernaculum Hunteri ist er am Hodensacke fixiert, daher
wird dieses mit der Schere durchschnitten und ein Faden durch
den am Scrotum zurückbleibenden Stumpf des Gubernaculums
durchgeführt, um dasselbe nach geschehener Dislokation wieder
leicht zu finden und den Hoden wiederum daran zu befestigen.
Hierauf wird am äusseren Rande des M. rectus die an seine Fascie
sich anschmiegende Fascia transversa mit dem Messer durchtrennt,
um hinter dem Musculus rectus zwischen diesem und dem lockeren
subserösen Zellgewebe mit dem Finger einzudringen und die Ver-
bindung desselben mit dem anderen M. rectus auf Hodenlänge
oder noch etwas darüber zu lösen.
Sodann wird der M. rectus mit einem oder zwei stumpfen
Hacken von einem Assistenten emporgehoben und der Hode samt
Samenstrang hinter dem M. rectus vorbei durch den Spalt zwischen
den beiden M. recti herausgezogen und über der vorderen Fläche
des M. rectus und dem inneren Leistenpfeiler der äusseren Bruch-
pforte herab in den Hodensack geführt, wo der Hode wieder an
sein Gubernaculum angenäht wird. Der Samenstrang liegt dann
nicht mehr im Leistenkanale, sondern zum Teile hinter, zum Teile
auf dem M. rectus und dem inneren Leistenpfeiler, an dessen
medialer Seite er in den Hodensack wieder herabsteigt. (Fig. 7.)
ad 5. Nach vollendeter Dislokation whd an die vollkommene
Beseitigung des Bruchkanales geschritten; während man bisher
bloss von einer Verengerung des Leisten- oder Bruchkanales sprechen
konnte, kann nach Beseitigung des Samenstranges von einer Auf-
hebung des Leisten- oder Bruchkanales die Rede sein.
Zu diesem Zwecke ist es notwendig, daran zu erinnern, dass
durch die Spaltung des Muskels und der Aponeurose des M. obli-
quus externus ein innerer und ein äusserer Lappen entstanden ist.
Es ist früher hervorgehoben worden, dass die Sonde bei Spaltung
der Aponeurose sich mehr medial halten soll; dieser Vorgang hat
den Zweck, den äusseren Lappen der Aponeurose etwas breiter zu
gestalten, damit man nicht bloss an das Poupart’sche Band, son-
dern auch an die innere Fläche dieses äusseren Lappens den M.
obliquus internus samt transversus und auch den M. rectus an-
nähen kann. Zu diesem Behufe wird nämlich diesser äussere
572
A. Wölfler.
Lappen mittels einer Pince so umgeschlagen, dass man seine an
das Poupart’sclie Band fixierte Innenfläche sieht, und an diese
wird mittels einer ganzen Reihe von Knopfnähten — die Zahl hängt
von der Länge und Breite des Leistenkanales ab — angenäht:
a) der äussere Rand des M. obliquus internus samt dem da-
runter liegenden M. transversus (Fig. 8). Die exakte Naht dieser
Fig. 8. Fixation des M. obliq. intern, u. Mnsc. transversus an das Lig. Poupartii
durch die Naht.
Muskeln ist von der grössten Wichtigkeit. Liegt der Leistenkanal
in seiner oberen Partie zwischen den Fasern des M. obliquus
internus — wie dies nicht selten der Fall ist — so werden natür-
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
573
lieh die Fasern des M. obliqims internus zusammengenäht; in den
unteren Partien des M. obliquus internus ist es aber dennoch
meist notwendig, seinen äusseren Rand an das Poupart’sche Band
oder an die Innenfläche des äusseren Lappens der Aponeurose des
M. obliquus externus zu befestigen.
Fig. 9. Vollendete Naht d. M. obl. inter. Spaltung der Reotusscheide.
Anmerkung. Dieses Bild ändert sich mit Rücksicht auf die Apert. externa und den Samen-
strang, wenn derselbe dislocirt wird.
b) Sodann wird der äussere Rand des M. rectus herüberge-
zogen gegen das Poupart’sche Band und daselbst angenäht, was
manchmal sehr leicht, manchmal etwas schwieriger geht; im letz-
teren Falle wird die Fascie des M. rectus vorerst gespalten (Fig. 9).
Sodann wird die hintere Fascie des M. rectus und der Muskel-
bauch selbst an die innere Fläche des vorhin genannten, ai^oneuro-
tischen, äusseren Blattes des M. obliquus externus angenäht oder
direkt an das Poupart’sche Band (Fig. 10). Wurde die Fascie des
M. rectus gespalten, so wird dann auch das vordere Blatt der
Fascie an dieselben Punkte angenäht; doch wurde in der Regel
gleichzeitig auch mitgenommen das durch Spaltung erhaltene
Fig. 10. Fixation des M. rect. abdoiu. an das Lig. Poupart. durch die Naht.
mediale Blatt der A2Doneurose des M. obliquus externus, welches
mit dem freien Rande des äusseren Blattes der AjDoneurose des
M. obliquus externus vereinigt wird (Fig. 11) und zwar soweit
herab, dass auch die von der Aj^oneurose des M. obliquus externus
Zur Radikaloperatioii des freien Leistenbruches.
575
gebildeten Leistenpfeiler auf das innigste und sorgfältigste mitein-
ander bis zum Knochen (beziehungsweise bis zum Samenstrange)
vereinigt werden; damit ist dann auch die äussere Bruchpforte
vollständig beseitigt.
sc. m.obl. extern
\ rn.rectus abdoni
\ fascia m. oblirfu . intern
\ funicul. spermat.
Fig. 11. Naht der Fascia m. ol)l. externi.
Hierauf Naht der Haut, unter dieselbe kommt ein kleines
Drain; zwischen die Muskelschichten oder in den Bruchsack wird
kein Drain, oder nur ausnahmsweise, eingeführt.
Inwieweit ich Veranlassung hatte, von diesem geschilderten
Verfahren abzuweichen, werden im Nachfolgenden die einzelnen
Krankheitsgeschichten zeigen.
576
A. Wölfler.
Ili. Krankheitsfälle.
1. 8. Eduard, 15 Jahre alt; Hernia inguin. sin. libera, angeblicli im Juni
1885 beim Turnen entstanden ; Patient trug darauf 2 Monate lang ein Bruch-
band. Die Hernie war apfelgross, reponierbar. Operiert am 29. XI. 1886. Hernia
congenita. Operation nach Czerny. Ligatur des Bruchsackhalses, Verschluss der
Bruchpforte durch die Naht, Abschluss der Tunica vaginalis gegen den Hoden
hin durch die Naht. Im Verlaufe stieg die Temperatur zeitweise auf 38,4.
Schmerzen in der Wunde, Oedem am Scrotum. Hautwunde entsprechend zwei
Nahtstellen auseinandergeAvichen. Wurde am 11. I. 1887 geheilt mit Bruchband
entlassen.
2. S. Johann, 34 J. alt, Taglöhner. Hernia inguinalis irreponib. (rechts).
Die Operation A\mrde am 26. Juni 1887 nach Czerny gemacht, Exstirpation des
Bruchsackes. Heilung erfolgte unter Fiebererscheinungen, starkes Infiltrat, reich-
liche Sekretion. Wurde am 20. VH. 1887 geheilt entlassen.
3. K. August, 2 J. alt, Hernia ingu. bilat. cong. Der linke machte mehr
Beschwerden, beide Avaren reponibel. Operation am 11. V. 1887 nach Czerny.
Exstirpation des linken Bruchsackes nach Spaltung desselben und Naht der
äusseren Pforte. Glatter Verlauf, Heilung per primam intentionera ; am 11. V.
1887 geheilt entlassen.
4. AV. Sylvester, 42 J. alt, Magazineur. Hernia inguinalis libera dextra,
durch Sturz von einem EisenbahnAvaggon entstanden, hühnereigross, reponibel.
Operation am 21. XH. 1887 nach Czerny. Ligatur des Bruchsackes und Ex-
stirpation desselben; Pfortennaht. Verlauf vollkommen glatt. Am 3. I. 1888 ge-
heilt entlassen.
5. S. Karl, 38 J. alt, Hutmacher ; Herniae inguinales bilaterales, im neunten
Lebensjahre nach dem Heben einer sclnveren Last acquiriert; beide sind Scrotal-
hernien, linkerseits reponil)el, rechterseits nicht. Operation der linken Hernie
am 17. 1. 1888. — Vielfache strangförmige Adhäsionen nach Eröffnung des Bruch-
sackes ; beim Ablösen desselben wurde der Darm eingerissen ; 10 Catgutnähte
am Darme ; Keposition der Därme, in die Bruchpforte ein mit Jodoformgaze ein-
gehüllter SchAvamm, daneben Drain, keine Naht. Am 21. I. Entfernung des
Schwammes ; am 28. 1. : granuliex’t die Wunde schön, am 5. H. SalbenA'erband.
6. Operation der rechtsseitigen Hernie am 23. H. Schräger Hautschnitt, Er-
öffnung des Bruchsackes ; Dannschlingen unter sich A'ollkommen verAvachsen,
schwierige Lösung, Bruchsack wird abgebunden, der Rest abgetragen, Bruch-
pforte weit und gegen 10 cm lang. Die einzelnen Muskelstrata schichtAveise ge-
näht. Am 24. II. AA"ar Patient stark kollabiert. Temperatur 38 ", Puls 116, Er-
brechen. — Am 25, H. Puls 138, Meteorismus. Erbrechen, Entfernung des Jodo-
formstreifens , 2 Stuhlentleerungen. Am 28. II. Koterbrechen. In Narkose
Eröffnung der Wunde und der Bauchhöhle, keine Abknickung des Darmes zu
finden ; Exitus letalis am 29. H. Bei der Sektion findet man eine hochgradige
ErAA^eiterung des Jejunums, Avelche dadurch bedingt ist, dass mehrere Schlingen
des Dünndarmes zu einem faustgrossen KoiiA'olut miteinander A^erschmolzen
sind ; es dürfte dieses Kon Amlut im linken Bruchsacke gelegen gewesen sein.
Oberhalb der rechtsseitigen Bruchpforte ein zweites, schwer entwirrbares Darm-
konvolut, welches dem unteren Ileum angehört; die zuführende Schlinge dieses
Konvolutes war gedreht und Avar die Ursache des Ileus. Es wurden die Darm-
schlingen, welche im rechtsseitigen Bnichsacke gelegen waren, offenbar bei der
Reposition oder bald danach so gedreht, dass dadurch ein DarmAmrschluss zu-
stande kam.
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
577
7. B. Johann, 37 Jahre alt, Taglöhner; Hernia dextra libera, angeblich
congenital. Am 5. 1885 wurde ihm wegen Incarceration die Herniotomie
gemacht; Scrotalhernie (faustgross) leicht zu reponiei'en. Operation am 17.11. 1888
nach Mac Ewen. Besonderer Verschluss der inneren und der äusseren Bruch-
Pforte. Im Verlaufe keine Eiterung. Als besondere Schwierigkeiten ergaben
sich bei der Operation ;
1. Es war schwierig, die Schnürnaht bloss unter Leitung des in den Leisten-
kanal eingeführten Fingers exakt an den typischen Stellen ohne Verletzung des
Samenstranges durchzuführen.
2. Der Bruchsack verschliesst in Wirklichkeit nicht ganz den inneren
Leistenring, es bleibt neben dem Samenstrange noch eine Oeffnung.
3. Die Spannung der Schnürnaht in den Weichteilen ist eine grosse, die
Entfernung des Seidenfadens war eine schwierige.
Patient wurde am 13. III. 1888 geheilt mit Bruchband entlassen.
8. II. Heinrich 18 J. alt, Schmied. Hernia ing. libera dextra, seit einem
Jahre bestehend, leicht reponibel. Operation am 9. V. 1888. Es wird der IM.
obliquus externus gespalten, um die Ausdehnung des Leistenkanals genau zu
übersehen. Da ein Bruchsack nicht gefunden werden konnte, wurden die Bauch-
decken weit gespalten und die einzelnen Schichten stramm an das Poupart-
sche Band genäht, schliesslich die Pfeiler des Leistenringes separat vereinigt.
Verband. Verlauf reaktionslos, keine Eiterung; am 30. V. 1888 geheilt mit Bruch-
band entlassen.
9. II. Johann, 10 Jahre alt, Hernia inguinal, dextra libera cong. Scrotal-
hernie, leicht reponibel. Operation am 17. VH. 1888. Hautschnitt in der Länge
und Richtung des Leistenkanales, Durcbtrenuung des M. obliquus externus in
gleicher Länge, Loslösung des Samenstranges am Bruclisaekhalse, Durehtrennung
des Bruchsackes ; sein peripherer Teil wird ligiert und in die Bruchhöhle re-
poniert , Muskelschichtennaht; genaue Vereinigung der Crura. Verlauf
reaktionslos, was die Wunde betrifft. Scrotum schmerzhaft und inflltriert. Die
Infiltration noch bei der Entlassung des Patienten vorhanden, keine Eiterung.
Pat. wurde am 22.VHI. mit Suspensorium geheilt entlassen.
10. G. Franz, 16 Jahre alt, Knecht. Hernia inguin. libera sinistra wurde
von den Eltern liemerkt, als Pat. 6 Wochen alt war; faustgross, irreponibel.
Operation am 5. XII. 1888. Schnitt von der Apertura externa nach aulu'ärts;
versuchte Isolierung des Samenstranges vom Bruchsacke schwierig, Verwachsung
des Darmes mit dem Bruchsacke ; Bruchsack sehr dünn, zerreisst, Dickdarm wird
sichtbar; das Mesenterium des Dickdarmes wurde bei der Ablösung verletzt, es
blutet aus demselben; schwierige Ablösung des Darmes. Ablösung des Samen-
stranges ganz unmöglich. Innere Naht des Bruchsackhalses. Von der
Naht des IM. obliquus internus muss wegen Collaps des Kranken abgesehen
werden; ausgedehnte Naht der Aponeurose des IM. obliquus externus. Verlauf
ohne Eiterung, doch bleibt längs des Samenstranges ein bis zum Hoden ziehendes
Infiltrat. Am 7. I. 1889 geheilt entlassen.
11. M. Johann, 16 J. alt, Bäckerlehrling. Hernia ing. lib. dextra seit einem
Jahre, nach einem Trauma auf die rechte Inguinalgegend entstanden, reponibel.
Operation am 16.1. 1889 nach eigener IMethode. 12 cm langer Schnitt, Er-
öffnung des Bruchsackes, Aetzung des inneren Blattes des Bruchsackes mit dem
Thermokauter. Innere Naht des Bruchsackes an dessen Halse; I ernähung des
IM. obliquus und transversus mit 8, des M. rectus mit 9 und des IM. obliquus
externus mit 12 Nähten. Pat. wurde am 19.11. 1889 geheilt entlassen mit einem
37
nur wenig drückenden Bruchkande. Im Juni 1892 wurde Brief lieh festgestellt,
dass Patient keine llecidive hat und vollkommen zufrieden ist.
12. S. Andreas, 24 J. alt, Taglöliner ; seit 3 Jahren Hernia ing. lib. sin.,
seit 2V‘2 Jahren auch dextra; linker Bruch gänseeigross, Pat. hat seit einem
Monat stärkere Beschwerden. Operation am 7. III. 1889 nach eigener Methode.
Schnitt 7 cm lang, legt die dehiscirenden Fasern des M. obliquus externus bloss,
Durchtrennung der Aponeurose des M. obliquus externus, Spaltung des Obliquus
internus, um den Rand des INI. transversus, der in diesem Falle besonders ver-
dickt ist, l)losszulegen ; der laterale Teil des M. transversus liegt gerade über
der Art. iliaca externa, daher vorsichtige stumpfe Ablösung. Spaltung des Bruch-
sackes, Verschorfung dessen Innenfläche und Anlegung einer inneren Schnür-
naht; bei Anlegung dieser Naht stärkere arterielle Blutung (Ai't. iliaca externa?).
Tamponade, Blutung steht nach 10 Minuten. Hierauf wird Samenstrang und
Bruchsack in die Peritonealhöhle hiueingedrängt und darüber der M. transversus
mit 5 Nähten, ]\I. obliquus internus, M. rectus an das Poupartsche Band und so-
dann noch M. obliquus externus genäht. Dauer der Operation ®/4 Stunden.
Verlauf vollständig reaktionslos, Heilung per primam intentionem. Pat. wurde
am 3. IV. geheilt mit einem Bruchbande entlassen. Im August 1892, also nach
SVi Jahren stellte sich Pat. wieder vor. In den Leistenring dringt
bloss die Fingerkuppe ein; beim Husten drängt sich vor den Leisten-
ring eine geringe haselnussgrose Partie vor. Patient ist zufrieden,
geht als Taglöhner seiner Beschäftigung ungestört nach und trägt seit
3 Jahren kein Bruchband mehr; leichte Verdickung des Samenstranges.
13. K. Vinzenz, 7 J. alt, Taglöhnerssohn, Hernia ing. lib. sinistra, seit
5 Jahren bestehend, hühnereigross, leicht reponibel. Leistenring für den Mittel-
finger durchgängig. Die Eltern wünschen die Operation. Zeitweises Erbrechen.
Operation am 15. V. 1889 nach eigener Methode. 10 cm langer Schnitt, Bloss-
legung des Obliqu. internus und des Bruchsackes, Erölfnung desselben; Hode
liegt ausserhalb des Bruchsackes. Kauterisation der Innenfläche des Bruchsackes,
Naht des M. transversus und M. obliquus internus, Naht des M. rectus an das
Poupartsche Band, Vereinigung der Aponeurose des M. obliquus externus. Dauer
der Operation eine Stunde. Nach 14 Tagen Entfernung des Streifens aus dem
Bruchsacke. Heilung per prim, intent. Narbe fest und hart, Hoden und Samen-
strang entzündlich infiltriert, wahrscheinlich deshalb, weil die Naht am ]M. obliquus
internus und externus zu weit nach unten (i. e. bis zum Knochen) geführt und
der Samenstrang etwas eingeklemmt wurde. Pat. wurde am 11. VI. 1889 geheilt
mit Bruchband entlassen.
14. T. Anton, 23 J. alt. Herniae ing. lib. bilater., vor 2 Jahren diu’ch
schweres Arbeiten entstanden. Operation am 27. V. nach eigener IMethode.
Schnitt vom äusseren Leistenring beginnend in schiefer Richtung nach aussen,
Spaltung der Fascie des M. obliquus externus, Spaltung des Bruchsackhalses,
innere Schnürnaht oberhalb der inneren Bruchpforte, A’erschorfung der Innen-
fläche des Bruchsackes mit dem Glüheisen, Naht des M. obliquus int., Verziehung
des M. rectus und Naht desselben an das Poupartsche Band, Wiedervereinigung
des M. obliquus ext. In den peripheren Teil des Bruchsackes wird vor dem
Schlüsse ein Jodoformstreifen eingeführt. Am 30. V.: Scrotalgegend und Um-
gebung der Wunde blutig suffundiert. Am l.VI. Entfernung der Blutcoagula
aus der Wunde, Drainage. Am 5. VI. : Oberflächliche Fascie ist teilweise ne-
krotisch, Infiltration und Eiterretention. Am Scrotum Incision und Drainage.
Entfernung des Drains am 28. VI. Pat. wurde am 5. VHI. geheilt mit Bruchband
Zur Radikaloperatioii des freien Leistenbruches.
579
entlassen. Stellte sich im .luni 1892 vor: Die Brnclipforte ist für die
Fingerkuppe durchgängig, bei Husten und Pressen drängt sich nichts
vor; im Bereiche der Narbe ist eine geringe Vorwölbung der Bauch-
decken bemerkbar. Subjektives Befinden des Pat. ist befriedigend;
er ist mit seinem Zustande zufrieden.
15. S. Andreas, 23 .1. alt, Bauerssolm. llernia ing. lib. sin. reponilj., seit
2 Jahren bestehend, kleinfaustgross. Operation am Ö. VI. 1889 nach eigener
^lethode: 10 cm langer Schnitt dringt durch Haut und Fascie des 31. ol)liqiius
externus, der freie Band des 31. obliquus int. wird mit stumpfen Hacken hinauf-
gezogen. Spaltung des Bruclisackes und Verschorfung seiner Innenfläclie. Innere
Bruchsacknaht, Naht der 31uskelschichten ; Einlegung eines Jodoformstreifens in
den Bruchsack. Am 25. VI. ist die Wunde l)is auf die Drainstelle vollkommen
verheilt. Pat. wurde am 5. \'H. 1889 geheilt mit Bruchband entlassen.
IG. R. Josef, 20 Jahre alt, Knecht, llernia ing. lib. sin., seit der Geburt
bestehend; keine Beschwerden, leicht repouibel. Operation am ll.VIU. in
typischer 3Veise. Am 11. VIII. : Die Wundränder sind etwas angeschwollen,
schmerzhaft, nicht gerötet, Sekretion gering. Oedem am Penis und Scrotum.
Am 12. VIII. Entfernung des Jodoformstreifens; nachmittags etwas blutiges
Sputum; 18. VUI. : Entfernung des Drains und der Nähte; 21. VIII: Der ver-
schorfte Bruchsack hat sich auf */s seines früheren Volumens zurückgebildet,
die 3Vunde an der Drainstelle granulierend, im übrigen verheilt. *\jn 5. IX. ist
der verschorfte Bruchsack nur mehr 1 cm lang, während er früher G cm lang
war. Pat. wurde am 5. IX. mit einem gut federnden Bruchbande entlassen.
17. S. 3Iarcus, 37 J. alt, Schmied. llernia ing. dextra lib. reponib. Seit
5 3Ionaten bestand eine Anschwellung in der rechten Leiste, welche stets grösser
wurde und beim Arbeiten Schmerzen machte. Operation am 2. XU. 1889 in ty-
pischer 3Veise. — NB. Es braucht während der ganzen Operation keine Ligatur
angelegt zu werden. — Verlauf vollkommen reaktionslos. Pat. wurde geheilt mit
Bruchband entlassen am 23. XU. 1889.
18. .1. Johann, 21 J. alt, Taglöhner. llernia ing. lib. sin. reponib.; durch
Heben schwerer Lasten im Jahre 1889 entstanden; tritt bei schwerer Arbeit her-
vor und macht Schmerzen. Operation am 4. XII. 1889 in typischer Weise ; Ein-
legung eines Jodoformstreifens in den Bruchsack. Am Operationstage abends
leichte Temperatursteigerung ; es wird auch in den oberen Wundwinkel ein Drain
eingelegt. Am 9. XH. war die 3Vunde reaktionslos, Entfernung des Streifens aus
dem Bruchsacke. Am 11. XII. Retentio urinae und brennende Schmerzen in der
Urethra. Pat muss durch 2 Tage katheterisicrt werden. Am 17. XH. Entfernung
der Nähte; am 2G.XH. : vollkommene Heilung per primam int. Wurde am
9. I. 1890 geheilt mit Bruchl)and entlassen. Pat. stellte sich am 28. IV. 1890 vor;
hat keinerlei Beschwerden; beim Husten drängt sich weder an der
Narbe, noch sonst wo eine Geschwulst hervor.
19. K. Josef, 39 .1. alt, Taglöhner. llernia ing. lib. dextra, seit G IVochen
bestehend, durch Heben schwerer Lasten entstanden. Operation am 4. H. 1890
in typischer Weise; <ler Brucksack wird Jiicht eröffnet, sondern bloss reponiert.
Verlauf reaktionslos; am 7. II. Entfernung des Jodoformstreifens; am 10. H. Ent-
fernung des Drains; am 12.11. Entfernung der Nähte: Wunde bis auf die Drain-
stelle geheilt. Pat. wurde am 8. HI. 1890 geheilt mit einem Bruchbande entlassen.
20. 8. David, 15 .1. alt, Bauerssohn. llernia scrotalis lib. dextra, leicht
repouibel, seit G Jahren bestehend, angeblich beim Springen entstanden. Opera-
tion am G. II. 1890 in typischer Weise. Verlauf reaktionslos. Entfernung des
580
A. Wölfler.
Jodoforinstreifens am lO.II. ; am 20.11. Entfernung der Nähte; Wunde geschlossen.
2. III. Entfernung des Drains. Geheilt mit Bruchhand entlassen am 21. III. 1890.
21. G. Vinzenz, 20 J. alt, Grund1)esitzerssohn. Hernia ing. lib. dextra
reponib. ; seit einem halben Jahre bestehend, angeblich seit einer Darmentzündung.
Operation am 30.111. 1890 in typischer Weise. Am 3. I^^ Entfernunng des Jodoform-
streifens, am G.IV. Entfernung der Nähte. Wunde per primam int. geheilt. Geheilt
mit Bruchband entlassen am 18. IV. 1890. Bat. stellt sich Ende August 1892
•wieder vor. Narbe vollkommen fest; äusserer Leistenring für dieKupi)e
des kleinen Fingers passierbar. Bei Husten und Pressen keinen An-
prall zti fühlen und keine Vor wö Ihung si chthar. Pat. h at keinerlei Be-
scliAverden und ist mit dem Operationserfolge vollkommen zufrieden.
22. S. Franz, 25 J. alt, Posamentierergehilfe. Ilernia ing. lib. dextra, leicht
reponierbar, vor 4 Jahren durch Heben einer schweren Last entstanden, gänse-
eigross. Operation am 24. IV. 1890 in typischer Weise. Am 26. IV. Entfernung
des Jodoformstreifens, am 30. IV. Entfernung der Drains und teilweise auch der
Nähte. Schmerzen in der Lehergegend; am 3.V. Entfernung aller Nähte, am
6. 'S". Temperatur 38,5 ° ; Wunde 3 cm weit aufgebrochen , starke Sekretion.
8. V. Drainage; täglich Verbandwechsel, Sekretion nimmt langsam ab, Heilung
der aufgebrochenen Stelle per granulationem. Geheilt mit Bruchband am 26. VI.
1890 entlassen. Patient stellte sich am 27. VI. 1892 vor: Mit dem Mittelfinger
kann man in die apertura externa eindringen, wahrscheinlich weil die Faser-
hündel des Obliqiuis externus (Fascie desselben) etwas auseinander gewichen
sind; es ist jedoch nicht möglich, den Finger tiefer einzuführen. Auf Husten
und Pressen fühlt man keinen Anprall der Intestina, nur im obersten Narben-
anteile findet eine unbedeutende Vorwölbung statt, wo aber die Narbe an und
für sich eine Prominenz bildet. Pat. hat das Bruchband 3 Wochen nach Aus-
tritt aus dem Krankenhause abgelegt und ist mit dem Eesultate der Operation
ausserordentlich zufrieden.
23. 8. Josef, 43 J. alt, Bäckergehilfe. Hernia ing. lib. sin. reponib., seit
der Lehrlingszeit des Pat. bestehend , wird oft hühnereigross. Operation am
27. IV. 1890. Bruchsack sehr weit. In demselben Adhäsionen des Dickdarmes,
so dass erst unterhalb desselben die Schnürnaht gemacht werden kann. Der
Bruchsack wird samt dem adhärenten Dickdarme in die Bauchhöhle geschoben.
Der M. obliquus internus besitzt einen bogenförmigen Rand, seine Ränder werden
miteinander vereinigt, die Rektusscheiden und der Muskel wie sonst nach aussen
gezogen. Entfernung des Jodoformstreifens und des Drains am 1. V. ; vollkommen
afehriler Verlauf. Entfernung der Nähte am 5. A'. Geheilt entlassen mit Bruch-
band am 22. V. 1890.
24. K. Alois, 18 J. alt, Bäckergehilfe. Hernia ing. lib. sin. reponib., an-
geblich seit 2 Jahren bestehend. Operation am 17. V. 1890 in tvqjischer Weise.
Bruchsack weit, mit taschenförmigen Ausbuchtungen, welche A'erschorft werden.
Verlauf reaktionslos ; am 27. V. Entfernung der Nähte. Geheilt mit Bruchband
entlassen am 6. VI. 1890. Pat. stellte sich am 10. VH. 1892 vor: Narbe fest,
keine Recidive. Die Oeffnung für den Samenstrang für die Finger-
kuppedurchgängig, sonst keine Diastase; Pat. ist sehr zufrieden und
will sich auch auf der rechten Seite operieren lassen.
25. W. Franz, 5 J. alt, Taglöhnerskind. Hernia ing. lib. sinistra, leicht
reponibel, seit Gehurt bestehend, tauheneigross. Operation am 20. V. 1890 in
typischer Weise. Processus vaginalis offen; Verschorfung des oberen Teiles und
Vernähung des unteren Teiles zum Abschlüsse gegen den Hoden. Wunde am
Zur Radikalopcration des freien Leistenbruches.
581
27. V. reaktionslos. Entfernung des Jodoformstreifens und des Drains. Geheilt
entlassen am 10. VI. 1890. Pat. bekommt kein Bruchband, da die Narbe sehr
fest ist und Pat. für ein Bruchband zu unruhig ist.
26. Z. jMichael, 27 J. alt, Hausknecht. H. ing. lib. dextra reponib.; durch
Heben einer schweren Last unter plötzlichen Schmerzen entstanden, vor 14 Tagen.
Operation am 23. Y. 1890. Bruchsack sehr klein, handschuhtingerförmig mit
einem kleinen seitlichen Divertikel; keine innere Schnürnaht, sondern um den
Bruchsack eine Ligatur gelegt und der periphere Teil abgetragen. Im übrigen
wie gewöhnlich. Verlauf ganz reaktionslos. Geheilt mit Bruchband am 9. VI. 1890
entlassen. Pat. stellt sich am 20. X. 1890 wieder vor. Narbe fest. Beim
Umhergehen, Husten, Pressen tritt kein Eingeweide vor, auch wölben
sich die Bauchdecken der Narbe dabei nicht vor. Pat. will nach einem
Vierteljahr das Bruchband weglassen.
27. G. Ap., 40 J. alt. II. irreponib., seit mehreren Jahren bestehend, so
gross wie eine Faust. Pat. lässt sich operieren, um militärdiensttauglich zu
werden. Operation am 27. V. 1890. Nach Eröffnung des Bruchsackes Exstirpa-
tion des adhärenten Netzes in der Grösse eines Gänseeies; sonst in typischer
Weise; Verlauf ganz reaktionslos, afebril, keine Eiterung. Geheilt entlassen am
15.VI. 1890. Pat. stellt sich nach 2 Jahren vor, Narbe ganz fest, keine
Recidive. Pat. versieht seinen Dienst bei der Kavallerie seit 2 Jabren
ohne Störung und ohne Beschwerden.
28. B. Josef, 48 J. alt, Maschinenschlosser. Hernia ing. lib. dextra, re-
ponibel, hühnereigross, seit 8 Jahren bestehend. Operation am 29. V. 1890 in
typischer Weise. In den Bruchsack kommt kein Jodoformgazestreifen. Verlauf
i'eaktionslos ; am 26. VI. 1890 mit Bruchband entlassen.
29. D. Carl, 32 J. alt, Kaufmann. Hernia ing. libera sinistra, reponibel,
seit 10 Jahren bestehend, hühnereigross. Operation am 14. VI. 1890 in typischer
Weise. Da der Bruchsack sehr klein ist, wird derselbe excidiert. Die .Schenkel
des M. obliquus internus werden untei'einander vereinigt. Verlauf reaktionslos,
Heilung per primam intent. Am 13. VH. 1890 mit Bruchband entlassen. Feste
Narbe; mit dem Finger gelangt man zu einer dreieckigen, fast kreuzergrossen
Oeffnung gegen die Bauchhöhle; die Basis dieses Dreieckes bildet das Lignit.
Poupartii. Stellte sich im Februar 1892 vor: Lineare Narbe, welche
sich bei Pressen und Husten durcliaus nicht hervorwölbt und längs
welcher keine Diastase in den Bauchdecken zu fühlen ist. Die Oeffnung für den
Samenstrang ist so klein , dass man nicht einmal die Kleinfingerkuppe hinein-
legen kann. Auch ist keine Varicocale vorhanden. Pat. hat keinerlei Be-
schwerden; er trug ein Jahr lang das Bruchband, liess es dann auf Rat seines
Arztes weg und befindet sich dabei sehr wohl.
30. M. Aloisia, 35 J. alt, iMagd. Hernia ing. lib. sin., leicht reponibel ; vor
3 Jahren bei einem schweren Partus entstanden; das Bruchband hindert sie beim
Arbeiten. Bruch hühnereigross, Bruchpforte für einen Finger leicht durchgängig.
Operation am 15. VI. 1890 in tyjfischer Weise. Bruchsack ohne Einlegung eines
.Streifens vereinigt. Die Schenkel des M. obliquus internus werden untereinander
vereinigt. Heilungohne Störung per iirimam int. Geheilt mit Bruchl^and entlassen am
3. VH. 1890. Narbe fest. Patientin stellt sich V2 Jahr später behufs Opera-
tion der rechtsseitigen Hernie vor und ist von der lin ksseit igen geheilt.
31. P. Maria, 14 J. alt, Schülerin. Hernia ing. lib. dextra, nussgross, re-
ponibel. Operation am 5. VH. 1890 in typischer Weise ; in den BruchsaiL kein
Jodoform.streifen ; Heilung per primam int. Geheilt entlas.sen am 17. VH. 1890.
582
A. olfler.
32. L. Anna, 48 J. alt, Bedienerin. Plernia ing. lib. dextra, reponibel, seit
3 Jahren bestehend. Operation am b. YII. 1890 in typischer Weise. Heilung per
priniam int. ; entlassen am 22. AHI. 1890.
33. G. Josef, 19 J. alt, Commis. Hernia ing. lib. dextra, reponibel, seit
Kindheit bestehend. Operation am IG. VII. 1889 in typischer Weise. Bruchsack
sehr verdickt. Statt der ge-wöhnlichen Schnürnaht wird eine innere Quernaht
angelegt. Einlegung eines Jodoformstreifens in den Bruchsack. Heilung per
primam int. Pat. leidet nach der Operation an einer leichten Bronchitis, die ihn
häufig zum Husten reizt. Geheilt mit Bruchband entlassen am 17. VHI. 1889.
Stellte sich am 30. VI. 1892 vor: Bei Hustenstössen drängt sich eine
taubeneigrosse Geschwulst vor; auch die linke nicht operierte Aper-
tura externa ist für den Finger durchgängig.
34. 1). Wilhelm, 5 J. alt, Arbeiterskind. Hernia ing. lib. dextra, reponibel.
seit Geburt bestehend. Operation am 23. VII. 1890 in typischer Weise. Heilung
per primam int., ausser an der Stelle, avo das Drain lag, von avo man bis zum
15. VHI. mit der Sonde noch AA'eit unter die Haut kommt und gelbliche seröse
Flüssigkeit entleert A\ird. Pat. Avurde am 25. VIII. 1890 geheilt mit Bruchband
entlassen. Stellte sich am 28. VI. 1892 geheilt vor. Der kleine Finger
lässt sich in die Ai)ertura externa einführen; einen Anprall der In-
testina fühlt man nicht, keine Vorwölbung. Pat. batte bisher ein
Bruchband getragen, das er jetzt ablegt.
35. P. Carl, 10 J. alt, Schmiedssohn. Hernia ing. lib. dextra, seit Geburt
bestehend. OiAeration am 19. IX. 1790 in tyi^ischer Weise. Heilung per pidmam
int. ; Fntfernung der Nähte am 27. IX. Geheilt entlassen mit Bruchband am
13.x. 1890.
3G. G. Simon, 18 J. alt, Bäckorgehilfe. Hernia ing. lib. dextra, seit 14 Tagen
bestehend, taubeneigross, leicht reponibel, tritt in liegender Stellung gar nicht
heraus. Oiieration am 18. XI. 1890. Die Fasern des M. obliquus internus bilden
keinen Bogen, sondern laufen parallel dem Poupartschen Bande. Da der Bruchsack
gar nicht aus dem äusseren Leistenring hervorragt, wird er gar nicht eröfinet, son-
dern bis hinter den inneren Leistenring zurückgeschoben und gleich die Ver-
einigung der Schichten Amrgenommen. Heilung per primam intent. Am 2G.XI.
AA'urden die Nähte entfernt. Geheilt mit Bruchband entlassen am 14. XII. 1890.
37. F. Johann, 27. J. alt, Winzer. Hernia ing. lih. dextra, nicht reponibel,
seit 4 Jahren bestehend, macht wenig Besch Averden , AA'ird aber immer grösser.
0])eration am 23. XI. 1890. Die Kectusscheide Avird nicht eröffnet und der Kectus
nicht in die Naht eingebogen. Am 4. XII. 1890: INIehrere Nähte haben durch-
geschnitten, serös-eitrige Sekretion, Abstossung einiger Nähte und Ligaturen mit
reichlicher Sekretion. Geheilt mit Bruchband entlassen am 2. II. 1890.
38. K. LudAAÜg, 5 J. alt. Hernia ing. lib. dextra, reponibel. In den ersten
Lebensmonaten, angeblich durch Schreien entstanden, macht beim Gehen
Schmerzen ; hühnereigross. Operation am 30. XI. 1890 in typischer Weise. Bruch-
sack klein, Bruchpforte für einen Finger durchgängig. Heilung per i5rim. int.
Am 9. XII. Fntfernung der Nähte. Geheilt mit Bruchband, am 25. XI. 1890 ent-
lassen.
39. B. Johann, IG J. alt, Arbeiter. Hernia ingu. libera dextra, leicht
reponibel, seit drei Monaten lAestehend, taubeneigross, hinderlich beim Arbeiten.
Operation am l.XII. 1890 nach eigener Methode; Dauer: 35 JNIinuten. Im Ver-
laufe anfangs etAA'as Nahteiterung , am 10. XII. Entfernung der Nähte. Geheilt
mit Bruchband, am 20. XII. 1890 entlassen.
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruclies,
583
40. B. Mathias , 42 J. alt , Taglöliner. Hernia ingu. lib. dext. , reponibel,
seit 7 Jahren bestehend; in letzter Zeit durch ein Bruchband nicht mehr zurück-
zuhalten, kindskopfgross. Operation am 3. XII. 1890 nach eigener INIethode. Darm
an die Sackwand teilweise fixiert, wird daher abgelöst. Schnürnalit; ein Teil
des Bruchsackes excidiert, ein Teil verschorft. Rectus kann nicht herübergezogen
werden, da alle Muskelnähte durchschneiden. In der ersten Woche reichliche
Sekretion aus dem Drain, sonst ungestörter ^\n•lauf. Geheilt entlassen mit Bruch-
band am 13. 1. 1891.
41. M. Aloisia, 35 J. alt, Magd. Hernia ing. lib. dextra , reponibel, seit
5 Jahren bestehend, hühnereigross. Die linke Hernie wurde am 15. VI. 1890
radikal operiert (Fall 30). Operation am 11. 1. 1891 in typischer Weise. Heilung
per primam, am 15. 1. l^ntfernung von Drain und Streifen, Entfernung der Nähte
am 18. I. Geheilt entlassen mit Bruchl)and am 29. 1. 1891.
42. II. Anton, 50 J. alt, Taglöhner. Herniae ing. lib. bilat. seit 18 J.
bestehend , wird beim Pressen mannskopfgross. Operation rechterseits am
12. HI. 1890 in typischer Weise. Am zweiten und dritten Tage nach der Ope-
ration Temperatur bis 38,1®; am (5. IV. Entfernung des Jodoform-Streifens, 9. IV.
reichliche Sekretion. 11. IV. die untersten zwei Nähte haben durchgerissen, der
untere Teil der Wundränder und Umgebung gereizt, Drain entfernt. 14. 4. Scrotum
etwas angeschwollen und schmerzhaft, 24. IV. oberer Teil der Wunde vollkommen
geschlossen, unterer stellt eine granulierende Fläche dar, 30. IV. Wunde ganz
benarbt. Geheilt mit Bruchband entlassen am 3. V. 1891. Der Leistenkanal gibt
nicht einmal für die Fingerkuppen Raum zum Eindringen. Beim Husten kein
Anschlag, Narbe fest, wölbt sich beim Husten nicht vor. Stellte sich am
3. VII. 1892 vor. Im oberen Bereiche der Narbe wölben sich die Bauchdecken
ein wenig vor, sonst ist die Narbe fest, absolut kein Recidiv. Rat. ist
zufrieden und arbeitsfähig, hat ZAvei IMonate nach der Operation
ein Bruchband getragen und es dann abgelegt.
44. T. Johann, 23 J. alt, Mediziner; II. ing. lib. sin., leicht reponibel, seit
Geburt bestehend, bis zum achten Jahre Bruchband geü’agen , dann scheinbare
Heilung. Vor sechs Jahren beim Heben einer schweren Last kam Bruch wieder
vor; seitdem wieder Bruchband. Hernie hühnereigross. Operation am 15. IV. 1891
in typischer Weise. 20. IV. Entfernung des Drains, 23. IV. Entfernung der meisten
Nähte, 25. IV. Entfernung aller Nähte. Pat. kann noch nicht spontan urinieren,
Harn trübe, Blasenausspülung. Die ganze Wunde geschlossen, nur an der Drain-
stelle gi’anulierend. Geheilt mit Bruchl)and entlassen am 2. V. 1891. Wird wegen
cystitischer Erscheinungen ambulatorisch weiter behandelt. Stellte sich im
Juli 1892 vor. Keine Recidive, Pat. ist vollkommen zufrieden. Die
Apertura ext. ist für die Kuppe des kleinen Fingers durchgängig.
45. K. Andreas, 45 J. alt, Bäckergehilfe. Herniae ing. bilat., beide reponibel;
seit 18 Jahren bestehend, rechts faustgross, links nussgross, machen keine Be-
schwei’den. Operation der rechten Hernie am 13. 1. 1891 in typischer Weise.
Die Wunde war bis zum 11.11. geheilt. Vom (5.11. an Entwicklung eines Erisy-
pelas faOei. 20. II. hat Pat. abgefiebert. 27. II. Entstehung eines Furunkels am
Bauche, Spaltung desselben. 4. HI. Vollkommene Heilung. INIit Bruchband ent-
lassen am 31. HL 1891.
4(5. O. Helene, 43 J. alt, Arl)eitersgattin; Hernia ing. sin. lib., seit Geburt
bestehend, aber klein, seit dem letzten Partus vor zwei Jahren zweifaustgi-oss,
lässt sich dui’ch das Bruchband nicht zurückhalten. Operation am 1. II. 1891 in
typischer Weise. Der Bruchsack Avird gar nicht eröffnet, sondern samt dem
584
A. Wölfler.
Inhalte in die Bauchhöhle zurückgeschoben, darüber Verziehung der Bauchdecken
in gewohnter Weise. In der ersten Woche febrile AbendtemiDeraturen , Kaht-
eiterung; am 9. II. die untere Hälfte der Hautnähte hat durchgeschnitten; 15.11.
erst Entfernung des Drains ; 22. H. Abstossung einiger nekrotischer Gewebspar-
tien aus der granulierenden Wunde. 28. II. Wunde gereinigt , 7. HI. Wunde ge-
schlossen; unterer Teil der Narbe breit und derb, oberer zart. Geheilt entlassen mit
Bruchband am 8. IH. 1891. Stellte sich im Winter 1892 vor; feste, unnach-
giebige Narbe, keine Recidive. Pat. ist vollkommen zufrieden.
47. L. Georg, 12 J. alt, Schüler; Hernia ing. lib. dextra, reponibel; vor
zwei Jahren beim Turnen entstanden; nussgross. Operation am 8. HI. 1891 in
typischer Weise. Heilung per primam int. 15. IH. Streifen und Drains entfernt,
17. in. Nähte entfernt. Geheilt entlassen mit Bruchband am 3. IV. 1891.
48. B. Mathäus, 26 J. alt, Knecht. Hernia ing. dextra, irreponibel ; seit
sieben Jahren bestehend, durch Heben einer schweren Last entstanden, beim
Arbeiten Beschw'erden machend. Operation am 11. X. 1891 in tyiüscher Weise.
Am 14.x. Streifen entfernt; 17. X. Entfernung der Nähte. 22. X. In der Mitte
haben drei Nähte durchgeschnitten ; es werden drei neue angelegt, welche wieder
am 26.x. durchgeschnitten haben. 30. X. Wunde granulierend, 17. XI. Abstos-
sung der Ligaturen. Geheilt mit Bruchband entlassen am 13. I. 1892. Es wurde
brieflich im Juni 1892 festgestellt, dass keine Recidive vorhanden sei.
49. H. Josef, 23 J. alt, Taglöhner; Herniae ing. bilaterales, seit zwei Jahren,
durch Heben schwerer Lasten entstanden, reponibel. Operation am 9. IX. 1891
in typischer Weise. 10. IX. Pat. sehr unruhig, hustet stark, 11. IX. Husten an-
dauernd, 12. IX. Wunde reaktionslos, massige Sekretion, Streifen entfernt ; 13. IX.
Husten geringer. 14. IX. Infiltration der Wundränder, Oedem des linken Hodens.
16. IX. Beides nachgelassen. 17. IX. Entfernung der Nähte und des Drains.
l.X. Wunde vollständig geschlossen. Geheilt entlassen am 3. X. 1891.
50. B. Thomas, 17 J. alt, Tischler. Hernia ing. sinistra; seit drei Jahren
bestehend; in letzter Zeit beim Arbeiten viel Schmerzen machend. Der linke
Hode soll erst vor einem Jahre ganz in das Scrotum hinabgestiegen sein ; Hernie
kleineigross, beim Pressen bis zum Lloden herunter. Operation am 17. VI. 1891.
Bruchsack hat in der Nähe des äusseren Leistenringes nach aussen ein hand-
schuhfingerförmiges Divertikel. Nach Schnürnaht wird dieses samt dem peri-
pheren Teil des Bruchsackes excidiert; weiterer Vorgang bei der Operation wie
gewöhnlich. 20. VI. Entfernung des Jodoformstreifens, ziemlich reichliche Sekretion,
Wundränder gereizt. 24. VI. Reizung abgenommen, wenig Sekretion, Drain ent-
fernt. 25. VI. Entfernung der Nähte. 5. VH. An der Drainstelle hat sich eine
Ligaüir abgestossen. 10. VH. Abstossung einer zweiten Ligatur. Geheilt entlassen
am 14. VH. 1891.
51. M. Ferdinand, Mediziner, 21 J. alt. Hern. ing. lib. dextra, seit zwei
Jahren bestehend, seit einem Jahr grösser, jetzt kleinmannsfaustgi'oss, nicht ganz
reponibel, macht ausser Druckgefühl keine Beschwerden. Operation am 10. VII.
1891. Neben Darm auch Netz und zwar teilweise adhärent; das Netz wird ab-
gebunden und abgetragen. 14. VII. Entfernung des Streifens, Wunde reaktionslos.
15. VH. Wunde gereizt, Eingebung geschwellt, druckempfindlich, Temperatur 38,5
17. VH. Schwellung und Rötung viel grösser, auch das Scrotum stark geschwellt,
Temperatur 39,0 °. 19. VH. Aus der AVunde entleert sich auf Druck Eiter, Drai-
nage. 25. VH. Schwellung zurückgegangen , reichliche eitrige Sekretion. Die Nähte
haben nicht durchgeschnitten. 6. VIH. Scrotum noch immer stark geschwellt, Cystitis.
Am 14. VIII. 1891 geheilt entlassen mit Bruchband; der untere Teil der AVunde
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
585
noch granulierend. Stellte sich im Früh j ahre 1 892 vor: Lineare, finger-
dicke Narbe, die sich beim Husten und Pressen nicht vorwölbt. In
die Oeffnung für den Samenstrang lässt sich die Kuppe des kleinen
Fingers einführen. Pat. ist mit der Heilung vollkommen zufrieden.
52. D. Franz, G J. alt, Zimmermannskind; Hernia ing. dextra; seit Geburt
bestehend, keine Beschwerden machend, nur bei Anstrengung der Bauchpresse
heraustretend ; kleineigross , leicht reponibel. Operation am 27. VHI. 1891 in
tj'pischer Weise. 30. VHI. Streifen entfernt. 1. IX. Drain entfernt, reaktionslos.
3. IX. Nähte entfernt. 7. IX. Am oberen Wundrande etabliert sich eine Fistel,
aus der sich am 11. IX. nekrotische Fascienpartien abstossen. 19. IX. Abstossung
von Ligaturen. 3. XI. Vollständiger Verschluss der Wunde. Geheilt mit Bruch-
band entlassen am 4. XI. 1891.
53. M. Johann, 24 J. alt, Grundbesitzerssohn. Heimia ing. lib. sin., seit
einem Jahre bestehend, hühnereigross, leicht reponierbar. Operation am 7. XI.
1891 in typischer Weise. Verlauf gestört durch partielle Nekrose der Fascie.
Geheilt entlassen am 13.1. 1892.
54. H. Anton, 51 J. alt, Taglöhner. Hernia ing. lib. sin. Seit 20 Jahren
beiderseits; rechts im Februar 1891 operiert, keine Recidive. Links Skrotalhernie,
leicht zu reponieren. Operation am 5. HI. 1892 in typischer Weise ; Dauer 1 Stunde.
Verlauf bis 13. HI. ungestört; an diesem Tage im obersten Teile der Wunde
Sekretstauung; 18. IH. Entfernung einiger Nähte, 3. I^^ Wunde vollkommen ge-
schlossen. Am 11. IV. geheilt entlassen.
55. K. Ferdinand, 21 J. alt, Grundbesitzerssohn. Hernia ing. lib. sin., seit
5 Jahi’en gänseeigross, leicht reponibel. Operation am 24. lA'. in typischer Weise.
Am l.V. wird die Naht wegeir Stichkanaleiterung geöffnet; 13. \'. Anlegung der
Sekundäi'naht ; 22. V. neuerliche Sekundärnaht; 30. VI. Wunde vollständig ge-
schlossen. Geheilt entlassen am 4. ^Tt. 1892.
56. M. Franz, 18 J. alt, Knecht. Hernia ing. lib. bilater.; seit seiner
Kindheit bestehend, hühnereigross, reponibel. Operation am 6. \T. 1892 in ty-
pischer Weise. Dauer der Operation V4 Stunden. 11. VI. Entfernung des Strei-
fens, 13. VI. Entfernung des Drains ; 14. VI. Anlegung einer Knopfnaht in der ]\Iitte
der Nahtlinie, weil die Wunde zu klaffen droht. Am 14. ^'H. 1892 geheilt entlassen.
57. N. Franz, 38 J. alt. Hernia ing. sin. incarcerata. Pat. leidet seit
5 Jahren an einer Heniie, entstanden durch Heben einer Last. Am 30. Juni
Incarcerationserscheinungen, Reposition des Bruches. Operation am 10. ^H. 1892
in typischer Weise ausgeführt; nach Kauterisation des Bruchsackes und ^'er-
schluss derselben wird der Hode an seinem Gubernaculum vom Scrotum gelöst
und dasselbe samt dem Samenstrange hinter den linken M. rectus und sodann
swischen die beiden Recti hindurch wieder in das Scrotum herabgeleitet und
dort wieder an das Gubernaculum angenäht. Verlauf normal bis auf eine ge-
ringe Nekrose im oberen Wundwinkel. Pat. wird am 12. August mit leicht
federndem Bruchbande entlassen.
58. G. Josef, 22 J. alt, Commis. Hernia ing. lib. dextra, taubeneigrosse
RecicKve an Stelle der Apertura ing. externa. Die Operation wird am 16. V. 1892
typisch ausgeführt; nun wird, wie im vorhergehenden Falle, der Hoden und
Samenstrang zwischen die Recti durchgeleitet, so dass der letztere zum Teile
hinter dem ^Sl. rectus, zum Teile auf dem inneren Pfeiler der äusseren Bruch-
pforte zu liegen kommt. Der Verlauf ist normal, ohne jede Störung. Pat. wurde
am 8. August 1892 mit leichtfederndem Bruchbande entlassen. Seitdem wurden von
meinem Assistenten Dr. v. Frey zwei weitere Fälle nach derselben Methode operirt.
586
A. Wölfler,
iV. Vergleich meiner Operation mit den übrigen Methoden und
Besprechung der einzelnen Operationsakte.
Das von mir eiiigeschlagene Verfahren gleiclit in einem
und zwar im wesentlichsten Punkte der Methode Bassini’s
insofern, als nicht bloss die Aj)ertura externa, sondern auch der
ganze Leistenkanal dadurch verengert wird, dass die den
Leistenkanal konstituierenden Gewebe an das Poupart’sche Band
und miteinander auf das innigste vereinigt werden. Ein Unter-
schied in diesem Verfahren muss jedoch darin gefunden werden,
dass ich fast jede Schichte für sich an das Poupart’sche Band,
beziehungsweise die Fascie des M. obliquus externus annähte, so dass
mindestens 3 Schichten übereinander liegen (die des M. obliquus
internus und transversus, die des M. rectus und die der Aponeurose
des M. obliquus externus), während Bassini sämtliche Schichten in
eine gemeinsame Naht fasste und an das Poupart’sche Band fixierte.
Ich halte den von mir beobachteten Vorgang für zweck-
mässiger, weil man auf diese Weise jede Muskelschichte so lagert,
als es deren Spannung verträgt, zumal ja doch der M. rectus in
einer anderen Ebene und weiter entfernt vom Poupart’schen Bande
liegt, als der M. obliquus internus ; der M. rectus muss also weit
mehr herangezogen werden als der M. obliquus internus. Ausser-
dem erscheint mir die schichtweise Annähung der einzelnen Mus-
kel schon deshalb angezeigt, weil durch das Nachlassen einer oder
der anderen Naht die Lagerung der anderen Muskelschichten noch
nicht alteriert wird ; ausserdem wissen wir ja von den Laparotomie-
Narben her, dass der Entstehung der Bauchhernie erst dadurch
vorgebeugt wurde, oder eine bereits bestehende Bauchhernie da-
durch zur festen Vernarbung gebracht wurde, dass man die ein-
zelnen Schichten der Bauchwand miteinander vereinigte.
Ausserdem hat Bassini eine solch ausgiebige Dislokation und
isolierte Fixation des M. rectus nicht vorgenommen, da er nur
davon spricht, dass die zwei ersten knapjD am Schambeine ange-
legten Nähte auch den äusseren Rand des M. rectus abdominis
umfassen.
Die Bemühungen, das Vordringen des Bruches durch Ver-
schluss des Leistenkanales zu verhindern, lassen sich füglich in
zwei Methoden teilen, in jene, bei welcher man eine Verstopfung
des Leistenkanales herbeiführte, sei es durch den Hoden oder den
invaginierten Bruchsack (Gerdy, Mac- E wen), oder durch Granu-
lations- oder Narbengewebe (Schede), oder durch Fremdkörper
wie Knochenstücke (Trendelenburg und Weir) oder Periost-
Zur Kadikaloperation des freien Leistenbruclies. 587
Lappen, und 2. in jene Methode, nach der der Bruchkanal durch
die Naht verengert wird und welche prinzipiell für alle Fälle von
Hernien zuerst von Bassini und mir zur Anwendung gebracht
wurde; doch zeigt es sich, dass auch dieser Gedanke schon früher
von anderen angeregt wurde oder zur Durchführung kam. So ist
es bekannt, dass schon Risel im Jahre 1877 die Spaltung des
ganzen Leistenkanales empfahl und von den Wandungen des
Leistenkanales soviel Abtragungen vornahm, damit derselbe den
Samenstrang innig umschliesse, und Leisrink empfahl ebenfalls
die Spaltung des Leistenkanales als einen für den Erfolg der Ope-
ration wichtigen Eingriff. Auch Wolter ist in seiner wertvollen
Arbeit der Meinung, dass das Ri sei’ sehe Verfahren mitunter von
Bedeutung sein könne, z. B. dann, wenn nach einer Radikalopera-
tion der äussere Leistenring verschlossen bleibt, aber eine flache
Vorwölbung der vorderen Wand sich entwickelt, die beim Husten
und Pressen grösser wird. In der That beweisen gerade diese
Fälle, von denen mir Czerny schon im Jahre 1878 einige zu zeigen
die Güte hatte, wie wichtig es sei, den ganzen Bruchkanal zu
verengern, und dass die Verschliessung der Apertura externa
nicht genügt, weil der vom Poupart’schen Bande abgedrängte
M. obliquus internus keinen Widerstand zu leisten vermag und
deshalb wieder an das Poupart’sche Band gebracht werden muss.
Die Erinnerung an diese Arten von Recidiven waren für mich mit
ein Grund für die Ausbildung der Muskelschichtennaht.
Auch von französischen Aerzten wurde schon vor mehreren
Jahren auf diesen Punkt aufmerksam gemacht. So hebt Richelot
im Jahre 1887 hervor, dass nicht bloss die Naht der Pfeiler, son-
dern auch der Wände des Leistenkanales gemacht werden soll,
um eine solide Narbe herzustellen. Auch in England war man
schon lange darauf bedacht, nicht bloss die Apertura externa zu
schliessen; es beweisen dies die Operationsmethoden von Wood
und Mac-Ewen, die ja ebenfalls schon sämtliche den Bruchkanal
begrenzenden Schichten mit in die Naht nahmen, und es beweisen
dies auch die Bemerkungen von Bull (C. f. Ch. Nr. 52, 1890), der
in einer Reihe von Fällen die tiefe Muskel- und oberflächliche
Fascien-Naht ausführte. Es ist demnach diese Ueberzeugung schon
seit vielen Jahren sowohl in England als in Deutschland, in Frank-
reich und Italien zum Ausdruck gekommen, wenngleich sie erst
in letzter Zeit in ausgedehntem Masse und systematisch durchge-
führt wurde.
588
A. Wölfler.
Meiner Ueberzeugung nach wird es in unseren weiteren Be-
strebungen liegen müssen, in dieser Hinsicht noch einen Schritt
weiter zu gehen, nämlich bei solchen Individuen, welche eine Dis-
position zur Bruchbildung zeigen, nicht bloss die physiologi-
schen Verhältnisse wiederherzustellen, sondern auch da-
für zu sorgen, dass die Bauchdecken an der Stelle des
Bruchkanales nicht mehr vom Samenstrange perforiert
werden und zwar aus zwei Gründen:
1) Verhindert der im Bruchkanal zurückgelassene Samenstrang
eine vollkommene Vereinigung der Leistenpfeiler, worauf schon
Socin, V. Bergmann und in jüngster Zeit Frank aufmerksam
gemacht haben. Dies ist sicherlich von Bedeutung für die Beci-
divebildung. Nicht selten sieht man bei den nachuntersuchten
Fällen das Auseinanderklaffen der Leistenpfeiler, das gewiss in
manchen Fällen den Anstoss zur Entwicklung von Recidiven selbst
dann geben mag, wenn eine Muskelschichtnaht gemacht worden
ist, um wie viel mehr, wenn diese unterlassen wurde.
Bei allen bisher durchgeführten Methoden, die Bassini’sche mit
einbegriffen, passierte der Samenstrang die Apertura externa, weshalb
sie nicht vollkommen geschlossen werden konnte. Frank und ich
versuchten auf zweierlei Wegen, diesem Uebelstande zu begegnen.
2) Kann es auch deshalb nich gleichgültig sein für die Ent-
stehung einer Recidive, dass der Samenstrang an seiner Stelle
bleiben wird, weil zwischen Samenstrang und Apertm'a interna
immer noch ein Raum übrig bleibt, durch den sich das Bauchfell
wieder vorstülpen und längs des Samenstranges, der gewisser-
massen die Führungslinie abgiebt, durch die Eingeweide vorge-
drängt werden kann. Bassini schaltete den Samenstrang zwar
aus seinem Bette im Bereiche des Leisten kanales aus, beliess
ihn aber immer noch an der Apertura interna, während durch
meine Methode vollkommene Verlegung des Samenstranges aus
dem Bereiche des ganzen Bruchkanales stattfindet. Ob Frank’s
Methode oder mein Verfahren der Dislokation des Samenstranges
vorzuziehen sein wird, darüber werden erst weitere Erfahrungen
die Entscheidung bringen.
Gegen mein Verfahren kann man den Einwand erheben, dass
der Samenstrang infolge seiner spiralig gewundenen Lage am
medialen Rande des M. rectus eine Abknickung erfahren kann,
welche sowohl die Entleerung des Samens als die Ernährung des
Hodens beeinträchtigen könnte. Dagegen möchte ich hervorheben,
dass bei den vier zuletzt operierten Kranken weder eine Schwel-
lung des Hodens noch sonstige Störungen eingetreten sind und
Zur Kadikaloperation des freien Leistenljruclies.
589
dass diese neue spiralige Lage des Sainenstranges meiner Ansicht
nach nur eine scheinbare ist ; denn man muss nur bedenken, dass
unter normalen Verhältnissen das Vas deferens und die Gefässe
des Samenstranges von der Mitte nach aussen gegen die Apertura
interna hinziehen; wird der Samenstrang von der Apertura interna
angefangen mehr gegen die Mitte hin dislociert, so wird auch die
Eintrittsstelle desselben an der Apertura interna bei der Weite
des Bruchkanales mehr gegen die Mitte hin gezogen, so dass seine
neue Lagerungsrichtung mit derjenigen zusammenfällt, welche die
Gefässe und das Vas deferens haben, bevor sie zur Apertura in-
terna hinziehen ; wird der Samenstrang also zwischen die beiden
]\L recti hinausgeführt, so nimmt der ganze Samenstrang wieder
eine mehr mediale Lage ein und er zieht nicht von aussen nach
innen und von innen nach aussen, sondern von innen nach aussen.
Die Abknickungsstelle in der Fig. 7 ist deshalb zu scharf ge-
zeichnet. Doch ich will es gerne den weiteren praktischen Er-
fahrungen anheimstellen, ob diese neue Lage dem Samenstrange
irgendwie schadet ; sollte ich selbst eine solche Erfahrung machen,
so werde ich nicht anstehen, sie sofort bekannt zu geben.
Da ich den Samenstrang vom Bruchsacke nicht ablöse, so
wird bei starken Verwachsungen desselben mit dem Bruchsacke
auch eine Dislokation des letzteren gegen die Medianlinie hin statt-
finden, doch dürfte dies der IVIethode keinen weiteren mir bewuss-
ten Eintrag thun. Was sowohl den Frank 'sehen, als meinem
Verfahren als Nachteil unbedingt entgegengehalten werden muss,
ist der Umstand, dass dadurch die Dauer der ohnedies aus vielen
Akten bestehenden Operation noch mehr verlängert wird. Ich
hebe als Milderungsgrund hervor, dass ich andererseits wieder in
anderer Weise bestrebt bin, die Operation dadurch zu verkürzen,
dass ich die Exstirpation des Bauchsackes vermeide, ein Opera-
tionsakt, der unter allen wohl die meisten Schwierigkeiten bereitet.
Dadurch war ich imstande, die Operation dennoch in der Regel
in einer Stunde zu vollenden, wenn keine Verwachsungen des
Darmes mit dem Bruchsacke vorhanden waren.
Von jelier bildete der Samenstrang ein Hindernis bei der Bruchoperation:
ich brauche nur daran zu erinnern, dass schon Paul von Aegina mit dem
Bruchsacke den Samenstrang unterband, um die äussere Apertur vollständig zur
Ubliteration zu bringen, und dass sich das Verfahren der Kastration bis in das
18. Jahrhundert erhielt und später noch einmal vorübergehend zur Anwendung
kam. Andere Aerzte schoben den Hoden in die Bauchhöhle zurück, ein Verfahren,
welches später wieder Hamei in einem Falle ausführte und Lauenstein für
den angeborenen Bruch neuerdings empfahl.
590
A. ^Völfler.
Icli komme nunmehr zur Behandlung des Bruch-
sackes. In dieser Hinsicht weicht meine Methode am meisten
von der Bassini’s und der meisten anderen ah; ich j>erhorresziere
prinzipiell die Exstirpation des Bruchsackes und setze an
Stelle derselben die Eröffnung desselben, die Anlegung der inneren Naht
und die Verschorfung seiner Innenfläche. Der wesentlichste Grund
liegt darin, dass die Ablösung des Bruchsackes vom Samenstrange
entweder ganz unmöglich oder sehr schwierig ist, so dass dadurch
ungünstige Wund Verhältnisse geschaffen werden.
Ich bestreite damit keineswegs, dass sie mitunter, besonders bei
jugendlichen Individuen, eine Spielerei sei und wie von selbst vor sich
geht; in diesem Falle acceptiere auch ich gerne das Verfahren; in allen
anderen Fällen aber Iialte ich es für zweckmässiger, die Ablösung
des Bruchsackes vom Samenstrange ein für allemal aufzugeben.
Ich selbst habe die Ablösung des Bruchsackes vom Samenstrange
schon seit dem Jahre 1888 nicht mehr gemacht, als ich in zwei
Fällen sah, wie das Gewebe zerrissen wird, so dass das Eintreten
einer günstigen Wundheilung nur als glücklicher Zufall angesehen
werden muss. Bei einem Kranken, bei dem iui Jahre 1887 die
Exstirpation des Bruchsackes mit Mühe vorgenommen wurde, über-
zeugten wir uns bei der Sektion — der einzigen die ich erlebte —
der Mann starb an Darm- Abknickung — , dass trotz aller Vor-
sicht das Vas deferens gerissen war, ohne dass ich es ge-
merkt hatte. Ich habe die Ueberzeugung, dass dies schon
manchem passiert ist und derselbe nur deshalb nicht zur Kennt-
nis dieses unliebsamen Vorfalles kam, weil Heilung eintrat; denn
es ist noch keineswegs sichergestellt, dass die Verletzung der Ge-
fässe und des Vas deferens augenblicklich irgendwelche Störungen
hervorruft; wie oft aber später Atrophie des Hodens eingetreten
ist, darauf ist meines Wissens bisher noch nicht geachtet worden.
Selbst Bassini, der sicherlich die Technik der Ablösung voll-
kommen beherrscht, passierte es 5 mal, dass er bewussterweise bei
Ablösung des Bruchsackes das Vas deferens zerriss; in 4 Fällen
wurden die beiden Enden wieder miteinander vereinigt, in einem
Falle konnte der jDeriphere Stumpf nicht aufgefunden werden.
Ob durch die Nähte der durchtrennten Enden des Vas deferens
dasselbe wieder funktionsfähig wird, mag immer noch dahingestellt
bleiben, da bei der Naht so enger Röhren trotz einer primären
Heilung nur zu leicht eine Striktur Zurückbleiben kann. Lauen-
stein erwähnt auch eines Falles, in welchem er nach Naht eines
Vas deferens mehrere Monate später eine deutliche Atrophie des
betreffenden Hodens wahrnehmen konnte. Auch Hahn und
Zur Kadikaloperation des freien Leisteni^ruehes.
591
E scher mussten wegen Zerreissung des Vas deferens der Ablösung
des Bruchsackes die Semikastration anfügen.
Dass die Exstirpation des Bruchsackes mitunter äusserst schwierig
sei, wird wohl von allen, die viele Radikaloperationen ausgeführt
haben, zugegeben. Schon Czerny hat auf Grund dieser schlim-
men Erfahrungen an Stelle der Exstirpation die innere Naht des
Bruchsackhalses für gewiss schwere Fälle empfohlen, Bracier
hält die Exstirpation für nicht angezeigt bei sehr schwachen Pa-
tienten, bei starken Verwachsungen und bei grossen Brüchen. Bei
letzteren stellt die Exstirpation, des Bruchsackes einen ganz be-
deutenden Eingriff dar. Auch König hebt hervor, dass die Ex-
stirpation des Bruchsackes die Entstehung von Phlegnomen be-
günstige und Plaidenthaler (Klinik Billroth) erwähnt, dass bei
Brustsack-Exstirpation weit seltener als sonst Heilung per primam
intentionem eingetreten sei, dass bei partieller Exstirpation immer
Nekrose beobachtet wurde, und dass in jenen Fällen, in welchen
die Ablösung des Bruchsackes schwer erscheint, von derselben ab-
gesehen werden möge.
Ich kann mich auf Grund dieser Erfahrungen deshalb nicht der
Meinung anderer anschliessen, dass durch die Exstirpation des Bruch-
sackes die Wundverhältnisse einfacher und günstiger sich gestalten
und dass durch das Zurücklassen des Bruchsackes eine ungünstige
Gestaltung der Wund Verhältnisse herbeigeführt werde; ich glaube,
diese Erfahrung bezieht sich nur auf jene Fälle, in welchen man
zuvor vergebliche Versuche gemacht hat, den Bruchsack
vom Samenstrange zu isolieren und dann entweder den Bruch-
sack oder zerrissene Teile desselben unfreiwillig zurücklassen musste;
dann ist es aber nicht der zurückgelassene Bruchsack als solcher,
sondern die Quetschung und Zerreissung der Weichteile, welche
zur Nekrose oder zu anderen Wundkomplikationen geführt hat.
Der nicht abgelöste Bruchsack ruft sicherlich keine weitere Wund-
komplikation hervor.
Man hat fernerhin gegen das Zurücklassen des Bruchsackes
eingewendet, dass er die Entstehung der Recidive begünstige. Dies
wird man selbsU^’^rständlich für alle jene Fälle zugeben müssen,
in welchen man mit dem Bruchsacke sonst nichts weiter vornimmt,
oder ihn nur durch Granulation und Narbenbildung schrumpfen
lässt. Für diese Verhältnisse gilt wohl auch die Bemerkung
V. Lange nbecks und v. Nussbaums, dass der zurückgelassene
Bruchsack für einen neu entstehenden Bruch das fertige Bett ab-
geben könnte. Wenn aber, wie bei der Ausführung einer exakten
inneren Naht des Bruchsackhalses, ein Verschluss daselbst zu dem
592
A. Wölfler.
Zwecke ausgef ülirt wird, damit die Peritonealflächen mit einander ver-
wachsen und gleichzeitig die Innenflächen des Bruchsackes so fest ver-
schorft werden, dass an Stelle desselben nur ein bindegewebigerStrang
zurückbleibt, so existiert dann bei dieser äusserst schonenden Methode
ebensowenig ein Bruchsack, wie bei der Exstirpation desselben.
Es hat übrigens schon Wolter mit einigen gründlichen
Argumenten hervorgehoben, dass der Exstirj^ation des Bruch-
sackes eine prinzipielle Bedeutung nicht beizulegen sei, in-
dem er hervorhebt, dass erstens der zurückbleibende Bruchsack
sehr bald schrumpfen und veröden muss und dass andererseits
auch die Exstirpation des Bruchsackes mit Sicherheit die Ent-
stehung eines neuen Bruches nicht verhindern könne, weil einer-
seits der neue Bruch neben dem exstirpierten , beziehungsweise
abgebundenen entstehen könne (Schede) und weil Recidiven be-
obachtet wurden, bei welchen kein Bruchsack vorhanden war, in-
dem der Darm die Narbe selbst ausgedehnt hatte (Wolter).
Ich muss dem hinzufügen, dass mir das Zurücklassen des Samen-
stranges für die Entstehung der Recidive als ein weit wichtigerer F aktor
erscheint als die Frage, ob die Verwachsung im Bauchsackhalse
durch Abbindung desselben oder durch Drehung und Abbindung
oder äussere Naht oder innere Naht angestrebt werden soll —
denn darauf spitzt sich die ganze Frage der Behandlung des
Brucksackes zu, weil doch vor allem die Narbe am Bruchsackhalse
ein nochmaliges Heraustreten des Darmes verhindern soll; ist diese
überwunden, so wird sich der Bruch vordrängen, ob unterhalb
derselben noch Reste des Bruchsackes sind oder nicht; denn unter
allen Verhältnissen muss in der Nähe der inneren Bruchpforte
am Peritoneum eine Narbe Zurückbleiben.
Mit dieser Bemerkung glaube ich nicht bloss die Einwände
gegen das Zurücklassen des Bruchsackes überhaupt, sondern auch
gegen die Art und Weise der Behandlung des zurückgelassenen
Bruchsackes entkräftet zu haben. Ich habe dieses Verfahren gewählt,
weil ich dabei den Samenstrang gar nicht zu berühren brauche.
Will jemand an Stelle dieses Verfahrens am Bruchsack-
halse den Samenstrang nur so weit ablösen, dass dann um den
Bruchsack eine Ligatur gelegt werden kann und den vor der
Ligatur gelegenen Bruchsack nun an seiner Innenfläche durch den
Thermokauter zerstören, so sehe ich darin keine prinzipielle
Aenderung. Dagegen erscheint es wohl von der grössten Wichtig-
keit, dass der Bruchsackhals möglichst tief gegen das Becken hin
abgebunden oder gedreht oder zugenäht wird, also jenseits der
Gegend der inneren Bruchpforte, wie dies Banks und Bassini
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
593
empfohlen haben, damit die Neigung des Peritoneum parietale
zur Trichterbildung an der inneren Bruchpforte beseitigt wird;
ist dann der vor der Sutur gelegene Teil des verschorften Bruch-
sackes leicht beweglich, so mag er samt dem Bruchsackhals zurück-
geschoben werden; gelingt dies aber nicht, so mag der verschorfte
Bruchsack an seinem Orte verbleiben ; dann bildet er mit der Zeit
von der Stelle der Naht an bis gegen den Hodensack hin einen
narbigen Strang.
Schon Fahricius ah Aquapendente hat meines Wissens zuerst nach Iso-
lierung des Bruchsackes vom Samenstrange den Erucksack eröffnet, um dessen
Wände sehr nahe miteinander zusammenzunähen (königliche Naht), in neuer
Zeit nähte noch Nusshaum von aussen, während Czerny die innere Naht
des Bruchsackes empfahl.
So sehr wir mit allen diesen Fortschritten zufrieden sein
können, so wäre es immerhin noch von der grössten Wichtigkeit,
über eine noch sicherere Methode des Verschlusses des Bruchsack-
halses zu verfügen, bisher scheint jene die beste zu sein, bei welcher
die Peritonealflächen miteinander ohne Eiterung verwachsen. Gegen
die Methode Mac-Ewen’s, den zusammengeschobenen Bruchsack
vor die innere Bruchpforte zu legen, muss ich demnach mich schon
deshalb aussprechen, weil ich ein Gegner der Ablösung des Bruch-
sackes bin; für den Fall von leichter Ablösung desselben mag
dieses Verfahren immerhin mit der isoherten Muskelnaht kom-
biniert werden. Ich verlange nicht, dass man meine Me-
thode bis auf die kleinsten Einzelheiten nachahmt, wie
dies jetzt so häufig verlangt wird; eine Methode muss, wenn sie
prinzipiell gut ist, kleine Abweichungen in der Art der Durch-
führung vertragen können, ohne deshalb an Wert zu ver-
lieren.
Man hat auch in neuerer Zeit noch viel darüber diskutiert,
was von grösserer prinzipieller Bedeutung sei, der Verschluss der
Bruchpforte oder dje Obliteration des Bruchsackes. Ich halte dies
für einen ganz müssigen Streit; da durch den Bruch das Perito-
neum zu einem Sacke ausgedehnt und der Leistenkanal mächtig
erweitert wird, so ist es doch unbedingt nötig, beide Uebelstände
zu sanieren , und weder das eine noch das andere zu vernach-
lässigen. Es ist bekannt, dass man eine Zeitlang auf die Obli-
teration des Bruchsackes einen grösseren Wert legte und dass man
in neuerer Zeit eine grössere Aufmerksamkeit nicht bloss auf die
Verengerung der Bruchpforte, sondern des ganzen Bruchkanals
594
A. Wölflei-.
verwendet hat; nichtsdestoweniger muss auch eine sichere Oblite-
ration des Bruchsackes angestrebt werden.
Auf den Verschluss der äusseren Leistenpfeiler zu verzichten,
wie dies erst jüngst Karewski bei Kindern empfohlen hat, mag
für Kinder gestattet sein, bei Erwachsenen ist es sicherlich nicht
zulässig; ich habe die Leistenpfeiler auch bei Kindern stets durch
die Naht einander genähert. Da wir uns heutzutage nicht bloss
mit der Naht der äusseren Leistenpfeiler begnügen, so geht schon
daraus hervor, welchen Wert wir auf die Verengerung des ganzen
Bruchkanals, vom Anfänge bis zum Schambeine hin, legen. Wenn
man bisher bei Recidiven häufig ein Klaffen der Leistenpfeiler
beobachtet hat, so lag der Grund doch darin, dass der Samenstrang
eine exakte Vereinigung liisher nicht gestattete, und es folgt daraus,
dass wir dies besser machen müssen, nicht aber, dass wir auf
diesen Vorteil verzichten sollen. Es ist im Gegenteile noch weiter
anzustreben, wie am besten in einem Falle, in welchem die äusseren
Leistenpfeiler stark divergieren, dieselben einander ohne Spannung
genähert werden können; ich verweise in dieser Hinsicht auf die
Vorschläge Landerer’s und Reverdin’s, welche die Leistenpfeiler
durch seitliche Incisionen (Reverdin), beziehungsweise Ablösung
des äusseren (Länderer) einander zu nähern empfahlen. Ko lisch er
gab an, den M. pyramidalis über die äussere Bruchpforte zu trans-
plantieren. Jedenfalls verdienen alle diese Vorschläge bei grossen
Brüchen und grossen äusseren Bruchpforten noch weitere Beach-
tung, da gerade bei diesen nur zu leicht Recidiven eintreten.
V. Unmittelbare und definitive Resultate.
Aus den mitgeteilten Krankengeschichten geht hervor, dass
in meiner Klinik und Abteilung in der Zeit vom Dezember 1886
bis zum Juli 1892 58 Radikaloperationen bei nicht eingeklemmten
Leistenbrüchen zur operativen Behandlung kamen. Diese Ope-
rationen wurden ausgeführt von mir und meinen jeweiligen Assi-
stenten: Dr. V. Rosthorn (jetzt Professor in Prag), Dr. E. Reg-
nier, Dr. E. Slajmer (jetzt Primararzt in Laibach), Dr. v. Frey
und Dr. Gold. Die Radikaloperationen, welche bei inkarcerierten
Brüchen ausgeführt wurden, habe ich nicht weiter berücksichtigt,
erstens, weil wegen der verschiedenen, hiebei auftretenden Kom-
plikationen der Wert der Methode der Radikaloperation viel schwie-
riger zu beurteilen ist als beim freien und nicht entzündeten Bruche
und zweitens weil die exakte Muskelscliichtennaht wegen des Col-
lapses der Kranken nicht immer ausgeführt wurde.
Zur Kadikaloperation des freien Leistenbruclies.
595
Die 58 Operationen wurden bei 54 Individuen ausgeführt und zwar
bei 51 männlichen und 3 weiblichen. Von diesem standen im Alter
zwischen 1 und 10 Jahren 8 Individuen,
10 „ 20 „ 15
20 „ 50 „ 29
über 50 Jahre 2.
Von diesen Brüchen waren 8 irreponibel, während 50 in die Bauch-
höhle zurückgebracht werden konnten, doch waren von letzteren
viele durch ein Bruchband schwer oder nicht zurückzuhalten. Der
letztere Umstand hängt von so vielen Aeusserlichkeiten ab, dass
es keinen besonderen Wert hat, diese Eigenschaft in bestimmten
Zahlen auszudrücken ; vor allem kommt es auf die Lage der Bruch-
pforte an, sodann ob das Bruchband seinem Zwecke entspricht
oder nicht, also auch von der Tüchtigkeit des Bandagisten, ferner
ob es sich der Kranke richtig anlegt, ob er empfindlich ist oder
nicht etc. Dies alles an der Klinik zu versuchen und erst davon
den operativen Eingriff abhängig zu machen, war aus verschiedenen
Gründen nicht möglich.
Aus den oben angeführten Zahlen geht zunächst hervor, dass
an meiner Klinik, häufiger \ielleicht als anderswo, bei Kindern im
frühen Lebensalter und bei Jünglingen operiert wurde und dass
ausserdem die Zahl der Operationen bei reponiblen Hernien eine
weitaus grössere war, als bei irreponiblen Brüchen. Ich stehe damit
im Gegensätze zu manchen deutschen und englischen Aerzten, vor
allem aber zu den französischen Autoren, von denen F. Berger
der Meinung ist, dass vor dem 16. Jahre keine Hernie operiert
werden sollte, und Trelat nur jene Hernien als für die Radikal-
operation geeignet hält, welche nicht vollständig dauernd und
leicht durch ein Bruchband zurückgehalten werden können.
P. Berger hält vor dem 15. Lebensjahr die Vornahme einer
Operation besonders deshalb für unzweckmässig, weil die Mortalität
nach Ratlikaloperationen immer noch mindestens 3*^/0 beträgt, wäh-
rend die nach Einklemmung nur ^2^/0 ausmacht. Diese Begrün-
dung enthält insoferne einen irrtümlichen Schluss, als die Mortalität
bei Kindern sicherlich eine geringere ist. Ebenso dürfte auf Grund
der neueren statistischen Mitteilungen die Mortalität bei einfachen
reponiblen Hernien weniger als 3 % ausmachen, wenn man z. B.
berücksichtigt, dass Bassini auf 216 Hernien keinen Todesfall oder
höchstens einen hatte und ich bei meinen 50 reponiblen Hernien
ebenfalls keinen Kranken an der OpejL’ation verlor. Dies ist aber von
besonderer Bedeutung, denn je ungefährliclier eine Operation, um
desto leichter dürfte man sich zu derselben entschliessen.
596
A. Wölfler.
Die Radikaloperation bei Kindern und mobilen Brüchen
kann also als nahezu ungefährlich angesehen werden; man hat
jedoch als wichtigsten Grund gegen die Radikaloperation angegeben,
dass bei Kindern bis zu 10 Jahren durch das Tragen des Bruch-
bandes allein gewöhnlich Spontanheilung eintritt. Daraufhin
hat schon Wolter mit Recht eingewendet, dass diese Heilung
sich doch insoferne nicht mit dem Resultate der Radikaloperation
vergleichen lässt, als diese Individuen noch viele Jahre lang zur
Verhütung der Entstehung eines Bruches Bruchbänder tragen
müssen ; ausserdem ist es ja allgemein anerkannt, dass gerade bei
Kindern sich die besten Dauerresultate erzielen lassen (Socin,
Cuenod) und zwar aus folgenden Gründen: 1. Wegen geringer
Weite des Bruchkanals, 2) wegen des Fehlens schwerer körper-
licher Anstrengung, 3) durch den kräftigen Turgor des Gewebes.
Endlich erscheinen nach Wolter auch soziale Nachteile mass-
gebend, welche bei jugendlichen Individuen mit dem Bestehen des
Bruches verbunden sind.
Ich knüpfe gerade an diesen Punkt an, um zu erklären,
warum unter meinen 54 Kranken 23 im Alter zwischen 1 und 20
Jahren standen. In manchen Fällen war es den Eltern darum zu
thun, dass ihre Söhne in eine Militärschule aufgenommen werden,
in anderen wollten die Söhne ihre zu einem anstrengenden Berufe
führende Laufbahn nicht mehr ändern (so z. B. Mediziner) und
dennoch von dem Tragen eines Bruchbandes befreit sein.
An der chirurgischen Klinik zu Graz kamen noch andere
wichtige Erwägungen von lokaler Bedeutung in Betracht, die wahr-
scheinlich auch an anderen Orten zum Ausdrucke kommen dürften.
Die Kranken des Grazer Landeskrankenhauses rekrutieren sich
zum grossen Teile aus der Gebirgsbevölkerung ; diese besteht aber
viel häufiger als die städtische auf der Ausführung der Radikal-
operation. Der Landmann kann einen Arbeiter, der immer ein
Bruchband tragen muss, nicht ordentlich zum schweren Arbeiten
verwenden und verlangt radikale Abhilfe für seinen Sohn oder
für seinen Knecht. Der Kranke selbst verlangt dauernd von seinem
Bruche befreit zu werden, auch wenn er ihn durch ein Bruchband
zurückhalten könnte, schon deshalb, weil er nicht immer in der
Lage ist, ein- bis zweimal oder noch häufiger im Jahre in die
Stadt zu gehen und an seinem Bruchbande Reparaturen vornehmen
zu lassen, oder gar ein neues sich anzuschaffen ; das ist kostspielig,
umständlich und zeitraubend. Dazu kommt noch , dass solche
Leute aus Billigkeitsgründen sich recht häufig an eine falsche
Adresse wenden und beim Handschuhmacher irgend ein billiges
Zur Radikalojjeratiou des freien Leistenbruches.
597
Bruchband kaufen, von dem sie sich bald überzeugen müssen,
dass es seinen Zweck nicht erfüllt. Müde aller dieser Versuche
kommen sie an die Klinik mit der bestimmten Forderung, dass
man an ihnen jene Operation vornehme, welche bei anderen zur
Heilung geführt hat, ohne dass diese ein Bruchband tragen
mussten, und ebenso schicken Eltern ihre Kinder an die Klinik
mit der bestimmten Weisung, dass man ihnen kein Bruchband
anmessen , sondern gleich die Operation vornehmen möge. Ich
nahm im Anfänge Anstand, diesem Begehren nachzugeben, seitdem
mir aber von verschiedener Seite die oben angeführten Gründe
auseinandergesetzt wurden, komme ich sowohl bei mobilen Brüchen,
als auch bei Kindern diesem Ansinnen nach. Ich bekenne aber
gerne, dass ich nur deshalb die Indikation für die Radikaloperation
auch auf Kinder und alle mobilen Brüche, in welchen der Kranke
das Tragen eines Bruchbandes perhorresciert, ausgedehnt habe, weil
bisher der Wund verlauf und der unmittelbare Ausgang nichts zu
wäinschen übrig liessen.
Unter den 58 Operierten wurden die 6 ersten nach Czerny
•operiert, ein Fall nach Mac Ewen, 51 Fälle nach meiner Methode.
Unter den ersten 6 Operierten verlor ich einen Kranken (Operation
Nr. 6) durch Abknickung einer vom Bruchsack abgelösteii und
in die Bauchhöhle reponirten Darmschlinge. Der Patient hatte sieben
Tage früher die Operation der linksseitigen Hernie trotz Darmnaht
glücklich überstanden; bei der rechtsseitigen mussten abermals
schwierige Darmablösungen im Bruchsacke vorgenommen werden,
worauf während des Wundverlaufes eine Abknickung eines Darm-
konvolutes zum Tode führte.
Bei den 51 nach meiner Methode operierten Kranken ergaben
sich während der Operation keine nennenswerten technischen
Schwierigkeiten. Einzelne Abweichungen in der Technik der
Operation von den früher angegebenen Regeln können aus den
Krankengeschichten leicht ersehen werden.
Was den Wundverlauf bei den nach meiner Methode operierten
Kranken anbelangt , so muss derselbe als ein sehr günstiger be-
izeichnet werden: unter 51 Operationen trat 44 mal vollkommene
Heilung per primam intentionem ein ohne jede Eiterung, 7 mal
war Eiterung eingetreten, zumeist eine sehr geringe, 5 mal war
gleichzeitig eine geringe Nekrose der Fascien zu beobachten. Be-
rücksichtigt man, dass diese Operationen an meiner Klinik auch
von minder geübten Aerzten ausgeführt wurden, so muss die in
86®/o der Fälle eingetretene Heilung per primam int. als ein gün-
stiger Verlauf ange.sehen werden. Aus diesem Grunde war auch
598
A. AVölfler.
die Wundheilung in der Regel in 12 bis 35 Tagen vollendet, d. h.
an diesen Tagen verliessen die Kranken bereits die Anstalt. Da
dieselben jedoch fast allemal mit einem Bruchbande entlassen
wurden, so ist ein um acht bis zehn Tage verlängerter Aufenthalt
meist auf die verspätete Lieferung eines passenden Bruchbandes
zu beziehen. Der Zeitpunkt der Heilung erfolgte eben häufig
früher als die Entlassung. In den fünf Fällen von Fascien-Nekrose
dehnte sich die Heilungsdauer auf mehr als zwei Monate aus. In
keinem der 51 operierten Fälle war eine Phlegmone oder irgend
eine andere Art schwerer Wundinfektion zu beobachten.
Die Mortalität betrug O^o.
Wie verhielt es sich nun bei den nachuntersuchten Fällen
mit der Recidive?
Es war uns leider nur bei 19 Kranken möglich, die definitiven
Resultate nach 3^2 Jahren bis 4 Monaten festzustellen. Bei dieser
Untersuchung ergab sich, dass nur bei einem ganz indolenten
Patienten, welcher ein fest drückendes Bruchband drei Jahre lang
nach der Operation kontinuierlich getragen hatte, und infolge-
dessen eine Atrophie aller Weichteile an Stelle der Pelotte ein-
getreten war, eine wenn auch geringe, aber dennoch sichtbare
Recidive in Form einer handschuhfingerförmigen V orwölbung beim
Husten sich nachweisen liess; und dass bei einem anderen Kranken
gegen die in die Apertura externa eingeführte Fingerkuppe eine
nussgrosse Vorwölbung beim Husten sich vordrängt; doch kann
man letztere Erscheinung noch nicht als Recidive bezeichnen. E s
blieben demnach unter 19 untersuchten Kranken 18 re-
cidivefrei. Sonach trat eine Recidive in ungefähr 5®/o der unter-
suchten Fälle ein. Unter diesen 18 befanden sich:
3 welche nach 3 7s Jahren,
1 welcher ,, 3 ,,
1
4
3
2
5
welche
„ 2V2 „
2 ,,
,, 20, 15 und 14 Monaten,
„ 1 Jahre,
,, nach weniger als 1 Jahre (10 — 4 Monaten)
untersucht worden sind.
Dazu ist noch zu bemerken, dass nicht bei allen 18 recidiv-
freien Fällen der Wundverlauf so vollkommen war, dass eine
exakte Heilung per primam int. eingetreten wäre ; es sind mehrere
Fälle darunter, in welchen eine geringe Eiterung den Wundver-
lauf komplizierte und die Narbe dennoch fest und widerstands-
fähig geblieben ist.
Zur Kadikaloperation des freien Leistenbruches.
599
Ausserdem muss noch hinzugefügt werden, dass die Apertura
externa sich nicht immer als vollkommen verschlossen zeigte,
sondern dass man nicht selten mit der Fingerkuppe in dieselbe
ein dringen konnte, ohne jedoch weiter Vordringen zu können, oder etwa
den Anprall der Intestina zu fühlen — ein Beweis, dass die Technik
der Vereinigung der Leistenpfeiler einer weiteren Verbesserung
bedarf und die Dislokation des Samenstranges ebenfalls noch
weiter ausgebildet werden muss.
Da von den 18 Geheilten nur 13 nach längerer Zeit als einem
Jahre nach der Operation und 5 schon nach kürzerer Zeit unter-
sucht wurden, so bedarf es jedenfalls noch weiterer und in späterer
Zeit zu erfolgender Untersuchungen, um diesbezügliche reelle An-
gaben machen zu können.
Vergleichen wir nunmehr die unmittelbaren Erfolge,
die von verschiedenen Seiten erzielt wurden, untereinander, so
lässt sich darin mit aller Gewissheit ein höchst erfreulicher Fort-
schritt wahrnehmen.
Schon die subkutanen Methoden hatten höchst bemerkens-
werte Resultate, ja sie wiesen Erfolge auf, wie sie in späterer Zeit
in den 70 er Jahren und bis zur Mitte der 80 er Jahre durch die
antiseptischen Methoden nicht erreicht wurden; so erlebte Roth-
mund bei seinem Invaginationsverfahren nur 1 Todesfall und
W o o d auf 337 Fälle nur 7 Todesfälle, hatte also etwas über 2
Mortalität. Warum unsere Resultate hinter jene von Rothmund
und Wood erreichten Erfolge zu stehen kommen, liegt
1. darin, dass diese grosse Zahl von Fällen, wie sie unserer
Beurteilung dm’ch Wood zur Verfügung stehen, durch Operationen
erreicht wurden, welche durch einen einzigen Operateur zur Aus-
führung kamen. Es ist bekannt, dass die von Fall zu Fall sich
ausbildende Technik in der Hand eines geschickten Meisters
einen grossen verbessernden Einfluss hat auf die von Jahr zu Jahr
gewonnenen Resultate. Ich bin überzeugt, dass andere, die nur
wenige Operationen nach Wood ausführten, schlechtere Resultate
als Wood erzielt haben dürften. Dasselbe bezieht sich auch auf
die Bassini’sche Operation ; ich habe schon jetzt nach schriftlichen
und mündlichen Berichten die Ueberzeugung gewonnen , dass
andere, welche die Bassini’sche Operation wiederholt haben, nicht
gleich gute Resultate wie dieser selbst erreichten ;
2. hatte Rothmund und Wood nur reponible Brüche
operiert, während man in Deutschland seit Czerny gerade mit
den irreductiblen Brüchen begann. Die Lebensgefahr steigert sich
aber beträchtlich bei den irreductiblen Brüchen.
600
A. Wölfler.
Man hatte sich also in der antiseptischen Aera weit höhere
Aufgaben gestellt und weit kompliziertere Verhältnisse geschaffen,
die es verschuldeten, dass anfangs die Mortalität doch mindestens
10 7o betrug (Tilanus 1879: 11 Reverdin 10 7o, Leisruck 1883:
10,8 ”/o, Le’goud auf 219 Fälle 20 Todesfälle, also über 97o Morta-
lität), Das sind Resultate aus dem ersten Decennium, also bis
etwa 1885. Die Operationen, die später von Socin (3,6 %),
Schede (5,2 ^/o), Billroth (6,2 7o) und Hahn (ungefähr 2®/o) ^;US-
geführt wurden, führten bereits zu besseren Resultaten. Ja,
Svens so 11 und Erd mann hatten bereits im Jahre 1887 Erfolge
(0®/o Mortalität), wie sie erst mehrere Jahre später durch Andere
erreicht wurden. Es erscheint deshalb sehr fraglich, ob die in
neuerer Zeit durch andere Methoden erzielten, günstigen Erfolge
auf die Methode allein zu beziehen sind; es lässt sich vielmehr
annehmen , dass die beständig sich verbessernde Technik der
Wundbehandlung einen grossen und stetigen Einfluss auf die
Verbesserung der gewonnenen Resultate nimmt.
Wenn man schon die von Mac Ewen erreichten Erfolge
o
mit Rücksicht auf die Schwierigkeit seines Verfahrens als glänzend
bezeichnen musste (auf 98 Fälle nur 1 Todesfall), so wurden sie
in einer bisher unerreichten Weise von jenen Bassini’s über-
troffen, der bei 216 Operationen der freien Leistenhernie 216
Heilungen erzielte. Diese Resultate lassen — abgesehen von der
vollendeten Technik — auf sehr günstige Wundverhältnisse seiner
Klinik schhessen; sie werden erreicht, aber kaum übertroffen
werden, es sei denn, dass jemand in der Lage ist, eine noch
grössere Zahl von Operationen ebenso gefahrlos auszuführen, als
dies Bassini beschieden war.
Aus diesen Betrachtungen geht hervor, dass wir in den
letzten Jahren bei der Radikal -Operation der freien Hernien so
glänzende, unmittelbare Erfolge erzielt haben, wie etwa bei den
Amputationen oder anderen einfachen Operationen, so dass ein
weiterer Fortschritt weder möglich noch notwendig ist, und wir
nur zu wünschen haben, es mögen diese günstigen Resultate auch
in den künftigen Decennien sich erhalten und zwar nicht bloss an der
Hand eines oder einiger Spezialisten, sondern auch an der Hand eines
jeden Praktikers! Alle unsere Bemühungen werden sich demnach
in Zukunft darauf koncentrieren müssen, auch die definitiven
Resultate günstiger zu gestalten, als dies bisher möglich war. Es
wird von allen zugegeben, dass wir in dieser Hinsicht vor manches
unüberwindliche Hindernis gestellt werden, die vor allem in der
Disposition der Individuen zur Hernienbildung zu suchen sind.
Zur Eadikaloperation des freien Leistenbruches.
601
und es ist wohl kaum zu erwarten, wenn auch anzustreben, dass
irgend jemand einmal bei einer grossen Reihe von Operationen,
welche der Zahl 100 sich nähert, auch 100 definitive Heilungen
wird aufweisen können. Dennoch lässt sich auch in dieser Hin-
sicht in der letzten Zeit eine erfreuliche Besserung wahrnehmen.
Je vollendeter die Technik nach der Czerny 'sehen Methode wurde,
um desto geringer wurde die Zahl der Recidiven. Zu Ende
der fOer und am Anfänge der 80 er Jahre sprach man noch
von öO'^/q (Braun, Andersen). Später giebt P. Berger auf Grund
einer auf grossen Zahlen beruhenden Berechnung an, dass die
Zahl der Recidiven noch 30% betrage, doch zeigen schon mehrere
in Deutschland gemachten Beobachtungen, dass die Zahl der
Recidiven zwischen 17% (R. Wolf, Czerny) und 25 7o (Schede)
schwankte. In neuester Zeit stehen die von Bassini gemachten
Wahrnehmungen, der auf 239 untersuchte Fälle bloss 7 Recidiven
(also nicht ganz 3°/o) beobachtete, unübertroffen da. Auch bei
meiner geringen Zahl von nachuntersuchten Kranken konnte ich
bisher nur in 5% der Fälle Recidiven wahrnehmen. Auch diese
Zahlen werden wir nach meiner Auffassung als die besten anzu-
sehen haben, welche unter allen Umständen zu erreichen sind, ja
es ist sogar möglich und wahrscheinlich, dass nach den Erfahrungen
Haidenthalers aus der Billrothschen Klinik die Zahl der Reci-
diven eine noch grössere sein wird, wenn man Gelegenlieit nehmen
wird, die operierten Fälle viele Jahre nach ausgeführter Operation
neuerdings zu untersuchen, und wir werden es schon als einen
grossen Fortschritt zu verzeichnen haben, wenn dann die Reci-
diven im allgemeinen die Zahl von 10®/o nicht übersteigen werden.
Nach den neueren Erfahrungen Eschers, welcher die Bassini’sche
Methode bereits übte, fanden sich auf 30 Fälle 3 Recidiven, also
ebenfalls 10 Oo. Was aber von allen Beobachtern hervorgehoben
wird, ist der sicherlich wichtige Umstand, dass die Art der Reci-
diven eine so wenig belastende und meist geringfügige ist, dass
dieselbe in keinem Verhältnisse zu den Beschwerden der ursprüng-
lichen Hernienbildung steht. Auch dürfte es höchst selten Vor-
kommen, dass solche Recidive-Hernien incarceriert werden.
Die Gründe, warum nicht alleHeilungen definitive bleiben können,
hat erst unlängst Wolter in einer gründlichen Weise erörtert.
In 1. Linie kommt in Betracht : die individuelle Disposition
zur Hernienbildung, die mit und durch die Operation noch nicht
erlischt, sowie der Umstand, dass nach der Operation manche an-
strengende Gewerbe z. B. Heben schwerer Lasten etc. nicht auf-
gegeben werden.
602
A. Wölfler.
2. Wird bei sehr weiten Bruehpforten , atrophischer Musku-
latur und ausgedehnten Fascien der verringerte Widerstand oft
auch nach der Operation nicht beseitigt.
3. Kommt noch der wichtige Umstand in Betracht, dass der
neben dem obliterierten Bruchsack befindliche Samenstrang nicht
vollkommen eliminiert werden kann.
Dass 4. die Art der operativen Technik von grosser Bedeu-
tung sei, wurde schon früher an verschiedenen Stellen hervor-
gehoben. Ob dagegen eine während der Heilung bestehende, ge-
ringe Eiterung die Recidive-Fähigkeit zu erhöhen im stände sei,
habe ich meinen eigenen Beobachtungen nicht entnehmen können,
ich glaube vielmehr, dass ein geringer Grad von Entzündung die
Widerstandskraft der Narbe erhöht. Auch Es eher hat die Er-
fahrung gemacht, dass sich die Zahl seiner Heilungen sowohl auf
die per primam intentionem, als die durch Eiterung geheilten
Fälle bezog.
5. Scheint auch nach meinen Erfahrungen die von So ein
hervorgehobene Thatsache, dass das Tragen des Bruchbandes die
Narbe zur Atrophie bringe und dadurch die Recidive-Fähigkeit
erhöhe, von Bedeutung zu sein.
In neuerer Zeit haben wohl viele Autoren darauf gedrungen,
dass von einem Tragen des Bruchbandes einige Monate nach der
Operation abzusehen sei, allein es wurde dennoch wieder von an-
derer Seite hervorgehoben , dass das Tragen des Bruchbandes
durchaus unschädlich, eher nützlich sei. Während Riedel zeigte,
dass von 54 Kranken, welche kontinuierlich ein Bruchband trugen,
88°/o recidivefrei blieben und von 20 Operierten, die kein Bruch-
band getragen haben, nur 55®/o recidivefrei blieben, zeigte An-
deregg, dass von jenen Operierten der Socin’schen Klinik, welche
kein Bruchband trugen, 24®/o Recidiven bekamen, während von
jenen, welche ein Bruchband trugen, 54 '^/o recidi vierten. Lucas-
Championniere hält ebenfalls den Druck der Pelotte auf die
Narbe nachteilig; derselbe scheint mir das Richtigste über das
Tragen des Bruchbandes gesagt zu haben: die Bruchbänder sollen
die Narbe bloss schützen und nicht drücken, deshalb erscheint es
am zweckmässigsten , das Bruchband bloss kurze Zeit nach der
Operation, solange die Narbe noch zart ist, tragen zu lassen und
es dann wegzulassen. Auch Mac Ewen lässt in den wenigsten
Fällen (Lauen st ein) und Bassini in keinem Falle nach der
Operation ein Bruchband tragen. Ich glaube, für uns alle sollten
diese günstigen ohne Bruchband erzielten Resultate genug mass-
gebend sein, um auf das spätere Tragen des Bruchbandes zu ver-
Zur Radikaloperation des freien Leistenbruches.
603
zichten. Ich hatte den meisten meiner Patienten ebenfalls den Rat
erteilt, in den ersten 2 bis 3 Monaten ein leicht federndes
Bruchband anzulegen und sodann dasselbe wegzulassen ; dieser Rat
wurde auch von mehreren ohne weiteren Schaden befolgt; bei
einem Kranken, der gegen meinen Rat ein sehr stark federndes
Bruchband beständig getragen hatte, hatte sich eine Recidive ein-
gestellt. Die Bauchdecken waren an Stelle des Bruchbandes fast
vollkommen atrophiert und es war bei diesem Kranken entschieden
ein durch das Tragen des Bruchbandes entstandener Nachteil nach-
zuweisen.
8iegmuntl (siehe bei Rothmund Seite 144), ein Gegner der Bruchopera-
tionen, machte übrigens schon vor einem halben Jahrhunderte auf die Gefahren
aufmerksam, welche für einen Operierten daraus entspringen, dass er ein Bruch
band trägt ; er hebt hervor, dass durch die Pelotte die exsudierten Massen leicht
zur Resorption gebracht werden können.
Vielleicht lässt sich eine weitere Verringerung der Recidiven
dann erwarten, wenn wir späterhin Fälle untersuchen werden können,
in welchen der Samenstrang aus dem Bruchkanal und der äusseren
Bruchpforte vollständig oder fast vollständig eliminiert ist. Man
gebe sich aber auch für diese Fälle keiner allzugrossen sanguini-
schen Hoffnung hin, denn wenn es auch dann bei solider und
widerstandsfähiger Narbe im Verlaufe des Leistenkanales und der
äusseren Bruchpforte gelingen wird, dass der Bruch nicht mehr
an der äusseren Bruchpforte Vordringen wird, so wird es sicherlich
dennoch wieder Fälle geben, in welchen die ganze Gegend der
Narbe entsprechend dem Verlaufe des Leistenkanales, mitunter
infolge individueller Disposition eine gewisse Vorwölbung er-
leiden wird.
Ich bin am Schlüsse meiner Betrachtungen; mögen sie den
Beweis erbracht haben, dass wir vieles auf dem Wege, den wir in
gemeinsamer internationaler Arbeit gegangen sind, erzielt haben,
dass aber noch manches erstrebt und verbessert werden muss, nicht
bloss durch Darstellung unserer im raschen Fortschritte ge-
wonnenen Erfolge, sondern auch durch Klarlegung der oft erst
nach Jahren zu Tage tretenden Uebelstände, Misserfolge und ihrer
wahrscheinlichen Ursachen.
Bericht über die an der Klinik Billroth
seit dem Jahre 1884 operierten Hydro-
celen
von
ür. Alfred Gleich,
Operateur der Klinik.
Die Behandlung der Hydrocelen hat durch die Einführung
der modernen Wundbehandlung insoferne eine Aenderung erfahren,
als sich die operative Methode mit dem Schnitte und partieller
Exstirpation der Tunica vaginahs immer mehr Bahn brach.
Die von Velpe au ersonnene Radikaloperation durch Punktion
und nachherige Injektion von Jodtinktur wurde von manchem
Chirurgen verworfen, weil nach ihr — wie Tillmanns sagt — Reci-
diven ziemlich häufig sind.
0. V. Weiss^) stellte im Jahre 1884 die Enderfolge der
Injektionsbehandlung an der Klinik Billroth zusammen, mit dem
Resultate, dass diese Methode 15,5 “/o Recidiven ergiebt.
Wenngleich der Prozentsatz etwas hoch erscheint, konnte
sich Prof. Billroth nicht entschliessen , von dieser Methode Ab-
stand zu nehmen, denn sie bietet folgende Vorteile: sie hilft in
den meisten Fällen, kann bei Recidiven leicht wiederholt werden,
erfordert dabei den kürzesten Spitalsaufenthalt und schadet nie.
Prof. Billroth vertritt demnach den Standpunkt, dass bei der
geringen funktionellen Störung, die das Uebel verursacht, diejenige
Behandlungsweise gewählt werden müsse, welche die kürzeste Er-
werbsunfähigkeit und die geringste Gefahr einer accidentellen Er-
krankung bietet.
b Wr. med. Wochenschrift 1 — 4 1884.
Bericlit üb. die an der Klin. Billroth seit dem Jahre 1884 operiert. Hydrocelen. 605
Seit Abschluss der von v. Weiss gegebenen Statistik kamen
bis Ende 1891 100 Patienten unter der Diagnose »Hydrocele«
zur klinischen Behandlung, darunter 1 Spermatocele , 6 Fälle von
Hydrocele testis et funiculi spermatici, 3 Hämatocelen, 2 vereiterte
Hydrocelen, 88 Hydrocelen der tunica vaginalis testis.
Die Hälfte der Patienten stand zwischen dem 30. und 60.
Lebensjahre, 29 waren jünger, die übrigen hatten das 60. Jahr
überschritten.
In 8 Fällen wurde die Erkrankung beiderseits beobachtet,
in 50 rechterseits, in 42 linkerseits, so dass ein Ueberwiegen des
Erkrankungsprozesses auf der rechten Seite resultiert, wie auch
V. W e iss beobachtet hatte, woran vielleicht der grössere mechanische
Insult dieser Seite durch die Bekleidung, respektive die gegen
Traumen etwas exponiertere Lage derselben Schuld trägt.
An ätiologischen Momenten konnte ausser den bekannten
(Traumen, Tripper und dergl.) nichts Neues gefunden werden; bei
einigen jugendlichen Individuen war das Leiden angeboren, bei
Männern jenseits der 30 er Jahre häufig ohne eruierbare Veran-
lassung entstanden, bei jungen vorwiegend traumatischen Ursprungs ;
13 mal war überstandene Gonorrhoe angegeben, doch betrug der
Zeitraum von der Infektion bis zum Vermerk der Hydrocele öfters
viele Jahre, in einem Falle 34 Jahre, so dass das »propter hoc«
nicht dm’chwegs annehmbar erscheint. Ein Patient gab an, dass
seine früher lange Zeit nur gänseeigrosse Hydrocele im Verlaufe
einer Gonorrhoe rasch zu Kindskopf grösse angewachsen war.
Wiederholte, bakteriologische Untersuchungen des centrifu-
gierten Hydroceleninhaltes ergaben keine Anhaltspunkte für die
Aetiologie des Leidens.
Von Kombinationen der Hydrocele mit anderen Abnormitäten
wären mehrere Fälle zu erwähnen, in welchen nebenbei eine
Hernie oder Varicocele bestand, sowie ein Fall mit Kryptorchismus
der anderen Seite.
Die Beschwerden der Patienten waren geringe: Gefühl der
Schwere bei grossen Hydrocelen, seltener Schmerzen, auch kleinerer,
bei der Arbeit; viele Patienten trieb wohl nur der Umstand zur
Operation, dass sie das Leiden als Ursache der sinkenden Potenz
betrachteten, junge Leute zumeist die Eitelkeit.
Als Operationsmethode stand fast auschliesslidi die Punktion
und nachfolgende Injektion einer Lösung von zwei Teilen Tinctura
jodi officinal. und einem Teile destillierten Wassers in Verwendung.
Die Injektionsflüssigkeit wurde nach 10 Minuten wieder entleert.
606
Alfred Gleich.
die Troicartwunde mit Jodoformgaze bedeckt und mit Heftpflaster
verschlossen.
In einem Falle wurde 10”/o Jodoformglycerinemulsion injiciert
und belassen, ein Verfahren, welches bekanntlich seit Jahren an der
Klinik Billroth bei kalten Abscessen, neuerdings auch für Ecchino-
coccensäcke mit gutem Erfolge in Verwendung steht. Auch dieser
Fall kam zur Heilung, es trat Schrumpfung des Sackes ein; der
Patient ist nunmehr seit zwei Jahren geheilt. — Einmal wurde
Tinct. jod. fort. (20 gr.) injiciert, worauf eine ziemlich starke Re-
aktion eintrat, welche dadurch leicht zu erklären ist, dass die In-
jektionsflüssigkeit nur teilweise entleert wm’de; auch dieser Fall
— er entspricht der von König beschriebenen Applikationsweise
der Jodtinktur — blieb ohne Recidiv.
In der Mehrzahl der Fälle war die Injektionsflüssigkeit mit
30 gr dosiert, bei Recidiven mit grösseren Höhlen wurde bis 60 gr
gestiegen, bei jungen Leuten und Kindern die Dosis auf wenige
Gramm herabgesetzt.
Die Injektion wurde jedoch in jenen Fällen unterlassen, in
denen die Punktionsflüssigkeit stark hämorrhagische Färbung
hatte, ferner wo bei der Punktion Flüssigkeitsaustritt ins Zell-
gewebe erfolgte, so dass angenommen werden konnte, die Troicart-
kanüle habe den Hydrocelensack verlassen.
Diesen leicht und ohne Narkose ausführbaren Eingriff ver-
tragen Männer in mittleren Jahren, ja auch Greise, gut, es stellen
sich meist nur geringe Schmerzen ein, unbedeutende Schwellung
des Scrotums. Die Patienten können nach 4 — 6 Tagen das Spital
verlassen und mit einem Suspensorium meist unbehindert ihrer
Arbeit nachgehen. Die Schrumpfung des Hydrocelensackes geht
langsam vor sich und ist oft erst nach einem Jahre abgeschlossen.
Eine Ausnahme in dem Verlaufe kommt dadurch zustande,
dass die Injektionsflüssigkeit mangelhaft oder gar nicht abläuft ;
es treten dann oft intensive Schmerzen, Schwellung, Rötung und
Oedem des Scrotums auf. Ebenso ruft ^''erstärkung der Dosis
über 30 gr bei Recidiven, oder bei gleichzeitiger Injektion von je
20 — 30 gr in beide Säcke bei bilateraler Hydrocele, stärkere Re-
aktionserscheinungen hervor. Bei Recidiven kann es auch bei
Ausfluss der Injektionsflüssigkeit wegen Starrheit der verdickten
Wandung leicht zu Lufteintritt in die Höhle, oder Entwicklung
von Joddämpfen in derselben kommen, ein unangenehmer Zufall,
welcher in zwei der Fälle die Ursache heftiger Schmerzen, beträcht-
licher Schwellung und einer Temperatursteigerung bis über 40^
wurde.
Bericht üb. die an der Klin. Billroth seit dem Jahre 1884 oi:>eriert. Hydrocelen. 607
Wesentlich anders gestaltet sich der Verlauf nach der an-
gegebenen Operationsmethode bei jugendlichen Individuen; die-
selben reagieren meist mit quälenden, ins Abdomen ausstrahlenden
Schmerzen, welche gewöhnlich, wie das sie begleitende Fieber, mehrere
Tage andauern; zudem gehören Schwellung und Rötung des Scro-
tums zu den constanten Folgen, Oft stellt sich auch Harnver-
haltung ein, welche freilich häufig durch das Eintauchen der Hand
in heisses Wasser — ein altes Volksmittel — behoben wird, oder
zum Katheterismus Anlass giebt. — Die Dauer der Spitalbehand-
lung ist in diesen Fällen 10—11 Tage,
Um über den Wert der geübten Operationsmethode Aufschluss
zu erhalten, wurden Erkundigungen nach dem Befinden aller Pa-
tienten eingeleitet. Nur von 52 trafen Nachrichten ein; ein kleiner
Teil stellte sich zur Untersuchung persönlich vor, ln 10 Fällen
war Recidive eingetreten und zwar bei einem 72jährigen Greise,
bei 4 Männern in mittleren Jahren, deren einer an Tuberkulose
litt und bei 5 jungen Leuten,
Beachtet man nun, dass von diesen Operierten nur 16 unter
30 Jahren waren, so stellt sich das Verhältnis der Recidive bei
Männern über 30 Jahren auf ^ji , bei jüngeren hingegen auf fast
Vs der Fälle,
V. Weiss hatte in seiner Statistik die Trennung nach dem
Alter nicht durchgeführt. Doch scheint dieselbe für die Wahl
der Therapie von Einfluss, umsomehr als die Erfolge der Incisions-
behandlung mit den geringen Recidiven (z, B, Volkmann von
163—1, Juillard 54—0, Bardeleben 46—2) zur selben ungemein
ermutigen.
Für Leute in mittlerem Alter stellt sich die Statistik der
letzten Jahre besser als der Durchschnittsprozentsatz, den v. W eiss
gefunden ; für diese Fälle hat die Injektionsmethode sich bewährt ;
es ist kein Grund, von ihr zu lassen.
Bei jugendlichen Individuen hingegen drängt sich der Gedanke
auf, der Incision den Vorzug zu geben, die bei Beherrschung der
Asepsis viel sicherer und in derselben Zeit zum Ziele führt. Den
gleichen Schluss müssten wir für Hydrocelen funiculi spermatici
ziehen , von welchen 6 in Behandlung waren , 2 recidivierten,
1 kam als Recidive in Behandlung , es war also nur die Hälfte
Heilungen erzielt. Doch auch für diese Fälle kann die Injektions-
methode beibehalten werden, um bei der Recidive dann der In-
cision das Feld zu räumen.
Vielleicht sind auch nach Incision die Recidiven bei jugend-
lichen Individuen mit meist angeborenen oder traumatischen Hydro-
608
Alfred Gleich.
celen nicht so selten. Die Reaktionserscheinungen der Injektions-
behandlung recidivierter Hydrocelen waren bei jungen Leuten nie
mehr stürmisch, falls nicht besondere Zufälle wie Steigerung der
Dosis, Flüssigkeitsverhaltung oder Lufteintritt selbe bedingten.
Fünf Fälle kamen zur Incision, zwei derselben waren Hämatocelen;
die eine erheischte die Incision, da wenige Tage nach der Punk-
tion und teilweiser Entleerung sich starke Entzündungserschei-
nungen einstellten , die andere wurde sofort nach der durch
Punktion sichergestellten Diagnose incidiert. Beidemale erforderte
die Heilung einen Spitalaufenthalt von über 20 Tagen. In zwei
weiteren Fällen musste wegen Eiterung im Hydrocelensacke nach
(auswärts) ausgeführten Punktionen die Incision gemacht werden.
— Ein Fall von Incisionsbehandlung (ohne vorherige Punktion),
infolge Zweifels in der Diagnose, ob es sich um einen Tumor oder
eine dickwandige Hydrocele handle, gehört noch hieher. Es war
eine der dickwandigen Hydrocelen, die nach Prof. Billroth’s Grund-
satz der Incisionsbehandlung zuzuführen sind. — Der Hydrocelen-
sack wurde verkleinert, die Innenwand mit Jodtinktur bepinselt,
drainiert und vernäht, die Hautwunde darüber vereinigt. Die Dauer
des Spitalaufenthaltes betrug 12 Tage.
Wenn es gestattet ist, aus dieser verhältnismässig geringen
Anzahl von Fällen Schlüsse über die Verwertbarkeit des ange-
führten Verfahrens zu ziehen, würden dieselben folgendermassen
zu formulieren sein:
1) Die Radikaloperation durch Punktion und Injektion von
Jodtinktur 2 : 1 für Hydrocelen ergiebt die besten Resultate bei
Männern in den mittleren Jahren, giebt jedoch bei jungen Leuten
wesentlich schlechtere Erfolge.
2) Hämatocelen, sowie selbstverständlich auch suppurative
Formen eignen sich für die Punktionsbehandlung nicht.
3) Bei zweifelhafter Diagnose und Verdacht auf Hodentumoren
ist das Verfahren auszuschliessen.
4) Recidiven bei starren verdickten Wandungen erheischen aus
dem Grunde eine andere Behandlungsweise, weil der Schrumpfungs-
prozess der Höhle nicht zu erwarten steht, die Folgeerscheinungen
manchmal ziemlich bedrohlich sind.
Die Misserfolge der Injektionsbehandlung gerade bei jungen
Leuten mögen es wohl gewesen sein, welche viele deutsche Chirurgen
(v. Bergmann, Bardeleben, v. Braman, Tillmanns) bewogen,
der von V olkmann ’schen Incisionsbehandlung denV orzug einzuräumen
und dieselbe, wie dies v, Bergmann that, auf Grund der Asepsis
Bericht üb. die an der Klin. Billroth seit dein Jahre 1884 operiert. Hydrocelen. 609
vollkommener auszubauen ; trotzdem verdient doch die Injektions-
methode nicht ganz verdrängt zu werden.
Kocher und König stimmen darin überein, dass ein Ver-
fahren, das ohne jeghche Gefahr, ohne Anwendung der Narkose
und ohne Aufbringung eines besonderen, antiseptischen Apparates
so viele Heilungen erzielt, als das Normal verfahren angenommen
werden müsse — eine Ansicht, welche Prof. Billroth stets ver-
treten hat.
lieber eine eigenartige symmetrische Er-
krankung der Thränen-undMundspeichel-
drüsen
von
Prof. Dr. Johann Mikulicz,
Direktor der chirurgischen Klinik in Breslau.
Mit Tafel IX und 5 Holzschnitten.
In der Sitzung vom 23. Januar 1888 stellte ich im Verein für
wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg einen Fall vor, der
ein eigentümliches, mir bis dahin unbekanntes Krankeitsbild dar-
bot. Beide Thränendrüsen und sämmtliche Mundspeicheldrüsen
waren in symmetrischer Weise zu Geschwülsten umgewandelt, die
sich aus dem normalen Lager dieser Organe stark hervordrängten
und dadurch das Gesicht des Kranken in auffallender Weise ent-
stellten. Die Geschwülste waren allmählich entstanden; sie waren
zur Zeit der Untersuchung von derber Konsistenz, schmerzlos,,
ohne Spur von entzündlichen Erscheinungen. Im übrigen waren
an dem Träger dieser Tumoren keine krankhaften Veränderungen
nachzuweisen.
Die Deutung dieses Krankheitsfalles setzte mich in die grösste
Verlegenheit, denn er passte nirgends in den Rahmen der bisher
bekannten und benannten Krankheiten. Auch fand ich in der
Litteratur nicht eine einzige der meinigen analoge Beobachtung
verzeichnet. Ich hatte die Hoffnung, dass mir der Zufall einen zweiten,
ähnhchen Fall in die Hände spielen und dadurch die Auffassung des
Krankheitsbildes erleichtern werde. Indessen scheint die betreffende
Affektion sehr selten zu sein, so dass ich diese Hoffnung wohl
aufgeben muss. Ueberdies sind in der Zwischenzeit von anderen
b Berliner klin. Wochenschrift 1888, 759.
Ueb. eineeigenartigesymmet.ErkrankuiigdcrThränen- u. ^MuiKlsjieiclieldrüsen. bl 1
Beobachtern mehrere Fälle mitgeteilt worden, die dem meinigen
entweder völhg gleichen oder doch so ähnlich sind, dass sie zur
Beurteilung des vorliegenden Krankheitsprozesses herangezogen
werden dürfen.
Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, meinen Fall
schon heute ausführlich mitzuteilen.
Krankengeschichte.
Der 42 jährige, verheiratete Eigenkäthner (kleiner Bauer)
Christof Kalweit aus Marien wähle in Ostpreussen hat vor 20 Jahren
eine Lungenentzündung durchgemacht; sonst will er stets gesund
gewesen sein. Vor 7 Monaten, im .Juni 1887, bemerkte er, dass
beide obere Augenlider zu schwellen begannen; er hatte dabei
weder Schmerzen noch sonstige Beschwerden, nur wurde mit zu-
nehmender Schwellung das Oeffnen der Lider erschwert. Später
verengte sich die Lidspalte derart, dass er im Sehen behindert
wurde. Bald darauf entwickelte sich unter beiden Kieferwinkeln
eine ebenfalls schmerzlose Geschwulst, die im weiteren Verlaufe
beim Essen und Sprechen hinderlich wurde. Ueber die Zeit der
Entwicklung der anderen Anschwellungen vermag Patient nichts
anzugeben, jedenfalls zeigten sie sich erst später. Nur die Beeinträch-
tigung im Gebrauch der Augen beunruhigte den Kranken und
führte ihn zu einem Arzte, der ihm eine innere Medizin ver-
schrieb. Als dies erfolglos blieb, suchte er in der chirurgischen
Klinik in Königsberg Hilfe.
Befund am 13. Januar 1888. Kräftig gebauter, gut ge-
nährter Mann von sonst gesundem Aussehen. In den inneren Or-
ganen keine Abweichungen nachweisbar. Insbesondere zeigen
Leber, Milz und Nieren keine Veränderungen; Urin eiweissfrei.
Pankreas nicht zu palpieren. Prostata nicht vergrössert. Nirgends
nachweisbare Lymphdrüsenschwellungen. Im Blut keine auffallen-
den Veränderungen, insbesondere keine Leukocythose. Sehnen- und
Hautreflexe normal. Temperatur und Puls normal.
In auffallender Weise erscheint das Gesicht durch symmetrische
Anschwellungen im Bereich der oberen Augenlider, der Parotis
und der Submaxillargegend verändert. (Siehe beistehende Ab-
bildung Fig. A.)
Die oberen Augenlider hängen, besonders in ihrer lateralen
Hälfte, so weit herunter, dass die Lidspalte auf einen schmalen,
dreieckigen Raum reduziert erscheint, dessen Basis die zwei inneren
Drittel des unteren Lidrandes bilden. Im äusseren Drittel berühren
sich die beiden Lidränder vollständig. Pat. vermag selbst unter
612
Johann Mikulicz.
die Puj3Ülen in den relativ weiteren medialen Teil der Lidspalte
eingestellt werden.
Die äusseren zwei Drittel der oberen Augenlider sind
ausserdem halbkugelig nach vorn und aussen gewölbt, so dass
hier die mittlere Lidfalte fast verstrichen erscheint. Bei der Palpation
findet man hier unter der Lidhaut einen kleinhöckerigen, derben
Tumor von quer ovaler Gestalt, der sich bis an den Orbitalrand
verfolgen lässt. Der Tumor selbst ist wenig beweglich, die leicht
ödematöse Lidhaut über demselben dagegen leicht verschiebbar.
starker Anstrengung das obere Lid nicht merklich höher zu heben.
Infolgedessen bleibt dauernd das grössere, obere äussere Segment
der Iris und Pupille vom oberen Lid verdeckt. Wohl infolge-
dessen hat sich ein Strabismus convergens entwickelt, durch welchen
Fig.
Ueb. eine eigenartige symmct. Erkrankung der Thräneai-n. Mundspeicheldrüsen. 613
Wird das obere Aug'enlid mit dem Finger stark in die Höhe ge-
zogen, so erscheint die äussere Hälfte der Uebergangsfalte durch
den beschriebenen Tumor so weit hervorgedrängt, dass sie bis nahe an
den Cornealrand reiclit. (Vergl. nebenstehende Abbildung Fig. B.)
Fig. B.
Conjunctiva selbst leicht gerötet und etwas verdickt. Die Bulbi
etwas nach innen und vorn dislociert, im übrigen keine krankhaften
Veränderungen an ihnen nachweisbar. Sehvermögen ungestört.
Die Parotisgegend beiderseits von einer flach gewölbten,
einheitlichen Geschwulst eingenommen, welche ihrem Sitze nach
genau der Lage der Ohrspeicheldrüse entspricht; sie dehnt sich
nach vorn bis in die Mitte der Wange aus, lässt sich in die Nische
zwischen Kieferast und Warzenfortsatz verfolgen und hebt das
Ohrläppchen deutlich ab. Konsistenz derb elastisch. Ihre Ober-
fläche ist scheinbar glatt, die Haut darüber wenig verschiebbar.
Unter jedem Kieferwinkel ragt eine circa hühnereigrosse,
von normaler, verschiebbarer Haut bedeckte Geschwulst hervor.
Sie ist etwas verschiebbar, von derber Konsistenz ; ihre Oberfläche
lässt stellenweise flache Höcker erkennen. Die beiden Tumoren
stossen in der Mittellinie fast zusammen.
Oefinet Pat. den Mund, so fallen zunächst zwei den Sub-
lingualdrüsen entsprechende Tumoren auf. Sie präsen-
tieren sich als zwei längliche Geschwülste, welche, in Form und
Grösse einer auf die Kante gestellten Mandel , den Boden der
Mundhöhle zu beiden Seiten des Frenulum linguae einnehmen.
(Siehe Fig. A a-a.) Sie reichen bis in die Höhe der Zahnkronen
und lagern sich so zwischen die Spitze der ruhenden Zunge und
• die Zahnreihe. Die Schleimhaut über den Tumoren leicht ge-
schwollen.
614
Jolumn Mikulicz.
Eine kolossale Vergrösserung weisen die Gaumendrüsen auf.
(Siehe Fig. 0.)
Fig. c.
Der Gaumen ist beiderseits bis über die Grenze des weichen
Gaumens hinaus von je einer fast kastaniengrossen, scharf be-
grenzten Geschwulst eingenommen. Beide Geschwülste reichen bis
an den Alveolarrand , lassen aber in der Mittellinie eine cm
breite, nach vorn allmählich breiter werdende Furche von normalem
Aussehen frei. Nach vorn reichen sie bis an den I. Prämolaris.
Die Oberfläche der Anschwellungen erscheint glatt, die Schleim-
haut darüber unverändert, die Konsistenz j)rall elastisch.
Unter der Wangenschleimhaut finden sich beiderseits vor
dem Ausführungsgange des Ductus Stenonianus etwa erbsengrosse,
bewegliche Knoten (accessorische Drüsen). Ausserdem liegen noch
weiter vorn, gegen das Vestibulum oris zu, mehrere bis erbsen-
grosse, bewegliche Knötchen unter der Wangenschleimhaut.
Während der Untersuchung findet reichlich Speichelabson-
derung statt, doch sind sonst keine Erscheinungen von Speichel-
fluss vorhanden. An der Mundschleimhaut keine auffällige Ver-
änderung. Mehrere Zähne fehlen, einzelne sind cariös.
Da nur die Anschwellung der Thränendrüsen dem Kranken
hinderlich war, wurde zunächst eine partielle Entfernung der-
selben, soweit sie das Oeffnen der Lidspalte erschwerten, vor-
Ueb. eine eigenartige symniet. Erkrankung der Tliränen- inMundspeicheldrüsen. 615
genommen (1. Februar 1888). Circa l^j-> cm langer, horizontaler
Schnitt in der Verlängerung der Lidspalte, Spaltung der Kon-
junktiva über dem am meisten vorspringenden Teil des Tumors.
Die Drüse wurde nun stumpf bis unter den Orbitalrand freiprä-
pariert und der entblösste Teil mit der Schere abgetragen. Naht
der Hautwunde. Es wurde auf jeder Seite eine etwa 2*/^ cm lange,
1 — IV2 cm im Durchmesser haltende Masse der Geschwulst, nach
meiner Schätzung ungefähr -/s des ganzen Tumors entfernt. Es folgte
glatte Heilung. Schon nach wenigen Tagen war der funktionelle Er-
folg ein so evidenter, dass Pat. befriedigt die Klinik verlassen konnte.
Die Besserung des Zustandes hielt jedoch nicht lange an.
Bald kamen die Geschwülste an den Augenlidern wieder zum Vor-
schein und verengerten die Lidspalten fast in demselben Masse als
vor der Operation. Auch vergrösserten sich die Tumoren an den
Kiefer winkeln zusehends. Aus diesem Grunde kam Pat. Ende
März abermals in die Klinik. Sämmtliche Tumoren schienen um
Geringes an Umfang zugenommen zu haben. Die Anschwellung
der Thränendrüsen hat fast den alten Umfang wieder erreicht. —
Es wird ein Versuch mit Pilokarpininjektionen gemacht, in der
Hoffnung, durch vermehrte Sekretion eine Volumsabnahme der
vergrösserten Drüsen zu erzielen. Trotz reichlicher Salivation ist
ein Erfolg nicht zu konstatieren ; deshalb wird nach 18 Tagen die
Kur abgebrochen und auf dringendes Verlangen des Kranken
abermals zum Messer gegriffen. Am 19. April wird unter gleicher
Schnittführung wie das erste Mal die ganze Thränendrüse rechter-
seits exstirpiert. Die letzten tief gelegenen Reste werden mit dem
scharfen Löffel hervorgeholt. Glatte Heilung. Am 1. Mai wird
in gleicher Weise die Thränendrüse entfernt. Gleichzeitig werden
auch beiderseits die vergrösserten Submaxillardrüsen exstirpiert.
Sie liegen ebenso locker, wie die normale Drüse, in ihrem Lager,
und lassen sich mühelos und unter geringfügiger Blutung aus-
schälen. Glatte Heilung per primam inteiitionem. Nach 10 Tagen
wird Pat. entlassen.
Ueber das weitere Schicksal des Kranken liegen nur brief-
liche Berichte vor. Am 12. Juli, also 2 Monate nach seiner Ent-
lassung, schrieb er mir selbst, er sei mit seinem Zustande sehr
zufrieden. Die Anschwellung der Ohrspeicheldrüsen scheine aller-
dings noch zuzunehmen, sie behindere ihn aber nicht. Er sei im
Gebrauche der Augen gar nicht behindert, obwohl er den ganzen
Tag in der Sonnenhitze auf dem Felde arbeiten müsse. Die An-
schwellungen am Halse (Submaxillardrüsen) seien nicht wieder ge-
kommen. Er fühle sich auch sonst ganz gesund.
616
Johann Mikulicz,
Am 25. Juli erkrankte er plötzlich unter den Erscheinungen
einer Peritonitis (Perityphlitis?), nachdem er noch Tags vorher
seiner Arbeit nachgegangen war. Er erlag der Krankheit am
9. Tage. Die Geschwülste in der Parotisgegend und im Munde
sollen sich während dieser Erkrankung binnen wenigen Tagen
rapid zurückgebildet haben, so dass sie vor dem Tode fast
verschwunden waren.
lieber die anatomische Untersuchung der exstirpierten
Teile kann ich folgendes berichten. Am meisten Beachtung ver-
dient die Untersuchung der Submaxillardrüsen, welche in toto ent-
fernt worden sind. Zunächst muss hervorgehoben werden, dass jede
der auf Kinderfaustgrösse angeschwollenen Drüsen in Bezug auf Form
und Gliederung in Lappen und Läppchen genau den Verhältnissen
der normalen Drüse entsprach. Die Totalansicht und der Quer-
schnitt des Tumors, auf Taf. IX Fig. 1 und 2 dargestellt, geben
ein treues Bild davon. Der Tumor zeigte in den gröberen makro-
skopischen Einzelheiten den normalen Bau der Drüse, nur in’s Mass-
lose vergrössert. Ein wesentlicher Unterschied fand sich jedoch
auf dem frischen Querschnitt schon für das blosse Auge in der
Farbe und im feineren Gefüge der die einzelnen Lä|3pchen bilden-
den Drüsenmasse. An Stelle des feinkörnigen, graurötlichen Gefüges
der normalen Drüsensubstanz sehen wir eine mehr homogene, blass-
rötlichgelbe, speckige Masse von leichter Transparenz. Die Konsi-
stenz ist vermindert, speckig. Die Zahl der Blutgefässe scheint
nur in den Septis, der Grössenzunahme des Organs entsprechend,
vermehrt zu sein ; die Drüsensubstanz selbst erscheint auffallend
gefässarm.
Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Hauptmasse
des Tumors aus einem ziemlich gleichmässig angeordneten Gewebe
kleiner Rundzellen bestand. (Siehe Tafel IX, Fig. 3.) Die Zellen
liegen stellenweise dichter beisammen ; an anderen Stellen ist
zwischen ihnen ein feines Retikulum zu erkennen. Vereinzelte,
grössere Zellen lassen deutlich Kernteilungsfiguren erkennen. In
diese kleinzelhge Hauptmasse eingebettet erscheinen, teils einzeln,
teils gruppenweise, die anscheinend unveränderten Acini der Speichel-
drüse. Sie sind durch das Rundzellengewebe gewissermassen aus-
einander gedrängt, auseinander geworfen.
Aehnliche Verhältnisse boten sich bei der mikroskopischen
Untersuchung der Thränendrüse dar; nur dass hier die Acini weit
seltener anzutreffen waren und, wie es scheint, in den am meisten
nach aussen gedrängten Partieen der Geschwulst ganz fehlten.
Ueb. eine eigenartige symmet.ErkrankungderTliränen- 11. Miiiidspeicheldrüsen. ^17
\ ersuchen wir den hescliriebenen Fall zu deuten, so stossen
wir auf mannigfache Schwierigkeiten. Der Krankheitsprozess stellt
sich klinisch als eine langsam entstehende, kolossale Vergrösserung
sämtlicher Speichel- und Thränendrüsen dar, ohne entzündliche
Erscheinungen, ohne nachweisbare Mitbeteiligung des Gesamt-
organismus. Der Prozess bleibt auf das Gebiet dieser Drüsen
scharf beschränkt, er zieht weder die Nachbarschaft, noch andere
Organe und Gewebe in Mitleidenschaft. Die mikroskopische Unter-
suchung ergiebt, dass das eigentliche Drüsenparenchym dabei eine
ganz passive Rolle spielt. Die Grössenzunahme ist lediglich durch
eine massenhafte, kleinzellige Infiltration des interstitiellen Binde-
gewebes bedingt.
Es ist klar, dass der mikroskopische Befund allein hier den
Prozess nicht erklären kann. Wäre eine einzige Drüse in der ge-
schilderten Weise verändert, so würden wir nicht anstehen, an eine
echte Geschwulst zu denken. Wissen wir doch, dass gerade in
den Speicheldrüsen, vom interstitiellen Bindegewebe ausgehend,
die mannigfachsten Geschwülste aus der Bindegewebsreihe, zumal
auch Rundzellensarkome, Vorkommen. Einem typischen Rundzellen-
sarkom entspricht aber hier schon der histologische Befund nicht ;
ausserdem widerspricht das makroskopische und noch mehr das
klinische Verhalten dem Bilde des echten Sarkoms. Ich meine die
strenge Respektierung der Grenzen der Drüse und ganz besonders
der grösseren und kleineren Septa zwischen den Drüsenläppchen.
Die histologische Beschaffenheit der kleinzelligen Infiltration ent-
spricht am ehesten dem Verhalten lymphadenoiden Gewebes.
Demnach könnte man histologisch an ein Lymphom oder Lympho-
sarkom denken ‘). Hiermit begeben wir uns aber auf einen un-
sicheren Boden, auf ein Gebiet, in welchem klinische Beobachtung
und histologische Forschung noch nicht völlig in Einklang gebracht
sind und auf welchem die Nomenclatur noch recht unklar und
zweideutig ist. Wir könnten zunächst an jene Formen von Ge-
schwülsten denken, welche primär von Lymphdrüsen oder von prä-
formiertem lymphadenoiden Gewebe ausgehen und als maligne
Lymphome (Pseudoleukaemie) bezeichnet werden. Heidenhain-)
hat im interstitiellen Bindegewebe der Speicheldrüsen, namentlich
in der Sublingualis lymphatisches Gewebe nachgewiesen ; gegen die
Annahme einer primären Lymphombildung in der Speicheldrüse
') Icli habe nach der ersten mikroskopischen üntersuchnng den Prozess
in der Tliat als Lymphosarkom aufgefasst und in diesem Sinne auch Herrn
Prof. Fuchs in Wien von dem Falle Mitteilung gemacht.
‘0 Studien des physiologischen Institutes zu Breslau 18dS, 4. Heft, S. 11(5.
618
Johann Mikulicz.
ist daher a priori nichts einzuwendeii. Das vollständige Fehlen
einer Mitbeteiligung der Lymphdrüsen und der Milz — wie sie
z. B. auch die sog. Pseudoleukämie der Haut begleitet — spricht
jedoch gegen den Charakter maligner Lymphome.
Aber auch die Annahme eines Lymphosarkoms, wie es ausser
den Lymphdrüsen gelegentlich im Hoden und in anderen Organen
vorkommt, ist nach meiner Meinung nicht zulässig. So weit mir
die Fälle dieser Art bekannt sind, handelt es sich immer um ma-
ligne Neubildungen, die früher oder später Metastasen machen.
Der klinische Verlauf entspricht dem des typischen Sarkoms. In
unserem Falle war der klinische Verlauf während der 14 monat-
lichen Beobachtung trotz des Recidivs von Seiten der Thränendrüsen
kein maligner; in den letzten Lebenstagen des Kranken bildeten
sich die nicht operierten Tumoren rapid zurück. Ueberlegen wir
ferner, dass das fast gleichzeitige Auftreten zahlreicher Erkrankungs-
herde an örtlich völlig getrennten Stellen unseren Erfahrungen
über bösartige Geschwülste direkt widerspricht, so müssen wir die
Annahme einer solchen in unserem Falle entschieden zurück-
weisen.
Das Resultat unserer Betrachtung ist somit ein rein negatives.
Ueber die Bedeutung des Prozesses kann ich nur Vermutungen
aussprechen. Bevor ich aber die Gedanken ausspreche, die ich
mir in der Richtung gemacht habe, möchte ich die Fälle anderer
Beobachter anführen, soweit sie zu dem meinigen in Beziehung
zu bringen sind.
Die meiste Aehnlichkeit mit meinem Falle hat ein vor kurzem
von Fuchs mitgeteilter, in welchem beiderseits die Thränen-
drüsen und Parotiden erkrankt waren. F erner ein vor 3 Jahren
mitgeteilter F all von Haltenhoff mit gleichzeitiger Anschwellung
der Thränendrüsen, der Parotiden und Submaxillar-
drüsen beider Seiten.
Der Fall von Fuchs ist folgender:
61 jähriger, kräftiger Mann, von Beruf Glaser. Er bemerkte vor 5 Monaten
eine Anschwellung der oberen Augenlider, vor 4 Wochen die Geschwulst in der
Parotisgegend. ’\’’orstellung in der Klinik des Prof. Fuchs in Wien im März 1890.
Die l^eiden oberen Augenlider in ihrer äusseren Hälfte durch eine Geschwulst vor-
getrieben, die im äusseren oberen Teil der Orl)ita lag. Der vordere Rand der
Geschwulst fühlte sich hart und höckerig an ; die Lider selbst waren darüber
verschieblich. Wurde das Lid stark in die Höhe gezogen, so erschien die Ueber-
') Gleichzeitige Erkrankung der Thränendrüseir und der Parotiden. Bei-
träge zur Augenheilkunde. Heft HI, 1891.
'0 Hyperplasie lymphatique des glandes lacrymales et salivaires. Annales
d’oculistique 1889.
619
Ueb. eine eigenartige syininet. Erkrankung der Thränen- u.^Iiindspeicheldrüsen.
gangsfalte in ihrer äusseren Hälfte dm’cli eine braunrote Geschwulst vorgewölbt.
Die Bulbi etwas vorgetrieben, im übrigen intakt. Sehvermögen ungestört. —
Anschwellung beider Ohrspeicheldrüsen ; sie stellte sich als eine abgeplattete
Geschwulst von 4 5 cm Durchmesser dar, die auf dem aufsteigenden Unterkiefer-
aste lag und sich so weit nach hinten erstreckte, dass das Ohrläppchen abgezogen
erschien. Konsistenz hart, Oberfläche leicht höckerig. Die- übrigen Speicheldrüsen,
sowie die Lymphdrüsen waren intakt, ebenso die Hoden. Innere Organe und
Blut normal. Syphilis nicht vorhanden.
Bat. bekam in täglich steigender Dosis Solutio arsenicalis Fowleri. Er
kam aber nur bis 14 Tropfen, weil er einen akuten Ausschlag bekam. Nach
2 Monaten war die Thränendrüsengeschwulst der rechten Seite deutlich verkleinert,
während sie auf der linken unverändert blieb. Auch die Parotisgeschwülste,
namentlich die rechte, waren erhelilich kleiner geworden. Ein zweiter l'ersuch
der Arsenikkur musste abermals abgebrochen werden, weil Pat. unter Schüttel-
frost einen Ausschlag bekam und abmagerte. Im Mai 1891, also 14 Monate nach
der ersten ^'orstellung, konstatierte Fuchs ungefähr denselben Befund wie das
erste Mal. Sämtliche Anschwellungen waren wieder ungefähr zur ursprünglichen
Grösse herangewachsen. Sie waren aber auch Jetzt indolent, hart, nirgends mit
der Umgebung verwachsen, so dass sie ganz frei beweglich erschienen. Das
Allgemeinbefinden war gut. — Bei der ersten Vorstellung des Kranken excidierte
Fuchs ein kleines Stückchen von demjenigen Teil der Thränendrüse, der sich am
meisten unter der oberen Uebergangsfalte hervordrängte. Bei der Untersuchung
dieses Stückchens fanden sich, in das kaum veränderte sulmmköse Gewelje der
oberen Uebergangsfalte eingebettet, grössere und kleinere Knoten, welche den
Bau von Lymphomen zeigten. Die meisten waren gegen das umgel)ende Gewebe
scharf abgegrenzt ; sie bestanden aus dicht godrilngten, einkernigen Zellen, deren
Kerne rund oder ein wenig oval, stark granuliert und mit den angewendeten
Färbemitteln intensiv gefärbt waren. An manchen Kernen erkannte man das
sehr spärliche, siegelringartig ahgeordnete Zelli)rotoplasma; an den meisten Kernen
Avar aber eine deutliche Protoplasmahülle nicht zu erkennen. Zwisclien den zelligen
Elementen befand sich kein deutliches Eeticulum, sondern eine fast homogene
ZAvischensul)stanz. Einzelne dünnwandige Blutgefässe fanden sich im Inneren
der Knoten : nirgends eine Spur von Zerfall, noch von epitheloi'den oder Kiesen-
zellen. Elemente der Drüse wurden nicht gefunden.
Die Krankengeschichte des Falles von Halten ho ff ist in
Kürze folgende.
12jähriges iMädehen, früher wegen phlyktenulärer Conjunctivitis in der
Augenklinik ])ehandelt. Vor 4 Monaten entwickelte sich allmählieh , ohne be-
kannte Ursache, ohne Fieber, ohne Beschwerden eine Anschwellung der oberen
Augenlider, vor den Ohren und unter den Kieferwinkeln, u. z. zuerst am rechten,
dann am linken Auge und dann an den anderen Stellen. Gut entwickeltes
Kind, von etAvas blassem Aussehen, sonst gesund. Symmetrische ^ orwölbung
der äusseren Hälfte der oberen Augenlider durch eine unter der Lidhaut sitzende,
unbeAA'egliche GescliAA'ulst ; keine Kötung, kein Oedem, keine Gefäss-Lktasieen.
Die Haut über dem Tumor verschiebbar; der Tumor selbst glatt, hart, völlig
schmerzlos; er entspricht der Lage nach der riiräncndrüse. V ird das obere
Augenlid umgestülpt, so erscheint die Lebergangsfalte durch einen lötlichen
Tumor hervorgedrängt. Conjunctiva am Bulbus im ül)rigcn intakt. Beide I aro-
tiden in ihrer ganzen Ausdehnung zu indolenten, fast bretthaiten Tumoien an-
620
Johann Mikulicz.
geschwollen, die dein Kinde ein, dem Bilde des ^luini^s ähnliches, Aussehen geben.
Auch die Snbmaxillardrüsen sind in symmetrische Geschwülste von ähnlicher
Beschaffenheit umgewandelt. An den iSuhlingnaldrüsen keine Veränderung nach-
Aveisbar. Keinerlei LymphdrüsenschAvelhingen. Innere Organe gesund. Mandeln
etwas vergrössert, die Pharynxschleimhant etwas gescliAVollen. Die Zähne intakt,
die Gingiva und Mundschleimhaut von normalem Aussehen. Nach Angabe der
INIutter soll das Kind öfter husten und sich schnäuzen; der Nasenschleim sei
öfter übelriechend. Zur Zeit besteht ein geringfügiges Eczem am Naseneingang.
— Speichel- und Thränenahsonderung nicht vermehrt. Hämoglobingehalt des
Blutes (nach GoAvers) 85 “/o. Her Patientin Avird ausser roborierender Diät und
Bewegung in frischer Luft Jodeisensyrup verordnet. Schon nach 14 Tagen ist
eine Vohunsabnahme an den Geschwülsten bemerkbar. Nach mehr als einem
Jahre Avar das IMäilchen A^on blühendem Aussehen. Die Submaxillardi’üsen sind
nicht mehr zu fühlen, dagegen erscheinen die Parotiden noch etAvas stärker als
normal. Die Thränendrüsen fühlt man gerade noch dicht am Orbitalrand.
Ich habe die zwei Fälle von Fuchs und Halten hoff aus-
führlicher wiedergegeben, weil sie für die Charakteristik des vor-
liegenden Krankheitsprozesses von Bedeutung sind. Wenn auch
im Fall von Halten hoff kein histologischer Befund vorliegt, so
stimmt er doch klinisch mit den anderen zweien so völlig überein,
dass wir annehmen dürfen, es handle sich in allen drei Fällen um
denselben Prozess. Der Fall von Haltenhoff ist insofern beson-
ders wichtig, weil hier innerhalb Jahresfrist die fast vollständige
Rückbildung der Geschwülste konstatiert wurde.
Ausser den angeführten finde ich noch zwei Fälle in der
Litteratur, die höchst wahrscheinlich auch hierher gehören ^). Den
einen Fall von R e y m o n d kenne ich nur nach einem Referat :
Bei einem 57jährigen Mann bestand seit 2 — 3 Jahren beiderseits
eine Anschwellung an den oberen Augenlidern, in der Parotis-
gegend und an den Achseldrüsen. Die Geschwulst der Orbita
wurde exstirj)iert ; die mikroskopische Untersuchung erwies lym-
phoides Gewebe, das an einzelnen Stellen Zeichen amyloider De-
generation erkennen liess. Der zweite Fall wurde als Sarkom der
Thränendrüsen im Jahre 1889 von Adler in der Gesellschaft der
Aerzte zu Wien vorgestellt ^).
Ich teile die Krankengeschichte im Auszug mit.
TO jähriger Maun, hat ausser Pueumonie und Dysenterie keine Krankheiten
durchgemacht, Avar auch nicht syphilitisch. Vor einem Jahre bemerkte er beider-
b Nachträglich teilt mir Herr Professor Fuchs mit, dass er in der letzten
Zeit noch ZAvei andere dem ersten analoge Fälle , nur leichterer Art beobachtet
habe. Die Anschwellungen nahmen nach Monaten unter Arsen-
gebrauch ab. Leukämie war in keinem der Fälle A'erbanden.
‘b Arch. d’ophthalmologie VI, 23.
Sitzung A'om 17. Mai 1889. Siehe Wiener klinische "Wochenschrift 1889,
S. 422.
Ueb. eine eigenartige symmet. ErkrankungderTliränen-u.iNIundspeicheldrüsen. 6^1
seits in der Gegend der Thränendrüse das Auftreten von Geschwülsten, die all-
mählich bis zur jetzigen Grösse wuchsen. Befund am 3. April 1889 : Am oberen
äusseren Rande beider Augenhöhlen ziemlich symmetrisch stehen circa 3b'2 cm lange,
16 mm breite Geschwülste; der rechtsseitigen sitzt noch ein erbsengrosser Höcker
auf. Der Rand der Geschwulst setzt sich mehr nach aussen und abwärts ins
Lid fort. Die Geschwülste sind knorpelhart, von höckeriger Oberfläche, nicht
schmerzhaft; sie lasseiv sich unter der Lidhaut, jedoch nicht gegen den Orbital-
rand verschieben und sitzen an der Orbitalwand fest. Die Lidspalten in allen
Dimensionen verengert, von Seckiger Form mit der Spitze nach oben. Im äusseren
Abschnitt des linken oberen Augenlides Ektropium. Beim Umstülpen des Ober-
lides bemerkt man, dass die Conjunctiva im Bereich der Uebergangsfalte degeneriert
und teils von Wucherungen in der Grösse von Trachomkörnern, teils von hahnen-
kammartigen Excrescenzen besetzt ist. Conjunctiva bulbi et tarsi normal. Seit
3 Monaten bemerkt Pat. ausserdem verschiedene Drüsenanschwellungen. Zur
Zeit sind zu harten Knollen angesclnvollen die Cervical-, Praeauricular- und Sub-
maxillardrüsen. Seit 6 Wochen Heiserkeit, seit 3 Wochen eine >Hervorragung<
am harten und weichen Gaumen. Im Rachenraume eine so bedeutende Schwellung,
dass die laryngoskopische Untersuchung unmöglich ist. Die Untersuchung eines
exstirpierten Teiles der Conjunctiva ergab ein »kleinzelliges Sarkom*. Es wurde
angenommen, dass ein primäres Sarkom der Thränendrüsen vorliege mit all-
gemeiner Sarkomatose. Aus diesem (-rrunde wurde von jedem operativen Eingrifl;'
abgesehen und eine Arsenkur eingeleitet (Tinct. Fowleri bis 10 Tropfen täglich).
Nach 6 Wochen trat eine sichtliche Besserung ein. Die Heiserkeit verschwand,
die Schwellung am Gaumen nahm ab, die Geschwülste der Thränendrüsen ver-
kleinerten sich zusehends, so dass sie nur mehr 2 cm lang und 11 mm breit
waren. Die mikroskopische Untersuchung eines abermals excidierten Stückchens
der erkrankten Conjunctiva bestätigte die frühere histologische Diagnose; es
wurde aber nun, mit Rücksicht auf den Erfolg der Arsenbehandlung, ein Lymi)ho-
sarkom resp. malignes Lymphom angenommen. Mitte September 1892, also fast
4 V'2 Jahre nach Beginn der Erkrankung, ist der Kranke einer brieflichen Mitteilung
des Herrn Primararzt Dr. Adler zufolge vollkommen geheilt. Er nimmt noch Arsen.
Die beiden Fälle von Reymond und Adler unterscheiden
sich von den früheren wesentlich durch die Mitbeteiligung der
Ly inphdrüsen. Es kann daher die Frage entstehen, ob diese
Fälle überhaupt hierher gehören; ein Zweifel in dieser Richtung
scheint um so eher berechtigt, als die Erkrankung der Speichel-
drüsen bei Reyinond und Adler ganz in den Hintergrund tritt.
Fuchs zweifelt überhaupt daran, dass iin Falle von Re3'inond
die Parotiden miterkrankt gewesen seien; er glaubt, dass die
Lymphdrüsen der Präauriculargegend einen Parotistumor vor-
getäuscht hätten. In dem Falle von Adler ward der Speichel-
drüsen gar nicht Erwähnung gethan; gleichwohl können mässige
Anschwellungen unter den intumescierten Präauricular- und Sub-
maxillardrüsen der Beobachtung entgangen sein. Ich möchte an
diese Möglichkeit denken, weil im Adler sehen Falle eine Gruppe
von Drüsen, die zum Typus der Speicheldrüsen gehören, sicher
(322
Joliann Mikulicz.
intumesciert waren. Ich meine die Gaumendrüsen. Die am
harten und weichen Gaumen bestehende »Hervorragung« kann
ich wenigstens nur so deuten; sie entspricht auch dem Verhalten
der Gaumendrüsen in meinem Falle.
Eine auffallende Aehnlichkeit mit den früheren haben die
zwei Fälle in Betreff der Erkrankung der Thränendrüsen. Der
klinische Verlauf, namentlich die Gutartigkeit des Prozesses, die
symmetrische Entwicklung stimmen völlig überein. Auch der
histologische Befund widerspricht nicht der Annahme eines gleich-
artigen Prozesses.
Die Erkrankung der Thränendrüsen ist in unseren Fällen
nicht nur die konstanteste Erscheinung; sie ist auch diejenige,
welche zuerst auftritt. Wir finden in den Krankengeschichten die
zweifellose Angabe, dass zuerst die Thränendrüsen anschwollen
und später erst in wechselnder Reihenfolge die anderen Anschwel-
lungen auftraten. Es scheint also, dass die Thränendrüsen den
ersten und vornehmlichsten Angriffspunkt des Krankheitserregers
abgeben. Es wäre daher a priori auch die Möglichkeit einer
isolierten Erkrankung der Thränendrüsen zuzugeben. Wir finden
nun in der Litteratur in der That mehrere Fälle von Erkrankung
der Thänendrüsen allein verzeichnet, welche nach meiner
Meinung hierherzuzählen sind. Ich sehe von den in den Lehr-
büchern häufig wiederkehrenden Angaben von »Hypertrophieen«
der Thränendrüsen ab ; ebenso von mehrfachen kasuistischen Mit-
teilungen, die nur eine unsichere Deutung zulassen. Von den mir
zugänglichen Fällen möchte ich nur drei anführen. Vor allem
den genau beobachteten Fall von Arnold und Becker^) aus dem
Jahre 1872.
33jähriger Müller, hereditär nicht belastet, bis zum 19. Lebensjahre gesund.
Im 20. Lebensjahre wurde er von einer Entzündung beider Augen befallen, die
er auf die Einwirkung des Staubes in der Mühle zurückführt. Die Augenentzündung
hielt bis zum heutigen Tage in wechselnder Intensität an und veranlasste ihn
wiederholt, ärztliche Hilfe zu suchen. Seit dem 30. Lebensjahr soll der Exophthal-
mus bestehen. 1. Februar 1871 Aufnahme in die Heidelberger Augenklinik.
Beide Augen waren stark aus der Orbita hervorgetrieben, ihre Achsen conver-
gierten nach unten, ihre Beweglichkeit jedoch nach keiner Seite ganz aufgehoben.
Das obere Augenlid war an beiden Augen stark ausgedehnt und konnte so gut
wie gar nicht gehoben werden. Conjunctiva in der ganzen Ausdehnung gleich-
mässig gerötet, stark secernierend ; am unteren Rande der rechten Cornea Ge-
fässentwicklung. Starke Lichtscheu. Beträchtliche spontane Schmerzen waren
nicht vorhanden. Als Grund des Exophthalmus liess sich in beiden Augenhöhlen
eine im oberen äusseren Winkel derselben gelegene, rundliche, mehr als tauben-
Doppelseitiges, symmetrisch gelegenes, Lymphadenom der Orbita, Gräfe’s
Archiv. XVIII, 2. Abt. 56.
U eb. eine eigenartige symmet. Erkrankung<lerTbranen-u.^Iundspeicheldrüsen. 623
eigrosse, derbe, nicht pulsierende und bei Druck nicht schmerzhafte Geschwulst
mit glatter Oberfläche erkennen. Die Geschwulst hinter dem rechten Auge W'ar
beträchtlich gi’össer als die linke. Ein Zusammenhang mit dem Bulbus bestand
nicht. — Es wurde eine Hypertrophie der Thränendrüsen angenommen und die
Exstirpation beider Tumoren durch einen parallel mit dem oberen Orbitalrande
geführten Schnitt ausgeführt. Anfangs Juni 1872 haben beide Bulbi normale
Lage und Beweglichkeit. Der Tumor ist nicht recidiviert. Die Conjunctiva an
beiden Augen ist sammetartig aufgelockert und leicht injiciert, die Conjunctiva
bulbi netzförmig injiciert. Keine Spur von Trachomkörnern. Vermehrte Sekretion.
Sehschärfe nornial. — Am i). November 1872, also P/4 Jahre nach der Operation,
sind die Tumoren nicht recidiviert.
Die von Prof. Arnold vorgenommene Untersuchung ergiebt,
dass sich der Tumor im wesentlichen aus lymphatischem Ge-
webe zusammensetzt. Dichte Anhäufungen lymphoider Elemente,
welche in ein zartes Reticulum eingebettet und gegen die Nach-
barschaft scharf abgegrenzt erscheinen, ahmen vollständig den
Typus von Lymphfollikeln nach. Sie liegen in einem mehr gleich-
artig angeordneten, diffusen lymphatischen Gewebe. Stellenweise
finden sich stärkere Bindegewebszüge. Arnold nimmt keinen
Anstand, die Geschwülste als eingentliche Lymphadenome, d. i.
Neubildung lymphatischen Gewebes, zu deuten. In Bezug auf den
Ausgangspunkt derselben spricht er nur Vermutungen aus. Zur
Annahme einer echten Heteroplosie, der Entwicklung lymphatischen
Gewebes aus dem Bindegewebe der Orbita, kann er sich nur schwer
entschliessen. Viel wahrscheinhcher erscheint es ihm, dass an
der betreffenden Stelle im Bindegewebe der Orbita normalerweise
oder bei einzelnen Individuen präformiertes, lymphatisches Gewebe
liege, das hier den Ausgangspunkt der Geschwulst abgegeben
habe. Dies sei aber nur Hypothese, da der thatsächliche Nach-
weis eines derartigen präformierten Gewebes zur Zeit fehle.
Nur sehr spärliche Aufzeichnungen konnte ich leider über
die anderen zwei Fälle finden. Der eine wurde mit wenigen
Zeilen von Korn^) im Jahre 1869 mitgeteilt, und zwar unter
Bezugnahme auf einen von Horner publicierten Fall von beider-
seitiger, akuter Thränendrüsenentzündung. Der Fall betrifft eine
Cigarrenarbeiterin, die seit 4 Monaten an einer Anschwellung der
Thränendrüsen litt. Aus der der Mitteilung beigegebenen Abbil-
dung geht hervor, dass es sich um eine symmetrische, in der
Thränendrüsengegend gelegene Geschwulst handelte, welche genau
so, wie in den anderen Fällen, die äussere Hälfte der Uebergangs-
falte weit nach unten drängte.
Den anderen Fall von Power-) kenne ich nur aus Referaten.
1) Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 18fi8. VII, 181.
Transaction of the ophthahn. 1887, p. 109.
624
Johann Mikulicz.
Ein 14jähriger, im übrigen gesunder Knabe litt seit einem halben
Jahre an einer Anschwellung beider Thränendrüsen, Nachdem
Medikamente erfolglos blieben, wurde die linke Thränendrüse ex-
stirpiert. Die mikroskopische Untersuchung ergab eine Hyper-
trophie des interstitiellen Gewebes, während sich an der Drüsen-
substanz keine auffälhgen Veränderungen fanden.
Die mangelhaften Daten über die zwei zuletzt angeführten Fälle
gestatten sicher nicht, dieselben ohne Weiteres mit dem Beck er-
sehen in eine Parallele zu stellen und damit unseren früheren
Fällen anzureihen. Immerhin gehören sie insofern hierher, als es
sich um eine chronische, symmetrisch auftretende Geschwulstbil-
dung im Bereich der Thränendrüsen mit gutartigem Charakter
handelt. Dagegen stehe ich nicht an, den Becker 'sehen Fall
trotz der isolierten Erkrankung der Thränendrüsen den früheren
direkt an die Seite zu stellen.
Während wir demnach Beobachtungen über eine isolierte
Erkrankung der Thränendrüsen nach dem beschriebenen Typus
verzeichnet finden, suchen wir vergebens nach ähnlichen Beob-
achtungen, die sich auf die Speicheldrüsen allein unter Ausschluss
der Thränendrüsen beziehen. Weder in den Lehrbüchern, noch
in den einschlägigen Monographieen finden wir diese Affektion
angedeutet. Die grundlegende Arbeit von Billroth^) über die
Speicheldrüsengeschwülste, die spätere ausgezeichnete Arbeit von
Kaufmann-) über die Parotis-Sarkome und eine jüngst erschienene
Arbeit von Nasse^) enthalten keine einzige Beobachtung, welche
hieher zu beziehen wäre. Es muss auch auffallen, dass mit Aus-
nahme meines Falles alle hier angeführten Beobachtungen von
Ophthalmologen herrühren.
Ich möchte es nicht unterlassen, hier auch noch einige andere
Beobachtungen anzuführen, welche sich auf die gleichzeitigen Er-
krankungen der Thränen- und Speicheldrüsen resp. Lymphdrüsen
beziehen, aber ausser dieser einen Aehnlichkeit mit unseren Fällen
wenig gemein haben. Zunächst ein von Gordon Norrie^) mit-
geteilter Fall von akuter Entzündung beider Thränendrüsen
im Gefolge einer epidemischen Parotitis bei einem 11jährigen
Mädchen, den der Autor wohl mit Recht als echten Mumps der
P Beobachtungen über Geschwülste der Speicheldrüsen. Virchow’s Archiv
XVII, 357.
Das Parotis-Sarkom. Arch. f. klin. Chir. XXVI, 672.
Die Geschwülste der Speicheldrüsen und verwandte Tumoren des Kopfes.
Arch. f. klin. Chir. XXXXIV, 233.
h Centralblatt f. Augenheilk. 1890, 223.
Ueb. eine eigenartige synimet. Erkrankung der Thränen.u.]\lundspeiclieldrüsen. 625
Thräneiidrüse auffasst. Dann berichtet Galezowski’) über einen
b all von akuter Entzündung der Thränendrüsen , welchen er bei
einer 40jährigeh Frau beobachtete; die Erkrankung war von einer
Schwellung der Präauricular- und Submaxillar-Lymphdrüsen be-
gleitet. Ferner teilt Scheffels^) einen Fall von doppelseitiger,
nicht eitriger, fieberlos verlaufender Dakryoadenitis mit. Die Affektion
war nicht schmerzhaft. Gleichzeitig waren auch die submaxillaren
Speichel- und Lymphdrüsen zu kinderfaustgrossen Tumoren an-
geschwollen ; ausserdem fanden sich noch anderwärts Lymph-
drüsensch Wellungen und eine Vergrösserung der Milz. Parotis
und Präauriculardrüsen waren unverändert. Binnen 13 Tagen
gingen die Anschwellungen nach Jodkaliumgebrauch zurück.
Einen Fall von akuter, indolenter und ohne Fieber verlaufender
Anschwellung beider Thränendrüsen teilt auch Horner®) mit.
Auch hier ging nach Jodkaliumgebrauch bmnen 3 Wochen die
Anschwellung zurück. Doch fehlten begleitende Erscheinungen
von seiten der Speichel- und Lymphdrüsen.
Von chronischen Prozessen , welche mit der uns beschäf-
tigenden Affektion eine gewisse Aehnlichkeit haben, kommen
meines Wissens nur die leukämische Anschwellung und die
Tuberkulose der Thränendrüse in Begleitung der gleichnamigen
Affektion der Lymphdrüsen vor.
Einen Fall von Leukämie dieser Art hat Gallasch ■*) be-
schrieben. Er betrifft ein 4^2 jähriges Mädchen, das an typischer
Leukämie litt und diesem Leiden auch erlag. Ausser der An-
schwellung der Milz, Leber und der Lymphdrüsen verschiedener
Regionen waren auch die Thränendrüsen, die Parotiden und die
Sublingualdrüsen intumesciert. Gallasch fand die Thränendrüsen
in gleicher Weise wie die anderen erkrankten, drüsigen Organe
in einem leukämischen Tumor aufgegangen.
Fälle dieser Art scheinen sehr selten zu sein, wenigstens finde
ich keine anderweitige Beobachtung in der Litteratur. Gewiss
ebenso selten dürfte eine tuberkulöse Infiltration der Thränen-
drüsen sein. Ich habe einen charakteristischen Fall dieser Art
in Königsberg beobachtet. Die Erkrankung beider Thränen-
drüsen schloss sich an die Entwicklung zahlreicher tu-
berkulöser Lymphome der Parotis- und Submaxillar-
Recueil d’ophthalmologie 1886, 415.
2) Centralbl. f. Augenheilk. 1890, 136.
Klinische Moiiatsblätter 1866, I\ , 25 <.
♦) Beiderseitige leukämische Intiltration der Thränendrüse. Jahrb. für
Kinderheilkunde. 1874, VII 1, Seite 82.
40
626
Joliann ]\Iikulicz.
gegend an. Ich teile den Fall seiner Seltenheit wegen ausführ-
lich mit.
Eduard Stein, 20 Jahre alt, Müller aus Eogelmen in Ostpreussen. Der
Vater ist lungenleidend, die Mutter und 3 Brüder gesund. Der bis dahin stets
gesunde, junge Mann bemerkte vor einem Jahre das Auftreten eines etwa hasel-
nussgrossen Knotens unter dem Kinn. Bald kamen neue Knoten in der Nach-
barschaft hinzu ; sie wuchsen innerhalb weniger Wochen verhältnismässig rasch,
nahmen aber dann nur ganz unmerklich an Umfang zu. So entwickelten sich
im V^erlaufe von 8 — 10 Monaten nach und nach die jetzt vorhandenen An-
schwellungen am Gesicht und Hals. Erst vor 4 Wochen bemerkte Pat. die Ent-
wicklung der Geschwulst im linken oberen Augenlid. Beschwerden hatte er nie
Fig. D.
davon. — Seit einiger Zeit leidet er an Husten. — Befund am 2. Mai 1889.
Kräftig gebauter, gut genährter 3Iann von sonst gesundem Aussehen. Beide
Submaxillarregionen sind von zusammenhängenden Paketen höhnen- bis über
haselnussgrosser Drüsen eingenommen. (Siehe heistehende Figur D.) Die einzelnen
Ueb. eine eigenartige syiniiiet. Erkrankung dev Thränen-u.Mulidspeicheldrüsen. ^27
Drüsen sind glatt, von derber Konsistenz ; sie lassen sich sowohl gegen einander,
als auch in toto auf der Unterlage in massigen Grenzen verschieben. Die Haut
darüber unverändert, verschiebbar. Das linksseitige Drüsenpaket ist umfang-
reicher als das rechte und geht ohne Unterbrechung in eine zweite Gruppe teils
zusammenhängender, teils isolierter Drüsen in der Masseter- und Parotisgegend
über. Die höhnen- bis kirschgrossen Drüsen reichen bis an den Processus
zygomaticus und liegen vorwiegend auf der Fascia parotideo-masseterica. Die
Praeauriculardrüsen sind auf Bohnengrösse geschwollen. Eine kleinere Gruppe
von Drüsen ündet sich in der rechten Parotisgegend. Ein weiterer, zusammen-
hängender Zug von ebenso grossen Drüsen geht längs des vorderen und hinteren
Randes des Kopfnickers der linken Seite bis an die Clavicula herunter. Die ein-
zelnen Drüsen haben hier überall dieselbe Beschaffenheit, wie die zuerst be-
schriebenen. Ferner finden sich in mässigem Grade geschwollen und verhärtet
die Submental-, Cervical-, Axillar-, Cubital- und Inguinakh'üsen. —
Die äusseren 2 Drittel des lixiken oberen Augenlides sind stark vorgewölbt
und verbreitert. Dem entsprechend erscheint der betreffende Abschnitt des Lid-
randes tiefer gestellt, die Lidsjialte verengex't. Der tastende Finger findet unter
der sonst unveränderten Lidhaut eine circa 2 cm lange, walzenförmige Geschwulst
von glatter Oberfläche und prall elastischer Konsistenz. Die Geschwulst lässt
sich allenthalben bis an den Orbitalrand verfolgen und scheint der oberen Orbital-
wand fest aufzusitzen. An Conjunctiva und Bulbus keine nachweisbaren Ver-
änderungen. Durch Palpation kann man auch au der analogen Stelle des rechten
oberen Orbitalrandes eine flache, derbe, der Orbitalwand aufsitzende Geschwulst
nachweisen, die mit ihrer vorderen Kante gerade den Orbitalrand erreicht. —
Milzdämpfung etwas vergrössert, doch ist die Milz nicht zu tasten. Im ül)rigen
in den inneren Organen keine nachweisbaren Veränderungen. Keine Vermehrung
der Leukocyten. —
Es wird zunächst in der Annahme, dass maligne Lymphome vorliegen,
ein Versuch mit der Arseniktherapie (innerlich) gemacht. Da Pat. trotz ganz
allmählicher Steigerung grössere Dosen nicht verträgt, wird seinem Wunsche ge-
mäss nur die Geschwulst am linken Auge entfei'nt. 1 cm langer Horizontal-
schnitt in der Verlängerung der Lidspalte, Durchtreimung der Conjunctiva über
dem Tumor, Ausschälung der ganzen Thränendrüse mit Pincette und Schere.
Naht bis auf den äussersten Wundwinkel, durch welchen ein schmaler Jodoformgaze-
streifen in die ’Wundhöhle gelegt wird. Heilung unter geringfügiger Eiterung. —
Die Hauptmasse der wohl auf das 10 fache vergrösserten Thränendrüse
besteht aus Granulationsgewebe; in diesen finden sich zahlreich typische
Tuberkel mit L a n g h a n s’s c h e n R i e s e n z e 1 1 e n.
Vielleicht ist auch ein von Frost i) mitgeteilter Fall als
Tuberkulose der Thränendrüse aufzufassen. Die Anschwellung
derselben war im Verlaufe von 9 ^lonaten zu Stande gekommen.
Die mikroskopische Untersuchung der exstirpierten Drüse ergab,
dass die Geschwulst im wesentlichen aus einem granulationsähn-
lichen, kleinzelligen Gewebe bestand, das die eigentliche Drüsensub-
stanz grösstenteils zum Schwund gebracht hatte. An einzelnen Stellen
fanden sich regressive Veränderungen, an zwei Stellen Verkäsung.
b Transaction of the ophthahn. 1887, 109.
628
Johann IMikulicz.
Die zuletzt angefülirteii Fälle von akuten und chronisclien
Erkrankungen der Thränendrüsen sind für uns deshalb wichtig,
weil sie darthun, dass 1) eine beiderseitige Beteiligung der Thränen-
drüsen bei verschiedenartigen Affektionen vorkommt, somit für
die uns interessierende Krankheit allein nicht charakteristisch ist,
2) dass auch bei anderen akuten und chronischen Erkrankungen
eine gewisse Wechselbeziehung sowohl zwischen Thränen- und
Speicheldrüsen, als auch zwischen den Thränen- und den benach-
barten Lymphdrüsen besteht. Wodurch diese Wechselbeziehungen
begründet sind, darüber kann man nur Vermutungen aussprechen.
Vielleicht sind sie dadurch gegeben, dass sowohl in der Thränendrüse
als auch in der Speicheldrüse, d. i. in dem sie umgebenden und
durchsetzenden Bindegewebe, normalerweise kleinste, lymphatische
Elemente Vorkommen. Damit ist die Bildung pathologischen,
lymphoiden Gewebes in diesen Organen einfach erklärt; ebenso
die gelegentlich vorkommende Beteiligung dieser Drüsen bei
Leukämie und Tuberkulose der Lymphdrüsen. Mir scheint aber
mit dieser Annahme für die uns beschäftigende Krankheit noch
nicht Alles erklärt.
Kehren wir zu den zuerst beschriebenen Fällen zurück, so
müssen wir daran festhalten, dass es sich um eine chronisch ver-
laufende Erkrankung handelt, welche — soweit die bisherigen
Beobachtungen lehren, — in den Thränendrüsen ihren Anfang
nimmt und unter Umständen auf diese allein beschränkt bleibt.
Die weitere Verbreitung des Prozesses erfolgt vorwiegend auf die
Speicheldrüsen ; die Beteiligung der Lymphdrüsen ist nur in
den Fällen von Reymond und Adler beobachtet worden, falls
wir diese Fälle überhaupt hierher rechnen. Nun gebe ich gern zu,
dass die histologische Beschaffenheit der Intumescenzen und bis
zu einem gewissen Grade auch der klinische Verlauf zu einem
Vergleich mit den echten malignen Lymphomen nötigt ; besonders
auch der Umstand, dass in einzelnen Fällen nach Arsengebrauch
ein zweifelloser Rückgang der Anschwellungen beobachtet worden
ist. Es bestehen aber doch wesentliche Unterschiede zwischen den
zwei Prozessen. Vor allem ist bisher in keinem der Fälle ein maligner
Verlauf konstatiert worden. Wenn auch in dem Falle von Adler
lange Zeit hindurch Arsen genommen wurde und somit der gutartige
Verlauf auf das Medikament bezogen werden könnte, so wurde in
meinem und dem F alle von Becker gar keine medikamentöse Be-
handlung eingeleitet, im Falle von Halten hoff wurde nur Jodeisen-
syrup verordnet und im Falle von Fuchs musste die 2 mal eingeleitete
Arsentherapie nach kurzer Zeit abgebrochen werden. Trotzdem
Ueb. eine eigenartige symmet. ErkranknngderThränen-u.Mundspeicheldrüsen.
629
trat im Falle von Halten hoff vollständige Heilung ein, im Falle
von Fuchs keine Progredienz des Prozesses, in meinem und dem
von Becker nach der vollständigen Exsthpation kein Recidiv.
Es ist mir nicht bekannt, dass maligne Lymphome auf Jodeisen
so prompt reagieren; auch recidivieren nach meiner Erfahrung
maligne Lymphome nach der Operation in kurzer Zeit.
Nach meiner Ueberzeugung handelt es sich hier um einen
infektiösen oder parasitären Prozess im weitesten
Sinne des Wortes. Man ist ja heute vielfach geneigt, auch in
der Leukämie und Pseudoleukämie (maligne Lymphome) eine
parasitäre Krankheit zu suchen; eine ähnliche Auffassung dürfte
für unseren Krankheitsprozess ebenso berechtigt sein. Bei
der Frage, ob wir uns den Krankheitserreger als einen hämato-
genen oder einen von aussen in die Drüse eindringenden zu denken
haben, möchte ich mich für die letztere Annahme aussprechen*).
Dafür spricht die Lokalisierung der Krankheit auf die Drüsen der
Gesichtsregion, sowie das Fehlen einer Miterkrankung des ganzen
Organismus. Die Verbreitung des Prozesses auf scheinbar völhg
getrennte Organe spricht nicht dagegen, wenn wir uns vorstellen,
dass als Eingangspforten für den Krankheitserreger die Ausmün-
dungskanäle der Thränen- und Speicheldrüsen in den Conjunctival-
sack und die Mundhöhle dienen und dass der Conjunctivalsack
durch Vermittlung des Thränennasenkanals und der Nasenrachen-
schleimhaut mit der Mundschleimhaut ein Continuum bildet. Die
Beobachtung, dass zuerst die Thränendrüsen und dann erst die
tiefer gelegenen Speicheldrüsen erkranken, Hesse sich dann so er-
klären, dass der Conjunctivalsack die eigentliche Eingangspforte
abgiebt, während die Mundhöhle erst sekundär von hier aus infi-
ziert wird. Die Miterkrankung von Lymphdrüsen wäre dann auf
dem Wege der Lymphbahnen nicht schwer zu erklären. Tn den
Thränen- und Speicheldrüsen hätten wir uns den Prozess als einen
ascendierenden nach Analogie der Entzündungsvorgänge in der
Mamma, den Nieren, den Speicheldrüsen vorzustellen. Dem ent-
sprechend müssten sich im ersten Anfang vielleicht auch krank-
hafte Veränderungen in der Conjunctival- und Mundschleimhaut
finden, die durch denselben Krankheitserreger bedingt sind. Wenn
wir von diesem Gesichtspunkte aus die mitgeteilten Kranken-
geschichten durchsehen, so finden wir mehrere Angaben, dass die
betreffenden Schleimhautal)schnitte erkrankt waren, so in meinem
1) Vielleicht werden in künftigen Fällen die neuen Färhungsinethoden von
Ehrlich, Biondi und Heidenhain sowohl über den Charakter der Geschwülste
als auch über etwaige Veränderungen im Blut Aufschluss geben.
630
Johann Mikulicz.
Falle und in den Fällen von Becker und Adler die Conjunctiva,
im Fall von Haltenhoff die Nasen- und Rachenschleimhaut.
Gegen die Auffassung eines ascendierenden Prozesses Hesse
sich einwenden, dass dann vorwiegend das eigentliche Drüsen-
gewebe und nicht das interstitielle Gewebe beteiligt sein müsste.
Wir wissen aber, dass das Drüsengewebe der Speicheldrüsen bei
den verschiedenartigsten Prozessen, sowohl bei Neubildungen als
auch bei entzündlichen Veränderungen sich in der Regel ganz
passiv verhält oder erst sekundär in Mitleidenschaft gezogen whd.
Sehr lehrreich ist für unsere Frage eine Arbeit von A. Hanau ^).
Dieser Forscher weist zunächst nach, dass die eitrige Parotitis auch
bei akuten Infektionskrankheiten nicht hämatogenen Ursprungs ist,
sondern als ascendierender Prozess aufzufassen ist, der sich von der
Schleimhaut der Mundhöhle den Ausführungsgang entlang in die
Drüse fortsetzt. Interessant ist es nun, dass die Entzündungs-
erreger bald die Wand des Ausführungskanals durchdringen, die
Bahn des Ganglumens gewissermassen auf halbem Wege verlassen
und nun im lymphgefässhaltigen, den Kanal umgebenden Binde-
gewebe in das interstitielle Gewebe der Drüse Vordringen. Die
Drüsenacini selbst sind am Prozess relativ wenig beteiligt. —
Doch genug der Hypothesen. Ich weiss wohl, dass den von
mir ausgesprochenen Anschauungen sich leicht mit mannigfachen
Argumenten begegnen lässt. Es wäre vielleicht einfacher und be-
quemer gewesen, sich auf die Mitteilung der Thatsachen zu be-
schränken. Wenn ich darüber hinausgegangen bin, so habe ich
es nur in der Absicht gethan, die Gesichtspunkte anzudeuten,
welche bei der Beobachtung künftiger Fälle ins Auge zu fassen
sind. Hoffentlich gelingt es künftigen Beobachtern, die Rätsel zu
lösen, die uns diese merkwürdige Krankheit stellt. —
b lieber die Entstehung der eitrigen Entzündung der Speicheldrüsen.
Beiträge zur path. Anat. von Ziegler und Nauwerck 1889. , 487.
Die Arbeiten der Klinik Billroth
in den Jahren 1867 — 1892.
Zusammengestellt
von
Dr. Guido von Török
in Wien.
Ausgehend von dem Wunsche in vorliegender Zusammen-
stellung ein möglichst getreues Bild über die Arbeiten der
»Klinik Billroth« in den Jahren 1867 bis 1892 zu liefern, er-
scheinen in den folgenden Tabellen sämmtliche Arbeiten Hofrath
Billroth’s während seiner 25 jährigen Lehrthätigkeit als ordenthcher
Professor der Chirurgie und Vorstand der Universitätsklinik in
Wien, sowie auch jene Arbeiten seiner Schüler verzeichnet, welche
während ihrer Lehrzeit an der Klinik verfertigt wurden, oder
nach dieser Zeit dem Materiale der Mutterklinik, sowie der dhekten
Anregung Billroth’s ihr Entstehen verdanken.
Bei Durchsicht der Tabellen wird man vorerst bemerken, dass
alle Zw’eige unseres chirurgischen und — zumal allgemeinen — medi-
zinischen Wissens in den verschiedensten Arbeiten vertreten er-
scheinen, getreu den Intentionen des klinischen Lehrers, dessen
Bemühungen stets dahin gerichtet waren, seine Schüler nicht zu
empirischen Fachwundärzten im Sinne der alten Zeit heranwachsen
zu lassen, sondern dieselben auf jenen Weg zu weisen, welcher
die Ausbildung des naturwissenschaftlich gebildeten Arztes er-
möglicht. Dass auf diesem Wege auch die chirurgischen Fach-
kenntnisse im engeren Sinne nicht zu kurz kommen, ward den
Schülern bei den Unterweisungen ihres Lehrers vollkommen klar.
Allein, wenn auch im allgemeinen der Inhalt der Arbeiten
in allen Jahrgängen dem chirurgischen und universellen medi-
zinischen Forschen nach allen Pdchtungen hin entspricht, so giebt
es doch Zeitabschnitte, in welchen neue Errungenschaften von so
632
Guido von Török.
epochaler Bedeutung verzeichnet erscheinen, dass unser chirur-
gisches Können an ihnen einen Wendepunkt erreicht hat, welcher
naturgemäss auch die Publikationen jener Periode in grösserem
Masse beeinflusst.
Die grösste dieser Errungenschaften war die Einführung der
antiseptischen AVundbehandlung, welche auf der Klinik Billroth
im Studienjahre 1877 — 78 erfolgte, und demnach beiläufig mit der
Publikation von Billroth’ s grossem Bericht über die chirurgischen
Kliniken in Zürich und Wien 1860 — 1876 zusammenfällt.
Man könnte daher die Arbeiten der Klinik sichten in jene
der vorantiseptischen Zeit und die nach Einführung der antisep-
tischen Wundbehandlung publicierten.
In der vorantiseptischen Zeit mögen zunächst die Arbeiten
aus den ersten Jahren der Lehrthätigkeit Billroth ’s in
Wien nähere Erwähnung finden.
Nach der am 11. Oktober 1867 mit einer Einleitung
in die allgemeine Chirurgie erfolgten Eröffnung der Vor-
träge hat Billroth im selben Jahre eine Reihe von klinischen
Besprechungen in der Wiener medizinischen Wochenschrift ver-
öffentlicht, darunter besonders eine Abhandlung über Impfungen
mit Geschwulst-Elementen. — 1867 erschienen auch Billroth’s
Arbeiten über Verbrennungen, Erfrierungen, Quetsch- und Riss-
wunden, sowie ferner über allgemeine chirurgische Instrumenten-
und Operationslehre im chirurgischen Handbuche von Pitha-
Billroth.
1868 folgte im selben Handbuche aus Billroth’s Feder der
Band über Scrophulose und Tuberkulose, sowie bei G. Reimer in
Berlin die 3. Auflage der allgemeinen chirurgischen Pathologie
und Therapie in 50 Vorlesungen.
Ausserdem brachte Langenbeck’s Archiv (IX. Band) Bill-
roth’s B e ob achtungs Studien über Wundfieber und accid en-
teile Wundkrankheiten. (Dritte Abtheilung, Schluss.)
In das Jahr 1868 fallen auch Billroth- Janny-Menzel’s
osteoplastische Versuche über Regeneration und Transplan-
tation von Knochen, durch welche die Regenerations-Fähigkeit
bei jungen Thieren erwiesen wird (Wiener med. Wochenschrift),
sowie Billroth’s Bericht über den ersten Fall von Ghloroformtod
auf der Klinik (ibid).
Im Jahre 1869 erschienen Billroth’s chirurgische Erfahrungen
in Zürich 1860 — 67, sowie seine und Czerny’s Beiträge zur Ge-
schwulstlehre (Plexiforme Geschwülste; alveolare Sarcome).
Weiters sind 1869 besonders hervorzuheben: Czerny’s Arbeit
Die Arbeiten der Klinik Billrotli in den Jahren 18G7 — 1892.
633
über die Extension mit Gewichten und Menzel’s Publikationen:
»lieber die septischen Eigenschaften des frischen Wundserunis« ;
»lieber die Einwirkung des Urins auf das Zellgewebe« und: »Ueberdie
Resorption von Nahrungsmitteln vom Unterhautzellgewebe aus«
(Wien. med. Wochenschrift 1869). — Bei letzteren Versuchen ge-
lang es Fette, Milch, Zucker und Eiweiss in entsprechender Form
vollkommen zur Resorption zu bringen.
Billroth’s 4. Auflage der allgemeinen Chirurgie, sowie die
Abhandlung : »Mancherlei über Entzündung« (Wien. med. Jahrbücher)
fallen gleichfalls in das Jahr 1869.
Aus dem Jahre 1870 stammen Czerny’ s Versuche über Kehl-
kopf-Exstirpation (Wien. med. Wochenschrift), sowie A. Mally’s
und A. Menzel’s experimentelle Studien über Tuberkulose, ferner
Czerny ’s Arbeit über die Reverdin’sche Methode (Centralblatt für
mediz. Wissenschaften). In diesem Jahre erschienen aus Bill-
roth’s Feder: »Der erste Bericht über die chirurgische Klinik in
Wien 1868«, sowie die Abhandlungen: »Ueber die Beziehung der
Rachendiphtherie zur Septhämie« ; »Ueber die Verbreitungswege der
entzündlichen Prozesse« (Volkmanns Sammlung klinischer Vorträge),
und: »Ueber die Verwendung des Bildhauermeisseis bei Osteoto-
mien« (Wien. med. Wochenschrift).
Der grosse Krieg von 1870 gab zur Publikation einer Reihe
von kriegschirurgischen Berichten den Anlass, so von Czerny:
»Aus den Kriegslazarethen anno 1870« und »Bericht über die im
College Stanislaus behandelten Verwundeten« (Wien. med. Wochen-
schrift 1870).
An hervorragender Stelle mögen hier verzeichnet
werden Billroth’s (erst 1872 bei Hirsch wähl in Berlin erschienene)
chirurgische Briefe aus den Kriegslazarethen in Weissen-
burg und Mannheim 1870.
Im folgenden Jahre erschienen Billroth-Menzel-Perco’s
Arbeiten über die Häufigkeit der Caries in verschiedenen Knochen
(Langenbecks Archiv, Band XII, 1871), R. Gersuny’s und W.
Gjorgjevic’s Beiträge zur kaustischen Wundbehandlung, sowie
Menzels experimentelle Studie über die Erkrankung der Gelenke
bei dauernder Ruhe derselben (Arch. für klin. Chir. XII.).
In besonderem Grade anregend wirken Billrotli s chirurgische
Remniscenzen aus dem Sommersemester 1871 (Wien. med. Wochen-
schrift), in welchen zum erstenmale die Behandlung der malignen
Lymphome mit Arsenik erwähnt erscheint und zugleich ein Belicht
über die ersten von Billrotli ausgeführten Ovariotomien erstattet
wird.
634
Guido A'on Török.
Bei der Reichlialtigkeit der nun in den nächsten Jahren
folgenden Publikationen erscheint es im engen Rahmen dieser ein-
leitenden Besprechung geradezu undurchführbar, alle hervorragenden
Arbeiten zu erwähnen und muss sich die Mittheilung derselben auf
jene beschränken, deren Entstehen eine neue Phase in der Ge-
schichte der klinischen Thätigkeit bekundet. Zu diesen Arbeiten
gehören zumal jene, welche das Wesen der Wundinfektion er-
forschen und der kommenden antisejDtischen Zeit die Wege bahnen,
sowie andere , die durch Erfindung neuer Operationen und OjDera-
tionsmethoden das klinische Handeln beeinflussen.
In der ersten Gruppe finden wir Billroth’s neue Be-
obachtungsstudien über Wundfieber (Langenbeck’s Archiv
1872) und Ludwig Pfleger’s Beobachtungen über die Verbreitungs-
weise des Erysipelas migrans (ibid).
Allen Arbeiten voranleuchtend, erschienen 1874 Bill-
roth’s Untersuchungen über Coccobacteria septica (Bill-
roth 1874 bei G. Reimer, Berlin, und Billroth - Ehrlich 1877,
Langenbeck’s Archiv), welche den Grundpfeiler unserer Erkenntnis
der Wundinfektion gebildet haben. Anschliessend sind zu er-
wähnen die experimentellen Studien von A. v. Frisch über die
Verbreitung der Fäulnis-Organismen ' in den Geweben (Erlangen,
F. Enke 1874) und seine Arbeit über die Milzbrandbacterien und
ihre Vegetationen in der lebenden Hornhaut (Wien 1876), sowie
die Abhandlung von J. Mikulicz: »Ueber die Beziehungen des
Glycerin zur Coccobacteria septica und zur septischen Infektion«
(Langenbeck’s Archiv XXII, 1877).
Zur zweiten Gruppe gehören vorerst Billroth’s Versuche
überdieResektiondesOesophagus beiHunden (Langenbeck’s
Archiv XHI, 1872), der Bericht über seine Ovariotomien
(10. — 13. Fall, Wien. med. Wochenschr. 1873), sowie über seine
Erfahrungen über Esmarch’s Methode der Bluterspa-
rung bei Operationen an den Extremitäten (ibid.). Es
mag interessant sein, Billroth’s vor nahezu zwanzig Jahren über
diese wichtige Bereicherung unseres chirurgischen Wissens ge-
sprochenes Urtheil hier wörtlich zu citieren, um daran die Freude
des klinischen Lehrers an dieser neuen Errungenschaft zu erkennen.
Billroth sagt: »Ich habe auf Esmarch’s Empfehlung im Laufe
des eben beendigten Semesters (Sommer-Semester 1873) eine An-
zahl von Operationen nach seiner Methode ausgeführt, und wenn
ich auch nie an der Richtigkeit von Es mar ch’ s Beobachtung ge-
zweifelt habe, so habe ich mir doch nach seinem so äusserst be-
scheidenen kurzen Vortrag über diesen Gegenstand (Chirurgen-
Die Ai’beiten der Klinik Billroth in den Jahi’en 1867 — 1892.
635
Kongress Berlin 1873) den Effekt der Methode, nämlich die lokale
Anämie bei weitem nicht so vollständig, so erstaunlich, ja ich
möchte sagen so erschreckend vollständig vorgestellt, wie er in
der That ist. Ich bin überzeugt, dass die vielen Echos, welche
die Worte Esmarch’s hervorrufen werden, bald einen volltönen-
den Chorus bilden werden.«
Zu den weiteren Arbeiten dieser zweiten Gruppe sind zu
rechnen: F. Steiner’s Abhandlung über die operative Behandlung
der Epispadiasis (Arch. f. klin. Chirurgie XV, 1873), Billroth’s
Methode der Exstirpation ausgedehnter Zungencarcinome von der
Regio suprahyoidea aus (ibid. XVI, 1874) und besonders C. Gussen-
bauer’s Publikation über die erste, durch Th. Billroth
am Menschen ausgeführte Kehlkopf-Exstirpation und
die Anwendung eines künstlichen Kehlkopfes (ibid. XVII, 1874).
Ueber die in späteren .fahren auf der Klinik ausgeführten Kehl-
kopf-Exstirpationen hat F. Salzer (Larynxoperationen von 1870
bis 1884, Langeiib. Arch. XXX, und: »Zur Kasuistik d. Kehlkopf-
operationen« ibid. XXXIX) erschöpfenden Bericht erstattet.
Ferner müssen hier noch auf gezählt werden die Arbeiten von
C. Gussenbauer: »Ueber die Methoden der künstlichen Knochen-
trennung« (Langenbecks Archiv' 1875), von Alex. v. Winiwarter:
»Behandlung der malignen Lymphome« (ibid.) und von Billroth:
»Ueber Bluttransfusion, Elektrolyse und Massage« (Wien. med.
Wochenschrift 1875), sowie über Laparo-Hysterotomie (ibid. 1876)
und über Splenotomie (ibid. 1877).
Einen besonderen Platz in unserer Besprechung
beansprucht die experimentelle Studie von C. Gussen-
bauer und A. V. Winiwarter über die partielle Magen-
resektion, nebst einer Statistik der von 1817 — 1875 im Wiener
pathologischen Institute beobachteten Magen carcinome (Langenbecks
Archiv XIX, 1876). Die beiden Autoren haben die Ausführbarkeit
dieser Operation bei Thieren erwiesen und empfehlen die Vor-
nahme derselben am Menschen. Nicht lange sollte es dauern,
dass Billroth auch thatsächlich eine Operation am Magen
ausführte und eine hartnäckige Magenbauchwandfistel, welche
allen anderen Operationsmethoden trotzte, durch Abpräparierung
und Vernähung des Magens zum dauernden \ erschluss brachte.
(Billroth: »Gastroraphie«, Wr. med. Wochenschr. 1877 und A.
Wölf 1er: »Die Magenbauch wandfistel und ihre Heilung nach Prof.
Billroth’s Methode«, Langenb. Arch. 1876, sowie: »Die Magenbauch-
wandfistel und ihre operative Heilung« 187/, Arch. f. klin. Chir. XX).
Wir können die Besprechung der Arbeiten aus der Zeit vor
636
Guido von Török.
Einführung der strengen antiseptischen Wundbehandlung nicht
schliessen, ohne einiger Publikationen zu gedenken, welche ein
besonderes Interesse beanspruchen. So die Monographie H.
Sattler’s: »Ueber die Cylindrome« (Berlin, Reimer 1874), die Ab-
handlung Billroth’s »Kurzer Rückblick auf die neueren Phasen
der Lehre von der Entzündung und der Regeneration der Gewebe«
(Wr. med. Wochenschr. 1874), dann zumal die Abhandlung R. Ger-
suny’s; »Ueber polypöse Neubildungen der Harnblase« (Langenbeck’s
Arch. XIII 1872); die Arbeit C. Gussenbauer’s über die Knochen-
entzündung der Perlmutterdrechsler (Langenbeck’s Arch. XVIII,
1875) , ferner die Publikationen von A. W ö If 1 er : »Zur chirurgischen
Pathologie der Nieren« (Wr. med. Wochenschrift 1878) und von J.
Mik ulicz: »Ueber das Rhinosclerom (Hebra)«, (Langenb. Arch. XX,
1876) . Später haben über ‘denselben Gegenstand A. v. Frisch, dann
A.Freih. V. Eiseisberg undR. Paltauf eingehende Untersuchungen
veröffentlicht (Zur Aetiologie des Rhinoscleroms. Fortschritte d. Me-
dizin. 1886. Nr. 19). Interessant sind ferner die Arbeiten von M.
Nedopil über Psoriasis und Tuberculosis linguae, sowie A.
V. Winiwarter’s: »Beiträge zur Statistik des Carcinoms« (Stuttgart
1878). Letztere Arbeit bildet eine Ergänzung zu Billroth’s
grossem Bericht: »Chirurgische Klinik in Wien 1871 — 76
nebst einer Gesamtübersicht über die chirurgischen Kli-
niken in Zürich und Wien 1860 — -1876. Erfahrungen auf
dem Gebiete der praktischen Chirurgie« (Berlin bei August
Hirschwald 1879). Dieses einzig in seiner Art dastehende
Buch enthält die Erfahrungen des über ein grosses klinisches
Material verfügenden Lehrers während eines Ibjährigen Zeitab-
schnittes, kritisch gesichtet und mit der strengsten Objek-
tivität wiedergegeben. Billroth selbst sagt darüber, er habe
den Bericht in grosser Ausführlichkeit erstattet, um dem lesenden
Publikum vollständig die Kontrolle in die Hände zu geben, und
weil er es vermeiden wollte, dass man glauben könne, er hätte
»doch nicht alles mitgetheilt«. In diesem Buche bespricht Bill-
roth die schon 1875 begonnenen, ersten Versuche mit dem
Lister’schen Wundverbande, welchem gegenüber er sich, bei den
Vorzügen der bis dahin geübten offenen Wundbehandlung, sehr
zurückhaltend äussert: »Da ich die Fundamente von List er’ s
Theorie nicht als Naturgesetze, sondern nur als häufig zutreffende
Fälle kannte, so wartete ich erst die praktischen Resultate ab,
bevor ich diejenigen Methoden, welche ich übte, und die sich
unter meinen Händen auch fortwährend verbesserten, aufgab.«
Billroth verlangt entschieden die Erforschung einer auf
w
Die Arbeiten der Klinik Billrotli in den Jahren 1867 — 1892.
sicherer naturwisseiiscliaftliclier Basis ruhenden Theorie,
»dann hätten wir nicht ein Chaos von Listerverbänden,
sondern jeder wüsste ganz genau, worauf es dabei einzig
und allein ankommt, und was nebensächlich ist.« Und,
gleichsam über ein Dezennium vorausblickend in die
aseptischen Bestrebungen unserer Tage, frägt der klinische
Lehrer: »Sollte (statt der Carbol- und Thymollösungeii) reines
Wasser allein nicht dieselben Dienste thun?«
Nach mehrjährigen Versuchen erklärt dann Billrotli die anti-
septische Wundbehandlungsmethode als eine praktisch sehr brauch-
bare, er hält jedoch die richtige Handhabung mit Occlusionsver-
bänden als eine sehr schwierige; dies sollte ihn nicht hindern,
die Vervollkommnung der neuen Methode eitrigst weiter zu er-
streben !
Die strenge antiseptische Wundbehandlung wurde Anfang
1878 in die Klinik eingeführt und es erfolgten dann die Publika-
tionen von A. Wölfl er’ s Reise-Erinnerungen (Wr. med. Wochen-
schrift 1878), sowie der Arbeiten A. von Frisch’s: »Ueber Des-
infektion der Seide und Schwämme zu chirurgischen Zwecken«
(Langenbeck’s Arch. 1879). Ueber Wundbehandlung und Verband-
stoffe sind in den folgenden Jahren noch eine Reihe von Abhand-
lungen veröffentlicht worden, so von:
J. Mikulicz: »Die antiseptische Wundbehandlung« (Ver. d. Aerzte
in N.-Oe. 1879),
von demselben: »Zur Sprayfrage« (Langenbeck’s Arch. 1880),
von A. Wölfl er: »Die Anwendung des Jodoforms in der Mund-
höhle« (Centralbl. 1881),
von J. Mikulicz: »Anwendung der Antiseptik bei Laparotomien«
(Langenbeck’s Arch. 1881),
von demselben: »Ueber die Verwendung des Jodoforms bei der
Wundbehandlung und dessen Einfluss auf fungöse Prozesse«
(Langenbeck’s Arch. 1881),
von A. Wölf 1er: »Chirurgische Briefe über Amputationen« (Wr.
med. Wochenschrift 1881),
von V. V. Hacker: »Anleitung zur antiseptischen Wundbehand-
lung« (Wien 1883),
sowie die Untersuchungen von A. Ereih. v. Eiseisberg: »Ueber
den Nachweis von Erysipelcoccen in der Luft chirurgischer
Krankenzimmer« und: »Ueber den Keimgehalt von Seifen
und Verbandmaterialien« (Wr. med. Wochenschr. 1887),
endlich von A. Gleich: »Ueber Sterilisation von Verbandstoffen«
(Wr. klin. Wochenschrift 1891).
638
Guido von Török.
Seit Einführung der antiseptischen Wundbehandlung an der
Klinik kam eine ganze Reihe von neuen Operationen und Ope-
rationsmethoden zur Ausbildung und Ausführung, welche hier in
chronologischer Folge kurz verzeichnet werden mögen:
Vorerst waren es die Osteotomien bei Genu valgum,
bezüglich welcher J. Mikulicz seine Arbeit; »Ueber die seit-
lichen Verkrümmungen am Knie und deren Heilungsmethoden«
(Langenbeck’s Arch. 1878) veröffentlichte.
Dann kamen die Kropf Operationen, zumal die Exstir-
pation von Strumen, an die Reihe, über welchen Gegen-
stand A. Wölf 1er langjährige und eingehende Unter-
suchungen ausführte. Seine Publikationen sind:
»Die Aortendrüse und der Aortenkropf« (Wr. med. Woch. 1879).
»Zur chirurgischen Behandlung des Kropfes« (Langenbeck’s Arch.
1879).
»Weitere Beiträge zur chirurgischen Behandlung des Kropfes«
(Wr. med. Wochenschrift 1879).
»Entwicklung und Bau der Schilddrüse« (Berlin 1880).
»Die Kropfexstirpationen an Hofrath Billroth’s Klinik 1877 — 1881«
(Wr. med. Wochschr. 1882).
»Zur Kenntnis und Eintheilung der verschiedenen Formen des
gutartigen Kropfes« (Wr. med. Wochenschr. 1883).
»Entwickelung und Bau des Kropfes« (Berlin 1883).
und :
»Die chirurgische Behandlung des Kropfes« (Berlin, bei A. Hirch-
wald I., II. und III. Theil, 1887—1890—1891).
In den folgenden Jahren haben auf der Klinik über Struma-
operationen geschrieben :
Billroth: »Ueber die Ligatur der Schilddrüsenarterien« und:
»Ueber Scirrhus giandulae thyreoideae« (Wr. klinische
Wochenschrift 1888).
F. Salzer: »Eine Trachealkanüle für Strumapatienten« (ibid.).
H. Hinters toisser: »Beiträge zur Lehre vom Nebenkropf« (ibid.).
und A. Freih. v. Eiseisberg: »Ueber Tetanie im Anschluss an
Kropf Operationen« (Hölder, Wien 1890) und »Ueber erfolg-
reiche Einheilung der Katzenschilddrüse in die Bauchdecke
und Auftreten von Tetanie nach deren Exstirpation« (Wr. klin.
Wochenschr. 1892). —
Ferner ist zu erwähnen die Ausführung der Enteroraphie,
mit den Publikationen von Billroth: »Ueber Enteroraphie«;
von R. Wittelshöf er : »Anus praeternaturalis, Enteroraphie,
Heilung« (Langenbeck’s Arch. XXIX 1879) und von E. Hauer:
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 18(17—1892. 639
»Darmresektionen und Enteroraphien 1878—1883« (Zeitschrift für
Heilkunde, Prag 1884).
Die Enter oraphie und die schon früher besprochene
Gastroraphie waren die Vorläufer zu der 1881 zuerst mit
Erfolg aus geführten Resektion des Magens, über welche
Operationsmethode eine grosse Reihe von Arbeiten zur Veröffent-
lichung gelangt ist. Hier sind vorerst zu erwähnen :
Billroth s »Offener Brief an Dr. L. Wittelshöfer über eine
am 29. Januar 1881 ausgeführte Resektion des Magens«
(Wr. med. Woch. 1881 Nr. 6);
sowie ferner die Abhandlungen über Resectio pylori, Gastro-
Enterostomie und Darm-Anastomosen von:
Billroth: »Zur Resektion des carcinomatösen Magens« (Wr. med.
Woch. 1881).
Wölfler: »Zur Resektion des carcinomatösen Pylorus« (ibid.).
Wölfler: »Fall von gelungener Resektion des carcinomatösen
Pylorus« (ibid.).
Wölfler: »Ueber die von Herrn Prof. Billroth ausgeführten Re-
sektionen des carcinomatösen Pylorus« (Wien 1881).
Wölfler: »Gastro-Enterostomie« (Centralblatt für Chirurgie 1881,
Nr. 45).
V. V. Hacker: »Ein neuer Fall von geheilter Magenresektion«
(Wr. med. Wochenschr. 1883).
V. V. Hacker: »Ueber einen neuen Fall von gelungener Pylorus-
Resektion« (ibid. 1884).
V. V. Placker: »Zur Casuistik und Statistik der Ma2:enresektionen
und Gastro-Enterostomien« (Langenbecks Arch. XXXIL), in
welcher Arbeit die Gastro-Enterostomie durch das Mesocolon
transversum als neue Methode v. Hacker’s beschrieben wird.
V. V. Hacker: »Die Magenoperationen an Prof. Billroth’s Klinik
1881—1885« (Wien 1886).
V. V. Hacker: »Ueber Verengerungen des Magens durch Knickung
infolge des Zuges von Adhäsionssträngen« (Wr. med. Wochen-
schrift 1887).
V. V. Hacker: »Ueber die Bedeutung der Anastomosenbildung
am Darme« (Wr. klin. Wochenschr. 1888).
F. Salzer: »Tabellarische Uebersicht über die im Jahre 1887
an der Klinik Billroth ausgeführten Magenresektionen« (ibid.
1888).
H. Hinterstoisser: »Sarcom der Magenwand. Resectio partis
pyloricae ventric.« (ibid. 1888).
640
Guido von Török.
und von A. Freih. v. Eiseisberg: »lieber die Magenresektionen und
Gastro-Enterostomien an Prof. Billroth’s Klinik 1885 — 1889«
(Langenbeck’s Archiv XXXIX, 4).
Einen besonderen Platz beansprucht als Abschluss
aller dieser Arbeiten Billroth’s Bericht: »lieber 124 vom
November 1878 bis Juni 1890 in meiner Klinik und Pri-
vatpraxis ausgeführte Resektionen am Magen- und Darm-
kanal, Gastro-Enterostomien und Narbenlösungen wegen
chronischer Krankheitsprocesse« (Verhandlungen des X. inter-
nationalen Medizinischen Kongresses in Berlin, Band III Abthei-
lung VII, und Wr. klinische Wochenschrift 1891, Nr. 34). Es ist
von höchstem Interesse, Billroth’s Schlussbemerkungen
zu diesem Berichte kennen zu lernen, und mag es daher ge-
stattet sein, an diesem Orte die Worte des grossen klinischen
Lehrers zu wiederholen.
Billroth sagt: »Wenn nun über die segensreiche Wirkung
dieser Operationen bei Individuen, welche an Narbenstenosen des
Darmes und des Pylorus oder an unheilbaren Darmfisteln leiden,
nicht zu zweifeln ist, so ist doch wiederholt gegen diese Opera-
tionen wegen Carcinom geltend gemacht, dass bisher noch kein
Fall von radikaler Heilung eines Magen- oder Darmkrebses durch
die Resektion vorliege (nur eine Frau überlebte die Pylorusresek-
tion 5 Jahre), und dass der Werth solcher Operationen beim
Carcinom daher sehr jiroblematisch sei; dass auch in den meisten
Fällen die Diagnose erst dann sicher zu stellen sei, wenn der Fall
nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg operiert werden könne. Ich
kann darauf nur erwidern, dass die Radikalheilungen von Carci-
nomen durch die Ojieration auch an anderen Körpertheilen recht
selten sind, und dass sich in Betreff der Schnelligkeit der Recidive
und Metastasen die Darmcarcinome nicht anders verhalten, wie
andere Schleimhaut- und Hautkrebse. Die langsam entstandenen,
mehr scirrhösen Formen sind auch langsamer in ihren Recidiven,
während die Cylinderepithel- und Gallertkrebse rasch wachsen, rasch
in die Lymphdrüsen eindringen, rasch Recidive und ]\Ietastasen
machen. Wer aber das Aufblühen solcher Kranken nach Be-
seitigung der Pylorus- oder Darmstenosen durch Carcinom
erlebt hat, wird nicht daran zweifeln, dass diese Patienten
deiiTheil desLebens, welcher ihnen überhaupt noch vom Fa-
tum bestimmt ist, in weit angenehmerem, erträglicherem
Zustande verleben, als wenn sie nicht operiert wären.
Auch in dieser Beziehung nehmen also diese Carcinomoperationen
keine Sonderstellung ein. Der Unterschied liegt bisher nur in der
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 18G7 — 1892.
641
Schwierigkeit der frühen Diagnose und in der Gefahr
des operativen Eingriffes.«
»Ich hoffe, dass beide Momente keine unheilbaren
Gebrechen unserer Kunst bleiben werden. Ich zweifle
nicht daran, dass bei fortgesetztem eifrigem Studium
eine frühere Präzisierung der Diagnose möglich werden
wird, und dass wir die Gefahren dieser Operation durch
Vervollkommnung der Methoden und der Technik noch
um ein Bedeutendes zu verringern imstande sein werden.
Wenn wir dennoch vielleicht nicht so schnell — wie wir
wünschen — zur höchsten Höhe unserer Bestrebungen
gelangen, so rufe ich Ihnen doch Allen den Wahlspruch
meines grossen Meisters B. von Langenbeck zu: Nunquam
retrorsum!«
Wir sind nun am Schlüsse der Publikationen über Osteo-
tomien, Strumaoperationen und Magen-Darmresektionen angelangt,
und wenn es auch heutzutage kaum einen Chirurgen geben
wird, der diese Themen klinisch bespricht, ohne der Arbeiten
Billroths und seiner Schüler zu gedenken, so ist doch da-
mit der Antheil derselben an der Fortentwicklung und Vervoll-
kommnung anderweitiger neuer Operationen und Operationsmethoden
lange nicht erschöpft. So finden wir noch die Arbeiten von:
R. Gersuny: »Fortschritte in der Behandlung der Aneurysmen«
(iVrch. f. klin. Chh. XXIV 1879).
J. Mikulicz: »lieber Totalexstirpation des Uterus« (Wr. med.
Wochenschr. 1880 u. 81), welche Operation auf der Klinik
nach den unbefriedigenden Versuchen mit der Freund’schen
Methode, nur mehr nach den Vorschlägen von Czerny und
Billroth per vaginam zur Ausführung kam.
J. Mikulicz und N. Weiss: »Ueber Nervendehnungen« (ibid.).
J. Mikulicz: »Osteoplast. Fussresektion« (Langenb. Arch. 1881).
J. Rosmanit: »Ueber operative Behandlung der Hüftgelenk-
contracturen« (Langenb. Arch, 1882).
Ferner hat Billroth seine Methode der Behandlung
kalter Abscesse und tuberkulöser Caries mit Jo de-
form emulsion weiter ausgebildet (Wr. klin. Wochenschr. 1890),
nachdem 1884 Alex. Fränkel die ersten Operationen dieser Art
auf der Klinik beschrieben hatte (Wr, med. Wochenschr.).
Noch sind zu erwähnen die Arbeiten von:
A. Wölf 1er: »Zur Suspension des Uterusstumpfes nach supra-
vaginaler Amputation« (Wr. med. Wochenschi.),
41
642
Guido von Török.
A. Wölfl er: »Zur Technik der supra vaginalen Amputatio uteri«
(Wr. nied. Woctiensclir. 1885), und
V. V. Hacker über denselben Gegenstand (ibid,).
Weiter müssen verzeichnet werden die Publikationen von:
V. V. Hacker: »Heber die Verwendung des M. rect. abdom.
zum Verschluss der künstlichen Magenfisteh< (Wiener med.
Wochenschr. 1886).
und von F. Salzer: »Heber die Resektion des 3. Trigeminus-
astes am Foramen ovale« (Wr. med. Wochenschr. 1887).
Ganz besondere Erwähnung erheischt die.bedeu-
tende Arbeit von Fr. Salzer: »Zur Therapie der Narben-
contractur der Hand« (ibid.), welche neuere Operationsmethoden
zur Behebung dieses Leidens inaugurierte. Durch diese Arbeit an-
geregt, erfolgten dann weitere Publikationen: »Heber den plastischen
Ersatz von grösseren Hautdefekten durch entfernten Körpertheilen
entnommene Lappen« von V. v. Hacker (Langenbecks Arch.
XXXVII. und Wr. klin. Wochenschr. 1889), sowie von A. Freih.
V. Eiseisberg: Autoplastik. (Wr. klin. Wochenschr. 1889).
Anschliessend sei auch des letzteren Aufsatz: »Heber Hautver-
pflanzung nach Thiers ch« (ibid.) verzeichnet.
Ferner mögen hier noch hervorgehoben werden die Ar-
beiten von:
V. V. Hacker: »Heber Verätzungsstricturen des Oesophagus«
(Wien, Hölder 1889), nebst Angabe seiner neuen Methoden
der Oesophagoplastik.
F. Salzer: »ZurTechnik der Trepanation« (Wr.klin. Wochenschr.
1889).
A. Freih. v. Eis eis b erg: Vorstellung von zwei geheilten Fällen
von Celluloid-Implantation in Schädel-Defekte (Gesellschaft
d. Aerzte, Wien 1891).
J. Haidenthaller : »Die Radikaloperationen der Hernien 1877
bis 1889« (Langenbecks Arch. 1890). und von
F. Schüssler: »Sehnennähte an der Klinik Billroth 1886 — 1889«
(Hölders Sammlung klin. Schriften 1890).
1889 hat Billroth seine Modifikation der Langenbeck’schen
Hranoplastik durch Abmeiss elung der medialen Platte
des Proc. pteryg. ossis sphenoidis beschrieben (Wr. klin.
Wochenschr. 1889 Nr. 12), worauf F. Salzer über denselben Gegen-
stand nach 15 erfolgreich operierten Fällen im Centralblatt für
Chirurgie 1890 Nr. 13 Bericht erstattet hat.
Wir können die Besprechung der Arbeitsverzeichnisse nicht
beenden, ohne vorher einiger Publikationen noch zu gedenken.
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 1867 — 1892.
643
welche, wenngleich sie mit der Entwicklung neuerer Operations-
methoden nicht direkt im Zusammenhänge stehen, dennoch durch
ihre besondere Bedeutung eine Erwähnung erfordern:
In erster Linie gehören hierher Billroth’s Werk: Die Krank-
heiten der Brustdrüsen (Deutsche Chirurgie 1879), sowie
die neunte Auflage seiner allgemeinen Chirurgie
(1880), welche von nun ab in der Bearbeitung von Alex,
von Winiwarter weiter erschienen ist.
Desgleichen müssen erwähnt werden die Abhandlungen von
H, Klotz: »lieber einige seltene Erkrankungen der weiblichen
Brustdrüse« (Arch. f. klin. Chir. XXV 1880).
V. V. Hacker: »Vorkommen von Knorpel und Knochen in einer
Geschwulst der Mamma« (Langenbeck’s Arch. 1882).
F. Raab: »lieber die Entwicklung der Narbe im Blutgefäss«
(ibid. 1878).
F. V. Winiwarter : »lieber eine eigenthümliche Form von End-
arteriitis« (ibid. 1878).
J. Mikulicz: »lieber Gastroskopie und Oesophagoskopie« (Wr.
med. Presse 1881).
A. Freih. v. Eiseisberg: »Zur Lehre von den Mikroorganis-
men im Blute fiebernder Verletzter« (W. med. Wochenschr. 1886).
Alex. Brenner: »Die Blasennaht« (Langenbecks Arch. XXXV.
1887).
A. V. R o s t h 0 r n : »Die Sehnenscheiden der Hohlhand« (ibid. 1887).
endlich die Arbeiten A. Freih. v. Eiselsberg’s:
Experimentelle Beiträge zur Aetiologie des Wundstarrkrampfes
1888.
Nachweis von Eitercoccen im Blute als diagnostisches Hilfsmittel
1890.
lieber einen Fall von erfolgreicher Transplantation eines Fibro-
sarcoms bei Ratten (1890 Wr. klin. Wochenschr.)
Nachweis von Eitercoccen im Schweisse eines Pj^aemischen
(Berlin, klin. Wochenschr. 1891), sowie
die Monographie F. Salz er ’s: lieber die Einheilung von Fremd-
körpern (Hölders Samml. klin. Schriften 1890) und dei \ oitiag
Billroth’s: Koch’sche Injectionen bei Aktinomykose (Wr. klin.
Wochenschr. 1891).
Hiermit sei die Besprechung der Arbeits- Verzeichnisse in
Rücksicht auf den knappen Raum der vorliegenden Abhandlung
geschlossen und bezügüch des genauen Details auf die nach-
folgenden Tabellen verwiesen.
Wenn nach einem produzierten so kolossalen Arbeiten-
Guido von Török.
()44
Materiale der Klinik Billroth unser verehrter Lehrer selbst in den
allerletzten Jahren wiederholt und mit alter Energie zur Feder griff,
um Themen der verschiedensten Art (Krankenpflege, Einwirkung
lebender Pflanzen- und Thierzellen aufeinander, Bau der
neuen Kliniken, etc.) in gewohnter kritischer und anregender
Weise zu besprechen, so können wir an unserem Altmeister
mit innerer Befriedigung die Wahrnehmung machen,
sein Leben sei köstlich, denn es ist noch immer in
ungeschwächtem Masse Mühe und Arbeitl
Verzeichnis der Arbeiten der Klinik Billroth von 1867 — 1892
nach Jahren geordnet.
1867.
Billroth: Erste Vorlesung in Wien am 11. Oktober 1867.
Einleitung in die allgemeine Chirurgie (Wr. med. Wochenschr.
1867) .
Billroth: Handbuch der Chirurgie von Pitha und Billroth,
a. Verbrennungen, Erfrierungen, Quetsch-, Schnitt- und Biss-
wunden 1867.
b. Allgemeine Instrumenten- und Operationslehre 1867.
Billroth: Aus klinischen Vorträgen (Wr. med. Wochenschr. 1867).
1. lieber Duodenalgeschwüre bei Septhämie Nr. 45.
2. lieber metastatische Thrombosen. Nr. 52.
3. Phlegmone der Kopfschwarte nach Verletzung. Venen-
thrombose — Meningitis, akute Hornhautvereiterung Nr 58.
4. Bösartige Phlegmone mit septischer Intoxication ausserhalb
des Spitales nach kleinen Verletzungen Nr. 66.
5. lieber Paralyse des Nervus radialis nach Krückendruck
Nr. 69.
6. lieber Impfungen mit Geschwulstelementen Nr. 72.
1868.
Billroth: Beobachtungsstudien über Wundfieber und acciden-
telle Wundkrankheiten (Dritte Abth. Schluss.) (Langenbecks
Arch. für klin. Chirurgie, Band IX 1868).
Billroth: Nekrolog über Carl Otto Weber (Langenbecks Arch.
1868) .
Billroth: lieber Acupressur (Wr. med. Wochenschr. 1868).
Billroth: Feuilleton: An meine Schüler (Wr. med. Wochenschr.
1868).
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 1867—1892. 645
Billrotli: Tod durch Chloroform (Wr. med Wochenschr. 1868).
Billroth, J a n n y u. Menzel: Osteoplastische Versuche (Ueber
Regeneration und Transplantation von Knochen (Wr. med.
Wochenschr. 1868).
Billroth: Chirurg. Handbuch von Pitha und Billroth (Enke,
Stuttgart).
Skrophulose und Tuberkulose. 1868.
Billroth: Allgem. chirurg. Pathologie und Therapie in 50 Vor-
lesungen. Berlin, G. Reimer, 3. Auflage 1868.
F. Steiner: Casuistische Mittheilungen aus der Klinik Billroth
1. Bruch des Kehlkopfes,
2. Zellgewebsvereiterung um den Kehlkopf,
3. Bildung eines Blasensteines um ein Papierröllchen,
4. Lithotripsie. (Wr. med. Wochenschr. 1868.)
A. Menzel: Billroths klinischer Vortrag über Chloroformwdr-
kung und Chloroformtod (Wr. med. Wochenschr. 1868).
Agular: Casuistische Mittheilungen aus der Klinik Billroth (Wr.
med. Wochenschr. 1868).
1869.
Billroth: Chirurgische Erfahrungen. Zürich 1860 — 1867. (Arch.
f. klin. Chirurgie, Band X, 1869, und Berlin bei Hirsch-
wald 1869.)
Billroth und Czerny: Beiträge zur Geschwulstlehre (Plexiforme
Geschwülste. — Alveolare Sarcome.) (Arch. f. klin. Chirurgie,
Band XI, 1869.)
Billroth: Ueber akute Meningitis serosa und akutes Hirnoedem
nach Chirurg. Operationen. (Wr. med. Wochenschr. 1869.)
Billroth: Allgem. chirurgische Pathologie und Therapie in 50
Vorlesungen. Berlin, G. Reimer, 4. Aufl. 1869.
Billroth: Mancherlei über Entzündung. (Wr. med. Jahrbücher
1869.)
Vincenz Czerny: Beiträge zur Geschwulstlehre. (Arch. f. klin.
Chirurgie. Band X, 1869.)
V. Czerny: Ueber Extension mit Gewichten. (Wr. med. Wochen-
schr. 1869.)
Kattinger: Ueber Dilatation der Harnröhrenstricturen mittels
des Thompson’schen Instrumentes. (Wr. med. Wochenschrift
1869.)
A. Menzel und Herrn. Perco. Ueber Resorption von Nah-
rungsmitteln vom Unterhautzellgewebe aus (Fette, Milch,
Zucker, Eiweiss). (Wr. med. Wochenschr. 1869.)
646
Guido von Török.
A. Menzel: Chirurg. Mittheilungen aus Italien (Bottini, Rizzoli).
(Wr. med. Wochenschr. 1869.)
A. Menzel: Ueber die septischen Eigenschaften des frischen
Wundsermus (Wr. med. Woch. 1869).
A. Menzel: Ueber die Einwirkung des Urins auf das Zellgewebe
(Wr. med. Wochenschr. 1869).
F. Steiner: Casuistische Mittheilungen aus der Klinik Billroth
(Wien. med. Wochenschr. 1869).
V. Czerny: Ueber Silberzeichnungen an den Drüsen der Cutis
(Centralbl. d. med. Wissensch. 1869, Nr. 29).
Menzel: La resezione della articulatione del ginocchio (Gaz. med.
ital. Milano 1869).
Menzel: Sülle genesi et Therapia dell Epispadiasi (Milano 1869).
Menzel: Tre Ovariotomie (Milano 1869).
A. Menzel: Un caso di Aneurysma traumatico dell arteria femor.
sin. (Milano 1869).
A. Menzel: Sulla sviluppo della facia (Milano 1869).
1870.
Billroth: Ueber die Beziehung der Rachendiphtherie zur Sept-
haemie und Pyohaemie (Wien. med. Wochenschr. 1870).
Billroth: Ueber die Verwendung des Bildhauermeisseis bei
Osteotomien (Wien. med. Wochenschr. 1870).
Billroth: Briefe aus Mannheim an den österr. patriotischen
Hilfsverein 29. Sept. 1870; dann Wien 11. Okt. 1870 (Wien,
med. Wochenschr. 1870).
Billroth: Klinisch-chhurgische Berichte Wien 1868, (Berlin bei
A. Hirschwald 1870).
Billroth: Ueber die Verbreitungswege der entzündlichen Pro-
zesse (Samml. klin. Vorträge von R. Volkmann 1870).
V. Czerny: Versuche über Kehlkopfexstirpation (Wien. med.
Wochenschr. 1870).
V. Czerny: Aus den Kriegslazarethen anno 1870 (Wien. med.
Wochenschr. 1870).
V. Czerny: Bericht über die im College Stanislaus behandelten
Verwundeten (Wien. med. Wochenschr. 1870).
A. Mally und A. Menzel: Experimentelle Studien über Tuber-
kulose (Wien. med. Wochenschr. 1870).
A. Menzel: Chirurgische Mittheilungen aus Italien (Gritti) (Wien,
med. Wochenschr. 1870).
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jaliren 1867 — 1892.
(347
A. Menzel: lieber die Behandlung ulcerierter Neoplasmen mit
Hundemagensaft (Wien. med. Wochenschr. 1870; dasselbe
italienisch Milano 1870).
A. Menzel: Zwei Oesophagotomien (Wien. med. Wochenschr. 1870).
F’. Steiner: Casuistische Mittheilungen aus Prof. Billröths Privat-
praxis — Hydrops antri Highmori (Wien. med. Wochenschr.
1870) .
F. Steiner: Aether oder Chloroform — ein kurzer historischer
Rückblick (Wien. med. Wochenschr. 1870).
F. Steiner: lieber die Organisation der freiwilligen Kranken-
pflege im Kriege (Wien. med. Wochenschr. 1870).
V. Czerny: Die Reverdin’sche Methode (Centralblatt f. med.
Wissensch. 1870).
V. Czerny: Eine Zungenexstirpation nach einer neuen Methode
(med. -Chirurg. Rundschau 1870).
V. Czerny: Zwei schwere Gelenksverletzungen, geheilt bei offener
Wundbehandlung, August 1870 (med. Chirurg. Rundschau).
A. Menzel: Sulla Frequenza delle carie nelle varie ossa. Milano
1870 (Gaz. med. ital.)
A. Menzel: Sulla tuberculosi (Gaz. med. ital. Milano 1870).
1871.
Billroth-Menzel und Perco. Heber die Häufigkeit der Caries
in verschiedenen Knochen (Arch. f. klin. Chir., Band XII,
1871) .
Billroth, Heber die Endresultate der Gelenksresektionen (Wien,
med. Wochenschr. 1871, Nr. 1 — 7).
Billroth: Chirurgische Reminiszenzen aus dem Sommer-Semester
1871 (Wien. med. Wochenschr. 1871).
I. Aetzung der Hämorrhoidalknoten mit acid. nitric. fumans,
Nr. 35.
II. Staphyloraphien bei Kindern, Nr. 38.
HI. Behandlungsweisen der Aneurysmen, Nr. 40.
IV. Heber Acupressur und Torsion der Arterien zumal bei
Amputationen, Nr. 43.
V. Heber multiple Lymphome und deren Behandlung mit
Arsenik, Nr. 44.
VI. Ovariotomien (Wien. med. Wochenschr. 1871), Nr. 45
und 46.
Billroth, Die allgem. Chirurg. Pathologie u. Therapie in 50 Vor-
lesungen. Berlin, G. Reimer, 5. Auflage, 1871.
648
Guido von Török.
W. Gior2:ievic: lieber Lymphorrhoe und Lvmphaimom (Arch.
f. klin. Chir., Band XII, 1871).
F. Steiner: lieber die Elektropunktur des Herzens als Wieder-
belebungsmittel in der Chloroformsynkope. Zugleich eine
Studie über Stichwunden des Herzens (Arch. f. klin. Chir.,
Band XII, 1871).
C. Gussenbauer: lieber die Heilung per primam intentionem
(Arch. f. klin. Chir., B. XII, 1871).
R. Gersuny und W. Gjorgjevic: Beiträge zur kaustischen
Wundbehandlung nebst Versuchen über das Verhalten bloss-
gelegter Venen gegen Aetzmittel (Carbol. Liquor ferri) (Arch.
f. klin. Chir. 1871, Bd. XII).
A. Menzel: lieber die Erkrankung der Gelenke bei dauernder
Ruhe derselben. — Eine experimentelle Studie (Arch. f. klin.
Chirurgie, Bd. XII, 1871).
C. Gussenbauer: lieber die Veränderungen des quergestreiften
Muskelgewebes bei der traumatischen Entzündung (Arch. f.
klin. Chirurgie, XII, 1871).
V. Czerny: Schlussbemerkungen zu dem Berichte über die Ver-
wundeten in Weissenburg (Wr. med. Wochenschr. 1871).
A. Menzel: Ein Fall von Rippenchondrom (Wr. med. Wochen-
schrift 1871).
F. Steiner: Beitrag zur Casuistik der Hämatometra (Wr. med.
Wochenschr. 1871).
V. Czerny: lieber Pfropfung von Schleimhautepithel auf granu-
lierende Wundflächen (Centralbl. f. med. Wissenschaften 1871).
V. Czerny: Ein Beitrag zur Kenntnis des subjektiven Hörens
wirklicher musikalischer Töne (Virch. Archiv, 41. B., p. 229).
A. Menzel: Sullo Shok. Gaz. univ. ital. Milano 1871).
A. Lobmayer: Einiges über den Aspirateur pneumatic souscutane
von Dieulafoy. Wien 1871).
1872.
Billroth: lieber die Resektion des Oesophagus (Arch. f. klin.
Chirurgie, XHI, 1872).
Billroth: Casuistische Mittheilungen.
1. Geschichte eines Falles von epileptischen Anfällen nach
Quetschung des Nervus ischiadicus. Operation, Heilung.
Partielle Recidive, Operation. Pleilung. (Arch. f. klin. Chir.
XHI, 1872).
Die Arbeiten der Klinik Billrotli in den Jahren 1867—1892.
649
2. Einseitige Pseudohypertrophie einiger Oberschenkelmuskeln,
einen Tumor vortäuschend. Operation, Tod, (Arch. für klin.
Chirurgie, Band XIII, 1872.)
Billroth: Neue Beobachtungsstudien über Wundfieber (Arch f.
f. klin. Chir., XIH, 1872).
Billroth: Klinisch-chirurgische Berichte. Wien, 1869 — 70 (Berlin
bei Hirschwald, 1872),
Billroth: Chirurgische Briefe aus den Kriegslazarethen in
Weissenburg und Mannheim, 1870. Berlin bei A. Hirschwald,
1872 (schon früher in der Berliner klin. Wochenschrift er-
schienen) .
Billroth: Die allgemeine chirurg, Pathologie und Therapie in
50 Vorlesungen. Berlin bei G, Reimer. 6. Aufl. 1872.
R. Gersuny: Ueber polypöse, nicht carcinomatöse Neubildungen
der Harnblase (Arch. f. klin. Chir., XIII, 1872).
F. Steiner: Ueber die Entwicklung der Stirnhöhlen und deren
krankhafte Erweiterung durch Ansammlung von Flüssigkeiten
(Arch. f. klin. Chir., XIII, 1872).
A. Menzel: Ein Fall von Osteofibrom des Unterkiefers (Arch.
f. klin. Chir. 1872, XIII. Bd.).
V, Czerny: Beschreibung eines neugebildeten Gelenkes nach
totaler Resektion im Ellbogengelenke wegen Anchylose (Arch.
f. klin. Chir., XHI, 1872).
A. Menzel: Die Resektion des Unterkiefernerven vom Munde
aus (Arch. f. klin. Chir., XHI, 1872).
A. Menzel: Casuistische Mittheilungen aus der Klinik des Prof.
Billroth in Wien.
1. Zwei Fälle von fremden Körpern in Oesophagusstrikturen,
Oesophagotomie.
2. Fibröser Polyp der Schädelbasis — Exstirpation mit Resektion
des Oberkiefers. Heilung (Arch. f. klin. Chirurgie, 1872).
Ludwig Pfleger: Beobachtungsstudien über die Verbreitungs-
weise des Erysipelas migrans (Arch. f. klin. Chir., XIV, 18 r 2).
C. Glissen bauer: Ein Beitrag zur Lehre der Verbreitung des
Epithelialkrebses auf Lymphdrüsen. Entwicklung des Epi-
thelialkrebses in einer Bronchialdrüse nach einem Oesophagus-
krebse (Arch. f. klin. Chir., XIV, 1872).
C. Gussenbauer: Mittheilungen aus der chirurg. Klinik des
Prof, Billroth.
1. Aneurysma der ab.steigenden Aorta. — rracheotomie. Tod.
2. (Rücken-) Lipom von ungewöhnlicher Grösse. Exstirp.
Heilung. (Wr. med. Wochenschr. 1872).
650
Guido von Török.
A. Menzel: Kleine Beiträge zur Hauttransplantation (Wr. med.
Wochenschr, 1872).
F. Steiner: Ueber die Behandlung der Wunden mit Karbolsäure
(Wr. med. Wochenschr. 1872).
1873.
Billroth : Erfahrungen über Esmarchs Methode der Blutersparung
bei Operationen an den Extremitäten. (Wr. med. Wochen-
schrift 1873).
Billroth: Ovariotomien (10 — 13. Fall) (Wr. med. AVochenschr.
1873, Nr. 1).
Billroth: Ueber Aetzung der Knochen (Vortrag auf dem Chir.
Kongress 1873).
Billroth: Ueber die Bildung langer Lappen bei j)lastischen
Operationen (Chir. Kongress 1873).
F. Steiner: Ueber die operative Behandlung der Epispadiasis
und der angeborenen Blasenspalte (Arch. f. klin. Chirurgie,
XV. Bd., 1873).
Gussenbauer: Fibrom der Bauchwand, Exsthpation , Hei-
lung (Wr. med. Wochenschr. 1873).
E. Pernitza: Beitrag zur Therapie des Noma (Wr. med. Wochen-
schrift 1873).
F. Steiner: Mittheilungen aus der Klinik des Prof. Billroth.
1. Zur Behandlung der Knochenbrüche an den Extremitäten
mit Gewichtsextension.
2. Lähmung der linken ob. Extremität nach Fall auf die
Innenseite des Oberarmes (Wr. med. Wochenschr. 1873).
C. AVeil: Beiträge zur Kenntnis des Muskelkrebses (AVr. medic.
Jahrbücher 1873).
1874.
Billroth: Untersuchungen über die Vegetationsformen von
Coccobacteria septica und den Antheil, welchen sie an der
Entstehung und A^erbreitung der accidentellen AVundkrank-
heiten haben. Versuch einer wissenschafthchen Kritik der
verschiedenen Methoden der antiseptischen AVundbehandlung.
Berlin, G. Reimer, 1874.
Billroth: Ueber die Exstirpation ausgedehnter Zungencarcinome
von der Regio suprahyoidea aus. (Arch. f. klinische Chii’.,
XVI. Band, 1874).
Billroth: Kurzer Rückblick auf die neueren Phasen der Lehre
von der Entzündung und der Regeneration der Gewebe (Wr.
med. AA^ochenschr. 1874).
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 1867—1892.
651
Billroth und Mundy: üeber den Transport der im Felde Ver-
wundeten und Kranken auf Eisenbahnen (Wien, C. Gerold
und Sohn, 1874).
H. Sattler: üeber die sog. Cylindroine und deren Stellung im
onkologischen System. Berlin, G. Reimer, 1874.
F. Steiner: Untersuchungen über die feineren anatomischen
Vorgänge bei einigen Formen von Geschwulstbildung im
menschlichen Hoden (Entzündung, Tuberkulose) (Arch. für
klin. Chir., XVI. Bd., 1874).
C. Gusse nbauer: üeber eine lipomatöse Muskel- und Nerven-
degeneration und ihre Beziehung zu diffuser Sarcombildung
(Arch. f. klin. Chir., XVI. Band, 1874).
A. V. Winiwarter: Ein Fall von angeborener Makroglossie,
combiniert mit Hygroma cystic. colli congenit. (Arch. f. klin.
Chir., XVI. Bd. 1874).
A. Menzel: Spontane Dactylolyse, eine eigenthümliche Erkran-
kung der Finger (Arch. f. klin. Chir., XVI. Bd., 1874).
C. Gussenbauer: üeber die erste durch Th. Billroth am
Menschen ausgeführte Kehlkopf-Exstirpation und die Anwen-
dung eines künstlichen Kehlkopfes (Arch. f. klin. Chirurgie,
XVII. Band, 1874).
R. Gersuny: Aus der Privatpraxis Prof. Billroths. Grosses
in die Bauchhöhle hineinragendes Fibrom der vorderen Bauch-
wand. Operation, Heilung (Wr. med. Wochenschr. 1874).
C. Gussenbauer: Eine neue Extensionsmaschine für den Ober- .
arm (Wr. med. Wochenschr. 1874).
F. Steiner: Aus den Erinnerungen meiner Wanderzeit (Wr.
med. Wochenschr. 1874).
F. Steiner: üeber den gegenwärtigen Stand der Transfusions-
frage (Wr. med. Wochenschr. 1874).
F. Steiner: Zwei Thierblut-Transfusionen nach einer Amputatio
femoris. Tod (Wr. med. Wochenschr. 1874).
C. Weil: üeber das entzündliche Hautpapillom (Vierteljahrsschr.
f. Dermatologie (1874).
A. V. Frisch: Experimentelle Studien über die Verbreitung der
Fäidnis-Orgaihsmen in den Geweben und die dm-ch Impfung
der Cornea mit pilzhaltigen Flüssigkeiten hervorgerufenen
Entzündungserscheinungn. Erlangen, Ferd. Enke, 1874.
1875.
Billroth: Die allgem. Chirurg. Pathologie und Therapie in 50
Vorlesungen. Berlin bei G. Reimer, 7. Aufl. 1875.
652
Guido von Török.
Billroth: Zur' Diskussion über einige Zeit- und Tagesfragen.
I. lieber Bluttransfusion.
II. ,, Elektrolyse.
III. ,, Massage (Wr. med. Wochenschr. 1875).
V. Czerny: Erinnerungen aus meinen Lehrjahren an der Bill-
roth’sehen Klinik.
1. Phosphornekrose, subperiostale Resektion beider Oberkiefer
und Jochbeine vom Munde aus.
2. Exstirpation eines kopfgrossen subpleuralen Lipoms, Tod
durch septische Pleuritis (Wr. med. Wochenschr. 1875).
C. Gussenbauer: Die Methoden der künstlichen Knochentren-
nung und ihre Verwendung in der Orthopädie (Arch. f. klin.
Chir., XVIII. Bd., 1875).
A. V. Winiwarter: lieber das maligne Lymphom und Lympho-
sarcom mit besonderer Rücksicht auf ihre Behandlung (Arch.
f. klin. Chir., XVIII, 1875).
C. Gussenbauer: Casuistische Mittheilungaus der Klinik des
Prof. Billroth.
Exstirpation eines Harnblasenmyoms nach vorausgehendem
tiefen und hohen Blasenschnitt. Heilung (Arch. f. klinische
Chir., XVIII, 1875).
C. Gussenbauer: Die Knochenentzündungen der Perhnutter-
drechsler (Arch. f. klin. Chir., XVIII, 1875).
C. Gussenbauer: Zur Casuistik plastischer Operationen an
den Extremitäten (Deutsche med. Wochenschr. 1875, p. 168).
M. Gross mann: lieber die Behandlung der Larynxstenose (Ber-
lin. klin. Wochenschr. 1873).
1876.
Billroth: Die allgem. chir. Pathologie und Therapie in 50 Vor-
lesungen. Berlin bei G. Reimer. 8. Aufl. 1876.
Billroth: lieber das Lehren und Lernen in den med. Wissen-
schaften. Wien, Gerold 1876.
Billroth: Zur Diskussion über einige Chirurg. Zeit- und Tages-
fragen. IV. Laparo-Hysterotomie (Wr. med. Wochenschr. 1876).
Billroth: Worte der Erinnerung an Franz Freih. von Pitha
(Wr. med. Wochenschr. 1876).
Billroth: Worte der Erinnerung an M. J. Chehus, L. Stro-
mayer und G. Simon (Wr. med. Wochenschr. 1876).
C. Gussenbauer: Casuitische Mittheilungen. Extraktion eines
grossen Taschenmessers aus dem Oesophagus mittels Oeso-
phagotomie. Tod infolge akuter Erweichung ausgedehnter
Die Arbeiten der Klinik Billrotli in den Jahren 1867 — 1892.
653
chronischer infiltrierter Lungentuberkulose (Deutsche med.
Wochenschr. Nr. 2 u. 3 1876).
Langstein: Ueber einen seltenen Fall von Erstickungstod
(Wr. med. Wochenschr. 1876).
C. Gussenbauer: Ueber die Piginentbildung in melanotischen
Sarcomen und einfachen Melanomen der Haut (Virchows
Archiv Band LXIII. p. 322).
C. Gussenbauer und A. v. Winiwarter: Die partielle Magen-
resektion, eine experimentelle operative Studie. Nebst einer
Zusammenstellung der im pathologisch-anatomischen Institute
in Wien in dem Zeiträume von 1817 — 1875 beobachteten
Magencarcinome (Arch. f. klin. Chir. XIX. 1876).
A. V. Winiwarter: Plexiformes Fibroneurom der Armnerven
mit circumscripter Haut-Hypertrophie und Sarcomentwicklung.
Ein Beitrag zur Geschwulstlehre (Arch. f. klin. Chir. XIX.
Band 1876).
F. Steiner: Aus dem Tagebuche eines deutschen Arztes während
des Krieges im Orient 1876 (Belgrad) (Wr. med. Wochen-
schrift 1876).
A. V. Winiwarter: Croupöse Laryngitis bei einem 10 Monate
alten Kinde, Tracheotomie, Heilung (Jahrbuch f. Kinderheil-
kunde X. Band 1876).
A. V. Frisch: Die Milzbrandbakterien und ihre Vegetationen
in der lebenden Hornhaut. (Sitzungsberichte der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften 1876.)
A. Wölfler: Zur Chirurg. Pathologie, der Nieren (Wr, med.
Wochenschr. 1876).
A, Wölfler: Die Magenbauchwandfistel und ihre operative Hei-
lung nach Prof. Billroths Methode (Arch. f. klin. Chir. 1876).
J. Mikulicz: Ueber das Rhinosclerom (Hebra) (Arch, f. klin.
Chir. XX. 1876).
J. Mikulicz: Beitrag zur Genese der Dermoide am Kopfe (Wr.
med. Wochenschr. 1876).
F. Raab: Congenitale Enkephalokele(Wr. med. Wochenschr. 1876).
1877.
Th. Billroth und F. Ehrlich: Untersuchungen über Cocco-
bacteria septica. Mitgetheilt von Th. Billroth (Langenbecks
Arch. f. klin. Chir. XX. 1877).
Billroth: Zur Diskussion über einige chir. Zeit- und Tagesfragen.
V. Zur Splenotomie (Wr. med. Wochenschr. 1877).
654
Guido von Török.
VI. Ein Beitrag zu den Operationen am Magen, Gasteroraphie
(Nr. 38. Wr. med. Wochenschr. 1877).
A. V. Winiwarter: Neue Beobachtungen und Erfahrungen über
die Arsenikmedikation bei Lymphdrüsengeschwülsten (Wr. med.
Jahrbücher 1877).
M. Nedopil: Ueber Psoriasis linguae (Arch. f. klin. Chir. XX. 1877).
M. Nedopil: Ueber Tuberkulose der Zunge (Arch. f. klin.
Chir. XX. 1877).
A. V. Frisch: Ueber den Einfluss niederer Temperaturen auf
die Lebensfähigkeit der Bakterien. (Sitzungsberichte d. kais.
Akad. d. Wissensch. 1877.)
B. Glattauer: Ein Beitrag zu den pulsierenden Blutcysten am
Kopfe (Wr. med. Wochenschr. 1877).
E. Fuchs: Ueber die traumatische Keratitis (Virchows Arch,,
66. Band).
A. Wölfler: Ein Fall von Laparo- Hysterotomie sammt Exstir-
pation beider Ovarien (Arch. f, klin. Chir. 1877, XXL).
J. Mikulicz: Ueber die Beziehungen des Glycerins zur Cocco-
bacteria septica und zur septischen Infektion (Ai’ch. f. klin.
Chir. XXII. 1877).
A. Wölfler: Neue Beiträge zur chirurg. Pathologie der Nieren
(Arch. f. klin. Chir. 1877, XXI).
F. Freih. v. Buschmann: Casuistische Beiträge zur Therapie
des malignen Lymphoms (Wr. med. Wochenschr. 1877).
F. Freih. v. Buschmann: Weitere Mittheilungen aus der Privat-
heilanstalt von Dr. Eder. (Aus Billroths Privatpraxis.)
Grosser Blasenstein ) ,,, mr-r-
^ J Wr. med. Wochenschr. 187g
Grosses 1 ibroma uteri )
A. V. Frisch: Ueber eigenthümliche Produkte mykotischer Kera-
titis (Sitzungsber. der kaiseii. Akad. d, Wissensch. 1877).
A. Wölfler: Incarceration einer Abdominalcyste im rechten
Leistenkanale, Operation, Heilung (Arch. für klin. Chirurgie
XXI. 1877).
A. Wölfler: Die Magenbauch wandfistel und ihre operative Hei-
lung (Arch. f, klin. Chir. XX. 1877).
1878.
Billroth: Carl von Heine. Nekrolog (Arch. f, kl. Chir. XXII. 1878).
R. Gersuny: Aneurysma beider Arteriae popliteae von unge-
wöhnlicher Grösse (Arch. f. klin. Chir. XXI.).
R. Gersuny: Ueber die Verwendbarkeit des Thomas’schen
Lagerungs-Apparates bei Wirbelcaries (Wr. med. Wochen-
schrift 1878).
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 1867—1892.
655
R. Gersuny: Ein dauernd geheilter Fall von Carcinoma recti
(Wr. ined. Wochenschr. 1878).
R. Gersuny: Zur Kluinpfussbehandlung bei Erwachsenen (Wr.
med. Wochenschr. 1878).
M. Nedopil: Schusswunden des Thorax (Wr. med. AVochen-
schrift 1878).
M. Nedopil: Humerus-Exstirpation ] Langenbeck’s Archiv für
Scapula-Resektion i klin. Chir. XXII. 1878.
A. V. Winiwarter: Ueber das Zungencarcinom (Habilitations-
Vortrag 1878).
A. V. Winiwarter: Beiträge zur Statistik des Carcinoms (Stutt-
gart 1878).
Felix V. Winiwarter: Ueber eine eigenthümliche Form von
Endarteriitis und Endophlebitis mit Gangrän des Fusses
(Langenbecks Arch. f. klin. Chir. XXIII. 1878).
A. Wölfler: Reise-Erinnerungen (Wr. med. Wochenschr. 1878).
A. AVölfler: Ein Lipom von seltener Grösse, Exstirpation, Hei-
lung (Wr. med. Wochenschr. 1878).
F. Raab: Aneurysma d. Art. poplitea (Wr. med. Wochen-
schrift 1878).
F. Raab: Ueber die Entwicklung der Narbe im Blutgefäss
(Arch. f. klin. Chir. 1878).
J. Mikulicz: Ueber individuelle Formdifferenzen am Femur und
an der Tibia des Menschen (Arch. f. Anatomie und Physio-
logie 1878).
J. Mikulicz: Die seitlichen Verkrümmungen am Knie und deren
Heilungsmethoden (Arch. f. klin. Clih. XXIII. 1878).
M. Nedopil: Das Ambulatorium der Klinik Billroth 1871 — 77
(Wiener med. Wochenschr. Nr. 15 u. 16, 1878).
A. V. Frisch: Ueber die sog. Hadernkrankheit (Kais. Acad. d.
Wissensch. 1878).
A. V. Frisch: Experimentelle Untersuchungen über die sog.
Hadernkrankheit (Wr. med. Wochenschr. 1878).
1879.
Billroth: Ueber Enteroraphie (Wr. med. AVochenschr. 1879).
Billroth: Chirurgische Klinik AVien 1871 — 76.
Nebst einem Gesammtbericht über die Chirurg. Kliniken in
Zürich und AVien während der Jahre 1860 — 1876. Erfah-
rungen auf dem Gebiete der praktischen Chirurgie. Mit 12
lithogr. Tafeln und 7 Holzschnitten. Berlin bei A. Hirsch -
wald 1879.
656
Guido von Török.
Billroth-Lücke: Deutsche Chirurgie. Stuttgart, F, Enke 1879.
(Billroth: Krankheiten der Brustdrüsen.)
R. Gersuny: Ueber die jüngsten Fortschritte in der unblutigen
Behandlung der Aneurysmen (Arch. f. klin. Chir. XXIV. 1879).
R. Gersuny: Ein Handgriff zur Beckenfixierung bei Hüftkon-
traktur (Centralblatt f. Chir. 1879).
M. Nedopil: Symmetrische Gangrän der Extremitäten (Wr. med.
Wochenschr. 1879).
M. Nedopil: Symmetrische Spontan-Fraktur (Wr. med. Wochen-
schrift 1879).
M. Nedopil: Schwund des Radius (Wr. med. Wochenschr. 1879).
M. Nedopil: Laparo-Splenotomie (Wr. med. Wochenschr. 1879).
A. V. Winiwarter: Ueber die Verwerthung der Massage bei
chronischen Erki'ankungen innerer Organe (Wiener med.
Blätter 1879).
C. Fürst: Casuistische Mittheilungen aus der Chirurg. Universi-
tätsklinik des Hofraths Prof. Dr. Th. Billroth in Wien. Er-
stickungstod, veranlasst durch das Eindringen eines Ascaris
lumbricoides in die oberen Luftwege (Wr. med. Wochenschr.
1879, Nr. 3, 5 und 6).
A. V. Frisch: Ueber das Verhalten der Milzbrandbakterien gegen
extrem niedere Temperatm’en (Sitzungsberichte der kaiserl.
Akad. d. Wissensch. 1879).
A. V. Frisch: Ueber Desinfektion der Seide und Schwämme
zu Chirurg. Zwecken (Arch. für klin. Chir. 1879).
A. AVölfler: Die Aortendrüse und der Aortenkropf (Wien. med.
Wochenschr. 1879).
A. Wölfl er: Zur chirurg. Behandlung des Kropfes (Langenbeck’s
Arch., XXIV, 1879).
A. Wölf 1er: Weitere Beiträge zur chirurg. Behandlung des
Kropfes (AVien. med. AVochenschr. 1879).
A. AVölfler: Zur operativen Heilung der äusseren Magenfistel
(Wien. med. AVochenschr. 1879).
A AVölfler: Zur Geschichte und operativen Behandlung des
Zungenkrebses (Arch. f. klin. Chir., XXA^I, 1879).
F. Raab: Neue Beiträge zur Kenntnis der anat. Vorgänge nach
Unterbindung der Blutgefässe beim Menschen (Virchows
Archiv 75, Band 1879).
Herrn. Klotz: Gynäkologische Studien über die pathologischen
Veränderungen an der Portio vaginalis uteri mit besonderer
Berücksichtigung des Normalbaues (Wien bei Seydl, 1879).
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 18(57 — 1892.
657
H erm. Klotz: Extrabdominale Hystero-Cystovariotomie bei
einem wahren Hermaphroditen (Langenbecks Arch., XXIV,
1879).
R. Wittelshöf er: lieber angeborenen Riesenwuchs der oberen
und unteren Extremitäten (Arch. f. klin. Chir. 1879).
R. Wittelshöf er : Casuistische Mittheilungen aus der Klinik
des Prof. Billroth in Wien.
Anus präternaturalis — Enterorrhapie , Heilung (Arch. f.
klin. Chir., XXIV, 1879).
R. Wittelshofer: Casuistische Mittheilungen aus der Klinik
des Prof. Billroth in Wien.
Schussverletzung an der Aussenseite des linken Ober-
schenkels, Entfernung des Projektils 4 Monate später
aus der Harnblase (Wien. med. Wochenschr. 1879).
J. Mikulicz: Exstirpation solider Geschwülste des Uterus (Wien,
med. Wochenschr. 1879).
J. Mikulicz: Subperiostale Exsthpation der Scapula. Voll-
ständige Regeneration (Arch. f. klin. Chir., XXIV, 1879).
J. Mikulicz: Die antiseptische Wundbehandlung. (Mittheilungen
des Vereins der Aerzte in N.-Oe. 1879).
J. Mikulicz: Eine neue Methode der Aufrichtung eingesunkener
Nasen (Wien. med. Wochenschr. 1879).
1880.
Billroth und Winiwarter: Die allgem. Chirurgische Patho-
logie und Therapie in 50 Vorlesungen. 9. Autl., bearbeitet
von A. V. Winiwarter 1880. Berlin. G. Reimer.
Billroth: Ueber Lithotripsie und Vergiftung durch chlorsaures
Kali (Wien. med. Wochenschr. 1880 Nr. 44).
C. Fürst: Ueber partielle Facialislähmungen nach Exstirpation
sub- und retromaxillarer Lymphome (Arch. f. klin. Chir.,
XXV, 1880).
A. Wölfler: Entwicklung und Bau der Schilddrüse. Berlin 1880.
Herrn. Klotz: Ueber eine neue Art von operativem Verfahren
und Stumpfbehandlung bei der Exstirpation grosser Gebär-
mutter-Myome (Wien. med. Wochenschr. 1880).
Herrn. Klotz: Ueber einige seltene Erkrankungen der weib-
lichen Brustdrüse (Arch. f. klin. Chir., XX\ , 1880).
F. Freih. v. Buschmann: Exstirpation eines sehr grossen, retro-
peritonealen Fibroms und der damit verwachsenen, im Becken
<releo-enen Niere (Wien. med. Wochenschr. 1880).
42
658
Guido von Török.
G, V. Török und K. Wittelshöf er: Zur Statistik des Mamma-
Carcinoms (Arcli. f. kliii. Chir. 1880, XXV. 4.).
R. Wittelsliöfer : Die Behandlung von Verkrümmungen der
Wirbelsäule mittels starrer Verbände (aus Billroths Klinik)
(Wien. med. Wochenschr, 1880).
J. Mikulicz: Zur Sprayfrage (Arch. f. klin. Chir., XXV, 1880).
J. Mikulicz: Ueber Totalexstirpation des Uterus (Wien. med.
Wochenschr. 1880).
1881.
Billroth: Die Krankenpflege im Hause und im Hospitale,
1. Auf!., Wien, Gerold 1881.
Billroth: Zur Resektion des carcinomatösen Magens (Wien,
med. Wochenschr. 1881, Nr. 22).
Billroth: Oflener Brief an Dr. L. Wittelsliöfer über eine am
29. Januar 1881 ausgeführte Resektion des Magens (Wien,
med. Wochenschr. 1881, Nr. 6).
M. Nedopil, Ueber tuberkulöse Erkrankungen der Zunge
(Wiener Klinik 1881).
A. Wölf 1er: Ueber den Einfluss der Esmarch’schen Blutleere
auf die Resorption flüssiger Stoffe (Arch. f. klin. Chhurgie,
XXVHI, 1881).
A. Wölfler: Ueber die Anwendung des Jodoforms in der
Mundhöhle (Centralblatt f. Chirurgie 1881).
A. Wölfler; Ueber die von Herrn Prof. Billroth ausgeführten
Resektionen des carcinomatösen Pylorus, Wien 1881.
A. Wölfler: Fall von gelungener Resektion des carcinomatösen
Pylorus (Wien. med. Wochenschr. 1881).
A. Wölfler: Ueber einen Fall von Sclerodermie und Onycho-
gryphosis (Zeitschrift f. Heilkunde, II, 1881).
A. Wölfler: Gastro-Enterostomie (Centralblatt für Chirurgie 1881,
Nr. 45).
A. Wölfler: Zur Resektion des carcinomatösen Pylorus (Wien,
med. Wochenschr., 14, 1881).
A. Wölfler: Chirurgische Briefe über Amputationen (Wien. med.
Wochenschr. 1881).
R. Wittelsliöfer: Ein Instrument zur Operation der Phimose
(Centralblatt f. Chirurgie 1881).
R. Wittelsliöfer: Die Operationen am Darm. Casuistische
Beiträge aus der Klinik des Prof. Billroth (Wien. med.
Wochenschr. 1881).
Die Arl)eitou der Klinik Billroth in den Jahren 1)S<57— 1892.
J. Mikulicz: Ueber die Anwendung der Antiseptik bei Laparo-
tomien, mit besonderer Rücksicht auf die Drainage der Bauch-
höhle (Arch. f. klin. Chir., XXVI, 1881).
J. Mikulicz: Ueber Totalexstirpation des Uterus (Wien. med.
Wochenschr. 1881).
J. Mikulicz: Eine neue osteoplastische Resektionsmethode am
Fusse (Arch. f. klin. Chir. 1881).
J. Mikulicz und A. Felsenreich: Ueber puerperale R^'ohämie
(Zeitschrift für Heilkunde, II, 1881).
J. Mikulicz: Ueber die Verwendung des Jodoforms bei der
Wundbehandlung und dessen Einfluss auf fungöse und ver-
wandte Prozesse (Arch. für klin. Chir., XXVII, 1881).
J. Mikulicz: Weitere Erfahrungen über die Anwendung des
Jodoforms in der Chirurgie (Berlin, klin. Wmchenschr. 1881).
J. Mikulicz: Ueber Gastroscopie und Oesophagoscopie (Whener
med. Presse 1881).
J. Mikulicz und N. W^eiss: Ueber Nervendehnung bei Er-
krankungen des Rückenmarkes (Wien. med. AVocheiischr. 1881 ).
E. Ehrendorf er: Mittheilungen über Keilexscision aus verschie-
denen Knochen (Wien. med. Wochenschr. 1881).
E. Ehrendorfer: Zur Casuistik seltener Geschwulstformen im
Larynx und Pharynx (Arch. f. klin. Chir., XXVI, 1881).
E. Ehrendorf er: Beiträge zur Kenntnis der Hodengeschwülste
(Arch. f. klin. Chir., XXVl, 1881).
E. Trnka: Ein Fall von ungewöhnlich grossem, centralen Osteo-
sarcom des Oberkiefers. Exstirpation, Heilung (Zeitschrift
für Heilkunde 1881, Band I, Prag, F. Temsky).
1882.
Billroth und WTniwarter: Die allgemeine Chirurg. Pathologie
und Therapie in 50 Vorlesungen. 10. Aufl., bearbeitet von
A. V. Winiwarter 1882. Berlin. G. Reimer.
A. WWlfler: Die Kropfexstirpationen an Hofrath Billroths Klinik
1877 — 1881 (Wien. med. AVochenschr. Nr. 1, 1882).
A. AVölfler: Die Amputationen an Hofrath Billroths Klinik 1877
bis 1880. — Wien 1882.
J. Mikulicz: Die Anwendung des Jodoformes in der Chhurgie.
(Wiener Klinik 1882.)
J. Mikuli cz und N. W'eiss: Ueber Nervendehnung bei Er-
krankungen des Rückenmarkes (Fortsetzung) (Wien. med.
\Vochenschr. 1882).
660
Guido von Török.
V. V. Hacker: lieber das Vorkommen von Knorpel und Knochen
in einer Geschwulst der weiblichen Brustdrüse (Langenbecks
Arch. f. klin. Chir, XXVII, 1882).
J. Paneth und J. Rosanes: Die accidentellen Wundkrankheiten
an der Klinik des Prof. Dr. Th. Billroth in den Jahren 1877
bis 1881 (Wien. med. Wochenschr. 1882).
A. Pränkel: lieber die Endresultate der Empyemoperationen
(Wien. med. Wochenschr. 1882).
G. Usiglio: Litotrissia e Litolapassia. Triest 1882.
J. Paneth: Ueber einen Fall von melanotischem Sarcom des
Rectums (Arch. f. klin. Chir., XXVIII.).
J. Rosmanit: Zur operativen Behandlung der schweren Formen
von Contracturen und Anchylosen im Hüftgelenke (Arch. f.
klin. Chir., XXVHL).
A. V. Frisch: Zur Aetiologie des Rhinoscleroms (Wr. med.
Wochenschr. 1882).
1883. *)
A. Wölfler: Zur Kenntnis und Eintheilung der verschiedenen
Formen des gutartigen Kropfes (Wr. med. Wochenschr. 1883).
A. Wölfler: Entwicklung und Bau des Krojofes (Berlin 1883).
V. V. Hacker; Infusion einer Kochsalzlösung beim Menschen
wegen hochgradiger Magenblutung (Wr. med. Wochenschr.
1883, Nr. 37).
V. V. Hacker: Ein neuer Fall von geheilter Magenresektion
(Wien. med. Wochenschr. 1883, Nr. 11).
V. V. Hacker: Anleitung zur antiseptischen Wundbehandlung
nach der an Prof. Billroths Klinik gebräuchlichen Methode.
Wien, Toeplitz u. Deuticke 1883, 1. Aufl.
M. Schustler: Carcinom beider Ovarien, doppelseitige Ovario-
tomie, Darm- und Blasenresektion, Heilung (Wr. med. Wochen-
schrift 1883, Nr. 2 und 3).
A. Frankel: Ueber Dermoidcysten der Ovarien und gleichzeitige
Dermoide (mit Haaren) im Peritoneum (Wien. med. Wochenschr.
1883), Nr. 28—30.
1884.
Billroth: Wilhelm Baum. Nekrolog (Arch. f. klin. Chir. XXX).
Billroth: Eine wissenschaftliche und humanitäre Bitte an die
Kollegen (betreffend die Sammlung von Erfahrungsmaterial
über Amputations-Neurome (Centralbl. f. Chir. 1884).
*) Billroth- Wini warte r. Allg. Chirurg. 11. Aufl. Berlin. G. Reimer 1883.
Die Arbeiten der Klinik ßillrotli in den Jahren 1867 — 1S92.
661
A. Wölf 1er; Bericht über die mit der chir. Klinik des Hofrathes
Prof. Dr. Th. Billroth verbundene Poliklinik d. Jahres 1883
(Wien. med. Wochenschr. 1884).
V. V. Hacker: Sarcom der Milz, von Prof. Billroth mit glück-
lichem Erfolge durch Laparotomie entfernt (Vortrag am 13.
Chirurg. Kongress in Berlin, Centralbl. f. Chir. 1884, Beilage).
V. V. Hacker: Ueber einen neuen Fall von gelungener Pylorus-
resektion (Wien. med. Wochenschr. 1884, 29).
O. V. Weiss: Ueber die Enderfolge der Radikaloperation der
Hydrocele (Wien. med. Wochenschr. 1884, Nr. 1 — 4).
E. Hauer: Darmresektionen und Enteroraphien 1878—1883, aus
der Chirurg. Klinik des Hofr. Prof. Dr. Th. Billroth in Wien.
(Zeitschrift f. Heilkunde. Prag 1884, Band V).
A. Eränkel: Ueber Behandlung kalter Absce.sse mit Injektionen
von Jodoformemulsion (Wien. med. Wochenschr. 1884, Nr. 26).
F. Salzer: Zerreissung der Arteria poplitea und consecutive
Gangrän der Extremität infolge gewaltsamer Streckung der
Kniegelenks-Contractur (Wien. med. Woch. 1884, Nr. 8 u. 9).
F. Salzer: Die Larynxoperationen in der Klinik Billroth 1870
bis 1884 (Arch. f. klin. Chir. XXX).
1885.-^)
Billroth: Zwei verschluckte Gebisse. Oesophagotomie, Gastro-
tomie (demonstriert in der Sitzung der k. k. Gesellschaft d.
Aerzte am 20. Februar 1885), Wien. med. Wochenschr. 1885.
A. Wölf 1er: Zur Technik der supravaginalen Amputatio uteri
(Wien. med. Wochenschr. 1885).
A. Wölf 1er: Ueber die anaesthesierende Wirkung der subcutanen
Cocain-Injektionen (Wien. med. Wochenschr. 1885).
A. Wölf 1er: Zur Suspension des Uterus-Stumpfes nach supra-
vaginaler Amputation (Wien. med. Wochenschr. 1885).
Alex. Brenner: Beitrag zur Casuistik der Nephrektomien (Wien,
med. Wochenschr. 1885).
V. V. Hacker: Zur Technik der supravaginalen Amputatio uteri
(Wien. med. Wochenschr. 1885, Nr. 48).
V. V. Hacker: Zur Casuistik und Statistik der Magenresektionen
und Gastroenterostomien. Vortrag am XI\ . Chir. Kongress
in Berlin (Arch. f. klin. Chir. XXXII, 3).
0. V. Weiss: Beiträge zur Kenntnis der Perlmutterdrechsler-
Ostitis (Wien. med. Wochenschr. 1885).
*) Billroth-AViui warter. All,<r. Cliirurg. 12. Aufl. Berlin. G. Reimer 1885.
662
(.Ttuido von Török.
A. Fränkel: Zur Histologie, Aetiologie und Therapie der Lym-
phomata colli (Zeitsclir. f. Heilkunde, Prag 1885, VI. Band),
1886.
Billroth: Aphorismen über das Lehren und Lernen d. medizin.
Wissenschaften (Wien 1886).
F. Schwarz: Beitrag zur Verwendung des plastischen Filzes in
der Chirurgie (Wien. ined. Wochenschr. 1886, Nr. 37).
V. V. Hacker: Operative Fixierung eines beweglichen, abge-
schnürten Leberlappens und Bemerkungen über operative
Eingriffe am Leberparenchyni (Wien. med. Wochenschr. 1886).
V. V. Hacker: Die Magenoperationen an Prof. Billroths Klinik
1881 bis März 1885. AVien, Töplitz u. Deuticke 1886.
V. V. Hacker: lieber die Verwendung des Musculus rectus
abdominis zum Verschluss der künstlichen Alagenfistel (Wien,
med. Wochenschr. 1886).
A. Fränkel: Die Gipspanzerbehandluug der Scoliose (Wien. med.
Wochenschr. 1886, Nr. 19).
K. Lacker: Die Bestimmung des Hämoglobingehaltes im Blute
mittels des v. Fleischl’schen Hämometers (Wien. med. AVochen-
schrift 1886).
F. Salzer: Zur Diagnose der Pankreascysten (Zeitschrift f. Heil-
kunde, Band VII, Prag 1886),
F. Salzer: Zur Casuistik der Geschwülste am Kopfe (Arch. f.
klin. Chir. XXXIII, 1, 1888).
A. Freih. v. Eiseisberg: Beiträge zur Lehre von den Alikro-
organismen im Blute fiebernder Verletzter und in geschlossenen
Körperhöhlen (Wien, med. AVochenschr. 5 — 8, 1886).
A. Freih. v. Eiseisberg und R. Paltauf: Zur Aetiologie des
Rhinoscleroms (Fortschritte der Medizin 1886, Nr. 19).
1887.
Billroth-AViniwarter: Die allgemeine chirurgische Pathologie
und Therapie in 50 A^oiiesungen, bearbeitet von Prof. Alex.
V. AViniwarter. 13. Aufl., Berlin, G. Reimer 1887.
V. V. Hacker: lieber eine Vorrichtung zum Spannen der Durch-
züge am Krankenbette (AATen. med. AVochenschr. 1887).
Ab V. Hacker: lieber A^erengerungen des Magens durch Knickung
infolge des Zuges von Adhäsionssträngen (AVien. med. AVochen-
schrift, Nr. 37 u. 38).
V. V. Hacker: lieber den Einfluss der Krümmungen der AATrbel-
säule auf die AVeite und den A’^erlauf d. Oesophagus (AATen.
med. AVochenscli]-. 1887).
663
J)ie Arbeiten der Klinik Billrotli in den Jahren 18G7— 1892.
Alex. Brenner: Die Blasennaht. Eine experimentelle Studie
(Arch. f. klin. Cliir. XXXV).
A. V. Rosthorn: Die Synovialsäcke und Sehnenscheiden in der
Hohlhand (Arch. f. klin. Chir. XXXIV).
t . Salzer: Zur riierapie der Narbencontractur der Hand
(Wien. nied. Wochenschr., Nr. 15, 1887).
1. Salzer: Die Resektion des 3. Trigeminusa.stes am Foramen
ovale (Wien. med. Wochenschr. 1887).
Freih. v. Ei sei sh erg: Nachweis von Erysipelcoccen in der
Luft chirurgischer Krankenzimmer (Arch. f. klin. Chir. XXXV).
t reih. v. Eiseisberg: Ueber den Keimgehalt von Seifen und
\ erbandmaterialien (Wien. med. Wochenschr. 1887).
1 reih. v. Eiseisberg: Beiträge zur Impftuberkulose beim
Menschen (Wien. med. Wochenschr. 1887, Nr. 53).
Wölfl er: Die chirurgische Behandlung des Kropfes, 1. Theil
(Berlin bei A. Hirschwald 1887).
A
A
A.
1888.
Billroth: Ueber die Ligatur der Schilddrüsen-Arterien behufs
Einleitung der Atrophie von Kröpfen (Wr. klin. Wochenschr.
1888, Nr. 1).
Billroth: Ueber Scirrhus glandulae tli3’reoideae (Wr. klinische
Wochenschr. 1888, Nr. 20).
Billroth: Wünsche und Hoffnungen für unsei’e medizinische
Fakultät (Wr. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 36).
V. V. Hacker: Ueber den plastischen Ersatz grösserer Haut-
defekte durch ein- und doppelstielige , entfernteren Körper-
theilen entnommene Lappen (Arch. f. klin. Chir., XXXVII).
V. V. Hacker: Zur Wangenbildung bei grösseren, penetrierenden
Defekten (Zeitschrift für Heilkunde, 9. Band).
V. V. Hacker: Ueber die Verwendung eines eine Periostknochen-
spange enthaltenden Stirnlappens zur Rhinoplastik (Wr. klin.
Wochenschr. 1888).
V. V. Hacker: Ueber die Bedeutung der Anastoniosenbildung
am Darm für die operative Behandlung der \’’erengerungen
desselben (Wr. klin. Wochenschr. 1888).
M. Scheimpflug: Ueber eine neue Ballonkanüle für künst-
liche Magenfisteln (Wr. klin. Wochenschr. 1888).
F. Salzer: Phne Trachealkanüle für Strumapatienten (Wr. klin.
Wochenschr, 29, 1888).
F. Salzer: Ein Fall von Myxoma lipomatodes capsulae adi-
posae renis (Wr. klin. Wochenschr. 8 — 10, 1>^88).
664
Guido von Török.
F, Salzer: Tabellarische Uebersiclit über die im Jahre 1887
an der Klinik Billroth ausgeführten Magenresektionen (Wr.
klin. Wochenschr. 1888. Nr, 2).
A. Freih, v. Eiseisberg: Experimentelle Beiträge zur Aetio-
logie des Wundstarrkrampfes (Wr. klin. Wochenschr. 9 — 13,
1888).
H. Ilinterstoisser : Cystisch erweichtes Sarcom der Magen wand.
Resectio partis pyloricae ventriculi. Heilung (Wr, medizin.
Wochenschr. 1888, 4 und 5).
11. Hint erstoisser: Ein Fall von Hydrocele cystica beim Weibe
(Wr. klin. Wochenschr. 1888).
H. Ilinterstoisser: Beitrag zur Casuistik der cavernösen An-
gionie (Wr. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 18).
11. Hinterstoisser : Beiträge zur Lehre vom Nebenkropf (Wr.
klin. Wochenschr, 1888).
1889.
Billroth- Winiwarter: Allgem. chirurg. Pathologie und The-
rapie in 50 Vorlesungen, bearbeitet von Prof. A. v. Wini-
warter. 14. Aufl. Berlin, G. Reimer, 1889,
Billroth: Die Krankenpflege im Hause und im Hospitale. 3, Aufl.
Wien, Gerold, 1889 (bearbeitet von R. Gersuny).
Billroth: Ueber Uranoplastik (Sitzungsbericht der k. k. Gesell-
schaft der Aerzte in der Wr. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 12).
Billroth: Wie sollen die Unterrichtsräume einer chirurg. Klinik
in Wien beschaffen sein und wie können die in Aussicht
genommenen neuen Kliniken in den Rahmen des k. k. all-
gemeinen Krankenhauses eingefügt werden (Wr. klin. Wochen-
schrift, 1889, Nr. 1).
Billroth: Zur Eröffnung der Klinik am 7. Oktober 1889 (Wr.
klin. Wochenschr. 1889, Nr. 41).
V. V, Hacker: Ein Extensionsapparat zur Anlegung von Gips-
hosen (Wr. klin. Wochenschr. 1889, Nr. 14).
V. V. Hacker: Ueber die chirurg. Behandlung der Narbencon-
trakturen der Haut (Wr. klin. Wochenschr. 1889, Nr. 18).
V. V. Hacker: Ueber die nach Verätzungen entstehenden Speise-
röhrenverengungen. Wien bei Alfred Hölder 1889.
F. Salzer: Zur Casuistik der Kehlkoi^foperationen (Archiv für
klin. Chir., XXXIX, 2).
F. Salzer: Resektion des 3. Trigeminusastes am Foramen
ovale (Arch. f. klin. Chir., XXXIX, 3),
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 1867 — 1892.
665
F. Salzer: lieber die Behandlung verschluckter Fremdkörper
(Sitzungsber. d. Gesellsch. d. Aerzte, Wr. klin. Wochenschr.
1889, Nr. 3).
F. Salzer: lieber einen Fall von traumatischer Epilepsie (Wr.
klin. Wochenschr. 1889, Nr. 5 und 6).
F. Salzer: Zur Technik der Trepanation (Wr. klin. Wochen-
schrift 49, 1889).
A. Freih. v. Eiseisberg: Beiträge zur Autoplastik mittels frischer
gestielter Lappen (Wr. klin. Wochenschr. 1889, Nr. 4).
A. Freih. v. Eiseisberg: lieber eine osteoplastische Amputation
des Fusses (Wr. klin. Wochenschr. 19, 1889).
A. Freih. v. Eiseisberg: lieber Hautverpflanzung nach Thiersch.
(Wr. klin. Wochenschr. 1889).
A. Freih. v. Eiseisberg: lieber die Magenresektionen und
Gastroenterostomien an Prof. Billroths Klinik von März 1885
bis Oktober 1889 (Arch. f. klin. Chir. XXXIX, 4).
E. Pilz: Mittheilungen aus der Klinik des Prof. Dr. Billroth.
I. Angeborene Wangenspalte 1 Wr. klin. Wochenschr.
II. Ein Tumor der Brustwarze | 1889, Nr. 26.
1890.
Billroth: lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und
Thierzellen aufeinander (Hölders Sammlg. klin. Schriften,
Nr. 10).
Billroth: lieber die Behandlung kalter Abscesse und tuberku-
löser Caries mit .Jodoformemulsion (Wr. klin. Wochenschr.,
1890, Nr. 11—12).
Billroth: Humanität, Wissenschaft und Staat (Feuilleton, Wr.
klin. Wochenschr. 1890, Nr. 1).
Billroth: lieber den Einfluss der Antiseptik auf Operations-
methoden , chirurgischen Unterricht und Krankenhausbau
(Vortrag , gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte am
21. März 1890, Wr. klin. Wochenschr. 1890, Nr. 13).
F. Salzer: Zur operativen Behandlung der Sinus-Thrombose
(Wr. klin. Wochenschr. 1890, Nr. 34).
F. Salzer, Ueber die Einheihmg von Fremdkörpern (Hölders
Sammlung med. Schriften, Nr. 8, 1890).
A. Freih. v. Eiseisberg: Ueber Tetanie im Anschluss an Kropf-
operationen (Hölders Sammlung med. Schiiften, 1890).
A. Freih. v. Eiseisberg: Nachweis von Eitercoccen im Blute
^ als diagnostisches Hilfsmittel (Wr. klin. Wochenschr. 1890).
T
Guido von Török.
A. Freih. v. Eiseisberg: lieber einen Fall von erfolgreicher
Transplantation eines Fibrosarcoms bei Ratten (Wr. klin.
Wocliensclir. 1890).
F. Salzer; Prof. Billroths Modifikation der v. Langenbeck’schen
Methode der Urano-Staphyloplastik (Centralblatt f. Chirurgie,
Nr. 13, 1890).
J. Winter: Zur Operations-Statistik des Pleura-Empyems (Wr.
klin. Woehenschr. 1890).
J. Winter: Ein Apparat zur Narkose bei eröffneten Luftwegen
(Wr. klin. Woehenschr. 1890). •
J. Haidenthaller : Die Radikaloperationen der Hernien ander
Klinik des llofrathes Prof. Dr. Th. Billroth, 1877—1889 (Arch.
f. klin. Chir., XL 3, 1890).
L. V. Dittel jun.: Casuistische Mittheilungen aus der Klinik
Billroth.
I. Carcinom in einer Brandnarbe,
II. Carcinom nach Ulcus durum (Wr. klin. Wochenschrift
1890).
F. Schüssler: Die Sehnennähte an der Klinik Billroth, 1886
bis 1889 (Wien 1890, Hölders Sammlung klin. Schriften, Bd. 9).
A. Freih. v. Eiseisberg: Zwei Fälle von akutem inneren Darm -
Verschluss und zwei Fälle von Entfernung der einen Hälfte
des Schultergürtels (Wr. klin. Woehenschr. 1890, Nr. 12 — 13).
A. Freih. v. Eiseisberg: Fibrolipom der Nierenfettkapsel (aus
Billroths Klinik, Wr. klin. Woehenschr. 1890, Nr. 23).
L. V. Dittel jun. : Versuche über die therapeutische Verwendung
von Wasserstoffsuperoxydlösung (Wr. klin. AVochenschr. 1890).
A. Wölfler: Die chirurgische Behandlung des Kropfes, II. Theil
(Berlin bei A. Hirsch wald, 1890).
1891.
Billroth: Koch’sche Injektionen bei Aktinomykose (Protokoll
der k. k. Gesellschaft der Aerzte, AVr. klin. AA^ochenschrift
1891, Nr. 10).
Billroth: Ueber 124 vom November 1878 bis Juni 1890 in
meiner Klinik und Privatpraxis ausgeführte Resektionen am
Alagen- und Darmkanal, Gastro-Enterostomien und Narben-
lösungen wegen chronischer Krankheitsprozesse. (Verhand-
lungen des X. internationalen medizin. Kongresses, Berlin,
Bd. HI, Abth. ATI und AVr. klin. AVochenschr. 1891, Nr. 34).
A. Freih. v. Eiseisberg: Ueber einen Fall von Aneurysma
trauniaticum der Carotis externa (AVr. klin. AVochenschr. 1891).
Die Arbeiten der Klinik Billroth in den Jahren 1867 — 1892.
667
A. Freih. v. Eiseisberg: Nachweis von Eitercoccen im Schweisse
eines Pyämischen (Berlin, klin. Wochenschr. 1891, Nr. 23).
A. Freih. v. Eiseisberg: Vorstellung A"on zwei geheilten Fällen
von Celluloiclimplantation in Schädeldefekte (k. k. Gesell-
schaft der Aerzte in Wien, Wr. klin. AVochenschr. 1891, Nr. 24,
und internat. klin. Rundschau Nr. 24, 1891).
A. Gleich: Ueber Sterilisierung von Verbandstoffen (aus Bill-
roths Klinik, Wr. klin. Wochenschr. 1891, Nr. 5).
A. Gleich: Ueber Bromäthyl-Narcosen (Wr. klin. Wochenschr.
1891, Nr. 53).
A. Wölfl er: Die chirurgische Behandlung des Kropfes, III. Theil
(Berlin bei A. Hirschwald, 1891).
1892.
Billroth: Die Krankenpflege im Flause und im Hospitale (be-
arbeitet von R. Gersuny, 4. Aufl. Wien, Gerold, 1892).
F. Salzer: Beiträge zur Pathologie und chirurg. Therapie chro-
nischer Coecmnerkrankungen (Arch. f. klin.Chir., XLIH, 1892).
A. Freih. v. Eiseisberg: Ueber erfolgreiche Einheilung der
Katzenschilddrüse in die Bauchdecke und Auftreten von Tetanie
nach deren Exstirpation (Wr. klin. Wochenschr. 1892, Nr 5).
F. Schüssler: Ueber Hypertrophie der weiblichen Brustdrüse
(v. Langenbecks Archiv, Bd. XLIII, 2).
Büdinger: Ueber die relative Virulenz der pyogenen Mikro-
organismen in per primam geheilten Wunden (Wr. klin.
Wochenschr. 1892).
A. Gleich: Ein Todesfall in Bromäthylnarcose (Wr. klin.
Wochenschrift 1892, Nr. 30).
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Erklärung der Abbildungen
auf Tafel I — II.
(Zu dem Aufsatz: Prof. Dr. Wyss, lieber Hernia ventralis lateralis congenita und
ihre Beziehungen zur Hernia lumbalis.)
Fig. I. Reproduktion einer photographischen Aufnahme des kleinen
Patienten mit der Hernie. Die letztere ist in der rechten Seiten-
gegend zwischen hinterer Thoraxapertur und Becken deutlich sichtbar.
Fig. H. S k i z z e der R ü c k e n m u s k u 1 a t u r nach Entfernung der Haut,
Die eigentümliche winklige Scoliose ist aus der Lage der Processus
spinosi ersichtlich.
L. d. = Muse, latissimus dorsi.
Ld. p. i. = musculi latiss. dors. portio iliaca (nur links vorhanden; rechts fehlt
dieselbe).
O. a. e. = Muse, obliquus ext.
E. t. = Muse, erector trunci s. M. opisthotenar s. sacrospinalis.
p. sp. = processus sjiinosi.
Q. 1. ■ Muse, quadratus lumbor.
G. = Muse, glutaei.
C. 0. i. = Crista ossis ilei.
Sp. a. s. o. i. = Spina anter. sup. ossis ilei.
O. a. e. p. p. = Muscul. obliqui ext. port. post, (rechterseits.)
O. a. e. p. a. = Muse, obliqui ext. port. ant. (rechterseits.)
T. a. = Muse, transversus abdominis. (rechts.)
H. ■•= Hernia d. h. Bruehpforte derselben. Dieselbe ist von Blutgefässen überbrückt,
s. = Sichelförmige Sehne.
Fig. HI. Seitliche Ansicht der Bauchmuskeln von der rechten
Seite.
P. 8. = Processus spinosi vertebr.
s. = Sichelförmige Sehne.
E. t. = Muse. Erector trunci s. Opisthotenar s. sacrospinalis.
Q. 1. = Muse, quadratus lumborum.
0. a. e. p. p. = Muse, obliqui abdominis externi portio posterior.
C. o. i. = Crista ossis ilei.
0. a. e. p. a. = Muse, obliqui abdomin. externi port. anterior.
Sp. a. s. = Spina anterior superior ossis ilei.
R. a. = iMuscuhis rectus abdominis.
0. a. i. = Muse, obliquus abdomin. intern.
T. a. = Muse, transversus abdom.
O. a. e. = Muse, obliq. abdom. extern.
ErkUirmig der Abbildungen.
II. = Hernia d. b. Brucbpforte mit sie überbrückenden Gefässen (art. et ven.
intercost.).
L. d. = Muse, latissimus dorsi.
Cc. = Muse. Cucullaris.
Fig. IV. Bauch ni u s k u 1 a t u r von I n n e n.
C. "Sb = Corpus vertebrae.
L. I. = Ligamentum intervertebrale.
C. = Costa.
S. = Sehne, (wie in Fig. I. u. II.)
T. a. p. s. = Muscul. transvers. abdom. dextri pars superior.
T. a. p. i. = Musculi transversi abdom. dext. pars inferior.
R. a. = Muscul. rectus abdominis.
Ps. = Muse, psoas.
T. a. = Muse, transvers. abdomin.
I. = Muse, iliaeus.
Q. 1. = Muse, quadratus luniborum.
L. d. = Muse, latissimus dorsi (von innen ges.) linkerseits.
J. i. = Mm. intercostales interni.
Fig. V. Seitliche Ansicht der Bauchmuskeln der linken Seite.
L. d. = Muscul. latissim. dorsi.
c. = Costa.
R. a. = Muse, rectus abdominis.
0. a. i. = Muse, obliquus abdominis int.
sp. a. s. = Spina aut sup. oss. il.
O. a. e. = Muse, obliquus abdomin. ext.
O. a. i. — Muse, obliquus abdomin. int.
Q. lu. = Muse, quadratus lumborum.
Er. tr. = Muse, ereetor trunci s. M. saerospinalis.
p. s. — Processus si^inos. vertebrar.
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Erklärung der Abbildungen
auf Tafel III—
(Zu dem Aufsatz . I lof. I)i. tTUsseuljauer, Tiu Beitrag zur Keuutuis der braueliiogeiien
Geschwülste.)
Fig. 1: .Seriensclmitt durch die ganze Dicke der Haut, des suhcutanen
Gewebes und der Gewebsschichten bis in die grosse Cystenhöhle. 1. Epi-
dermis, 2. Haar- und Drüsenschicht, 3. quergestreifte Muskelfasern, 4. Lymph-
drüsen mit Kapsel, deutlichen corticalen Follikeln, Trabekeln. Lymphsinusen.
5. Cysten im Bindegewebe von Epithel ausgekleidet, ihre Wandungen von lyniph-
adenoldem Gewebe gebildet und umgeben. (1. Der grosse Cystenraum mit
mehrschichtigem Plattenepithel ausgekleidet, stellenweise mit papillenartigen
Erhebungen des bindegewebigen Stromas überkleidet mit einer basalen Cylinder-
zellenschicht. Doppeltinktion Haematoxylin-Alauncochenille. I\Iit Obj. a Oc. 3
Zeiss gezeichnet.
Fig. 2: Ein Follikel der Lymphdrüse aus Fig. 1 bei a stärker vergrössert.
Im Centrum des Follikels blassgelbrötlichtingierte ei^ithelol'de Zellen. Oc. 3 Obj.
8 a Reichert.
Fig. 3: Aus Figur 2 das mit a bezeichnete Viereck mit Ilomogen-Inunersion.
Oc. Apochromat. 8 Reichert gezeichnet. Die central gelegenen Zellen zeigen den
Habitus von Epithelzellen.
Fig 4: Die in Fig. 1 mit b bezeichnete Stelle mit Compensations-Oc. 4.
Obj. 8 Reichert dai'gestellt. INIitten in einem nicht scharf abgegrenzten l>ymph-
follikel ähnlichen Gebilde konzentrisch geschichtete Zellen, zum Teil in Tinktion
und Aussehen den Epithelien ähnlich.
Fig 5: Aus Fig 1 mit c bezeichnete Stelle der Cystenwaml. iMan sieht
den allmählichen Uebergang der epithelialen Auskleidung der Cyste in das
lymi:>hatische Gewebe.
Fig. G: Serienschnitt von einer anderen Stelle der grossen Cystenwand.
Bei 1 Beginn der grossen Cyste. Die Cy.ste ausgekleidet mit mehrschichtigem
Plattenepithel, in der Wand lymphatisches Gewebe mit einem im Centrinn analog
Fig 2, 3, 4 veränderten Follikel. Bei 2 kleinere Cyste durch ein bindegewebiges
Septum getrennt. Bei 3 Fettgewebe. Bei 4 Fettgewebe mit adenoiden Zell-
anhäufungen. 5. Lymphdrüse mit Kapsel und Follikel und analogen \ eränderungen
wie in Fig. 1, 4. Loupenvergrösserung (achtmal linear).
Fig. 7: Serienschnitt aus einer anderen Partie der grossen Cyste, welche
die zottigen von Epithel überkleideten Protuberanzen des lymphatischen Gewebes
in der Cystenwand zur Anschauung bringt. Gleiche Doppeltinktion und Loupen-
vergrösserung.
Fig. 8: Die in Fig. 7 mit b bezeichnete Stelle mit Oc. 3 Obj. 4 Reichert
dargestellt zeigt das mehrschichtige Plattenepithel.
pyrklärnng der Abbildungen.
Fig. 9: Die in Fig. 7 mit a Ijezei ebnete Stelle mit Oc. 3 Obj. 4 Eeiciiert
dargestellt zeigt die Epithelschicht mit den papillenartigen Excrescenzen.
Fig. 10: Aus Fig. 7 die mit c bezeichnete Stelle mit Oc. 3 Obj. 8 Reichert
dargestellt zeigt epitheloide Zellen in dem lymphatischen Gewebe.
Fig. 11 : Längsscbnitt eines Blutgefässes aus Fig. 7 mit Homog.-Immers.
Oc. apochr. 8 Reicbert.
Fig. 12: Querscbnitt eines Blutgefässes aus Fig. 7 mit Homog.-Immers.
Oc. apocbr. 8 Reichert.
Fig. 13 (xius Fig. 1 mit Oc. 3 Obj. 4. Reichert): zeigt die in den Saft-
lücken und Spalträumen des Bindegewebes netzförmig sich ausbreitenden Zellen-
anhäufungen.
Fig. 14; Aus Fig. 13 die mit a bezeichnete Stelle mit Homog.-Immers. Oc.
apochr 8. Reichert dargestellt.
7ri/: m
/leiliti (/fl.
lT5n^.
// S'ctUlcr (Id.
j4. Adstfiri. dlult/j'iii.
Erklärung- der Abbildungen
Hilf Tafel ATI.
(/u (leiu Aufsatz: 1 lof. II. Sattler, Leber die eigeiitliehen »Selinerveutuiuoren und
ihre chirurgische Behandlung.)
Fig. 1. Erste Sehnervengesclnvulst. Natürliche Grösse, a) vorderes,
h) hinteres Ende.
Fig. 2. Längsschnitt in horizontaler Lichtung durch die Gesclnvulst. Na-
türliche Grösse, a und h uie in Fig. 1.
lig. d. Querschnitt durch die Gesclnvulst in der Höhe der Tdnie de <ler
Fig. 2.
Fig. 4. a) Faserzelle mit feinen, h) mit gröhercui Ausläufern.
c) Teil einer Faser mit kleinen varikös('u Anschwellungen.
d) Faser mit hyaliner Einlagerung, a- d aus dem Nerventeil der ersten
Sehnervengesclnvulst.
e) Sternförmige Zelle mit mehrfachen, feineren und gröberen Ausläufern.
Aus dem Scheideuteil der ersten Sehnervengesclnvulst.
f) Zc'lle mit rundlichem Kern und grohkcirnigeTii Ih'otoplasma aus einem
myxomatösen Herde des Scheidenteils der erstem Scdmervengeschu ulst.
g) Breite Faser mit hyalinen Einlagerungen aus dem Nerventeil der zweiten
Sehiu'rvengesclnvulst.
h) Külhig angeschwollene, hyalin degenerierte Faser. Die Fort.setzung der
Faser am uutereu Ende wahrscheinlich ahgehrochen. Aus dem Scheidc'uteil des
zweiten Sehnerveutumors.
i) Zelle mit mehrfachen, verschieden langen und feiium Ausläufern aus
dem Scheideuteile des dritteu Sehuerventumors. Zeiss, Ai)ochromat. Ohj. 4 mm
und (’()m])ensations-Ocular 4.
Fig. ö. Horizontaler liängsschnitt durch den vorderen Teil der dritten
Sehnervengeschwulst, a) Sidmerventeil, h) Sclu'ident<‘ii der Ch'schwulst. Natür-
liche Grösse.
Fig. (j. Senkrechter (hiersclmitt zwischen <lem vonleren und mittleren
Drittel derselben Geschwulst. Natürliche Grösse.
Fig. 7. lutraorhitaler und intracrauieller Selmerventumor beiden- Augen.
Natürliche Grösse.
Fig. S. IGidotheliom mit Sandkönu'rn im Zwisclienscheidenraum des Seh-
Achtfache Vergrösserung.
nerven.
Erklärung der Abbildungen
auf Tafel VIII.
(Zu dem Aufsatz: Prof. Dr. v. Kosthoru, Beiträge zur Kenntnis der Tu))o-Ovarial-
Cysten.)
Fig. 1. C ü r p u s 1 u t e u in c y s t e. Beschrieben als Fall Xr. 5. Auf-
geschnitten zur Demonstration der Einmündung des abdominalen Eileiterendes
in dieselbe. Tuboovarialcj'ste. ta = abdominales Eileiterende, cw = die dicke
Cystemvand. oo = Ovarium Stroma mit den Ililusgefässen. ab = Uebergangs-
stelle an dem aufgeschnittenen Eileiter, dessen geschwellte Schleimhaut zeigend,
f = Fransen des Pavillons, fo = Follikel, hc = hämorrhagische Cyste.
Fig. 2. Schnitt durch eine kleine C or p u slu t e um cy s t e. — Loupen-
vergrösserung. c = Cystenraum, i = Innere bindegewebige Schichte ohne
Epithelsaum, a = äussere Schichte. Charakteristische Zeichnung des Corpus
luteum. Colloides Bindegewebe mit Spindelzellen und Bindegewebsfasern, o =
wohlerhaltenes , normales Eierstocksgewebe. F = Follikel verschiedener Grösse.
In einzelnen fehlt der Epithelsaum , in anderen liegt er frei und losgerissen,
g -- geschlängelte Gefässe. n = Corpora fibrosa.
Fig. o. Der unter Nr. 6 beschriebene, eigentümliche Fall. Die grosse
( )varialcyste ist aufgeschnitten znr Darstellnng der komplizierten Verhältnisse.
CiCi = Wandung der grossen Cyste von innen.
CiiC“ = die in ersterer susi)endierte kleinere Cyste aufgeschnitten. KR =
jene einem Bruchsackringe ähnliche Partie der Cystenwandung, r = diese eine
Strecke weit eröffnet, um zu zeigen, dass dieselbe hohl ist und in derselben Ge-
])ilde verlaufen, welche zweifellos ausgezogene Fimbrien sind. Tr — Trichter,
förmige Vertiefung an der Oberfläche der grossen Cyste, in welcher der Pavillon
des akut entzündeten Eileiters angelötet war nnd wosell)st durch eine kleine
Spalte eine erbsengrosse Cyste (Cni) hervorragte. Fo — die punktierte Linie
stellt einen in der Cystenwand (Ci) verlaufenden, feinen Hohlgang dar, in welchen
hinein vom Pavillon aus die langausgezogene Fiml)ria ovarica zu verfolgen ist.
St = feine Sonde, dnrch welche die Verbindung zwischen Cm und dem ring-
förmigen Hohlraume mit der Fiml)rie, Sn = eine zweite Sonde, durch die eine
Kommunikation zwischen Cm und Ci nachgewiesen werden soll, g = gefaltetes,
runzeliges Gewelje, welches der Aussenfläche eines gekerbten Eierstockes ähnelt
und dementsprechende Gewebe aufweist.
TafVlll.
A £risf^n hth Av\'t SniUff'vt.
i.
r
A. Erh-u-in. h'th./hist Stuftfj'ul-
Erklärung der Abbildungen
auf Tafel IX.
(Zu dem Aufsatz: Prof. Dr. J. Mikulicz, Ueber eine eigenartige symmetrische
Erkrankung der Thränen- und Mundspeicheldrüsen.)
Fig. 1. Frisches Präparat der linken Submaxillar-Speiclieldrüse. Natür-
liche Grösse.
Fig. 2. Dieselbe Drüse auf dem Querschnitt.
Fig. 3. Mikroskopisches Präi)arat von derselben Drüse. Hartnack Ohj. 7.
(Härtung in Flemming’scher Lösung, Färbung mit Saffranin.)
Sinnstörende Druckfehler.
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schnitt : tritt.
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Hypei'glos.sus : 11 y p o g 1 o s s u s.
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Kampf: Krampf.
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llö.
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■weniger: 'U’enigen.
■ 55
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Krankbeitsstand : Krankheit s-
•
h erd.
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Einteilung : E i n b e i 1 u n g.
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aus diesem : dieses.
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oben
bleibt : nicht weg.
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werden: wird.
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Mundhöhle : AV u n d höhl e.
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Alundwinkel : AV u n d w i n k e 1.
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angeführt : a u s g e f tt h r t.
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ein einem : in de m.
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unten
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Tetanie : T u b e r k u 1 o s e.
— 'OEXSO—